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MISS KITTIN<br />

KITTIN IS HIGH<br />

Interview und Text von Arne Löffel<br />

Die Französin Caroline Hervé, Jahrgang 1973, gehört zu den<br />

vielen missverstandenen Künstlern dieser Welt. Und das, obwohl<br />

sie unter ihrem Pseudonym Miss Kittin eine längst Musik-<br />

Ikone ist und mit ihren Hits „Frank Sinatra“ oder „1982“<br />

Clubgeschichte geschrieben hat. In ihren Texten geht es um<br />

Sex, Drogen und Hedonismus. Zumindest vordergründig – und<br />

viele Zuhörer verstehen nicht die Ironie in den Texten von Miss<br />

Kittin. Jetzt ist sie zurück – und veröffentlicht im Februar ihr<br />

neues Album „BatBox“.<br />

Partysan: In „Frank Sinatra“ sagen Sie, dass es so schön<br />

sei, berühmt zu sein, Sex in Limousinen zu haben und Kokain<br />

im VIP-Bereich zu ziehen. Halten Sie das wirklich für cool?<br />

Oder ist das alles eine ironische Sichtweise auf die Szene,<br />

in der Sie sich bewegen? Miss Kittin: Natürlich ist das alles<br />

Ironie. Ich kann mir kaum etwas Schrecklicheres vorstellen,<br />

als wie in einem schlechten Hiphop-Video zu leben. Und genau<br />

so wäre das ja auch. Und wenn ich es cool finden würde, würde<br />

ich niemals darüber schreiben, sondern es einfach tun.<br />

Nun denken aber viele, vor allem junge Frauen aus der Clubszene,<br />

dass Miss Kittin genau diese Eskapaden lebt und<br />

nicht wenige von diesen Frauen halten sie daraufhin für ein<br />

Vorbild, ein Ideal. Sie wollen auch in die VIP-Bereiche und<br />

zum Koksen eingeladen werden. Diese Frauen haben alle<br />

nicht verstanden, worum es eigentlich geht. Weder in meinen<br />

Texten, noch im echten Leben. Sie sind so fasziniert von dieser<br />

vermeintlich glamourösen Welt, dass sie denken, ich wäre<br />

genau so, wie in meinen Texten. Aber ich bin so weit davon entfernt,<br />

dass es weiter kaum sein könnte. Ich habe wirklich keine<br />

Lust auf Limousinen und Pornstars.<br />

Höre ich da einen Anflug von Feminismus? Jede Künstlerin ist<br />

per se Feministin, wenn sie mit ihren eigenen Stücken auf die<br />

Bühne geht. Ganz im Gegensatz zu den Performerinnen, die<br />

nur hübsch aussehen und gut singen sollen, was ihnen vorgesetzt<br />

wird.<br />

Aber Sie sind in der Anfangszeit Ihrer Karriere Mitte der<br />

90er Jahre ja selbst im Latex-Outfit auf die Bühne getreten.<br />

Das war zu einer Zeit, als die Clubszene so sehr auf DJs und<br />

Instrumentalstücke beschränkt war, dass ohne ein sexy Outfit<br />

wirklich niemand, aber auch niemand zugehört hätte. Ich habe<br />

das damals benutzt, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Ein notwendiges<br />

Übel, so zusagen.<br />

Sind Sie ein bisschen enttäuscht von Ihren Fans? Eigentlich<br />

gar nicht. Es steht natürlich jedem Zuhörer frei, sich aus meinen<br />

Auftritten das herauszuziehen, was ihm etwas bedeutet.<br />

Ich bin auch nicht mehr angepisst, wenn mir dann wiederum<br />

Enttäuschung entgegen schlägt, weil ich eben nicht die<br />

Krankenschwester im Latex-Outfit bin. Das zeigt doch alles<br />

nur, wie leicht die Menschen zu manipulieren sind.<br />

Wieso schreiben Sie dann – trotz der ganzen Verwirrung –<br />

über derartige Zusammenhänge? Ich mag die Extreme. Ein<br />

guter Text ist wie ein Charakter in einem guten Film. Der Böse<br />

ist da auch nie ganz böse, sondern irgendwie faszinierend. Die<br />

Extreme liegen oftmals nah bei einander. Deshalb singe ich<br />

mit betont charmanter Stimme über betont schmutzige Dinge.<br />

Auf Ihrem aktuellen Album „BatBox“ singen Sie weniger von<br />

der Clubszene, als eher von anderen Beobachtungen wie<br />

Szenen im Allgemeinen, Style und Ihrem ganz eigenen Blick<br />

auf das moderne Leben. Das Album wirkt weniger homogen<br />

als der Vorgänger „I Come“, sondern eher wie Versatzstücke,<br />

die sich erst spät zu einem Ganzen fügen. Ich habe<br />

die Stücke zu „BatBox“ im Gegensatz zum Vorgängeralbum<br />

nicht im Hinblick auf eine Albumproduktion geschrieben. Die<br />

Stücke sind eines nach dem anderen überall auf der Welt entstanden<br />

und ich habe die Ideen gesammelt, um sie dann meinem<br />

Produzenten The Hacker zukommen zu lassen, mit dem<br />

ich auch schon das erste Album aufgenommen hatte. Mit ihm<br />

kann ich einfach gut arbeiten, weil wir als Persönlichkeiten<br />

harmonieren, den selben sozialen Hintergrund haben und so<br />

weiter. Mit ihm zu arbeiten, ist wie vierhändig Klavier spielen.<br />

Jeder macht alles. Bei den anderen Produzenten war es oftmals<br />

schwer, meine musikalischen Vorstellungen durchzusetzen.<br />

Deshalb hatte ich „I Come“ auch ganz alleine produziert,<br />

bis The Hacker und ich jetzt wieder zusammengefunden<br />

haben.<br />

Ein Stück sticht aus Ihrem Album heraus: „Sunset Strip“.<br />

Das ist so zusagen die Fortsetzung von „Madame Hollywood“,<br />

diesmal habe ich das mit Pascal Gabriel aufgenommen, dem<br />

Produzenten von S.Express. Also ein Big Player im Musikbusiness.<br />

Hier geht es ja wieder um das verquere Verhältnis von<br />

selbstbestimmtem Leben und den Anforderungen, die von<br />

der oberflächlichen Gesellschaft an uns gestellt werden.<br />

14 <strong>PARTYSAN</strong> 12/07 _ 01/08<br />

Wie kommen Sie eigentlich auf Ihre Texte? Das ist ganz<br />

unterschiedlich. Ich habe da so ein kleines Notizbuch, genau<br />

wie Sie auch, in das ich manchmal nur einzelne Worte schreibe,<br />

in das sich manchmal aber auch ganze Texte ergießen.<br />

Und ich finde Wortspiele einfach großartig. Manche haben so<br />

viel Energie wie schnelle Motorräder. Nehmen wir zum Beispiel<br />

den Titel „Bat Box“. Das an sich ist – laut ausgesprochen –<br />

schon so eine starke Wortkombination, dass man danach<br />

eigentlich irgendwelchen Unsinn sagen kann. Was ich ja auch<br />

tue: „Bat Box – is that all you goth“.<br />

Da sind sie wieder – die für Miss Kittin typischen Wortspiele.<br />

Wieso die Anspielung auf die Gothic-Szene? Zählen Sie sich<br />

selbst dazu? Nein, ich war nie in der Gothic-Szene. Aber ich<br />

finde diese Menschen irgendwie faszinierend und schätze sie<br />

sehr. Sie sind meisten sehr literaturinteressiert und mögen<br />

Kunst und solche Sachen. Aber ich hatte immer schon meinen<br />

eigenen Style, auch wenn mir der Gothic-Style gut gefällt. Ich<br />

hatte schon immer eine dunkle Seite in meiner Persönlichkeit.<br />

Die trägt meiner Meinung nach dazu bei, sich seiner selbst<br />

besser bewusst zu werden. Selbst der Dalai Lama sagt, dass<br />

man Schmerz fühlen muss, um Glück fühlen zu können.<br />

Sind Sie Buddhistin? Nein, bin ich nicht. Aber vielleicht sollte<br />

ich eine werden?!<br />

Die dunkle Seite des Lebens und der Ästhetik kommt ja auch<br />

im Artwork des neuen Albums zum Vorschein. Es ist ganz<br />

von den Schöpfern von Emily The Strange gestaltet worden.<br />

Wie kam es denn dazu? Oh – das ist wirklich eine tolle Sache,<br />

dass das geklappt hat. Ich habe einen der Designer von Emily<br />

The Strange in den USA kennen gelernt und wir haben uns auf<br />

Anhieb gut verstanden. Ich war sehr überrascht, dass er mich<br />

als Künstlerin kannte. Wir haben uns zum ersten Mal getroffen<br />

und auch zusammengearbeitet, als ich gerade mit Golden Boy<br />

MISS KITTIN<br />

„Rippin Kittin“ aufgenommen hatte. Ich liebe diesen Style einfach,<br />

das ist viel mehr mein Ding als das ganze „Bling-Bling“,<br />

wenn Sie wissen, was ich meine. Und da hat es mich natürlich<br />

um so mehr gefreut, dass ihm meine Sachen gefallen und<br />

dass er sich sofort dazu bereit erklärt hat, mein Album-Booklet<br />

zu designen.<br />

Zumal das Büro ja abgelehnt hat, das Album von Green Day<br />

zu gestalten. Ja, auch deshalb. Und ich dachte von daher,<br />

dass er meine Musik gut findet. Ich habe sowieso immer eine<br />

tierische Angst davor, zu kommerziell und zu cheesy zu werden.<br />

Ist „I Come“ deshalb so ein düsteres Album geworden? So<br />

zusagen als Gegenpol? Ich kalkuliere nie, wie meine Sachen<br />

wirken werden. Ich sage nur, dass ich Angst davor habe, zu<br />

kommerziell zu sein. Ich habe auch nicht vor, irgendwelche<br />

Hörgewohnheiten meiner Fans zu befriedigen. Es geht nur um<br />

mich selbst. Das ist eine Frage von Authentizität. Wenn mich<br />

jemand in ein künstlerisches Korsett quetschen will, explodiere<br />

ich.<br />

Selbst auf die Gefahr hin, die Erwartungen der Fans zu enttäuschen?<br />

Ich leide da ein bisschen an dem, was ich gerne<br />

das Marc-Almond-Syndrom nenne. Von Marc Almond erwarten<br />

auch alle ein zweites „Tainted Love“. Aber es wird niemals ein<br />

zweites „Tainted Love“ geben, selbst wenn er es versuchen<br />

würde. Und deshalb ist es konsequent, sich selbst weiter zu<br />

entwickeln und in diesem Fall nicht auf die Fans zu hören. Es<br />

ist konsequent und richtig, kein zweites „Frank Sinatra“ aufzunehmen,<br />

sondern sich in der Produktion ganz von Zwängen<br />

zu befreien und sich voll auf das aktuelle Projekt zu konzentrieren.<br />

<strong>PARTYSAN</strong> 10/07 15

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