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LGBB_03_2023_WEB

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ei der Erforschung der Motivation berücksichtigt<br />

werden müssen. Hinzu kommt, dass Motivation<br />

instabil ist, d.h. kurz- und langfristigen Veränderungen<br />

unterliegt. Daher könnten Langzeitstudien,<br />

die z.B. die Motivation bei der Fremdsprachenwahl<br />

untersuchen, aussagekräftigere und<br />

verlässlichere Ergebnisse liefern.<br />

Fazit & Folgerungen<br />

Aus den Befragungsergebnissen, dass Schüler<br />

und Schülerinnen an weiterführenden Schulen<br />

das Fach Latein aufgrund von Berufs- und Zukunftsperspektiven,<br />

Interessen und Nützlichkeit<br />

wählen und dass Informationsveranstaltungen<br />

über den Lateinunterricht sowie elterliche, gesellschaftliche<br />

oder Geltungsmotive keinen signifikanten<br />

Einfluss auf die Wahlentscheidung haben,<br />

lassen sich wichtige Implikationen für die schulische<br />

und fachdidaktische Forschung ableiten.<br />

1. Anstoßen eines fachdidaktischen<br />

Diskurses<br />

Die Analyse der Schülerzahlen für das Fach Latein<br />

an den allgemeinbildenden Sekundarschulen in<br />

Berlin zeigt, dass die Schülerzahlen nicht nur insgesamt<br />

rückläufig sind, sondern vor allem, dass<br />

das Fach an dieser Schulform in seiner Existenz<br />

bedroht ist, wenn sich dieser Trend fortsetzt. Dies<br />

sollte nicht nur für die dort unterrichtenden Lateinlehrkräfte,<br />

sondern für alle Fachvertreter*innen<br />

und Fachdidaktiker*innen eine Aufforderung zum<br />

Handeln und zu einem bildungspolitisch relevanten<br />

Diskurs sein. Es ist wichtig, die Bedeutung der<br />

Existenz des Faches Latein an einer „horizontal<br />

offenen Schule für alle“ 16 sachlich zu reflektieren<br />

16 R. Nickel, Die alten Sprachen in der Schule, Frankfurt a. M.<br />

1978, S. 269.<br />

17 Vgl. S. Kipf, Latein als sprachliche Brücke. Integration<br />

durch Sprache, Bamberg 2014, S. 33.<br />

und die curricularen Vorgaben zu überprüfen<br />

und anzupassen, um den Anforderungen dieser<br />

Schulform gerecht zu werden.<br />

Ein möglicher Ansatz könnte darin bestehen, ein<br />

wirklich tragfähiges didaktisches Konzept für<br />

den Lateinunterricht an den Sekundarschulen<br />

zu entwickeln sowie Lehrwerke, die auf die Bedürfnisse<br />

dieser Zielgruppe zugeschnitten sind.<br />

Dabei könnte das sprachbildende Potenzial des<br />

Lateinunterrichts, das zur Förderung der sozialen<br />

Chancengleichheit und zum Abbau von Sprachbarrieren<br />

beitragen kann, eine größere Rolle<br />

spielen 17 . Trotz dieses inzwischen auch empirisch<br />

nachgewiesenen Potenzials scheint die Bedeutung<br />

des Faches Latein für die Förderung eben<br />

dieser sprachlichen Allgemeinbildung noch nicht<br />

ausreichend betont oder gar bekannt zu sein. Es<br />

bleibt daher notwendig, auf die Öffnung des Faches<br />

für eine heterogene Schülerschaft hinzuweisen<br />

und eine Argumentation zu entwickeln, die<br />

sein sprachbildendes Potenzial hervorhebt.<br />

2. Lernvoraussetzungen für das<br />

Fach Latein diagnostizieren<br />

Lehrkräfte gestalten aktiv den Unterricht und beeinflussen<br />

den Erfolg durch qualitativen Unterricht<br />

und ein lernförderliches Unterrichtsklima. Gutes<br />

Lernen hängt somit von gutem Lehren ab, das auf<br />

dem Wissen über die Schüler und Schülerinnen<br />

basiert und deren Interessen und Motivation berücksichtigt.<br />

Um den Bedürfnissen der Lernenden<br />

aber gerecht werden zu können, sind regelmäßige<br />

und idealerweise standardisierte Erhebungen<br />

der Lernausgangslage sowie Rückmeldungen der<br />

Schüler und Schülerinnen bezüglich ihrer Erwartungen<br />

und ihrer Motivation für das Fach Latein<br />

unumgänglich. In Berlin werden in den Fächern<br />

Mathematik, Deutsch und Englisch jährlich zu<br />

Schulbeginn in Klasse 7 verpflichtende Eingangsdiagnosen<br />

durchgeführt und ausgewertet. Leider<br />

werden aber die für die Lateinlehrkräfte durchaus<br />

auch interessanten und hilfreichen Feststellun-<br />

gen über den Stand der Kompetenzentwicklung<br />

der Schüler und Schülerinnen im Fach Deutsch<br />

nicht an diese weitergetragen. Folglich erscheint<br />

die Entwicklung eines eigenen diagnostischen<br />

Instruments für das Fach Latein zur Feststellung<br />

der Schülervoraussetzungen unumgänglich, um<br />

fundierte Unterrichtskonzepte, curriculare Anpassungen<br />

und neue Lehrmaterialien zu entwickeln.<br />

Dies würde auch den fachdidaktischen Diskurs<br />

erheblich durch verlässliche Informationen zu den<br />

Lernvoraussetzungen der Lateinlernenden in Sekundarschulen<br />

unterstützen.<br />

3. Motive und Erwartungen<br />

von Schülern und Schülerinnen<br />

standardmäßig erheben<br />

Günstige Lernvoraussetzungen und die fachbezogenen<br />

Erwartungen der Lernenden sind entscheidende<br />

Faktoren für erfolgreichen Unterricht.<br />

Ein besseres Verständnis darüber, wie Lernende<br />

mit ihren fachbezogenen Erwartungen auf den<br />

Unterricht reagieren, kann die Unterrichtsqualität<br />

verbessern. Kenntnisse über die Motive für die<br />

Wahl einer Fremdsprache und die Erwartungen<br />

an das Fach Latein sind ebenfalls notwendig für<br />

empirische Unterrichtsevaluationen und die Entwicklung<br />

didaktischer Konzepte in der fachdidaktischen<br />

Forschung. Regelmäßige Schülerrückmeldungen<br />

zum Unterricht bieten Lehrkräften zudem<br />

die Möglichkeit, mehr über ihren eigenen Unterricht<br />

zu erfahren. Indem sie ihre Lerngruppen<br />

regelmäßig mündlich oder schriftlich nach ihrer<br />

Zufriedenheit mit dem Fach oder ihren Interessen<br />

befragen und diese in die Unterrichtsplanung einbeziehen,<br />

können sie das Interesse und die Motivation<br />

der Lernenden wesentlich fördern. Auf<br />

diese Weise wird den Lernenden vermittelt, dass<br />

ihre Erwartungen an das Fach Latein von den<br />

Lehrkräften wahrgenommen und im Unterricht<br />

berücksichtigt werden, was wiederum zur Steigerung<br />

der Zufriedenheit im Fach beitragen kann.<br />

4. Adaptiv und schulformsensibel<br />

für den Lateinunterricht<br />

argumentieren<br />

Die Auswertung der Schülerantworten zeigt, dass<br />

das Berufs- und Zukunftsinteresse eine entscheidende<br />

Rolle bei der Wahl von Latein spielen. Viele<br />

Lernende erwarten dabei vor allem Vorteile in den<br />

beliebten Studiengängen wie Medizin oder Jura.<br />

Tatsächlich kann Latein, besonders in der Qualifikationsphase,<br />

einen Beitrag zum wissenschaftspropädeutischen<br />

Lernen und Arbeiten leisten,<br />

auch wenn Schlagzeilen wie „Universitäten schlagen<br />

Alarm: Hochschulen beklagen gravierende<br />

Mängel bei Abiturienten“ (FaZ vom 18.6.2019)<br />

scheinbar Gegenteiliges widerspiegeln. Die befragten<br />

Schüler und Schülerinnen gaben jedoch<br />

nicht dazu an, dass der Lateinunterricht grundlegende<br />

wissenschaftliche Kompetenzen fördert.<br />

Für sie stellen Lateinkenntnisse vor allem eine<br />

Zulassungsvoraussetzung für bestimmte Studiengänge<br />

dar. Viele Hochschulen haben inzwischen<br />

die Sprachanforderungen reduziert und auf den<br />

Nachweis des Latinums verzichtet, was eine<br />

Überprüfung und Korrektur tradierter Annahmen<br />

erfordert. Obwohl Informationsveranstaltungen<br />

zum Lateinunterricht laut dieser Metaanalyse keinen<br />

signifikanten Einfluss auf die Wahlentscheidung<br />

haben, sollten Lehrkräfte dennoch stets die<br />

Gelegenheit nutzen, um überholte Vorstellungen<br />

über Ziele und Inhalte des Lateinunterrichts, z.B.<br />

an einem „Tag der offenen Tür“, zu korrigieren.<br />

Hinweise aus internem Schülerfeedback können<br />

so zu einer sinnvollen Anpassung der Argumentation<br />

für das Fach Latein führen. Auf diese Weise<br />

kann die eigene Argumentation nicht nur schulformspezifisch,<br />

sondern auch individuell auf die<br />

eigene Schülerklientel zugeschnitten werden.<br />

132 JAHRGANG LXVII · <strong>LGBB</strong> <strong>03</strong> / <strong>2023</strong><br />

<strong>LGBB</strong> <strong>03</strong> / <strong>2023</strong> · JAHRGANG LXVII<br />

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