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Forum Deutsch - University of Alberta

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HERBST 2005 6 <strong>Forum</strong> <strong>Deutsch</strong><br />

In Newfoundland gibt es an jedem ende der welt – und davon<br />

gibt es ziemlich viele – einen hafen, an dem die straße (falls überhaupt<br />

eine bis dahin führt) einfach aufhört. Die neuschotten<br />

stellen auch in so einem fall schilder auf: ROAD ENDS 100M,<br />

und auch gern, weil das häufiger vorkommt: PAVEMENT ENDS<br />

– aber wozu dinge beschriften, die ohnehin sicht- und spürbar<br />

sind. Es sei denn, man begreift das als eine art humor; und es gab<br />

stellen, da liess sich die sache mit dem pavement sogar als ausgesprochener<br />

hohn auffassen, denn der asphalt endete immer<br />

s<strong>of</strong>ort am schild und manchmal auf üble weise. Und manchmal<br />

bildete ein schild auch nur den sachverhalt wortlos als pictogramm<br />

ab, das aber erst aus nächster nähe, in dem moment, da<br />

es einem bereits widerfuhr, erkennbar war. Zwar verwandeln<br />

sich auch neufundländische straßen gelegentlich unverh<strong>of</strong>ft in<br />

kiespisten, doch dort versucht niemand davon durch gelbe<br />

schilder abzulenken.<br />

Die hauptstraße jedenfalls (es gibt auf dieser eigenartigen insel<br />

neigung zu einem verabsolutierenden gebrauch der einzahl, die<br />

den besagten dingen etwas wesentliches angedeihen lässt: DIE<br />

hauptstraße zum beispiel, an sich und überhaupt), der<br />

TransCanada One schlägt einen 900 km langen, nach norden<br />

gewölbten bogen über die insel, und verbindet St John’s, die<br />

hauptstadt mit flug- und überseehafen, im osten, mit Channel-<br />

Port-aux-Basques im südwesten, wo eine fähre nach Nova Scotia<br />

ablegt, touchiert die küsten sonst aber kaum; alle straßen zum<br />

meer zweigen davon ab. Kurz hinter St John’s steht ein schild,<br />

das ROUGH ROAD NEXT 38KM verspricht, wovor jemand mit<br />

ironischer sorgfalt noch eine 7 gemalt hat, was so ziemlich genau<br />

bis Corner Brook nächst der westküste reicht.<br />

Ausserhalb von Avalon, der (zwar mit 40% der gesamtbevölkerung,<br />

doch, da das nicht mehr als 200 000 leute sind und<br />

die hälfte davon in St John’s wohnt, auch nur relativ) dicht<br />

besiedelten südöstlichen halbinsel (die selbst wiederum aus mindestens<br />

fünf halbinseln, die auf der karte nicht benannt sind,<br />

besteht), gibt es lediglich vier, fünf mögliche umwege auf diesen<br />

ca. 112 000 quadratkilometern insel und inseln: hoch im norden<br />

der riesigen, spärlich besiedelten Northern Peninsula eine große<br />

schlaufe mit 4 enden, die nur auf einer seite, an der westküste<br />

zur Strait <strong>of</strong> Belle Isle hin, die sie von Labrador trennt, auf den<br />

vielleicht 50 kilometern zwischen Plum Point und Eddies Cove<br />

mit 16 weiteren winzigen Points und Coves bestückt erscheint,<br />

wovon es eines sogar zu dem namen Nameless Cove gebracht<br />

hat; im süden auf der Burin-halbinsel, zwischen Winterland,<br />

Fortune und Lawn; im osten auf Bonavista und ein stück weiter<br />

nördlich, zwischen Gambo und Gander, die durch 40 km<br />

TransCanada Highway direkt verbunden sind, gibt es THE LOOP,<br />

in dem sich ein highway 320, der irgendwann 330 heisst – was<br />

nebenher eine völlig abwegige vorstellung von der anzahl der<br />

straßen in Neufundland hervorruft – 220 km die küste entlang<br />

schlängelt, was sich noch, via 331 und 340, bis nach Notre Dame<br />

Junction am TCH1 verlängern liesse. Im unwegsamen inneren, in<br />

der schlinge dieses LOOP wurde ich dann, wenn auch – oder<br />

naturgemäß – in der gegenrichtung, fündig: HOME POND. Ein<br />

gewässer, doch weder ein ort noch ein weg dahin.<br />

Ich hätte mich über unsichere pfade, mit einer karte, die für soetwas<br />

nicht gemacht war, auf den weg in die wildnis machen können,<br />

bestimmt hätte ich dann auch THE MOOSE gesehen, aber<br />

vielleicht hätte mich auch jemand für ein moose gehalten, es war<br />

nicht nur Indian Summer, sondern auch jagdsaison und<br />

angezeigt, nicht ohne Hunters Orange, eine grellfarbige kluft,<br />

wie sie hierzulande straßenbauarbeiter und müllmänner tragen,<br />

in die gegend zu gehen. Ich habe auch eine entsprechende tafel<br />

gesehen, die das dringlich empfahl – allerdings bei Cape Split,<br />

Nova Scotia. In Neufundland haben sie’s nicht so mit schildern;<br />

„MOOSE WARNING“ ist eine der ausnahmen, das findet sich alle<br />

paar kilometer: obacht beim elchtest. Und es ist darauf nicht die<br />

elegante silhouette eines langbeinig trabenden elchs abgebildet,<br />

mit der auf deutschen autos Skandinavien-erfahrung demonstriert<br />

wird, sondern etwas ziemlich statisches, mächtiges, schweres,<br />

eher bisonähnlich, mit einem gewaltigen geweih. Und <strong>of</strong>t genug<br />

folgen eigenartige bremsspuren.<br />

Die neufundländer (nicht die hunde, davon bekam ich nur einen<br />

eisbärgroßen in acryl und einen ponygroßen in bronze zu gesicht<br />

und einige auf postkarten, jedoch keinen einzigen „echten“ –<br />

irgendwo tief in der südlichen wildnis aber, nördlich des Round<br />

Pond, der gar nicht rund ist, gibt es einen oder den<br />

Newfoundland Dog Pond, was immer das heissen mag) – die neufundländer<br />

jedenfalls nutzen die jagdsaison gerüchtehalber vor<br />

allem, um sich in kleinen grüppchen fern aller zivilisation<br />

ordentlich zu betrinken; aber da sie dazu bewaffnet sind und<br />

ausser einem kater womöglich noch andere beutetiere vorzeigen<br />

möchten, ballern sie wohl – mir wurden einige warnende anektoden<br />

zuteil – auf alles, was sich irgendwie bewegt; und ich<br />

glaube nicht, dass es dann von großem nutzen wäre, neonorange<br />

zu leuchten.<br />

Um den HOME POND war ich also gereist, eine, meine art middle<br />

<strong>of</strong> nowhere. Noch etwas mittiger im LOOP, behauptet die<br />

karte, befindet sich der Ocean Pond, genau auf der 50-km-luftlinie<br />

zwischen den küstensiedlungen Centreville und Main Point,<br />

die in beiden richtungen des LOOPs gleichweit entfernt sind und<br />

beide eher sehr peripher. Auch die halbinsel Bonavista hat einen<br />

Ocean Pond aufzuweisen, und der könnte in etwa die mitte<br />

dieses reichgegliederten gebildes darstellen, obwohl er sich nicht<br />

innerhalb des dortigen loops befindet, von dem allerdings<br />

keineswegs ausgemacht ist, dass es so genannt wird. Eine merkwürdige<br />

namensdoppelung ist mir hingegen auf Avalon begegnet,<br />

wo sich zwei Zufallsbuchten, Chance Cove, in ganz unzufällig<br />

erscheinender symmetrie und ca. 250 km luftlinie abstand in<br />

nordnordwest, am isthmus von Avalon, und südsüdost, am Irish<br />

Loop, gegenüberliegen.<br />

Während die provinz Nova Scotia stellenweise den eindruck<br />

macht, als hätte jemand eine Europa-karte genommen, zerschnitten<br />

und zu einem quilt in form Nova Scotias wieder zusammengenäht,<br />

so dass Liverpool zwar an der mündung des Mersey River<br />

liegt, der aber ein abfluss des Lake Rossignol ist, und man von<br />

dort über eine brücke nach Brooklyn kommt, von wo aus es nur

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