03.01.2013 Aufrufe

SCHACH IN DER SCHULE - LEBE Lehrerinnen und Lehrer Bern

SCHACH IN DER SCHULE - LEBE Lehrerinnen und Lehrer Bern

SCHACH IN DER SCHULE - LEBE Lehrerinnen und Lehrer Bern

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

schulpraxis spezial<br />

1 / 11<br />

<strong>SCHACH</strong><br />

XXXXX<br />

<strong>IN</strong> <strong>DER</strong> <strong>SCHULE</strong>


Juli 2011<br />

Herausgeber<br />

<strong><strong>Lehrer</strong>innen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong> <strong>Bern</strong> <strong>LEBE</strong><br />

Monbijoustrasse 36<br />

Postfach 7163<br />

Tel. 031 326 47 47<br />

Fax 031 326 47 48<br />

www.lebe.ch (Bereich Pädagogik)<br />

Redaktion<br />

Beat Rüegsegger<br />

rueegsi@bluemail.ch<br />

Franziska Schwab<br />

franziska.schwab@lebe.ch<br />

Etienne Bütikofer<br />

etienne.buetikofer@lebe.ch<br />

Layout / Grafik<br />

Fabian Kramer<br />

fabian.kramer@lebe.ch<br />

Bestellungen<br />

Geschäftsstelle <strong>LEBE</strong><br />

Chesspoint Switzerland, 4562 Biberist<br />

Tel. 032 672 36 06, info@chesspoint.ch<br />

Druck<br />

AST & FISCHER AG<br />

PreMedia <strong>und</strong> Druck<br />

Seftigenstrasse 310<br />

3084 Wabern<br />

Bilder<br />

Timm Bütikofer (TiBü)<br />

2<br />

schulpraxis 2/09<br />

<strong>SCHACH</strong><br />

<strong>IN</strong> <strong>DER</strong> <strong>SCHULE</strong><br />

Inhalt<br />

Weshalb Schach im Schulunterricht? 4<br />

Ni-Nuki – idealer Schach-Einstieg<br />

auf der Unterstufe 6<br />

Vereinfachte Spielformen<br />

auf der Mittel- <strong>und</strong> Oberstufe 8<br />

Andere Schachspielformen als Abwechslung 10<br />

Ideen für den Deutschunterricht 12<br />

Ideen für den Geschichtsunterricht 24<br />

Ideen für den Mathematikunterricht 28<br />

Ideen für den Musikunterricht 32<br />

Ideen für das Bildnerische Gestalten 33<br />

Arbeitsblätter 34<br />

Literatur <strong>und</strong> Links 38<br />

Liebe Leserin<br />

Lieber Leser<br />

Beat Rüegsegger,<br />

Autor dieser «schulpraxis»<br />

<strong>und</strong> Reallehrer in Huttwil,<br />

hat seine SchülerInnen ins<br />

Schachspiel eingeführt.<br />

Nun beobachtet er<br />

ihre Züge – <strong>und</strong> würde<br />

wohl am liebsten selber<br />

eingreifen.<br />

Bild: Donat Gächter<br />

3<br />

schulpraxis spezial<br />

«Es gibt nur ein Mittel, im Schachspiel unbesiegt zu<br />

bleiben. Spiele nie Schach», hat Kurt Tucholsky gesagt.<br />

Die vorliegende Ausgabe der «schulpraxis» will aber zum<br />

Schachspielen – gerade auch in der Schule – anregen. Zum<br />

Zusatzmaterialien<br />

Die erwähnten Zusatzmaterialien<br />

findet man auf der Homepage von<br />

<strong>LEBE</strong> unter www.lebe.ch, Bereich<br />

Pädagogik, schulpraxis oder dem<br />

Schweizerischen Schachb<strong>und</strong> unter<br />

www.swisschess.ch.<br />

Beispiel, weil mit diesem Spiel kognitive <strong>und</strong> soziale Fähigkeiten gefördert werden können.<br />

Das Heft zeigt den Lehrpersonen Einstiegsmöglichkeiten in das vielseitige Thema «Schach im<br />

Schulunterricht» auf <strong>und</strong> bietet fächerübergreifende Unterrichtsmaterialien an, die eins zu eins<br />

übernommen <strong>und</strong> eingesetzt werden können. Kein Ziel dieser «schulpraxis» ist es, eine f<strong>und</strong>ierte<br />

Einführung ins Schachspiel zu geben. Hierzu gibt es erprobte Fachliteratur <strong>und</strong> Lehrmittel, die<br />

in einer Literaturempfehlung am Schluss aufgeführt sind.<br />

Der Autor Beat Rüegsegger kann sich auf seine grosse Erfahrung <strong>und</strong> breiten Sachkenntnisse<br />

abstützen, die er teilweise schon in die «schulpraxis» vom März 1990 hat einfliessen lassen. In<br />

seiner Diplomarbeit für das Nachdiplomstudium «Unterricht an Realklassen» mit dem Thema<br />

«Schach im Deutsch- <strong>und</strong> fächerübergreifenden Unterricht» hat er sein Wissen noch vertieft.<br />

Jetzt gibt er es gerne weiter, damit viele SchülerInnen <strong>und</strong> Lehrpersonen die Vielfältigkeit des<br />

Schachspiels kennen lernen <strong>und</strong> Freude an diesem interessanten Spiel finden.


4<br />

schulpraxis spezial<br />

Weshalb Schach im Schulunterricht?<br />

Spiele wie Schach gewinnen in der heutigen Zeit mit<br />

den zahlreichen Ablenkungs- <strong>und</strong> Vergnügungsmöglichkeiten<br />

immer mehr an Bedeutung. Verschiedene<br />

kognitive <strong>und</strong> soziale Fähigkeiten werden spielend<br />

speziell gefördert beziehungsweise angesprochen.<br />

Das Schachspiel unterscheidet sich von<br />

allen anderen Brettspielen durch seine unermesslichen<br />

Möglichkeiten, seinen Variantenreichtum.<br />

Eine weitsichtige Planung <strong>und</strong><br />

Vorausberechnung ist nötig. Gute SpielerInnen<br />

«sehen» <strong>und</strong> berechnen sechs <strong>und</strong> mehr Züge<br />

mit Varianten voraus. Dabei dürfen sie nicht<br />

nur stur den eigenen Plan verfolgen, sondern<br />

müssen sich auch in das Gegenüber versetzen<br />

können, das ebenfalls einen Plan verwirklichen<br />

will. Dieses Wechselspiel erfordert gutes logisches<br />

Denkvermögen. Wo dieses als natürliche<br />

Begabung fehlt, kann es bis zu einem gewissen<br />

Grad gelernt werden. Allerdings nur in kleinen<br />

Schritten.<br />

Konzentration<br />

In unseren Schulen wird häufig geklagt, dass<br />

sich die Lernenden je länger je weniger konzentrieren<br />

können. Kein W<strong>und</strong>er, wenn wir<br />

bedenken, mit welchen – vor allem medialen<br />

– Reizen sie überflutet werden. Das Schachspiel<br />

kann die Voraussetzung schaffen, das<br />

verlorene Konzentrationsvermögen wieder<br />

zu aktivieren. Da ist einmal das stille Umfeld<br />

während des Spiels, das erst ein angenehmes<br />

Konzentrieren <strong>und</strong> Denken ermöglicht. Lautes<br />

Sprechen oder Lärmquellen in irgendeiner<br />

Form sind untersagt. Der Gegner darf auch<br />

nicht durch unfaire Tricks gestört werden. Für<br />

die Spielenden ist diese Ruhe zunächst oft ungewohnt,<br />

manchmal sogar beängstigend. Bald<br />

einmal empfinden sie sie aber als wohltuend<br />

<strong>und</strong> geradezu ideal, um nachdenken zu können.<br />

Damit ist der erste Schritt zu einer Steigerung<br />

der Konzentrationsfähigkeit getan.<br />

In einer zweiten Phase werden die Spielenden<br />

lernen müssen, ihre Umgebung zu vergessen,<br />

abzuschalten. Ist dieses Ziel erreicht, kann die<br />

Erweiterung der Konzentration auf die drei<br />

Aspekte einer Wettkampfschachpartie erfolgen:<br />

Partie – Uhr – Notation. Dies wird bis zur<br />

Beherrschung sehr viel Zeit in Anspruch nehmen.<br />

Können SchülerInnen eine Partie unter<br />

wettkampfmässigen Bedingungen spielen,<br />

lassen sie sich auch im Schulunterricht kaum<br />

mehr so leicht ablenken.<br />

Zeitgefühl<br />

Wenn zwei Jugendliche erstmals Schach mit<br />

der Uhr spielen <strong>und</strong> man jedem eine halbe<br />

St<strong>und</strong>e Bedenkzeit einräumt, ist die Partie<br />

ziemlich sicher nach 5 Minuten beendet, denn<br />

die Uhr zu betätigen nimmt fast mehr Zeit in<br />

Anspruch als geeignete Züge zu überlegen.<br />

Der «Uhrenanfänger» scheint eine panische<br />

Angst vor dem tickenden Ding <strong>und</strong> dem<br />

kleinen Fallblättchen zu haben, das für die<br />

notwendige Zeitkontrolle vorgesehen ist. Erst<br />

eine längere Angewöhnung lehrt ihn, die<br />

Bedenkzeit besser einzuteilen <strong>und</strong> voll auszunützen.<br />

Nach <strong>und</strong> nach stellt sich ein Zeitgefühl<br />

ein. Ein besseres Zeitgefühl lässt die Lernenden<br />

erfahrungsgemäss auch im Unterricht ruhiger<br />

<strong>und</strong> überlegter arbeiten <strong>und</strong> bessere Leistungen<br />

erzielen.<br />

Klassengefüge<br />

Wer selber Versuche im Schulschach durchgeführt<br />

hat, kann folgende Erfahrungen sicher<br />

bestätigen:<br />

Da ist einmal der Gehemmte, Schüchterne, der<br />

von der Klasse meist nicht ernst genommen,<br />

sogar gehänselt <strong>und</strong> ausgelacht wird. Vielleicht<br />

besitzt er eine besondere Schach-Begabung,<br />

die man nur zu aktivieren braucht. Er merkt<br />

plötzlich, dass er gegen seine MitschülerInnen<br />

zu bestehen vermag. Er gewinnt an Selbstvertrauen,<br />

was sich auch auf die Leistungen in<br />

anderen Schulfächern auswirken kann.<br />

Da ist der Rastlose, Vorlaute, der alles besser<br />

weiss <strong>und</strong> dem vielleicht alles zu langsam<br />

geht. Beim Schachspielen wird er bald erfahren,<br />

dass man immer wieder «unten durch<br />

Die Umgebung<br />

vergessen <strong>und</strong> sich auf<br />

das Spielbrett <strong>und</strong> die<br />

Züge des Gegenspielers<br />

konzentrieren: das<br />

lernen Kinder beim<br />

Schachspielen. Dass sie<br />

Konzentration lernen,<br />

ist in der heutigen,<br />

reizüberfluteten Zeit<br />

besonders wichtig,<br />

aber gar nicht mehr<br />

selbstverständlich.<br />

5<br />

schulpraxis spezial<br />

muss». Er muss lernen, längere Zeit still zu<br />

verweilen, nachzudenken, einen Plan zu fassen<br />

<strong>und</strong> viele Möglichkeiten abzuwägen, bevor er<br />

tatsächlich etwas unternimmt. Schachspielen<br />

kann seine Verhaltensauffälligkeiten positiv<br />

verändern.<br />

Da ist der Flüchtige, Unordentliche <strong>und</strong> Oberflächliche,<br />

der sich mehr schlecht als recht<br />

zurechtfindet <strong>und</strong> sich kaum einordnen kann.<br />

Er lernt durch das Schachspielen, sich nach<br />

genau vorgeschriebenen Regeln zu verhalten.<br />

Er muss Verantwortung sich selber gegenüber<br />

übernehmen. Dieser «Zwang» zur Ordnung<br />

<strong>und</strong> Einordnung kann sich positiv auf sein<br />

Verhalten <strong>und</strong> seine Gedankenwelt auswirken.<br />

Da ist der Aussenseiter, der sich gerne von<br />

der Gemeinschaft distanziert <strong>und</strong> wenig zu<br />

einem guten Umgang untereinander beiträgt.<br />

Er muss sich plötzlich mit der Situation auseinander<br />

setzen, dass er als Gegenüber jemanden<br />

vor sich hat, mit dem er sich eigentlich nicht<br />

befassen möchte. Die Schachregeln schaffen<br />

gleiche Voraussetzungen <strong>und</strong> stecken den<br />

Rahmen zu einem fairen Vergleich ab, den es<br />

zu akzeptieren <strong>und</strong> einzuhalten gilt. Es spielt<br />

keine Rolle, ob gegenüber ein Knabe oder<br />

ein Mädchen als Gegner bzw. Gegnerin Platz<br />

genommen hat, mit dem man im normalen<br />

Schulunterricht keinen Kontakt aufbaut.<br />

Da ist aber auch die Lehrperson, die aus ihrer<br />

Rolle schlüpft, sich mit den Lernenden auf die<br />

gleiche Ebene begibt, Spielpartnerin wird. Ein<br />

neues Vertrauensverhältnis kann entstehen,<br />

das das «Klassenklima» nachhaltig beeinflusst<br />

<strong>und</strong> sich positiv auf den übrigen Unterricht<br />

auswirkt.<br />

Da sind die Ideen des fächerübergreifenden<br />

Unterrichts. Das Schachspiel kommt dieser<br />

Art von Unterricht in idealer Weise entgegen<br />

<strong>und</strong> kann speziell in Realklassen gut umgesetzt<br />

werden, weil ja die Klassenlehrperson<br />

in der Regel in der Klasse mehrere Fächer<br />

unterrichtet.


6<br />

schulpraxis spezial<br />

Ni-Nuki – idealer Schach-Einstieg<br />

auf der Unterstufe<br />

Das Ni-Nuki-Spiel ist eine interessante Vorstufe<br />

zum Schachspiel <strong>und</strong> vermittelt erste einfache<br />

Regeln <strong>und</strong> Spielmöglichkeiten.<br />

Beispiel eines<br />

Spielbrettes mit 12 x 12 =<br />

144 Quadraten.<br />

Ni-Nuki ist ein japanisches Brettspiel, das<br />

mit dem weitaus komplizierteren Schachspiel<br />

durchaus verglichen werden kann. Das<br />

Spielbrett ist quadratisch <strong>und</strong> wird von einem<br />

Brettmuster (Liniennetz) gebildet, wobei sich<br />

die Linien rechtwinklig kreuzen <strong>und</strong> so quadratische<br />

Felder ergeben. Die Spielsteine sind<br />

weisse <strong>und</strong> schwarze, flachr<strong>und</strong>e Scheibchen.<br />

Zwei Partner spielen jeweils gegeneinander.<br />

Der eine besitzt die schwarzen, der andere die<br />

weissen Spielsteine. Gespielt wird durch das<br />

abwechselnde Setzen je eines weissen oder<br />

eines schwarzen Steines.<br />

Gesetzt wird auf die Kreuzungspunkte. Weiss<br />

beginnt die Partie durch das Setzen seines<br />

ersten Steines.<br />

Benachbart liegende Steine der gleichen Farbe<br />

bilden Ketten. Mehr als zwei Steine können<br />

eine Kette bilden, wenn sie in einer geraden<br />

Reihe ohne Lücke nachbarschaftlich verb<strong>und</strong>en<br />

liegen. Die Steine können aber auch auf<br />

der gleichen Diagonalen ohne Lücke liegen.<br />

Das Spielziel besteht dann darin, entweder<br />

eine unzerstörbare Fünferkette zu bilden<br />

oder als erster fünf Zweierketten gefangen<br />

zu nehmen.<br />

7<br />

schulpraxis spezial<br />

Kurz <strong>und</strong> einfach<br />

Dieses Spiel ermöglicht kurze <strong>und</strong> lebhafte Partien.<br />

Das Spielmaterial ist übersichtlich (Steine<br />

<strong>und</strong> Brett). Die elementaren Spielhandlungen<br />

sind höchst einfach (abwechselndes Setzen<br />

<strong>und</strong> gelegentliches Herausnehmen von eingeschlossenen<br />

gegnerischen Zweierketten).<br />

Die Spielziele sind anschaulich (Bilden einer<br />

unzerstörbaren Fünferkette oder insgesamt<br />

fünf herausgenommene Zweierketten). Die<br />

Positionscharakterisierung <strong>und</strong> -bewertung erfordert<br />

nur das Verständnis weniger einfacher<br />

Muster <strong>und</strong> Gesetzmässigkeiten.<br />

Die Spielregeln<br />

1. Man gewinnt eine gegnerische Zweierkette,<br />

indem man sie an beiden Enden durch<br />

eigene Steine einschliesst. Gefangene Zweierketten<br />

werden sofort herausgenommen<br />

<strong>und</strong> neben das Spielbrett gelegt.<br />

2. Eine eingeschlossene Zweierkette darf nicht<br />

herausgenommen werden, wenn die einschliessenden<br />

Steine schon vorher gesetzt<br />

worden sind.<br />

3. Eine freie Dreierkette ist eine Kette, die an<br />

ihren beiden Enden nicht durch gegnerische<br />

Steine eingeschlossen ist. Man darf einen<br />

Stein nicht dort setzen, wo er gleichzeitig<br />

mehrere freie Dreierketten bilden würde.<br />

4. Eine Fünferkette ist erst dann unzerstörbar,<br />

wenn sie nicht mehr durch das Fangen von<br />

Zweierketten aufgerissen oder verkürzt<br />

werden kann.<br />

5. Ketten mit mehr als 5 Steinen gewinnen<br />

nicht.<br />

6. Beim Partiebeginn begrüssen sich beide<br />

Spielenden mit einem fre<strong>und</strong>schaftlichen<br />

Händedruck.<br />

7. Beim Partieende gratuliert der Verlierer<br />

dem Gewinner. Das geschieht am besten<br />

mit einem Händedruck <strong>und</strong> den Worten.<br />

«Ich gratuliere!»<br />

8. Ein einmal gesetztes Scheibchen kann nicht<br />

zurückgenommen werden. Es gilt klar «Ge-<br />

setzt – geschehen!» (Man vergleiche hier<br />

mit der Regel «Berührt – geführt!» vom<br />

Schachspiel.)<br />

9. Ein falsch gesetztes Scheibchen kann vom<br />

Gegenspieler reklamiert werden. Es muss<br />

hierauf sofort zurückgenommen <strong>und</strong> neu<br />

gesetzt werden.<br />

10. Wird ein Scheibchen falsch gesetzt, aber<br />

vom Gegner nicht bemerkt <strong>und</strong> deshalb<br />

nicht reklamiert, so wird weitergespielt.<br />

Dies ist auch der Fall, wenn das Herausnehmen<br />

der zwei Steine einer gefangenen<br />

Zweierkette vergessen oder sogar ein Partiegewinn<br />

übersehen worden ist. Die Verantwortung<br />

liegt nur beim Spieler selbst.<br />

Man erkennt natürlich in diesem Spiel Analogien<br />

zum Schachspiel. Um eine weitere<br />

Annäherung zu erreichen, können noch «Verhaltensregeln»<br />

eingeführt werden, die zum Teil<br />

vom Schachspiel abgeleitet sind.<br />

Selber herstellen<br />

Das Spiel eignet sich auch vorzüglich als<br />

«Doppel» für Zweierteams. Auch hier wird<br />

abwechselnd gesetzt <strong>und</strong> man darf sich nicht<br />

gegenseitig beraten. Das Spiel ist leicht selber<br />

herzustellen. Es genügt, ein dünnes, quadratisch<br />

zugeschnittenes Holzbrettchen oder<br />

ein dicker, quadratischer Karton, auf dem die<br />

Felder aufgezeichnet werden. Als Scheibchen<br />

können r<strong>und</strong>e Kartonstücke oder Spielmarken<br />

von anderen Spielen verwendet werden.<br />

Es gibt verschiedene Spielmöglichkeiten mit<br />

der entsprechenden Anzahl von Spielsteinen,<br />

die Regeln bleiben aber gleich:<br />

• Brett mit 18x18 = 324 Quadraten <strong>und</strong> je 80<br />

Spielsteinen<br />

• Brett mit 16x16 = 256 Quadraten <strong>und</strong> je 70<br />

Spielsteinen<br />

• Brett mit 14x14 = 196 Quadraten <strong>und</strong> je 60<br />

Spielsteinen<br />

• Brett mit 12x12 = 144 Quadraten <strong>und</strong> je 50<br />

Spielsteinen


8<br />

schulpraxis spezial<br />

Vereinfachte Spielformen auf der<br />

Mittel- <strong>und</strong> Oberstufe<br />

Mit verschiedenen einfachen Spielformen<br />

kann der Wettkampf geübt werden.<br />

Der besondere Reiz beim Schachspielen besteht<br />

sicher darin, dass man sich schnell einmal<br />

im praktischen Spiel mit einem Partner messen<br />

kann. Nach dem Kennenlernen der Gangart<br />

der ersten Figuren, kommt schnell einmal das<br />

Bedürfnis nach einem Wettkampfvergleich<br />

auf. Um diesem Verlangen gerecht zu werden,<br />

gibt es einfache Spielformen, in der die<br />

Gangart einerseits geübt, andererseits aber<br />

das wettkampfmässige Spiel praktisch erprobt<br />

werden kann. Diese einfachen Spielformen<br />

steigern das Verständnis für die einzelnen Figuren<br />

<strong>und</strong> eignen sich bestens für frühzeitige<br />

kleine Wettkämpfe <strong>und</strong> Turniere.<br />

Das Bauernspiel<br />

Es gelten die gleichen Regeln wie in einer<br />

Schachpartie. Weiss beginnt, dann zieht<br />

Schwarz. Beide Spieler ziehen <strong>und</strong> schlagen<br />

mit ihren Bauern. Es besteht Zugpflicht. Es ist<br />

also nicht gestattet,<br />

auf einen Zug zu verzichten.<br />

Es gewinnt,<br />

wer zuerst einen<br />

Bauern auf die gegnerische<br />

Gr<strong>und</strong>reihe<br />

ziehen kann. Kann<br />

ein Spieler mit keinem<br />

Bauern mehr ziehen,<br />

weil alle Bauern<br />

blockiert sind, wird<br />

eine neue Partie mit<br />

vertauschten Farben<br />

gespielt.<br />

Das Königsspiel<br />

Dieses Spiel gleicht dem Bauernspiel. Zusätzlich<br />

spielen noch die beiden Könige mit. Auch<br />

hier besteht das Ziel darin, einen Bauern zur<br />

gegnerischen Gr<strong>und</strong>reihe durchzubringen.<br />

Der König wird da nützliche Dienste leisten.<br />

Es besteht ebenfalls Zugpflicht. Sieger ist,<br />

wer zuerst einen Bauern auf die gegnerische<br />

Gr<strong>und</strong>reihe gebracht hat, ohne dass dieser<br />

Bauer dort vom gegnerischen König geschlagen<br />

werden kann.<br />

Für die folgenden Spielformen gilt: Die Spielfarbe<br />

wird ausgelost, indem ein Spieler je<br />

einen schwarzen <strong>und</strong> einen weissen Bauern<br />

in je eine Hand nimmt <strong>und</strong> die Bauern hinter<br />

seinem Rücken einige Male vertauscht. Sein<br />

Gegenspieler wählt eine Hand aus <strong>und</strong> der<br />

darin versteckte Bauer zeigt ihm, mit welcher<br />

Farbe er das Spiel bestreitet.<br />

Weiss beginnt mit dem Setzen seiner ersten<br />

Figur. Anschliessend setzt Schwarz ebenfalls<br />

seine Figur. Dies geschieht nun abwechselnd,<br />

bis zuerst alle Figuren <strong>und</strong> dann alle Bauern<br />

gesetzt sind.<br />

Weiss darf den ersten Zug ausführen. Es wird<br />

nun immer abwechselnd mit den Figuren<br />

gezogen, wobei die Bauern aber nicht ziehen<br />

dürfen. Sieger ist derjenige Spieler, der<br />

zuerst alle gesetzten Bauern seines Gegners<br />

(oder alle gesetzten Figuren beim Damespiel),<br />

die selber nicht ziehen dürfen, mit seiner<br />

Hauptfigur (oder seinen Hauptfiguren beim<br />

Läuferspiel) geschlagen hat.<br />

9<br />

schulpraxis spezial<br />

Wer die Hauptfigur – oder die Hauptfiguren<br />

beim Läuferspiel – seines Gegners oder seiner<br />

Gegenerin schlagen kann, also diejenige Figur<br />

oder diejenigen Figuren, mit der oder denen<br />

ständig gezogen wird, ist sofort Sieger, unabhängig<br />

davon, ob sich noch viele oder nur<br />

mehr wenige Bauern oder Figuren auf dem<br />

Brett befinden.<br />

Das Turmspiel<br />

Der weisse Turm wird<br />

auf das Feld a 1, der<br />

schwarze Turm auf<br />

das Feld h 8 gesetzt.<br />

Weiss beginnt nun<br />

mit dem Setzen seines<br />

ersten Bauern.<br />

Jeder Spieler setzt abwechselnd<br />

6 Bauern.<br />

Links ein mögliches<br />

Beispiel.<br />

Das Läuferspiel<br />

Die zwei Läufer werden<br />

je auf ihr Feld in<br />

der Gr<strong>und</strong>stellung gestellt, das heisst also<br />

für Weiss auf die Felder c 1 <strong>und</strong> f 1 <strong>und</strong> für<br />

Schwarz auf die Felder c 8 <strong>und</strong> f 8. Weiss<br />

beginnt mit dem Setzen seines ersten Bauern.<br />

Jeder Spieler setzt nun abwechselnd je<br />

vier Bauern. Links ein<br />

mögliches Beispiel.<br />

Das Damespiel<br />

Weiss setzt seine Dame<br />

auf das Feld d 1,<br />

während Schwarz seine<br />

Dame auf das Feld<br />

e 8 stellt. Nun werden<br />

abwechselnd zwei<br />

Türme, ein Läufer <strong>und</strong><br />

ein Springer gesetzt.<br />

Oben rechts ein mögliches<br />

Beispiel.<br />

Das Springerspiel<br />

Weiss beginnt mit dem Setzen seines Springers<br />

entweder auf das Feld g 1 oder b 1. Schwarz<br />

setzt analog entweder auf das Feld g 8 oder<br />

b 8. Nun beginnt Weiss mit dem Setzen seines<br />

ersten Bauern. Jeder Spieler setzt abwechselnd<br />

vier Bauern. Hier ein mögliches Beispiel:


schulpraxis spezial<br />

Andere Schachspielformen als<br />

Abwechslung<br />

Wer vom Schachspiel begeistert ist <strong>und</strong> noch nach<br />

alternativen Spielmöglichkeiten sucht, kann eine<br />

der nachfolgend aufgeführten Spielarten ausprobieren<br />

<strong>und</strong> wird sicher seinen Spass damit haben.<br />

10<br />

Um die Spielstärke vor allem zwischen<br />

schwächeren <strong>und</strong> weitaus stärkeren Partnern<br />

auszugleichen, können Simultanpartien<br />

gespielt werden. Hier tritt ein Spieler gegen<br />

mehrere Gegner gleichzeitig an. Bei einer<br />

Blindpartie spielt ein Spieler ohne Ansicht<br />

des Brettes. Hier werden die gespielten Züge<br />

mündlich mitgeteilt. Bei Vorgabe-Partien<br />

überlässt ein Spieler seinem schwächeren<br />

Gegner die Wahl, eine beliebige Figur von<br />

der Gr<strong>und</strong>stellung zu entfernen oder lässt<br />

ihn bei Partiebeginn sogar zwei Züge nacheinander<br />

ausführen. Diese Formen kommen<br />

ohne Veränderung der Brettform oder der<br />

Regeln aus.<br />

Speziell sind die Bedingungen beim Blitzspiel.<br />

Wie in Turnierpartien üblich, wird auch hier<br />

mit einer Schachuhr gespielt. Beim «Blitzen»<br />

werden die Partien zeitlich begrenzt, indem<br />

z. B. jedem Spieler nur 5 Minuten Bedenkzeit<br />

für die gesamte Partie gewährt wird. Hier<br />

werden zwar weniger eventuell vorhandene<br />

Spielstärkenunterschiede ausgeglichen, dafür<br />

ist aber sichergestellt, dass keine Partie länger<br />

als 10 Minuten dauert. Einen «Stärkeausgleich»<br />

erreicht man durch das Einstellen von<br />

weniger Bedenkzeit beim stärkeren Spieler.<br />

Tendem-Schach<br />

Bekannt ist ebenfalls das Tandem-Schach,<br />

das mit Zweier-Mannschaften gespielt wird.<br />

Dabei spielt immer ein Spieler pro Mannschaft<br />

mit Weiss, der andere mit Schwarz.<br />

Wenn nun ein Spieler einen gegnerischen<br />

Stein schlägt, so hat dieser die Farbe, mit<br />

der sein Partner spielt, <strong>und</strong> er übergibt<br />

diesem die geschlagene Figur. Der Partner<br />

darf anstelle eines Zuges diese Figur nun<br />

auf einem beliebigen freien Feld seines<br />

Brettes einsetzen. Hier gibt es sogar noch<br />

verschiedene Varianten, so dürfen z. B. etwa<br />

keine Bauern eingesetzt werden. Es kann<br />

also vorkommen, dass ein Spieler mit vier<br />

Springern, drei Türmen oder einer ähnlichen<br />

Materialverteilung spielt, die Partien sind also<br />

stark taktikbetont. Figurensatz <strong>und</strong> Zugweise<br />

sind hier gleich wie beim ursprünglichen<br />

Schachspiel.<br />

Fressen <strong>und</strong> schlagen<br />

Eine faszinierende Spielart ist das Fress- oder<br />

Schlagschach. Hier besteht Schlagzwang <strong>und</strong><br />

Sieger ist derjenige, der als erster nicht mehr<br />

ziehen kann, sei es, weil alle seine Steine geschlagen<br />

sind (es gibt kein Schachgebot oder<br />

Mattsetzen!) oder weil kein legaler Zug mehr<br />

geschehen kann (Fesselungen gibt es selbstverständlich<br />

auch nicht, denn auch der König<br />

ist eine Figur wie jede andere auch!).<br />

Würfeln <strong>und</strong> Fussball<br />

Beim Würfelschach wird zunächst festgelegt,<br />

welche Schachfigur welcher Würfelzahl entspricht,<br />

also z. B.: Bauer = 1 Auge, Läufer = 2<br />

Augen, Springer = 3 Augen, Turm = 4 Augen,<br />

Dame = 5 Augen <strong>und</strong> König = 6 Augen. Vor<br />

jedem Zug wird gewürfelt <strong>und</strong> so festgelegt,<br />

welche Figur ziehen muss. Kann mit einem<br />

Bauern oder einer Figur nicht gezogen werden,<br />

gehen das Würfel- <strong>und</strong> damit das Zugrecht<br />

auf den Gegner über. Auch hier gewinnt, wer<br />

den gegnerischen König matt setzt. Das kann<br />

sogar damit geschehen, dass ein Spieler ein<br />

Schachgebot mit der gewürfelten Figur nicht<br />

abwehren kann.<br />

Beim Fussballschach gewinnt derjenige, der<br />

einen Stein auf eines der Ursprungsfelder der<br />

gegnerischen Majestäten (König <strong>und</strong> Dame)<br />

setzen kann. In Fachkreisen wird dies auch als<br />

«ein Tor schiessen» bezeichnet.<br />

Dass sie diese Partie<br />

gewinnt, bezweifelt wohl<br />

kaum jemand. Sie hat die<br />

richtigen Züge bereits<br />

ausgeheckt. Fressen <strong>und</strong><br />

schlagen ist angesagt,<br />

egal in welchem<br />

schachverwandten Spiel.<br />

11<br />

schulpraxis spezial<br />

Chess 960<br />

Besonders beliebt ist das in letzter Zeit stark<br />

in Mode gekommene Fischer-Random-<br />

Schach (benannt nach dem extravaganten<br />

<strong>und</strong> kürzlich verstorbenen amerikanischen<br />

Schachweltmeister Robert James Fischer). Es<br />

wird ebenfalls «Chess960» genannt, weil es<br />

bei der Auslosung der Startpositionen 960<br />

verschiedene mögliche Figurenanordnungen<br />

gibt. Fischer wollte mit dieser Form Partievorbereitungen<br />

seiner Gegner <strong>und</strong> frühe Remisvereinbarungen<br />

bekämpfen. Bevor eine Partie<br />

beginnt, werden die Bauern wie gewohnt auf<br />

die 2. <strong>und</strong> 7. Reihe gestellt. Die Positionen der<br />

Figuren werden nun ausgelost <strong>und</strong> es wird so<br />

gelost, dass es 2 verschiedenfarbige Läufer<br />

gibt. Um die Chancengleichheit beider Parteien<br />

zu wahren, erhält Schwarz die spiegelbildliche<br />

Gr<strong>und</strong>stellung. Beachtet werden muss<br />

ebenfalls, dass je ein Turm links <strong>und</strong> rechts des<br />

Königs zu stehen kommt, damit eine Rochade<br />

möglich ist. Dabei kann es vorkommen, dass<br />

König <strong>und</strong> Turm je einen Zug machen, nur<br />

der König zieht, König <strong>und</strong> Turm die Plätze<br />

wechseln, nur der Turm zieht oder sogar auf<br />

den Feldern a 1, b 1, e 1 <strong>und</strong> h 1 noch Figuren<br />

stehen. Alle anderen Spielregeln sind wie beim<br />

herkömmlichen Schach.<br />

Partnerschach<br />

Zum Schluss soll noch eine Form erwähnt<br />

werden, die auch ihren speziellen Reiz besitzt,<br />

gilt es doch beim Partnerschach, die Ideen<br />

<strong>und</strong> Pläne seines Partners mit den eigenen zu<br />

koordinieren <strong>und</strong> auf dem Brett zu verwirklichen.<br />

Gespielt wird hier ebenfalls – wie beim<br />

Tandem-Schach – mit Zweier-Teams, wobei<br />

aber die eine Mannschaft mit den weissen<br />

die andere mit den schwarzen Steinen spielt.<br />

Gezogen wird abwechslungsweise, d. h. ein<br />

Spieler eines Teams «überspringt» immer einen<br />

Zug, der dann von seinem Partner gespielt<br />

wird. Es gilt auch bei dieser Form, dass man<br />

sich nicht besprechen darf.


schulpraxis spezial<br />

Ideen für den Deutschunterricht<br />

Vom Kriminalroman bis zur Erlkönigparodie<br />

– das Schachspiel ist Thema in verschiedenen literarischen<br />

Erzeugnissen, die in der Schule gelesen<br />

<strong>und</strong> mit denen gearbeitet werden kann.<br />

Anmerkung:<br />

Auf der Homepage<br />

wird eine mögliche<br />

Mattsetzung des<br />

schwarzen Königs<br />

gezeigt, wie sie in<br />

diesem Gedicht<br />

geschildert wird.<br />

Gedicht: «Ein Mensch» von<br />

Eugen Roth (1895–1976)<br />

12<br />

Mit der Formel «Ein Mensch… » beginnen die<br />

Gedichte in den heiter-philosophischen Versbüchern,<br />

mit denen der Münchner Schriftsteller<br />

Eugen Roth Millionenauflagen erzielte. Das<br />

Allzumenschliche war Roths Thema. Verskomik<br />

<strong>und</strong> Wortspiele waren die Mittel, mit denen er<br />

sanfte Kritik an alltäglichen Verhaltensmustern<br />

übte. In seinem Werk «Ein Mensch» (Duncker<br />

Verlag Weimar) ist das Gedicht «Die Meister»<br />

enthalten, das sich mit dem Schachspiel auseinandersetzt:<br />

Ein Mensch sitzt da, ein schläfrig trüber,<br />

Ein andrer döst ihm gegenüber.<br />

Sie reden nichts, sie stieren stumm.<br />

Mein Gott, denkst du, sind die zwei dumm!<br />

Der eine brummt, wie nebenbei,<br />

Ganz langsam: Turm c sechs c zwei.<br />

Der andere wird allmählich wach.<br />

Und knurrt: Dame a drei g drei Schach!<br />

Der erste, weiter nicht erregt,<br />

Starrt vor sich hin <strong>und</strong> überlegt.<br />

Dann plötzlich, vor Erstaunen platt,<br />

Seufzt er ein einzig Wörtlein: matt!<br />

Und die du hieltst für niedre Geister,<br />

Erkennst du jetzt als hohe Meister!<br />

Roman: «Die Schachspielerin»<br />

von Bertina<br />

Henrichs (*1966)<br />

Die in Frankfurt am Main geborene Autorin<br />

studierte Literatur- <strong>und</strong> Filmwissenschaft <strong>und</strong><br />

lebt heute in Paris, wo sie als Filmemacherin<br />

arbeitet. 2005 schrieb sie ihren ersten Roman<br />

«Die Schachspielerin».<br />

Zum Inhalt: Als Szenerie dient die griechische<br />

Insel Naxos. Die Hauptperson ist das Zimmermädchen<br />

Eleni. Bei ihrer täglichen Arbeit in<br />

einem Hotel stösst sie im Zimmer eines französischen<br />

Ehepaares an ein Schachbrett mit<br />

einer unvollendeten Partie. Eine Figur purzelt<br />

zu Boden, Eleni stellt sie neben das Brett. Mit<br />

der betrüblichen Erkenntnis, ein geistiges<br />

Tête-à-tête gestört <strong>und</strong> eine Zauberkraft der<br />

Logik erahnt, aber nicht begriffen zu haben.<br />

Ein Wunsch, der alle Konventionen ihres bisherigen<br />

Lebens sprengt, beginnt zu reifen.<br />

Erst wird der Ehemann Panos, Automechaniker,<br />

als Lernpartner auserkoren. Sie schenkt<br />

ihm einen Schachcomputer, der allerdings<br />

bei ihm keinerlei Interesse auslöst, womit<br />

Anmerkung:<br />

Auf der Homepage<br />

werden hierzu konkrete<br />

Beispiele gezeigt.<br />

Anmerkung:<br />

Der Roman wurde<br />

im Jahre 2009 mit<br />

Sandrine Bonnaire <strong>und</strong><br />

Kevin Kline erfolgreich<br />

verfilmt. Siehe hierzu die<br />

Angaben zur DVD im<br />

Literaturverzeichnis.<br />

Auf der Homepage<br />

sind Fragebögen<br />

aufgeführt, mit denen<br />

dieser Roman in<br />

Schulklassen ausgewertet<br />

werden kann.<br />

13<br />

schulpraxis spezial<br />

nur der Weg der Selbsterkenntnis bleibt. Ihr<br />

ehemaliger <strong>Lehrer</strong> unterstützt bei heimlichen<br />

Treffen ihr Üben, Lehrbücher geben Ideen<br />

grosser Meister preis <strong>und</strong> der Computer – in<br />

der Tiefkühltruhe gut vor der Familie versteckt<br />

– versüsst die nachmittägliche Langeweile. Der<br />

Alltag gerät plötzlich aus den Fugen: Ehekrach,<br />

Unverständnis der beiden Kinder, Missachtung<br />

durch die Dorfgemeinschaft, Getratsche über<br />

ihre plötzliche Verrücktheit. Aber nichts bringt<br />

Eleni davon ab, in die Tiefen des Schachspiels<br />

vorzudringen. Schliesslich soll ihre Spielleidenschaft<br />

auf eine grosse Probe gestellt werden<br />

durch die Teilnahme an einem Schachturnier in<br />

der Hauptstadt. Die Reise nach Athen wird für<br />

Eleni der endgültige Schritt zur Emanzipation.<br />

Dies erkennt als erster ihr Trainingspartner,<br />

der ihr als ausgebildeter Apotheker nach <strong>und</strong><br />

nach Respekt zollt. Auch daheim schlägt die<br />

Stimmung um, so dass das Abenteuer einen<br />

Ausweg nimmt, der mit verkrustetem Traditionsdenken<br />

nicht möglich wäre.<br />

Obwohl einige «schachtechnische Mängel»<br />

im Buch auftauchen – zum Beispiel, dass<br />

Fernschach nicht mit dem Telefon gespielt<br />

wird, dass bei einem Angriff auf den schwarzen<br />

König die weissen Figuren nicht auf der<br />

siebten <strong>und</strong> achten Diagonalen ankommen,<br />

sondern auf der siebten <strong>und</strong> achten Reihe<br />

oder dass bei der Bauernumwandlung neben<br />

Dame, Turm <strong>und</strong> Springer auch ein Läufer<br />

möglich ist – besticht die Autorin durch gute<br />

Schachkenntnisse, was sich zum Beispiel in<br />

den Bezeichnungen der Eröffnungen <strong>und</strong><br />

Verteidigungen zeigt.<br />

Henrichs äussert sich über die wenigen im<br />

Schach auftauchenden Frauen (Seite 84):<br />

«… Das Schachspiel verlangte allerdings so<br />

viel Konzentration, dass sie darüber ihre Einsamkeit<br />

vergass. Ob künftige Meisterin oder<br />

verirrte Hochstaplerin, sie konnte nichts halb<br />

machen. Das Universum der vier<strong>und</strong>sechzig<br />

Felder verlangte nach absoluter Unterwerfung.<br />

Eleni kommunizierte auf geheimnisvolle<br />

Weise mit den grossen Erfindern der Partien.<br />

Jeder von ihnen schien ihr die Lösungen für<br />

ihre Probleme einflüstern zu wollen. Über<br />

Epochen hinweg schienen sie miteinander zu<br />

diskutieren, bestimmte Themen je nach Temperament<br />

zu untermauern oder abzulehnen.<br />

Diese Zänkereien nisteten sich in Elenis Kopf<br />

ein. Sie wusste, dass sie all diese Herren davonjagen<br />

musste, um einem Gegner mit klarem<br />

Kopf entgegen zu treten, aber sie fühlte sich<br />

schwach, eine formbare Puppe in den Händen<br />

der grossen, legendären Schmiede.<br />

In so einer Nacht des Kampfes wurde ihr<br />

bewusst, dass alle grossen Theoretiker Männer<br />

waren. Sie hatte noch nie von einer bedeutenden<br />

Schachspielerin gehört. Das Genie<br />

des Schachbretts sass offenbar irgendwo in<br />

den Hoden. Sicher nicht in denen von Panos,<br />

wohl aber in denen der Meister. Und trotzdem<br />

herrschte nicht der König über die Partie,<br />

ebenso wenig wie der Turm, der Springer oder<br />

die Dame. Nur im Zusammenspiel erhielten<br />

die Figuren ihre Bedeutung. Der Bauer war<br />

die Basis des Spiels, der kleine gehorsame<br />

Soldat, der geradewegs auf sein einziges Ziel<br />

zumarschierte: der Blockade der feindlichen<br />

Armee oder dem gesellschaftlichen Aufstieg.<br />

Er konnte zur Dame, zum Turm oder Springer<br />

werden, je nach Bedarf im Spiel. Wenn der<br />

Bauer die Seele des Spiels war, wie Philidor<br />

behauptete, so war die Dame das Herz.<br />

Irgendwo zwischen dem Bauern <strong>und</strong> der<br />

Dame, dem Schwächsten <strong>und</strong> der Stärksten,<br />

zwischen Beharrlichkeit <strong>und</strong> Macht gab es einen<br />

Platz, den Eleni einnehmen konnte. Daran<br />

musste sie sich halten. Wenn es ihr gelang, das<br />

Spiel mit ihrer eigenen Fantasie zu beleben,<br />

konnte sie gewinnen. Das Feld der abstrakten<br />

Beziehungen zu verlassen <strong>und</strong> sich die Psyche<br />

dieser Figuren zu Eigen zu machen, war der<br />

einzige Weg, den Sieg davonzutragen.<br />

Aber sobald sie wieder vor dem Schachbrett<br />

sass, gegenüber von Kouros, dessen<br />

Besorgnis sie instinktiv wahrnahm, kehrten<br />

die Meister des Scharfsinns <strong>und</strong> der Belehrung<br />

zurück <strong>und</strong> machten ihr das Leben schwer…»


Anmerkung: Auf der<br />

Homepage gibt es<br />

Informationen zu den<br />

Schach Eröffnungen. Die<br />

erwähnte «Ruy Lopez-<br />

Eröffnung» wird auch<br />

noch in der heutigen<br />

Turnierpraxis oft gespielt,<br />

ist aber unter der<br />

Bezeichnung «Spanische<br />

Partie» geläufig.<br />

14<br />

schulpraxis spezial<br />

Kriminalroman:<br />

«Die grossen Vier»<br />

von Agatha Mary Clarissa<br />

Christie (1891 – 1976)<br />

Die englische Schriftstellerin war eine der<br />

erfolgreichsten Kriminalautorinnen des 20.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts. Als Standardfiguren benützte sie<br />

für die meisten ihrer Romane den belgischen<br />

Kriminalisten Hercule Poirot oder die altjungferlichgescheite<br />

Miss Marple.<br />

Im Kapitel 11 aus «Die grossen Vier» muss<br />

sich ihr Held Hercule Poirot intensiv mit dem<br />

Schachspiel auseinandersetzen (Seiten 93<br />

<strong>und</strong> 94):<br />

«‹Mein Fre<strong>und</strong>, Sie befinden sich in einem<br />

grossen Irrtum. Die grösste Macht, das<br />

grösste Übel, welches heute auf der Welt<br />

existiert, das sind die grossen Vier. Was sie<br />

beabsichtigen, weiss niemand, aber noch nie<br />

hat es eine derartige Verbrecherorganisation<br />

gegeben. Ihr intelligentester Kopf hat in China<br />

die Leitung, ferner gibt es noch einen amerikanischen<br />

Millionär, eine Französin, übrigens<br />

eine wissenschaftliche Kapazität, <strong>und</strong> – was<br />

den vierten betrifft – ›<br />

Japp unterbrach ihn.<br />

‹Ich weiss, ich bin völlig im Bilde. Das ist<br />

nun einmal Ihr Steckenpferd. Nach <strong>und</strong> nach<br />

wird Ihnen diese Angelegenheit zur Manie,<br />

Monsieur Poirot. Aber lassen Sie uns das Gesprächsthema<br />

wechseln. Interessieren Sie sich<br />

für Schach?›<br />

RrstuvwxyS<br />

8m8<br />

7ggmgg7<br />

6#mmMmMm6<br />

5mmMMmM5<br />

4MmMmGmMm4<br />

3mMmMmmM3<br />

2GAGAMAGA2<br />

1Mm1<br />

TrstuvwxyU<br />

‹Ja, ich habe zuweilen Schach gespielt.›<br />

‹Haben Sie denn gestern das merkwürdige<br />

Spiel mit angesehen? Ein Meisterschaftsspiel<br />

zwischen zwei weltbekannten Grössen, einer<br />

davon ist während des Spiels gestorben.›<br />

‹Ich habe etwas darüber gelesen. Dr. Savaronoff,<br />

der russische Meister, war einer der<br />

Spieler, <strong>und</strong> der andere, der einem Herzschlag<br />

erlegen ist, war ein flotter junger Amerikaner<br />

namens Gilmour Wilson.›<br />

‹Ganz recht. Savaronoff schlug vor einigen<br />

Jahren Rubinstein <strong>und</strong> wurde Weltmeister.<br />

Von Wilson behauptet man, er sei ein zweiter<br />

Capablanca.›<br />

‹Ein sehr merkwürdiger Fall›, bemerkte<br />

Poirot gedankenvoll. ‹Wenn ich nicht irre, haben<br />

Sie also Interesse an der Sache?›<br />

Japp stiess ein verlegenes Lachen aus.<br />

‹Sie haben es erraten, Monsieur Poirot. Es<br />

bedeutet für mich ein Problem. Wilson war ges<strong>und</strong><br />

wie ein Fisch im Wasser, keine Spur eines<br />

Herzleidens. Sein Tod gibt uns Rätsel auf.›<br />

‹Verdächtigen Sie etwa Dr. Savaronoff, ihn<br />

aus dem Wege geräumt zu haben?› rief ich.<br />

‹Kaum›, sagte Japp trocken. ‹Ich glaube,<br />

dass nicht einmal ein Russe seinen Rivalen<br />

beseitigen würde, nur um im Schach nicht zu<br />

unterliegen; jedenfalls, soweit ich feststellen<br />

konnte, war Savaronoff der Favorit – man sagt,<br />

nur Lasker sei ihm überlegen.› Poirot nickte<br />

gedankenverloren …»<br />

Auf den Seiten 95, 97, 100, 102, 103, 104, 107<br />

<strong>und</strong> 108 sind weitere Bezüge zum Schachspiel<br />

zu finden, die hier aus Platzgründen nicht<br />

ausformuliert werden. Zitiert wird noch von<br />

Seite 105:<br />

«Hör einmal zu, mein Fre<strong>und</strong>. Dies sind die Ruy<br />

Lopez-Anfangszüge: 1. e4 e5, 2. Sf3 Sc6, 3.<br />

Lb5 – sodann wird hier die Frage erörtert, welches<br />

der beste dritte Zug für Schwarz sei, man<br />

hat die Wahl über verschiedene Gegenzüge.<br />

Es war der dritte Zug von Weiss, der Gilmour<br />

Wilson tötete. 3. Lb5, einzig <strong>und</strong> allein der<br />

dritte Zug – sagt dir das nichts?»<br />

Anmerkung: Auf<br />

der Homepage findet<br />

man eine mögliche<br />

Mattsetzung, die sich<br />

auf die erwähnten<br />

Züge in dieser Parodie<br />

bezieht <strong>und</strong> eine<br />

Gegenüberstellung mit<br />

dem Original.<br />

15<br />

schulpraxis spezial<br />

Parodie: «Erlkönig» von<br />

Eduard Vollmar (* 1935):<br />

Der Schweizer Chemiker Eduard Vollmar verbindet<br />

in seinem Buch «Schachparodien (von<br />

Goethe bis Brecht)» (1986) seine Liebe zu<br />

Schachspiel <strong>und</strong> Poesie, indem er in geschickter<br />

<strong>und</strong> amüsanter Art <strong>und</strong> Weise bekannte<br />

Gedichte der Weltliteratur mit Ausdrücken <strong>und</strong><br />

Formulierungen aus der heutigen Zeit <strong>und</strong> der<br />

Welt des Schachspiels kombiniert.<br />

Als Beispiel soll das Gedicht «Erlkönig» von<br />

Johann Wolfgang Goethe (Seite 11) gezeigt<br />

werden:<br />

RrstuvwxyS<br />

8#m#mMmm8<br />

7mMmMmgmg7<br />

6#mMmMmgm6<br />

5mMmMmM5<br />

4MmMmMmMm4<br />

3mMmMmMm3<br />

2MmMmMmGA2<br />

1mMmmMm1<br />

TrstuvwxyU<br />

Erlkönig<br />

Wer sitzt noch so spät<br />

vor dem Brett <strong>und</strong> denkt?<br />

Es ist der Meister,<br />

vom Gegner bedrängt.<br />

Er hat noch die Dame,<br />

den König <strong>und</strong> Turm<br />

<strong>und</strong> erwartet des Gegners<br />

entscheidenden Sturm.<br />

«Mein König,<br />

was birgst du<br />

so bang dein Gesicht?»<br />

«Siehst Vater<br />

du den Mattzug nicht?<br />

Den Zug, der so grausam<br />

uns unterjocht!»<br />

«Mein König, es wird nicht<br />

so heiss gekocht!»<br />

Den lockt in die Falle<br />

der Gegner geschwind,<br />

er ist schon vom Kampfe<br />

ermüdet <strong>und</strong> blind.<br />

Er sieht nicht den Springer,<br />

er fühlt nur die Not<br />

<strong>und</strong> ahnet<br />

das tödliche Schachgebot.<br />

«Mein Vater, mein Vater,<br />

jetzt macht er den Zug!»<br />

«Mein König,<br />

es ist doch nur fauler Betrug!<br />

Ich hab ihm ja eben<br />

die Dame geraubt.»<br />

Doch der König ächzt müde<br />

<strong>und</strong> senkt sein Haupt.<br />

Dem Meister grausets,<br />

er zieht noch geschwind,<br />

obgleich er dem Abgr<strong>und</strong><br />

nicht mehr entrinnt.<br />

Er glaubt, er erreiche<br />

das rettende Patt,<br />

doch wehe,<br />

o weh,<br />

sein König ist matt.


schulpraxis spezial<br />

Kurzgeschichte:<br />

«Der Schachspieler» von<br />

Friedrich Dürrenmatt<br />

(1921 – 1990)<br />

16<br />

Dürrematts Liebe zum Schachspiel offenbart<br />

sich in vielen seiner Werke. Eine spezielle Äusserung<br />

hört man in der Verfilmung zu «Der<br />

Richter <strong>und</strong> sein Henker», wo man ihn in einer<br />

Nebenrolle an einem Schachbrett sieht:<br />

«Ich bin der einzige Mensch, der auf<br />

meinem Niveau spielt», sagt Dürrenmatt,<br />

als er gefragt wird, warum er mit sich selber<br />

Schach spiele.<br />

«Sind Sie so gut?» – «Nein, so schlecht.»<br />

– «Und wer gewinnt?» – «Immer der andere.»<br />

Dürrenmatt, selbst ein passionierter Schachspieler,<br />

wies dem königlichen Spiel in seinem<br />

Schaffen etliche Rollen zu. So zeigt seine<br />

Skizze «Im Jenseits» eine Welt mit Schachbrettmustern.<br />

Unerkannte Verbrechen<br />

Die Kurzgeschichte «Der Schachspieler» wurde<br />

erstmals postum in der «Frankfurter Allgemeinen<br />

Zeitung» veröffentlicht (5. September<br />

1998). Im düsteren Prosastück erheben sich die<br />

beiden Protagonisten zu übermenschlichen<br />

Instanzen. Sie spielen um das Leben ihrer<br />

Nächsten <strong>und</strong> unwillkürlich erinnert man sich<br />

hier an die schaurige Wette in «Der Richter<br />

<strong>und</strong> sein Henker» (Seite 67): Gastmann sagt<br />

dort zu Kommissar Bärlach:<br />

«… Ein Verbrechen zu begehen nanntest<br />

du eine Dummheit, weil es unmöglich sei, mit<br />

Menschen wie mit Schachfiguren zu operieren.<br />

Ich dagegen stelle die These auf, mehr,<br />

um zu widersprechen als überzeugt, dass gerade<br />

die Verworrenheit der menschlichen Beziehungen<br />

es möglich mache, Verbrechen zu<br />

begehen, die nicht erkannt werden könnten,<br />

dass aus diesem Gr<strong>und</strong>e die überaus grösste<br />

Anzahl der Verbrechen nicht nur ungeahndet,<br />

sondern auch ungeahnt seien, also nur im<br />

Verborgenen geschehen… »<br />

Dürrenmatts Ansichten über das Schachspiel<br />

sind am eindrücklichsten in seinem Vortrag<br />

«Albert Einstein» von 1979 aus dem Band 7<br />

der Gesammelten Werke (1991) Seite 733 ff<br />

aus dem Diogenes Verlag AG Zürich nachzulesen,<br />

wo er das Weltgeschehen als ein<br />

Schachspiel beschreibt (Siehe Auszug auf der<br />

Homepage).<br />

Zum Inhalt<br />

Ein junger Staatsanwalt geht zur Beerdigung<br />

seines Vorgängers <strong>und</strong> lernt einen Richter<br />

kennen, den Fre<strong>und</strong> des verstorbenen<br />

Staatsanwalts. Während die beiden hinter<br />

dem Leichenzug dahin schreiten, erzählt<br />

der Richter, er habe jeden Monat einmal mit<br />

dem Verstorbenen Schach gespielt. Auch der<br />

Staatsanwalt ist Schachliebhaber. Der Richter<br />

will den Staatsanwalt auch zu einer Schachpartie<br />

einladen. Dieser nimmt die Einladung<br />

an. Bevor das Spiel beginnt, macht der alte<br />

Richter dem Staatsanwalt ein Geständnis. Es<br />

sei zwanzig Jahre her, dass er den verstorbenen<br />

Staatsanwalt kennen gelernt habe, <strong>und</strong><br />

zwar anlässlich der Beerdigung des Richters,<br />

dessen Nachfolger er geworden sei. Auch der<br />

eben verstorbene Staatsanwalt habe mit dem<br />

vor zwanzig Jahren verstorbenen Richter monatlich<br />

eine Schachpartie durchgeführt, <strong>und</strong><br />

zwar eine ganz besondere: Die Schachfiguren<br />

bedeuteten bestimmte Personen. Die Dame<br />

hatte die Person zu sein, die dem Spieler am<br />

nächsten stand. Von beiden Spielern wurden<br />

die Läufer mit befre<strong>und</strong>eten Pastoren oder<br />

<strong>Lehrer</strong>n, die Springer mit Rechtsanwälten oder<br />

Offizieren, die Türme mit Industriellen oder<br />

Politikern gleichgesetzt; die Bauern stellten<br />

einfache Bürger dar, Dienstmädchen oder den<br />

Milchmann.<br />

Die Regel des Schachspiels bestand darin, dass<br />

jeder Spieler, verlor er eine Figur, den Men-<br />

Anmerkung:<br />

Auf der Homepage<br />

wird kurz beschrieben,<br />

wie die in dieser<br />

Kurzgeschichte<br />

erwähnte Thematik der<br />

«Opfer» (Bauernopfer,<br />

Damenopfer,<br />

Königsmord) auch einen<br />

politischen Bezug<br />

haben kann.<br />

Der Schweizer<br />

Dramatiker,<br />

Essayist, Erzähler<br />

<strong>und</strong> Hörspielautor<br />

Dürrenmatt wollte auf<br />

gesellschaftliche <strong>und</strong><br />

moralische Widersprüche<br />

hinweisen <strong>und</strong> sein<br />

Publikum zur kritischen<br />

Reflexion bewegen.<br />

17<br />

schulpraxis spezial<br />

schen, der durch diese Figur dargestellt wurde,<br />

töten musste. Das Spiel konnte erst wieder<br />

aufgenommen werden, wenn der Mord ausgeführt<br />

worden war. Wer schachmatt gesetzt<br />

wurde, musste sich das Leben nehmen, was<br />

dazu führte, dass ein Spiel Jahrzehnte dauerte.<br />

So hatte der alte Staatsanwalt mit dem<br />

Vorgänger des alten Richters fünfzehn Jahre<br />

lang gespielt, bis er diesen mattsetzen konnte,<br />

hatte allerdings vorher – wie auch sein Gegner<br />

– seine Frau ermorden müssen. Wer das Spiel<br />

erf<strong>und</strong>en hatte, war nicht auszumachen.<br />

Der Erklärung des alten Staatsanwalts sei<br />

eine Beichte der Morde erfolgt, die dieser mit<br />

dem verstorbenen Richter begangen hätte.<br />

Seine erste Reaktion, fährt der alte Richter<br />

fort, sei gewesen, den Vorgänger des jetzigen<br />

Staatsanwalts zu verhaften. Dann habe er der<br />

Versuchung nicht widerstehen können, mit<br />

dem Staatsanwalt ein neues Spiel zu beginnen.<br />

Durch das Schachspiel hätten sie über<br />

bestimmte Personen die Macht von Göttern<br />

bekommen.<br />

Zwanzig Jahre hätten sie gespielt, es sei<br />

entsetzlich, gleichzeitig gewaltig gewesen,<br />

wenn man eine Figur habe opfern müssen.<br />

Nie vergesse er den Tag, wo er – um sich vor<br />

dem Schachmatt zu retten – seine eigene<br />

Gattin habe hergeben müssen – bis sich der<br />

alte Staatsanwalt, schachmatt gesetzt, hätte<br />

das Leben nehmen müssen. Die Morde seien<br />

nie entdeckt worden, denn niemand hätte<br />

dahinter ein so ausgefallenes Motiv wie ein<br />

Schachspiel vermuten können.<br />

«Sie können mich verhaften», sagt der<br />

Richter. Der junge Staatsanwalt denkt nach,<br />

greift nachdenklich zu den Figuren <strong>und</strong> stellt<br />

die Dame auf ihren Platz. «Ich setze meine<br />

Frau», sagt er. Der alte Richter entgegnet: «Ich<br />

setze meine Tochter», <strong>und</strong> stellt seine Dame<br />

aufs Spielbrett.


In der «Schachnovelle»<br />

spielt der Protagonist<br />

Blindpartien gegen sich<br />

selber. Zum Glück hat<br />

dieses Mädchen einen<br />

Gegner. Man sieht ihn<br />

zwar auf dem Bild nicht.<br />

Aber man ahnt, dass er<br />

mit einem kühnen Angriff<br />

rechnen muss.<br />

18<br />

schulpraxis spezial<br />

Novelle: «Schachnovelle»<br />

von Stefan Zweig<br />

(1881 – 1942):<br />

Der österreichische Schriftsteller Zweig, der<br />

1938 wegen des aufkommenden Nationalsozialismus<br />

nach Grossbritannien emigrierte<br />

<strong>und</strong> 1940 über New York ins brasilianische<br />

Exil floh, wo er 1942 Selbstmord beging,<br />

wurde durch Werke wie «Brennendes Geheimnis»<br />

(1911), «Amok» (1922), «Sternst<strong>und</strong>en<br />

der Menschheit» <strong>und</strong> «Verwirrung<br />

der Gefühle» (1927), «Baumeister der Welt»<br />

<strong>und</strong> «Ungeduld des Herzens» (1938) <strong>und</strong> «Die<br />

Welt von gestern» (1942, postum veröffentlicht)<br />

weltberühmt.<br />

Die «Schachnovelle» wurde unmittelbar<br />

nach dem Selbstmord von Zweig auf seinem<br />

Schreibtisch gef<strong>und</strong>en, bald veröffentlicht <strong>und</strong><br />

weltbekannt.<br />

Zum Inhalt der Schachnovelle<br />

Die Hauptpersonen der «Schachnovelle» sind<br />

der Schachweltmeister Mirko Czentovic <strong>und</strong> Dr.<br />

B., die auf einem Ozeandampfer eine Beratungspartie<br />

gegeneinander austragen. Die Sympathien<br />

von Zweig liegen bei Dr. B., einem Juristen, der<br />

durch die Besetzung Österreichs durch die Nazis<br />

in deutsche Gefangenschaft geraten war. Um an<br />

wichtige Informationen zu gelangen, wollten die<br />

Deutschen ihn zermürben <strong>und</strong> isolierten ihn in<br />

einem Zimmer von der Aussenwelt. Der Tortur<br />

nicht gewachsen, will Dr. B. aufgeben. Im Moment<br />

totaler Verzweiflung gerät ihm beim Gang<br />

zu einem Verhör zufällig ein Schachbuch in die<br />

Hände. Wille <strong>und</strong> Intellekt helfen ihm, sich die<br />

Regeln dieses bis anhin für ihn unbekannten<br />

Spiels anzueignen.Aus den Fetzen seines karierten<br />

Betttuchs bastelt er ein «Schachbrett», die<br />

Figuren formt er aus Brot. Schliesslich gelingt es<br />

ihm, alle 150 Partien des Buches nachzuspielen,<br />

sie auswendig zu lernen <strong>und</strong> bald Blindpartien<br />

gegen sich selber zu spielen. Diese geistige Betätigung<br />

hilft ihm, Mut zu fassen <strong>und</strong> in den Verhören<br />

bis zuletzt Widerstand zu leisten, obwohl<br />

er bald geistig verwirrt <strong>und</strong> dem Irrsinn nahe ist.<br />

Die Partie gegen Czentovic auf dem Ozeandampfer<br />

verlief analog zu der Begegnung zwischen<br />

Aljechin <strong>und</strong> Bogoljubow in Pistyan 1922,<br />

die im erwähnten Schachbuch festgehalten war.<br />

Feiner Schachkenner<br />

In seinen lyrischen Abschweifungen erweist<br />

sich Zweig als Anhänger <strong>und</strong> feiner Kenner<br />

der Schachkunst, äussert er sich doch in der<br />

«Schachnovelle» so (Seiten 21 <strong>und</strong> 22):<br />

«Ich wusste wohl aus eigener Erfahrung<br />

um die geheimnisvolle Attraktion des ‹königlichen<br />

Spiels›, dieses einzigen unter allen<br />

Spielen, die der Mensch ersonnen, das sich<br />

souverän jeder Tyrannis des Zufalls entzieht<br />

<strong>und</strong> seine Siegespalmen einzig dem Geist<br />

oder vielmehr einer bestimmten Form geistiger<br />

Anmerkung: Auf<br />

der Homepage ist die<br />

Zugfolge erwähnt, die<br />

zum Remisschluss führt.<br />

Möglichkeiten zu einer<br />

Nachbearbeitung in<br />

Schulklassen werden<br />

ebenfalls gezeigt.<br />

19<br />

schulpraxis spezial<br />

Begabung zuteilt. Aber macht man sich nicht<br />

bereits einer beleidigenden Einschränkung<br />

schuldig, indem man Schach ein Spiel nennt?<br />

Ist es nicht auch eine Wissenschaft, eine Kunst,<br />

schwebend zwischen diesen Kategorien wie<br />

der Sarg Mohammeds zwischen Himmel <strong>und</strong><br />

Erde, eine einmalige Bindung aller Gegensatzpaare;<br />

uralt <strong>und</strong> doch ewig neu, mechanisch<br />

in der Anlage <strong>und</strong> doch nur wirksam durch<br />

Phantasie, begrenzt in geometrisch starrem<br />

Raum <strong>und</strong> dabei unbegrenzt in seinen Kombinationen,<br />

ständig sich entwickelnd <strong>und</strong> doch<br />

steril, ein Denken, das zu nichts führt, eine<br />

Mathematik, die nichts errechnet, eine Kunst<br />

ohne Werke, eine Architektur ohne Substanz<br />

<strong>und</strong> nichts desto minder erwiesenermassen<br />

dauerhafter in seinem Sein <strong>und</strong> Dasein als alle<br />

Bücher <strong>und</strong> Werke, das einzige Spiel, das allen<br />

Völkern <strong>und</strong> allen Zeiten zugehört <strong>und</strong> von<br />

dem niemand weiss, welcher Gott es auf die<br />

Erde gebracht, um die Langeweile zu töten,<br />

die Sinne zu schärfen, die Seele zu spannen.<br />

Wo ist bei ihm Anfang <strong>und</strong> wo das Ende?<br />

Jedes Kind kann seine ersten Regeln erlernen,<br />

jeder Stümper sich in ihm versuchen, <strong>und</strong> doch<br />

vermag es innerhalb dieses unveränderbar<br />

engen Quadrats eine besondere Spezies von<br />

Meistern zu erzeugen, unvergleichbar allen<br />

anderen, Menschen mit einer einzig dem<br />

Schach zu bestimmten Begabung, spezifische<br />

Genies, in denen Vision, Geduld <strong>und</strong> Technik<br />

in einer ebenso genau bestimmten Vertei-<br />

RrstuvwxyS<br />

8#mmMmMm8<br />

7mMmMmM7<br />

6gmMAMmMm6<br />

5mMmMmMmM5<br />

4MmMmGmMA4<br />

3MmmMmM3<br />

2MmgmMmGm2<br />

1mMmMmM1<br />

TrstuvwxyU<br />

RrstuvwxyS<br />

8#m#mMmMm8<br />

7m#mMmMmM7<br />

6#mMmMmm6<br />

5mMmMmMmM5<br />

4MmMmMmMm4<br />

3mMmMmMmM3<br />

2mMmMmMm2<br />

1MMmMmM1<br />

TrstuvwxyU<br />

lung wirksam sind wie im Mathematiker, im<br />

Musiker, <strong>und</strong> nur in anderer Schichtung <strong>und</strong><br />

Bindung.»<br />

Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Fachmann<br />

Ernst Feder hatte Zweig am Tage vor dessen<br />

Freitod zu einer Schachpartie eingeladen <strong>und</strong><br />

hielt später in «Begegnungen» (1950) fest<br />

(Seite 45):<br />

«Ich machte diese Anregung, weil ich<br />

dachte, das Spiel, das er so liebte, würde ihn<br />

von seinen düsteren Gedanken ablenken. An<br />

sich war es kein Vergnügen, sein Gegner am<br />

schwarz-weissen Brett zu sein. Ich bin ein<br />

schwacher Spieler, aber seine Kenntnisse dieser<br />

Kunst waren so gering, dass es mich Mühe<br />

kostete, ihn gelegentlich eine Partie gewinnen<br />

zu lassen.»<br />

Kurz vorher hatte Zweig das Manuskript<br />

der Schachnovelle an Ernst Feder gesandt mit<br />

der Bitte, als «doppelter Fachmann der beiden<br />

Künste, der schachlichen <strong>und</strong> literarischen»,<br />

ihm alle Einwände gegen diese Novelle zu<br />

nennen, die «in unkorrigiertem <strong>und</strong> noch<br />

lange nicht zu Ende geführtem Zustand sei».<br />

Die Novelle wurde 1960 mit Curd Jürgens,<br />

Mario Adorf <strong>und</strong> Hansjörg Felmy verfilmt.<br />

Siehe hierzu die Angaben zur DVD im Literaturverzeichnis.


schulpraxis spezial<br />

Märchen: «Der Knabe mit<br />

den Karos im Kopf»<br />

von Richard Reich (* 1961):<br />

20<br />

Der Schweizer Journalist Richard Reich verfasste<br />

für das «NZZ FOLIO Nr. 1 / 2007» das<br />

folgende Sportmärchen mit dem Titel «Der<br />

Knabe mit den Karos im Kopf» (Seite 13):<br />

«Es lebte einst ein Knabe, der war der Stolz<br />

seiner Eltern. Er war schnurgerade gewachsen<br />

<strong>und</strong> auch sonst ordentlich anzusehen. Er hatte<br />

festes Haar, eine gute Haut <strong>und</strong> ehrliche<br />

Augen. Er war liebenswürdig <strong>und</strong> hilfsbereit.<br />

Er war ernsthaft <strong>und</strong> doch nicht verbissen. Er<br />

war anspruchsvoll, aber nur gegen sich selber.<br />

Denn dieser Junge war von einer Intelligenz,<br />

die manchmal schmerzte.<br />

Kaum auf der Welt, konnte der Knabe<br />

rascher zählen als Vater <strong>und</strong> Mutter. Kaum<br />

im Kinder-garten rechnete er schneller als die<br />

Gymnasiallehrer, in deren Lektionen er sich<br />

dereinst langweilen sollte. Kaum im Gymnasium,<br />

wusste der Junge erst recht nicht mehr,<br />

wohin mit seiner Intelligenz. Sein heisser<br />

Kopf vibrierte wie ein Kochtopf, dessen Inhalt<br />

niemand abzu-schöpfen wusste – nicht seine<br />

Eltern, die ihn mehr bew<strong>und</strong>erten als betreuten;<br />

nicht seine <strong>Lehrer</strong>, für die er kein Kind war,<br />

sondern ein Problem; nicht die Schulkameraden,<br />

die er abstiess wie Ölzeug das Wasser.<br />

Auch sonst hatte der Bub seine Eigenheiten,<br />

zum Beispiel ging er andauernd aufs<br />

Klo. Wann genau er damit begonnen hatte,<br />

wusste niemand zu sagen. Jedenfalls sass<br />

der Junge eines Tages wie selbstverständlich<br />

in der Schulbank, die sich am nächsten bei<br />

der Zimmertür befand. Von diesem Platz aus<br />

blickte er während des ganzen Unterrichts<br />

ohne Unterbruch auf die Wandtafel.<br />

Er tat das auch, wenn es dort nichts zu lesen<br />

gab. Wurde er aufgerufen, sagte er immer<br />

das Richtige, <strong>und</strong> nach jeder korrekten Antwort<br />

erhob er sich, um zur Toilette zu gehen.<br />

In Mathematik- oder Physikst<strong>und</strong>en konnte das<br />

alle fünf Minuten vorkommen. Falls ihn einer<br />

der <strong>Lehrer</strong> auf sein ungewöhnliches Verhalten<br />

ansprach, sagte er nur: ‹Mir ist heiss.› Und<br />

darauf ging er ohne weiteres aus dem Zimmer.<br />

Obwohl der Knabe im Lauf der Zeit<br />

immer seltener befragt oder überhaupt angesprochen<br />

wurde, verliess er das Schulzimmer<br />

immer öfter. Bald verbrachte er ganze<br />

Lektionen auf der Toilette. Dadurch verpasste<br />

er Prüfungen, erhielt ungenügende Zensuren<br />

sowie schlechte Betragensnoten. Aber<br />

der Knabe nahm das nicht zur Kenntnis. Er<br />

fühlte sich wohl in der Schulhaustoilette.<br />

Dort war es zu allen Jahreszeiten kühl, man<br />

blieb meistens ungestört, <strong>und</strong> der Geruch der<br />

verschiedenen Lösungs- <strong>und</strong> Reinigungsmittel<br />

hatte etwas Beruhigendes. Der Boden war so<br />

blank gebohnert, dass man bedenkenlos eine<br />

heisse Wange, eine glühende Stirn auf die<br />

kalten Kacheln legen konnte. Diese Kacheln<br />

waren von quadratischer Form <strong>und</strong> in einem<br />

Karomuster ausgelegt, immer abwechselnd<br />

schwarz <strong>und</strong> weiss.<br />

Am Fenster hatte es einen niedrigen, kaputten<br />

Heizkörper. Dort sass der Knabe <strong>und</strong><br />

wartete, dass der Tag, dass der Unterricht,<br />

dass das Leben vorüberging. Während er<br />

wartete, starrte er mit gesenktem Kopf auf die<br />

Karos <strong>und</strong> spielte Schach. Das Spielfeld wurde<br />

von acht mal acht Kacheln gebildet, die den<br />

Boden zwischen Heizkörper <strong>und</strong> Waschbecken<br />

bedeckten.<br />

Mehr brauchte der Knabe nicht. Er bedurfte<br />

keiner Holz- oder Elfenbeinfiguren <strong>und</strong> auch<br />

keines Gegenspielers. Mit halb geschlossenen<br />

Augen schob er in hohem Tempo unsichtbare<br />

Bauern, fliegende Pferde <strong>und</strong> schwebende Königinnen<br />

umher. Ebenso mühelos wechselte er<br />

zwischen zwei Zügen im Geiste die Seiten. Das<br />

Resultat blieb das gleiche: jede Partie endete<br />

unentschieden.<br />

Eines Tages ging der Knabe überhaupt<br />

nicht mehr ins Klassenzimmer, sondern suchte<br />

gleich nach dem ersten Läuten die Schülertoilette<br />

auf; noch in derselben Woche flog<br />

er vom Gymna-sium. Statt nach Hause ging<br />

Illustration:<br />

Markus Roost.<br />

Mit fre<strong>und</strong>licher<br />

Genehmigung<br />

von NZZ Folio.<br />

21<br />

schulpraxis spezial<br />

der Knabe nun ins städtische Hallenbad. Dort<br />

schloss er sich in die Toilette ein <strong>und</strong> legte seinen<br />

kochenden Kopf auf die hellblauen, nach<br />

Chlor <strong>und</strong> Javel-wasser duftenden Kacheln.<br />

Eine St<strong>und</strong>e blieb er reglos liegen. Dann ging<br />

er zum Bahnhof, fuhr in die Hauptstadt <strong>und</strong><br />

wurde Schachweltmeister.»<br />

Kommentar<br />

Reich nimmt in seinem Märchen Bezug auf<br />

den Schach-Weltmeisterschaftskampf vom<br />

Oktober 2006 in Elista / Kalmückien, wo der<br />

Russe Wladimir Kramnik den Bulgaren Weselin<br />

Topalov als Titelverteidiger besiegte <strong>und</strong> damit<br />

neuer Schachweltmeister wurde. Im Laufe des<br />

Wettkampfs suchte Kramnik derart häufig<br />

die Toilette auf, dass sein entnervter Gegner<br />

– erfolglos – Protest einlegte. Er äusserte<br />

die Vermutung, dass Kramnik elektronische<br />

Hilfsmittel in Anspruch nehme, obwohl zuvor<br />

alle Aufenthaltsorte im Turniergebäude akribisch<br />

mit Metalldetektoren abgesucht worden<br />

waren. Auf dem Höhepunkt der Affäre<br />

schaltete sich sogar der russische Präsident<br />

Putin persönlich ein, um den Wettkampf vor<br />

dem Abbruch zu retten. Zum Präsidenten der<br />

FIDE (Fédération internationale des échecs),<br />

Iljumschimow, der Präsident der russischen<br />

Teilrepublik ist (<strong>und</strong> damit wohl ein direkter<br />

«Untergebener» des russischen Präsidenten),<br />

soll Putin gesagt haben: «Das kann doch nicht<br />

sein, dass sich zwei so intelligente Leute über<br />

Toiletten streiten!»<br />

(Zitiert aus einem Interview im «Schach Magazin<br />

64» Nr. 24 / 2006)


Die Mächte des Bösen<br />

schrecken ab <strong>und</strong><br />

faszinieren gleichzeitig.<br />

Bei Harry Potter<br />

begegnet man ihnen<br />

immer wieder.<br />

Weshalb nicht auch<br />

in der Schule?<br />

22<br />

schulpraxis spezial<br />

Phantastische Erzählung:<br />

«Harry Potter <strong>und</strong> der Stein<br />

der Weisen» von Joanne Kathleen<br />

Rowling (* 1965):<br />

Die walisische Schriftstellerin J. K. Rowling<br />

schuf mit dem Zauberlehrling Harry Potter<br />

eine auf der ganzen Welt begeisternde Identifikationsfigur.<br />

Nach dem Studium arbeitete<br />

sie als Englisch- <strong>und</strong> Französischlehrerin in<br />

Paris <strong>und</strong> Portugal. Später arbeitslos <strong>und</strong> von<br />

der Sozialhilfe abhängig, begann die allein<br />

erziehende Mutter in Edinburgh, die seit etwa<br />

1992 gedanklich entwickelte Geschichte Harry<br />

Potters niederzuschreiben. Sie verschickte das<br />

Manuskript ihres ersten Buches ab 1995 an<br />

mehrere Verlage. Der erste Band «Harry Potter<br />

<strong>und</strong> der Stein der Weisen» kam 1997 heraus.<br />

Harry Potter kommt darin als Zauberlehrling<br />

an die Hogwarts-Zauberschule <strong>und</strong> erfährt<br />

nicht nur alles über seine wahre Vergangenheit,<br />

sondern sieht sich auch erstmals mit den<br />

Mächten des Bösen konfrontiert.<br />

Von Schachmenschen<br />

Es gibt einige Stellen, wo das Schachspiel<br />

erwähnt wird (Seite 217):<br />

Ron brachte Harry auch Zauberschach<br />

bei. Das ging genauso wie Muggelschach,<br />

ausser dass die Figuren lebten, <strong>und</strong> so war es<br />

fast das Gleiche, wie Truppen in eine Schlacht<br />

zu führen. Wie alles andere, das Ron besass,<br />

hatte es einst jemandem aus seiner Familie<br />

gehört – in diesem Fall seinem Grossvater.<br />

Allerdings waren die alten Schachmenschen<br />

überhaupt kein Nachteil. Ron kannte sie so<br />

gut, dass er sie immer mühelos dazu bringen<br />

konnte, genau das zu tun, was er wollte.<br />

Harry spielte mit Schachmenschen, die ihm<br />

Seamus Finnigan geliehen hatte, <strong>und</strong> die<br />

trauten ihm überhaupt nicht. Er war noch<br />

kein guter Spieler <strong>und</strong> sie riefen ihm ständig<br />

Ratschläge zu, allerdings widersprüchliche,<br />

was ihn heftig verwirrte: «Schick mich ja nicht<br />

dorthin, siehst du denn nicht seinen Springer?<br />

Schick doch den da, auf den können wir<br />

verzichten.»<br />

Textauszug auf Seite 306:<br />

«Harry <strong>und</strong> Hermine sahen schweigend<br />

zu, wie Ron nachdachte. Schliesslich sagte<br />

er: ‹Hört mal, seid nicht beleidigt, aber<br />

keiner von euch beiden ist besonders gut<br />

im Schach.› ‹Wir sind nicht beleidigt,› sagte<br />

Die phantastische<br />

Erzählung wurde im Jahre<br />

2001 mit Daniel Radcliffe,<br />

Rupert Grint <strong>und</strong> Emma<br />

Watson erfolgreich<br />

verfilmt. Siehe hierzu die<br />

Angaben zur DVD im<br />

Literaturverzeichnis.<br />

Eine mögliche<br />

Mattsetzung, wie sie hier<br />

geschildert wird:<br />

23<br />

schulpraxis spezial<br />

Harry rasch. «Sag uns einfach, was wir tun<br />

sollen.› ‹Gut. Harry, du nimmst den Platz<br />

dieses Läufers ein, <strong>und</strong> Hermine, du stellst<br />

dich neben ihn an die Stelle dieses Turms.›<br />

‹Was ist mit dir?› ‹Ich bin ein Springer›, sagte<br />

Ron. Die Schachfiguren hatten offenbar zugehört,<br />

denn in diesem Augenblick kehrten<br />

ein Springer, ein Läufer <strong>und</strong> ein Turm den<br />

weissen Figuren den Rücken <strong>und</strong> schritten<br />

vom Platz. Sie liessen drei leere Quadrate<br />

zurück, auf denen Harry, Ron <strong>und</strong> Hermine<br />

ihre Plätze einnahmen. ‹Weiss zieht im Schach<br />

immer zuerst›, sagte Ron <strong>und</strong> spähte über<br />

das Brett. ‹Ja … schaut …›. Ein weisser Bauer<br />

war zwei Felder vorgerückt. Ron begann die<br />

schwarzen Figuren zu führen. Wo immer er<br />

sie hinschickte, sie rückten schweigend auf ihre<br />

Plätze. Harry zitterten die Knie. Was, wenn<br />

sie verloren? ‹Harry, rück vier Felder schräg<br />

nach rechts.› Richtig mit der Angst zu tun<br />

bekamen sie es erst, als der andere Springer<br />

geschlagen wurde. Die weisse Dame schlug<br />

ihn zu Boden <strong>und</strong> schleifte ihn vom Brett, wo<br />

er mit dem Gesicht nach unten bewegungslos<br />

liegen blieb. ‹Ich musste das zulassen›, sagte<br />

Ron erschüttert. ‹Deshalb kannst du jetzt<br />

diesen Läufer schlagen, Hermine, geh los.›<br />

Wenn die Weissen eine ihrer Figuren schlagen<br />

RrstuvwxyS<br />

8#m#mMmMm8<br />

7mMmMmgm7<br />

6#mMmMmg6<br />

5mMmMMm5<br />

4MmMmMMm4<br />

3mMmMmMmM3<br />

2MAMMAGm2<br />

1mMmMm1<br />

TrstuvwxyU<br />

konnten, zeigten sie niemals Gnade. Nach<br />

kurzer Zeit lagen haufenweise übereinander<br />

gekrümmte schwarze Spieler entlang der<br />

Wand. Zweimal bemerkte Ron gerade noch<br />

rechtzeitig, dass Harry <strong>und</strong> Hermine in Gefahr<br />

waren. Er selbst jagte auf dem Brett umher<br />

<strong>und</strong> schlug fast so viele weisse Figuren, wie<br />

sie schwarze verloren hatten.<br />

‹Wir haben es gleich geschafft›, murmelte<br />

er plötzlich. ‹Lasst mich nachdenken … lasst<br />

mich nachdenken …› Die weisse Königin<br />

wandte ihm ihr leeres Gesicht zu. ‹Ja …›, sagte<br />

Ron leise, ‹das ist die einzige Chance … Ich<br />

muss geschlagen werden.› ‹NE<strong>IN</strong>!› riefen Harry<br />

<strong>und</strong> Hermine. ‹So ist es eben im Schach!›,<br />

herrschte Ron sie an. ‹Manchmal muss man<br />

opfern! Ich springe vor <strong>und</strong> sie schlägt mich,<br />

dann könnt ihr den König schachmatt setzen.<br />

Harry!› ‹Aber – ›. ‹Willst du Snape aufhalten<br />

oder nicht?› ‹Ron – ›. ‹Hör zu, wenn du dich<br />

nicht beeilst, dann ist er mit dem Stein auf<br />

<strong>und</strong> davon!›<br />

Darauf gab es nichts mehr zu sagen.<br />

‹Fertig?›, rief Ron mit blassem Gesicht, aber<br />

entschlossen. ‹Ich springe, <strong>und</strong> trödelt nicht,<br />

wenn ihr gewonnen habt.› Er sprang vor <strong>und</strong><br />

die weisse Dame stürzte sich auf ihn. Mit<br />

ihrem steinernen Arm schlug sie Ron heftig<br />

gegen den Kopf <strong>und</strong> er brach auf dem Boden<br />

zusammen. Hermine schrie, blieb aber auf<br />

ihrem Feld. Die weisse Dame schleifte Ron<br />

zur Seite. Offenbar hatte sie ihn bewusstlos<br />

geschlagen. Harry ging mit zitternden Knien<br />

drei Felder nach links.<br />

Der weisse König nahm seine Krone ab<br />

<strong>und</strong> warf sie Harry zu Füssen. Sie hatten gewonnen.<br />

Die Schachfiguren verbeugten sich<br />

zum Abschied <strong>und</strong> gaben die Tür auf ihrer<br />

Seite frei. Mit einem letzten verzweifelten Blick<br />

zurück auf Ron stürmten Harry <strong>und</strong> Hermine<br />

durch die Tür <strong>und</strong> rannten den nächsten Gang<br />

entlang.»


24<br />

schulpraxis spezial<br />

Ideen für den Geschichtsunterricht<br />

Hätten Christoph Kolumbus die Neue Welt ohne<br />

Schach entdeckt oder Napoleon die halbe Welt unterworfen?<br />

Geschichtsunterricht bringt es an den Tag.<br />

Entdeckung Amerikas<br />

durch Christoph Kolumbus<br />

(1451 – 1506):<br />

Dass sogar die Entdeckung Amerikas dem<br />

Schachspiel zu verdanken ist, schildert Edward<br />

Lasker (1885 – 1981) in seinem Buch<br />

«Schachabenteuer». Er fand im Archiv von<br />

Cordoba zwei Briefe von Hernando del Pulgar,<br />

dem Biografen von König Ferdinand <strong>und</strong><br />

Königin Isabella, die vom 2. <strong>und</strong> 4. Februar<br />

1492 datiert sind. Darin wird geschildert, wie<br />

der verärgerte Kolumbus Spanien verlassen<br />

wollte – sechs Monate vor seiner ersten<br />

Amerikareise – weil Ferdinand sich hartnäckig<br />

weigerte, ihm den Admiralstitel zu verleihen.<br />

Die Nachricht der bevorstehenden Abreise<br />

erreichte den Königshof, als Ferdinand gerade<br />

gegen einen seiner ständigen Schachpartner<br />

<strong>und</strong> Lieblingsgegner, Fonseca, am Brett sass.<br />

Isabella wurde gebeten, zugunsten von Kolumbus<br />

zu intervenieren, wusste aber nur zu<br />

gut, dass eine Störung ihres geliebten Gatten<br />

beim Schachspiel nicht zu empfehlen war <strong>und</strong><br />

dass alles von seiner Laune abhing. Ferdinand,<br />

RrstuvwxyS<br />

8mmMmM8<br />

7mMMmMmM7<br />

6#mMmGmMm6<br />

5mMmMmmM5<br />

4MAMmMmm4<br />

3mmMmMm3<br />

2MmMmMmMm2<br />

1mMMMmM1<br />

TrstuvwxyU<br />

Die letzten fünf Züge des<br />

Königs Ferdinand<br />

1.) T g 8 + T x g 8<br />

2.) T f 8 + T x f 8<br />

3.) e 7 + (Abzugsschach) T f 5<br />

4.) L x f 5 + D e 6<br />

5.) L x e 6 matt!<br />

dessen Stimmung sich bei Niederlagen noch<br />

mehr verschlechterte als bei Unterbrechungen,<br />

schien indessen hoffnungslos verloren. Er war<br />

mit Weiss am Zug.<br />

«Plötzlich flüsterte Hernando del Pulgar<br />

der Königin ins Ohr: ‹Wenn seine Hoheit richtig<br />

spielt, gewinnt er in 5 Zügen.› Ferdinand<br />

wollte gerade die falsche Figur ergreifen,<br />

als Isabella ihn unterbrach: ‹Wollen Sie nicht<br />

gewinnen?› Der König zog die Hand zurück<br />

<strong>und</strong> brütete erneut über der Stellung, bis er<br />

die gewinnbringende Abwicklung entdeckte.<br />

Er schaute auf, lächelte, zog <strong>und</strong> siegte – <strong>und</strong><br />

erfüllte den Wunsch der Königin. Ein Reiter<br />

holte den emigrierenden Kolumbus zurück,<br />

der sich – dem Schachspiel sei Dank – ein<br />

halbes Jahr später aufmachte, um Amerika<br />

zu entdecken.»<br />

Bei Ferdinands gewinnbringender Kombination<br />

spielte übrigens ein neuer, nämlich<br />

langschrittiger Läufer die entscheidende Rolle<br />

beim Mattsetzen: Lassen wir zum Schluss noch<br />

einmal den Hofbiografen Hernando del Pulgar<br />

zu Worte kommen, der folgenden Ausspruch<br />

Isabellas im Zusammenhang mit der Schachpartie<br />

niedergeschrieben hat:<br />

«Falls es dem Genueser gelingt, eine<br />

Neue Welt zu entdecken, so wie ich erhoffe<br />

<strong>und</strong> ersehne, würde man sagen können,<br />

dass der vermeintliche Erfolg sehr beeinflusst<br />

worden ist durch die Bewegung eines<br />

einfachen Bauern des Schachspiels, der sich<br />

mit Präzision Schritt für Schritt vorwärts<br />

bewegt.»<br />

Napoleon Bonaparte<br />

(1769 – 1821)<br />

<strong>und</strong> das Schachspiel<br />

25<br />

schulpraxis spezial<br />

Napoleon war ein begeisterter Anhänger des<br />

königlichen Spiels. Ob es gezieltes Mittel zum<br />

Zweck oder bloss Liebhaberei war, lässt sich<br />

nicht mehr feststellen. Seine schachstrategischen<br />

Fähigkeiten sollen ihm nach dem Urteil<br />

zahlreicher Historiker zu manchem Sieg auf<br />

den Schlachtfeldern verholfen haben. Auf<br />

jeden Fall waren Schach <strong>und</strong> Militär für ihn<br />

von Beginn weg unzertrennlich verb<strong>und</strong>en<br />

gewesen.<br />

Erlernt hatte er das Spiel an der Militärakademie<br />

von Paris, die er 1785 als 16 jähriger<br />

Artillerieleutnant verliess. Er muss fortan<br />

recht stark schachvirusinfiziert gewesen sein,<br />

denn im berühmten Café de la Régence, dem<br />

Weltschachnabel jener Zeit, war er Stammgast,<br />

wann immer es seine Anwesenheit in<br />

Paris erlaubte. Und auch später, als er sich<br />

die halbe Welt unterwarf, soll selbst auf den<br />

Schlachtfeldern von Marengo, Austerlitz,<br />

Jena, Smolensk <strong>und</strong> schliesslich Waterloo<br />

stets ein Schachbrett in Griffnähe gewesen<br />

sein. Während der Verbannung auf St. Helena<br />

versank er mehr <strong>und</strong> mehr in die Welt des<br />

Schachs.<br />

Verlieren konnte er nicht<br />

Er galt als unbeherrschter Spieler, der nicht<br />

gerne verlor. Als er einmal mit seinem Stiefsohn<br />

Eugen Beauharnais spielte <strong>und</strong> auf die<br />

Verliererstrasse geriet, warf er den ganzen<br />

Tisch um, schlug seinem Gegner ins Gesicht<br />

<strong>und</strong> verliess voller Zorn das Zimmer. Er befand:<br />

«Als Spiel ist es zu schwierig, aber nicht seriös<br />

genug, um als Wissenschaft oder Kunst zu<br />

gelten.» Und gleichwohl bezeugte er: «Das<br />

Schachspiel ist unvergleichlich, ein königliches,<br />

ein kaiserliches Spiel!»<br />

Sein Geheimschreiber Bourienne plauderte<br />

einmal aus, dass Napoleon es strikte vermied,<br />

sich mit starken Spielern zu messen. Beim<br />

englischen Meister Jacob Henry Sarratt machte<br />

er eine Ausnahme, wobei dieser in einen<br />

schweren Zwiespalt geriet: Verlor er, riskierte<br />

er seinen guten Ruf, gewann er, so konnte er<br />

sich die Ungnade des Herrschers zuziehen. Es<br />

heisst, dass Sarratt als Ausweg das Unentschieden<br />

wählte. Aber es war nicht so einfach, remis<br />

zu machen, denn der Korse war ein schlechter<br />

Spieler. Der grosse Stratege kümmerte sich nie<br />

um die Gesetze der Eröffnung, zeigte jedoch<br />

im Mittelspiel manchmal gute Kombinationen.<br />

Auf seinen Feldzügen führte er zwar ein kleines<br />

Reiseschach mit, spielte aber noch lieber<br />

das raschere Damespiel.<br />

Während seiner Verbannung auf der Insel St.<br />

Helena soll sich Napoleon häufig mit General<br />

Henri Gratien Bertrand auf dem Schachbrett<br />

gemessen haben.<br />

Der Schachautomat<br />

Napoleon war als ein schlechter, aber begeisterter<br />

Schachspieler bekannt: Schon Anfang<br />

der 90er-Jahre findet man den jungen Korsen<br />

im berühmten Pariser Café de la Régence, wo<br />

er Schach spielend auf Aufträge des Kriegsministeriums<br />

wartet. Dass er Anfang Oktober<br />

1809 im Schloss Schönbrunn den Schachautomaten<br />

inspiziert <strong>und</strong> sogar einige Züge mit ihm<br />

gespielt hat, ist durch zeitgenössische Quellen<br />

gesichert. Alexander Berthier, der Generalstabschef<br />

Napoleons <strong>und</strong> Fürst von Neuchâtel,<br />

liess den Automaten in seinen Gemächern in<br />

Schönbrunn von Maelzel aufstellen <strong>und</strong> spielte<br />

Ende September einige Male gegen ihn. In<br />

seinem Buch «Eugen Beauharnais, der Stiefsohn<br />

Napoleons. Ein Lebensbild, Berlin 1940»<br />

schildert Adalbert von Bayern diese Szenerie:<br />

«So stand im Zimmer des neuen Fürsten<br />

von Wagram in Schönbrunn ein Maschinen-<br />

Schachspieler. Auch Napoleon spielte mit ihm,<br />

<strong>und</strong> wenn er mogelte, schüttelte der Maschinenmensch<br />

den Kopf, statt wie gewöhnlich<br />

sich zu verneigen.»<br />

Die ausführlichste Schilderung von Napoleons<br />

Zusammentreffen mit dem Schachautomaten<br />

hat sein Kammerdiener Louis Wairy Constant<br />

niedergeschrieben in «Mémoires de Constant,<br />

Sur la vie privée de Napoleon, Stuttgart 1830»:<br />

«Johann Nepomuk Maelzel hatte auch einen<br />

Automaten hergestellt, der in ganz Europa


Napoleon spielt gegen<br />

den Schachautomaten.<br />

Zeichnung von Antoni<br />

Uniechowski in «Schach<br />

zu allen Zeiten» aus dem<br />

Jahr 1967.<br />

26<br />

schulpraxis spezial<br />

unter dem Namen ‹Schachspieler› bekannt<br />

war. Er hatte ihn nach Schönbrunn gebracht,<br />

um ihn Seiner Majestät zu zeigen <strong>und</strong> hatte<br />

ihn in das Gemach des Prinzen von Neuchâtel<br />

geschafft. Der Kaiser begab sich zum<br />

Prinzen; ich folgte ihm mit einigen anderen.<br />

Der Automat sass vor einem Tisch, auf dem<br />

das Schachspiel stand. Seine Majestät nahm<br />

einen Stuhl <strong>und</strong> setzte sich gegenüber dem<br />

Automaten <strong>und</strong> sagte lachend: ‹Allons, mon<br />

camarade, auf uns zwei!› Der Automat nickte<br />

<strong>und</strong> machte dem Kaiser ein Handzeichen, als<br />

ob er ihm bedeuten wolle, anzufangen. Nach<br />

der Eröffnung der Partie machte der Kaiser<br />

zwei oder drei Züge <strong>und</strong> setzte vorsätzlich eine<br />

Figur falsch. Der Automat nickte, nahm die<br />

Figur wieder auf <strong>und</strong> setzte sie an ihren Platz<br />

zurück. Seine Majestät mogelte ein zweites<br />

Mal; der Automat nickte wieder, aber er konfiszierte<br />

die Schachfigur. ‹Das ist recht›, sagte<br />

Seine Majestät <strong>und</strong> – zum dritten Mal – setzte<br />

er bewusst falsch. Nun schüttelte der Automat<br />

den Kopf <strong>und</strong>, indem er mit der Hand über das<br />

Schachbrett fuhr, warf er das ganze Spiel um.<br />

27<br />

schulpraxis spezial<br />

Der Kaiser machte dem Mechaniker grosse<br />

Komplimente.»<br />

Fest steht also, dass Napoleon den Automaten<br />

«getestet» hat, ob er jedoch eine ganze Partie<br />

gespielt hat, ist nicht sicher, ebenso ist zweifelhaft,<br />

ob tatsächlich Allgaier in der Maschine<br />

sass, obwohl Maelzels Eigenart bekannt war,<br />

stets den stärkst möglichen Spieler einzusetzen,<br />

den er bekommen konnte.<br />

Die Partie zwischen dem Schachautomaten<br />

<strong>und</strong> Napoleon tauchte zuerst in der Schachkolumne<br />

der «Illustrated London News» am<br />

30. September 1844 auf, aber ohne Quellenangabe.<br />

«The Chess Players Chronicle» druckte<br />

36 Jahre später die Partie ab. Andere – gut<br />

nachkomponierte – Partien Napoleons haben<br />

sich längst als Fälschung erwiesen. Eigen ist<br />

der Partie jedenfalls, dass beide miserabel<br />

spielen. Zumindest auf Napoleon traf dies<br />

bekanntlich ja zu.<br />

Anmerkung: Diese Partie wird auf der Homepage<br />

gezeigt.<br />

Nach diesem Zusammentreffen erreichte<br />

die Popularität des Schachautomaten einen<br />

neuen Höhepunkt <strong>und</strong> sein Wert stieg ins<br />

Unermessliche: Eugen Beauharnais zahlte jedenfalls<br />

Maelzel die für damalige Verhältnisse<br />

horrende Summe von 30 000 Francs, um hinter<br />

das Geheimnis zu gelangen.<br />

Figuren mit Fluchtplänen<br />

Über Napoleons schachliche Aktivitäten auf<br />

St. Helena gibt Las Cases in «Mémorial de<br />

Sainte-Hélène» Auskunft. Napoleon war von<br />

den Engländern von der Bellérophon auf<br />

die Northumberland gebracht worden <strong>und</strong><br />

befand sich auf dem Weg nach St. Helena.<br />

Im Tagebuch heisst es bei Las Cases, der als<br />

treuer Begleiter dem Kaiser nach der erzwungenen<br />

Abdankung in die Verbannung folgte<br />

<strong>und</strong> als zuverlässiger Biograph gilt, mit Datum<br />

Dienstag, 22. bis Samstag, 26. August 1815<br />

(das Schiff befand sich gerade in der Nähe<br />

von Madeira):<br />

«Nichts unterbrach die Eintönigkeit unserer<br />

Momente; jeder Tag ging langsam im<br />

Detail vorbei <strong>und</strong> vergrösserte eine Vergangenheit,<br />

die, insgesamt betrachtet, uns kurz<br />

erschien, weil sie ohne Farbe war <strong>und</strong> nichts<br />

Besonderes darstellte. Der Kaiser hatte den<br />

Kreis seiner Zerstreuungen durch das Piquet-<br />

Spiel vergrössert, das er ziemlich regelmässig<br />

gegen drei Uhr spielte. Diesem Piquet-Spiel<br />

folgten einige Partien Schach mit dem Grossmarschall,<br />

Monsieur de Montholon oder<br />

einigen anderen, woran sich das Abendessen<br />

anschloss. Es gab auf dem Dampfer niemanden,<br />

der sehr stark im Schachspiel war, <strong>und</strong><br />

der Kaiser spielte ebenfalls nur schwach; er<br />

gewann gegen die Einen <strong>und</strong> verlor gegen die<br />

Anderen, was ihn eines Abends veranlasste<br />

zu sagen: ‹Wie geschieht es, dass ich sehr oft<br />

gegen die verliere, die niemals gegen andere<br />

gewinnen, gegen die ich jedoch fast immer<br />

siege? Stellt dies nicht einen Widerspruch<br />

dar? Wie kann man dieses Problem lösen?›,<br />

sagte er mit Augenzwinkern, um zu zeigen,<br />

dass er nicht auf die wiederholte Galanterie<br />

desjenigen hereingefallen war, der eigentlich<br />

der Stärkste war.<br />

Am Abend spielten wir nicht mehr<br />

‹Zwanzig zu Eins›; wir hatten es unterbrochen,<br />

da wir die Einsätze zu hoch getrieben<br />

hatten, was dem Kaiser, einem starken<br />

Gegner des Spiels, missfallen hatte. Nach der<br />

Rückkehr von seinem Spaziergang auf der<br />

Kommandobrücke, nach dem Abendessen,<br />

spielte Napoleon noch zwei oder drei Partien<br />

Schach <strong>und</strong> zog sich dann zu sehr früher<br />

St<strong>und</strong>e zurück.»<br />

Das Geheimnis, welches seine Elfenbeinfiguren<br />

enthielten, mit denen er im Exil auf St.<br />

Helena spielte, wurde erst über 100 Jahre<br />

später entdeckt. Die Figuren, die ihm von<br />

Anhängern ins Exil nachgeschickt wurden,<br />

enthielten Fluchtpläne. Da aber der Offizier,<br />

der das Schachspiel überbringen sollte, auf<br />

der Überfahrt verstarb <strong>und</strong> sein Geheimnis<br />

mit ins Grab nahm, wurden die verborgenen<br />

Pläne erst 1933 bei einer Ausstellung von<br />

Denkwürdigkeiten von Napoleon in Austerlitz<br />

entdeckt.


schulpraxis spezial<br />

Ideen für den Mathematikunterricht<br />

Von 18 Trillionen Weizenkörnern oder davon,<br />

was Schach mit Rechnen zu tun haben kann.<br />

Der Junge spielt Schach<br />

in der Schule, aus Freude,<br />

nicht um Juwelen<br />

oder gar einen Finger, wie<br />

dies gemäss Masudi in<br />

indischen Schachkämpfen<br />

geschah.<br />

Ali Abul Hassan Masudi<br />

(ca. 900 – 956) <strong>und</strong> seine<br />

Schilderung der Weizenkornlegende:<br />

28<br />

Der arabische Historiker hat in seinem Buch<br />

«Die goldenen Wiesen», einer Enzyklopädie<br />

über die indischen Könige, erstmals die Existenz<br />

des Schachspiels belegt. Dabei wird nicht<br />

nur von Schachpartien, sondern auch von der<br />

Existenz grösserer <strong>und</strong> besonders kostbarer<br />

Schachspiele berichtet. Er behauptet, dass unter<br />

dem indischen König Balhit, der 120 Jahre<br />

nach dem Tode des legendären Königs Porus<br />

auf den Thron kam, das Schachspiel erf<strong>und</strong>en<br />

wurde. Da Porus ein Zeitgenosse Alexanders<br />

des Grossen war <strong>und</strong> von diesem im Jahre 326<br />

v. Chr. in der Schlacht am Hydaspes geschlagen<br />

wurde, wäre der Zeitpunkt für die Erfindung<br />

des Schachspiels etwa die Wende vom 3. zum<br />

2. Jahrh<strong>und</strong>ert v. Chr. gewesen.<br />

Der grosse Lohn<br />

Bei Masudi findet sich auch die berühmte Weizenkornlegende.<br />

Der weise Erfinder des Schachspiels<br />

habe sich vom König als Lohn nur Weizenkörner<br />

nach dem Prinzip erbeten: für das erste<br />

Feld auf dem Schachbrett eines, für das zweite<br />

zwei, für das dritte vier, für das vierte acht, für<br />

das fünfte sechzehn usw. Das allgemeine Erstaunen<br />

über diese scheinbare Bescheidenheit<br />

wandelte sich in blankes Entsetzen, als sich herausstellte,<br />

dass allein für das 64. Schachfeld die<br />

ungeheure <strong>und</strong> nicht aufzubringende Summe<br />

von 9 223 372 036 854 775 808 Weizenkörnern<br />

notwendig gewesen wären. Für das ganze Brett<br />

hätte es 18 446 744 073 709 551 615 Körner gebraucht.<br />

Ganz Europa <strong>und</strong> grosse Teile Afrikas<br />

hätten mit Weizenkörnern bedeckt werden<br />

müssen, um dieser Bitte nachzukommen.<br />

Einigen Geschichtsforschern war Masudis Geschichtsschreibung<br />

suspekt <strong>und</strong> sie verbannten<br />

ihn ins Reich der Märchenerzähler. Dabei wusste<br />

er sehr wohl über Indien Bescheid, das als<br />

Mutterland der modernen Mathematik angesehen<br />

werden darf, denn von hier aus begann<br />

das Dezimalsystem seinen Siegeslauf über die<br />

ganze Welt. Die gespenstische Atmosphäre<br />

indischer Schachkämpfe beschrieb Masudi<br />

folgendermassen:<br />

«Einige der Schachfiguren sind Menschen<br />

oder Tieren nachgebildet, oft über eine Spanne<br />

hoch. Ein dritter Mann muss auf Befehl<br />

der Spieler die Schachsteine von Feld zu Feld<br />

schieben. Meist spielen die Inder um Stoffe<br />

oder Juwelen, doch manchmal setzt ein Spieler,<br />

der bereits seinen ganzen Besitz verloren<br />

hat, auch noch seine Glieder ein. Neben den<br />

Spielern lodert ein Feuer, auf dem in einem<br />

Kupferkessel eine rote Salbe kocht, eine geheimnisvolle<br />

Mixtur, die indische Heilmittel<br />

enthält: Sie kann W<strong>und</strong>en heilen <strong>und</strong> Blut<br />

stillen. Wenn ein Mann beim Spielen seinen<br />

Finger verwettet hat <strong>und</strong> verliert, hackt er<br />

seinen Finger mit dem Dolch ab, steckt die<br />

Hand in die Salbe <strong>und</strong> brennt die W<strong>und</strong>e aus.<br />

Dann spielt er weiter. Wenn er Pech hat, opfert<br />

29<br />

schulpraxis spezial<br />

1 2 4 8 16 32 64 128<br />

256 512 1024 2048 4096 8192 16384 32768<br />

65536 131072 262144 524288 1048576 2097152 4194304 8388608<br />

16777216 33554432 67108864 134217728 268435456 536870912 1073741824 2147483648<br />

4294967296 8589934592 17179869184 34359738368 68719476736 137438953472<br />

1099<br />

511627776<br />

281474<br />

976710656<br />

72057594<br />

037927936<br />

2199<br />

023255552<br />

562949<br />

953421312<br />

144115188<br />

075855872<br />

Aus «2000 Jahre Spiel-<br />

Geschichte» (Seite 37)<br />

von R. Finkenzeller /<br />

W. Ziehr / E.M. Bührer,<br />

AT Verlag Aarau<br />

4398<br />

046511104<br />

1125899<br />

906842624<br />

288230376<br />

151711744<br />

8796<br />

093022208<br />

2251799<br />

813685248<br />

576460752<br />

303423488<br />

17592<br />

186044416<br />

4503599<br />

627370496<br />

1152921504<br />

606846976<br />

35184<br />

372088832<br />

9007199<br />

254740992<br />

2305843009<br />

213693952<br />

274877<br />

906944<br />

70368<br />

744177664<br />

18014398<br />

509481984<br />

4611686018<br />

427387904<br />

549755<br />

813888<br />

140737<br />

488355328<br />

36028797<br />

018963968<br />

9223372036<br />

854775808<br />

er noch einen Finger; <strong>und</strong> es kommt vor, dass<br />

einer, der fortgesetzt verliert, alle Finger, die<br />

Hand, den Unterarm, den Ellenbogen <strong>und</strong><br />

noch andere Körperteile abschneidet.»<br />

Die Sache in Zahlen<br />

Die mathematischen Betrachtungen zur Legende<br />

sollen kurz dargestellt sein:<br />

Die Summe aller Körner auf den 64 Feldern<br />

eines Schachbrettes ist also 18 446 744 073<br />

709 551 615 Körner oder in Worten, achtzehn<br />

Trillionen, vierh<strong>und</strong>ertsechs<strong>und</strong>vierzig Billiarden,<br />

siebenh<strong>und</strong>ertvier<strong>und</strong>vierzig Billionen,<br />

nullh<strong>und</strong>ertdrei<strong>und</strong>siebzig Milliarden, siebenh<strong>und</strong>ertneun<br />

Millionen, fünfh<strong>und</strong>ertein<strong>und</strong>fünfzig<br />

Tausend <strong>und</strong> sechsh<strong>und</strong>ertfünfzehn<br />

Körner, also 2 64 minus 1.<br />

Die Formel, um die Zahl abzuleiten, lautet:<br />

1 + 2 1 + 2 2 + 2 3 + 2 4 + 2 63 .<br />

Die Gesamtsumme aller Weizenkörner auf den<br />

64 Feldern kann man mit «s» (für «Summe»)<br />

bezeichnen. Dann wäre also, wie oben schon<br />

erwähnt S = 1 + 2 1 + 2 2 + 2 3 + 2 4 + 2 63 .<br />

Der Kniff besteht nun darin, die gesamte<br />

Gleichung mit 2 zu multiplizieren <strong>und</strong> dann<br />

wie folgt untereinander zu schreiben <strong>und</strong><br />

voneinander zu subtrahieren:<br />

2 s = 2 1 + 2 2 + 2 3 + 2 4 + 2 63 + 2 64<br />

s = 1 + 2 1 + 2 2 + 2 3 + 2 4 + 2 64<br />

s = 2 63 minus 1, denn alle anderen Glieder fallen<br />

weg! Damit haben wir die Gesamtsumme<br />

aller Weizenkörner auf einem Schachbrett.<br />

860 mal Erde-Mond<br />

Die Menge ist kaum vorstellbar, denn sie<br />

entspricht auch heute noch einem Mehrtausendfachen<br />

der jährlichen Weltproduktion<br />

von Weizen. Um das starke Anwachsen beim<br />

Verdoppelungsprozess zu demonstrieren, kann<br />

man folgende Überlegung anstellen:<br />

Wir nehmen an, dass der Querschnitt eines<br />

Weizenkorns ca. 4 Quadratmillimeter beträgt.<br />

Auf dem ersten Feld wäre also ein Korn, was<br />

eine Fläche von 4 Quadratmillimetern ergibt.<br />

Auf dem zehnten Feld wären 512 Körner (Fläche<br />

eines Schachbrettfeldes). Auf dem 16. Feld<br />

wären 32 768 Körner (Fläche eines Schachbrettes).<br />

Auf dem 32. Feld wären 2,5 mal 10 hoch<br />

9 Körner (Gr<strong>und</strong>riss des <strong>Bern</strong>er Münsters).<br />

Auf dem 55. Feld wären 1,8 mal 10 hoch<br />

16 Körner (ungefähr zweimal die Fläche der<br />

Schweiz). Auf dem 64. Feld schliesslich wären<br />

9,2 mal 10 hoch 18 Körner, was ja nach Masudi<br />

der ganzen Fläche von Europa <strong>und</strong> Teilen<br />

Afrikas entsprechen würde.<br />

Zweite Veranschaulichung: Die Summe aller<br />

Körner auf dem Schachbrett beträgt wie oben<br />

berechnet 2 hoch 64 minus 1 oder 1,84 mal 10<br />

hoch 19. Ein Weizenkorn hat ein Gewicht von<br />

ungefähr 0,05 Gramm, also 50 Milligramm.<br />

Auf einem ganzen Brett würden so 9,2 mal 10<br />

hoch 11 Tonnen Weizen zu liegen kommen. Ein<br />

Güterwagen fasst 28 Tonnen <strong>und</strong> ist 10 Meter<br />

lang. Für die ganze Ladung müssten somit 3,3<br />

mal 10 hoch 10 Wagen zur Verfügung stehen.<br />

Ein Zug hätte eine Länge von 3,3 mal 10 hoch<br />

8 Kilometer, was ca. 860 Mal der Strecke zwischen<br />

Erde <strong>und</strong> Mond entsprechen würde.


Anmerkung:<br />

Auf der Homepage<br />

werden interessante<br />

Möglichkeiten<br />

vorgestellt, wie man<br />

diesen Rösselsprung<br />

anwenden kann<br />

Auf Seite 31 werden<br />

die 12 Gr<strong>und</strong>stellungen<br />

nach Gauss gezeigt.<br />

30<br />

schulpraxis spezial<br />

«Schachbretträtsel» im<br />

Zusammenhang mit dem<br />

Rösselsprung von Leonhard<br />

Euler (1707 – 1783):<br />

Der Basler Mathematiker Leonhard Euler,<br />

von 1730 bis 1741 <strong>und</strong> ab 1766 Professor<br />

in Petersburg <strong>und</strong> von 1741 bis 1766 an der<br />

Akademie der Wissenschaften in Berlin tätig,<br />

war ein führender Kopf auf allen Gebieten der<br />

Mathematik, Physik <strong>und</strong> Astronomie. Obwohl<br />

in den sechziger Jahren erblindet, schrieb er<br />

insgesamt 28 Werke <strong>und</strong> 750 Abhandlungen.<br />

Bekannt dürfte die Gesetzmässigkeit bei räumlichen<br />

Figuren sein, die er in der Formel «e<br />

(Ecken) + f (Flächen) – k (Kanten) = 2» gebildet<br />

hat («Satz von Euler»). Euler über das Schachspiel:<br />

«Im Schach hat die Bezeichnung ‹Spieler›<br />

jeglichen verächtlichen Klang verloren.» Euler<br />

war ein guter Schachspieler. Wie man einem<br />

Brief aus dem Jahre 1751 entnehmen kann, bedauerte<br />

er die wegen einer Affäre notwendige<br />

plötzliche Abreise des Schachmeisters Philidor<br />

aus Potsdam, «sonst würde ich wohl Gelegenheit<br />

gef<strong>und</strong>en haben, mit ihm zu sprechen.»<br />

Der Rösselsprung<br />

Philidors Bauernführung («Der Bauer ist die<br />

Seele des Schachs») hat die Spielweise im<br />

Schach stark beeinflusst. Euler besass 1751<br />

bereits Philidors 1749 in London erschienenes<br />

Buch «Analyse des Schachspiels».In den Memoiren<br />

der Berliner Akademie 1759 findet sich<br />

eine Abhandlung über den Rösselsprung:<br />

«Eines Tages befand ich mich in einer<br />

Gesellschaft, als bei einer Schachpartie<br />

jemand die Frage aufwarf, mit einem Springer<br />

bei gegebenem Anfangsfeld alle Felder<br />

des Schachbretts der Reihe nach, jedes nur<br />

einmal, zu passieren … Diejenigen, die die<br />

Aufgabe für ziemlich leicht hielten, machten<br />

mehrere nutzlose Versuche, ohne zum Ziel<br />

zu gelangen. Hierauf gab derjenige, der die<br />

Frage aufgeworfen hatte, eine Route so an,<br />

dass eine vollständige Lösung entstand. Die<br />

Menge der Felder liess indessen nicht zu, die<br />

gewählte Route dem Gedächtnis einzuprägen,<br />

<strong>und</strong> erst nach mehreren Versuchen gelang es<br />

mir, eine der Aufgabe genügende Route zu<br />

finden, aber sie galt auch nur für ein bestimmtes<br />

Anfangsfeld.»<br />

Vermutlich ist die Rösselsprungaufgabe so alt<br />

wie das Schachspiel selbst, aber erst Euler gab<br />

ihr, wenn auch nicht eine Theorie, so doch<br />

ein praktikables Lösungsverfahren. Er geht<br />

dabei zunächst aufs Geratewohl voran, bis<br />

der Rösselsprung sich nicht weiter ausführen<br />

lässt. Dann wird der Rösselsprung in zwei Teile<br />

zerlegt <strong>und</strong> auf neue Art miteinander wieder<br />

verb<strong>und</strong>en, sodass alle früheren Felder wieder<br />

besetzt sind, aber ein neuer Endpunkt zustande<br />

kommt, von dem möglicherweise eines der<br />

freien Felder erreichbar ist. Die geschickten<br />

Zerlegungen Eulers machen glaubhaft, dass<br />

man stets zum Ziel kommen kann, bewiesen<br />

wird es aber nicht. Die Idee Eulers bestand<br />

also darin, einen in sich geschlossenen Rösselsprung<br />

durchzuführen, der zweiteilig genannt<br />

wird, da er zuerst auf der einen <strong>und</strong> dann auf<br />

der anderen Hälfte des Brettes ausgeführt<br />

wird. Von dieser Lösungsweise gibt es übrigens<br />

31 054 144 Möglichkeiten, wie Mathematiker<br />

katalogisierend ermittelt haben.<br />

Karl Friedrich Gauss<br />

(1777 – 1855):<br />

Der deutsche Mathematiker <strong>und</strong> Astronom<br />

K.F. Gauss lieferte 1799 in seiner Dissertation<br />

den Beweis für den F<strong>und</strong>amentalsatz der Algebra,<br />

wonach jede algebraische Gleichung eine<br />

reelle oder komplexe Lösung hat. Er förderte<br />

die Zahlentheorie, die absolute Geometrie<br />

<strong>und</strong> die Funktionslehre. Er fand ebenfalls neue<br />

Wege zur Berechnung der Planetenbahnen<br />

<strong>und</strong> förderte die Theorie des Elektromagnetismus.<br />

Gauss berechnete als erster, dass auf<br />

einem Schachbrett acht Königinnen aufgestellt<br />

werden können, die sich gegenseitig nicht<br />

schlagen. Er fand 92 mögliche Kombinationen.<br />

Gr<strong>und</strong>sätzliche Angaben gibt es nur zwölf,<br />

während die übrigen durch Umdrehungen des<br />

Schachbretts oder symmetrische Anordnungen<br />

wie im Spiegelbild entstehen.<br />

RrstuvwxyS<br />

8#m#mMMm8<br />

7m#MmMmM7<br />

6#mMmMmm6<br />

5mMmmMmM5<br />

4mMmMmMm4<br />

3mMmMmMm3<br />

2MMmMmMm2<br />

1mMmMMmM1<br />

TrstuvwxyU<br />

RrstuvwxyS<br />

8#mmMmMm8<br />

7m#mMMmM7<br />

6#MmMmMm6<br />

31<br />

schulpraxis spezial<br />

<br />

<br />

<br />

5mMmMmMm5<br />

4mMmMmMm4<br />

3mMmMmMM3<br />

2MmMMmMm2<br />

1mMmMmmM1<br />

TrstuvwxyU<br />

RrstuvwxyS<br />

8#m#mMMm8<br />

7m#MmMmM7<br />

6mMmMmMm6<br />

<br />

<br />

<br />

5mMmMmMM5<br />

4MmMmmMm4<br />

3mMmMmMm3<br />

2MMmMmMm2<br />

1mMmmMmM1<br />

TrstuvwxyU<br />

RrstuvwxyS<br />

8#m#MmMm8<br />

7m#mMmMM7<br />

6#mMmmMm6<br />

<br />

<br />

<br />

5mMMmMmM5<br />

4mMmMmMm4<br />

3mMmMmmM3<br />

2MmMmMmM2<br />

1mmMmMmM1<br />

TrstuvwxyU<br />

RrstuvwxyS<br />

8#mmMmMm8<br />

7m#mMmMm7<br />

6#mMMmMm6<br />

5mMmMmMM5<br />

4mMmMmMm4<br />

3mMmMmmM3<br />

2MMmMmMm2<br />

1mMmMMmM1<br />

TrstuvwxyU<br />

RrstuvwxyS<br />

8#m#mMmM8<br />

7mmMmMmM7<br />

6#mMmmMm6<br />

5mMMmMmM5<br />

4mMmMmMm4<br />

3mMmMmMM3<br />

2MmMMmMm2<br />

1mMmMmmM1<br />

TrstuvwxyU<br />

RrstuvwxyS<br />

8#m#MmMm8<br />

7m#mMmmM7<br />

6#mMmMmM6<br />

5mMMmMmM5<br />

4mMmMmMm4<br />

3mMmMmMM3<br />

2MmMmmMm2<br />

1mmMmMmM1<br />

TrstuvwxyU<br />

RrstuvwxyS<br />

8#m#MmMm8<br />

7m#mMmMm7<br />

6#mMmmMm6<br />

5mMMmMmM5<br />

4mMmMmMm4<br />

3mMmMmMM3<br />

2MMmMmMm2<br />

1mMmMmmM1<br />

TrstuvwxyU<br />

RrstuvwxyS<br />

8#m#mMMm8<br />

7m#mMmMm7<br />

6#MmMmMm6<br />

5mMmmMmM5<br />

4mMmMmMm4<br />

3mMmMmMM3<br />

2MmMmmMm2<br />

1mMMmMmM1<br />

TrstuvwxyU<br />

RrstuvwxyS<br />

8##mMmMm8<br />

7m#mMMmM7<br />

6#mMmMmm6<br />

5mMmmMmM5<br />

4mMmMmMm4<br />

3mMmMmMm3<br />

2MmMmMMm2<br />

1mMMmMmM1<br />

TrstuvwxyU<br />

RrstuvwxyS<br />

8#m#mMMm8<br />

7m#MmMmM7<br />

6#mMmmMm6<br />

5mMmMmMm5<br />

4mMmMmMm4<br />

3mMmmMmM3<br />

2MMmMmMm2<br />

1mMmMmMM1<br />

TrstuvwxyU<br />

RrstuvwxyS<br />

8#m#mMMm8<br />

7m#MmMmM7<br />

6#mMmmMm6<br />

5mMmMmMM5<br />

4mMmMmMm4<br />

3mMmmMmM3<br />

2MMmMmMm2<br />

1mMmMmMm1<br />

TrstuvwxyU


schulpraxis spezial<br />

Ideen für den Musikunterricht<br />

Das Musical «Chess», komponiert von den ABBA-Musikern<br />

Benny Andersson <strong>und</strong> Björn Ulvaeus <strong>und</strong> getextet<br />

von Tim Rice, thematisiert Schach, Musik <strong>und</strong> Politik.<br />

Anmerkung:<br />

Auf der Homepage wird<br />

die erwähnte Partie<br />

zwischen Paul Schmidt<br />

<strong>und</strong> Kurt Richter gezeigt.<br />

32<br />

Der englische Theaterproduzent Tim Rice arbeitete<br />

nach seinem Studium bei EMI Records,<br />

wo er Andrew Lloyd Webber kennen lernte<br />

<strong>und</strong> als dessen Partner Weltruhm erlangte.<br />

Zwischen 1965 <strong>und</strong> 1975 schrieb das Team<br />

einen Musicalhit nach dem anderen: «Joseph<br />

and the amazing technicolour dreamcoat»,<br />

«Jesus Christ Superstar» <strong>und</strong> «Evita». Bereits<br />

zu dieser Zeit kam Rice die Idee – angeregt<br />

durch die skandalumwitterte Schachweltmeisterschaft<br />

1972 auf Island zwischen<br />

Bobby Fischer <strong>und</strong> Boris Spassky – ein Musical<br />

zu schreiben, das die private Ebene der<br />

Schachduelle mit den dahinter existierenden<br />

politischen Konstellationen verbinden sollte.<br />

1981 begegnete er den beiden schwedischen<br />

Musikern Benny Andersson <strong>und</strong> Björn Ulvaeus,<br />

die sich soeben von ihren Partnerinnen<br />

getrennt hatten, was auch die baldige Auflösung<br />

der Popgruppe ABBA nach sich zog.<br />

Rice war – nach der Trennung von Webber<br />

– auf der Suche nach einem Komponisten<br />

für seine nächsten Projekte. Mit dem Musical<br />

«Chess» konnten sich Andersson <strong>und</strong> Ulvaeus<br />

am meisten identifizieren <strong>und</strong> so begann die<br />

fruchtbare Zusammenarbeit. Rice hatte 1981<br />

den Schachweltmeisterschaftskampf zwischen<br />

Karpow <strong>und</strong> Kortschnoi in Meran besucht <strong>und</strong><br />

Karpow in London persönlich kennen gelernt.<br />

1986 wurde «Chess» in London uraufgeführt.<br />

Zum Inhalt<br />

Die Geschichte spielt in Meran <strong>und</strong> Bangkok<br />

<strong>und</strong> ist an der Konkurrenz zweier Schachspieler<br />

aufgehängt, von denen einer Russe <strong>und</strong><br />

der andere US-Amerikaner ist. Die Charaktere<br />

<strong>und</strong> Lebensgeschichten der beiden sind wahrscheinlich<br />

von Viktor Kortschnoi <strong>und</strong> Bobby<br />

Fischer inspiriert. Die gewollte Parallele zum<br />

Kalten Krieg wurde mit dem Ende des Ost-<br />

West-Konflikts obsolet. Im Stück geht es um<br />

Politik, Verschwörung, Liebe <strong>und</strong> Eifersucht.<br />

Die Schlusskombination der letzten <strong>und</strong> entscheidenden<br />

Partie in Bangkok stammt übrigens<br />

aus einer Partie zwischen Paul Schmidt<br />

(Weiss) <strong>und</strong> Kurt Richter (Schwarz) von der<br />

Deutschen Meisterschaft des Jahres 1940 in<br />

Bad Oeynhausen.<br />

Das Musical zieht übrigens überraschende<br />

Parallelen zur Wirklichkeit, zum einen zum<br />

WM-Kampf zwischen Karpow <strong>und</strong> Kortschnoi<br />

in Meran 1981, wo sich ja die Kontrahenten<br />

auch einen «politischen» Kampf mit allerlei<br />

Nebengeräuschen nicht nur auf dem Schachbrett<br />

lieferten <strong>und</strong> zum andern zum mit einem<br />

Oscar preisgekrönten Film «Gefährliche<br />

Züge» (1985) mit Michel Piccoli, Liv Ullmann<br />

<strong>und</strong> Christopher Lee, wo sich der alternde,<br />

regimetreue Schachweltmeister gegen den<br />

jungen, abtrünnigen Herausforderer noch<br />

einmal behaupten möchte.<br />

33<br />

schulpraxis spezial<br />

Ideen für das Bildnerische Gestalten<br />

Klee, H<strong>und</strong>ertwasser, Ernst: Wie sie aus<br />

dem Schachbrett Kunst machten.<br />

Anmerkung: Auf<br />

der Homepage ist<br />

eine Abbildung dieses<br />

Gemäldes zu sehen.<br />

Anmerkung: Auf der<br />

Homepage werden zwei<br />

seiner Schachbrettmuster<br />

<strong>und</strong> der Kopf abgebildet.<br />

Alle Beispiele sind<br />

sogar auf Briefmarken<br />

herausgegeben worden.<br />

Paul Klee (1879 – 1940):<br />

Paul Klee, deutscher Maler <strong>und</strong> Grafiker schweizerischer<br />

Herkunft, verband auf einzigartige<br />

Weise die Errungenschaften der Abstraktion<br />

mit Elementen einer traumhaften, skurrilen<br />

Zeichensprache. Nach Anfängen als satirischer<br />

Grafiker entdeckte er den Eigenwert der Farbe<br />

<strong>und</strong> entwickelte geometrische Farbkompositionen,<br />

die in der Regel Verweise auf Gegenständliches<br />

enthielten. 1937 <strong>und</strong> 1938 befasste sich<br />

Klee wiederholt mit der rhythmischen Struktur<br />

des Schachbretts. Er erkannte dabei – wie<br />

Arnold Schönberg in seinem Zwölftonsystem<br />

– bestimmte Gesetzmässigkeiten:<br />

Jeder Ton ist durch seine Beziehung zu der<br />

vorbestimmten Gr<strong>und</strong>reihe festgelegt, eine astronomische<br />

Gesetzmässigkeit waltet <strong>und</strong> doch<br />

eine im einzelnen nicht kontrollierbare. Vernunft<br />

<strong>und</strong> Magie begegnen sich <strong>und</strong> werden<br />

eins in dem, was man ‚Weisheit, Einweihung<br />

nennt, im Glauben an die Sterne, die Zahlen.<br />

Das Ölgemälde «Überschach» schuf er<br />

1937. Er variierte das Schachbrettmuster,<br />

vergrösserte die weissen Felder gegenüber<br />

den schwarzen <strong>und</strong> veränderte auch diese.<br />

Er hat damit ein allbekanntes Muster belebt.<br />

Dem grübelnden Schachspieler widerfährt<br />

Ähnliches. Die Felder c4, e6, h3 können für ihn<br />

Felder der Bedrohung oder der Verheissung<br />

sein <strong>und</strong> damit überlebensgross werden.<br />

Friedensreich H<strong>und</strong>ertwasser<br />

(1928 – 2000):<br />

Der österreichische Maler <strong>und</strong> Grafiker H<strong>und</strong>ertwasser<br />

nahm in seinen Werken ornamentaldekorative<br />

Formen des österreichischen<br />

Jugendstils auf <strong>und</strong> transponierte sie in eine<br />

freiere, poetischere Bildsprache. Neben den<br />

Hauptmotiven von Spirale <strong>und</strong> Labyrinth kennzeichnen<br />

eine mosaikartige Flächenaufteilung,<br />

starke Farbigkeit <strong>und</strong> ein gewisser naivmärchenhafter<br />

Zug seine Kunst. Seit den 70er-<br />

Jahren engagierte er sich in der ökologischen<br />

Bewegung <strong>und</strong> bemühte sich auch um eine<br />

umweltbewusste Architektur (zum Beispiel<br />

das «H<strong>und</strong>ertwasserhaus» in Wien). In vielen<br />

seiner Werke kommen Schachbrettmuster zum<br />

Tragen <strong>und</strong> bilden das «Gr<strong>und</strong>gerüst».<br />

Eines seiner Werke zeigt einen Schachspieler,<br />

der aber nicht so leicht als solcher zu erkennen<br />

ist. Der Untergr<strong>und</strong>, auf dem sich der Kopf befindet,<br />

ist – nach Angaben von H<strong>und</strong>ertwasser<br />

– als Schachbrett zu deuten.<br />

Max Ernst (1891 – 1976):<br />

Der deutsche Maler, Grafiker, Objektkünstler<br />

<strong>und</strong> Bildhauer Max Ernst war einer der bedeutendsten<br />

Künstler des Surrealismus. Sein<br />

Werk reicht von dadaistischen Collagen über<br />

die Erfindung der Druckreibetechnik (Frottage)<br />

<strong>und</strong> vieler anderer Methoden bis zu grossen<br />

Gemälden, mit denen er den Surrealismus<br />

einleitete <strong>und</strong> im Spätwerk vollendete. Seine<br />

beachtlichen Skulpturen vereinen die grossen<br />

Entwicklungslinien des Jahrh<strong>und</strong>erts.<br />

Wie Man Ray war Max Ernst mit Marcel<br />

Duchamp befre<strong>und</strong>et <strong>und</strong> spielte mit diesem<br />

Schach. Ihn interessierte allerdings mehr das<br />

Design der Figuren <strong>und</strong> Bretter als das Spiel<br />

<strong>und</strong> er schenkte denn auch seinem Fre<strong>und</strong> ein<br />

eigenwillig konstruiertes Schachspiel.<br />

Anmerkung: Auf der Homepage sind einige dieser<br />

Figuren abgebildet.


34<br />

schulpraxis spezial<br />

Schachbegriffe im Alltag (Arbeitsblatt)<br />

Einigen der nachfolgenden Schachbegriffe seid ihr wahrscheinlich auch schon begegnet, denn in vielen Bereichen des<br />

Alltags kommen in unserem Wortschatz Ausdrücke aus dem Schachspiel vor, beispielsweise im Sport, in der Kultur,<br />

in der Politik, im Wirtschaftsleben usw. Versucht möglichst viele der Begriffe zu erklären, indem ihr auf die Leerzeilen<br />

aufschreibt, was sie bedeuten könnten. Vielleicht findet ihr sogar noch eigene Beispiele, die ihr schon angetroffen habt.<br />

Führt sie am Ende der Begriffslisten an! Dieser Auftrag ist als Partnerarbeit gedacht, genauso wie beim Schach spielen,<br />

wo es ja in einer Partie ebenfalls immer mindestens zwei Personen zum Spielen braucht!<br />

• einen Abtausch vornehmen = _______________________________________________________________________<br />

• ein Bauernopfer machen = _________________________________________________________________________<br />

• ein Damenopfer vollziehen = _______________________________________________________________________<br />

• einen Doppelschritt ausführen = ____________________________________________________________________<br />

• ins Endspiel überleiten = ___________________________________________________________________________<br />

• in eine Falle tappen = _____________________________________________________________________________<br />

• in eine Fesselung geraten = ________________________________________________________________________<br />

• einen Gabelangriff drohen = _______________________________________________________________________<br />

• einen Gegenangriff einleiten = _____________________________________________________________________<br />

• zu Gegenspiel kommen = __________________________________________________________________________<br />

• eine Kombination beginnen = ______________________________________________________________________<br />

• ein Luftloch schaffen = ____________________________________________________________________________<br />

• seinen Gegner matt setzen = _______________________________________________________________________<br />

• eine Pattsituation herbei führen = ___________________________________________________________________<br />

• Rasenschach spielen = ____________________________________________________________________________<br />

• eine Rochade ausführen = _________________________________________________________________________<br />

• ein Remis erzielen = ______________________________________________________________________________<br />

• aussehen wie ein Schachbrettmuster = _______________________________________________________________<br />

• einen klugen Schachzug machen = __________________________________________________________________<br />

• den Schlüsselzug finden = _________________________________________________________________________<br />

• einen Überraschungsangriff starten = ________________________________________________________________<br />

• Verwicklungen herbei führen = _____________________________________________________________________<br />

• die Zeit überschreiten = ___________________________________________________________________________<br />

• in Zeitnot geraten = _______________________________________________________________________________<br />

• das Zentrum besetzen = ___________________________________________________________________________<br />

• in Zugzwang geraten = ____________________________________________________________________________<br />

• Eigenes Beispiel: __________________________________________________________________________________<br />

• Eigenes Beispiel: __________________________________________________________________________________<br />

• Eigenes Beispiel: __________________________________________________________________________________<br />

Anmerkung: Auf der Homepage sind mögliche Lösungen <strong>und</strong> weitere 1:1 kopierbare Arbeitsblätter zu den Themen «Schacheröffnungen»,<br />

«Schachbegriffe», «Schachkenntnisse allgemein» zu finden.<br />

35<br />

schulpraxis spezial<br />

Schachbegriffe erklären (Arbeitsblatt)<br />

Begriffe aus unserem Thema «Schach», die dir jetzt geläufig sein sollten. Schreibe ihre Bedeutung auf die Leerzeilen!<br />

• Bauernumwandlung = _____________________________________________________________________________<br />

• Berührt – geführt = ________________________________________________________________________________<br />

• Endspiel = ________________________________________________________________________________________<br />

• ersticktes Matt = __________________________________________________________________________________<br />

• Falle = ___________________________________________________________________________________________<br />

• Fesselung = ______________________________________________________________________________________<br />

• Freibauer = _______________________________________________________________________________________<br />

• Gabel = __________________________________________________________________________________________<br />

• Gambit = ________________________________________________________________________________________<br />

• Linie = ___________________________________________________________________________________________<br />

• matt = ___________________________________________________________________________________________<br />

• patt = ___________________________________________________________________________________________<br />

• Reihe = __________________________________________________________________________________________<br />

• Rochade = _______________________________________________________________________________________<br />

• Zugzwang = ______________________________________________________________________________________<br />

Anmerkung: Auf der Homepage sind die Begriffe erklärt.


36<br />

schulpraxis spezial<br />

Schachkenntnisse (Arbeitsblatt)<br />

Kreuze den Buchstaben der richtigen Antwort an!<br />

Aufgabe 1: Wie wird das Schachbrett aufgestellt?<br />

a) Die Spieler sitzen sich an den Spitzen des Brettes gegenüber wie beim Halma<br />

b) Die Spieler haben jeweils eine Seite des Schachbrettes vor sich, wobei sich ein weisses Feld in der rechten Ecke<br />

befindet.<br />

Aufgabe 2: Wie viele Felder hat ein Schachbrett?<br />

a) 64 b) 32 c) 80<br />

Aufgabe 3: Wo befindet sich der Damenflügel von Schwarz?<br />

a) Auf der linken Seite von Schwarz aus betrachtet<br />

b) Auf der rechten Seite von Schwarz aus betrachtet<br />

Aufgabe 4: Wie nennt man die Senkrechten auf einem Schachbrett?<br />

a) Diagonalen b) Linien c) Reihen<br />

Aufgabe 5: Was versteht man unter einer Gr<strong>und</strong>reihe?<br />

a) Die am tiefsten gelegene Reihe in einer Abfolge von Reihen<br />

b) Eine Reihe, auf der sich andere Reihen aufbauen<br />

c) Die erste beziehungsweise achte Reihe bei der Gr<strong>und</strong>aufstellung<br />

Aufgabe 6: Welche der folgenden Felderfolgen bilden eine Reihe?<br />

a) a5 – b6 – c7 – d8<br />

b) a2 – b2 – c2 – d2 – e2 – f2 – g2 – h2<br />

c) f1 – f2 – f3 – f4 – f5 – f6 – f7 – f8<br />

Aufgabe 7: Welche der folgenden Felderfolgen bilden eine Diagonale?<br />

a) g1 – g2 – g3 – g4 – g5 – g6 – g7 – g8<br />

b) e1 – f2 – g3 – h4<br />

c) a6 – b6 – c6 – d6 – e6 – f6 – g6 – h6<br />

Aufgabe 8: Welche der folgenden Felderfolgen bilden eine Linie?<br />

a) a3 – b4 – c5 – d6 – e7 – f8<br />

b) b1 – b2 – b3 – b4 – b5 – b6 – b7 – b8<br />

c) a3 – b3 – c3 – d3 – e3 – f3 – g3 – h3<br />

Aufgabe 9: Was bedeutet das Zeichen «x» bei der Partienotation?<br />

a) Schlägt b) Schachmatt c) Gibt Schach d) Gibt auf<br />

Aufgabe 10: Wie nennt man den Schnittpunkt der 5. Reihe mit der f-Linie?<br />

a) F5 b) 5f c) f5 d) 5F<br />

Aufgabe 11: Wie wird eine Schachpartie aufgeschrieben?<br />

a) Durch eine Stenoschrift<br />

b) Durch eine Notation<br />

c) Mittels ausführlichem Text<br />

37<br />

schulpraxis spezial<br />

Aufgabe 12: Was versteht man unter dem Zentrum auf einem Schachbrett?<br />

a) Alle Felder ausser der beiden Gr<strong>und</strong>reihen<br />

b) Die Felder e4 <strong>und</strong> d4<br />

c) Die Felder e4, d4, e5 <strong>und</strong> d5 d) Die Felder e5 <strong>und</strong> d5<br />

Aufgabe 13: Wie viele Bauern hat jeder Spielende zu Beginn einer Partie?<br />

a) 6 b) 8 c) 10 d) 16<br />

Aufgabe 14: Wie bewegt sich ein Bauer normalerweise?<br />

a) Zwei Felder geradeaus b) Ein Feld seitwärts c) Ein Feld geradeaus d) Ein Feld schräg vorwärts<br />

Aufgabe 15: Wie schlägt ein Bauer eine andere Figur oder einen Bauern?<br />

a) Indem er einen normalen Zug vorwärts macht<br />

b) Indem er einen Zug seitwärts macht<br />

c) Indem er ein Feld schräg nach vorne links zieht<br />

d) Indem er ein Feld schräg nach vorne rechts zieht<br />

e) Indem er ein Feld schräg nach vorne links oder rechts zieht<br />

Aufgabe 16: Wann darf der Bauer einen Doppelschritt ausführen?<br />

a) Jederzeit b) Nur von den Gr<strong>und</strong>stellung aus c) Nie<br />

Aufgabe 17: Was geschieht, wenn ein Bauer bis zur Gr<strong>und</strong>reihe des Gegners<br />

vordringt?<br />

a) Die betreffende Partei hat die Partie verloren<br />

b) Der Bauer kann sich in eine beliebige Figur verwandeln<br />

c) Der Bauer muss sich in eine Dame verwandeln<br />

d) Der Bauer kann sich in eine beliebige Figur ausser des Königs verwandeln<br />

Aufgabe 18: Wann darf ein Bauer auch einmal rückwärts ziehen?<br />

a) Wenn der Gegner es erlaubt b) Nie c) Wenn das Feld vor ihm besetzt ist<br />

Aufgabe 19: Dürfen zwei Bauern bei Partiebeginn gleichzeitig um einen Schritt anstatt der zwei Schritte vorwärts<br />

gezogen werden?<br />

a) Nein b) Ja, einmal c) Ja, sooft man will<br />

Aufgabe 20: Welcher Spieler eröffnet eine Schachpartie?<br />

a) Schwarz b) Weiss c) Dies bestimmt der Schiedsrichter<br />

Anmerkung: Auf der Homepage findet man die richtigen Lösungen.<br />

Weitere Arbeitsblätter sind auf der Homepage zu finden.


38<br />

schulpraxis spezial<br />

Literaturverzeichnis<br />

• DVD «Die Schachspielerin» (97 Minuten), CONCORDE<br />

• DVD «Harry Potter <strong>und</strong> der Stein der Weisen» (147 Minuten), WARNER BROS. PICTURES<br />

• DVD «Schachnovelle» (99 Minuten), ARTHAUS<br />

Geeignete Lehrmittel für den Schulunterricht<br />

Offizielle Lehrmittel des Schweizerischen Schachb<strong>und</strong>es:<br />

• «Schachschule» von Peter Thomas in deutscher <strong>und</strong> französischer Sprache<br />

• «Schachschule 2» von Richard Brömel <strong>und</strong> Gerhard Richter<br />

• «Schachtaktik» von Andrin Wüest<br />

• «Die Stufenmethode» (5 Stufen) von Rob Brunia <strong>und</strong> Cor van Wijgerden<br />

Bezug über www.chesspoint.ch oder info@chesspoint.ch<br />

Nützliche Schachsoftware<br />

• «Fritz & Fertig – Schach lernen <strong>und</strong> trainieren» (ab 6 Jahren)<br />

• «Fritz & Fertig – Schach im schwarzen Schloss» (ab 8 Jahren)<br />

• «Fritz & Fertig – Schach für Siegertypen» (ab 8 Jahren)<br />

Bezug über www.chessbase.ch oder info@chessbase.ch<br />

Sinnvolle Internet-Ressourcen<br />

Für Anfänger (ohne Downloadmöglichkeit; freier Zugang):<br />

• www.spiele.liliput.ch/schach/schach.aspx<br />

• www.kostenlos-online-spielen.com/spiel/schach<br />

• www.x-oo.com/shockwave/diverse/webchess<br />

• www.jetztspielen.de/spiele/schach/schach.html<br />

Mit kostenloser Anmeldung:<br />

• www.freechess.com<br />

Schachprogramme zum Download:<br />

• www.novabit.ch (Windows)<br />

• www.sigmachess.com (Mac)<br />

Interessante Links:<br />

• www.swisschess.ch<br />

• www.schach.ch<br />

• www.schachmatt.de<br />

• www.playsite.com (Englischkenntnisse von Vorteil)<br />

• www.sklistal.com/links/schach_online<br />

• www.reutlingen.netsurf.de/frolik/mega.html<br />

• www.schackportalen.nu/deutsch/dtranaschack.html<br />

• www.chess<strong>und</strong>ergro<strong>und</strong>.com/baw/inhalt.html<br />

Dankeschön<br />

39<br />

schulpraxis spezial<br />

Besten Dank<br />

dem Schweizerischen Schachb<strong>und</strong> (Breitenschachkommission),<br />

der Stiftung «ACCENTUS»,<br />

der Jugendschach Stiftung,<br />

ChessBase Schweiz <strong>und</strong> Chesspoint<br />

für die finanzielle Unterstützung bei der Realisierung dieser Schulpraxis <strong>und</strong> ein herzliches Merci an Renzo Guarisco für<br />

die Diagramme <strong>und</strong> an Fabian Kramer, Etienne Bütikofer <strong>und</strong> Franziska Schwab von <strong>LEBE</strong> für die angenehme, professionelle<br />

Zusammenarbeit <strong>und</strong> Unterstützung.<br />

Der Fonds <strong>SCHACH</strong> SCHWEIZ der gemeinnützigen Stiftung ACCENTUS unterstützt das<br />

Schachspiel in der Schweiz (www.accentus.ch).<br />

Unterstützungsanträge sind zu richten an:<br />

Stiftung ACCENTUS<br />

Fonds <strong>SCHACH</strong> SCHWEIZ<br />

Schanzeneggstrasse 3<br />

8070 Zürich oder info@accentus.ch


Lehrmittel & Spielmaterial für Schulkurse<br />

vom Schweizerischen Schachb<strong>und</strong> empfohlen<br />

www.chesspoint.ch<br />

CPS, Esther Schiendorfer, Bahnhofstr. 31, 4562 Biberist<br />

032 672 36 06 / info@chesspoint.ch<br />

Lehrmittel Arbeitshefte, Trainerbücher, CDs der „Stappenmethode“<br />

Lehrmittelreihe „Schachschule“ mit Tests <strong>und</strong> Ideen r<strong>und</strong> ums Schach<br />

Material Klappbretter/Figuren (strapazierfähig, auch mit Grossbuchstaben)<br />

Mechanische Uhren (ideal für erste Partien, freies Spiel)<br />

Demo-Brett (ideal für Gruppenunterricht)<br />

Formulare, Paarungsprogramm (für Schulturnier)<br />

Miete Garten-/Lebendschach, div. Spielmaterial z.B. für den Schlussevent<br />

Diplome Korrektur/Diplome (Motivation, Erfolgskontrolle)<br />

Vermittlung Hilfe bei der Vermittlung z.B. von Vereinen mit Jugendförderung,<br />

gemeinsames Turnier, Kursfortsetzung usw.<br />

Fritz & Fertig<br />

Der preisgekrönte Schachtrainer für Kinder (<strong>und</strong> Erwachsene) erobert die<br />

Herzen aller Schachliebhaber. Bei dieser multimedialen Umsetzung des<br />

Königsspiels stimmt einfach alles: Sie ist kindgerecht, witzig <strong>und</strong> didaktisch<br />

hochwertig. Strategisch denken lernen, kniffliges Gehirnjogging, spannende<br />

Wettkampfsituationen, jede Menge Spielspass <strong>und</strong> eine gehörige Portion Schachwissen – all das<br />

<strong>und</strong> mehr steckt in diesem ungewöhnlichen Schach-Adventure.<br />

Fritz & Fertig ist in vier Folgen erhältlich (auch in Mac-Version) – Preis Fr. 36.– (je Folge)

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!