STADTMAGAZIN März 2024
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LOKALES<br />
Eine neue Leber für Nils<br />
Bremerin Petra Hock setzt sich für das Thema Organspende ein / Erklärendenportal startet im <strong>März</strong><br />
18<br />
Organspende, ja oder nein? Diese<br />
Frage steht oft erst dann<br />
im Raum, wenn persönliche<br />
Krankheiten oder Schicksalsschläge<br />
keinen Aufschub mehr dulden. Sich<br />
mit der eigenen Sterblichkeit zu befassen,<br />
fällt vielen Menschen schwer. Aktuelle<br />
Zahlen verdeutlichen dies: Derzeit warten<br />
etwa 8300 Bürger:innen in Deutschland<br />
und rund 70 in der Hansestadt Bremen auf<br />
eine lebensrettende Organspende, dem<br />
gegenüber stehen deutschlandweit jedoch<br />
nur 965 Menschen, denen vergangenes Jahr<br />
nach dem Tod Organe entnommen werden<br />
durften.<br />
Dass das Schicksal unvermittelt zuschlägt,<br />
hat die Bremerin Petra Hock als<br />
junge Mutter erleben müssen. 2014 wird<br />
bei ihrem acht Wochen alten Sohn Nils eine<br />
schwere Leberzirrhose diagnostiziert, ausgelöst<br />
durch einen angeborenen Gendefekt.<br />
Erst einmal können die Ärzte aber nichts<br />
für ihn tun. Doch sein Zustand bessert sich<br />
und er bleibt stabil. „Damals war aber direkt<br />
klar, dass er irgendwann eine neue Leber<br />
braucht“, erzählt Hock. Nils kommt deshalb<br />
bereits zu diesem Zeitpunkt mit dem Status<br />
„Inaktiv“ auf die Liste der niederländischen<br />
Stiftung Eurotransplant, welche verantwortlich<br />
für die Zuteilung von Spenderorganen<br />
in acht europäischen Ländern ist.<br />
Familie Hock versucht zunächst, das Leben<br />
so alltäglich wie möglich zu bestreiten.<br />
Doch 2016 erkrankt Nils an einem schweren<br />
Atemwegsinfekt und er wird mit akutem<br />
Organversagen ins Krankenhaus eingeliefert<br />
– nur eine neue Leber kann jetzt sein<br />
Leben retten. Eurotransplant setzt seinen<br />
Status auf „Aktiv“. Und Nils hat großes<br />
Glück: Nach sechs bangen Wochen kommt<br />
endlich der ersehnte Anruf. Er erhält die<br />
Leber eines verstorbenen Kindes, damit ist<br />
sein Leben gerettet. Vier Wochen nach der<br />
Operation ist er bereits wieder zu Hause<br />
bei seinen Eltern und seiner Schwester,<br />
ihm geht es gut. „Ich hatte zwischendurch<br />
Zweifel, ob ich jetzt glücklich sein darf, dass<br />
andere Eltern ihr Kind verloren haben. Aber<br />
wir sind dankbar, dass Nils lebt“, sagt Hock.<br />
Schon vor der Geburt ihres Sohnes habe<br />
sie selbst eine Organspendeausweis gehabt<br />
und sich darüber informiert. Hock findet die<br />
sogenannte Widerspruchslösung sinnvoll,<br />
derzufolge Menschen wie zum Beispiel in<br />
Spanien und in den Niederlanden aktiv der<br />
Organspende widersprechen müssen. Das<br />
Hauptproblem sieht sie jedoch in der mangelnden<br />
Information. „Aus eigener Erfahrung<br />
im Laufe der vergangenen Jahre weiß<br />
ich: Über Organspende wird viel zu wenig<br />
gesprochen“, sagt sie. Vergangenes Jahr<br />
ließ sie sich deshalb ein besonderes Tattoo<br />
stechen – zum einen, um sich damit als<br />
potenzielle Organspenderin gleich erkennbar,<br />
zum anderen, um Betrachtende zum<br />
Gespräch anzuregen. Die Idee stammt vom<br />
Verein Junge Helden, mehr als 400 Tattoostudios<br />
in Deutschland, Österreich und der<br />
Schweiz machen bereits bei der Aktion mit.<br />
Dass Unwissenheit über das Thema<br />
ein großes Problem sei, bestätigt auch die<br />
Organspendebeauftragte für Bremen und<br />
Bremerhaven, Sonja Schäfer: „Die häufigste<br />
Sorge ist, dass man nicht mehr entsprechend<br />
behandelt wird, sobald man seine Zustimmung<br />
zur Organspende gibt.“ Dabei ist<br />
das höchste Ziel aller medizinischen Maßnahmen<br />
im Falle eines Unfalls oder einer<br />
schweren Erkrankung, das Leben der Patient:innen<br />
zu retten. Zudem sei der Ablauf<br />
einer Organspende strengen Richtlinien<br />
der Bundesärztekammer unterworfen, zwei<br />
Fachärzt:innen müssten unabhängig voneinander<br />
den Tod feststellen. „Keine andere<br />
medizinische Diagnostik setzt eine so hohe<br />
Qualifikation voraus“, betont Schäfer. Für<br />
die Ethikerin liegt der Schlüssel zur Aufklärung<br />
in Schulen, in Hausarztpraxen und vor<br />
allem bei den Transplantationsbeauftragten<br />
in den Kliniken, die die Patient:innen und<br />
Angehörigen für das Thema sensibilisieren<br />
und zur Seite stehen.<br />
Doch ganz gleich, ob sich jemand für<br />
oder auch bewusst gegen eine Organspende<br />
entscheidet: Es gibt kein richtig oder falsch.<br />
„Wichtig ist, für sich überhaupt persönlich<br />
eine Entscheidung zu treffen und diese zu<br />
dokumentieren.“ Andernfalls müssen die<br />
Angehörigen in dieser Ausnahmesituation<br />
und unter Trauer auch noch bestimmen, ob<br />
die verstorbene Person Organe spendet.<br />
„Oft ist es dann ein Nein“, weiß Schäfer.<br />
Ab dem 18. <strong>März</strong> können alle Bürger:innen<br />
ab 16 Jahren ihre Erklärung zur Organspende<br />
online abgeben. Allerdings: Zu ihrer<br />
Authentifizierung benötigen sie den elektronischen<br />
Identitätsnachweis, die sogenannte<br />
„eID-Funktion“ ihres Personalausweises<br />
– „und die haben bislang nur rund<br />
zehn Prozent aller Deutschen“, bedauert<br />
Schäfer. Ein Organspendeausweis sei deshalb<br />
immer noch die beste Lösung. (CI)<br />
Weitere Infos im Web unter www.organspenderegister.de<br />
und unter www.organspende-info.de<br />
sowie zum Tattoo unter www.junge-helden.org.<br />
Fotos: Christina Ivanda