04.01.2013 Aufrufe

Forum Deutsch - University of Alberta

Forum Deutsch - University of Alberta

Forum Deutsch - University of Alberta

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

HERBST 2005 8 <strong>Forum</strong> <strong>Deutsch</strong><br />

ich es schon <strong>of</strong>t gehört hatte, eigentlich immer an dieser stelle<br />

des gesprächs: „O, THAT‘S FAR FROM HOME!“– und zwar auch<br />

immer mit der gleichen eigenartigen mischung aus erstaunen,<br />

hochachtung und sachtem mitleid. Ich fragte, wo denn sein<br />

HOME sei, und er wies auf die andere seite der bucht, wo, gerade<br />

noch in sichtweite, ein einzelnes häuschen stand; die<br />

kiespiste nach Meat Cove, wo das wirklich allerletzte ende der<br />

Cape-Breton-welt ist, führte in der nähe vorbei. Auf meine frage,<br />

ob es nicht einsam sei, so ohne alle nachbarschaft, erwiderte er<br />

mit einer art sanftem enthusiasmus:“O, I CAN SEE LIGHTS!“ –<br />

er hatte überhaupt die gewohnheit sätze mit O zu beginnen und<br />

sein i klang mehr nach oy: OYCAN SEE LOYDS, zwischen den<br />

sprachen wurden lichter zu leuten, leuchtete ein sehläuten über<br />

die bucht.<br />

Sonny war es auch, der mir die elche in großbuchstaben setzte;<br />

als ich ihm von Neufundland erzählte, fragte er, der noch nie im<br />

leben in dieser nachbarschaft auf der anderen seite der Cabot<br />

Strait gewesen war, die eigene insel überhaupt kaum je verlassen<br />

hatte, ob ich dort etwa THE MOOSE gesehen hätte. Auch diesen<br />

satz begann er mit O und der bestimmte artikel machte, mit<br />

einem – wie mir schien – sonderbaren unterton, dass der elch in<br />

meinen ohren zum totem, zu einem übernatürlichen wesen<br />

mutierte. Gewiss, elche gibt es auch auf Cape Breton, sie waren<br />

vor einigen jahren, jahrzehnten wieder eingebürgert worden,<br />

erzählte Sonny, und hatten sich, durch den großen nationalpark,<br />

in dem sie nicht bejagt werden dürfen, zu einer mittleren landplage<br />

entwickelt. Aber er blieb bei seinem bestimmten artikel<br />

und ich hörte auch beharrlich den singular, obwohl MOOSE<br />

genausogut eine mehrzahl meinen kann, und hatte kein einziges<br />

gesehen, weder da noch auf Newfoundland, nur immer diese<br />

schilder mit der imposanten silhouette. Wie bildstöcke in<br />

katholischen gegenden. Im Terra Nova National Park sogar eine<br />

große tafel am straßenrand mit der diesjährigen statistik über<br />

auto-elch-kollisionen, und ich bin mir nicht sicher, glaube aber,<br />

auf der hinfahrt sei da elf, auf der rückfahrt, von Fogo Island her,<br />

5 tage später, schon dreizehn gestanden. Obwohl ich ja sonst auf<br />

Neufundland keinen einzigen fall von roadkill gesehen hatte, wo<br />

nur gelegentlich reifenfetzen am straßenrand lagen, während es<br />

in Nova Scotia plattgefahrene stachelschweine, waschbären,<br />

streifenhörnchen und fasane waren.<br />

Zum abschied stellte sich Sonny dann vor; nicht weil man sich im<br />

leben nochmal begegnen könnte, sondern weil ein gutes<br />

gespräch einen würdigen abschluss braucht, ein ganz wörtliches<br />

sich-erkenntlich-zeigen. Ich hatte schon registriert, dass der<br />

Williams-clan in dieser gegend weit verbreitet und dominant war,<br />

aber was war das für ein vorname? Söhnchen? Ein stämmiger<br />

mann mitte fünfzig? Oder doch Sunny? Sönnchen? Ein name, so<br />

gut wie keiner. Ein glück. Er strahlte und wandte sich dem einlaufenden<br />

fischerboot zu.<br />

Eine straße hat kein DEAD END, wo doch ein hafen ist, und weil<br />

der hinweg nur ihre eine seite ist und der rückweg die andere<br />

hälfte, ist auch EXIT, wo ein eingang ist. Die devise der provinz<br />

Newfoundland & Labrador, von jedem autonummernschild dort<br />

abzulesen, lautet: A WORLD OF DIFFERENCE. Weiträumig übersetzt<br />

sich das in: eine Anderswelt. Und so lebt diese insel auch in<br />

einer eigenzeit, die ebenso für den südlichen teil Labradors gilt,<br />

das auf wenig differierender geographischer länge also zwei verschiedene<br />

zeiten hat: Newfoundland Standard Time, eine halbe<br />

stunde vor der Atlantik-, der kanadischen ostküstenzeit, die auch<br />

für den rest Labradors gilt (und für die beiden französischen<br />

inselchen St-Pierre et Miquelon unmittelbar vor der neufundländischen<br />

südküste), anderthalb vor Quebec, Ontario und<br />

der US-küste, vierundeinhalb sowohl nach Greenwich als auch<br />

vor British Columbia im westen. Um zwölf geht die welt unter,<br />

sagt man in Kanada, und in Neufundland eine halbe stunde<br />

später.<br />

Aber für die reise in die Anderswelt gilt nur das schiff, zum übersetzen<br />

brauchts eine fähre. Der hafen, an dem die straße endete,<br />

hiess Farewell, das asphaltband führte direkt ins meer. Zwischen<br />

inseln, die auf der karte schon nicht mehr vorkamen, oder wenn,<br />

so doch keinen namen hatten, schob sich langsam die weisse aut<strong>of</strong>ähre<br />

heran, schlug einen großen bogen, legte rücklings an. Die<br />

heckklappe öffnete sich, ein paar autos rollten heraus, ein lkw,<br />

mehrere pick-ups; zeit verging, dann wurden die wartenden<br />

hineingewinkt. Es war ein blauer tag, wolkenloser himmel, tiefblaues<br />

meer, keine spur der angeblich neufundlandtypischen<br />

RDF-wetterlage – rain, drizzle, fog – und das feste land, die<br />

inseln schienen sich beim zurückschauen in bläulichen dunst<br />

aufzulösen. Nach einer viertelstunde hatte ich herausgefunden,<br />

dass man erst auf der rückfahrt zahlt, und die fähre machte ihren<br />

zwischenstop bei Change Islands: ein anleger, zwei häuschen am<br />

rand des waldes, in dem die kiespiste und ein einziges auto richtung<br />

norden verschwand. Gegen mittag erreichten wir<br />

ManO’War Cove, Fogo Island. Endstation. Die bugklappe öffnete<br />

sich. Zeit verging.<br />

Fogo, wird dort behauptet, leite sich vom portugiesischen fuego<br />

ab, feuer; schon im 17. oder 15. jahrhundert sollen portugiesen<br />

in der gegend dorsch gefischt haben. Mir kam dieses fuego allerdings<br />

etwas spanisch vor; in Portugal heisst feuer, soweit ich weiss,<br />

fogo. Und Fogo ist ja auch eine der Kapverden benannt, ein aktiver<br />

vulkan am fünfzehnten breitengrad. Andere wieder behaupten<br />

eine herkunft aus fog, dem nebel. Aber auch das altisländische<br />

faga, reinigen, könnte beteiligt sein; schließlich landeten<br />

wikinger lang vor den portugiesen auf Neufundland. Feuerland,<br />

nebelland. Fegefeuer. Eine insel mit ca. 5000 einwohnern, über<br />

elf kommunen verstreut, die größte davon liegt, mit 936 (so<br />

genau vermerkt auf dem ortseingangsschild, als käme so schnell<br />

keiner dazu oder davon), im äussersten norden: Fogo. Die straße<br />

führt vom fährhafen direkt dahin, eine halbe stunde fahrt, über<br />

Stag Harbour, Little Seldom und Seldom Come By; mitten auf der<br />

insel zweigen dann noch zwei asphaltstraßen richtung osten und<br />

westen ab. Und auch im ort Fogo geht es hauptsächlich strikt<br />

nach kompass zu: Main Street East, Main Street West, North<br />

Shore Road und South Shore Road.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!