Abstracts (pdf, 0.1 MB) - Lehrstuhl für Komparatistik
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die es erlauben, ein Verbrechen aufzuklären, den Täter zu überführen, die beschädigte soziale<br />
Ordnung wieder herzustellen – kraft der Souveränität des Intellekts, der sich über die Tyrannei<br />
des Zufalls erhebt. Die Poetik des Kriminalromans, wie sie S. S. Van Dine in den 1930er<br />
Jahren, in einer Zeit der literarischen Manifeste, vorgelegt hat, liest sich nicht zufällig eher<br />
wie die Spielanweisung einer Denksportaufgabe, nicht wie ein literarisches Programm.<br />
Während der klassische whodunit-Krimi der angelsächsischen Literatur einem Schachrätsel<br />
vergleichbar ist und mit einer poetologischen Öffnung zu einem interaktionistischen Modell<br />
den Leser zu einer Retroanalyse des Spielverlaufs einlädt, tritt in den moderneren Varianten<br />
des Kriminalromans das permutative Potenzial des Schachs als Orientierung immer weiter<br />
zurück – in den modernen Varianten des Kriminalromans sind es zumeist Konstellationen wie<br />
der Zugzwang, das erstickte Schach, der vergiftete Bauer oder der Rösselsprung, die narrativ<br />
nachgestellt werden. Während sich der britische Spionageroman von John le Carré bis Brian<br />
Freemantle vor allem durch die Entwicklung raffinierter Varianten des Bauernopfers empfiehlt,<br />
zeichnet sich die amerikanische hardboiled-Tradition des private eye-Romans von<br />
Raymond Chandler bis Mickey Spillane durch das virtuose Spiel mit den Finten des Damenopfers<br />
aus.<br />
II. Spielzüge: Schachkalkül und -repräsentation<br />
André Otto (München)<br />
Alice in der Fläche. Zur Dimensionalität des Schachspiels in Lewis Carrolls Through the<br />
Looking-Glass and What Alice Found There<br />
Bekanntermaßen kommt dem Schachspiel in Lewis Carrolls Through the Looking-Glass nicht<br />
nur eine textstrukturierende, sondern auch ein textgenerative Funktion zu. Gemäß der räumlichen<br />
Disposition des Schachbretts und den Bewegungsmöglichkeiten der Schachfiguren organisiert<br />
sich die Makrostruktur des Textes, entwickeln sich Alices Abenteuer. Darüber hinaus<br />
reagiert das Schachspiel jedoch auch auf einen transzendentalen und poetologischen Problemhorizont,<br />
den die Traumerzählung in Alice’s Adventures in Wonderland aufruft. Gegenüber<br />
den dortigen horizontalen Diskontinuitäten des Umherirrens und den bedrohlichen vertikalen<br />
Veränderungen, die sowohl auf die Traumlogik als auch auf die generativen Modelle der dem<br />
Schach kontrastierenden Spiele zu beziehen sind, ermöglicht das Schachspiel in der Spiegelwelt<br />
die Etablierung einer kontinuierlichen transzendentalen Fläche. Diese Fläche entsteht<br />
ereignishaft aus der textuellen Überlagerung des Schachspiels mit den Dispositiven des Spiegels,<br />
der Fiktion und des Traums. Mehr noch verschachteln sich diese vier Ebenen metaleptisch,<br />
indem sie sich unauflöslich gegenseitig bedingen. Damit verweigert sich der Text<br />
poetologisch aber auch radikal einer Logik der Repräsentation. Schach, Spiegel, Fiktion und<br />
Traum bilden keine Welt mehr ab, sondern produzieren die ontologisch und epistemologisch<br />
enthierarchisierte Fläche des Nonsens-Textes.<br />
Prof. Dr. Hinrich Hudde (Erlangen)<br />
"Zweispringerspott": Die Schachpartie in Samuel Becketts Roman Murphy<br />
Mein Beitrag analysiert die komisch-groteske Schachpartie gegen Ende des Romans Murphy<br />
(1938) von Samuel Beckett. Diese gliedert sich in eine ‚Anti-Eröffnung’ („Anlauf“) und die<br />
eigentliche Partie. Die männliche Titelfigur imitiert lange die absonderlichen Züge ihres schizophrenen<br />
‚Partners’, der seine schwarzen Figuren – auf der Suche nach Symmetrieeffekten –<br />
umstellt. Angesichts dieses ästhetischen Solitärs gibt sein Wärter auf und stirbt bald darauf.<br />
Ausführlich werden Becketts kommentierende Anmerkungen untersucht (im englischen<br />
Original wie in der französischen Selbstübersetzung): Diese parodieren Schachkommentare,<br />
liefern aber auch eine ironische Selbstdeutung Becketts.<br />
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