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Die Geschichte der Textilgewerkschaften im Landkreis Lindau

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Streik in Schüttentobel/Ebratshofen 1925<br />

Im Sommer 1925 meldete <strong>der</strong> Polizeiposten Maierhöfen<br />

erstaunt dem Bezirksamt <strong>Lindau</strong> ein <strong>im</strong> kleingewerblich<br />

strukturierten Allgäu seltenes Ereignis. Doch<br />

die Lebenssituation <strong>der</strong> Arbeitenden und die Kunde<br />

von erfolgreichen gemeinsamen Verweigerungsaktionen<br />

in <strong>der</strong> Nachbarschaft hatten ihre ermutigende Wirkung<br />

nicht verfehlt. Wie<strong>der</strong> standen Arbeiterinnen an<br />

<strong>der</strong> Spitze <strong>der</strong> Aktion, organisiert in <strong>der</strong> Textilarbeitergewerkschaft.<br />

„Am 8. August 1925 sind sämtliche Arbeiter vom<br />

Textilwerk Schüttentobel wegen Lohndifferenzen in den<br />

Streik getreten. Es handelt sich um Personen, größtenteils<br />

Frauenpersonen, die in Schüttentobel und Umgebung<br />

wohnen und die einen höheren Lohn erstreben.<br />

Um den Betrieb zum Teil aufrecht erhalten zu können,<br />

hat die Direktion versucht, an<strong>der</strong>e Leute zu werben, was<br />

jedoch nicht gelungen ist; nur ein nichtorganisierter Arbeiter<br />

arbeitet. Streikposten sind nicht aufgestellt“.<br />

Drei Tage später war ein Erfolg des solidarischen<br />

Kampfes erreicht, und <strong>der</strong> Polizeiposten notierte:<br />

„Arbeiten seit 11. August 25 wie<strong>der</strong>. Wollten 7 Pfennige<br />

mehr haben. Firma gewährt über die Hälfte <strong>der</strong> verlangten<br />

Erhöhung.“<br />

Ergänzend meldete er die verwendeten vier Lohnstufen:<br />

weibliche Löhne: Jetzt 2 bis 3 Pfennige mehr.<br />

Männliche Löhne: Bisher zwischen 18 und 46 Pf. Stundenlohn,<br />

jetzt zwischen 2 und 4 Pfennige mehr. 20<br />

Produktän<strong>der</strong>ungen werden nötig<br />

Durch Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Mode wurde <strong>der</strong> Herrenstrohhut,<br />

<strong>der</strong> Matelot, <strong>im</strong>mer weniger gewünscht. Von 1924 bis<br />

1927 musste dessen Produktion auf ein Zehntel früherer<br />

Mengen verringert werden. <strong>Die</strong> Lösung lag ab 1928<br />

darin, verstärkt auf die Produktion von Damenstrohhüten<br />

sowie von Damen- und Herrenfilzhüten umzusteigen.<br />

Gleichzeitig wurde von Seiten <strong>der</strong> Firmenleitungen<br />

<strong>Die</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Textilgewerkschaften</strong> <strong>im</strong> <strong>Landkreis</strong> <strong>Lindau</strong><br />

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in dieser Krisensituation versucht, die Arbeitsintensität<br />

zu verstärken. <strong>Die</strong> „Schwäbische Volkszeitung“ in ihrer<br />

Rubrik „Allgäuer Volkswacht“ schil<strong>der</strong>te die Auswirkungen<br />

u. a. folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

„Aus Lindenberg wird uns geschrieben. Trotz <strong>der</strong><br />

Arbeitslosigkeit n<strong>im</strong>mt das Überstundenwesen bei uns<br />

<strong>im</strong>mer größere D<strong>im</strong>ensionen an ...<br />

In vielen Betrieben müssen Mädchen von 16 bis 18<br />

Jahren bis morgens 1 Uhr arbeiten, oft die ganze Nacht<br />

durch. Da kommt es wohl vor, dass diese Mädchen vor<br />

Schlaf und Müdigkeit ihr mitgebrachtes Essen nicht verzehren<br />

können, dass sie sogar vor <strong>der</strong> Maschine einschlafen.<br />

Verschiedene Firmen haben keinen Tarifvertrag, sie<br />

wären also nach <strong>der</strong> Arbeitszeitverordnung an die 48-<br />

Stunden-Woche gebunden – aber bei dem bekannten<br />

Herrn-<strong>im</strong>-Hause-Standpunkt dieser Arbeitgeber ist zu<br />

verstehen, dass sie willkürlich Überstunden in je<strong>der</strong><br />

Höhe machen lassen ...“ 21<br />

1929 verschlechterte sich die Wirtschaftslage mit<br />

Beginn <strong>der</strong> Weltwirtschaftskrise erneut und zudem in<br />

katastrophalem Umfang, was beispielsweise die Arbeitslosigkeit<br />

betrifft. In Lindenberg wurden während<br />

dieser Jahre rund 85 Prozent <strong>der</strong> Arbeitnehmer/-innen<br />

<strong>der</strong> Hutindustrie arbeitslos, allein <strong>im</strong> Sommer 1930<br />

rund 600 Personen. Trotzdem wurden beispielsweise<br />

bei <strong>der</strong> Firma Reich 1932 gegen Ende <strong>der</strong> Krise wie<strong>der</strong><br />

an einem Tag allein 12 000 Hüte produziert. <strong>Die</strong> Lage<br />

<strong>der</strong> Mehrheit <strong>der</strong> lohnabhängig Beschäftigten aber war<br />

prekär und hoch kompliziert. In Vorbereitung einer<br />

großen Mitglie<strong>der</strong>versammlung richtete sich die freie<br />

Gewerkschaft in ihrer Zeitschrift „Der Deutsche Hutarbeiter“<br />

in <strong>der</strong> Ausgabe vom 5. Oktober 1932 direkt<br />

„An die Allgäuer Hutarbeiterschaft!<br />

Es sind Bestrebungen <strong>im</strong> Gange, die Kollegenschaft<br />

durch Unterschrift zum Verzicht auf den Garantielohn zu<br />

bewegen. Der Lohn soll so, neben <strong>der</strong> Notverordnung,<br />

abermals gekürzt und unser tarifliches Recht ausgeschaltet<br />

werden.

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