E-Paper_NOSH-23_Digitalwirtschaft_02
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TEXT Hanns-J. Neubert | ILLUSTRATION Ibou Gueye | FOTO Frederike Coring<br />
CHATGPT UND<br />
DAS DILEMMA<br />
DER LEHRE<br />
EIN GESPRÄCH MIT<br />
PROFESSORIN DR.<br />
DORIS WESSELS<br />
DAMIT HATTE NIEMAND GERECHNET …<br />
Das Unternehmen OpenAI aus San Francisco veröffentlichte am<br />
30. November 2<strong>02</strong>2 sein Sprachmodell namens ChatGPT im Netz.<br />
Eigentlich war es als „Forschungsvorschau“ gedacht. Doch binnen<br />
fünf Tagen hatten sich eine Million Nutzer bei OpenAI registriert,<br />
um ChatGPT auszuprobieren. Zweieinhalb Monate hatte es dagegen<br />
beim sozialen Netzwerk Instagram gedauert, fünf Monate beim<br />
Audio-Streaming-Dienst Spotify. Seit März ist die jetzt kostenpflichtige,<br />
vierte Version von ChatGPT online. Weit über 100 Millionen<br />
Nutzer tragen inzwischen durch die Nutzung des Systems dazu bei,<br />
es weiter zu trainieren und zu verbessern.<br />
ChatGPT selbst schreibt auf die Frage nach dem Stromverbrauch für<br />
das Training seiner selbst: „Eine grobe Schätzung legte nahe, dass<br />
das Training die gleiche Menge an Energie verbrauchen könnte,<br />
wie der durchschnittliche amerikanische Haushalt in sechs Jahren<br />
verbraucht.“<br />
DER GRÖSSTE DIEBSTAHL DER MENSCHHEITS<br />
GESCHICHTE?<br />
Die Spezialität dieses großen Sprachmodells (Large Language<br />
Model, LLM) ist es, Texte zu schreiben, sich an den Zusammenhang<br />
eines schriftlichen Gesprächsaustauschs zu erinnern und die dazu<br />
passenden Antworten zu erzeugen. Es beantwortet glaubhaft und<br />
höflich Fragen, analysiert und schreibt sogar Programmcodes. Die<br />
Basis ist eine künstliche Intelligenz (KI) namens „Generative Pretrained<br />
Transformer“ (GPT), die selbständig und selbstüberwacht<br />
Texte aus Büchern, Briefen, Wikipedia-Einträgen, literarischen<br />
Textsammlungen aus den Weiten des Internet erfasst und dabei die<br />
sprachlichen Muster erkennt und unterscheidet. Dazu bedient es<br />
sich eines künstlichen neuronalen Netzes mit 1,5 Milliarden Knotenpunkten,<br />
das die Funktionen des menschlichen Gehirns mit seinen<br />
100 Milliarden Neuronen nachahmen soll.<br />
Für den Wissenschaftsjournalisten Rangar Yogeshwar ist das denn<br />
auch der „größte Diebstahl in der Menschheitsgeschichte“. In einem<br />
Interview mit den Augsburger Nachrichten sagte er: „Die reichsten<br />
Unternehmen der Welt wie Microsoft, Apple, Google, Meta oder<br />
Amazon bemächtigen sich der Summe des menschlichen Wissens.<br />
Also aller Texte, Kunstwerke, Fotografien und so weiter, die in digital<br />
verwertbarer Form existieren, um dieses Weltwissen dann in eigentumsrechtlich<br />
geschützten Produkten einzumauern.“<br />
Seit der Veröffentlichung von ChatGPT ist inzwischen ein ganzer Zoo<br />
ähnlicher Sprachmodelle zusammengekommen. Darunter Google<br />
mit Bard, Microsoft mit Bing als Bestandteil des Edge Browsers,<br />
oder die chinesische Baidu-Suchmaschine mit dem Ernie-Bot.<br />
Weltweit basteln zahlreiche kleinere Unternehmen an ähnlichen<br />
Lösungen. Sie sind vorwiegend in den USA und China beheimatet,<br />
aber auch Deutschland schlägt sich recht gut auf dem sechsten<br />
Platz der KI-Nationen.<br />
Selbst für ureigene kreativ-künstlerische Bereiche gibt es inzwischen<br />
mehr als 20 KI-Anwendungen, mit denen sich Bilder und<br />
Gebrauchstexte erstellen lassen. Darunter die Bildgeneratoren<br />
Dall-E-2, ebenfalls von OpenAI, oder Midjourney. Die kanadische<br />
PhilosopherAI will helfen, einen Sinn in einer sinnlosen Welt zu<br />
finden. Autoren kurzer Unternehmenstexte oder Blog-Verfasser<br />
können auf das deutsche MindverseAI von Relativity zugreifen,<br />
die Online-Anwendung des Hamburger Unternehmens Neuroflash<br />
generiert sowohl Bilder, wie auch Texte.<br />
DIE TÄGLICHEN POWERUSER<br />
Wer eigentlich das bisher wahrscheinlich mächtigste und am weitesten<br />
verbreitete Sprachmodell ChatGPT benutzt, ist nicht wirklich<br />
klar. „Wir dürfen davon ausgehen, dass Schülerinnen und Schüler<br />
sowie Studierende tägliche Power-User dieses Systems sind“, meint<br />
Doris Weßels von der Fachhochschule Kiel, die sich seit Jahren mit<br />
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