Standpunkt 571, 19. Januar 2024
Eine Publikation der Wirtschaftskammer Baselland
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<strong>19.</strong> <strong>Januar</strong> <strong>2024</strong> RATGEBER <strong>Standpunkt</strong> der Wirtschaft | 11<br />
KOLUMNE<br />
Bundesrat steuert mit Vollgas ins Ungefähre<br />
Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 21. Juni 2023<br />
sogenannte vertrauliche Eckwerte für ein Verhandlungsmandat<br />
mit der Europäischen Union (EU) verabschiedet.<br />
Sie seien die Grundlage für die weiteren Gespräche mit<br />
der EU zur Regelung noch offener Punkte. Der Bundesrat<br />
hat das Eidgenössische Departement für auswärtige<br />
Angelegenheiten (EDA) beauftragt, die Gespräche mit der<br />
EU zusammen mit den Departementen für Wissenschaft,<br />
Bildung und Forschung (WBF) sowie dem Justiz- und<br />
Polizeidepartement (EJPD) fortzuführen, um die Basis für<br />
mögliche Verhandlungen zu konsolidieren.<br />
Das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und<br />
Kommunikation (UVEK) wurde beauftragt, technische<br />
Gespräche mit der EU aufzunehmen, um die Verhandlungen<br />
im Strom bereich fortzusetzen. Das Departement des<br />
Innern (EDI) erhielt den Auftrag, mit Blick auf Verhandlungen<br />
über Lebensmittelsicherheit und Gesundheit technische<br />
Gespräche mit der EU aufzunehmen.<br />
«DER ‹FAHRPLAN› ZUR BEREINIGUNG OFFENER<br />
FRAGEN ZWISCHEN BERN UND BRÜSSEL IST<br />
AUCH INHALTLICH EINE BESCHREIBUNG<br />
DES UNVERBINDLICHEN IM OFFENEN RAUM.»<br />
Peter Amstutz*<br />
Falls die Gespräche gut vorankommen, will sich der<br />
Bundes rat bis Ende 2023 auf die Verabschiedung eines<br />
Verhandlungsmandats vorbereiten. Der «Fahrplan» zur<br />
Bereinigung offener Fragen zwischen Bern und Brüssel<br />
steckt aber nicht nur in zeitlicher Hinsicht voller Unverbindlichkeiten.<br />
Er ist auch inhaltlich eine Beschreibung<br />
des Ungefähren und Unverbindlichen im offenen Raum.<br />
Das zeigt die offizielle Darstellung aus dem Bundeshaus:<br />
«Die vom Bundesrat verabschiedeten Eckwerte bilden die<br />
Leitlinien für mögliche künftige Verhandlungen und dienen<br />
als Grundlage für die Vorbereitung eines Verhandlungsmandats.<br />
Sie definieren die allgemeinen Ziele, die verschiedenen<br />
Bereiche und deren spezifische Ziele, die das<br />
Mandat abdecken soll. Die Eckwerte bilden den Kern der<br />
möglichen Verhandlungen und sind daher vertraulich.»<br />
Daraus hat die SVP eigene «klärende Schlüsse» gezogen:<br />
«Bei den Eckwerten für ein neues Verhandlungsmandat<br />
mit der EU betreibt der Bundesrat einmal mehr<br />
Augenwischerei. Damit kaschiert er die zentralen Probleme.»<br />
Gemeint ist insbesondere die automatische Übernahme<br />
von EU-Recht und die Streitbeilegung durch den<br />
europäischen Gerichtshof (EuGH).<br />
Die SVP fordert den Bundesrat auf, der EU endlich unmissverständlich<br />
klar zu machen, dass die Schweiz als<br />
souveräner Staat weder automatisch EU-Recht übernimmt<br />
noch fremde Richter akzeptiert. Der Bundesrat will jedoch<br />
«die Beziehungen zur EU stabilisieren und weiterentwickeln».<br />
Er will die hindernisfreie Binnenmarktbeteiligung<br />
der Schweiz in bestimmten Bereichen sichern. Neben<br />
den Bereichen, die bereits durch Marktzugangsabkommen<br />
abgedeckt sind (Luftverkehr, Landverkehr, technische Handelshemmnisse,<br />
Landwirtschaft und Personenfreizügigkeit),<br />
will der Bundesrat zwei weitere Abkommen in den Bereichen<br />
Strom und Lebensmittelsicherheit abschliessen. Zu<br />
den institutionellen Differenzen mit der EU verfolgt der<br />
Bundesrat einen vertikalen, sektor bezogenen Ansatz: «Die<br />
dynamische Rechtsübernahme und die Streitbeilegung können<br />
in Binnenmarktabkommen pragmatisch geregelt werden.<br />
Auf der Grundlage dieses Ansatzes diskutiert der Bundesrat<br />
mit der EU über die Ausnahmen und Prinzipien zur<br />
Wahrung der wesentlichen Interessen der Schweiz.» Die<br />
Gespräche des vergangenen Jahres auf technischer, diplomatischer<br />
und politischer Ebene haben gemäss Bundes rat<br />
gezeigt, dass ein solcher Ansatz im Interesse der Schweiz<br />
möglich ist: «Er erhöht die Rechtssicherheit und die Vorhersehbarkeit<br />
für Personen und Unternehmen. Zudem erlaubt<br />
er es, die Beziehungen der Schweiz zur EU zu stabilisieren<br />
und weiterzuentwickeln.»<br />
Um die Gespräche mit der EU über die Ausnahmen und<br />
Prinzipien zu begleiten, wird der Bundesrat weiterhin mit<br />
den Sozialpartnern und den Kantonen über innenpolitische<br />
Massnahmen zur Gewährleistung des aktuellen Lohnschutzniveaus<br />
diskutieren. Im Bereich der staatlichen Beihilfen<br />
setzt er auf eine ausgewogene, sektorbezogene<br />
Lösung, welche die Übernahme der EU-Regeln nur für<br />
bestimmte Binnenmarktabkommen vorsieht.<br />
Was die Unionsbürgerrichtlinie und die Personenfreizügigkeit<br />
betrifft, ist der Bundesrat bestrebt, die Risiken für<br />
das Schweizer Sozialhilfesystem zu minimieren. Bei den<br />
Gesprächen mit der EU konnten in mehreren Bereichen<br />
konkrete Fortschritte erzielt werden. Eine Reihe von Punkten<br />
sind jedoch noch offen, insbesondere die Frage, wie<br />
die neuen Abkommen konkret in das Verhandlungspaket<br />
integriert werden sollen. Die vom Bundesrat verabschiedeten<br />
Eckwerte seien eine Grundlage für die Regelung der<br />
offenen Punkte. Fazit in Bern: «Bei einem insgesamt zufriedenstellenden<br />
Ergebnis ist der Bundesrat schliesslich<br />
bereit, einen regelmässigen solidarischen Beitrag zur Kohäsion<br />
und Stabilität in Europa zu leisten, um gemeinsame<br />
Herausforderungen zu bewältigen.» Der Bundesrat<br />
wird die Ergebnisse dieser Arbeiten im Herbst prüfen und<br />
sich auf dieser Grundlage auf die Verabschiedung eines<br />
Verhandlungsmandates vorbereiten.<br />
*Peter Amstutz, ehemaliger Leiter der Bundeshaus-Redaktion<br />
der Basler Zeitung».<br />
Der Autor gibt seine eigene Meinung wieder. Diese muss sich nicht<br />
mit jener der Wirtschaftskammer decken.<br />
RATGEBER RECHT – Ein Grundstückbesitzer im Kanton Fribourg wehrte sich dagegen, dass ein mit einem Wegrecht «für jedes Fahrzeug»<br />
versehener Weg auch von Personen zu Fuss benutzt wurde. Das Bundesgericht gab aber den Fussgängerinnen und Fussgängern recht.<br />
Wegrecht für Fahrzeuge darf auch zu Fuss genutzt werden<br />
Dr. Dominik Rieder Andreas Dürr Alexander Heinzelmann David Hug Markus Prazeller Philipp Rupp<br />
LEGAL-TEAM<br />
Die Wirtschaftskammer Baselland<br />
steht ihren Mitgliedern für eine juristische<br />
Erstberatung zur Verfügung.<br />
Auf einem unbebauten Grundstück<br />
im Kanton Fribourg wurden in den<br />
Jahren 2020/2021 sechs Villen errichtet.<br />
Auf dem Nachbargrundstück befand<br />
sich ein Wegrecht, welches im<br />
Grundbuch unter dem Stichwort<br />
«passage pour tout véhicule» («Durchgang<br />
für jedes Fahrzeug») eingetragen<br />
war. Die Handwerker, welche auf<br />
dem Bau arbeiteten, sowie die Bewohner<br />
der sechs Villen beschritten<br />
den Weg zu den Gebäuden jeweils<br />
zu Fuss. Dagegen wehrten sich die<br />
Eigentümer des dienstbarkeitsbelasteten<br />
Grundstücks mit dem Argument,<br />
dass das Wegrecht ausschliesslich<br />
für Fahrzeuge sei.<br />
Dienstbarkeitsvertrag<br />
Die konkrete Nutzung eines Wegrechts<br />
ergibt sich primär aus dem<br />
Wortlaut des dem Wegrecht zugrundeliegenden<br />
Dienstbarkeitsvertrags.<br />
Ist dieser nicht eindeutig, sind weitere<br />
Anhaltspunkte heranzuziehen,<br />
aus denen sich die Nutzungsmöglichkeiten<br />
ergeben können. Aufschluss<br />
über die beabsichtigte Nutzung<br />
kann namentlich der ursprüngliche<br />
Grund für die Errichtung der<br />
Dienstbarkeit geben.<br />
Grundbucheintrag<br />
Das Kantonsgericht Fribourg stellte<br />
fest, dass die Dienstbarkeit geschaffen<br />
worden war, um die Errichtung<br />
von Gebäuden auf dem Nachbargrundstück<br />
und deren anschliessenden<br />
Zugang zu ermöglichen.<br />
Mit dem Kurzbeschrieb «Durchgang<br />
für jedes Fahrzeug» sollte sichergestellt<br />
werden, dass der betreffende<br />
Weg von Fahrzeugen aller Art<br />
ohne Einschränkung befahren werden<br />
kann.<br />
Die Möglichkeit, den Weg auch<br />
zu Fuss benutzen zu können, war<br />
jedoch weder im Grundbuch noch<br />
im Dienstbarkeitsvertrag vorgesehen;<br />
beide schwiegen sich darüber<br />
aus.<br />
Möglichst schonende Ausübung<br />
Das Bundesgericht in Lausanne hielt<br />
schliesslich fest, dass keine Anhaltspunkte<br />
dafür bestünden, dass im<br />
vorliegenden Fall ein Fussweg ausgeschlossen<br />
sei.<br />
Es entschied daher, dass nach<br />
dem «Erst-recht-Schluss» «a majore<br />
ad minus» («Wer mehr kann, kann<br />
auch weniger») davon auszugehen<br />
sei, dass die Dienstbarkeit auch ein<br />
Fusswegrecht (einen Durchgang zu<br />
Fuss) umfasse. Die Begehung zu<br />
Fuss sei die am wenigsten schädliche<br />
Art der Ausübung der Dienstbarkeit<br />
und entspreche daher auch<br />
der gesetzlichen Regelung von Art.<br />
737 Abs. 2 ZGB («Er [der Berechtigte]<br />
ist jedoch verpflichtet, sein<br />
Recht in möglichst schonender Weise<br />
auszuüben»).<br />
Wenn also das mit dem Wegrecht<br />
belastete Grundstück mit Fahrzeugen<br />
aller Art befahren werden darf,<br />
ist es ohne Weiteres zumutbar, dass<br />
der betreffende Weg auch zu Fuss<br />
begangen wird.<br />
Landrat Andreas Dürr ist Rechts anwalt<br />
und Notar in der Kanzlei Battegay Dürr<br />
AG und Mitglied des Legal-Teams<br />
der Wirtschafts kammer Baselland.<br />
Das Legal-Team von sechs Rechtsanwälten<br />
im Haus der Wirtschaft<br />
in Pratteln wird von Dr. Dominik<br />
Rieder geleitet und besteht weiter<br />
aus Markus Prazeller und<br />
David Hug (Wagner Prazeller Hug<br />
AG), Alexander Heinzelmann<br />
(Heinzel mann & Levy), Philipp<br />
Rupp (Rupp Meier Rechtsanwälte)<br />
und Andreas Dürr (Battegay Dürr<br />
AG).<br />
Die Mitglieder des Legal-Teams<br />
schreiben im <strong>Standpunkt</strong> der Wirtschaft<br />
in der Rubrik «Ratgeber<br />
Recht» regelmässig über aktuelle<br />
rechtliche Themen.<br />
Kontakt zum Legal-Team:<br />
Wirtschaftskammer Baselland<br />
Mathias Welti<br />
Leiter KMU Beratungen<br />
Hardstrasse 1<br />
4133 Pratteln<br />
Telefon: 061 927 65 94<br />
E-Mal: m.welti@kmu.org<br />
IMPRESSUM<br />
Herausgeber ⁄ Verlag: Schweizerischer Gewerbeverband sgv,<br />
Schwarztorstrasse 26, Postfach 8166, 3001 Bern,<br />
Tel. 031 380 14 14, verlag@sgv-usam.ch<br />
Redaktion sgz: Schwarztorstrasse 26, 3007 Bern<br />
Tel. 031 380 14 14, redaktion@sgv-usam.ch<br />
Regionalbund «<strong>Standpunkt</strong>»<br />
Herausgeber: Wirtschaftskammer Baselland<br />
Arbeitgeber Baselland, Unabhängiges Podium für eine<br />
liberale Wirtschaft und Gesellschaft, Haus der Wirtschaft,<br />
Hardstrasse 1, 4133 Pratteln<br />
Tel. 061 927 64 64, Fax 061 927 65 50<br />
www.kmu.org, standpunkt@kmu.org<br />
Verantwortung: Christoph Buser, Direktor<br />
Redaktion/Umbruch: Reto Anklin, Patrick<br />
Herr, Adrian Jäggi<br />
Produktion: IWF, Hardstrasse 1, 4133 Pratteln<br />
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Adressänderungen: standpunkt@kmu.org<br />
Der Abdruck von Textbeiträgen mit vollständiger<br />
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