UNTERHALTUNG Arnulf Steiner war stolz auf seine Villa. Es war ein hundert Jahre altes Gebäude, an dessen Fassade sich Efeu hochrankte. Dass es immer irgendwo im Haus knackte, daran hatte er sich gewöhnt. Das Geräusch allerdings, das er aus der ersten Etage hörte, als er an diesem Abend gegen neun aus dem Golfklub kam, kannte er nicht. Ein leises Klappern in seinem Arbeitszimmer. Steiner zog behutsam ein Neunereisen aus seinem Golfbeutel und hastete nach oben. Knastblüten Harry Hartmann lungerte jetzt schon seit einer Stunde vor „Dannys Kneipe“ herum in der Hoffnung, dass irgendein bekanntes Gesicht auftauchte. Er hatte nur noch zwei Euro in der Tasche und wusste noch immer nicht, wie er sein Pensionszimmer für die nächste Nacht bezahlen sollte. Wenn er nicht bald einen alten Kumpel fand, den er anpumpen konnte, würde er unter der Brücke schlafen müssen. Als Robert Redder auf die Kneipe zusteuerte, erwachte so etwas wie Hoffnung in ihm. „Hartmann!“, rief Robert ihm zu und hielt die Kneipentür auf. „Trinken wir einen. Ich hab da was.“ Bingo! In der Kneipe zog Redder Hartmann an einen Tisch in der hintersten Ecke. „Willst du dir leichte hundert Euro verdienen?“ –„Erzähl“, sagte Hartmann, „was soll ich machen?“ – „Eigentlich nichts“, meinte Redder – der Kerl lebte nicht schlecht von den Villeneinbrüchen, auf die er sich spezialisiert hatte –, „wenn man dich fragen sollte, musst du bloß antworten, dass wir beide uns heute Abend zwischen acht und elf in meiner Wohnung ein Video angesehen haben.“ – „Kein Problem“, sagte Hartmann, „ich war also von acht bis elf bei dir. Wir haben uns ,Conan’ angesehen.“ – „Lieber ,Spider- Man’“, sagte Redder, „der gefällt mir besser.“ Er schob Hartmann einen klein gefalteten Hunderter hin. „Aber schmeiß nicht gleich alles zum Fenster raus!“ Er kam gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie sich ein Mann aus dem Fenster schwang. Geschickt wie ein Eichhörnchen hangelte sich die Gestalt am Efeuspalier zum Garagendach hinunter und verschwand mit einem Sprung in den Garten. Dann wandte Steiner sich um. „O nein!“, stöhnte er. – „Meine Ikonen!“, berichtete er später Kommissar Becker. „Drei Stück, spätes 16. Jahrhundert. Meisterwerke! Im Gesamtwert von über 50000 Euro!“ Verwertbare Spuren hatten sie keine gefunden, es schien ein Profi gewesen zu sein. „Der Kerl war klein, etwa 1,60“, erinnerte sich Steiner, „er ist wie ein Eichhörnchen auf die Garage hinuntergeklettert.“ Kommissar Becker schnippte mit den Fingern. „Sie sagen es: wie ein Eichhörnchen!“ Robert Redder lehnte sich gelassen zurück, als Kommissar Becker ins Verhörzimmer kam. „Das ist ja wohl ein Missverständnis“, sagte er, „Ihre Männer holen mich ab wie einen Verbrecher.“ – „Gestern gegen neun Uhr, wo warst du da?“, wollte Becker wissen. Robert seufzte. „Das haben mich Ihre Leute auch schon gefragt: Ich hab mir zusammen mit einem alten Kumpel ,Spider-Man’ angesehen.“ – „,Spider-Man’? Wie passend“, meinte Becker, „deswegen bin ich auf dich gekommen. Bankdirektor Steiner, aus dessen Villa du gestern drei Ikonen gestohlen hast, sagte nämlich: ,wie ein Eichhörnchen’! – „Ikonen?“ Robert schüttelte den Kopf. „Eine Villa? Alles Unsinn. Ich war gestern um neun mit Harry Hartmann zusammen.“ – „Warst du nicht!“ Becker holte eine Plastikhülle mit einem Hunderter darin aus seiner Manteltasche. „Hartmann ist gestern um neun in einer Pension verhaftet worden, als er das Zimmer mit einem falschen Hunderter bezahlen wollte...“ Jahn/DEIKE 78
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