31.12.2012 Aufrufe

Rhythmus und Instrumentation im Theater Einar Schleefs233

Rhythmus und Instrumentation im Theater Einar Schleefs233

Rhythmus und Instrumentation im Theater Einar Schleefs233

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Logik, die sich ebenfalls nicht selten einem umweglosen Verstehen entzieht.<br />

270<br />

Nietzsches Projekt der „Umwertung aller Werte“ (Nietzsche<br />

1977/1888: 127) wird bei Schleef zu einer Umwertung aller Noten- bzw.<br />

Pausen-Werte: Das Dehnen, Absetzen, Verzögern von Silben, das bewusste<br />

Unterlaufen der syntaktischen Gegebenheiten des Textes, sowohl in<br />

der Mikro-, als auch der Makrostruktur 271 kennzeichnen sein Sprechen.<br />

Wie verhält es sich dann damit, dass Schleef für sich in Anspruch n<strong>im</strong>mt,<br />

„die jeweilige Sprachmelodie des Autors aufzuspüren <strong>und</strong> diese dann bei<br />

den unterschiedlichen Sprechern herauszuarbeiten, damit das Sprachbild<br />

dieses speziellen Autors erscheint <strong>und</strong> sich von dem anderer Autoren absetzt“<br />

(Schleef 1998/1997: 92)?<br />

Auf diese Frage wird <strong>im</strong> Fazit (III.2.5) noch einmal ausführlicher zurückzukommen<br />

sein, weil sie wesentlich für die Beschäftigung mit<br />

Schleefs Musikalisierung ist; hier zunächst nur ein kurzer Vorgriff: Im Fall<br />

von Ecce homo verhält es sich meiner Ansicht nach so, dass Schleef zwar<br />

nicht ‚das‘ Sprachbild Nietzsches zur Erscheinung bringt 272 , aber durchaus<br />

die <strong>im</strong> Text angelegten musikalischen Gestaltungsmöglichkeiten collagiert,<br />

d.h. miteinander verschneidet, verbindet <strong>und</strong> assoziiert. Schleef bedient<br />

sich beispielsweise mehrfach des Mittels der Temposteigerung, nicht so<br />

sehr durch schnelleres Sprechen, als durch dichte Anschlüsse zwischen<br />

getrennten Textteilen <strong>und</strong> Steigerung der Betonungsdichte. Das Gestaltungsmittel<br />

der Temposteigerung, das ‚Accelerando‘, liegt schon dem<br />

Bauplan des Ecce homo zugr<strong>und</strong>e, wie sich etwa in der Verdichtung best<strong>im</strong>mter<br />

Motive („Hat man mich verstanden?“, Nietzsche 1977/1888: 132,<br />

134, 135) <strong>und</strong> der zunehmenden Kürze der Kapitel zeigt. Das eben ge-<br />

270 Als pointiertes Beispiel mag der Satz „Die Katholiken hätten Gründe, Lutherfeste zu<br />

feiern, Lutherspiele zu dichten“ (Nietzsche 1977/1888: 122) gelten.<br />

271 Die Kapitelaufteilung bei Nietzsche, die sich an den „Warum“-Fragen ausrichtet („Warum<br />

ich so klug bin“ etc.), unterläuft Schleef rhetorisch völlig, indem er auf Anschluss<br />

über sie hinweg spricht. So z.B. bei dem Übergang: Hütet euch, gegen den Wind zu speien!<br />

Warum ich so klug bin. Die Form seines Monologs ist durch ein Ritual des Zuprostens<br />

mit einem Glas Wasser zweiteilig <strong>und</strong> widerspricht auch in ihrer Binnenstruktur der<br />

Textform Nietzsches.<br />

272 Es sei dabei anhe<strong>im</strong> gestellt, ob es überhaupt ein Sprachbild eines Autors gibt, das sich<br />

in einem ideal gedachten Vortrag vollständig abbilden könnte. Der Literaturtheoretiker<br />

Jan Mukarovsky unterscheidet zurecht den „so<strong>und</strong> aspect“ von der „acoustic realization<br />

of the poetic text“ <strong>und</strong> schreibt weiter: „Otakar Zich has already differentiated the so<strong>und</strong><br />

qualities given in the text itself from those which depend on the reciter‘s decision“ (Mukarovsky<br />

1977: 19). Und die Musikwissenschaftlerin Ana Agud ergänzt: „Strukturen,<br />

grammatische Kategorien, Begriffe, Wörter, aufgefaßt als etwas, „was es gibt“, stiften<br />

zwar Erwartungszusammenhänge, die die linguistische Analyse identifiziert <strong>und</strong> beschreibt;<br />

ihnen gegenüber bleibt aber der Sprecher tatsächlich, faktisch frei, den zeitlichen<br />

Verlauf seines Sagens beliebig zu gestalten“ (Agud 1999: 69).<br />

208

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!