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Forum Deutsch - University of Alberta

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HERBST 2005 10 <strong>Forum</strong> <strong>Deutsch</strong><br />

den häusern: Coleman, Freake, Walbourne, Bryan… Die Paynes<br />

hatten zwar keine straße, aber die grocery, und ein felsen im<br />

hafen war nach ihnen benannt. Ein zweig der familie, war mir<br />

aufgefallen (in Pickett‘s Lane), versprach mit einem geschnitzen<br />

türschild „The Payne‘s – no aches!“ Alle anderen straßen- und<br />

hausnamen waren gewiss auf den anderen beiden friedhöfen zu<br />

finden, die ich nicht gefunden habe. Der weg dorthin hat keinen<br />

namen auf dem plan.<br />

Selbstverständlich gehörte zum friedh<strong>of</strong> von Our Lady Of The<br />

Snows auch ein schneeweisser zaun – und das war, soweit ich<br />

mich erinnere, von allen zäunen, die ich auf Fogo, vielleicht<br />

sogar in Neufundland überhaupt gesehen habe, der einzige, der<br />

ein grundstück vollständig und allseitig umschloss. Ein zwischending<br />

von latten- und bretterzaun, war er niedrig genug um<br />

kein hindernis zu sein, das tor ein sichtlich handgeflochtenes<br />

drahtornament und vertäut mit einem einfachen knoten. Der<br />

liess sich leicht lösen, aber wer weiss, ob ich ihn wieder richtig<br />

geknüpft habe.<br />

In dieser WORLD OF DIFFERENCE schienen mir die leute<br />

erstaunlich wenig erpicht, sich oder auch nur ihre grundstücke<br />

von einander abzugrenzen; wohl gab es zäune – aber weniger als<br />

feststellungen denn als gesten, den einen oder anderen meter<br />

eher ornametal, augenscheinlich aus rhythmischen erwägungen<br />

in die landschaft gesetzt, als eine art zeichen und völlig problemlos<br />

zu umgehen. Ein alleinstehendes gartentor zwischen zwei<br />

pfosten, mitten auf der wiese. Ein ausserordentlich graziles<br />

geflecht aus dünnen fichtenstämmchen zwischen felsblöcken.<br />

Ein rechter winkel aus solidem lattenzaun, etwa 5 meter in beiden<br />

richtungen, und keinerlei fortsetzung folgte. Ein der form<br />

nach perfektes karree, dem nur ab und zu ein paar meter fehlten,<br />

oder auch nicht fehlten: ein wechsel von zaun und freiraum. Ich<br />

bin mir nicht einmal sicher, ob damit wirklich die grundstücksgrenzen<br />

gemeint waren. An Fogos südwestbucht hatte jemand<br />

ein regelrechtes stakkato von zäunen errichtet, ein – bei näherer<br />

betrachtung allerdings merkwürdig zusammenhangloses –<br />

labyrinth, das zudem noch enorme stapel von zaunslatten zu<br />

einer weiteren verwendung enthielt. Zu welchem der drei<br />

benachbarten wohnhäuser dieses arrangement gehörte, war<br />

nicht absehbar.<br />

Ähnlich schwierig, wenn nicht unmöglich war es, die vielfältigen<br />

outbuildings jeweils bestimmten häusern zuzuordnen. Es gab<br />

keinerlei erkennbares muster, eine fast zu perfekte<br />

zufallsverteilung nur, die anmut eines würfelwurfs. Das grundmuster<br />

„haus“ allerdings – quader plus prisma, vier wände plus<br />

dach – in mannigfachen variationen: an das wohnhaus vorn noch<br />

ein kleines geklebt, als windfang, hinten ein halbes mit<br />

flacherem dach quer, und eins oder das andre noch als anbau an<br />

die seite; ringsum dann schuppen, katen, keuschen, hütten,<br />

remisen über die gegend verstreut, bis hinunter zum meer, bis zu<br />

den fishhouses auf den anlegern, den einen proto-, den archetyp<br />

dekliniert durch alle größenverhältnisse und<br />

nutzungsmöglichkeiten, bis zur hundehütte, zur mailbox, bis hin<br />

zum vogelhäuschen: weiss, wenige mit farbigen kanten, mit<br />

schwarzem, einige auch mit farbigem dach, nur ein paar der outbuildings<br />

ockerrot, deren kanten dann <strong>of</strong>t weiss.<br />

Ereignet hat sich auf und in Fogo nicht viel; freitagnachmittag<br />

traf ich am ende der South Shore Road zwei junge fischer, deren<br />

namen ich vergessen habe. Der eine war ebenso atemberaubend<br />

schön wie der andere hässlich, ein seltsames paar, in blaumann<br />

und ölzeug. Sie erzählten, dass sie schon fünf monate auf Fogo<br />

seien und in der nächsten woche nach hause fahren würden. Wo<br />

das sei? Labrador, sagte der kupferblonde mit den sommersprossen<br />

und mir ist, als hätte ich gesagt: „O, THAT‘S FAR FROM<br />

HOME!“, denn es klang mir so sehr weit weg, so jenseits des<br />

nordwinds. Die beiden lachten und gingen, nach gegenseitigem<br />

gute-reise-wünschen, wieder an die arbeit, verschwanden dort,<br />

wo sie auch aufgetaucht waren: hinter den fishhouses, wo ein<br />

paar boote festgemacht hatten. Spurlos. Ich blieb zurück mit dem<br />

sonderbaren gefühl eine wichtige frage nicht gestellt zu haben –<br />

und ohne die leiseste ahnung, welche das hätte sein können.<br />

Zum abendessen versuchte ich mein glück erst bei Beaches<br />

bar&grill an der Main Street, was sich als ganz eigene hölle herausstellte:<br />

ein riesiger, dunkler, hauptsächlich leerer raum mit<br />

niedriger decke, an dessen einer wand eine reihe flipper und einarmiger<br />

banditen blinkte, vor sich hin schnurrte und klimperte;<br />

rechterhand, hinter einem durcheinander von tischen und<br />

stühlen, dämmerten am irgendwie in einen winkel gequetschten<br />

tresen ein paar 40-watt-lampen unter grünen schirmen und zwei<br />

düstere gestalten. Die kellnerin schaute nicht eben<br />

erwartungsvoll und ich machte auf der schwelle kehrt.<br />

Es gab ja noch den chinesen. Und wie weiss dort der reis war.<br />

Am samstag ging die hochzeit vonstatten. Frühmorgens schon,<br />

als ich mich aufmachte, um den rest der insel zu erkunden,<br />

fuhren mit luftballons in lila, goldgelb und weiss behängte autos<br />

auf der Main Street hin und her.<br />

Im osten der insel endet die straße in Tilting, wo die straßenschilder<br />

grüngerandet sind – wie auch die meisten häuser – und<br />

mit einem kleeblatt verziert: irisches gebiet. Aber kein mensch<br />

war dort zu sehn, ausser einem kleinen jungen, der sein hockeytor<br />

mitten auf die straße und direkt hinter eine kurve gestellt<br />

hatte. Ich schaffte es gerade noch zu bremsen, dann waren wir<br />

beide einen moment sehr verblüfft. Als ich, nach einem spaziergang<br />

um die hafenbucht, wieder zurückfuhr, waren auch das<br />

kind und das tor verschwunden. Erst auf der weststrecke und<br />

gegen mittag belebte sich die gegend etwas, blockierten hin und<br />

wieder zwei autos, deren fahrer in gegenrichtung und seelenruhig<br />

von fenster zu fenster plauderten, den weg. Geduld; es war<br />

ohnehin in jede richtung nur etwa eine viertelstunde zu fahren.<br />

Der bräutigam wurde am nachmittag, mit trauzeugen und freunden,<br />

an bord eines schon etwas rostigen kleinen trawlers im<br />

hafen, der NEWFIE PRIDE hiess, von einem beträchtlichem

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