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Rhythmus und Instrumentation im Theater Einar Schleefs233

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tagonist <strong>und</strong> Chor (in Ein Sportstück besonders: Elisabeth Rath/Chor, in<br />

Verratenes Volk: Jutta Hoffmann/Chor), als auch in der spezifischen musikalischen<br />

Anordnung der ‚St<strong>im</strong>men‘ innerhalb des Chores. Das chorische<br />

Unisono legt bei Schleef lediglich <strong>Rhythmus</strong> <strong>und</strong> Melodiekontur fest, lässt<br />

aber Raum für die individuelle Ausgestaltung bzw. fordert sie sogar:<br />

218<br />

Dies führt <strong>im</strong> besten Fall […] dazu, daß auch auf der Bühne die äußerst exakte<br />

St<strong>im</strong>mkomposition in jeder Aufführung aufs neue variiert <strong>und</strong> gleichsam von innen<br />

her spielerisch subvertiert wird, ohne daß die Chöre dabei auseinanderfallen <strong>und</strong><br />

ohne den für den jeweiligen Text kennzeichnenden Gr<strong>und</strong>gestus zu zerstören.<br />

(Dreysse Passos de Carvalho 1999: 94)<br />

Als ästhetische <strong>und</strong> schauspielerprogrammatische Konsequenz konstatiert<br />

Hans-Thies Lehmann das Gelingen einer „theaterästhetische[n] Balance<br />

zwischen der sinnlichen Selbstbehauptung des einzelnen Körpers <strong>und</strong> seiner<br />

St<strong>im</strong>me mit Hilfe des Gruppen-Egos auf der einen <strong>und</strong> der hochdifferenzierten<br />

Genauigkeit auf der anderen Seite“ (Lehmann 1990: 96).<br />

Doch nicht nur die spezifische Kombination von St<strong>im</strong>men ermöglicht<br />

einen neuen Zugriff auf den Text. Auch die einzelne St<strong>im</strong>me erfährt durch<br />

Schleefs Musikalisierung eine signifikante Veränderung. In den besonders<br />

hohen, oft kombinierten Anforderungen an Bewegung <strong>und</strong> Sprache der<br />

Darsteller findet eine Verabsolutierung <strong>und</strong> Überschreitung der St<strong>im</strong>me<br />

statt; sowohl bei den ausgebildeten St<strong>im</strong>men der Schauspieler, als auch bei<br />

denen der oft nicht ausgebildeten Choristen. Es tritt, provoziert durch den<br />

exzessiven Probenstil Schleefs, etwas in den Vordergr<strong>und</strong>, was Roland<br />

Barthes „le grain de la voix“ (Barthes 1990a/1972) nennt. 284 Barthes unterscheidet,<br />

angelehnt an Julia Kristeva, auch für die gesprochene Sprache<br />

Phänogesang <strong>und</strong> Genogesang. Der Phänogesang „umfaßt alle Phänomene,<br />

alle Merkmale, die zur Struktur der gesungenen Sprache gehören, […]<br />

alles, was be<strong>im</strong> Vortrag <strong>im</strong> Dienst der Kommunikation, der Darstellung<br />

<strong>und</strong> des Ausdrucks steht“ (Barthes 1990a/1972: 272). Der Genogesang sei<br />

die Materialität der gesungenen Sprache, ein<br />

signifikantes Spiel, das nichts mit der Kommunikation, der Darstellung (von Gefühlen)<br />

<strong>und</strong> dem Ausdruck zu tun hat; es ist die Spitze (oder der Gr<strong>und</strong>) der Erzeugung,<br />

wo die Melodie tatsächlich die Sprache bearbeitet – nicht, was diese sagt,<br />

sondern die Wollust ihrer Laut-Signifikanten, ihrer Buchstaben. (ebd.)<br />

Das ‚grain de la voix‘ „läßt sich nicht besser definieren als durch die Reibung<br />

zwischen der Musik <strong>und</strong> etwas anderem, das die Sprache ist (<strong>und</strong><br />

keineswegs die Mitteilung). […] Die ‚Rauheit‘ ist der Körper in der singenden<br />

St<strong>im</strong>me, in der schreibenden Hand, <strong>im</strong> ausführenden Körperteil“<br />

284 Dieses mit „Rauheit“ unzulänglich übersetzte Phänomen beschreibt das Unverkennbare,<br />

Individuelle, Untersprachliche die „körnige Materialität der St<strong>im</strong>me“ (so Helga Finters<br />

Übersetzungsvorschlag bei ihrem Gastvortrag <strong>im</strong> Graduiertenkolleg der Universität Hildeshe<strong>im</strong><br />

am 21. Oktober 2000).

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