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ei der Erforschung der Motivation berücksichtigt<br />
werden müssen. Hinzu kommt, dass Motivation<br />
instabil ist, d.h. kurz- und langfristigen Veränderungen<br />
unterliegt. Daher könnten Langzeitstudien,<br />
die z.B. die Motivation bei der Fremdsprachenwahl<br />
untersuchen, aussagekräftigere und<br />
verlässlichere Ergebnisse liefern.<br />
Fazit & Folgerungen<br />
Aus den Befragungsergebnissen, dass Schüler<br />
und Schülerinnen an weiterführenden Schulen<br />
das Fach Latein aufgrund von Berufs- und Zukunftsperspektiven,<br />
Interessen und Nützlichkeit<br />
wählen und dass Informationsveranstaltungen<br />
über den Lateinunterricht sowie elterliche, gesellschaftliche<br />
oder Geltungsmotive keinen signifikanten<br />
Einfluss auf die Wahlentscheidung haben,<br />
lassen sich wichtige Implikationen für die schulische<br />
und fachdidaktische Forschung ableiten.<br />
1. Anstoßen eines fachdidaktischen<br />
Diskurses<br />
Die Analyse der Schülerzahlen für das Fach Latein<br />
an den allgemeinbildenden Sekundarschulen in<br />
Berlin zeigt, dass die Schülerzahlen nicht nur insgesamt<br />
rückläufig sind, sondern vor allem, dass<br />
das Fach an dieser Schulform in seiner Existenz<br />
bedroht ist, wenn sich dieser Trend fortsetzt. Dies<br />
sollte nicht nur für die dort unterrichtenden Lateinlehrkräfte,<br />
sondern für alle Fachvertreter*innen<br />
und Fachdidaktiker*innen eine Aufforderung zum<br />
Handeln und zu einem bildungspolitisch relevanten<br />
Diskurs sein. Es ist wichtig, die Bedeutung der<br />
Existenz des Faches Latein an einer „horizontal<br />
offenen Schule für alle“ 16 sachlich zu reflektieren<br />
16 R. Nickel, Die alten Sprachen in der Schule, Frankfurt a. M.<br />
1978, S. 269.<br />
17 Vgl. S. Kipf, Latein als sprachliche Brücke. Integration<br />
durch Sprache, Bamberg 2014, S. 33.<br />
und die curricularen Vorgaben zu überprüfen<br />
und anzupassen, um den Anforderungen dieser<br />
Schulform gerecht zu werden.<br />
Ein möglicher Ansatz könnte darin bestehen, ein<br />
wirklich tragfähiges didaktisches Konzept für<br />
den Lateinunterricht an den Sekundarschulen<br />
zu entwickeln sowie Lehrwerke, die auf die Bedürfnisse<br />
dieser Zielgruppe zugeschnitten sind.<br />
Dabei könnte das sprachbildende Potenzial des<br />
Lateinunterrichts, das zur Förderung der sozialen<br />
Chancengleichheit und zum Abbau von Sprachbarrieren<br />
beitragen kann, eine größere Rolle<br />
spielen 17 . Trotz dieses inzwischen auch empirisch<br />
nachgewiesenen Potenzials scheint die Bedeutung<br />
des Faches Latein für die Förderung eben<br />
dieser sprachlichen Allgemeinbildung noch nicht<br />
ausreichend betont oder gar bekannt zu sein. Es<br />
bleibt daher notwendig, auf die Öffnung des Faches<br />
für eine heterogene Schülerschaft hinzuweisen<br />
und eine Argumentation zu entwickeln, die<br />
sein sprachbildendes Potenzial hervorhebt.<br />
2. Lernvoraussetzungen für das<br />
Fach Latein diagnostizieren<br />
Lehrkräfte gestalten aktiv den Unterricht und beeinflussen<br />
den Erfolg durch qualitativen Unterricht<br />
und ein lernförderliches Unterrichtsklima. Gutes<br />
Lernen hängt somit von gutem Lehren ab, das auf<br />
dem Wissen über die Schüler und Schülerinnen<br />
basiert und deren Interessen und Motivation berücksichtigt.<br />
Um den Bedürfnissen der Lernenden<br />
aber gerecht werden zu können, sind regelmäßige<br />
und idealerweise standardisierte Erhebungen<br />
der Lernausgangslage sowie Rückmeldungen der<br />
Schüler und Schülerinnen bezüglich ihrer Erwartungen<br />
und ihrer Motivation für das Fach Latein<br />
unumgänglich. In Berlin werden in den Fächern<br />
Mathematik, Deutsch und Englisch jährlich zu<br />
Schulbeginn in Klasse 7 verpflichtende Eingangsdiagnosen<br />
durchgeführt und ausgewertet. Leider<br />
werden aber die für die Lateinlehrkräfte durchaus<br />
auch interessanten und hilfreichen Feststellun-<br />
gen über den Stand der Kompetenzentwicklung<br />
der Schüler und Schülerinnen im Fach Deutsch<br />
nicht an diese weitergetragen. Folglich erscheint<br />
die Entwicklung eines eigenen diagnostischen<br />
Instruments für das Fach Latein zur Feststellung<br />
der Schülervoraussetzungen unumgänglich, um<br />
fundierte Unterrichtskonzepte, curriculare Anpassungen<br />
und neue Lehrmaterialien zu entwickeln.<br />
Dies würde auch den fachdidaktischen Diskurs<br />
erheblich durch verlässliche Informationen zu den<br />
Lernvoraussetzungen der Lateinlernenden in Sekundarschulen<br />
unterstützen.<br />
3. Motive und Erwartungen<br />
von Schülern und Schülerinnen<br />
standardmäßig erheben<br />
Günstige Lernvoraussetzungen und die fachbezogenen<br />
Erwartungen der Lernenden sind entscheidende<br />
Faktoren für erfolgreichen Unterricht.<br />
Ein besseres Verständnis darüber, wie Lernende<br />
mit ihren fachbezogenen Erwartungen auf den<br />
Unterricht reagieren, kann die Unterrichtsqualität<br />
verbessern. Kenntnisse über die Motive für die<br />
Wahl einer Fremdsprache und die Erwartungen<br />
an das Fach Latein sind ebenfalls notwendig für<br />
empirische Unterrichtsevaluationen und die Entwicklung<br />
didaktischer Konzepte in der fachdidaktischen<br />
Forschung. Regelmäßige Schülerrückmeldungen<br />
zum Unterricht bieten Lehrkräften zudem<br />
die Möglichkeit, mehr über ihren eigenen Unterricht<br />
zu erfahren. Indem sie ihre Lerngruppen<br />
regelmäßig mündlich oder schriftlich nach ihrer<br />
Zufriedenheit mit dem Fach oder ihren Interessen<br />
befragen und diese in die Unterrichtsplanung einbeziehen,<br />
können sie das Interesse und die Motivation<br />
der Lernenden wesentlich fördern. Auf<br />
diese Weise wird den Lernenden vermittelt, dass<br />
ihre Erwartungen an das Fach Latein von den<br />
Lehrkräften wahrgenommen und im Unterricht<br />
berücksichtigt werden, was wiederum zur Steigerung<br />
der Zufriedenheit im Fach beitragen kann.<br />
4. Adaptiv und schulformsensibel<br />
für den Lateinunterricht<br />
argumentieren<br />
Die Auswertung der Schülerantworten zeigt, dass<br />
das Berufs- und Zukunftsinteresse eine entscheidende<br />
Rolle bei der Wahl von Latein spielen. Viele<br />
Lernende erwarten dabei vor allem Vorteile in den<br />
beliebten Studiengängen wie Medizin oder Jura.<br />
Tatsächlich kann Latein, besonders in der Qualifikationsphase,<br />
einen Beitrag zum wissenschaftspropädeutischen<br />
Lernen und Arbeiten leisten,<br />
auch wenn Schlagzeilen wie „Universitäten schlagen<br />
Alarm: Hochschulen beklagen gravierende<br />
Mängel bei Abiturienten“ (FaZ vom 18.6.2019)<br />
scheinbar Gegenteiliges widerspiegeln. Die befragten<br />
Schüler und Schülerinnen gaben jedoch<br />
nicht dazu an, dass der Lateinunterricht grundlegende<br />
wissenschaftliche Kompetenzen fördert.<br />
Für sie stellen Lateinkenntnisse vor allem eine<br />
Zulassungsvoraussetzung für bestimmte Studiengänge<br />
dar. Viele Hochschulen haben inzwischen<br />
die Sprachanforderungen reduziert und auf den<br />
Nachweis des Latinums verzichtet, was eine<br />
Überprüfung und Korrektur tradierter Annahmen<br />
erfordert. Obwohl Informationsveranstaltungen<br />
zum Lateinunterricht laut dieser Metaanalyse keinen<br />
signifikanten Einfluss auf die Wahlentscheidung<br />
haben, sollten Lehrkräfte dennoch stets die<br />
Gelegenheit nutzen, um überholte Vorstellungen<br />
über Ziele und Inhalte des Lateinunterrichts, z.B.<br />
an einem „Tag der offenen Tür“, zu korrigieren.<br />
Hinweise aus internem Schülerfeedback können<br />
so zu einer sinnvollen Anpassung der Argumentation<br />
für das Fach Latein führen. Auf diese Weise<br />
kann die eigene Argumentation nicht nur schulformspezifisch,<br />
sondern auch individuell auf die<br />
eigene Schülerklientel zugeschnitten werden.<br />
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<strong>LGBB</strong> <strong>03</strong> / <strong>2023</strong> · JAHRGANG LXVII<br />
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