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FML 11-12/2023 Schwerpunkt E-Mobilität

Welchen speziellen Aufwand und die Anforderungen an die Betriebsabläufe bei der Reparatur von E-Fahrzeugen unterliege wird immer noch unterschätzt. Wir haben dazu Carsten Reinkemeyer, Experte im AZT (Allianz Zentrum für Technik) befragt

Welchen speziellen Aufwand und die Anforderungen an die Betriebsabläufe bei der Reparatur von E-Fahrzeugen unterliege wird immer noch unterschätzt. Wir haben dazu Carsten Reinkemeyer, Experte im AZT (Allianz Zentrum für Technik) befragt

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B 8503 E<br />

<strong>FML</strong><br />

<strong>11</strong>/<strong>12</strong><br />

November/Dezember <strong>2023</strong><br />

67. Jahrgang<br />

Der Fahrzeug- und Metall-Lackierer / Das Lackiererhandwerk<br />

SCHWERPUNKT<br />

E-<strong>Mobilität</strong> und deren<br />

Anforderungen an Betriebe<br />

INTERVIEW<br />

Den Rockstars auf<br />

den Zahn gefühlt<br />

NACHHALTIGKEIT<br />

Nachhaltiges Wirtschaften<br />

in Reparaturbetrieben


SCHWERPUNKT<br />

E-<strong>Mobilität</strong> und<br />

deren Anforderungen<br />

an die Betriebe<br />

Immer noch wird der spezielle Aufwand und die Anforderungen an die Betriebsabläufe<br />

bei der Reparatur von E-Fahrzeugen unterschätzt.<br />

Schritt halten bei den Reparaturtechniken ist die Herausforderung.<br />

Welchem speziellen Aufwand<br />

die Anforderungen an die<br />

Betriebsabläufe bei der Reparatur<br />

von E-Fahrzeugen unterliegen<br />

wird immer noch unterschätzt.<br />

Wir haben dazu<br />

Carsten Reinkemeyer, Experte<br />

im AZT (Allianz Zentrum für<br />

Technik) befragt.<br />

E-<strong>Mobilität</strong> und die<br />

Anforderungen<br />

<strong>FML</strong>: Gibt es spezielle Anforderungen,<br />

die unsere Lack-& Karosseriebetriebe<br />

beachten müssen, wenn sie<br />

E-Fahrzeuge reparieren?<br />

C. Reinkemeyer: Grundsätzlich unterscheiden<br />

sich Arbeiten an HV-Fahrzeugen<br />

nicht von denen an konventionellen<br />

Fahrzeugen. Erst wenn die Arbeiten die<br />

HV-Anlage betreffen, weil z.B. Komponenten<br />

verlagert werden müssen oder<br />

Arbeiten an der Anlage selbst – auch<br />

dem Klima-Kompressor – anfallen, müssen<br />

besondere Maßnahmen ergriffen<br />

werden. Insbesondere muss dann eine<br />

Freischaltung der HV-Anlage erfolgen.<br />

Je nach Tiefe der Tätigkeit sind technische<br />

und organisatorische Schutzmaßnahmen<br />

zu treffen, dazu gehört regelmäßig<br />

die Qualifikation des Personals.<br />

In Deutschland gelten die Regelungen<br />

der deutschen Gesetzlichen Unfallversicherer<br />

DGUV als Stand der Technik für<br />

den Umgang mit HV-Fahrzeugen. Insbesondere<br />

die Regel DGUV 209-093<br />

beschreibt Qualifikationsniveaus, die<br />

von der sensibilisierten Person (Stufe<br />

S) bis zur Fachkunde für das Arbeiten<br />

unter Spannung (Stufe 3S) reichen. Je<br />

nach Umfang der Arbeiten sind diese<br />

Qualifikationen vorzuhalten.<br />

Für größere Betriebe empfiehlt es sich,<br />

eine verantwortliche Fachkraft für HV-<br />

18 <strong>FML</strong> <strong>11</strong>-<strong>12</strong>/<strong>2023</strong>


SCHWERPUNKT<br />

Kraftfahrzeuge zu etablieren, die analog<br />

einer Arbeitssicherheitsfachkraft sichere<br />

Abläufe und Rahmenbedingungen<br />

für den Betrieb definiert.<br />

Dazu kommen gegebenenfalls. technische<br />

Schutzmaßnahmen wie eine persönliche<br />

Schutzausstattung und geeignetes<br />

Mess-Equipment, die beim Freischalten<br />

der HV-Anlage oder bei den<br />

seltenen Arbeiten unter Spannung zu<br />

verwenden sind.<br />

Darüber hinaus existieren noch herstellerspezifische<br />

Vorgaben, die z.B. auch<br />

die Nutzung eines bestimmten Diagnosetools<br />

für die Freischaltung umfassen<br />

können.<br />

Schließlich müssen die Werkzeuge,<br />

Vorrichtungen und Arbeitsräume je<br />

nach Tiefe der Reparatur bestimmten<br />

Anforderungen genügen. Es ist z.B.<br />

nicht möglich, die 650 kg schwere HV-<br />

Batterie eines Porsche Taycan fachgerecht<br />

auszubauen, wenn nicht die richtigen<br />

Hilfsmittel zur Verfügung stehen.<br />

<strong>FML</strong>: Mit welchem speziellen<br />

Aufwand, vor allem im Bereich<br />

Schulung, müssen Betriebe dabei<br />

rechnen?<br />

C. Reinkemeyer: Die Qualifikation der<br />

Stufe S ist im Prinzip eine Einweisung<br />

in die Bedienung des Fahrzeugs und<br />

soll verhindern, dass Fehlbedienungen<br />

zu Lasten der HV-Anlage vorkommen.<br />

Für allgemeine Arbeiten an HV-Fahrzeugen<br />

ist eine fachkundig unterwiesene<br />

Person FuP Stufe 1S notwendig, diese<br />

Qualifikation erfordert ein 1-tägiges<br />

Seminar, das der TÜV oder die Berufsgenossenschaften<br />

anbieten. Mechatroniker,<br />

die seit 20<strong>12</strong> ausgebildet wurden,<br />

haben diese Qualifikation bereits.<br />

Für Freischaltungen und Arbeiten an<br />

der HV-Anlage bedarf es der Fachkundige<br />

Person für HV-Systeme Stufe 2S,<br />

was eine mindestens zweitägige Weiterbildung<br />

erfordert, die sich je nach Vorkenntnis<br />

auch verlängern kann. Die<br />

höchste Qualifikation der Stufe 3S baut<br />

auf der Stufe 2S auf und wird oft individuell<br />

auf die Vorbildung angepasst.<br />

Diese Ausbildung berechtigt zum Arbeiten<br />

an Anlagen, die nicht freigeschaltet<br />

sind, landläufig „Arbeiten unter<br />

Spannung“.<br />

Für die FuP ist eine jährlich wiederkehrende<br />

Unterweisung im Umfang einer<br />

Stunde vorgeschrieben, die von der 2S-<br />

Kraft des Betriebes durchgeführt werden<br />

kann.<br />

<strong>FML</strong>: Wie groß sind die Anforderungen<br />

bei den Reparatur-Techniken,<br />

die zum Einsatz kommen müssen?<br />

C. Reinkemeyer: Im Lack- und Karosseriebereich<br />

gibt es keine wesentlichen<br />

Unterschiede zum konventionellen<br />

Fahrzeug. Mit Ausnahme des BMW i3<br />

hat sich der konventionelle Karosseriebau<br />

mit vergleichbaren Materialien bei<br />

der Elektromobilität erhalten. Auch das<br />

Heizen der Lackierkabine hat nicht<br />

den befürchteten Effekt einer Überhitzung<br />

der HV-Batterie, wie Studien des<br />

Allianz Zentrum für Technik AZT eindeutig<br />

gezeigt haben. Und die oft diskutierten<br />

Großgussteile sind nur<br />

hinsichtlich der Dimensionen etwas<br />

Neues.<br />

Dagegen sind die Arbeiten an der HV-<br />

Anlage stark von den hersteller- und<br />

modellspezifischen Vorgaben abhängig.<br />

Daneben können die Hersteller besondere<br />

Voraussetzungen und Werkzeuge<br />

fordern, wie es z.B. bei den Teslaapproved<br />

Bodyshops der Fall ist.<br />

Es gibt allerdings keine standardisierten<br />

Freischaltverfahren, was nach den<br />

Erfahrungen des AZT auch im Sinne<br />

der Prozess-Sicherheit und des Unfallschutzes<br />

durch die Hersteller dringend<br />

zu vereinheitlichen wäre. Zudem ist die<br />

Notwendigkeit proprietärer Diagnosegeräte<br />

für eine Freischaltung ein mögliches<br />

Hemmnis für markenfremde Betriebe.<br />

Generell ist der Markt für freie<br />

Werkstätten derzeit scheinbar noch<br />

schwierig, wie die AZT Unfallforschung<br />

feststellt: Ein erheblich höherer Anteil<br />

der Kollisionsschäden bei BEV wird<br />

derzeit in Markenwerkstätten repariert,<br />

als bei den konventionellen Fahrzeugen.<br />

Dies wird auf das im Durchschnitt<br />

geringe Fahrzeugalter zurückgeführt.<br />

Das bedeutet aber auch, dass die freien<br />

Werkstätten die notwendige Weiterentwicklung<br />

parallel zur alternden Population<br />

voranbringen müssen, wenn sie im<br />

bisherigen Umfang am Markt teilhaben<br />

wollen.<br />

<strong>FML</strong>: Auf welche Veränderungen bei<br />

den Betriebsabläufen müssen sich<br />

die Betriebe einstellen?<br />

C. Reinkemeyer: Die AZT Unfallforschung<br />

hat in einer Studie festgestellt,<br />

dass sich das Unfallgeschehen bei HV-<br />

Fahrzeugen wenig von konventionellen<br />

Fahrzeugen unterscheidet und zu einem<br />

großen Anteil Park- und Manövrierschäden<br />

vorliegen. Damit ist die<br />

Mehrheit der Unfallschäden auf die periphären<br />

Bauteile beschränkt. Die HV-<br />

Anlage wird nur dann einbezogen,<br />

wenn die Intrusionen sehr hoch sind,<br />

also bei sehr schweren Unfällen, oder<br />

wenn ungünstig verbaute Ladeports betroffen<br />

sind. Daher ist in den meisten<br />

Fällen kein wesentlich veränderter Ablauf<br />

der Reparatur zu erwarten. Die<br />

Analyse der Kollisionsschäden hat<br />

auch gezeigt, dass in weniger als 30<br />

Prozent der untersuchten Schäden eine<br />

Freischaltung explizit durchgeführt<br />

wurde.<br />

Tatsächliche Veränderungen werden<br />

bei schwer verunfallten oder brandbe -<br />

lasteten HV-Fahrzeugen vorkommen,<br />

wenn z.B. räumliche Separierungen<br />

und höhere fachliche Qualifikationen<br />

erforderlich sind. Insbesondere in diesen<br />

Fällen ist möglichst schnell ein sicherer<br />

Zustand herzustellen, indem die<br />

HV-Batterie beurteilt und zweckmäßige<br />

Folgemaßnahmen eingeleitet werden.<br />

Das Schadengeschehen der Allianz<br />

offenbart aber, dass diese Fälle vergleichsweise<br />

selten sind.<br />

Dennoch sind gerade hier die Prozesse<br />

der Hersteller höchst relevant, da mit<br />

heutiger Erfahrung immer noch gelegentlich<br />

die Einschätzung des Werkes<br />

und dessen Mitwirken bei der Handhabung<br />

schwer beschädigter Batterien erforderlich<br />

sein können. Für die Werkstatt<br />

ist es deshalb wichtig, die entsprechenden<br />

Kommunikationswege zu kennen<br />

und zu nutzen.<br />

<strong>FML</strong>: Danke für das Gespräch, Herr<br />

Reinkemeyer<br />

<strong>FML</strong> <strong>11</strong>-<strong>12</strong>/<strong>2023</strong><br />

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