DÜLMENplus vom 17. Februar 2024
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Samstag, <strong>17.</strong> <strong>Februar</strong> <strong>2024</strong><br />
E-PAPER-PLUS<br />
Jäger der vergessenen Namen<br />
www.dülmenplus.de<br />
Stadtarchivar Dr. Stefan Sudmann erforscht Schicksale von Stadtverordneten der Weimarer Republik<br />
Dülmen. Behutsam gleitet der<br />
Finger über das vergilbte Papier.<br />
Zeile für Zeile, Name für Name:<br />
Heinrich Pierick, Bergmann.<br />
Franz Linden, Schriftsetzer.<br />
Louis Manns, Monteur. Über<br />
der Liste prangt der Stempel<br />
des Bürgermeister-Amtes Dülmen<br />
– mit Datum <strong>17.</strong> <strong>Februar</strong><br />
1919. Das Schriftstück befindet<br />
sich seit Jahrzehnten gut verstaut<br />
im Stadtarchiv. Heute liegt<br />
es aufgeschlagen vor Dr. Stefan<br />
Sudmann.<br />
Der Stadtarchivar studiert die<br />
Namensliste, macht sich Notizen.<br />
„Es ist ein Puzzle. Jede Information<br />
ist ein Teil, das zu einem weiteren<br />
passt. Am Ende entsteht hoffentlich<br />
ein Bild“, sagt Sudmann und schlägt<br />
die Seite um. Weitere Namen, diesmal<br />
aus dem Jahr 1924. Ein Jahrhundert<br />
ist es her, da saßen diese<br />
Personen in der Dülmener Stadtverordnetenversammlung.<br />
Stefan<br />
Sudmann möchte ihre Geschichten<br />
erzählen.<br />
Seit drei Monaten puzzelt der<br />
Stadtarchivar bereits: Er blättert<br />
durch Ratsprotokolle, studiert alte<br />
Zeitungsartikel und wertet Akten<br />
aus anderen Archiven aus. Die<br />
Idee für die Recherche kam aus<br />
der Bürgerschaft und mündete in<br />
einem Beschluss des Kulturausschusses.<br />
Stefan Sudmann nimmt<br />
den Auftrag gerne an. „Die Lebensschicksale<br />
der Dülmener Stadtverordneten<br />
der Weimarer Republik<br />
waren bislang wissenschaftlich<br />
nicht aufgearbeitet. Wer waren<br />
diese Politiker? In welchen Vereinen<br />
waren sie tätig? Was wurde aus<br />
ihnen nach der Machtergreifung<br />
der Nationalsozialisten? Das sind<br />
spannende Fragen“, erzählt Sudmann<br />
und zieht eine weitere Akte<br />
aus einem Regal.<br />
Wer sein Büro im Keller der<br />
Hermann-Leeser-Schule betritt,<br />
fühlt sich sofort in der Zeit zurückversetzt.<br />
Alte Schriftstücke wechseln<br />
sich mit historischen Gegenständen<br />
ab, an den Wänden hängen<br />
schwarz-weiß Bilder und Zeichnungen.<br />
Eine Mischung aus Archiv und<br />
Museum. Auch der massive Holzschreibtisch<br />
dürfte bei Antiquariaten<br />
hoch im Kurs stehen. Einziger<br />
Störfaktor ist der Computer-Bilderschirm,<br />
auf dem Sudmann gerade<br />
erste Ergebnisse seiner Studien<br />
aufruft: Wilhelm Vornefeld sitzt<br />
von 1929 bis 1933 für die Zentrums-<br />
Partei im Stadtrat. Er ist erster Leiter<br />
des Dülmener Gymnasiums,<br />
wird unter der Herrschaft der<br />
Nationalsozialisten zwangsweise<br />
in den Ruhestand geschickt. Vornefeld<br />
lebt daraufhin zurückgezogen,<br />
tritt politisch zunächst nicht mehr<br />
in Erscheinung. Ab 1937 wird sein<br />
Sohn als NSDAP-Mitglied geführt.<br />
Ein weiterer Name erscheint<br />
auf dem Bildschirm: Karl Meyer.<br />
Der Lederhändler sitzt ab 1919 für<br />
die SPD in der Dülmener Stadtverordnetenversammlung<br />
und im<br />
Kreistag. Meyer ist gewerkschaftlich<br />
aktiv und tritt 1933 auf eigenen<br />
Wunsch von seinem Amt im<br />
Stadtrat zurück. Er kommt damit<br />
einer Polizeiverfügung zuvor. Eine<br />
Parteichronik berichtet, dass er in<br />
den Folgejahren eine SPD-Fahne im<br />
Fußboden seiner Wohnung vor den<br />
Nazis versteckt. Diese verschonen<br />
ihn wohl aufgrund seines Alters.<br />
Nach Ende des Krieges ist er noch<br />
einmal politisch engagiert, verstirbt<br />
laut Sterberegister jedoch am 12.<br />
September 1950.<br />
Zwei Lebensgeschichten von<br />
mehr als 70, die Stefan Sudmann<br />
derzeit zusammenstellt. Für die<br />
weitere Arbeit hofft er auch auf<br />
Unterstützung aus der Bevölkerung.<br />
„Vielleicht haben Nachkommen der<br />
damaligen Stadtverordneten noch<br />
Für seine Forschungen wertet Dülmens Stadtarchivar Dr. Stefan Sudmann Ratsprotokolle, Zeitungsartikel<br />
und Akten aus. <br />
Fotos: Stadt Dülmen / Siemes<br />
Blick auf die 1919 <strong>vom</strong> Bürgermeister-Amt Dülmen gestempelte<br />
Vorschlagsliste zur Stadtverordneten-Wahl. <br />
Unterlagen. Viele Politiker waren<br />
ja in Vereinen, in Verbänden oder<br />
in der Kirche aktiv – auch diese Informationen<br />
sind hilfreich, um ein<br />
Bild dieser Menschen zeichnen zu<br />
können.“<br />
Darüber hinaus möchte Sudmann<br />
auch in anderen kommunalen<br />
Archiven und Beständen<br />
forschen. „Bislang basiert die Recherche<br />
vor allem auf Quellen des<br />
Stadtarchives und auf online einsehbaren<br />
Entnazifizierungsakten<br />
des NRW-Landesarchivs. Einige<br />
Stadtverordnete sind aber nach<br />
Münster oder ins Ruhrgebiet verzogen,<br />
sodass unser Datenbestand<br />
eher gering ist “, erklärt Sudmann.<br />
Das Puzzle geht also weiter: Die<br />
Suche nach passenden Teilen würden<br />
viele wohl als Sisyphusarbeit<br />
Am Dienstag Präsentation<br />
der Zwischenergebnisse<br />
Einen Zwischenstand seiner Forschungen<br />
präsentiert der Stadtarchivar<br />
in der kommenden<br />
Woche: Im Kulturausschuss stellt<br />
er erste Ergebnisse vor. Interessierte<br />
können an der öffentlichen<br />
Sitzung gerne teilnehmen. Sie beginnt<br />
am Dienstag, 20. <strong>Februar</strong>,<br />
bezeichnen.<br />
Nicht so Stefan Sudmann.<br />
Sein Forschergeist ist entfacht.<br />
um <strong>17.</strong>15 Uhr im Sitzungsaal im<br />
einsA. Die Vorlage zur Sitzung<br />
enthält bereits eine Auflistung<br />
von Namen und recherchierten<br />
Daten: Sie kann über das Ratsinformationssystem<br />
auf der städtischen<br />
Homepage www.duelmen.<br />
de abgerufen werden.