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Juli - PwC

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pwc: Märkte<br />

kommt und sich dann anderswo etabliert – dann kommt er auch<br />

nicht wieder zurück.<br />

Mitten im schärfsten Produktionseinbruch der Nachkriegszeit kön-<br />

nen Sie aber nicht nur auf Kontinuität setzen.<br />

Bei der Strategie schon. Die Sicherung des Nachwuchses und der<br />

Wettbewerbsfähigkeit und der Umgang mit dem Problem, dass die<br />

Belegschaften immer älter werden, weil die Menschen immer älter<br />

werden, das ist die strategische Aufgabe, der wir uns stellen, und<br />

da wackeln wir auch nicht. Gleichzeitig müssen wir aktuell kurz-<br />

fristig auf die Krise reagieren. Aber auch da werden wir alles ver-<br />

suchen, um betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Dafür<br />

müssen wir allerdings das ganze Instrumentarium nutzen, das uns<br />

Gesetzgeber und Tarifverträge einräumen. Wir haben erfreulicher-<br />

weise in Deutschland in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe<br />

flexibler Instrumente entwickelt.<br />

Alle auf einmal oder eines nach dem anderen?<br />

Eher Letzteres. Für die verschiedenen konjunkturellen Situationen<br />

gibt es auch unterschiedliche Instrumente. Das erste sind die Ar-<br />

beitszeitkonten. Wenn mehr als vereinbart gearbeitet wurde, wurde<br />

das nicht über Überstunden abgegolten, sondern dem Konto gut-<br />

geschrieben. Als die Konjunktur schwach wurde, konnten die ge-<br />

speicherten Schichten abgebucht werden – die Leute konnten zu<br />

Hause bleiben und wurden trotzdem bezahlt.<br />

Gibt es auch die Möglichkeit, Minuskonten aufzubauen – sozusa-<br />

gen der Dispo auf dem Arbeitszeitkonto?<br />

Gibt es. Aber irgendwann müssen sie das bereits verdiente Geld<br />

abarbeiten. Dieses Instrument lässt sich nicht beliebig ausweiten.<br />

Der Dispo ja auch nicht ...<br />

Der zweite Bereich war die Reduzierung des Einsatzes von Leih-<br />

arbeitern. Wir haben noch nicht alle Leiharbeitsverhältnisse aufge-<br />

löst, aber es werden deutlich weniger von Monat zu Monat. Die drit-<br />

te Ebene sind Zeitverträge, die nach dem Auslaufen nicht verlängert<br />

werden, und dann fremd vergebene Arbeitsvolumina, die wieder<br />

zurück ins eigene Unternehmen verlagert wurden. Das alles hat uns<br />

dazu verholfen, einige Monate weitgehend ohne Kurzarbeit auszu-<br />

kommen. Das ist jetzt aber ausgereizt, weshalb wir in großem Aus-<br />

maß in die Kurzarbeit gegangen sind.<br />

„Wenn die Krise länger dauert und härter wird, wird auch die<br />

Diskussion im Unternehmen härter werden – weil es Interessengegensätze<br />

gibt, die man nicht so einfach wegschieben kann.“<br />

Aber auch Kurzarbeit ist ein Instrument, das nicht ewig laufen kann.<br />

Kurzarbeit ist eine Brücke und eine Brücke braucht zwei Pfeiler.<br />

Den einen haben wir, das ist die Vergangenheit. Und über den zweiten,<br />

die Zukunft, ist keine verlässliche Aussage möglich. Außer der:<br />

So schlecht, wie es jetzt ist, wird es nicht bleiben.<br />

Und das alles, um auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten?<br />

Konzernvorstand und Konzernbetriebsrat sind sich einig im Ziel,<br />

betriebsbedingte Kündigungen zu verhindern. Das ist schon seit<br />

Jahrzehnten Praxis bei uns und an diesem erklärten Ziel halten wir<br />

auch fest. Mein Finanzkollege hat das kürzlich so formuliert: In unserer<br />

Werteskala stehen betriebsbedingte Kündigungen ganz hinten.<br />

Was wir aber nicht machen können, ist eine verbindliche Garantie<br />

für die Zukunft abgeben.<br />

Dass der Betriebsrat keine Kündigungen möchte, ist klar. Aber<br />

warum ist dem Management der Verzicht auf Kündigungen so<br />

wichtig?<br />

Eine neue Produktionsanlage kann sich jeder hinstellen, der das<br />

Geld dazu hat. Die deutschen Anlagenbauer bauen rund um die<br />

Welt, und die letzte Anlage ist immer die beste. Trotzdem sind wir<br />

hier, auch mit unseren hohen Löhnen und Sozialkosten, immer<br />

noch wettbewerbsfähig auf dem Weltmarkt. An den Anlagen kann<br />

es also nicht liegen, da haben alle im Prinzip die gleichen. Es liegt<br />

daran, dass wir besser qualifizierte, engagierte Mitarbeiter haben.<br />

Wenn wir das aufgeben, verlieren wir unseren entscheidenden<br />

Wettbewerbsvorteil. Das ist sicherlich nicht jedem in der Industrie<br />

so richtig klar. Aber hier bei uns ist das Konsens. Wir haben ohnehin<br />

über die Jahre eine Konsenskultur entwickelt. Keine Konfrontation,<br />

flache Hierarchien nicht im Sinne von Organigrammen,<br />

sondern im Sinne des Umgangs miteinander.<br />

Funktioniert das in der Krise genauso? Wenn 50 Prozent der Auf-<br />

träge wegfallen, muss man vielen Menschen wehtun – geht das mit<br />

einer Konsenskultur?<br />

Wir haben uns bemüht, die Anpassungen verträglich zu gestalten<br />

und insoweit den Konsens nicht aufzukündigen. Wenn die Krise<br />

länger dauert und härter wird, wird auch die Diskussion härter wer-<br />

den – weil es natürlich Interessengegensätze gibt, die man nicht so<br />

einfach wegschieben kann. Aber ich bin davon überzeugt, dass das<br />

Konsensmodell am Ende das bessere ist. Weil wir die Krise besser<br />

bewältigen werden, wenn wir mit den Betriebsräten und den<br />

Beschäftigten gemeinsam nach Lösungen suchen, als wenn wir<br />

auf Demonstrationen und Konfrontation setzen. Da werden die Lösungen<br />

nicht besser und die Motivation auch nicht.<br />

Ist denn die in Deutschland weitverbreitete Konsenskultur ins Ausland<br />

exportierbar?<br />

Nicht so einfach. Weltweit ohnehin nicht, aber auch in Europa kann<br />

man im Verhältnis zwischen Gewerkschaften und Unternehmen<br />

eine nordeuropäische und eine südeuropäische Kultur unterscheiden.<br />

Im Norden setzen die Gewerkschaften eher auf Kooperation:<br />

26 pwc: | juli 2009<br />

Erst verhandeln wir und wenn wir uns nicht einigen können, streiten<br />

wir. In Südeuropa herrscht eher Konfrontation: Erst streiten wir und<br />

auf dieser Grundlage wird dann verhandelt. Die Arbeitgeber denken<br />

dort ähnlich. So eine Kultur zu verändern gestaltet sich sehr<br />

zäh. Es gibt zwar einen langfristigen Trend zur stärkeren Konsensorientierung<br />

– aber der ist sehr langfristig.<br />

Das Konsensmodell hatte es in den vom Shareholder-Value-Denken<br />

dominierten Jahren schwer, in denen die Interessen der Aktionäre<br />

besonders hoch gewichtet wurden. Mussten Sie sich daran anpassen<br />

– gerade als Sie im Dax landeten?<br />

Wir haben damals unsere Argumentation nicht geändert, deshalb<br />

müssen wir sie auch heute nicht ändern. Der Shareholder-Value-<br />

Ansatz ist für die Stahlindustrie unbrauchbar. Wir sind eine kapitalgetriebene<br />

Branche mit Großanlagen. Von der Überlegung, eine<br />

Anlage zu bauen, bis zum Abschluss der Hochlaufkurve vergehen<br />

drei bis fünf Jahre. Da ist mit Quartalsberichten nichts zu machen.<br />

Wir führen derzeit ein Investitionsprogramm von 1,7 Milliarden Euro<br />

an den Standorten Peine und Salzgitter durch und machen damit<br />

diese Werke fit für die nächsten 20 Jahre. Die Mittel, die wir dort<br />

binden, werden sich später auszahlen – aber kurzfristig natürlich<br />

den Überschuss mindern. Alle kurzfristig orientierten Maßstäbe sind<br />

nicht geeignet, um solche Investitionen zu bewerten. Eigentlich<br />

Peter-Jürgen Schneiders Karriere begann<br />

1970 im Salzgitter-Konzern und wird dort<br />

vermutlich auch zu Ende gehen. Aber dazwischen<br />

hat der heute 61-jährige Vorstand<br />

mit Zuständigkeit für Personal und Dienstleistungen<br />

eine ganz andere berufliche Laufbahn<br />

absolviert: in der Politik. 1986 gewann<br />

er bei der niedersächsischen Landtagswahl<br />

für die SPD das Direktmandat im Wahlkreis<br />

Salzgitter. Nach drei Wahlperioden wurde<br />

er 1997 Regierungspräsident in Braunschweig<br />

und 1999 Leiter der Staatskanzlei<br />

in Hannover: Sein Vorgänger Frank-Walter<br />

Steinmeier war mit Gerhard Schröder ins<br />

dürften wir als Vorstand solchen Investitionen gar nicht zustimmen,<br />

weil wir wegen der Tantiemeregelungen damit unser aktuelles Einkommen<br />

schmälern ...<br />

... zugunsten des zukünftigen Einkommens ...<br />

... von dem aber einige dann nicht mehr profitieren werden, weil sie<br />

dann gar nicht mehr im Amt sind. Als verantwortungsbewusste Vorstände<br />

haben wir die Investitionsentscheidung natürlich trotzdem<br />

getroffen, weil sie richtig ist. Der Aufsichtsrat hat dies ebenso bewertet.<br />

Mit Stock-Options braucht man Ihnen wohl gar nicht zu kommen?<br />

Wir haben im Konzern eine Gewinnbeteiligung für die Beschäftigten,<br />

von ganz unten bis ganz oben, aber keinen einzigen Aktienoptionsplan,<br />

und auch keine Kapitalbeteiligungsprogramme<br />

für die Belegschaft. Wir haben das einmal versucht und sind auf<br />

ein sehr geteiltes Echo bei den Beschäftigten gestoßen. Eine<br />

Herausgabe von Aktien an die Belegschaft setzt eine Bewusst-<br />

seinslage voraus, dass es sich dabei um eine langfristige Wert-<br />

anlage handeln soll. Sonst verkaufen die Arbeitnehmer die Aktien<br />

gleich wieder – da geben wir ihnen lieber gleich das Geld, anstatt<br />

den Umweg über Aktien zu machen. Wer will, kann dann Aktien<br />

davon kaufen.<br />

Zwischen Stahl und Politik<br />

Kanzleramt gegangen. Im April 2003 wechselte<br />

Schneider zurück zu seinem Heimatkonzern<br />

in seine heutige Position. Nach den<br />

Regeln der Montan-Mitbestimmung liegt<br />

das Vorschlagsrecht für den Posten des<br />

Arbeitsdirektors beziehungsweise Personalvorstands<br />

bei der Gewerkschaft. Bei Salzgitter<br />

ist Schneider zuständig für weltweit<br />

mehr als 25.000 Beschäftigte. Diese erwirtschafteten<br />

bei einem Umsatz von 12,5<br />

Milliarden Euro einen Jahresüberschuss von<br />

677 Millionen Euro (alle Zahlen für 2008).<br />

Die wichtigsten Unternehmensbereiche sind<br />

Stahl- und Röhrenproduktion.<br />

Hat der Dax Ihr Leben verändert?<br />

Kein bisschen. Wir haben unseren Job vor der Aufnahme in den Dax gut gemacht, und wir<br />

machen ihn weiter wie bisher.<br />

Was ist Ihr bestes Argument, um Leute nach Salzgitter zu holen?<br />

Ein Häuschen im Grünen ist hier 100.000 Euro billiger als an der Ruhr.<br />

Wann hat Sie zuletzt ein Headhunter angerufen?<br />

Es ist noch gar nicht so lange her, da wollte mich einer zu einem wesentlich größeren Konzern<br />

abwerben. Aber schon altersbedingt ist Salzgitter meine letzte Karrierestation.<br />

Wie sieht Ihre Bonusregelung aus?<br />

Der variable Teil der Vergütung der Salzgitter-Vorstände misst sich zum kleineren Teil an der<br />

persönlichen Performance, zum größeren an der Entwicklung des ROCE (Return on Capital<br />

Employed). Insoweit sausen unsere Einkommen jetzt nach unten.<br />

Wann war Ihre letzte Weiterbildung?<br />

Ich bin jeden Tag in Weiterbildung.<br />

Was zog Sie nach Salzgitter?<br />

Ich bin hier geboren. Am Hüttenwerkszaun.<br />

pwc: | juli 2009 27

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