FN-Ausgabe-Dezember-2023-alles
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musiktipps<br />
ute lemper<br />
Time Traveler<br />
Jazzhaus Records<br />
hotline TNT<br />
Cartwheel<br />
Third Man Rec (Membran)<br />
Eigentlich mag Ute Lemper den Genrebegriff<br />
„Smooth Jazz“ nicht sehr und doch<br />
geht die Instrumentierung ihrer neuen<br />
Produktion in diese Richtung. Ihre jazzy Vocals<br />
mit dem teilweise etwas vom Musical<br />
her verkünstelten Timbre setzen allerdings<br />
ganz eigene, teils eigenwillige Akzente. Zunächst<br />
als internationaler Bühnenstar mit<br />
Gesang und Tanz weltweit gefeiert, dann in<br />
Deutschland als Marlene Dietrich Verschnitt<br />
etwas verspöttelt, wird die 1963 in Münster<br />
geborene elegante Diva inzwischen zwar<br />
nach wie vor auf den großen Bühnen der<br />
Welt gefeiert. Bei uns tritt sie jedoch inzwischen<br />
vorwiegend in kleineren Venues auf.<br />
In Nürnberg war es beispielsweise zunächst<br />
die Frankenhalle und zuletzt dann der intimere<br />
Hotelsaal im Maritim. Als Zeitreisende<br />
singt sie sich auf ihrem aktuellen Album<br />
durch den von New York inspirierten Jazz<br />
(„In My Flame“) mit Einflüssen aus französischem<br />
Chanson („Envie D´Amour“), angereichert<br />
mit argentinischem Flair („Cry In<br />
The Dark“). Wer dieses Changieren zwischen<br />
Jazz, R & B und Chanson mag, für den könnte<br />
diese CD ein Weihnachtsgeschenk sein as<br />
„The Gift“ for X-mas. Helmut Ölschlegel<br />
Vermutlich gipfelte Shoegaze 2004, als Sofia<br />
Coppola die herzzerreißende Schlussszene von<br />
„Lost in Translation“ in den Klängen von The Jesus<br />
And Mary Chains „Just Like Honey“ kulminieren<br />
ließ. Nur wenige hatten diese musikalische<br />
Pionierarbeit oder die atonal aufeinander geschichteten<br />
Gitarrenwände von Kevin Shields’ My<br />
Bloody Valentine, nach dessen konzentrierten<br />
Blick auf die Effektgeräte zu seinen Füßen das<br />
Genre letztlich benannt worden war, bis dato abseits<br />
des Indie-Kosmos wahrgenommen. Leider<br />
wird auch Hotline TNTs hervorragendes zweites<br />
Album den Shoegaze nicht endgültig aus den<br />
Tiefen des musikalischen Undergrounds auf die<br />
große Bühne heben. Zu sehr bleibt Mastermind<br />
Will Anderson den Insignien des Sounds, unprätentiöse<br />
Vocals zu gnadenlos übersteuerten<br />
Gitarren, treu. Und doch gerät „Cartwheel“ dank<br />
seiner hypermelodischen Riffs zu einem verhältnismäßig<br />
nahbaren Exponat seiner Zunft: der<br />
Power-Pop von Teenage Fanclub stand ebenso<br />
offensichtlich Pate wie die Hüsker Dü-Nachfolgeband<br />
Sugar, der in „I Thought You’d Change“<br />
gehuldigt wird. Und da auch Copolla seit „Priscilla“<br />
wieder größere Brötchen bäckt, möchte man<br />
ihr Hotline TNT bedenkenlos für den nächsten<br />
Soundtrack empfehlen! Maximilian Beer<br />
Haley johnsen<br />
Goner<br />
Rola Music<br />
beirut<br />
Hadsel<br />
Pompeii Records<br />
Was wir wieder öfter tun sollten? Vor die<br />
Tür gehen, durch den (Schnee-)Regen<br />
schleichen und ein klitzekleines Konzert<br />
besuchen. Zum Beispiel das von Haley<br />
Johnsen. Sie und ihr neues Album „Goner“<br />
passen wunderbar in den Winter.<br />
Ihre Stimme und ihr klassisches Singer/<br />
Songwriter – Dasein sind die Warme<br />
Tasse Tee gegen den Winterblues, oder<br />
vielmehr um richtig darin zu versinken.<br />
Ursprünglich durchgestartet ist die US-<br />
Amerikanerin vor über zehn Jahren mit<br />
ihrer Teilnahme bei American Idol. Seitdem<br />
tingelt sie um die Welt und gibt kleine,<br />
aber ganz zauberhafte Konzerte. Ihre<br />
Musik wirkt beinahe zeitlos. Die Songs<br />
können tief traurig sein, bleiben aber angenehm<br />
unaufdringlich. Die schnelleren<br />
Nummern gehen ins Ohr und man fängt<br />
unweigerlich an, im Takt mitzuwippen,<br />
aber es zwingt einen nicht auf die Tanzfläche.<br />
Alles entspannt also, genauso wie<br />
man am besten durch den trüben Winter<br />
kommt. Haley Johnsen bringt uns aus<br />
Portland echte und großartige Musik,<br />
ohne Hype und ohne Schnörkel. Absolute<br />
Empfehlung! Sabine Mahler<br />
Es hätte nicht viel gefehlt, und eine der Platten des<br />
Jahres wäre vermutlich einfach so an mir vorbeigegangen.<br />
Weil der geschätzte Kollege Beer, dessen<br />
musikalischer Expertise ich sonst blind vertraue,<br />
bei der turnusmäßigen Vorbesprechung für unseren<br />
Indie-Podcast „Hadsel“ als nicht wichtig und würdig<br />
genug befand, um ausführlich rezensiert zu werden.<br />
„Langweilig“ lautete das rigide Urteil. Irgendwann<br />
sitzt man dann allein im Auto, ist emotional eh<br />
schon etwas angegriffen und beschließt, dem sechsten<br />
Beirut-Album doch mal eine Chance zu geben.<br />
Und plötzlich wird es seltsam warm ums Herz, eine<br />
majestätische, von bittersüßer Melancholie getränkte<br />
Erhabenheit breitet sich aus, und während<br />
draußen die regnerisch-triste Herbstlandschaft vorbeizieht,<br />
versinkt man in einem von Bariton-Ukulele,<br />
Waldhorn, Trompete, modularen Synthies, Handtrommeln,<br />
Pump- und Kirchenorgel erschaffenen<br />
Wohlklangkosmos, über dem Zach Condons warme<br />
Stimme wie ein schützender Schleier zu schweben<br />
scheint. Aufgenommen hat der in Berlin lebende<br />
US-Amerikaner dieses subtile Indiefolk-Meisterwerk<br />
großteils während einer selbstgewählten Landflucht<br />
in der winterlichen-dunklen Einsamkeit des<br />
titelgebenden Provinzkaffs auf den norwegischen<br />
Lofoten. Vielleicht will ich da auch mal hinfahren<br />
– und Max muss zur Strafe mit. Uli Digmayer<br />
KURZ & GUT<br />
Sam Beam hat der Welt fünf Töchter und<br />
mehrere Dutzend großartige Folksongs<br />
geschenkt. In der soeben veröffentlichten<br />
Rockumentary „Who Can See Forever“<br />
über sein musikalisches Alter Ego Iron &<br />
Wine ist ein Teil von beiden (also seiner<br />
Kinder und seiner Songs) zu sehen und zu<br />
hören. Wer sich mehr für Beams Songwriter-<br />
als für seine Vaterqualitäten interessiert,<br />
dem dürfte das zugleich erschienene<br />
gleichnamige Album allerdings genügen.<br />
Knapp 20 live eingespielte, extrem aussagekräftige<br />
Dokumente über die gut 20<br />
Jahre währende musikalische Genialität<br />
des bewundernswerten Folk-Schrads. cro<br />
Aus Franken ans Ende der Welt: Für „Finistère“,<br />
das gerade mal fünfte Album in 25<br />
Jahren Bandgeschichte von Boozoo Bajou<br />
durfte Corona als künstlerische Zwangsreanimateurin<br />
herhalten. Nachdem der<br />
Nürnberger Mastermind Flo Syberth pandemiebedingt<br />
seine Weinbar zuschließen<br />
musste, packte er seinen Erlanger Congenius<br />
Peter Haider ein und die beiden reisten<br />
an ihren Lieblingsort in der Bretagne.<br />
An der Atlantikküste gelang einmal mehr<br />
die Entdeckung der Langsamkeit: Wunderbare<br />
Chillbeats, die nicht nur am Ende der<br />
Welt ihre Wirkung tun, sondern auch im<br />
fränkischen Vorweihnachtstrubel. cro<br />
DJ-Toplist > dezember<br />
Rex Danny<br />
1. The Embarrassment - Celebrity Art Party<br />
2. The Nils - Scratches And Needles<br />
3. Charlie Megira - Tomorrow’s Gone<br />
4. Dolly Mixture - Ernie Ball<br />
5. Cap’n Jazz - Little League<br />
6. Traste & Superstararna - Pengar<br />
7. Tozibabe – Dezuje<br />
8. Chaos Z - 45 Jahre<br />
9. Scorpion Violente - Pumping Iron<br />
10. The Knife - Afraid<br />
46 www.fraenkische-nacht.de