Thema - Schwerhoerigen-Netz
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<strong>Thema</strong><br />
Die Gesundheitsreform<br />
gerät unter Druck.<br />
Die Kosten steigen rasant.<br />
Das <strong>Thema</strong> beleuchtet diesmal, wie die Lage<br />
bei der Hörgeräteversorgung ist, und welche<br />
Anforderungen durch die wachsende Flut an<br />
Gesetzen und Bestimmungen zu bewältigen sind.<br />
Beiträge von Sabine Grehl, Ilse Grinz, Thomas Moser,<br />
Michael Gerber, Dr. Robert Weber und Stephan Wilke<br />
Die Autoren im <strong>Thema</strong><br />
v.o.l.n.r.:<br />
Sabine Grehl, Ilse Grinz,<br />
Thomas Moser, Michael Gerber,<br />
Dr. Robert Weber, Stephan Wilke<br />
DSBreport<br />
DIAGNOSE: Schwerhörigkeit<br />
Von Sabine Grehl, Sozialpädagogin/Audiotherapeutin<br />
Wenn der HNO-Arzt einem Spätschwerhörigen<br />
– damit gemeint ist ein Mensch, dessen Hörverlust<br />
im Erwachsenenalter eingetreten ist – das<br />
erste Hörsystem verordnet, sind meist schon<br />
fünf, zehn oder sogar 15 Jahre vergangen, seit<br />
sich herausgestellt hat, dass Hören und Verstehen<br />
Probleme bereiten. Die Diagnose Schwerhörigkeit<br />
und die notwendige Hörgeräteversorgung<br />
werden nun zur Herausforderung für den<br />
betroffenen Menschen.<br />
8<br />
WAS IST ZU TUN?<br />
Wie bei jeder Erkrankung sollte sich der mündige<br />
Patient umfassend informieren: Fragen Sie Ihren<br />
HNO-Arzt, bitten Sie um Aufklärung und Information.<br />
Weitere Möglichkeiten bieten Fachliteratur,<br />
Ratgeber, das Internet, Selbsthilfeorganisationen<br />
bzw. Beratungsstellen, die auf die Problemlagen<br />
Hörgeschädigter spezialisiert sind.<br />
DER WEG ZUM HÖRGERÄT<br />
Wenn der HNO-Arzt die ärztliche Verordnung<br />
für ein Hörgerät ausgestellt hat und Sie sich<br />
umfassend über Ihre Hörminderung informiert<br />
haben, gehen Sie nun auf die Suche nach Ihrem<br />
Hörgeräte-Akustiker.<br />
Die Hörgeräteversorgung über den so genannten<br />
verkürzten Versorgungsweg – also via Internet<br />
oder Großhandel – sollte für alle „Einsteiger<br />
mit Hörgerät“ tabu sein, auch für jene hörgeschädigten<br />
Menschen, die technisch nicht so<br />
versiert sind und auf Serviceleistungen vor Ort,<br />
wie z.B. Beratung, Reparatur und Wartung,<br />
Feinanpassung angewiesen sind.<br />
HÖRG<br />
Ich fasse kurz zusammen, was für den ersten<br />
Eindruck wichtig ist: Ihr Hörgeräte-Akustiker<br />
sollte fachlich und sozial kompetent sein und<br />
Sie vor Ort gut beraten, auf Ihre Fragen eingehen<br />
und Ihnen die Hörgeräteauswahl gut und<br />
verständlich erklären. Und Sie selbst sollten<br />
den Akustiker gut verstehen können.<br />
WIE FINDE ICH MEINEN HÖRGERÄTE-<br />
AKUSTIKER?<br />
Listen Sie die Adressen der Hörgeräte-Fachgeschäfte<br />
auf und treffen Sie die Wahl zunächst<br />
nach dem Standort. Für ältere Menschen ist<br />
bestimmt wichtig, ob das Geschäft in der Nähe<br />
zum Wohnort ist, oder ob der Akustiker Hausbesuche<br />
macht. Denken Sie daran, dass der<br />
Akustiker Sie über die Lebensdauer des Hörgerätes<br />
in der Regel sechs Jahre lang betreuen<br />
wird mit Schallschlauchwechsel, Reparaturen,<br />
weiteren Anpassungen, Ohrpassstückwechsel.<br />
Dann sind die eigene Mobilität und die Länge<br />
des Weges die Parameter für die Wahl des Hörgeräte-Fachgeschäftes.<br />
Mit der Hörgeräteverordnung suchen Sie nun<br />
das Akustikerfachgeschäft auf und wünschen<br />
eine unverbindliche Beratung. Anhand der vorliegenden<br />
Messdaten (Audiogramm) kann der<br />
Hörgeräte-Akustiker verschiedene Hörgeräte<br />
empfehlen. Lassen Sie sich auch die finanziellen<br />
Belastungen und den Service erläutern,<br />
wenn Sie sich über das eine oder andere Hörgerät<br />
informieren. Vergleichen Sie Angebote und<br />
Leistungen auch mit den Angeboten anderer<br />
Hörgerätefachgeschäfte.
ERÄTEVERSORGUNG<br />
Bei Hörgeräten besteht keine Preisauszeichnungspflicht.<br />
Die Preise einzelner<br />
Hörgeräte müssen Sie daher erfragen.<br />
Service und Preise differieren von Geschäft<br />
zu Geschäft zum Teil erheblich.<br />
Beim Vergleich der Angebote lernen Sie<br />
verschiedene Fachgeschäfte, deren Service<br />
und Hörgeräte-Akustiker kennen<br />
und treffen dann die Entscheidung für<br />
den Akustiker Ihrer Wahl.<br />
WIE FINDE ICH DAS RICHTIGE<br />
HÖRGERÄT?<br />
Sie haben das Hörgeräte-Fachgeschäft<br />
gewählt, sind im Besitz Ihrer ärztlichen<br />
Verordnung für eine Hörhilfe und auf<br />
der Suche nach dem für Sie geeigneten<br />
Hörgerät. Der Akustiker wird Sie nun<br />
fachgerecht beraten und konkrete Leistungen<br />
erbringen. Die Beratung wird<br />
durch Inanspruchnahme der Leistung<br />
verbindlich. Gegebenenfalls wird erneut<br />
eine Hörprüfung durchgeführt. Schildern<br />
Sie die für Sie wichtigsten Hörwünsche<br />
im privaten Leben, im Beruf<br />
und/oder beim Hobby. Bereits hier stellt<br />
sich heraus, über welche Funktionen das<br />
Hörgerät verfügen muss. Auch die Entscheidung<br />
zur Bauart – Im-Ohr-Gerät<br />
(IO) oder Hinter-dem-Ohr-Gerät(HdO) –<br />
ergibt sich nun. Sie sollten ausführlich<br />
über Ihre Erwartungen sprechen und<br />
diese wenn nötig korrigieren, wenn die<br />
Der Akustiker hat Ihnen mindestens drei<br />
Hörgeräte empfohlen, darunter sollte<br />
mindestens ein Gerät sein, bei dem Sie<br />
keine Zuzahlung leisten müssen (Hörgeräte<br />
zum Festbetrag).<br />
Der Akustiker wird Ihnen nun das Hörgerät<br />
Nr. 1 anpassen, und Sie werden das<br />
Hörgerät „Probe tragen“. Auch Ohrpassstücke<br />
werden nun notwendig. Nach der<br />
Erstanpassung und dem obligatorischen<br />
Hörtest mit Hörgerät sollten Sie zusammen<br />
mit dem Akustiker die Einstellung<br />
nochmals unter anderen Bedingungen<br />
überprüfen: z.B. im Gespräch außerhalb<br />
des schallisolierten Raumes, in welchem<br />
die Anpassung erfolgte. Verlassen Sie<br />
auch kurz das Geschäft und testen Sie<br />
die Hörwahrnehmung auf der Straße. Ist<br />
der Klang unangenehm, werden die<br />
Geräusche als zu laut empfunden, dann<br />
sollte gleich eine „Nachbesserung“ bis<br />
hin zur Einstiegsanpassung vorgenommen<br />
werden. Je komplizierter die Hörschädigung<br />
ist, desto mehr Zeit benötigt<br />
der Akustiker für die Anpassung. Informieren<br />
Sie sich genau und umfassend<br />
über Funktionen und Bedienung des<br />
Hörgerätes und üben Sie diese mit dem<br />
Akustiker ein.<br />
Ist die Erstanpassung abgeschlossen,<br />
dann beginnt die Ausprobe – so wird das<br />
Probetragen der Hörgeräte genannt –,<br />
am besten mit einem Hörtagebuch.<br />
Dokumentieren Sie Ihre Hörwahrneh-<br />
Gesetze, Bestimmungen und Kosten:<br />
die Regelungen sind bundesweit<br />
uneinheitlich und ohne Beratung oft<br />
nicht zu durchschauen.<br />
mung und bewerten Sie diese in den<br />
unterschiedlichsten Hörsituationen. Beziehen<br />
Sie Freunde und Angehörige in<br />
die Ausprobe mit ein, bewerten Sie gemeinsam<br />
die Hörerfolge. Nutzen Sie<br />
auch Einrichtungen der Selbsthilfe, Beratungsstellen<br />
oder die Erfahrung von<br />
Audiotherapeuten.<br />
Werten Sie diese Hörerfahrung beim<br />
nächsten Akustikerbesuch aus und gegebenenfalls<br />
erfolgt die erste Feinanpassung.<br />
Das Probetragen der Hörgeräte<br />
sollte mindestens eine Woche umfassen.<br />
Dann folgt die Ausprobe des zweiten<br />
vom Akustiker empfohlenen Hörgerätes,<br />
danach des dritten Hörgerätes mit gleichem<br />
Prozedere. Legen Sie eine Pause<br />
ein, bevor Sie zum nächsten Hörgerät<br />
wechseln. Auch der Akustiker dokumentiert<br />
den Hörerfolg nach Hörgeräteeinstellung,<br />
Anpassmessung, Sprachverständnis<br />
und Hörgewinn.<br />
Nach dem Probetragen werden Sie ein<br />
ausführliches Gespräch mit dem Akustiker<br />
führen und sich für ein Hörgerät entscheiden<br />
– oder weitersuchen (müssen).<br />
Der HNO-Arzt wird nach erfolgreicher<br />
Ausprobe die Versorgung befürworten.<br />
Nach der so genannten Einstiegsanpassung<br />
sind häufig weitere Feinanpassungen<br />
erforderlich, bis die optimale Hörgeräte-Einstellung<br />
erreicht ist. Beachten<br />
Sie auch, dass bei langjähriger unversorgter<br />
Schwerhörigkeit das Hören mit<br />
Hörgerät erst erlernt werden muss.<br />
Hörwünsche nicht realistisch sind. �<br />
DSBreport 3/06<br />
9
<strong>Thema</strong> HÖRGERÄTEVERSORGUNG<br />
FINANZIERUNG VON HÖRGERÄTEN<br />
Die gesetzliche Krankenversicherung ist<br />
als Reha-Träger nach Sozialgesetzbuch V<br />
verpflichtet, Menschen bei Schwerhörigkeit<br />
mit Hörhilfsmitteln zu versorgen,<br />
die notwendig und geeignet sind, um die<br />
Hörbehinderung ausreichend auszugleichen.<br />
Im gleichen Gesetzbuch sind für<br />
Hörhilfen Festbeträge vorgesehen. Derzeit<br />
gilt für die medizinische Grundversorgung<br />
ein bundeseinheitlicher Festbetrag<br />
von maximal 421,28 Euro für ein<br />
Hörgerät (HdO- oder IO-Gerät). Wählt<br />
der Betroffene ein höherwertiges Hörgerät,<br />
sind Zuzahlungen fällig. Das trifft bei<br />
hochgradig schwerhörigen Menschen<br />
sowie bei Menschen mit komplizierten<br />
Hörverlusten in aller Regel zu. In solchen<br />
Fällen muss nachgewiesen werden,<br />
dass eine höherwertige Hörgeräteversorgung<br />
notwendig ist bzw. dass zum<br />
Festbetrag nicht im ausreichenden<br />
Maße versorgt werden kann.<br />
Bei Hörverlust stellt die Hörgeräteversorgung<br />
Betroffene oft vor eine<br />
Herausforderung<br />
Nutzen Sie Hörgeräte zur Ausübung<br />
einer beruflichen Tätigkeit oder stehen<br />
Sie in Ausbildung, dann können Sie bei<br />
einem weiteren Rehaträger einen Antrag<br />
auf Kostenübernahme/Kofinanzierung<br />
stellen: bei der Deutschen Rentenversicherung<br />
oder bei der Bundesagentur für<br />
Arbeit. Bei zutreffender Begründung<br />
kann einer dieser anderen Rehaträger<br />
die Zuzahlung oder gar die Gesamtkosten<br />
für eine Hörhilfe übernehmen.<br />
Auch das Integrationsamt/die Hauptfürsorgestelle<br />
kann als nachrangiger Kostenträger<br />
zur Finanzierung von Hörhilfen<br />
beitragen, wenn damit ein Arbeitsplatz<br />
für Schwerbehinderte geschaffen<br />
oder erhalten wird, und wenn andere<br />
Rehaträger diese Leistung zur Teilhabe<br />
am Arbeitsleben versagt haben.<br />
Die Verfahrensweise bei der Bearbeitung<br />
der Anträge ist kompliziert und von<br />
Bundesland zu Bundesland verschieden.<br />
Beratungsstellen, Integrationsfachdienste,<br />
Servicestellen unterstützen Sie bei der<br />
Antragstellung.<br />
>> Die Finanzierung der Hörgeräte<br />
sollten Sie genau mit dem<br />
Akustiker absprechen. > Einheitliche Regelungen<br />
in den Bundesländern<br />
fehlen! > Zähe und langwierige<br />
Widerspruchsverfahren<br />
erschweren die Lage<br />
der Antragsteller> Zuzahlungen<br />
der Krankenkassen<br />
sind nicht zu erwarten
werden kann. Vergleichsanpassungen<br />
des Akustikers bestätigen das. Dennoch<br />
ist die Krankenkasse nicht bereit, die<br />
Differenz zwischen Festbetrag und geeignetem<br />
Gerät zu übernehmen.<br />
Der Senior ist leider aufgrund seiner<br />
finanziellen Situation nicht in der Lage,<br />
eine Zuzahlung zum Festbetrag zu leisten,<br />
sodass er sich aus der Not heraus<br />
mit Festbetragsgeräten versorgen lässt.<br />
Ein Widerspruchsverfahren lehnt er ab;<br />
er findet sich damit ab, dass er in „seinem<br />
Alter eben nicht mehr richtig hören<br />
kann“. Da er mit den Festbetragsgeräten<br />
nicht gut zurecht kommt und ihm auch<br />
die laufenden Batteriekosten zu teuer<br />
sind, liegen die Hörgeräte immer häufiger<br />
im Nachtschrank und werden nur<br />
noch zu besonderen Gelegenheiten hervorgeholt.<br />
Dass hier trotz Hörgeräteversorgung<br />
eine Verständigung kaum möglich<br />
ist, liegt auf der Hand.<br />
>> Eine verbesserte<br />
Preispolitik ist notwendig >Hörgeräte können trotz<br />
laufender Verbesserung der<br />
Technik (digital) das normale<br />
Hörvermögen nicht<br />
(wieder) herstellen
<strong>Thema</strong> HÖRGERÄTEVERSORGUNG<br />
können diese Verträge nicht einsehen,<br />
obwohl hier die Leistungen für unsere<br />
Kinder beschrieben werden.<br />
Der Akustiker wählt anhand des Befundes<br />
der Uni-Klinik geeignete HdO-Geräte<br />
aus.<br />
Er weist auf eine mögliche Zuzahlung<br />
hin, falls das Kind ein Gerät aus dem den<br />
Festbetrag übersteigenden Topf auswählt.<br />
Hier haben mich schon Eltern<br />
angesprochen, ob der Akustiker überhaupt<br />
die Geräte anbietet, die dem<br />
Befund entsprechen oder ob er nicht nur<br />
die Geräte anbietet, bei denen keine<br />
Zuzahlung zu leisten ist, um dem Kindervertrag<br />
gerecht zu werden.<br />
Sucht er aber unterschiedlich passende<br />
Geräte raus, und ist das Kind nach den<br />
Trageversuchen mit einem „hochpreisigen“<br />
Gerät am besten versorgt (auch<br />
bestätigt nach den Aussagen der mit<br />
dem Kind arbeitenden Personen wie<br />
Kindergärtnerin, Lehrer, Logopäden<br />
etc.), kommt er in eine Breduollie. Laut<br />
Kindervertrag sollte er diese Geräte ja<br />
kostenlos abgeben, wer gleicht ihm aber<br />
die Mehrkosten gegenüber dem Festpreis<br />
aus? Wir Eltern sind dann erstaunt,<br />
wenn eine Zuzahlung von mehr als 2000<br />
Euro gefordert wird. Viele Eltern können<br />
das aber nicht zuzahlen (alle fünf Jahre<br />
werden neue Hörgeräte fällig).<br />
>> Hier wird meiner Meinung nach<br />
zu kurz gedacht
Bundesminister für Gesundheit (BMG)<br />
weder den Vertretern der Bundesinnung<br />
der Hörgeräte-Akustiker (BIHA) noch<br />
den Abgesandten des Deutschen<br />
Schwerhörigenbundes (DSB) erschlossen,<br />
auf welche Daten sich die<br />
Überprüfung überhaupt gründet.<br />
Dennoch stellten die Krankenkassen-<br />
Spitzenverbände in ihrer offiziellen Presseerklärung<br />
vom 16.12.2005 geradezu<br />
triumphierend fest:<br />
„...dass in fünf Bereichen die qualitativ<br />
hochwertige Versorgung der Versicherten<br />
mit Hilfsmitteln zum Festbetrag wirtschaftlich<br />
möglich ist“,<br />
hätten sich insoweit:<br />
„Festbeträge (....) auch im Bereich der<br />
Hilfsmittel als ein geeignetes Instrument<br />
zur Erschließung von Wirtschaftlichkeitsreserven<br />
erwiesen“.<br />
Da frage ich mich als Betroffener und<br />
Audiotherapeut mit langjähriger schwerhöriger<br />
Erfahrung, auch in der Beratungspraxis,<br />
was läuft hier eigentlich?<br />
Steht etwa die von den Kostenträgern<br />
gerne hervorgehobene Wirtschaftlichkeit<br />
letztlich über dem vom BVG bestä-<br />
tigten Sachleistungsgebot der ausreichenden,<br />
zweckmäßigen und qualitativ<br />
hochwertigen, zuzahlungsfreien Hörgeräte-Versorgung?<br />
Gewiss mag es in der Versorgung leichter<br />
und mittelschwerer Hörschäden Fälle<br />
geben, in denen Hörhilfen mit überdimensioniertem<br />
‚Luxus’ befrachtet sind<br />
und eine Kostenbegrenzung zur Entlastung<br />
der Versicherten-Gemeinschaft<br />
über Festbeträge durchaus gerechtfertigt<br />
ist. Doch kann dies noch lange kein<br />
ernsthaftes Argument dafür sein, sämtliche<br />
Hörschäden auf den kleinsten gemeinsamen<br />
(Kosten-)Nenner zu reduzieren!<br />
Denn unter Fachleuten ist eigentlich<br />
unbestritten, dass jeder Hörschaden<br />
individuell ist und insoweit auch individuell<br />
mit Hörhilfen versorgt werden<br />
muss. Zum Festbetrag von 421,28 Euro<br />
lässt sich dies allenfalls eingeschränkt<br />
realisieren, wie die leidige Versorgungspraxis<br />
immer wieder zeigt. In den<br />
Genuss der rechtlich verbrieften ausreichenden,<br />
zweckmäßigen und qualitativ<br />
hochwertigen Hörgeräte-Versorgung<br />
kommen nämlich längst nicht alle GKV-<br />
Versicherten. Dies belegte bereits eindrucksvoll<br />
die ‚Stiftung Warentest’ in<br />
ihrer groß angelegten Marktanalyse zu<br />
den Hörhilfen im Januar 2000. Zu ähnlichen<br />
Einsichten gelangte der Heil- und<br />
Hilfsmittel-Report der Gmünder Ersatzkassen<br />
(GEK) vom Juli 2004, der auch<br />
nach der Rechtsprechung des BVG ausdrücklich<br />
von einer Unterversorgung bei<br />
der Verordnung von Hörgeräten für<br />
Schwerhörige spricht und empfiehlt, die<br />
Festbeträge an den Grad der Schwerhörigkeit<br />
anzupassen.<br />
Wie sind nun die eher einseitig verordneten<br />
Festbeträge im Verhältnis zum<br />
Rechtsanspruch der ausreichenden,<br />
zweckmäßigen und qualitativ hochwertigen<br />
Versorgung mit der Sachleistung<br />
Hörhilfsmittel zu bewerten?<br />
Wie verhält es sich mit der im Sozialgesetzbuch<br />
(SGB) IX verbrieften Teilhabe<br />
betroffener Hörbehinderter am gesellschaftlichen<br />
Leben?<br />
Zunächst einmal ist festzustellen, dass<br />
die bereits erwähnte Festbetragsgrup- �<br />
Anzeige<br />
<strong>Thema</strong>
<strong>Thema</strong> HÖRGERÄTEVERSORGUNG<br />
pen-Regelung für Hörhilfen unter den<br />
Positionsnummern 13.20.01 bis 13.20.03<br />
ein- bzw. zweikanalige (IO) Im-Ohr- und<br />
(HdO) Hinter-dem-Ohr-Hörgeräte als<br />
festbetragsfähigen Standard festlegt.<br />
Wobei bei den einkanaligen Geräten<br />
hohe und tiefe Töne in einem Kanal analog<br />
über die elektrische, batteriebetriebene<br />
Steuerung des Mikrofons verstärkt<br />
werden, während beim 2-Kanal-Gerät<br />
hohe und tiefe Töne über jeweils getrennte<br />
Kanäle laufen. Dieser Standard<br />
bezieht sich in der Regel auf analoge,<br />
analog-digital programmierbare und<br />
einfache digitale Hörgeräte mit der Zusatzkomponente<br />
einer automatischen<br />
Lautstärkenbegrenzung (AGC = Automatic<br />
Gain Control).<br />
Die Funktionsweise dieser Hörgeräte ist<br />
im Regelfall darauf ausgelegt, den aufgetretenen<br />
Hörverlust eines Betroffenen<br />
linear, also in der Bandbreite des<br />
menschlichen Hörspektrums zwischen<br />
125 und 8000 Hertz zu verstärken. Diese<br />
Geräte sind bei einer reinen Schallleitungsstörung<br />
ein durchaus probates<br />
therapeutisches Hilfsmittel bei leichten<br />
bis mittelgradigen Hörschäden. Hiermit<br />
lassen sich nämlich die meist durch<br />
Fehlbildungen bzw. Fehlfunktionen des<br />
äußeren Ohres oder des Mittelohres hervorgerufenen<br />
Durchleitungsstörungen<br />
der akustischen Schallereignisse relativ<br />
problemlos ausgleichen und somit auch<br />
versorgen. Mit dieser Hörhilfe wird das<br />
vorher eher als leise und gedämpft empfundene<br />
Hören je nach Hörverlust in seiner<br />
Lautstärke ,auf ganzer Linie’ zwischen<br />
den Frequenzen von ca. 500 bis<br />
ca. 6000 Hertz um bis zu 50 Dezibel (dB)<br />
angehoben und in unvermeidlichen<br />
Schallspitzen durch die bereits erwähnte<br />
AGC in ihrer Lautstärke begrenzt. Damit<br />
soll verhindert werden, dass das verbliebene<br />
Restgehör nicht zusätzlich geschädigt<br />
wird.<br />
Archiv statt Papierkorb<br />
Um alte und neue Materialien (alte und neue<br />
Verbands- und Vereinsrundschreiben, Zeitschriften,<br />
Bücher, Broschüren, Diplomarbeiten,<br />
Vorträge, Aufsätze, Fotos, Briefe, Erfahrungsberichte,<br />
Gedichte, Privatnachlässe<br />
etc.) zur Behindertenbewegung (Schwerpunkt:<br />
Schwerhörigkeit/Ertaubung) bittet<br />
auch weiterhin das<br />
Behindertenarchiv<br />
Wellinghofer Str. 44<br />
44263 Dortmund (Hörde)<br />
Tel.: 0231/41 22 42, Fax: 0231/41 05 98<br />
E-Mail : behindertenarchiv@t-online.de<br />
Internet : www.behindertenarchiv.de<br />
DSBreport<br />
14<br />
Weitaus schwieriger und komplexer ist<br />
die akustische Versorgung von Schallempfindungsstörungen,<br />
also Schädigungen<br />
des Innenohres, einschließlich<br />
der Haarsinneszellen oder der nachgehenden<br />
Hörnervenbahnen. Noch komplizierter<br />
ist die Kompensation von<br />
kombinierten Störungen der Schallleitung<br />
und der Schallempfindung Betroffener.<br />
Sämtliche dieser die Hörfunktion<br />
wesentlich beeinträchtigenden und<br />
meist irreparablen Hörstörungen treten<br />
im Allgemeinen durch Überreizung in<br />
permanenten Lärmsituationen, durch<br />
Durchblutungsstörungen im Innenohr<br />
oder im Halswirbelbereich auf. Sie können<br />
ferner als Folge von Infektionskrankheiten<br />
oder durch toxische Nachwirkungen<br />
von Medikamenten oder<br />
Umweltgiften ausgelöst werden.<br />
In diesen Versorgungsfällen reicht eine<br />
,einfache’ lineare Schallverstärkung<br />
nicht aus oder wirkt gar verschlimmernd,<br />
weil bei den ungleichmäßigen<br />
Hörverlusten in einzelnen Frequenzen<br />
sehr schnell die Unbehaglichkeitsgrenze<br />
des Hörens erreicht werden kann. Wie<br />
überhaupt Menschen mit Schallempfindungsstörungen<br />
nicht selten auch lärmempfindlich<br />
sind, insbesondere, wenn<br />
der (Diskriminations-)Bereich zwischen<br />
Hörschwelle und Unbehaglichkeitsschwelle<br />
gering ist. Konkret gemeint ist<br />
hier die Spanne zwischen dem, was ein<br />
betroffener Hörgeschädigter (gerade)<br />
noch hört und den (verstärkten) Schallereignissen,<br />
die im Ohr anfangen, unangenehm<br />
zu werden oder gar weh zu tun.<br />
Die bekanntesten Schallempfindungsbzw.<br />
Innenohrstörungen sind die so<br />
genannte Alters- und Lärmschwerhörigkeit<br />
mit unterschiedlich steilen Abfällen<br />
im Hochtonbereich ab 1500 Hertz sowie<br />
die bekannte Hochtonsenke, dem auffälligen<br />
Einschnitt der Hörkurve bei 4000<br />
Hertz, meist hervorgerufen durch Knalltraumata<br />
oder ständigem Dauerlärmeinfluss<br />
im Metall verarbeitenden Gewerbe<br />
oder in Diskotheken. Ferner rechnen<br />
dazu die Tieftonschwerhörigkeit sowie<br />
asymmetrische Hörverluste. Diese<br />
Hörschäden sind insofern gravierend,<br />
weil derartige Hörstörungen sehr häufig<br />
das Spektrum des Sprachverstehens, der<br />
so genannten ,Sprachbanane’, berühren,<br />
also den Bereich zwischen ca. 25 dB und<br />
ca. 60 dB in der Frequenzbreite von ca.<br />
500 bis ca. 6000 Hertz.<br />
Anders als bei den Schallleitungsstörungen<br />
verläuft die Resthörkurve bei Schall-<br />
empfindungs- bzw. kombinierten Hörverlusten<br />
in den seltensten Fällen linear,<br />
sondern sind die Höreindrücke des<br />
Betroffenen in den einzelnen Frequenzen<br />
recht unterschiedlich. Demnach<br />
geht es hier also weniger um eine Modulation<br />
von laut und leise, als vielmehr<br />
um eine so genannte ,Fehlhörigkeit’, weil<br />
eben nicht mehr alle Schalleindrücke,<br />
die für das akustische Verstehen von<br />
gesagten Informationen notwendig sind,<br />
durchgängig zur Verfügung stehen. Eine<br />
lineare Verstärkung des Schalls reicht zur<br />
Kompensation dieser Hörschäden allein<br />
nicht mehr aus.<br />
Nach den leidvollen Erfahrungen vieler<br />
Betroffener lassen sich sämtliche dieser<br />
schwereren Hörstörungen mit den so<br />
genannten ,Festbetrags-Hörgeräten’ im<br />
Sinne einer ausreichenden, zweckmäßigen<br />
und in der Qualität gesicherten Versorgung<br />
jedoch nur schwer oder gar<br />
nicht ausgleichen. Dies gilt im Besonderen<br />
bei zur Taubheit tendierenden Hörverlusten;<br />
entgegen verschiedentlich<br />
anders lautender Werbung kann hier<br />
nämlich selbst das beste Hörgerät bis<br />
heute kein (gesundes) natürliches Hören<br />
ersetzen. Denn analoge Hörgeräte können<br />
leider nicht sauber zwischen Nutzschall<br />
(z.B. Sprache) und Störgeräuschen<br />
unterscheiden. Die analog-mechanische<br />
Schallverstärkung lässt sich nämlich nur<br />
begrenzt modulieren und verstärkt bzw.<br />
unterdrückt so Sprache und unliebsame<br />
Nebengeräusche gleichermaßen.<br />
Hingegen verfügen die neuen Hörgeräte<br />
mit digitaler Signalverarbeitung über<br />
mehrere programmierbare Kanäle, Frequenzbänder<br />
und Kompressionen, sodass<br />
der am Mikrofon eintreffende<br />
Schall je nach Bedarf verstärkt, abgeschwächt<br />
oder ganz unterdrückt werden<br />
kann. Konkret bedeutet dies, dass<br />
mehrere Mikrofonsignale über digitale<br />
Steuerungselemente in viele Teilbereiche<br />
unterteilt, gleichzeitig analysiert<br />
und mehrdimensional bearbeitet werden<br />
können. Im Ergebnis bewirkt diese<br />
hohe Schalldifferenzierung ein besseres<br />
Richtungshören. Ein besseres Richtungshören<br />
deshalb, weil genaueres<br />
Sprachverstehen sowie die Reduzierung<br />
des lästigen Rückkopplungspfeifens zugunsten<br />
einer Optimierung von Lautstärkereserven<br />
vorhanden ist.<br />
Wie diese kommunikationstechnischen<br />
Mechanismen im Einzelnen wirken und<br />
warum eine differenzierte Hörgerätetechnik<br />
für schwerhörige Menschen so
edeutsam ist, hat der Chefarzt der<br />
Baumrainklinik in Bad Berleburg, Dr.<br />
Roland Zeh, in seinem Beitrag „Barrieren<br />
– durch Technik überwindbar?“ im DSB-<br />
Report 1/2006 ( Seite 14 ff.) bereits ausführlich<br />
und eindrucksvoll dargelegt.<br />
Anknüpfend an diese grundlegenden<br />
Erkenntnisse ist aus audiotherapeutischer<br />
Sicht unbedingt zu fordern, dass<br />
Hörschäden grundsätzlich nicht nur<br />
individuell versorgt werden müssen,<br />
sondern vor allem ausdifferenzierter<br />
Hörhilfen bedürfen. Denn nur so lässt<br />
sich das so wichtige Verstehen von Sprache<br />
in geräuschvoller Umgebung entscheidend<br />
regulieren und das verordnete<br />
Hörgerät nutzbringend anwenden.<br />
Eine Reduzierung der Hörgeräte-Versorgung<br />
auf billige Gerätestandards, die<br />
noch nicht einmal elementare Bedienungselemente<br />
zur Rauschunterdrückung<br />
oder zum Richtungshören beinhalten,<br />
ist daher weder angemessen<br />
noch akzeptabel! Diese ,Standards’ entsprechen<br />
zudem nicht dem aktuellen<br />
Stand der Hörgerätetechnik, da analoge<br />
Hörgeräte kaum mehr gefertigt und<br />
angeboten werden.<br />
Festbetragsgeräte mögen wirtschaftlich<br />
sein, sie sind in Bezug auf die gebotene<br />
differenzierte Versorgung von Hörschäden<br />
jedoch weder ausreichend noch<br />
zweckmäßig, weil sie in vielen Fällen<br />
nachweislich eben nicht geeignet sind,<br />
den eingetretenen Hörverlust auch nur<br />
annähernd zu kompensieren; von der<br />
ebenfalls verfassungsgerichtlich bestätigten<br />
qualitativ hochwertigen Hörgeräte-Versorgung<br />
ganz zu schweigen. So ist<br />
die unreflektierte einseitige Festlegung<br />
der Kostenträger auf einen Gerätestandard<br />
für alle Hörschäden, wie sie in der<br />
aktuellen Festbetragsgruppenregelung<br />
dokumentiert ist, bereits im Ansatz<br />
falsch und letztlich auch kontraproduktiv!<br />
Denn selbst bei einer optimalen Hörgeräte-Versorgung<br />
ist die Gewöhnung des<br />
Patienten an das (neue) Hören und Verstehen<br />
schwierig genug, auch bei langjährigen<br />
Hörgeräteträgern. Der Hörgeschädigte<br />
muss sich nämlich physisch<br />
und psychisch erst einmal mit seiner<br />
neuen Hörhilfe vertraut machen und<br />
arrangieren. Neue Höreindrücke müssen<br />
verarbeitet und fremde, verloren<br />
gegangene Hörerinnerungen reaktiviert<br />
werden. Der Betroffene muss sein privates<br />
und berufliches Umfeld akustisch<br />
neu ausrichten. Hierbei müssen neben<br />
medizinischen und technischen Indikatoren sowie apparativen Notwendigkeiten<br />
auch subjektive, menschliche Aspekte berücksichtigt werden. Letzteres ist insofern<br />
wichtig, als die vorgegebene Verordnungspraxis im Allgemeinen auf vermeintlich<br />
objektiven Messverfahren beruht, die nicht selten schon lange gebräuchlich und<br />
überprüfungswürdig sind. So sind zum Beispiel die obligatorischen Freiburger bzw.<br />
Oldenburger Sprachtests bei betroffenen Migranten äußerst kritisch zu sehen.<br />
Im Vergleich mit den heutigen technischen Möglichkeiten der digitalen Visualisierung<br />
von Hörmessdaten ist eine Festlegung auf alte, standardisierte Sprachaudiogramme<br />
geradezu ein Qualitätsmangel im Quantensprung!<br />
Die aufgezeigte persönliche Dimension führt nämlich in der Versorgungspraxis zu<br />
dem Phänomen, dass die computergestützten Anpassungsprogramme bei akustischen<br />
Messungen selten mit dem subjektiven Hörempfinden testender Hörgeräteträger<br />
übereinstimmen. Dadurch zieht sich die Gewöhnung an die neue Hörhilfe oftmals<br />
unnötig in die Länge. Dabei erscheint bereits die gebotene Nachsorge bei einem<br />
Festbetrag von 421,28 Euro kostenmäßig äußerst knapp bemessen und ist zwangsläufig<br />
kaum in gebührender Notwendigkeit zu leisten, am wenigsten wohl durch<br />
wirtschaftlich orientierte Akustiker.<br />
In dieser Konsequenz ist der potenzielle Hörgeräteträger doppelt benachteiligt, zum<br />
einen durch den per Festbetrag auferlegten geringwertigen Gerätestandard und zum<br />
anderen durch eine unzureichende Nachsorge bei der Hörgeräte-Versorgung. Ein<br />
Ausweg aus diesem Dilemma ist unter den derzeitig vorherrschenden Rahmenbedingungen<br />
nur eine Zuzahlung Betroffener zu ihren Hörhilfen, was gleichsam die<br />
dritte hörbehinderungsbedingte Benachteiligung bedeutet, weil nämlich die wenigsten<br />
Hörgeschädigten hierzu finanziell in der Lage sind. Denn viele Lebensläufe<br />
Betroffener sind gezeichnet durch Arbeitslosigkeit und Hartz IV, weil deren schwierige<br />
Kommunikationssituation die Eingliederung Hörgeschädigter in den Arbeitsprozess<br />
doch erheblich erschwert, noch dazu in Zeiten einer schlechten Konjunktur.<br />
Umso dringlicher ist daher das vom DSB initiierte Angebot der zusätzlichen ambulanten<br />
Nachsorge betroffener Hörgeräteträger durch von ihm fachlich ausgebildete<br />
DSBreport 3/06<br />
15<br />
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�<br />
<strong>Thema</strong>
<strong>Thema</strong> HÖRGERÄTEVERSORGUNG<br />
Audiotherapeuten zu sehen. Hierdurch<br />
könnten wenigstens die Mängel in der<br />
Gewöhnung Hörgeschädigter an neue<br />
Hörhilfen ausgeglichen und dem bekannten<br />
Phänomen der vielen ‚Schubladen-Hörgeräte’<br />
wirksamer entgegen gewirkt<br />
werden.<br />
Leider ist es bislang nicht gelungen, die<br />
Widerstände der Kostenträger der GKV<br />
und anderer Interessenvertreter zur<br />
Schließung dieser bedeutenden Versorgungslücke<br />
zu überwinden.<br />
Dabei sind Notwendigkeit und Qualität<br />
einer professionellen Nachsorge Hörgeschädigter<br />
eigentlich unbestritten, wie<br />
das Beispiel der gut florierenden Cochlea-Implantat-Nachsorge<br />
eindringlich<br />
zeigt.<br />
Nicht viel anders verhält es sich mit der<br />
Gewöhnung hörgeschädigter Menschen<br />
an konventionelle Hörhilfen, insbesondere<br />
wenn sie gerade unterhalb der<br />
Schwelle für eine CI-Indikation liegen.<br />
Auch hier ist es erforderlich, den Adaptionsprozess<br />
so lange fachlich zu begleiten,<br />
bis der angestrebte Höroptimierungseffekt<br />
erzielt ist. Dies lässt sich<br />
erfolgreich dadurch erreichen, dass dem<br />
Patienten Fähigkeiten vermittelt und<br />
Werkzeuge an die Hand gegeben werden,<br />
die es ihm ermöglichen, besser mit<br />
seiner neuen Hörhilfe und der sich daraus<br />
ergebenden Situation umzugehen.<br />
Dazu gehören Hör- und Sprachtraining<br />
ebenso wie die Schulung eines neuen<br />
hörtaktischen Verhaltens im Alltag, die<br />
Akzeptanz des Erkennens von Grenzen<br />
der akustischen Kommunikation mit der<br />
Hörhilfe eingeschlossen.<br />
Wegen der häufig länger währenden<br />
Hörentwöhnung ertaubter Menschen<br />
mag bei einem CI-Patienten die Nachsorge<br />
vielleicht zwingender und intensiver<br />
sein; mir will jedoch nicht einleuchten,<br />
wieso dieser grundlegende Maßstab<br />
nicht auch für Menschen mit höhergradigen<br />
Schallempfindungsstörungen gilt,<br />
die ,nur’ das Hilfsmittel Hörgerät tragen<br />
bzw. tragen müssen und das noch nicht<br />
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DSBreport<br />
16<br />
einmal als verfassungsrechtlich gebotene<br />
Sachleistung zuzahlungsfrei. In diesem<br />
Punkt kann ich der gesundheitsrechtlichen<br />
Versorgungslogik nicht<br />
folgen, so es hier überhaupt<br />
eine gibt.<br />
Was macht bei gleichen<br />
akustischen Auswirkungen<br />
den Unterschied<br />
eines höhergradigen Hörschadens<br />
in der Indikation für ein herkömmliches<br />
Hörhilfsmittel oder für eine CI-<br />
Indikation aus?<br />
Was kann z.B. ein betroffener Hörgeschädigter<br />
dafür, dem aus physiologischen<br />
Gründen kein CI implantiert werden<br />
kann und der mit einem Hörgerät<br />
vorlieb nehmen muss, welches zur optimalen<br />
apparativen Versorgung seiner<br />
Hörstörung auf dem Markt nicht zuzahlungsfrei<br />
zu haben ist; der zudem sein<br />
Hörgerät auch nach besagtem BVG-<br />
Urteil gegen alle Widerstände und mehrere<br />
Rechtsinstanzen noch erstreiten<br />
muss, bis sich am Ende vielleicht doch<br />
noch einmal ein zuständiger Kostenträger<br />
dazu bequemt, voll zu zahlen?<br />
Während Festbeträge weder angehoben<br />
werden, noch Öffnungsklauseln für eine<br />
angemessene zuzahlungsfreie Hörgeräte-Versorgung<br />
vorgesehen sind, bezahlen<br />
hingegen die gesetzlichen Krankenkassen<br />
für eine CI-Operation Fallpauschalen<br />
von derzeit rund 40.000 Euro<br />
voll, noch dazu anstandslos! Und das<br />
alles nur, weil im Gegensatz zum ,Hilfsmittel<br />
Hörgerät’ eine CI-Operation eine<br />
medizinische Leistung und die Medizin-<br />
Lobby mächtiger ist...?!<br />
Von den höchsten<br />
Richtern verordnet:<br />
die regelmäßige Überprüfung<br />
von Festbeträgen<br />
>>Das ist weder recht<br />
noch billig!
und URTEILE<br />
cht<br />
auch eine Berufsgenossenschaft muss<br />
gegebenenfalls Hörgerätekosten übernehmen,<br />
die einen Festbetrag weit übersteigen<br />
(LSG Berlin Urteil vom 27.<br />
August 2002 L 2 U 39/00).<br />
Versorgungsämter<br />
Die gesetzliche Anspruchsgrundlage ergibt<br />
sich aus §§ 10, 11 Nr. 8, 13 BVG in<br />
Verbindung mit §§ 16 Nr. 1, 17 Abs. 1<br />
Orthopädieverordnung. Diese Vorschriften<br />
gelten zum Beispiel für Kriegsopfer,<br />
Gewalttat- oder Impfschadensopfer, deren<br />
Schwerhörigkeit als „Schädigungsfolge“<br />
behördlich anerkannt ist.<br />
Was für Krankenkassen gilt, gilt bei einer<br />
Schwerhörigkeit als anerkannte Schädigungsfolge<br />
erst recht: Die Versorgungsämter<br />
müssen Hörgerätekosten übernehmen,<br />
die einen Krankenkassen-Festbetrag<br />
gegebenenfalls weit übersteigen<br />
(vgl. Sozialgericht Koblenz Urteil vom<br />
13. Mai 1993 S 8 V 63/92).<br />
Rentenversicherung<br />
Die Rentenversicherungsträger haben<br />
einen Ermessensspielraum hinsichtlich<br />
der Kostenübernahme für eine Versorgung<br />
mit Hörgeräten. Rechtsgrundlage<br />
sind §§ 9, 16 SGB VI in Verbindung mit §<br />
33 Abs. 3 Nr. 6, Abs. 8 Satz 1 Nr. 4 SGB IX.<br />
Eine schwerhörige Steuerfachangestellte<br />
hat einen Anspruch gegenüber der Rentenversicherung<br />
auf Leistungen zur Teilhabe<br />
am Arbeitsleben erstritten. Konkreter<br />
Inhalt ihres Anspruchs: Die Kostenübernahme<br />
„dem Grunde nach“ für eine<br />
Versorgung mit digitalen automatischen<br />
Mehrkanalhörgeräten mit Störschallunterdrückung<br />
(LSG Niedersachsen-Bremen<br />
Urteil vom 28. Juni 2005 L 10 R<br />
480/05).<br />
Bundesagentur für Arbeit<br />
Auch die Bundesagentur für Arbeit hat<br />
einen Ermessensspielraum. Die Rechtsgrundlage<br />
ergibt sich aus §§ 97 ff. SGB III<br />
in Verbindung mit § 33 Abs. 3 Nr. 6, Abs.<br />
8 Satz 1 Nr. 4 SGB IX. Für eine schwerhö-<br />
rige Vertriebsassistentin, die insbesondere ständig mit Kunden telefonieren muss,<br />
kommt die Kostenübernahme für eine hochwertige Hörgeräteversorgung als Leistung<br />
zur Teilhabe am Arbeitsleben in Betracht. Zur Finanzierung einer „optimalen“<br />
Hörgeräteversorgung ist die Bundesagentur für Arbeit allerdings nicht automatisch<br />
verpflichtet (Sozialgericht Berlin Urteil vom 9. Januar 2006 77 AL 3061/05).<br />
Integrationsämter<br />
Integrationsämter können gemäß § 102 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a SGB IX in Verbindung<br />
mit § 19 SchwbAV einen Zuschuss zu den Kosten für beruflich benötigte<br />
Hörgeräte gewähren. In einem Fall aus Freiburg war zusätzlich zum Krankenkassen-Festbetrag<br />
ein Zuschuss des Integrationsamtes in Höhe von 2.586,47 Euro<br />
geleistet worden. Damit blieb immer noch eine finanzielle Eigenbeteiligung in<br />
Höhe von rund 900 Euro, die der schwerhörigen Klägerin nicht erstattet wurden;<br />
ihre Klage blieb ohne Erfolg (Verwaltungsgericht Freiburg Urteil vom 15. September<br />
2005 5 K 949/05). �<br />
DATENBANK<br />
der Hörgeräteversorgung<br />
Von Stephan Wilke, Sozialpolitischer Referent des DSB<br />
Der Deutsche Schwerhörigenbund e.V. beabsichtigt, eine Datenbank zur Hörgeräteversorgung<br />
aufzubauen. Mit der Datenbank wollen wir die Höhe der Zuzahlungen<br />
und den Anpassungsaufwand von hochgradig Hörgeschädigten in Deutschland<br />
erfassen. Wir werden im Juli dieses Jahres mit dem Projekt beginnen. Im Internet werden<br />
die Formulare zum Herunterladen zur Verfügung gestellt, sie können aber auch<br />
direkt von der Bundesgeschäftsstelle angefordert werden. Die Daten werden unter<br />
Berücksichtigung des Datenschutzgesetzes in der Geschäftsstelle aufbewahrt und<br />
bearbeitet.<br />
Was wollen wir mit der Datenbank erreichen? Wir wollen a) herausbekommen, wie<br />
viel hochgradig Hörgeschädigte für ihre Hörgeräte dazubezahlen mussten, und b)<br />
wie hoch der Anpassungsaufwand der Hörgeräte beim Hörgeräteakustiker war, d.h.<br />
wie viel Zeit musste der Betroffene beim Hörgeräteakustiker verbringen, bis das optimale<br />
Hörgerät gefunden und entsprechend angepasst wurde. Aber auch den Reparaturaufwand<br />
wollen wir erfassen, damit wir aussagekräftige Daten zur Reparaturpauschale<br />
gewinnen können.<br />
Es müssen personenbezogene Daten ausgefüllt werden, damit eine Authentizität der<br />
Daten gewährleistet ist und die wissenschaftlichen Standards der Statistik eingehalten<br />
werden. Wir wollen eine repräsentative Studie zur Hörgeräteversorgung von<br />
hochgradig Hörgeschädigten in Deutschland veröffentlichen. Es ist beabsichtigt, im<br />
Juli 2007 einen vorläufigen Zwischenbericht zu veröffentlichen, der Abschlussbericht<br />
soll im Sommer 2008 erfolgen. Beim letztgenannten Bericht wird der Anpassungsaufwand<br />
und die Reparaturpauschale von hochgradig Hörgeschädigten mit fundierten<br />
Daten bekannt gegeben, deswegen muss hier ein längerer Zeitraum der Datenerhebung<br />
eingehalten werden, um die nötigen Daten sammeln zu können.<br />
Wir wollen mit der repräsentativen Studie die Festbetragsproblematik der Hörgeräteversorgung<br />
von hochgradig Hörgeschädigten wissenschaftlich erfassen, um eine aussagekräftige<br />
Basis unserer politischen Verbandsarbeit gegenüber der Politik, Verwaltung<br />
und Krankenkassen aufstellen zu können. Bisher haben wir im Deutschen<br />
Schwerhörigenbund e.V. das Problem, dass wir über keine deutschlandweit erfassten<br />
Statistiken zur Hörgeräteversorgung verfügen. Wir haben bestenfalls exemplarische<br />
Einzelfälle parat, aber keine Sammlung der Einzelfälle. Diesem Manko wollen wir uns<br />
jetzt stellen.<br />
Daher haben wir eine dringende Bitte an Sie, liebe Mitglieder: Beteiligen Sie sich! Je<br />
mehr Daten wir sammeln und auswerten können, desto größer ist auch die Chance,<br />
dass wir mit dem Abschlussbericht eine Erleichterung bei der Hörgeräteversorgung<br />
von hochgradig Hörgeschädigten erreichen können. Die Datenbank wird ein Standbein<br />
unserer politischen Verbandsarbeit für die nächsten zwei Jahre darstellen. Ab<br />
Juli 2006 können die Formulare entweder von der Bundesgeschäftsstelle angefordert<br />
oder im Internet unter www.schwerhoerigen-netz.de herunter geladen werden. Ich<br />
werde auch der Ansprechpartner für die Ausführung und den Aufbau der Datenbank<br />
sein. Wenn Sie Fragen haben, so können Sie mich jederzeit in der Bundesgeschäftsstelle<br />
anrufen, anschreiben, anfragen etc. Über jede Frage, Anregung oder Kritik werde<br />
ich mich freuen. �<br />
DSBreport 3/06<br />
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<strong>Thema</strong>