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Ancient graffiti portrait of Nero from Rome<br />
Unknown artist, c. 1st century. Shown as a graffito copy,<br />
from P. Castren and H. Lilius, Graffiti del Palatino II, Domus<br />
Tiberiana (Helsinki, 1970), 121, no. 3.<br />
https://commons.wikimedia.org/wiki/Nero#/media/File:<br />
Nerograffito.jpg<br />
Dass der junge, Glanz und Gloria liebende Kaiser im Volk<br />
zahlreiche Anhänger hatte, ist sogar an den Wänden Roms<br />
dokumentiert: Von keinem anderen Herrscher sind mehr<br />
Graffiti bekannt.<br />
Vorlieben noch eine ganz andere Zielgruppe erreichten,<br />
als aus Sicht des Adels wünschenswert<br />
gewesen wäre: das Volk. Nero gewann mit seiner<br />
ehrlichen Leidenschaft für Wagenrennen, Musik<br />
und Kunst – vielleicht nicht ganz ohne Berechnung<br />
– die Herzen der breiten Bevölkerung. Dass<br />
er sich darüber von Teilen des Senats entfernte,<br />
nahm er in Kauf, bewusst oder unbewusst. Mit<br />
Sicherheit aber waren mehr Aristokraten in der<br />
Lage und bereit, sich mit Neros Umwidmung<br />
althergebrachter Leistungsprinzipen zu arrangieren,<br />
als die literarische Überlieferung suggeriert“<br />
(261).<br />
Neros Grab (470) wurde nach seinem erzwungenen<br />
Selbstmord zur Pilgerstätte seiner Anhänger.<br />
Noch Jahrzehnte später zogen «falsche Neros»<br />
(471f.), die zum Klang der Lyra sangen, Scharen<br />
von Verehrern an. Neros Feinde aber arbeiteten<br />
an der Unterdrückung und Auslöschung seiner Erinnerung.<br />
Was im öffentlichen Raum an ihn erinnerte,<br />
wurde zerstört: sein Kopf auf Statuen, sein<br />
Name auf Inschriften, sein Profil auf Münzen, über<br />
die Jahre wurden die Torsi der Statuen mit neuen<br />
Köpfen versehen, die Vergangenheit wurde buchstäblich<br />
ummodelliert. Auch das, die «damnatio<br />
memoriae» (472f), war ein übliches Vorgehen bei<br />
anderen diskreditierten römischen Herrschern.<br />
Die Diffamierungs- und Auslöschungsstrategien<br />
zu Lebzeiten und danach wirkten so gründlich,<br />
dass sich nicht viel Gesichertes darüber sagen<br />
lässt, wie Nero wirklich war (470). „Äußerer Frieden,<br />
wirtschaftliche Blüte, ein künstlerisch vielseitig<br />
interessierter Kaiser, der den Bestialitäten<br />
wenig abgewinnen konnte – diese Vorstellungen<br />
vom neronischen Rom sind nicht falsch. Gleichzeitig<br />
beging Nero etliche Unteten, an deren Historizität<br />
kein Zweifel besteht und die sein Andenken<br />
von Blickwinkel und Interesse des Betrachters<br />
mit Recht verdunkelt haben. Er hat Senatoren und<br />
Menschen seiner engsten Umgebung in den Tod<br />
getrieben. Bruder, Mutter und Ehefrau ermorden<br />
lassen. Auch diese Taten gehören zu Nero, und<br />
sie werden nicht besser, nur weil 2000 Jahre vergangen<br />
sind. Nero bleibt eine höchst ambivalente<br />
Figur, deren Regierungszeit sicher viele düstere<br />
Seiten kennt. Aber sie hatte doch wohl mehr zu<br />
bieten als Orgien und Unmoral, Dekadenz, Brutalität<br />
und Willkürherrschaft“ (474f.).<br />
Abb. rechts: Tacitus, Annales 15,44 (Ausführungen über<br />
die Christenverfolgung Neros) in der Handschrift Florenz,<br />
Biblioteca Medicea Laurenziana, Plut. 68,2, fol. 38r<br />
(2. Hälfte des 11. Jahrhunderts). Tacitus (text copied by<br />
a monk in the 11th century). Photographic facsimile by<br />
Henricus Rostagno, 1902. https://upload.wikimedia.org/<br />
wikipedia/commons/1/1d/MII.png<br />
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<strong>LGBB</strong> <strong>03</strong> / <strong>2023</strong> · JAHRGANG LXVII<br />
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