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Abstracts (pdf, 0.1 MB) - Lehrstuhl für Komparatistik

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starkten Griechenlands - zu Heinses Zeiten unter noch türkischer Herrschaft - ihre Apotheose<br />

finden soll. Und schließlich liefert der Text auch eine eigenwillige Erklärung <strong>für</strong> die militärischen<br />

Erfolge Napoleons: Er spielt als Feldherr und Schachspieler nicht nach der französischen,<br />

mit dem Namen Philidors verbundenen Schule, sondern nach der italienischen Methode<br />

der Modeneser Schule.<br />

Prof. Dr. Horst Weich (München)<br />

Schach als Schule des Lebens? Zu Ideologie und Ästhetik bei Fernando Pessoa/Ricardo<br />

Reis<br />

Schach ist geregeltes agonales Spiel. In der mit 103 Versen außergewöhnlich langen Ode „Os<br />

Jogadores de Xadrez“ („Die Schachspieler“, datiert auf den 1. 6. 1916) des neuklassischen,<br />

neo-paganen Pessoa-Heteronyms Ricardo Reis referiert der Erzähler eine Geschichte aus dem<br />

alten Persien, in der zwei Partner gegeneinander Schach spielen, unbekümmert davon, dass<br />

um sie herum ein Krieg tobt. Die Einbettung des inszenierten Kriegs auf dem Schachbrett in<br />

den ‚realen’ ermöglicht die Kontrastierung zentraler ideologischer und ästhetischer Problemlagen:<br />

Spiel vs. Ernst, Regelhaftigkeit vs. Regellosigkeit, Kalkül vs. Unvorhersehbarkeit,<br />

Selbstzweckhaftigkeit vs. Involviertheit, Gleichgültigkeit vs. Engagement, Freiheit vs. Fremdbestimmung,<br />

Sorge um sich vs. Sorge um andere. Der Doppelungsgestus wiederholt sich auf<br />

der Vermittlungsebene, insofern die Geschichte in einem ausführlichen zweiten Teil vom<br />

Erzähler besprochen und kommentiert wird. In didaktischer Manier wird die Empfehlung<br />

formuliert, es den Schachspielern gleichzutun und das Simulacrum dem Leben vorzuziehen.<br />

Auf textueller Ebene setzt sich das agonale Spiel fort, indem Ricardo Reis intertextuell in<br />

Wettstreit tritt zu Pindar und Horaz, deren Oden er – mit Vorbehalt – imitiert, aber auch zum<br />

persischen Dichter Omar Kayyam, dessen Lebensphilosophie schon der Hilfsbuchhalter<br />

Bernardo Soares – ein weiteres Heteronym Pessoas – in seinem Livro do Desassossego (Buch<br />

der Unruhe) zu schätzen wusste und den Ricardo Reis in Konkurrenz zu Epikur treten lässt.<br />

Die Pluralisierung der textuellen Ebenen des Gedichts sowie der intertextuellen Referenzen<br />

führt gleichwohl, im Gegensatz zum ausgestellten Antagonismus des Schachspiels, zu einer<br />

eindeutigen Sinngebung: Propagiert wird eine Lebensphilosophie im Zeichen eines letztlich<br />

„traurigen Epikureertums“, das Pessoa selbst seinem Heteronym Ricardo Reis zuschreibt.<br />

Prof. Dr. Leonard Olschner (London)<br />

Wolfgang Kohlhaases Hörspiel Die Grünstein-Variante und das Holocaust-Verständnis<br />

der DDR<br />

In der Literatur figuriert Schach als Metapher oder als Allegorie, jedoch selten allein als nur<br />

Schach, als Requisit unter beliebig anderen Requisiten, sondern tendenziell als Bild in der<br />

Verquickung mit einem anderen Diskurs. Das ist der allgemeine Rahmen und Ausgangspunkt<br />

der hier vorgelegten Lektüre des 1975 geschriebenen, 1976 erstgesendeten und 1977 mit dem<br />

Prix Italia ausgezeichneten Hörspiels Die Grünstein-Variante des DDR-Autors Wolfgang<br />

Kohlhaase (*1931). Eine Kontextualisierung umfasst nicht nur den Text innerhalb der Hörspielproduktion<br />

der DDR, die anders verlief als die bundesdeutsche, sondern weitere Schichten<br />

wie Judentum, Geschichte und Gesellschaft. Diese Arbeit <strong>für</strong> den Rundfunk, weder oppositionell<br />

noch staatstragend, nahm sich eines ungewöhnlichen Themas an, das, wenn in der<br />

DDR-Literatur nicht verpönt, wohl auch nicht willkommen sein oder gefördert werden konnte.<br />

Denn behutsam nähert sich Kohlhaase der Shoah, die die DDR unter dem umfassenderen<br />

Begriff des „Völkermords“ verstand, was neben anderem auch jedem Diskurs über die Einmaligkeit<br />

dieses Verbrechens die Schärfe nimmt.<br />

Im Hörspiel wird die Shoah in ihrer bewussten Vorwegnahme thematisiert, jedoch nicht<br />

lehrhaft, nicht ‚offiziell‘, sondern in der Gestalt des polnischen Juden Frajwl Grünstein, einem<br />

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