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Rhythmus und Instrumentation im Theater Einar Schleefs233

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zwingt <strong>und</strong> zum Wahrnehmen des Körpers <strong>im</strong> musikalisierten Sprechen<br />

der Darsteller.<br />

Schleefs Präsenz in beiden hier untersuchten Inszenierungen öffnet<br />

meine Überlegungen zur Sprachbehandlung noch einmal für die Frage<br />

nach dem Verhältnis von Text <strong>und</strong> Musikalisierung. Dieses Verhältnis ist<br />

unter zwei Aspekten zu hinterfragen: Der erste berührt die formelhafte<br />

Forderung Monteverdis, die musikgeschichtlich zur Geburtsst<strong>und</strong>e der<br />

Oper führte, „pr<strong>im</strong>a le parole, poi la musica“ 287 . Auch bei Schleef muss die<br />

Vorherrschaft des Textes oder der Musik geklärt werden. Der zweite Aspekt<br />

formuliert sich in Ergänzung als die auch in vielen Kritiken latent<br />

mitschwingende Vermutung, ob Schleef nicht pr<strong>im</strong>är sein eigenes Sprechen,<br />

seine der Sprachbehinderung abgetrotzte Diktion, durch Vervielfachung,<br />

Vergrößerung <strong>und</strong> Stilisierung dem Chor aufoktroyiere.<br />

Weiter oben habe ich bereits darauf hingewiesen, dass Schleef sich<br />

selbst eindeutig positioniert, was seine Arbeit am Text betrifft. Sein Anspruch,<br />

„die jeweilige Sprachmelodie des Autors aufzuspüren <strong>und</strong> diese<br />

dann bei den unterschiedlichen Sprechern herauszuarbeiten“ (Schleef<br />

1998/1997: 92) bekräftigt er auch <strong>im</strong> Gespräch nachdrücklich. 288 Also:<br />

pr<strong>im</strong>a le parole? Anhand der Sportstück-Inszenierung ist man sich andererseits,<br />

wie ich am Beispiel des Sieben/Acht-Chores zu zeigen versucht habe,<br />

schnell gewahr, dass es Schleef kaum nur um die vermeintlich innewohnende<br />

Musikalität des Textes, die Sprachmelodie Jelineks zu tun gewesen<br />

sein kann. Während bei Schleefs monologischer Nietzsche-Lesart der Text<br />

weitgehend unangetastet blieb <strong>und</strong> durchaus Bezüge zwischen seiner musikalischen<br />

Interpretation <strong>und</strong> den entsprechenden Angeboten des Textes<br />

herzustellen waren, hatte es <strong>im</strong> Sieben/Acht-Chor vielmehr den Anschein,<br />

als ob nicht die Materialität der Sprache zu einer best<strong>im</strong>mten musikalischen<br />

Gestaltung herausfordere, sondern eine musikalische Form (oder ein<br />

musikalisches Klischee) der Sprache übergestülpt werde. Starke Eingriffe<br />

in die Textgestalt machten ihn vereinbar mit dem trotz aller musikalischer<br />

Differenzierung vorherrschenden Duktus von fußballerischen oder militärischen<br />

Sprechchören, der die lange Chorpartie deutlich dominiert. Doris<br />

287 Etwa: Zuerst die Worte, dann die Musik. Mit dieser ‚seconda prattica‘ lehnten sich<br />

Monteverdi <strong>und</strong> die Florentiner Camerata gegen die verbreitete Vorherrschaft der Musik<br />

auf. Die schon in Monteverdis Madrigalbüchern angelegte Betonung der ‚oratione‘<br />

mündete in der Narratisierung vokalmusikalischer Formen hin zur Oper, zuerst voll ausgeprägt<br />

in seinem Orfeo (1607).<br />

288 Darauf angesprochen, warum er vielfach sinnfremd betonen ließe antwortete Schleef:<br />

„Das können nur Leute behaupten, die sind völlig bekloppt.“ Gerade die Interpunktion<br />

von Texten lese er „wie eine musikalische Notation“. Die Autoren schrieben eindeutig<br />

vor, wie zu betonen sei, <strong>und</strong> „dass sich <strong>im</strong> <strong>Theater</strong> dann so eine Betonung rausgestellt<br />

hat auf die Verben oder später auf die Substantive – ja das ist quasi der Sprachtrott <strong>im</strong><br />

<strong>Theater</strong>“ (Schleef, <strong>Einar</strong> 1999: Ein Gespräch mit Birgit Hüning <strong>und</strong> David Roesner, am<br />

17. November 1999 in Hannover, unveröffentlicht).<br />

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