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WAGENBURGKULTUR IN DEUTSCHLAND - mit einer ... - Wagendorf

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WAGENBURGKULTUR IN DEUTSCHLAND

- mit einer Fallstudie zur Situation

in Freiburg im Breisgau

Wissenschaftliche

Examensarbeit

Frühjahr 2007

betreut durch

Herrn Prof. Dr. Stadelbauer

(unverbesserte Version)

vorgelegt von

Patrick Th. Augenstein

Erwinstr. 55

79102 Freiburg

augenstein@angelstrasse.de

Geographie, Philosophie, Anglistik


MAN KANN DOCH NICHT EINFACH SO

KOMMEN UND GEHEN

UND SCHWEIGEN

(Kenneth White)

Gewidmet

Moritz Jordan

2


Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

1.1 Ein kulturgeographisches Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

1.2 Methodische Vorüberlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

1.3 Schwierigkeiten und Metatext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

2 Hybridhistorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

2.1 Name und Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

2.2 Fahrende und Utopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

2.3 Ford und Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

2.4 Kerouac und Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

2.5 Postmoderne und Flickenteppich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

3 Aspekte einer Lebenswelt am Beispiel Freiburg im Breisgau. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3.1 Urbane Genese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3.1.1 Kiesgrube und Konzentrationslager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .23

3.1.2 Klärwerk und Kaserne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .29

3.2 Gegenwärtige Artikulationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

3.2.1 Biohum: geleitet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

3.2.2 Eselswinkel: geleitet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

3.2.3 Schattenpark: geteilt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

3.2.4 Waldmenschen: geräumt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

3.2.5 Punkstadt: geräumt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

3.2.6 Urstrom: geduldet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

3.2.7 Ölmühle: geduldet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

3.2.8 Susiburg: gesichert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

3.3 Normative Regelungsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

3.3.1 Baurecht und Wohnrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

3.3.2 Flächen und Nutzungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

3.3.3 Sicherheit und Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

Exkurs: Konsensfindung - Stadt vs. Wagenburg . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

3


3.4 Nachhaltige Dimensionen . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .86

3.4.1 Zukunftsagenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

3.4.2 Wagenspur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

3.5 Kontextuelle Transformationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

3.5.1 Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

3.5.2 Medienwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

Exkurs: Werbeclip Wagenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

4 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

5 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .107

6 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

Die fahrlässige Unterschlagung eines genderneutralen Terminus kann auch diese Zeile nicht

entschuldigen, so doch bewusst machen.

4


Vorwort

„Ich kann das mit der Aussteigerei echt nicht mehr hören. Eine ‘alternative Wohnform’

(auch eine Bezeichnung, die ich irgendwie nicht mag) macht noch lange keineN AussteigerIn.

Die meisten WagenbewohnerInnen, die ich kenne, haben Handys, Bankkonten, Jobs, einen

Internetzugang, gehen studieren oder beziehen Staatsknete, haben Ökoaktien oder

Sparbücher, stehen in Kontakt mit ihrem meist gutbürgerlichen Elternhaus, lesen Zeitung und

sehen fern, gehen im Supermarkt einkaufen, haben eine Krankenversicherung, gehen zur

Krebsvorsorgeuntersuchung, gehen ins Kino, fahren schon mal Taxi und interessieren sich für

Politik. Von ‘Ausstieg’ keine Spur - und das sind sogar noch die Leute, die in der öffentlichen

Meinung irgendwie als ‘Freaks’, ‘Linksradikale’ und ‘Autonome’ gelten, oder sich sogar

selber so sehen. Nur weil Leute nicht 12 Stunden täglich im Büro oder an der

Supermarktkasse malochen und ihr Geld lieber für Solarzellen und schöne alte Schaukelstühle

statt für eine verklinkerte Reihenhaushälfte mit Carport und Sauna im Keller ausgeben,

werden sie doch nicht automatisch zu ‘Aussteigern’. Das ist mir irgendwie zu einfach, zu sehr

RTL-Jargon, zu glorreich, zu verklärend oder einfach nur zu platt.“ 1

1 Redebeitrag aus dem Forum wagendorf.de unter “Der Anfang des Lebens.” (Quelle:

http://www.wagendorf.de/index.php?title=Special:Thread&thread=530)

5


1 Einleitung

Einleitung

Für Menschen, die in umgebauten Wagen wohnen, ist der Raum das größte Problem.

Nicht dass es ihnen an Platz in den kleinen multifunktionalen Einzimmerlösungen auf Rädern

mangelt. 8 bis 22 Quadratmeter stellen offensichtlich genügend Wohnraum dar, ohne sich

beengt zu fühlen. Die Küche einen Meter neben dem Schreibtisch und das Bett gleich neben

dem Ofen lassen immer noch Platz für ein Bücherregal dazwischen. Doch 357.092

Quadratkilometer deutsche Republik und im speziellen 2076 Städte scheinen zu klein zu sein,

um burgartig angeordneten Wagen Raum zu geben.

Worauf gründet dieses Verhältnis zwischen Stadt und Wagenburgkultur? Lässt es sich

vereinfachen auf die geringe Geschossflächenzahl und den daraus resultierenden anti-urbanen

Charakter des Wagens? Oder differenziert es sich in weitere, nicht arithmetisch zu erfassende

Bereiche auf, welche das Sein der Kulturform auf Rädern bedingen? Was charakterisiert

Wagenburgkultur inmitten einer steinarchitektonischen Stadtlandschaft?

1.1 Ein kulturgeographisches Thema

Welche Wissenschaft könnte sich besser dieses Phänomens annehmen als eine

Wissenschaft vom Raum – als die Geographie, genauer gesagt die Kulturgeographie, welche

traditionell die Wechselwirkung von Mensch und Raum betrachtete und sich seit geraumer

Zeit eines Besseren besinnt und Mensch, Raum und Kultur als einen Bestandteil der

konstruktivistischen Betrachtung der conditio humana sieht. Ein so genannter cultural turn

erneuert auch die Grundverständnisse dieser Empirie. Alte Dichotomien von Kultur und

Natur, Subjekt und Objekt, werden dekonstruiert. Ankerpunkte lösen sich und Theoreme aus

Semiotik, Netzwerktheorie, Lebensstilanalyse, Linguistik und Neu- Historizismus betreten

und erweitern die geographische Forschung. Nietzsche, Lukmann, Habermas aber auch

französische Autoren wie Foucault, Saussure, Derrida oder Barthes bilden hierbei die Spitze.

(u.a.: GEBHARDT 2003)

Eine Stärke verblieb der Geographie, auch wenn sich die Hermeneutik um zwei

Himmelsrichtungen drehte. Es ist ihre inhärente, strukturelle Bedingtheit – kurz, das

Zusammendenken der unterschiedlichsten Ansätze, womit sich die Geographie seit

Humboldt’ Gedenken als die umgekehrte Philosophie darstellt. Denn, bereichert und bedient

die Philosophie alle universitären Disziplinen – so hat die Geographie die Möglichkeit, sich

aller zu bedienen und sie zusammen zu führen in der einen scheinbar standhaften Kategorie

des Raumes. 2 Oder anders gesagt: zeichnet sich die Philosophie durch Diskursspeisung aus,

so definiert sich die Geographie durch Diskursbündelung.

2 trotz: Geodeterminismusdebatte und des Vorwurfs der Fundamentalontologie mit

Absolutheitsanspruch.


Einleitung

Im Speziellen werden sich im Folgenden Axiome aus der sozialgeographischen

Stadtforschung, der funktionalen Stadtraumforschung und der Lebensstilforschung

verknüpfen. Verhaltens- und handlungsorientierte Stadtgeographie erweitert darüber hinaus

die Bündelung der geographischen Stadtdiskurse um die akteurszentrierte Bewertung urbaner

Räume. (HEINEBERG 2006)

1.2 Methodische Vorüberlegungen

Auch die methodischen Vorüberlegungen, die dazu dienen, das Phänomen einer

Wagenburgkultur be- und ergreifbar zu machen, stehen in der Tradition der Bündelung.

Schlüsselpunkt ist hier die Zusammenführung und Verknüpfung verschiedenster Methodiken

unter dem Dach einer Triangulation (FLICK 2004). Aus der Verwendung einer Vielzahl

unterschiedlicher Herangehensweisen ergibt sich somit eine facettenreiche

phänomenologische Beschreibung des Kulturträgers. Darüber hinaus ermöglicht die

methodische Betrachtung aus unterschiedlichen Blickwinkeln die Reduzierung des so

genannten Blinden Flecks, welcher aller Empirie inne liegt. Und auch die Veränderung eines

Systems durch Messung erfährt hiermit eine Streuung. Denn aus hermeneutischer Sicht

verbleibt kein System messbar, ohne das System selbst zu verändern.

Die Komplexität eines Wagenburggefüges und seiner kontextuellen Felder werden im

Speziellen mit Hilfe einer dialektischen Herleitung des Historischen vorläufig definiert, um

eine theoretische Arbeitsperspektive für die folgenden einzelnen konkreten

Raumartikulationen zu gewinnen (Kapitel ➣ 2 und 3.1). Mit administrativen Dokumenten,

Beobachtungen im Raum, Kartierungen und qualitativen Interviews wird anschließend

versucht, das konkrete Phänomen zu konturieren und ihm Inhalt zu geben (➣ 3.2). Hierbei

zeigte sich der diachrone Interviewtypus, bestehend aus strukturiertem und offen-narrativem

Teil, als adäquates methodisches Analysewerkzeug. Ein zunächst standardisierter Fragebogen

erwies sich hingegen als unzureichend, um den differenzierten Lebensweltmilieus der

einzelnen Wagenburgen gerecht zu werden. Lediglich die konstruierte Dichotomie Haus

versus Wagen durchzieht alle individuell abgestimmten Fragencluster. 3

Hierauf folgt eine Betrachtung des normativen Regelungsrahmens, welcher die

konkreten Befunde ergänzt und vertieft (➣ 3.3). Im vorletzten Kapitel (➣ 3.4) wird mit Hilfe

von arithmetischen Berechnungen und unter zuhilfenahme des Theorems eines ökologischen

Fußabdrucks (WACKERNAGEL 1997) die Lebenswelt auf ihre Nachhaltigkeit geprüft.

Abgeschlossen wird die Arbeit mit einer quantitativ und qualitativen Analysen zweier

kontextueller Felder (➣ 3.5). Zum einen steht hierbei das öffentliche Meinungsbild und zum

andern die mediale Repräsentation des Kulturphänomens Wagenburg im Mittelpunkt. Beide

Betrachtungen dienen der Einbettung in einen erweiterten kontextuellen Rahmen. Ein

3 Sämtliche Interviews sind im Hauptteil der Arbeit nur in Auszügen wiedergegeben. Eine

Transkription der gesamten Länge, sowie eine Transkriptionslegende befinden sich im

Anhang (➣ 6.2).

7


Einleitung

grounded theory Ansatz (Erkenntnis- und Hypothesengenerierung bei Verlauf) umklammert

alle Methodik bis zum Resümee. (MEIER-KRUGER: 2005)

Die Fallstudie wurde hierbei gewählt, um dem Faktum der fast nicht vorhandenen

empirischen Vorleistungen in Form von Essays oder Monographien zu begegnen und um vor

Ort das Phänomen in seiner urbanen und suburbanen Ausprägung direkt analysieren zu

können. „Ihre Anwendung erscheint immer dann als sinnvoll, wenn der Gegenstandsbereich

sich nicht nur als komplex und heterogen erweist, sondern über ihn auch nur relativ wenig

Erkenntnis besteht.“ (GEBHARDT: 18) Freiburg wurde hierbei aus rein privat-ökonomischen

Gesichtspunkten als Ort zur Analyse festgelegt. Vor Beginn dieser Studie (Oktober 2006)

bestand kein Kontakt zu Bewohnern, die sich entschieden, in einer mobilen oder quasimobilen

Wohnung zu leben.

1.3 Schwierigkeiten und Metatext

Bei einer Erweiterung der Arbeit um das Feld der angewandten Geographie zeigt sich

die Möglichkeit und Notwendigkeit, Text über Transmissionsriemen in der Praxis wirken zu

lassen. Hierbei steht die Weitervermittlung an ein Triptychon - bestehend aus Wissenschaft,

Politik und Öffentlichkeit - an erster Stelle. Mit Hilfe einer frei zugänglichen

Downloadversion auf wagendorf.de soll der interessierten Öffentlichkeit ein Zugang gegeben

werden. Zur wissenschaftlichen Weiterverarbeitung stehen ergänzend gebundene Versionen

in der Fachbereichsbibliothek Geographie Freiburg, dem Archiv für Soziale Bewegung

Freiburg sowie dem Stadtarchiv Freiburg. Über einen Mailverteiler werden 37 Personen,

welche von Seiten der städtischen Verwaltung oder als Privatperson bei der Generierung von

Datenmaterial beteiligt waren, direkt mit einer Version der Abschlussarbeit beliefert.

Freiburger Stadträte verschiedenster Fraktionen, Dezernatsleitungen sowie der

Oberbürgermeister ergänzen als interessierte Adressaten die Reichweite um eine politische

Komponente.

Als Text über Text bleibt weiter anzufügen, dass die Erhebungen zum Teil nur mit

gewissen Einschränkungen vollzogen werden konnten. So artikulierte sich die nachwirkend

politische Brisanz aus den Jahren 2004/2006 in einer eingeschränkten Bereitschaft der

städtischen Verwaltungsämter, Dokumente zur tieferen Analyse freizugeben. Der verbliebene

Datensatz stellte nichtsdestotrotz eine fundierte Grundlage dar, um die planungstechnischen

Schritte und die Perspektive aus stadtverwaltungstechnischer Sicht zu rekonstruieren -

wenngleich eine vollständige Einsicht mehr Transparenz hätte gewährleisten können.

Insgesamt zeigt sich die schriftliche Quellenlage als äußerst spärlich. Selbst wenn ein

neues derridianisches, hierarchieloses Textverständnis vieles gleichrangig nebeneinander

stellt, so definiert sich das Phänomen immer noch durch relative Textlosigkeit. Ein enges

Spektrum, bestehend aus Tagesnachrichten, Eigendarstellung, institutionsgebundenen

Perspektive und das fast völlige Fehlen empirischer Erhebung - gleich welchen fakultativen

Bereiches – eröffnet sich. Singulär, und bisher unerreicht in Umfang und Tiefe steht lediglich

8


Einleitung

eine soziologische Niederschrift aus dem Jahr 1996 zur Verfügung, welche in zweierlei

Hinsicht bedeutungstragender Baustein aller Folgearbeiten sein kann. Einerseits wurden

einige historische Parallelismen erstmalig aufgezeigt, welche – wenn auch fälschlicherweise

angenommen - nicht das heutige definieren, es jedoch über eine Dialektik bedingen. Und es

wurde auf den Bewegungscharakter des Phänomens in soziologischer Hinsicht aufmerksam

gemacht. Beides diente als Ausgangslage, um das Phänomen um eine räumlich geographische

Komponente zu erweitern und zu vertiefen.

Was die Geographie als Disziplin selbst anbelangt, so widmete sie dem Phänomen

bisher nur in essayistischer Form Beachtung, wobei zwei Beiträgen eine gewisse Fundiertheit

attestiert werden darf.

Eine erste umfassende literarische Bestandsaufnahme ergibt somit ein sehr

fragmentiertes Konglomerat, welches alle diskursiven Grundsteinsetzungen speist und

begründet. Nun gilt es im Sinne Derridas Bedeutung vorläufig festzulegen durch all das

Geschriebene und gleichsam durch all das nicht Geschriebene. Beides definiert Text.

9


2 Hybridhistorie

Hybridhistorie

Eine erste geschichts-phänomenologische Annäherung an den Diskursbestand rund um

die Wagenburgkultur bleibt ein Hybridgebilde aus den verschiedensten

geisteswissenschaftlichen - und naturwissenschaftlichen Nachbardisziplinen. Zum einen liegt

dies an der bereits beschriebenen, fast vollständigen à-historischen Qualität der

verschriftlichten Quellen über die Kulturerscheinung. Zum andern unterliegt eine substanziell

internalisierte Schnittfläche, welche die Lebenswelterfahrungen der im Wagen lebenden

Menschen beinhalten könnte -rückwirkend konstruiert -, in der Diversität multipler

kulturphänomenologischer Gegebenheiten.

Die folgende historische Darstellung hat nicht den Anspruch, einen monokausalen

Erklärungsansatz zu bilden, um das Kulturphänomen zu beschreiben, vielmehr soll die

folgende Chronologie Teilaspekte des Gegenwärtigen hermeneutisch erschließen und eine

aposteriorische geschichtliche Verortung konstruieren.

In einem letzten hegelianisch-dialektischen Schritt (Negierung, Aufhebung und

Erhöhung) werden diese Teilaspekte in das postmoderne Phänomen eingeschrieben und

tragen somit zu einem ersten konstitutiv definitorischen Erklärungsansatz des Gegenwärtigen

bei. Nicht nur, dass eine chronologische Abfolge hierin ihr vorläufiges Ende beziehen wird,

auch, und vielmehr, wird das Kulturphänomen auf die generellen Wirkungsmechanismen der

Postmoderne 4 an- und durch sich verweisen.

Der Begriff der Wagenburgkultur, als semiotische Zusammenfassung einzelner

Prozesse, bleibt definitionsbedingt à-historisch. Nietzsche sagt es punktgenauer: „Definierbar

ist nur das, was keine Geschichte hat.“(NIETZSCHE 1980: 317)

4 Für eine tabellarische Definition siehe Anhang (➣ 6.1.1). Postmodern möchte sich hierbei

nicht als methodische - oder als analytische Dimension verstanden wissen, sondern lediglich

als deskriptive phänomenologische Dimension, nahe dem Sinne Becks (vgl.: BECK 1996: 2

f.).

10


2.1 Name und Form

Hybridhistorie

Die namensgebende Vorläuferform der heutigen Wagenburg taucht erstmalig im

Späten Mittelalter auf. Es handelt sich hierbei um eine militärstrategische Formation, die als

Transformationsstufe zwischen mittelalterlichem Kriegswesen und dem der anbrechenden

Neuzeit gilt (WULF 1889: 8 f.). 5 Vorstellungen über die Systematik und Führung des

geometrischen Gesamtkörpers stammen erstmals von Markgraf Albrecht Achilles von

Brandenburg aus der Mitte des 15. Jahrhunderts. Anschaulich beschreibt er die Anordnung

von marschierenden und lagernden Wagenformationen im Feld (PRIEBATSCH, 1894: 12 ff.).

Weitere Hinweise auf die frühe Geschichte des Phänomens finden sich in Leonard

Fronsberger′s Buch „Von Wagenburg und Veldleger“ aus dem Jahre 1573, wo ebenfalls in

einer idealisierenden Beschreibung die Verwendung der unterschiedlichsten

Lagerformationen beschrieben wird. Von den topographischen Lagebedingungen, über die

Aufstellung der Mannschaftszelte, bis hin zur Platzierung der Kochstelle werden hier die

unterschiedlichsten Aspekte einer militärischen Wagenburg durchdacht. Dicht gedrängt

teilten sich bis zu 6000 Personen die vom Wagenburgmeister zugewiesen Quartiere innerhalb

des mobilen Burgwesens. Ein ziehendes Heer beinhaltete zu jener Zeit nicht nur die Verbände

der unterschiedlichsten Waffengattungen wie Reiterei oder Feldgeschützmannschaft, sondern

auch Frauen, Kinder, Händler, Prostituierte, Schmiede, Küfer, Vieh, Kleintiere und alles, was

an Gefolgschaft noch benötigt wurde, um einen Armeezug in Bewegung zu halten. Eine

maximale Verdichtung des Innenbereiches ermöglichte es hierbei, die Außenlinie so kurz wie

möglich zu halten. (FRONSBERGER 1573)

Abb.: 4-5: Wagenburgformationen des 15. und 16. Jahrhundert (HENNE AM RHYN 1897: 482)

Differenzierenderweise muss hinzugefügt werden, dass es sich bei der historischen

Wagenburgformation - sei es nun als runder, ovaler oder quadratischer Gesamtkörper - nicht

um eine reine Verteidigungsform handelte, welche versuchte durch Einpassung in die

jeweiligen naturräumlichen und topografischen Gegebenheiten einen maximalen

5 Der Wagenburg hussistischen Typus’ aus dem 15. Jahrhundert kommt hierbei besondere

Bedeutung zu.

11


Hybridhistorie

Wirkungsgrad mit einer Wagenumwallung zu erreichen. Vielmehr handelte es sich auch um

einen taktischen Gesamtkörper in der militärischen Strategie, welchem durchaus auch

Funktionen der Täuschung und des Konterangriffs mit Hilfe von zurückgehaltenen Einheiten

zukommen konnte. 6 (WULF 1889: 45 ff.)

Die in erster Linie taktische Festung konnte binnen kürzester Zeit errichtet werden und

hinterließ bis auf etwaige Schanzanlagen, welche zusätzlich angelegt wurden, keine

Artefakte, die mehrere Dekaden hätte überdauern können. Der Lebensraum innerhalb der

Wagenumwallung war stark verdichtet und bei einer eventuellen Belagerung abhängig von

den mitgeführten Nahrungsmitteln, dem Lebendvieh und den Frischwasservorräten. Es

handelte sich daher nur temporär um ein autonom und autochthon agierendes Gefüge.

2.2 Fahrende und Utopie

Bei einer weiteren historischen Spurensuche liegt nicht nur der formgebende Vorläufer

im Mittelalter sondern auch eine Reihe inhaltlicher Zuschreibungen. Was in jener Epoche

unter den nunmehr archivarischen Begriff des Fahrenden Volkes subsumiert wurde, erhielt

über Jahrhunderte hinweg eine Sonderstellung im gesamtgesellschaftlichen Gefüge.

Zwei historische Paradigmen erschweren jedoch eine Erfassung des so genannten

Fahrenden Volkes. Zum einen zeigt sich innerhalb der mediavistischen Diskurshoheit von

Adel und Klerus nur ein unscharfes verzerrtes Abbild der unteren Stände, welche oftmals

bestenfalls als amorphe Masse im Hintergrund agieren. „Selbst im Berichtshorizont

städtischer Chronisten sind die kleinen Leute nicht erfasst. (...) Alle Quellen, die über untere

soziale Schichten, die über den gemeinen Mann im Mittelalter berichten, sind lediglich an den

Sesshaften interessiert, vermitteln – ungewollt – eine Vorstellung sozialer Statik.“ (SCHUBERT

1995: 25) Beides, Sprecher und Gesprochenes, rekurriert somit auf die polymorphen

Machtstrukturen – im Foucault'schen Sinne - der sesshaften Oberschicht und deren normative

Definitonsgewalt über die Vorstellung einer sozialen Hierarchie.

Zum anderen handelt es sich bei den Fahrenden 7 keinesfalls um eine geschlossene

homogene Gruppe, welche klar umrissen werden könnte. Vielmehr finden sich hier, genau

wie im übrigen Teil der Gesellschaft auch, die unterschiedlichsten sozialen Profile und eine

weitere Substrukturierung der hierarchischen Ständeabfolge. So befanden sich unter den

Fahrenden Scholare, Pilger, Reliquienschausteller, besitzloser Klerus, Söldner,

Wanderdirnen, Wanderärzte, Wanderapotheker ,Kesselflicker, Scherenschleifer, Hausierer,

Theriakskrämer, Bettler, Spielmänner, Rattenfänger, Musikanten, Gaukler, Dompteure und

6 Nach Angaben des Bundesdeutschen Presseamtes der Bundeswehr spielen Wagenburgen

oder wagenburgähnliche Formationen bei keiner Waffengattung mehr eine Rolle (19.12.07).

7 gernde diet oder gernde liute können hierbei als historische Synonyme angesehen werden

(vgl. SCHUBERT 1995: 7)

12


Hybridhistorie

Sprecher, um die markantesten Berufsfelder und Lebensstile 8 zu nennen (u.a. BACHFISCHER

1998). Auch gehörten Angehörige der ethnischen Minderheit der Sinti und Roma 9 ab dem 15.

Jahrhundert zum stetig mobilen Teil der Bevölkerung. Allen gemein war der verminderte

rechtliche Status gegenüber den Sesshaften. Eine Minderung, die bis zur völligen Entrechtung

und gar Vogelfreisetzung führen konnte. So findet man zum Beispiel im Passauer Stadtrecht

aus dem Jahr 1300 folgende lakonische Rechtsauffassung: „wer farund volk, das gut für er

nimbt, schilt oder slecht, der ist dem richter nichts darumbe schuldich.“ 10 (BACHFISCHER

1998: 55)

Der verminderte Rechtsanspruch, sowie Ausgrenzung aufgrund äußerer Merkmale

verhinderten eine gleichberechtigte Koexistenz oder gar Symbiose mit dem sesshaften Teil

der Bevölkerung. „Konnte beispielsweise ein verarmter Edelmann zum fahrenden Spielmann

werden, so gab es für die kommenden Generationen keinen Weg mehr zurück; sie und ihre

Kinder blieben Musikanten, oder ähnlich gering geachtete. Auch Kleriker verloren ihre

Position und ihre Sonderstellung als Geistliche, wenn sie längere Zeit das Leben von

Fahrenden geführt hatten. Eine erneute Aufnahme in eine Adels-, Stadt-, Dorf-, oder

Pfarrgemeinschaft war nahezu ausgeschlossen.“ (BACHFISCHER 1998: 20) Die

Marginalisierung bekam noch ihren paradigmatischen Unterbau durch die mittelalterliche

Vorstellung von ordo und status als die prädestinierte gottgewollte Standesabfolge innerhalb

des Gesellschaftsgefüges.

Auch begegnete man den Fahrenden mit äußerster Skepsis, da sie - bedingt durch ihre

fast kontinuierliche Mobilität - oft als namenlose Fremde verblieben. Misstrauen, Vorsicht

und Ablehnung waren Reaktionsmuster der Sesshaften, welche fest in familienartige oder

dorfähnliche Strukturen – auch noch bestehend in den neu aufkommenden Gründungsstädten

des 13. Jahrhunderts 11 – eingebunden waren und dieses Sozialgeflecht bei den mobilen

Lebensstilen nicht ausfindig machen konnten. „Im Mittelalter bedeutete fremd sein soviel wie

»ellende« sein.“ (BACHFISCHER 1998: 24 ff). Vorsichtig formuliert ließ sich sagen, dass die

kurze temporäre und räumliche Nähe zwischen zwei Lebensweltmilieus zur Herausbildung

von Ressentiments führen konnte.

Dennoch gab es auch eine Reihe positiv besetzter Vorurteile, welche man dem

Fahrenden Volke zuschrieb. So wurden sie geschätzt als Komödianten oder Spielmänner.

Ihre Mobilität diente zum Übermitteln von Nachrichten und Informationen aller Art. Man

8

Auffällig ist hierbei, wieviele Bezeichnungen heute noch von einer negativen Kronotation

begleitet sind, sofern sie alltagssprachig noch gebräuchlich sind.

9

Auf die seit 1417 über Böhmen eingewanderte Minderheit wird noch ausführlich als

Anbindepunkt zur heutigen Wagenburgkultur in der Fallstudie Freiburg eingegangen werden.

„Am Schicksal jener Menschen, die man seit dem 19. Jahrhundert als Inbegriff des fahrenden

Volkes verstand, am Schicksal der Zigeuner also, lässt sich der neue Wille der Obrigkeit

ablesen.“ (SCHUBERT: 1995: 362; vgl.: KROPP 1997: 3.1.3)

10

„Wer fahrendes Volk, das Geld anstatt Ehre nimmt, beschimpft oder schlägt, der ist dem

Richter deshalb nichts schuldig.“

11

Epoche der Gründungsstädte ab 1120 (Freiburg: 1120 Gründung/1120 Stadtrecht)

13


Hybridhistorie

begegnete ihnen nicht kategorisch abweisend, da sie trotz allem einen integralen Bestandteil

der damaligen Gesellschaft bildeten. „Im Alltag sind ihre Künste unerlässlich: Es handelt sich

um spezielle Tätigkeiten, die nur von Umherziehenden ausgeübt werden können.“ (SCHUBERT

1995: 20) Und auch das Umherreisen besitzt noch eine andere Konnotation. „Bis in das 16.

Jahrhundert hinein bedeutete »unbewandert« auch »unerfahren«.“ (SCHUBERT 1995: 32) Auch

die Mediävistin Bachfischer attestiert vergleichbares. „Die beruflich und sozial fest

eingebundenen Bürger beargwöhnten natürlich aus ihren geordneten Lebensverhältnissen

heraus die verlockenden Freiheiten und die Zwanglosigkeit des Lebens der Fahrenden.“

(BACHFISCHER: 1998, 167) Trotz Ausgrenzung, Ressentiments und eines verklärt projizierten

Freiheitsbildes konsolidierte sich das unausgewogene Verhältnis über die Zeit des Mittelalters

durch eine wechselseitige Abhängigkeit.

Neben diesen konstruktivistischen Kognitionsbildern gab es auch eine Reihe

räumlicher Ausprägungsmuster der architektonischen Art, welche die Fahrenden ausgrenzten.

So zeigt sich die mittelalterliche Befestigungsanlage mit Mauer, Tor, Zwinger und anderen

Bauelementen nicht nur als militärische Wehranlage, sondern auch als eine Architektur der

Überwachung und Kontrolle. „Ganz real wird die Stadt dem Fahrenden feindlich, weil nur

hier an den Stadttoren und auf den bevölkerten Gassen die Kontrolle ausgeübt werden kann,

die auf dem Lande gar nicht möglich ist.“ (SCHUBERT 1995: 373) Im Colmarer Stadtbuch 12

aus dem Jahre 1378 findet sich diesbezüglich zum Beispiel die Bestimmung, dass Fahrendes

Volk nur außerhalb der Mauer lagern durfte. Kein „varender man“ sollte an den Toren Korn

sammeln und niemand ihm Korn verkaufen dürfen. (FINSTERWALD 1938: 322). Erst der

urbane Raum des Mittelalters mit seiner klaren Umgrenzung machte eine Exklusion aus

wirtschaftlichen und sozialen Bereichen gegenüber den Fahrenden möglich.

An dieser Stelle sei noch ein Gedankeneinschub vermerkt, welcher die im

Spätmittelalter aufkommende literarische Gattung der Utopie und ihre darauf folgenden

realweltlichen Annäherungsversuche mit einbezieht. Thomas Mores Utopia aus dem Jahre

1518 wird heute als eine gesellschaftskritische Anklage im Zeichen der mundus inversus

gelesen, wobei sich bei einer Umlegung in geographische Diskurse zeigt, dass es auch ein

urbanes Raum- und Gesellschaftskonzept darstellt, welches ein Zentrale Orte Modell nach

Christaller vorweg denkt. Neben den Leitgedanken der Gemeinschaft, Einfachheit, des

minimalistischen Konsums, gemeinsamer Arbeitsgeräte und einer quartiersinternen

Kochdienststelle spielen basisdemokratische Konsensfindung und Gruppenstabilität bei der

Konstruktion des Utopischen darüber hinaus eine zentrale Rolle. (MORE: 2003)

12 Colmar wurde als ein Resultat des Westfälischen Friedens 1648 Frankreich zugeschrieben.

14


2.3 Ford und Industrie

Hybridhistorie

Eine Weiterführung der Chronologie der Fahrenden zeigt in der aufkommenden

Neuzeit eine verstärkte Ausgrenzung und Stigmatisierung. Diese ist zum einen bedingt durch

eine anhaltende Differenzierung des Handelswesens in den Städten und einer daraus

folgenden Unabhängigkeit von den Dienstleistungen der Umherziehenden. Zünfte und

Gesellenorganisationen bilden sich heraus. In der postfeudalistischen Gesellschaft bilden sich

verstärkt Manufakturen aus und eine aufkommende professionelle Kaufmannsgilde

florentinischen Abbildes monopolisierte den Fernhandel zwischen den neu entstehenden

Märkten. Zum anderen durch das Aufkommen von wohnwagenähnlichen Gefährten, welche

die Abhängigkeit vom sesshaften Teil der Bevölkerung reduzierte. Beides führte zu einer

Verminderung der Kontaktstrukturen zwischen den Lebensstilmilieus und schlägt sich nicht

nur in aparten mentalgeschichtlichen Konstruktionen nieder, sondern formuliert sich auch in

verstärktem Maße in Mandate nund Edikten der Obrigkeit. (vgl.: SCHUBERT 1995: 351 ff.;

FARWICK 1998: 146 ff.)

Somit lässt sich durchaus das fast vollständige Ende eines gewachsenen

Lebensmilieus und seiner gesamtgesellschaftlichen Funktionen konstatieren. „Untergang

meint, das die Leistungen der Fahrenden für die Gesellschaft als überflüssig angesehen

wurden, es bedeutet weiterhin, daß diese Menschen, die im Mittelalter für das

Zusammenwachsen der Gesellschaft, von Hof zu Hof, von Siedlungsinsel zu Siedlungsinsel

wandernd, so bedeutsam gewesen waren, an den Rand dieser Gesellschaft gedrängt, in das

soziale Zwielicht gerückt werden. »Fahrendes Volk« gewinnt in diesem Zusammenhang

einen neuen, einen negativen Sinn, der vor allem im 19. Jahrhundert verbreitet und teilweise

romantisierend umgedeutet wurde.“ (SCHUBERT 1995: 352) Zählten die Fahrenden zuvor

noch zum unverzichtlichen Teil des Wirtschafts- und Kommunikationskreislaufes, so wird

ihr Tätigkeitsfeld sukzessive obsolet.

Die zunehmende Technisierung und aufkommende Industrialisierung beendet viele

mobile Lebensstile. Gleichzeitig erfahren diese jedoch durch die selben

gesamtgesellschaftlichen Transformationskräfte eine Renaissance - wenngleich in einer

funktionalen Einschränkung. Der Wagen als reiner Wohnraum zeichnet sich als

Hilfsbehausung aus, um die Verelendungserscheinungen der Hochindustrialisierungsphase

abzufangen. Das bekannteste Deutsche Beispiel stellt hierbei Republik Barackia in Berlin dar

(1872), wo durch Eigeninitiative am Ostrand der Stadt eine Wagen- und Hüttenansammlung

entstand, um der drückenden Wohnungsnot der Zeit entgegenzuwirken. 13

(BERNET 1999: 14 f.)

13 Zwangsräumung der Siedlungsinitiative zum Dreikaiserjahr.

15


Hybridhistorie

Als rechtliche Rahmengebung zeigt sich hierbei der eingetragene Verein als adäquate

Form, um der grassierenden Wohnungsnot des Industriezeitalters dauerhaft zu begegnen.

„Eine aktive staatliche Wohnungspolitik existierte in Preußen das ganze 19. Jahrhundert

nicht. Auch Städte und Gemeinden bekämpften nur gelegentlich die Folgen der staatlichen

Tatenlosigkeit, noch 1871 wurde das Vorhandensein einer Wohnungsnot vom Magistrat und

vom Polizeipräsidium der Stadt Berlin bestritten. (...) Schon 1848 wurde die Gründung von

Vereinen ausdrücklich als das zeitgemäße Mittel zur Bekämpfung der Wohnungsnot

angesehen. Bis zum ersten Weltkrieg ist im Zusammenhang mit der Wohnungsnot auf die

Notwendigkeit von Privatvereinen hingewiesen worden, verstärkt dann, wenn die Not in den

Städten anwuchs.“ (BERNET 1999: 13 f) Private selbstorganisierte Siedlungsformen zeigten

sich als erfolgreiche Initiative, um die Wohnungsnot der anziehenden Industrialisierung und

mangelnden politischen Partizipationsmöglichkeiten aufzufangen und zu kompensieren. 14

Als historische Initialzündung kann hierbei Robert Owens′ (1771-1858) 15

kooperatives kollektivistisches Wohnraumprojekt in Rochdale, Großbritannien, gesehen

werden. In diesem urbanen Nukleus der aufkommenden Industrialisierung der

Textilspinnereien zeigt sich erstmalig die Vereinsgründung mit genossenschaftlicher Struktur

zum Zwecke der Erschaffung kostengünstigen Wohnraumes. 16 „Erstmals finden sich hier die

drei Säulen des gemeinschaftlichen Wirtschaftens: Selbsthilfe, Selbstbestimmung und

Selbstversorgung.“ (BERNET 1999: 15) Autarke Kameralistik fern von staatlichen

Fehlsteuerungen kann hier eine kostengünstige Wohnraumversorgung ermöglichen.

In den neu aufkommenden genossenschaftlichen Projekten in Deutschland wurde über

die reine Wohnraumversorgung hinaus auch versucht, weitere Grunddaseinsfunktionen

kostengünstig kollektivistisch zu bedienen. So wurden zum Beispiel Gemeinschaftsküchen

eingerichtet oder das so genannte „Volksbrot“ hergestellt. Auch werden hier Leistungen

vorweggenommen, welche später in staatliche Trägerschaft fallen, wie Kindergarten,

Bibliothek oder Mieterberatungsstellen. (BERNT 1999: 38 ff) „Es war vor allem die

Industrialisierung und ihre Schattenseiten, z.B. soziales Elend, Arbeitslosigkeit, autoritäre

bürokratische Strukturen und nicht zuletzt geistige und soziale Entfremdung, die zum

Auslöser für die Siedlungsprojekte wurden.“ (NOTHNAGLE 1999: 8)

Ein vorläufiges geschichtliches Ende nahmen diese Eigeninitiativen mit dem

aufkommenden Nationalsozialismus, wo die Schaffung eines „einheitlichen

Reichsnährstandes“ und eine Gleichschaltung der genossenschaftlichen Strukturen durch den

Parteikader erfolgten. Selbstverwaltung und Selbsthilfe passten nicht mehr in ein totalitäres

System. (BERNET 1999: 45) Erst mit Ende des Zweiten Weltkrieges setzt sich eigenständige

Siedlungsinitative zur Behebung der durch Kriegszerstörung bedingten Wohnungsknappheit

14 „Das 19. Jahrhundert wird auch das ‘Jahrhundert der Vereine’ bezeichnet. Aufgrund

mangelnder Möglichkeiten des Engagements auf parteipolitischer Ebene entstand eine

Vielzahl von Vereinen im außerpolitischen Bereich.“ (BAUMGÄRTNER 1999: 55)

15 Vgl.: historische Person Wilhelm Weitlings (1808-1871)

16 http://uk.geocities.com/audreyhansca/ROCHDALE/rochdale.html

16


Hybridhistorie

fort. „ ... fast die Hälfte der Bevölkerung der Bundesrepublik [hatte] durch Flucht,

Ausbombung und Vertreibung die Not der Mobilität erfahren.“ (SCHUBERT 1995: 3)

Wohnungsnotstand und politisch bedingte Raumtransformation machten mobile Behausungen

zu einem wesentlichen Bestandteil der Nachkriegsgeschichte und hielten Einzug in das

kollektive Gedächtnis. 17

2.4 Kerouac und Protestbewegung

Den nächsten Anknüpfungspunkt bildet eine avantgardistische Schriftstellerszene

einer amerikanischen Nachkriegsgeneration, die beginnt, Mobilität und das Automobil unter

geschichtlich erstmaligen Kontexten zu entdecken. Das fordistische Zeitalter lieferte

Massenprodukte bis zur völligen Konsumsättigung, propagierte das Fortschrittsparadigma,

und die technokratische Perfektion. Konformität, Politgläubigkeit und eine Presbyterianischcalvinistische

Arbeitsmoral waren die hohen Werte der Bohemiens. Jack Kerouac hinterfragt

als zentraler Gegenpol der Beat-Generation 18 diesen vermeintlichen American Dream und

versucht mit seinen 14. autobiographischen Werken, im Stile Marcel Prousts, eine Welt

tieferen Sinns, gefestigter Identität und bleibenderer Wahrheit durch Mobilität zu erfahren.

Neben On the Road (dt. Übers.: Unterwegs) wird The Dharma Bums zu den am stärksten

rezipierten Büchern im deutschen Sprachraum (dt. Übers.:Gammler, Zen und Hohe Berge).

„Ich habe Whitman 19 gelesen, wißt ihr, was er sagt, freut euch, Sklaven, und schreckt die

fremden Tyrannen, er meint, das ist die Haltung für den Barden, den irren Zen Barden der

alten Wüstenpfade. Seht mal, das Ganze ist nämlich eine Welt voll von Rucksackwanderern,

Dharma Gammler, die sich weigern zu unterschreiben, was die Konsumgesellschaft fordert:

daß man Produziertes verbrauchen soll und daher arbeiten muß, um überhaupt konsumieren

zu dürfen, das ganze Zeug, das sie eigentlich gar nicht haben wollten, wie Kühlschränke,

Fernsehapparate, Wagen, neue Wagen zum angeben, bestimmte Haaröle und Parfüms und

lauter solch Kram, den man schließlich immer eine Woche später auf dem Mist wieder findet,

alle gefangen in einem System von Arbeit, Produktion, Verbrauch, Arbeit, Produktion,

Verbrauch.“ (KEROUAC, 1971: 75) Was als rein literarisch gesellschaftskritische Bewegung

Mitte der 1950iger Jahre begann, weitet sich in der daraus resultierenden Hippiekultur zu

einer Jugendbewegung transatlantischen Charakters aus und findet in den linken

Studentenrevolten Deutschlands (Anti-Vietnamkriegproteste, Emanzipation,

Antiautoritarismus und Konsumkritik) ihren Widerhall.

War das 19. Jahrhundert die „Epoche der Vereine“ um fehlendes politisches Handeln

abzufedern, so ist das ausgehende 20. Jahrhundert das der sozialen Bewegungen und des

17 Eine transatlantische Spiegelung findet sich in den Siedlerwägen der Amerikanischen

Westwärtsbewegung und in den Photographien der Wagenbehausungen zu Zeiten der Großen

Depression.

18 Weitere Vertreter waren u.a.: Allen Ginsberg, William Borroughs, Amiri Baracka, John

Holmes und Lawrence Ferlinghetti. Schriften von Allen Charters und Gertrude Betz leiten

die literarische Rezeptionsgeschichte in der hiesigen Amerikanistik.

19 Walt Whitman (1819-1892)

17


Hybridhistorie

damit verbundenen Aufkommens des „subpolitischen Raumes“ (BECK 1997: 4). So bildet sich

20

in der Bundesrepublik ein soziales Bewegungspotential zu den verschiedensten

gesamtgesellschaftlichen Belangen wie Friedensbewegung, Anti-Atomkraftbewegung,

Ökologiebewegungen oder auch emanzipatorische Frauenbewegungen.

Ein Unbehagen über die gegebenen Umstände und die sich abzeichnenden Entwicklungen

führte zu Massenprotesten gegen die etablierte Politik, der Suche nach individuellen

Lösungen und zum Experimentieren mit diversen Lebensstilen. Die Erosion einer tendenziell

links gerichteten Hausbesetzerszene, die durch Inbesitznahme innerstädtischen Leerstands auf

Sozialbrache aufmerksam machen wollte, bildete Mitte der 1980er Jahre den historischen

Anknüpfungspunkt für das Entstehen des postmodernen Phänomens einer Wagenburgkultur.

(vgl.: KROPP: 3.1.3; RUCHT 2001: 51 ff.)

2.5 Postmodern und Flickenteppich

Abb.: 6-8 Köln (Kolbhallen): Eine Wagenburg innerhalb und außerhalb einer ausgedienten innerstädtischen

Produktionshalle mit kollektivistisch kunstavantgardistischer Prägung.(Quelle: eigen Nov./2006)

Alle bis hierher aufgezeigten geschichtlichen Momente finden nun ihre dialektische

Einschreibung in das postmoderne Kulturphänomen Wagenburg. Über eine Negation werden

sie aus ihrem genetisch geschichtlichen Umfeld dekontextualisiert, im Gegenwärtigen

aufgehoben und in einer Synthese erweitert und erhöht – und tragen somit zu einer ersten

definitorischen Deutung des Gegenwärtigen bei.

Was sich primär als militärisch-taktischer Körper zeigte, behält die Funktion von

Verteidigung, Gegenaktion (nun Protest) und Täuschung zeitweise im zivilpolitischen

Kontext bei, erfährt aber gleichzeitig eine essentielle Erweiterung als Träger der

Grunddaseinsfunktion Wohnen, sowie bedingt die der Freizeit, der Arbeit und des Verkehrs.

(➣ 3.2.1 - 3.2.8)

20 Die Anti-Atomkraft Besetzungen in Wyhl am Kaiserstuhl stellen für die Freiburger- aber

auch für die Bundesdeutsche-Bewegungsentwicklung ein impulsgebendes Ereignis dar.

„Zu einer ersten dauerhaften Hochburg des Anti-Atomprotests entwickelte sich der badische

Raum am Oberrhein. (...) Erst mit den Wyhler Ereignissen, (...), erlangte der Atomkonflikt

nationale Aufmerksamkeit. (...)Die als erfolgreich angesehene Wyhler Platzbesetzung

inspirierte Initiativen an anderen Standorten.“ (RUCHT 1994: 447-448)

18


Hybridhistorie

Inhaltliche Zuschreibungen, welche ebenfalls wie die Formgebungen ihren Ursprung

im Mittelalter hatten, werden zum Teil auf heutige Wagenburgbewohner übertragen, im

Speziellen finden sich hier vor allem Zuschreibungen in Verbindung mit der ethnischen

Minderheit der Sinti und Roma, sowie ein medial vermitteltes Bild von Kriminalität, was zu

Ausschluss und Stigmatisierung führt. 21 (➣ 3.5.1 und 3.5.2)

Aber auch positivistische Ausführungen jener Zeit von Freiheit und Ungebundenheit,

erweitert um einen verklärten Roussea′schen Naturbegriff, dienen als stereotypische

Fremdzuschreibung des Lebensmilieus. (➣ 3.5.1 und 3.5.2)

Darüber hinaus zeigt sich Morus′ utopischer Gegenweltentwurf, im gegenwärtigen

Wagenburgphänomen oftmals als realweltlich experimenteller Annäherungsversuch, der um

basisdemokratische Konsensfindung und minimalistischen Konsum erweitert wird. 22 (➣ 3.2.3

und 3.2.8)

Was einst die verteidigungstechnische Umwallung des Kernstadtgebietes darstellte,

paust sich heute als Umgrenzung des Citybereiches durch. Noch immer dient diese historisch

gewachsene Stadtstruktur zur Kontrolle und Exklusion von Wagenbewohnern, wie das

Beispiel des Zähringer Altstadtkerns Freiburgs zeigen wird. (➣ 3.2.3 und 3.2.5)

War die aufkommende Industrialisierung mit der einhergehenden

Bevölkerungsexplosion in den Städte Auslöser für Verelendung und Wohnungsnot der

arbeitenden Klasse des 19. Jahrhunderts, so sind es nun neoliberale Mechanismen einer freien

Marktwirtschaft, welche Teile der arbeitslosen Klasse zum Bezug eines Wagens bewegt.

Soziale Sicherungssysteme bauten sich im ersten Falle erst auf und stellen im zweiten eine

inadäquate Versorgung dar. (➣ 3.2.1 und 3.2.4)

Darüber hinaus zeigt sich der rechtliche Rahmen des Vereins, noch immer, mehr als

150 Jahre nach Robert Owen, als geeignete Rechtsform, um in privaten Trägerschaften

Wohnraumprojekte wie die einer Wagenburg mittel- oder gar langfristig sicher im Raum zu

etablieren. Die Gründung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung kann darüber hinaus

eine Verbesserung des monetären und rechtlichen Hintergrunds darstellen. (➣ 3.2.3 und

3.2.8)

Die drei Axiome Selbsthilfe, Selbstbestimmung und Selbstversorgung, Owens′

kooperative kollektivistische Wohnraumprojekte, stellen sich heute im Wunsch nach

21 Darüber hinaus sieht sich ein Teil der im Wagen lebenden selbst in der Tradition der

Fahrenden. (➣ 3.2.6 und 3.2.8) aber auch: (KROPP 1996; MEYER 1984)

22 Bei einer Fortführung der gedanklichen Verquickung des Utopiegedankens von Morus über

Campellas Sonnenstaat und Francis Bacons New Atlantis gelangt man zu einem

humanistischen Dystopieentwurf des 20. Jahrhunderts mit expliziten Darstellungen einer

Lebenswelt in Wägen am Ende des Buches Fahrenheit 451 von Ray Bradbury’s aus dem

Jahre 1953.

19


Hybridhistorie

Autonomie bei allen Wagenburgen dar. Eine Autonomie, die neben Selbstbestimmung und

Selbstverwaltung die rechtlich abgesicherte Existenz im Raum verlangt. Autarkie und

Selbstversorgung spielen bei Wagenburgen im urbanen Raum keine oder nur bedingt bei der

Energiegrundversorgung eine Rolle. Im Gegensatz hierzu stehen rurale Kommunen, welche

durch Agrikultur einen höheren Selbstversorgungsgrad erreichen. (➣ 3.2.3 – 3.2.8 und 3.4.2)

Eine letzte abschließende dialektisch historische Synthese bringt die sozialen

Bewegungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts in Bezug zu einer Wagenburgkultur. Hierbei

zeigt sich, dass Bewegungselemente aller großen sozialen Proteste wie Friedens-, Ökologie-,

Anti-Atomstrom- oder Emanzipationsbewegung sich in das Profil der einzelnen

Wagenburgen eingeschrieben haben. Das eigene Wohnumfeld kann als Erweiterung der

oftmals institutionalisierten und diskursiv vermarkteten Bewegungen gesehen werden. So

finden sich reine Frauenwagenburgen, Wagenburgen mit starker ökologischer Ausrichtung

fern jeglicher Atomstromsteckdose, aber auch Wagenburgen, welche durch Sub-Kultur-

Bewegungen, wie die einer anarchistischen Punkszene oder einer avantgardistischen

Kunstszene, gebildet wurden. Darüber hinaus gibt es Wagenburgen, die sich aus

Obdachlosigkeit und finanzieller Notlage gruppieren – was nicht einer sozialen Bewegung

konkret entspricht –, wenngleich es doch die größte historische Konstante darstellt. Allen

Gruppierungen und Strömungsrichtungen ist gemein, dass Wagenburgen eine Wohnform

darstellen, innerhalb derer sich zentrale Werte einer identitätsstiftenden Maxime

verwirklichen lassen, sei es ökologischer, sozialökonomischer, post-feministischer, familiärer,

monetärer oder avantgardistischer- Natur.

Auf der Grundlage dieser vorläufigen Definition werden sich in der folgenden

Fallstudie die Postmodernen Wirkungsmechanismen einschreiben und zeigen. Stichworte sind

hierbei: Pluralisierung der Lebensstile, multizentrische Stadtstruktur, Engagement in Mikro-

und Subpolitik, Gated-Communities, Partizipation, Skeptizismus, Fragmentation, Parataxe,

Lebensgemeinschaft, Patchwork-Familie, Dezentrale Überwachung, Hybrid-Architektur und

Ästhetizismus. Eine Herleitung dieser Analyseaspekten befindet sich im Anhang (➣ 6.1.1).

(HALL 1998: 82 ff.; IHAD 1982: 267-268; MALPAS 2005: 7-8; SHORT 1996: 32 ff.; Beck 1997:

28 ff.)

Was sich zunächst am Übergang zur Postmoderne aus einer klar linksgerichteten

Hausbesetzer-Szene herausentwickelt hat, differenzierte sich binnen 25 Jahren in die

verschiedensten Sozialfelder hinein. Die Wagenburgkultur an sich stellt hierbei nur bedingt

eine soziale Bewegung dar, zu different manifestiert sich die jeweilige Struktur der einzelnen

Wagenplätze. Zu mannigfaltig sind die einzelnen Beweggründe, die eine Wagenbündelung

zur Burg bewirken.

Von Flensburg bis Freiburg befinden sich derzeit mehr als 160 Wagenplätze dezentral

in allen Teilen Deutschlands, wobei der Verteilungsschwerpunkt deutlich auf den

westdeutschen Bundesländern liegt. Sämtliche innerdeutschen Millionenstädte weisen

mehrere Wagenburgen aus. Sieben der neun Städte mit mehr als 500.000 Einwohnern

20


Hybridhistorie

besitzen Wagenburgen (Ausnahme: Stuttgart und Essen). Hessen, Nordrhein-Westfalen, die

monozentrischen Ballungsgebiete Hamburg und Bremen sowie Hannover weisen die höchste

Dichte auf. Die beiden polyzentrischen Ballungsräume Rhein-Ruhr, sowie Rhein-Main sind

ebenfalls dicht mit Wagenburgen besetzt.

Im Gegensatz hierzu weisen die östlichen Bundesländer nur eine sehr punktuelle

Verteilung auf, wobei ein Vergleich mit früheren Auflistungen der Plätze zeigt, dass gerade

seit circa 10 Jahren immer mehr Wagenburgformationen auch dort entstehen (Dresden,

Leipzig, Rostock, Zittau). Zusammen mit Hamburg bildet Berlin das innerdeutsche

Wagenburgagglomerationszentrum, wobei sich im Falle der Hauptstadt eine Verlagerung des

Schwerpunktes in den letzten 5 Jahren aus dem ehemaligen Westteil in den ehemaligen

Ostteil der Stadt feststellen lässt. (vgl.: ERNST 1995: 10; LANG 1979: 419)

Darüber hinaus steht die innerdeutsche Verteilungsstruktur im engem Zusammenhang

mit dem Hochschulangebot der Städte. So weisen mehr als 65 % der 74 deutschen

Hochschulstädte eine Wagenburg aus. 23 Hingegen neigen Städte mit einer starken

rechtsextremistischen Szene dazu, keine Wagenburgen auszubilden. 24 Hiervon sind vor allem

Mittel- und Kleinstädte betroffen, welche darüber hinaus über keine Universität verfügen. 25

Differenzierend muss zur folgenden graphischen gesamtdeutschen Betrachtung 26

hinzugefügt werden, dass die meisten Wagenburgen hinsichtlich des rechtlichen Rahmens

und der damit verbundenen Absicherung im Raum oftmals auf labilem Fundament stehen.

Die Skala reicht hierbei von Wagenburgen, welche akut durch Räumung bedroht sind, über

solche mit mündlichen Duldungsabsprachen, Nutzungsverträgen, Pachtverträgen, bis zu

Wagenplätze auf Vereins- oder Genossenschaftsbasis und Privateigentumsverhältnissen.

Dieser Umstand trägt dazu bei, dass eine räumliche Zuordnung nur bedingt eine empirische

Reichweite zeigen kann. Auch tragen sich Wagenburgen, welche keine Kapazität in Form von

Gästewagen oder Durchfahrerplätzen haben, oder unter städtischer Leitung stehen, tendenziell

nicht in Auflistungen ein. 27

Nichtsdestotrotz sind die folgenden Angaben alle nach bestem Wissen und Gewissen

erstellt worden. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass, bedingt durch den mobilen

und flexiblen Charakter des Phänomens, es eine Vielzahl weiterer Plätze gibt, welche sich im

urbanen und ruralen Raum zeitweise befinden. (Quellen: SCHÖNFELD 2000: 7; VOGELFRAI

2006: 35; http://www.wagendorf.de/index.php/Karte; sowie mündlich).

23 Liste der deutschen Hochschulstädte: http://www.studis-online.de/StudInfo/hochschule.php

24 Liste Rechtsextremer Vereinigungen: http://www.extremismus.com/texte/rex12.pdf

25 Wagenburgen im nahen Ausland: Paris, Straßburg, Kopenhagen, Amsterdam, Bern, Wien.

26 Eine alphabetische Listung der Wagenburgen (➣ 6.1.2)

27 Für Freiburg steht daher oft zu lesen 2-3 (➣ 3.2.3 und 3.2.8).

21


3 Aspekte einer Lebenswelt am Beispiel Freiburg im Breisgau

Lebenswelt

Um das gegenwärtige postmoderne Phänomen der Wagenburgkultur in Freiburg 30 zu

beschreiben ist es von großem Nutzen, noch einmal einen kleinen Schritt zurück in die

Moderne zu machen, um die vielschichtigen Parallelen zu einer anderen mobilen Lebenswelt

aufzuzeigen – die der Sinti. Hierbei handelt es sich per Selbstdefinition und innerer

struktureller Bedingtheit um einen Lebensstil anderer Qualität, jedoch finden sich in den

Wechselwirkungen nach Außen sowie in den geographischen Erscheinungspunkten markante

Übereinstimmungen zwischen beiden Phänomenen.

3.1 Urbane Genese

3.1.1 Konzentrationslager und Kiesgrube

Im Stadtarchiv Freiburg findet sich der erste Berührungspunkt zur Kultur der Sinti und

Roma in Form eines administrativen Schreibens aus dem Jahre 1884. Unter dem Datum des 5.

Februar berichtet der Stadtrat dem Bezirksamt, dass der Viehmarkt-Platz aus der Faulerstraße

verlegt worden ist. Und dass er von nun ab nicht mehr als Aufenthaltsort für „Spengler und

Zigeuner“ genutzt werden sollte, um den Bau eines großflächigen industriellen Schlachthofs

am ehemaligen Viehmarktplatz nicht zu tangieren. Der Nutzungswandel der Frei- und

Marktfläche, welche ehemals zum Rayongebiet der nunmehr geschliffenen Vauban′schen

Verteidigungsanlagen gehörte, führte zu einer institutionell verordneten Verlegung. Bei der

Genese des postmodernen Wagenburgphänomens wird demselben Areal nochmals, als

erneute Freifläche in Form innerstädtischer Brache, Bedeutung zukommen.

Nach Wegfall der Faulerflächen wurde ein neuer Platz östlich der Stadt am

Dreisamufer ausgewiesen, welcher erst nach mehreren Jahrzehnten im Jahr 1907 zu Protesten

von Lokalvereinen führt und erneut verlegt wird. (MEHL / DETTLING 1978: 2 f.) 31

Auch auf nationaler Ebene versuchten die Städte, sich untereinander zu koordinieren;

so wurde auf Initiative des Deutschen Städtetagebundes hin im Jahr 1929 ein Berichtsheft zur

„Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ erstellt, worin verschiedene „Lösungsansätze“

diskutiert und verglichen werden. Die Frage, ob man Niederlassungen mit Wagen auf

Privatgrundstücken verbieten sollte, wird diskutiert, jedoch nicht beantwortet. Bei keiner

innerdeutschen Stadt gab es zu jenem Zeitpunkt ein solches Verbot. (MEHL / DETTLING 1978:

6)

29

Blankokarte Quelle: http//:www.recherchehilfen.de/karte_deutschland.gif

30

Freiburg 2006: 153,06 km2/ 214210 Einwohner / Haushaltsbudget 1,2 Milliarden Euro

(EUROPEAN SECRETARY ICLEI 2006: 1)

31

Hierbei muss kritisch angemerkt werden, dass diese verschriftlichte Hauptquelle vom Leiter

des Sozial- und Jugendamtes der Stadt Freiburg angefertigt wurde und dass bis zum heutigen

Zeitpunkt keine milieuinterne Geschichtsschreibung vorliegt.

23


Lebenswelt

Frankfurt am Main hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine Siedlung außerhalb der

Stadt für fahrende Minderheiten errichtet. In vielen anderen deutschen Städten wurde

versucht, mit Privatwohnungen eine dezentrale Integration zu leisten. Hierbei wären zum

Beispiel Hannover, Herford, Kiel oder Minden zu nennen. Freiburg gehörte zusammen mit

Frankfurt an der Oder und Darmstadt zu jenen Städten, welche einen offiziellen

Landfahrerplatz außerhalb der Stadt ausgewiesen hatten. Die Fläche für mobile Wohnformen

befand sich im Westen der Stadt jenseits des Bahnkörpers in unmittelbarer Nähe zum

städtischen Zentralfriedhof (Hugstetter Straße). Der im Volksmund betitelte „Zigeunerplatz“

lag hier in einer 4 bis 6 Meter tiefen Kiesgrube, wo der Aufenthalt polizeilich kontrolliert

wurde und „nach Ablauf einer genehmigten Frist müsse [hier] mit aller Strenge auf eine

Weiterreise bestanden werden.“ (MEHL / DETTLING 1978: 4 ff.).

Unter dem Stichwort „Straßenbetteln und Zigeuner“ wird man im Stadtarchiv weiter

fündig, Dokumente der Jahre 1920 bis 1939 sind in Aktenform einsehbar. Es finden sich

Befürchtungen, die oftmals kinderreichen Familien könnten der Stadtkasse zur Last fallen. Es

werden Überlegungen angestellt, das Verpachten von Privatflächen an Wagenbesitzer zu

verbieten. Verschiedene Verlegungen des Platzes werden erwogen, um ein nahe liegendes

Bauvorhaben nicht zu behindern. Als intolerabel wird hierbei oftmals schon der reine

Sichtkontakt empfunden. So drängt das Liegenschaftsamt im Jahre 1933 darauf, einen

anderen Standort zu finden, da immer mehr Wagen auch außerhalb der Senke zu sehen sind.

Ein ehemaliger Exerzierplatz, ein unbenutzter Fliegerschießstand (Mooswald), sowie eine

weitere Kiesgrube (Lehenerstraße) werden als Verschiebungsstandorte angedacht.

Im Jahre 1935 kommt es dann zur Umsiedlung der Wagen in eine andere stillgelegte

Kiesgrube zwischen Güterbahntrasse und landwirtschaftlichen Nutzflächen am westlichen

Stadtrand (Opfingerstraße). Die 2900 qm umfassende Senke wird von der Stadt Freiburg von

einem lokalen Bauunternehmer für 25 Reichsmark pro Jahr gepachtet. Eine vierteljährliche

Kündigungsfrist gewährt dem Eigentümer weiterhin einen kurzfristigen Nutzungswandel des

Geländes. Im Vergleich zum vorhergehenden Grubenplatz beträgt nun die Entfernung zur

Kernstadt mehr als das Dreifache (circa 4 km). Weitere Folge ist auch, dass an anderen

Stellen der Stadt keine Wagen mehr geduldet werden, wodurch die Einsprüche von Seiten

verschiedenster Interessengruppen gegen den einen verbliebenen Platz jedoch nicht aufhören.

So legt die Badische Kraftlieferungs-Gesellschaft eine Verwahrung beim Oberbürgermeister

der Stadt ein, da sie beabsichtige, im Umfeld der Grube Elektrizitätswerkpersonal

anzusiedeln: “Wir beabsichtigen durch die Einlegung dieses Protestes nicht, unserer Firma

irgendwelche Vorspanndienste zu leisten, wie wir auch ebenso wenig dem fahrenden Volk die

Berechtigung absprechen, als Volksgenossen zu leben. Wir haben lediglich das eine Interesse,

unsere Arbeitskameraden vor einem gewissen Minderwertigkeitsgefühl zu bewahren, als

schaffende Menschen im Kreise fahrenden Volkes leben und wohnen zu müssen.“ (MEHL /

DETTLING 1978: 5)

24


Abb. 10 u.11: Polizei kontrolliert und registriert Wagenbewohner der Sinti-Minderheit

(Quelle: MEHL / DETTLING 1978: 1-2)

Lebenswelt

Aufgrund anhaltenden Drucks von Seiten des Elektrizitätsunternehmens wurde in der

Folgezeit erneut nach einem Abschiebeplatz gesucht. So gab es zeitweise Überlegungen, eine

Fläche nahe dem städtischen Verrieselungsfeld im Westen auszuweisen (Dreiecksplatz am

Rieselfeld). Mit einer weiteren Kiesgrube in einem noch stadtentfernteren Gewann (Haid)

wurde man dann jedoch fündig, wobei zum damaligen Zeitpunkt das Gelände zur

umliegenden Gemeinde (St. Georgen) gehörte. Unter Nichtbeachtung der Gemarkungsgrenze

übernahm die Stadt Freiburg die entstehenden Kosten für den Abtransport der Wagen mit

Hilfe von Zugpferden (6. Mai 1935) und schob sämtliche Familien ab.

Der Bürgermeister von St. Georgen wurde daraufhin im Freiburger Rathaus vorstellig

und verlangte die Ordnungswidrigkeit umgehend wieder zu beseitigen. Nun entschied man

sich, die Sintifamilien aufzulösen, indem man die arbeitsfähigen Männer in ein Arbeitslager

einweisen würde (Günterstal), die Frauen in eine Heimanstalt (Augustinusheim) und die

Kinder in ein städtischen Waisenhaus - wenn sie nicht unmittelbar die Stadt und das nahe

Umland verlassen würden. Durch Androhung der sofortigen Vollstreckung der Maßnahmen

verließen daraufhin alle Wagenbewohner der ethnischen Minderheit St. Georgen und das

Stadtgebiet. (MEHL / DETTLING 1978: 4-6)

Über die folgenden Jahre nach 1935 finden sich keine schriftlichen Dokumente mehr,

die vom Umgang mit oder dem Verbleib von ethnischen Minderheiten oder anderen

Angehörigen mobiler Gruppierungen berichten. In den Akten des Stadtarchivs befindet sich

lediglich ein Runderlass des Reichsministeriums des Innern vom 8. Dezember 1938 über die

„Bekämpfung der Zigeunerplage“. Anknüpfungspunkt danach stellen erst wieder die hier

zitierte Niederschriften des Leiters vom Sozial- und Jugendamt Herr Mehl aus den 1970er

Jahren dar. 32

Um die totalitären Herrschaftsstrukturen des Dritten Reiches, und das zugrunde

liegende Menschenbild im Speziellen, zu veranschaulichen, genügt es jedoch vielleicht,

einen kurzen Auszug aus dem verbliebenen Dokument wiederzugeben, um die administrative

32 Auf Landesebene war das Jugendamt bis 1952 dem Innenministerium unterstellt.

25


Lebenswelt

Wegbereitung zum Genozid nachvollziehen zu können. „Die bisher bei der Bekämpfung der

Zigeunerplage gesammelten Erfahrungen und die durch rassenbiologische Forschungen

gewonnenen Erkenntnisse lassen es angezeigt erscheinen, die Regelungen der Zigeunerfrage

aus dem Wesen dieser Rasse heraus in Angriff zu nehmen“, und etwas weiter liest man, „bei

allen Zigeunern und nach Zigeunerart umherziehenden Personen ist zu prüfen, ob die

Voraussetzung der Bestimmung über vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei

gegeben ist (Gefährdung der Allgemeinheit durch asoziales Verhalten). Hierbei ist ein

besonders strenger Maßstab anzulegen.“ Es ist im folgenden die Sprache von

„Ehegesundheitsgesetzen“ und „Ehetauglichkeitszeugnissen“ sowie von den „ausdrücklichen

Vermerken, dass es sich bei dem Antragsteller um einen Zigeuner (...) Zigeunermischling

oder eine nach Zigeunerart umherziehende Person“ handelt. 33

Was die kategorische Erfassung von mobilen Minderheiten anbelangt, so weist die

Nachkriegszeit keinen neuen Absatz in der Linearität der Geschichte auf. Weiterhin bemüht

man sich um das „Zigeunerproblem“ und bedient sich der gesetzlichen Paragraphen von

1936, in welchen die Stadt Freiburg festlegte, dass nach dreitägigem Aufenthalt die

Weiterfahrt angeordnet werden muss. „Dabei kann zunächst einmal davon ausgegangen

werden, daß sich in der Bevölkerung die Einstellung zu den umherziehenden Zigeunern auch

durch das Geschehen im Dritten Reich mit der Verfolgung dieses Volkes nicht wesentlich

geändert hat.“ (MEHL / DETTLING 1978: 8 f.) Nicht nur mentalgeschichtliche Kontinuität

begleitet das Phänomen weiterhin, auch zeigt sich bei der räumlichen Verortung kein Bruch

oder gar Neuanfang.

Die stadtnahe Gemeinde St. Georgen, welche vor Beginn des Krieges letzte Station

von Wagenbewohnern war, ist nun wieder Anknüpfungspunkt für eine Gruppe von circa 30

Familien, die im Dritten Reich als Zigeuner klassifiziert und interniert wurden. Unweit des

städtischen Rieselfeldes finden sich im Galgenwäldchen (heute: Am Lindenwäldle) 1949

erneut Familien der ethnischen Minderheit ein, welche daraufhin abermals in eine Kiesgrube

500 m westlich verlegt werden.

Im Folgenden kommt es 1950 zu einer weiteren Verschiebung und der Schließung

eines geographischen Zirkels. Die in Wagen lebenden Großfamilien werden in dieselbe Grube

33 Im Zweiten Weltkrieg wurden zwischen 250 000 und 1 Million Menschen ermordet, die

als Zigeuner klassifiziert wurden. „Nach dem zweiten Weltkrieg führten so genannte

Landfahrerzentralen der Polizei weiterhin systematische Erfassungen der Sinti und Roma

durch. Katalogisierungsnummern waren hierbei die selben, welche durch SS-Personal in den

Konzentrationslagern eintätowiert wurden. Auch Baden-Württemberg gab nach dem Krieg

einen "Leitfaden zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens heraus," der den Beamten im Duktus

der NS-Zeit "bis zur endgültigen Lösung des Zigeunerproblems" eine vorläufige Hilfe sein

sollte. Quelle: http://www.zigeuner.de/sinti_und_roma_seit_600_jahren.htm.

vgl: http://www.sub.uni-hamburg.de/opus/volltexte/2004/2247/

26


Lebenswelt

verwiesen, welche bis 1935 der Verbleibeort anderer Sinti darstellte (Opfingerstraße). Somit

ist nach mehr als 15 Jahren die Lagekontinuität des Phänomens wieder hergestellt.

Weiterhin werden Ansiedlungen in unterschiedlichsten Freiburger Stadtteilen und

Integrationsversuche durch Dezentralisierung von administrativer Seite stets unterbunden.

Sesshafte Stadtbürger reichen Klagen ein, dass außerhalb der Grube Wagen zu sehen seien,

woraufhin die Wagenansammlungen im Umfeld der Senke durch polizeiliche Kräfte geräumt

und zu einem Verbleiben in der Grube gezwungen werden.

Abb. 12: Sinti-Frau mit Kind am Stadtrand

von Freiburg. (Mehl / Dettling 1978: 9)

Erst allmählich verändert sich die

Situation und die damit verbundene

geographische Lage der ethnischen Minderheit.

Im Zuge einer neu entstandenen

„Fürsorgepflicht“ Anfang der 1960er Jahre,

welche in einem vergrößerten kontextualen

Entwicklungsrahmen gesehen werden muss,

werden von Seiten der Administration Pläne

ausgearbeitet, welche die Wohnsituation der

ethnischen Minderheit zu verbessern suchen. 34 Zu

den zeitgeschichtlichen Ereignissen der 60er

Jahre, die in Verbindung mit diversen Lösungsansätzen gesehen werden können, gehört ein

verstärkter Zuzug verschiedenster Ethnien aus unabhängig gewordenen Kolonien ins

benachbarte europäische Ausland. Eine zunehmende Anzahl an „Gastarbeiter“ ist für die

wirtschaftliche Produktion in Deutschland tätig. Wachsendes Bruttoinlandsprodukt und

materieller Wohlstand folgen. Das Zusammenwachsen der Europäischen Mitgliedstaaten und

im Besonderen ein 1969 veröffentlichter Bericht zur Lage „der Zigeuner“ in der jungen

Staatengemeinschaft folgen. Sowie eine verstärkte Debatte über Wiedergutmachungen und

eine aufkommende intensivierte Auseinandersetzung mit dem Holocaust. All diese Faktoren

führen zusammen mit den Raumansprüchen eines neuen courbousier′schen Stadtteils

(Weingarten) zu einem marginalen , jedoch geographisch wahrnehmbaren, Gesinnungswandel

und zur Ausarbeitung einer Barackensiedlung urbanen Charakters an der nördlichen Seite des

städtischen Rieselfeldes (Mundenhofstraße).

Neben vier Steinbaracken für insgesamt 26 Familien (139 Sinti) wurden noch zwei

weitere Baracken errichtet für den temporären Aufenthalt von Landfahrern. Bei Planungs-

und Entwicklungsprozessen wurde keiner der späteren Bewohner mit integriert. Die

räumliche Nachbarschaft zu den noch aktiven städtischen Verrieselungsflächen führte

zeitweise zu immensen Geruchsbelästigungen. Nierenerkrankungen häufen sich im

Zusammenhang mit zugigen sanitären Einrichtungen, und so konnten „auch die baulichen

34 Paradox erscheint die Freiburger Pioniertat im Kontext eines einmaligen

Reichstagsbeschlusses durch Kaiser Maximillian I in Freiburg aus dem Jahr 1498, in dem

man die Angehörigen dieser Minderheit als entrechtet und vogelfrei erklärte. (SCHUBERT

1995: 363)

27


Lebenswelt

Verbesserungen (...) die wachsende Unzufriedenheit unter den Bewohnern nicht mehr

abwehren“ (MEHL / DETTLING 1978: 13). Infolgedessen zogen im März 1972 fast alle

Bewohner wieder aus der Barackensiedlung aus und weigerten sich, dem städtischen

„Lösungsansatz“ Folge zu leisten.

Um den kognitiven Hintergrund 35 dieses gescheiterten Versuchs zu beleuchten, scheint

es angebracht, dem Sprachduktus des damaligen Sozial- und Jugendamtleiters (Herr Flamm)

kurze Aufmerksamkeit zu schenken. „Zu den Sozialisationsvoraussetzungen gehört

insbesondere zunächst auch die Überwindung tradierter Vorstellungen. Begriffe der

Zivilisation, der Eigentumsordnung, der Familienordnung, usw. müssen erst entwickelt

werden. So hat die Sozialisation durchaus auch andere Akzente als jene der Resozialisation

von anderen Gefährdeten- und Nichtsesshaftengruppen. Für die Entwicklung solcher neuer

Vorstellungen scheint die siedlungsmäßige Zusammenfassung der Zigeuner und Landfahrer

in einer besonderen Siedlung durch bessere Einwirkungs- und Beeinflussungsmöglichkeiten

und planmäßige Sozialisationshilfen Vorteile zu haben.“ (MEHL / DETTLING 1978: 12). Eine

vorsichtige Deutung dieses Leitgedankens führt zu der Annahme, dass kulturelle Assimilation

als Ziel mit den Bedingungen der Sesshaftmachung verknüpft wurde. „Sozialisation“,

„Entwicklung“ und „Zivilisation“ entfalten ihre Wirkung durch die Beendigung eines mobilen

Lebensstils, wodurch auch staatliche Überwachungs- und Steuerungsmechanismen eine

effektivere Anwendung finden können. Der Auszug der Betroffenen quittierte jedoch die

monistische Kulturvorstellung der administrativen Entscheidungsträger.

Im Folgenden hielt man weiter am Konzept der Sesshaftmachung fest und prüfte

verschiedenste im-mobile Konzepte, wie den Umbau einer ehemaligen Artilleriekaserne

(Elsässerstraße) oder die Streuung der einzelnen Familien im Stadtgebiet. Schließlich

entschied man sich für ein bundesdeutsch erstmaliges Konzept unter dem Schlagwort

„wurzeltiefe Integration“. 140 Wohneinheiten entstanden in unmittelbarer Nähe zur

Kiesgrube an der damaligen äußersten Peripherie der Stadt. Ein sozialpädagogisches

Betreuungszentrum wurde errichtet (Haus Weingarten), Ganztagesbetreuung für Kinder

eingerichtet, Integrationshilfegruppen für Erwachsene aufgestellt, finanziert durch

kommunale Gelder und Zuschüsse von Land und Bund (1973-1977).

Heute leben in Freiburg circa 80 Familien der Sinti-Ethnie, meist dezentral über das

Stadtgebiet verteilt, zentralisiert um das Haus Weingarten, sowie auf zwei Wagenplätzen

außerhalb der Stadt. 36

35 Als Beweis für die kognitive Stigmatisierung sei hier noch ein Beitrag aus dem Feuilleton

der Frankfurter Allgemeine Zeitung aus dem Jahre 1980 beigefügt: „Nicht, daß im Laufe der

Zeit noch nie versucht worden wäre, dieses Nomadenerbe zu bewältigen und den Zigeunern

unsere Vernunft beizubringen. (...) Die zweite Frage, woher denn die Zigeuner kamen, hat

von Anfang an mehr ihre Wirtsvölker beschäftigt als sie selbst. (...) ihre Wasserscheu (...) ein

Menschheitsfossil nahe der Stufe der Sammler stehengeblieben bis in die Atomzeit.“ (FAZ

08.03.1980: 17)

36 Quelle: Gespräch mit Prof. Dr. Matter (Ethnologie Universität Freiburg) 03.04.06.

28


3.1.2 Klärwerke und Kaserne

Lebenswelt

Die nachfolgende entwicklungsgeschichtliche Darstellung 37 der

Wagenburgdynamiken in Freiburg hat ihren Ausgang im Jahr 1987, als erstmals

Wagengespanne auf den Faulerflächen eintreffen - also genau im selben innerstädtischen

Bereich, wo 103 Jahre früher Mitglieder der Sinti-Ethnie zum ersten Mal geographisch

lokalisierbar wurden. War es damals eine freie Marktfläche, welche mit einem modernen

Schlachthof bebaut werden sollte, so ist es nun eine Brachfläche, welche durch ein

Stadtteilsanierungsprogramm erschlossen werden soll und schon nach wenigen Monaten eine

weitere Nutzung als Wagenplatz nicht ermöglicht.

Parallel zu der entstehenden Wagenburg, die sich anfangs hauptsächlich aus Menschen

einer erodierten Hausbesetzerszene zusammensetzt - die den Wagen als neuen Wohnraum

entdeckten -, entwickelt sich in unmittelbarer Nachbarschaft der „Verein für Leben und

Arbeiten im Grethergelände“. Diese Eigeninitiative setzt sich zum Ziel, die noch gute, wenn

auch museale Bausubstanz eines ehemaligen Gießereibetriebs 38 aus Zeiten der

Hochindustrialisierung zu erhalten, um kostengünstigen Wohn- und Arbeitsraum zu erstellen.

Selbstverwaltung, Erbpachtzins und Muskelhypothek können die historischen Bauten vor den

Abrissplänen des städtischen Sanierungsprogrammes retten und im Folgenden auch einen

vorübergehenden Aufenthalt für die räumungsbedrohte Wagenburg liefern. Selbstorganisierte

unkommerzielle Mietshausprojekte (wie Grether oder SUSI) bilden im Verlauf der

Geschichte immer wieder Anlaufstellen für räumungsbedrohte Wagenburgen oder für durch

Räumung obdachlos gewordene Bewohner.

Bald schon zeigen sich jedoch zentrifugale Kräfte, die den innerstädtischen Nukleus

einer Wagenburgkultur an die Stadtperipherie tragen. Räumungsandrohungen können trotz

Demonstrationszügen, vehementen Einspruchs der damaligen Oppositionspartei Die Grünen

nicht abgewandt werden (1988). Und so verlagern sich einzelne Wagenformationen an die

westliche Stadtperipherie und auf Waldparkplätze. Auch sind städtische Campingplätze zu

diesem Zeitpunkt noch bereit, Wagenbewohner über die Wintermonate aufzunehmen 39 -

Räume, die sich ab Mitte der 90iger Jahre selbstausgebauten Wagen verschließen werden.

37 Primäre Quelle waren hier eine milieuinterne Geschichtsschreibung des Wagenburgvereins

Schattenparker (http://www.schattenparker.net/chronik) sowie die unpublizierten

Niederschriften der PHK a.D. ZINNKANN 2005. Sekundär wurden diese Historien durch eine

Reihe narrativer Gespräche verifiziert, falsifizert, erweitert und vertieft, um die gewünschten

geographischen Anbindungs- und Schlüsselmomente zu generieren. Die nachfolgende

Chronologie versteht sich deshalb auch in erster Linie als Verschriftlichungsbeitrag einer

bisher größtenteils mündlich gehaltenen Überlieferung.

38 Der ehemalige Graugussproduzent Grether & Cie (1888-1944) wurde ab 1983 schrittweise

durch das Freiburger Mietshäusersyndikat erworben und umgestaltet.

39 Zuletzt entscheidet sich der Campingplatz Hirtzberg Anfang/Mitte der 90er Jahre,

selbstausgebaute Wohneinheiten nicht mehr aufzunehmen.

29


Lebenswelt

Nach einem Jahr am westlichen Stadtrand, wo eine ununterbrochene

Siedlungskontinuität gegeben war, müssen die Wagen abermals behördlichem Druck weichen

und werden daraufhin nur noch auf Flächen des städtischen Rieselfelds, in circa 2 km

Entfernung von einer regulären Wohnraumbebauung, geduldet. Das städtische

Verrieselungsareal bildete, wie bereits erörtert, auch das unmittelbare Wohnumfeld für

Familien der Sinti vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. 1989 ist es nun die Fläche selbst,

welche als Wohnraum für bis zu 56 Wagenbewohner in 8 lose zusammengefassten

Wagenburgen dient, nachdem das gesamte Areal samt Absetzbecken 1986 funktionslos

wurde. Die Überreste einer ehemaligen Biodüngerstoff-Fabrik (Biohum-Meyer) und deren

ungenutztes Wegenetz dienen den Wagenbewohnern als Grundfläche. 40

Auf dem weitläufigen Areal bilden sich Wagenburgen unter verschiedensten

ökologischen oder politischen Grundprämissen heraus, wobei ein Großteil der hier Lebenden

durch Eigeninitiative schlicht einen Ausweg aus der Obdachlosigkeit suchte. Eine

infrastrukturelle Grundausstattung wird ihnen von Seiten der Stadt stets verweigert, um damit

die Wohnbedingungen so unattraktiv wie möglich zu halten. Im Frühjahr 1992 kommt ein

ersatzloser Räumungsversuch hinzu, welcher diesmal jedoch am Protest der verschiedensten

sozialen Gruppen und auch Ämter scheiterte. In einer darauf folgenden Sitzung einigt sich

der Gemeinderat auf den vorläufigen Fortbestand des Platzes.

Aufgrund des sehr heterogenen Gruppengefüges kommt es in der Folgezeit immer

wieder zu Neugruppierungen, Zuzügen und Abspaltungen. So verlässt eine Gruppe von 25

Personen die ehemalige Verrieselungsfläche und bezieht eine Wiesenfläche nahe einer

Stadtumgehungsstraße (Im Zinklern). Woraufhin eine sofortige Räumungsverfügung ergeht,

welche in einem Prozess vor dem Landgericht mit einem Vergleich endet. 1992 spaltet sich

die Gruppe nach erneut eingegangener Räumungsklage in drei neue Wagenburgen auf. So

entsteht in einem Schwarzwaldtal im nahegelegenen ruralen östlichen Umland eine neue

Wagenburg (Höllental). Es bildet sich eine weitere nahe einer westlichen Umlandgemeinde

(Hochdorf), sowie eine dritte, am südlichen Stadtrand nahe einer alten Ölmühle.

Zwei wagenburgtypische Phänomene lassen sich hierbei erkennen. Zum einen führt

administrativer Druck der Stadt zu einer zentrifugalen Bewegung ins Umland oder in

benachbarte Städte. Zum anderen zeigt sich eine solche durch externe Faktoren initiierte

Transformationsphase als wesentlicher Bestandteil einer Ausdifferenzierung des

Wagenburggefüges. Es kommt zu Neuformierungen unter nuancierten Prämissen (ökologisch,

familiär, politisch, freundschaftlich), wodurch sich die Gruppengröße verringert, um ein

agileres Bewegen im Raum zu ermöglichen.

Neben den externen, an eine Gruppe heran getragenen Transformationsinitiatoren

(Räumungsbescheid, Ende eines Pachtvertrages, hinzukommende weitere

Wagenburggruppierung) gibt es auch interne Faktoren (verfehlte Konsensfindung im Plenum,

40 Lageskizze des damaligen Areals siehe Anhang ➣ 6.1.6

30


Lebenswelt

individuelle- oder familiäre Faktoren), welche zu Abspaltung, Sub- oder Neugruppierung

führen. Alle Transformationsprozesse bewirken eine erneute Binnenstrukturierung bei

gleichzeitiger Offenheit gegenüber Neuzuzug.

Von den drei neu entstandenen Wagenburgen, die sich infolge administrativen Drucks

ausdifferenzierten, blieb nur die nach ökologischen Gesichtspunkten ausgerichtete

Wagenburg an der Ölmühle bestehen (➣ 3.2.7). Die anderen beiden zogen in Folge von

Räumungsandrohungen der Gemeinden wieder zurück in den urbanen Raum der Stadt

Freiburg (1993) und kehrten somit die zentrifugale Bewegungsrichtung um.

Im Sommer des Jahres 1993 machen sich zum ersten Mal die Auswirkungen des

Mauerfalls unmittelbar im Stadtraum Freiburgs für Wagenburgbewohner bemerkbar.

Nachdem Freiburg nach dem Zweiten Weltkrieg in die französische Besatzungszone gefallen

war, wurde die hiesige "Albert-Schlageter“ Wehrmachtskaserne an der südlichen

Stadtgebietsgrenze von 10.000 französischen Soldaten bezogen und in Quartier Vauban

umbenannt. Nach dem Abklingen des Ost-West-Konfliktes wurde das Kasernengelände der

Forces Françaises en Allemagne im August 1992 dann an den Bund übergeben. 41 Ein privates

Sicherungsunternehmen übernimmt nun zunächst für ein knappes Jahr die Bewachung und

Abriegelung des Geländes. Bald entschließt man sich von städtischer Seite jedoch, aus

Kostengründen auf diese Maßnahmen zu verzichten.

Ein ebenfalls von der französischen Armee hinterlassener Schießplatz ohne

Folgenutzung an der nordöstlichen Peripherie der Stadt wird von zwei Wagenburgen bereits

im Sommer 1992 bezogen. Ein Räumungsbescheid zwingt die Bewohner jedoch eine

Ausweichfläche anzusteuern, woraufhin sie nach Absprache mit der Polizei auf das nunmehr

ungenutzte Kasernengelände verwiesen werden. So entsteht direkt hinter einer provisorisch

eingerichteten Notunterkunft für Obdachlose die erste Wagenburg auf dem ehemaligen

Militärgelände (20.Mai 1994).

In den folgenden Monaten und Jahren finden sich immer mehr

Wagenburggruppierungen auf dem funktionslosen 1 km langen und 0,6 km breiten Gebiet ein.

Es bilden sich Punkwagenburgen, Wagenburgen bestehend aus ehemaligen Obdachlosen,

Wagenburgen aus der Anti-Atomkraft- und Ökologiebewegung, Wagenburgen mit rein

familiären Strukturen und eine reine Frauenwagenburg. Mit knapp 90 Wagen entsteht somit

die größte Wagenburgbündelung in der Stadtgeschichte Freiburgs.

Ein zentral gelegener Sportplatz bildete die Grundfläche für mehr als 40 LKW,

Zirkuswagen, Gespanne, Wohn- oder Bauwagen der insgesamt 12 autonom agierenden

Wagenburgen (1995). Sanitäre Anlagen werden in Eigenregie erbaut. Eine Reparaturwerkstatt

41 Die Stadt schließt 1992 mit der Bundesrepublik Deutschland einen Generalmietvertrag,

welcher 1994 in einem konkreten Grundstückskaufvertrag aufgeht. (Gespräch mit Herrn Feith

– Leiter der Projektgruppe Vauban am 16.11.06).

31


Lebenswelt

wird errichtet. Ein Kinderhort sowie ein Kinderbauernhof werden eröffnet. Politisch

linksgerichtete Foren bilden sich. Unkommerzielle Kultur- und Musikveranstaltungen werden

gestaltet.

Die aufgezeigte rapide Rezivilisierung des Geländes bedingt sich zum einen durch die

quantitativ zur Verfügung stehende Fläche, zum anderen durch die qualitativen Eigenschaften

des Areals. So werden ausgediente Werkzeughallen und Kfz-Gruben nun zur Reparatur und

zum Innenausbau der Wagen verwendet. Verbleibende Frischwasseranschlüsse konnten

genutzt werden. Zurückgelassenes Alteisen und Bauholz wird recyclet und weiterverarbeitet.

Darüber hinaus garantieren die einzelnen Kasernenblocks und Hallenkomplexe eine relative

Kleinkämmerung des weitläufigen Areals für die einzelnen autonomen Wagenburgen. Und

auch die Innenstadt kann binnen 10 Minuten mit dem Fahrrad erreicht werden.

Ein weiterer Sachverhalt, welcher zur enormen Massierung der Wagen auf diesem

Gelände beiträgt, ist eine Null-Toleranz Politik seitens der Polizeibehörde gegenüber anderen

Wagenstandplätzen in der Stadt. So befinden sich lediglich auf dem Biohum-Gelände

(Rieselfeld) noch eine größere Anzahl an Wagen. Alle anderen stadtinternen oder

stadtperipheren Ansammlungen werden aufgelöst.

Abb. 13: Zentrale Freifläche vor einem Kasernenblock Abb. 14: Umfunktionierter Doppeldecker im

(Quelle: ZINNKANN 2005: 52) Quartier-Vauban (Quelle: ZINNKANN 2005: 53)

Im Mai 1995 trifft als Folge des Balkankonfliktes eine weitere Wagenburg auf dem

ehemals militärischen Quartiersgelände eine. Die Gruppe der Sinti bezieht eine Freifläche im

südlichen Teil der Kaserne (heutige Gerda-Weiler-Straße), worauf es zu Spannungen mit den

bereits in diesem Bereich etablierten Wagenburgen kommt und diese sich verlagern. Nach

wenigen Monaten ziehen die Sinti-Familien mit ihren Wagen weiter und verlassen das

Freiburger Stadtgebiet.

Ab Mitte 1995 zeichnet sich für alle Wagenburgen ab, dass sie mit verminderten

Raumverhältnissen zu rechnen haben, da ein Stadtteilentwicklungskonzept die

Quartiersfläche erfasst hat und hieraus einen neuen Stadtteil mit Wohnhausbebauung machen

32


Lebenswelt

möchte (Projektgruppe Vauban). 42 Die daraufhin einsetzenden Erschließungsarbeiten drängen

die Wagenbewohner immer mehr in Randlagen des Areals. Um ein Leben im Wagen

fortsetzen zu können werden von den unterschiedlichen Gruppierungen verschiedenste

Strategien entwickelt.

Eine Wagenburgformation bezieht ein gepachtetes 6 Ar Grundstück am Fuße eines

Vorbergausläufers des Schwarzwaldes (Schönberg, Gewann am Grundweg). Ermöglicht war

dies durch den damalige Baubürgermeister, der die aufkommenden Engpässe erkannte, die

durch den Wegfall des Vauban-Areals entstehen würde und daraufhin eine Duldung von

Wagenburgen auf Privatflächen und in Landschaftsschutzgebieten zusichert, unter der

Bedingung, dass es zu keiner Beeinträchtigung des natürlichen Haushalts kommt; eine

geregelte Entsorgung von Müll und Abwasser gewährleistet ist; sowie eine soziale Akzeptanz

bei der unmittelbaren Anwohnerschaft gegeben ist.

Trotz Demonstrationen und Unterschriftenlisten 43 bewirkt der Protest eines

Bürgervereins des mehr als 400 Meter entfernten Stadtteiles St. Georgen eine

Räumungsklage 44 für das Flurstück an den Vorbergen des Schwarzwalds. Aufhänger sind

hierbei freilaufende Hunde und eine angeblich nicht ökologische Nutzung des Flurstückes.

Daraufhin verlassen die Bewohner ihren Standplatz im September 1998, bevor es zu einer

Beschlagnahmung der Fahrzeuge kommen kann. Nächste kurzfristige Anlaufstelle ist wieder

eine noch nicht erschlossene Freifläche auf dem Vauban-Areal, bevor sich die Wagenburg bis

Mitte 1999 auf einem Grundstück in einer der umliegenden Gemeinden des Stadtgebiets

niederlässt (Tiengen).

Um der bevorstehenden Kompletträumung des Vauban-Areals zu begegnen, gründet

sich ein Verein (Queerbeet e.V.), welcher versucht, die unterschiedlichen Interessen der

Wagenburgen zu bündeln und mit juristischer Hilfe zu vertreten. Ein Teil der

Wagenbewohner kann sich auf Freiflächen eines Mietshäusersyndikatprojektes 45

zurückziehen, welches sich die unkommerzielle Rezivilisierung von vier

Mannschaftsgebäuden zur Aufgabe gemacht hat (Selbstorganisierte Siedlungsinitiative, kurz

SUSI e.V.). Die hier entstehende Wagenburg wird daraufhin integraler Bestandteil des

Projektes bleiben (➣ 3.2.8 Susiburg).

Darüber hinaus splittern sich weiterhin kleinere Wagenburgverbände ab und

versuchen sich dezentral auf innerstädtischen Brachflächen oder auf dem ehemaligen

französischen Schießstandgelände im Nordwesten der Stadt niederzulassen.

42 Für 40 Millionen DM erwirbt die Stadt Freiburg das 3,5 ha Areal vom Bund, exklusive

sechs Kasernenblocks des Studentenwerks und 4 Kasernenblocks des SUSI-Projekts.

(ZINNKANN 2005: 7)

43 Circa 500 Anwohner aus dem Stadtteil St. Georgen

44 Der Verpächter, ein ehemaliger KZ-Häftling, wird anschließend mit einer Geldstrafe belegt.

45 MIETSHÄUSERSYNDIKAT 2002 und 2005 stellt Einzelprojekte und auch weitere

Verbindungen zu Wagenburgprojekten dar.

33


Lebenswelt

Beschlagnahmungen, Demonstrationen, Räumungen und Proteste begleiten so die Jahre 1996

und 1997. Komplette Wagenburgen werden in einer semi-legalen Polizeiaktion auf die

städtische Mülldeponie gebracht, um vier Tage später wieder von ihren Besitzern entwendet

zu werden. Eine darauf folgende Gerichtsverhandlung endet im Vergleich. Am 21.06.1997

kommt es dann zur endgültigen Räumung aller noch verbliebenen Wagen auf dem Gelände,

um den weiteren Baufortgang der städtischen Erschließungsarbeiten fortführen zu können, die

für den neu entstehenden Stadtteil Vauban vorgesehen sind.

Erstmals in der Geschichte einer Freiburger Wagenburgkultur beginnt die Stadt nun zu

agieren und ihr bisheriges eher reaktionäres Handlungsrepertoire, bestehend aus

Räumungsklage und Exklusion, um die offizielle Ausweisung eines städtischen

Wagenburgplatzes zu erweitern. Auf Grundlage eines Gemeinderatsbeschlusses wird ein

Interimsstandort ausgewiesen, auf welchen die Wagenbewohner des Vauban-Areals offiziell

umsiedeln können. Bei dem neuen Standort handelt es sich um eine Betonfläche eines

städtischen Bauhofes neben einer stark befahrenen Durchgangsstraße in einem peripheren

Industriegebiet. Unter Zahlung von monatlich 75 Euro kann hier ein Standplatz bezogen

werden. Einzelnutzungsverträge müssen unterzeichnet werden, in welchen die Betreuung

durch einen Sozialarbeiter festgeschrieben steht. Darüber hinaus dürfen keine weiteren

rechtlichen Schritte gegen die Stadt unternommen und auch kein Anspruch auf einen

Folgeplatz vor Gericht eingeklagt werden. 21 Wagenbewohner, meist höheren Alters aus den

Ursprüngen der Hausbesetzerszene, akzeptieren die Verträge. Im Juni 1998 wird man 18

Verbliebene auf den ersten offiziellen Freiburger Wagenplatz 500 m weiter westlich im

selben Industriegebiet verlegen. Der städtisch geleitete Wagenplatz am Eselswinkel mit 31

Nutzungsparzellen ist entstanden. (➣ 3.2.2 Eselswinkel)

Parallel zum neuen Stadtteil Vauban auf dem ehemaligen Militärquartier entsteht auch

auf dem ehemaligen städtischen Rieselfeld ein am Reissbrett entworfener Stadtteil für 10.000

Bewohner. Als Folge der neuen Raumansprüche des Stadtteils kommt es auch hier zu

Räumungsklagen, welche nur nach Protesten von Bürgern, Betroffenen und Sozialamt wieder

rückgängig gemacht werden. Und so kommt es zum Entschluss, einen weiteren umzäunten

Wagenplatz mit Parzellen unter städtischer Leitung auszuweisen. 20 Wagenbewohner, welche

das Wagenleben als Alternative zur Obdachlosigkeit entdeckt haben, entscheiden sich für die

Inanspruchnahme einer Parzelle. (➣ 3.2.1 Biohum)

Beide städtischen Plätze, welche binnen 3 Jahren (1998 und 2001) entstanden sind,

stellen jedoch für die meisten Wagenburgen keine Alternative dar. Zu restriktiv, zu peripher

und ohne jedes Recht auf Selbstverwaltung zeigen sie sich unter direkter städtischer

Direktion. Als Reaktion hierauf bildet sich der Verein Schattenparker, welcher sich zum Ziel

gesetzt hat, einen selbstverwalteten Platz zu pachten oder zu erwerben, auf welchem dann die

verschiedensten Wagenburggruppierungen erneut zusammen finden können. Als Folge

fehlender adäquater städtischer Plätze zieht auch ein Teil der Wagenbewohner in umliegende

Städte, im Besonderen nach Tübingen, wo Rezivilisierungsmaßnahmen einer vergleichbaren

34


Lebenswelt

französischen Kasernenanlage einen selbstverwalteten Wagenplatz für knapp 60 Menschen

hervorgebracht hat.

In Freiburg verbleiben hingegen zwei Baulücken auf dem zum Vorzeigeobjekt für

nachhaltige Entwicklung avancierten Stadtteil Vauban als Anlaufstellen für Wagenburgen.

Zum einen ist es eine noch unbebaute Freifläche zwischen der Wendeschleife einer neuen

Stadtbahn und den Gleiskörpern der DB. Zum anderen ist es die Grundfläche von vier

ehemaligen Mannschaftshäusern, 46 welche 1994 abgerissen wurden (Fahnenmastplatz).

Wegen bald einsetzender Erschließungsarbeiten müssen beide Bereiche jedoch mehrmals

geräumt werden. Bis zum Abschluss der Recherche zu dieser Arbeit (März 2007) liegen beide

Flächen als Brache weiterhin im Stadtgebiet.

Verhandlungsversuche mit Privatpersonen zur Pacht von Grundstücken scheitern über

6 Jahre hinweg an Einwänden der Stadt, wodurch sich Wagenburggruppierungen stets

dezentral im öffentlichen Stadtraum oder auf kurzzeitig besetzten Flächen aufhalten. Eine

Sackgasse in einem Gewerbegebiet am westlichen Stadtrand (Haid- Bützingerstraße) wird der

polizeilich geduldete Aufenthaltsort von 2001 bis 2003. Aufgrund parallel verlaufender

Ausschlüsse in anderen Stadtteilen kommt es auch hier wieder zu einer Massierung der

unterschiedlichsten Wagenburggruppierungen. Beschwerden von dortigen Betrieben bleiben

nicht aus und so verteilen sich die Wagengruppierungen, nach einer eingegangenen

Räumungsandrohung, erneut dezentral in der Stadt und im Umland (alter ungenutzer

Messplatz, Waldparkplätze, Baggerseen, Industriebrachflächen in den Nachbargemeinden /

March-Neuershausen).

In der Folgezeit findet sich erneut eine öffentliche Verkehrsfläche als auszuweisender

Raum für die Ansammlung von Wagen. Nun handelt es sich um eine Sackgasse neben einer

stark befahrenen städtischen Ausfallstraße (B3/„Am Campus“). Nutzungskonflikte mit den

Bewohnern des nahe liegenden Stadtteiles (St. Georgen), welche die Sackgasse als

Verbindung zu einem anschließenden Radweg nutzen, bleiben deshalb auch hier nicht aus.

Die Stadt Freiburg schlägt daraufhin eine ungenutzte Baugrube in einem nahe gelegenen

Industriegebiet als möglichen Bleibeort vor (Schildackerweg). Die Zufahrt über eine

Kiesrampe stellt sich jedoch als zu steil heraus, als dass sie von Wagen befahren werden

könnte. Auch gehört die Liegenschaft dem in Freiburg ansässigen Rüstungsunternehmen Litef

und wird deshalb kategorisch abgelehnt. Festzuhalten bleibt, dass es hier zu einer räumlichen

Ausweisung kommen sollte, welche zuvor schon für ein halbes Jahrhundert den Verbleibeort

für Sinti-Familien darstellte.

Aufgrund der nicht erfolgten Einigung kommt es zur Räumung der

Wagenburgansammlung und zur Beschlagnahmung verschiedenster Wagenburgsplitter, die

46 Vier Kasernenblöcke derselben soliden Bauart dienen dem Studentenwerk Freiburg zur

Bereitstellung von 300 Studentenzimmern sowie dem SUSI-Projekt als kostengünstiger

Wohnraum für 260 Menschen.

35


Lebenswelt

sich dezentral im Stadtgebiet zu verteilen suchen. Bisher offene Räume werden parallel hierzu

durch bauliche Maßnahmen verschlossen (Brachflächen werden eingezäunt / der

Grünstreifen, der bisher in der Sackgasse als Standplatz diente, wird mit 70 Meter

Leitplanken versehen). Höhepunkt stellt die Einkesselung von 25 Wagen auf dem

Fahnenmastplatz des Vaubangeländes dar, welche im Anschluss für drei Monate

beschlagnahmt bleiben, 47 was die Betroffenen dazu zwingt, in bereitgestellte

Kellerräumlichkeiten des SUSI-Projektes zu ziehen. Nach einer Reihe von Demonstrationen,

Protestaktionen, 48 Straßentheater, Runde-Tisch Veranstaltungen, Informationsbroschüren

sowie Tag der offenen Wagentür, Einsprüchen vom Evangelischen Klerus,

Universitätsprofessoren und Gemeinderäten kann eine Herausgabe der Wagen gegen Zahlung

einer fünfstelligen Auslösesumme bewirkt werden.

Im Folgenden wird erstmalig eine städtische Fläche im Industriegebiet Nord zur

Selbstverwaltung auf 5 Jahre dem Schattenparker-Verein angeboten. Der Platz befindet sich

unweit des städtisch verwalteten

Wagenplatz Eselswinkel an der äußersten

Peripherie der Stadt und ist von der

LKW-Zufahrt eines Möbelzentrums

durchschnitten. Auf Grund anhaltender

Beschlagnahmungsandrohungen und

ausbleibender Raumalternativen wird der

Platz von knapp 40 Wagenbewohnern

Abb. 15: Wagenburgformation auf einer innerstädt-

ischer Brachfläche kurz vor der Beschlagnahmung

(Quelle: unbekannt)

im September 2006 bezogen (➣ 3.2.3

Schattenpark).

Darüber hinaus gibt es noch

kleinere Wagenburgen auf der Gemarkungsfläche und im Stadtgebiet Freiburg, die sich auf

rechtlich unsicherem Raum durch Besetzung (➣ 3.2.5 Punkburg) oder mündliche Duldung

(➣ 3.2.4 Waldmenschen und 3.2.6 Urstrom) befinden.

Die einzelnen acht Wagenburgen werden im Folgenden im Mittelpunkt der geographischen

Betrachtung stehen.

47 Längste Beschlagnahmung in der Geschichte der innerdeutschen Wagenburgkultur.

48 Im innerdeutschen Kontext nimmt Freiburg eine Sonderstellung ein, was das

Protestpotential anbelangt. (Anti-Faschismus Proteste der 1950er, Studentenbewegungen der

1960er, oder auch die Ökologie-/Anti-Atombewegung Wyhl in den 1970/80er) „Für die

1980er und frühen 1990er Jahre konnte in Freiburg ein anhaltend homogener und integrierter

links-libertärer Bewegungssektor festgestellt werden. (...) Polizeistatistiken belegen, dass die

Häufigkeit von Protest in Freiburg mit Protestmetropolen wie Berlin vergleichbar ist. Dies gilt

insbesondere dann, wenn nicht nur die absolute Prostesthäufigkeit, sondern auch die

Einwohnerzahl berücksichtigt wird.“ (HOCKE 2001: 212-213)

36


3.2.1 Biohum: geleitet

Lebenswelt

Der heutige Wagenburgplatz Biohum ist das Resultat einer mehrjährigen Suche einer

Vielzahl städtischer Ämter nach einer Ausweichfläche, um die Raumanforderungen eines neu

entstehenden Stadtteiles nicht zu tangieren, und es ist gleichzeitig der Versuch, eine frei

gewachsene Lebenswelt innerhalb administrativer Regelungsmechanismen aufzufangen, zu

kanalisieren und zu beenden.

Seit Anfang 1989 haben sich in der Nähe funktionsloser Nachklärbecken des

ehemaligen städtischen Verrieselungsfeldes 51 vermehrt Bau- und Wohnwagen angesammelt.

Die Fläche befindet sich circa 300 m von einem nahe gelegenen Gewerbegebiet und über 1

km von Wohnvierteln der Stadt entfernt. Wallartige Aufschüttungen bieten Sichtschutz und

zusammen mit einem kaum genutzten Wegenetz des seit 1986 stillgelegten Biohum-Meyer

Betriebs (Klärschlammverarbeitung zu Düngerprodukten) eine Lebensraumalternative für

viele in der Stadt obdachlos gewordene Menschen, die sich hier mit geringem finanziellem

Aufwand ein eigenes Heim in Form eines Wagens aufstellen. Darüber hinaus bietet das

weitläufige Areal auch Platz für Wagenburggruppierungen anderer Prägeart - wenngleich in

geringerer Umfang. (Lageskizze siehe Anhang ➣ 6.1.6)

Die Raumnutzungsvorstellungen eines der größten baden-württembergischen

Stadterweiterungsprojekte des ausgehenden 21sten Jahrhunderts kollidieren jedoch mit den

Interessen der knapp 50 Menschen, die hier bereits leben. Bis Ende 2007 beabsichtigt man, in

sukzessiver Abfolge von vier großen Bauabschnitten, eine 80 ha große Fläche infrastrukturell

zu erschließen und zur Wohnraumbebauung frei zu geben. Das ansonsten agrarisch genutzte

Gebiet wurde hierbei zu einem Viertel in Bauland umgewandelt. Ingesamt werden in diesem

stark verdichteten neuen Stadtteil knapp 12.000 Bewohner untergebracht werden. Koordiniert

und geleitet wird dieses Großvorhaben von einer dezernat- und ämterübergreifenden

Projektgruppe, die mit Hilfe einer Treuhandfinanzierung außerhalb des regulären städtischen

Haushaltes für die Vermarktung des Bodens und die Koordination der einzelnen Stellen

verantwortlich ist. 52 Was in den 1960er Jahren der Sinti-Wagenplatz für die courbousiersche

Stadterweiterung Weingarten darstellte, ist nun eine Wagenburgansammlung für das im

cerdaschen Stil gehaltene Rieselfeld.

Im Zuge dieser Stadterweiterung rückt die administrativ festgelegte Siedlungsgrenze

durch fortschreitende infrastrukturelle Erschließungen näher an die Wagenburgen heran. Zu

einer tatsächlichen Überschneidung beider Flächennutzungsansprüche kommt es nicht, die

Wohnumfeldfunktion der entstehenden Familienhausbebauung schien jedoch durch das

Verbleiben der Wagenburgen am äußersten südwestlichen Abschnitt des neuen Stadtteiles

51 Betriebszeit : 1891 bis 1986 (HUMBERT 1997: 48 f.)

52 Vgl.: ➣ 6.3.4 Interview mit Herr Klaus Siegel Leiter der Projektgruppe Rieselfeld /

HUMBERT 1997: 26 ff.

38


Lebenswelt

stark beeinträchtigt. 53 Streunende Hunde stellten hierbei, nach Angaben des Projektleiters

Siegel, die größte Gefahr für die neue Anwohnerschaft dar. Im speziellen sind hierbei Kinder

gefährdet, da im Gesamtkonzept der Stadterweiterung ein Spielplatz in diesem Randbereich

eingeplant wurde.

Darüber hinaus führen anhaltende Imageprobleme des gesamten neuen urbanen

Raumes zu einer forcierten Lösungssuche für die Wagenburgen. So sollten alle Wagen

entfernt sein, ehe es zu einer Bodenabtragung im vierten Bauabschnitt und einer Einebnung

verbleibender Reliefunebenheiten kommen kann, wodurch Einblick in die Wagenburgen von

weit außerhalb ermöglicht wäre. Gründe für das anfänglich schlechte Image des Stadtteils

lagen im hohen Anteil des Sozialwohnungsbaus, an der städtischen Randlage sowie am

räumlichen Zusammenhang mit einem benachbarten Stadtquartier aus den 70er Jahren

(Weingarten), welches die typischen Problemfelder einer courbousierschen Stadtarchitektur

hervorbrachte. All dies führt zu einer erschwerten Ausgangslage für das Gesamtprojekt und

bewirkt maßgeblich den aus- und abgrenzenden Umgang mit der Wagenburgthematik (vgl.:

Interview mit Herrn Siegel ➣ 6.3.4).

Zusätzlich muss in Betracht gezogen werden, dass vom Beginn der ersten

Planungsschritte an eine Wagenburg für die neue urbane Erschließung keine Komponente

darstellt. Kein integrativer Ansatz wird angedacht, um in einem neu entstehenden Stadtteil für

über 10.000 Menschen - mit 50% sozialem Wohnungsbauanteil - eine Gruppe von 50

Wagenbewohnern dauerhaft zu integrieren. In allen bauvorbereitenden Planungsschritten

werden lediglich die naturräumlichen Gegebenheiten des neu zu erschließenden Areals

erfasst. Die Wagenburgen als Raumkomponente wurden nachträglich von außen an das

Stadtplanungsprojekt herangetragen. 54 (vgl. HUMPERT 1997: 48 ff.)

Als ämterübergreifende Aufgabe wird das Phänomen erstmalig am 12.06.1997

thematisiert. In einem Beschlussantrag 55 des Sozialamtes unter dem Titel „Hilfe für

wohnungslose Menschen in Freiburg“ findet sich unter Ordnungspunkt 5: „Der Gemeinderat

beauftragt die Verwaltung für die Bewohner der Wagenburg Biohum ein Ersatzgelände

auszuweisen und die für die endgültige Beschlussfassung erforderlichen Planungsarbeiten

53 Schreiben des Bauordnungsamts Herr Vetter vom 18.01.00: „Eine Belassung am alten

Standort ist gleichbedeutend mit einer Stagnation der Entwicklung des neuen Stadtteiles. (...)

Es besteht also dringend Handlungsbedarf, da die Fläche direkt neben den vorgesehenen

Familienhausgrundstücken liegen. (...) Diese Zielgruppe setzt sich erfahrungsgemäß

besonders intensiv mit dem unmittelbaren Wohnumfeld auseinander, da es sich überwiegend

um Familien mit kleinen Kindern handelt.“

54 In den Jahren 1992 und 1996 gehen Räumungsaufforderungen vom Amt für Öffentliche

Ordnung bei den Wagenburgbewohnern ein. Und nur auf höchster administrativer Ebene,

unter Druck der Öffentlichkeit und durch Einwände des Sozial- und Jugendamtes kann

zweimal eine ersatzlose Räumung verhindert werden.

55 (Drucksache G 97 100)

39


Lebenswelt

durchzuführen“; woraufhin sich 16 städtische Ämter 56 auf die Suche nach einem Folgeplatz 57

außerhalb der regulären Wohnraumbebauung begeben.

5 Jahre später kam es dann zur offiziellen Übergabe eines städtisch geleiteten

Folgeplatzes 120 Meter westlich des ehemaligen Areals in einem regionalen Grünzug des

Landschaftsschutzgebiets Mooswald durch Bürgermeister Ulrich von Kirchbach (12.09.2002).

Eine zeitlich befristete Nutzung auf 10 Jahre ermöglicht hier die Befreiung von der

Landschaftsschutzverordnung 58 und das Erstellen eines Bebauungsplans in einem

geschlossenen Waldverband. Es müssen keine Ausgleichs- oder Ersatzflächen für das

Wegfallen einer 3000 qm großen Waldfläche veranschlagt werden, da versucht wird, den

naturräumlichen Charakter des Schutzgebietes so weit wie möglich zu erhalten.

Der Wagenplatz selbst wird nun als öffentliche Einrichtung in Form einer

unselbständigen Anstalt des öffentlichen Rechts betrieben. Es liegt ihm eine Satzung 59

zugrunde, welche für jede der zwanzig eingerichteten Parzellen (a 100 qm) auf dem

umzäunten Gelände einen Einzelnutzungsvertrag 60 vorsieht. Juristisch ausbuchstabiert steht

hier, dass „kein Rechtsanspruch auf Aufrechterhaltung der öffentlichen Einrichtung besteht“

61 ; dass „ein Beirat aus Vertretern der Platzbewohner/Innen, der Bürgergruppe und der Stadt“

zu bilden ist; das durch die Verletzung der festgelegten Pflichten das Nutzungsverhältnis

„jederzeit ohne Einhaltung einer Frist“ zu kündigen möglich ist. Zu diesen Pflichten gehören

unter anderen Bestimmungen wie die maximal 30 qm umfassende Belegung der einzelnen

Parzelle mit Bau- oder Wohnwagen; dass Hunde das Grundstück nicht unbeaufsichtigt

verlassen dürfen; maximal ein Hund pro Person; eine Besucherpauschale von 70 Cent ab dem

dritten Besuchstag; dass der Beirat über den Zuzug von neuen Personen entscheidet oder dass

Vertretern der Stadt jederzeit unangekündigt Zugang zu den Gemeinschaftsflächen zu

gewähren ist.

Der Platz selbst bietet den Bewohnern zwei Sanitärcontainer (Fem./Mask.) und

Stromanschluß. Eine monatliche Nutzungsgebühr von 50 Euro pro Person beinhaltet den

gemeinschaftlichen Strom, Frisch- und Abwasser, Müllabfuhr sowie die allgemeinen

Unterhaltskosten für den Platz. Der private Stromverbrauch wird über gesonderte Zähler

56 Involvierte Ämter: Amt für Liegenschaften und Wohnungswesen, Amt für öffentliche

Ordnung, Bauordnungsamt, Bauverwaltungsamt, Eigenbetrieb Stadtentwässerung, Forstamt,

Gartenbauamt, Umweltschutzamt, Projektgruppe Rieselfeld, Rechtsamt,

Regierungspräsidium, Sozial- und Jugendamt, Stadtbauamt, Tiefbauamt, sowie das

Umweltschutzamt (Drucksache SO 96003).

57 Von ursprünglich 128 erfassten und bewerteten Plätzen auf der gesamten Freiburger

Gemarkungsfläche bleiben nach näherer Betrachtung zunächst 8, 5, später 2 und schließlich

der heutige, als für die Stadt akzeptable Lösung übrig. (Drucksache G 00191)

58 Befreiung nach Paragraph 62 NatSchG Abs.1.1

59 (Drucksache G 02073)

60 (Drucksache G 02073)

61 Vorläufiges Vertragsende: April 2012.

40


Lebenswelt

erfasst. Die für die Errichtung des Platzes entstandenen Kosten 62 von 272 000 Euro wurden

über das Treuhandkonto der Projektgruppe Rieselfeld abgewickelt und unter

„Wohnumfeldverbesserung“ verbucht 63 . Folgekosten werden aus dem regulären Freiburger

Jahreshaushalt beglichen. Die Errichtung erfolgte in städtischer Eigenregie, ohne die

Einbindung der Bewohner und ohne eine planungstechnische Koordination mit diesen.

Anzumerken bleibt hierbei, dass Erschließung und Ausstattung so gewählt wurden,

dass sie dem Leitgedanken der politischen Planungsvorgaben entsprachen. „Die Infrastruktur

des Platzes sollte einen bestimmten Mindeststandard nicht überschreiten, da der Wechsel in

eine ‘normale Unterkunft’ auch für diese Zielgruppe erstrebenswert bleibt.“ 64 Jahrelange

Diskussionen waren von Nöten, um die Errichtung eines gespendeten Blockhauses als

Gemeinschaftsräumlichkeit in der Mitte des Platzes zu realisieren.

Abb.17: Wagenburg mit parzellierter Struktur

62 Keine städtischen Kosten- und Leistungsrechungen erfassen den projektbezogenen

Arbeitsaufwand der involvierten Ämter. Ein Planungsverfahren über fünf Jahre hinweg, bei

welchem zeitweise bis zu 16 Ämter miteinander kooperieren.

63 (Drucksache G 97 100) Kostenintensiv war hierbei eine Druckentwässerung, welche die

Abwässer gegen das eigentliche Gefälle des Geländes ins Abwassernetz des neuen Stadtteiles

Rieselfeld pumpt. Weitere Kostenpunkte waren: Wasser und Stromanschluss, Freimachung

des Geländes, Herstellung eines Zuwegs, Sanitärcontainer, Rekultivierung des verlassenen

Areals sowie Erschließungsbeiträge. (Für eine genauere Aufschlüsselung siehe Drucksache

BA 01011)

64 Anfänglich war das Erstellen „einfacher Einzelunterkünfte (z.B. feste Gartenlauben) unter

Beteiligung der Betroffenen“ noch vorgesehen, was jedoch im weiteren Realisationsverlauf

verworfen wurde.

41


Lebenswelt

Zusammenfassend bleibt zu diesem Wagenplatz festzustellen, dass mit Hilfe

erheblicher finanzieller Mittel 65 die ausgrenzende periphere Lage unter administrativem

Regelwerk wiederhergestellt werden konnte. Ein Platz, der selbst im Herbst bei entlaubtem

Mischwald von keinem der angrenzenden Waldwege oder gar vom neu entstandenen Stadtteil

einsehbar ist, stellte nichtsdestotrotz für die hier lebenden Menschen eine

Lebensraumalternative dar, zu welcher oftmals nur die Straße oder städtische Notunterkünfte

als Gegenhorizont gesehen werden. Wohnraum im konventionellen Stil wird von allen

inzwischen etwas in die Jahre gekommenen 17 verbliebenen Bewohnern einhellig abgelehnt.

Durch das lange Zusammenleben hat sich ein starker Zusammenhalt in der Gruppe

herausgebildet. Die Wirkungsmechanismen der Postmoderne, wie eingangs beschrieben,

zeigen sich nur bedingt und in eingeschränktem Maße. Das nachfolgende Interview wird

jedoch die aufgebrochene traditionelle Familienstruktur, die neue stützende Gemeinschaft des

Zusammenlebens und Partizipation innerhalb eines umzäunten Wohnbereichs aufzeigen

können – wenngleich sich der Exklusivitätsanspruch einer Gated-Community hier unter

umgekehrtem monetären Vorzeichen zeigt. Gleichwohl, wie alle weiteren Wagenburgen trägt

auch diese zu einer Pluralisierung der postmodernen Stadtlandschaft bei, wenngleich sich

Heterogenität hier verstärkt in Form von Segregation und dezentralisierter

Überwachungseinheit am äußersten Rande der Suburbanität widerspiegelt. 66

Die folgenden qualitativen Interviewbeiträge sollen auch den quasi-objektivistischen

Anfangssequenzen nicht nur als Gegengewicht dienen, sondern auch als ein Beitrag gegen die

Versachlichung der menschlichen Identität verstanden werden - als eine narrativexistenzialistische

Darstellung des Kulturträgers Mensch in seinem Raum. Im Anhang

befinden sich eine Legende zur Transkriptionsmethodik (➣ 6.1.7), sowie die kompletten

Abschriften der qualitativen Interviews (➣ 6.2), welche hier nur in stark gekürzter Fassung

eingearbeitet wurden.

Abb .18-20: Wagen innerhalb eines dichten Waldverbandes. (Quelle: eigen Jan/2007)

65 Als Folge eines nicht integrativen Ansatzes entstehen Kosten insbesondere durch eine

nachträglich einzurichtende Druckentwässerung, welche die Abwässer entgegen des

regulären Geländegefälles zurück ins erhöht liegende Wohngebiet Rieselfeld pumpen muss.

66 Vgl.: Klagge 1998: 139 ff.

42


Lebenswelt

Wilhelm (Mitte 40 - 1 Euro Schreinereiarbeiter, gelernter KFZ Mechaniker) Sonntag, 21. Januar

2007, 12:30 Uhr

F: Wieso entstanden auf dem ehemaligen Biohumgelände die Wagenburgen? Wieso gerade

an dieser Stelle?

W: Wieso gerade da? An dieser Stelle, da sind die Leute eben von der Haid hinten geräumt

worden, also die mussten da weg. Und die haben sich das dann da ausgesucht, und mit

Genehmigung, also, mit unter der Hand von den Bullen durften die dann dort sein. Und ich

bin hier her gekommen. Sagen wir mal so aus der Not ne Tugend gemacht, ich war ja dann

obdachlos. Ein Kollege hat mich eingeladen eine Zeitlang auf seinen Wagen aufzupassen und

dann habe ich nach und nach ein paar Leute mitgebracht. Wir waren zuvor ja in Zelten. Mein

erster Wagen war ein R4, das weiß ich noch, ein rosaroter R4, (lachen), umgebauter. Ja. Das

war ein geiler Wagen. Ja, und dann nach und nach sind die Leute dann halt auch gekommen.

Da haben sich die Obdachlosen dann halt gesagt, wenn ich die Möglichkeit hab in nem

Wagen zu wohnen, es werden ja manchmal auch Wohnwägen und so verschenkt. Und so ist

das hier auf dem Platz auf jeden Fall entstanden. Würde ich sagen. Dass viele Obdachlose

gesagt haben, ne, gehen wir in Wagen. Besser.

F: Was ist mit den Alternativen, die städtischen Wohneinrichtungen die es gibt oder gab?

W: Da gabs damals, wir hatten es vorhin schon gehabt, da gabs gar nichts. Wo sie uns dann

zweiundneunzig räumen wollten, da han wir. Keiner wo hier gewohnt hat, ein Ersatzangebot

gekriegt. Weder ne Wohnung oder sonst was. Da hieß es, ihr könnt ja, dann ins

Obdachlosenheim gehen. (...) Das war die Alternative. Und da haben wir dann halt gesagt, ne

Quatsch, wir haben ja unsere Häuser, wir haben ja unser Dach. Praktisch unsere Wohnungen.

(2) Da baust du dir was auf, so ein Wohnwagen so einen alten, so einen ausramponierten, den

musst du dann halt auch ausbauen, und ne Ofen rein und trallala. Nö. (2) Und dann haben wir

uns halt gewehrt dagegen, dass sie uns das bisschen was wir jetzt haben auch noch

wegnehmen wollen. Sprich, die Freiheit auch die du dann hast. Als Wagenburgbewohner hat

man schon viele Freiheiten. (2) Du machst die Tür auf und du bist draußen.

F: Warum sind diese städtischen Wohnheime keine Alternative? Worin unterscheidet sich

das?

W: Erstens, also ich kann jetzt nur von mir reden, aber wahrscheins von vielen anderen auch,

die wo Hunde haben, Hundebesitzer. Ein Hund ist nun mal der beste Kumpel wenn man auf

der Straße ist oder auch so; und den darfst du da erstmal nicht mitnehmen. Das ist ein Grund.

Zweitens bis du da eingepfechert in Budenen mit zehn zwanzig Leuten zusammen, das geht

nicht. Es ist nicht sauber. Es ist Gejammer. Der eine furzt, der andere scheißt sich ein, der

nächste pisst sich ein, der andere kotzt sich ein. Es ist so. Es sind ein Haufen Alkoholiker

darunter. Und dann wirst du konfrontiert jeden Tag mit Leuten und du sackst im Endeffekt

jeden Tag immer weiter ab, weil du es ganz anders einfach nicht ertragen kannst, du musst

43


Lebenswelt

saufen um das ganze Gedönse zu ertragen. Und die Freiheit hast du halt hier (2) du kannst

trinken wenn du Lust hast, und hast du keine Lust dann gehst du in deinen Wagen oder gehst

auch raus und trinkst nichts.

F: Was bekommt man vom Wohngebiet Rieselfeld so mit?

W: Eigentlich gar nichts.

F: Was nehmt ihr von der Infrastruktur in Anspruch?

W: Den Lidl, die Straßenbahn, man ist jetzt näher an der Stadt. Die Post, durch Scheck

einlösen, Apotheke, Ärzte sind hier unten.

F: Hat sich da was verbessert?

W: Ja, in dem Sinn schon. Man muss nicht immer ne halbe Stunde bis in die Stadt. Hat sich

schon verbessert. Ich mein auch hier jetzt mit den [Sanitär-] Containern, Waschmaschine,

früher musste man immer in die Wartburg [ehemaliges Obdachlosenheim] gehen zum

Waschen oder Duschen. Das war schon immer ne Mords-Tour.

F: Geht man jetzt weniger in die Innenstadt?

W: Ja, ja viel weniger. Ich gehe jetzt vielleicht einmal im Monat. Mit dem Trekker fahren wir

zum Einkaufen in den Real. Ist immer lustig, da sind wir dann fünf sechs Leut und wir

kommen dann mit unseren Einkaufswägen. Die Verkäufer im Real die kennen uns alle schon,

die grüßen dann. Das sind auch nette Leut. Da holt man dann des Nötigste.

F: Wenn man ne Wagenburg einrichtet besteht dann nicht die Gefahr, dass – du hattest selber

eben gemeint, dass wenn man einmal im Wagen gelebt hat, dass es dann schwer ist wieder wo

anders zu wohnen, also dass die Leute dann im Wagen bleiben?

W: Ja, das ist meine Meinung dazu. Das ist ja auch kein schlechtes Ding. Ich war damals ja,

vor zich Jahren. Ich hab selber gejunked. Ich war selber einmal ein Junkie. Und eben durch

diese Wagenburg hier bin ich von dem Junk weggekommen, durch den Zusammenhalt von

den Leut, die stützen sich, die helfen sich untereinander. Und das ist das was ein Obdachloser

auf der Straße nicht hat. Da ist das nicht. Da ist jeder für sich. Da ist jeden Tag Kampf ums

Überleben, sage ich jetzt mal so. Du musst da nur an dich denken und Egoist sein. Absoluter

Egoist sein. Und dir jeden Tag bewusst sein musst, dass du dich deiner Haut wehren musst.

Das muss man in so nem Bauwagen net; du findest Selbstbewusstsein, du kannst dich wieder

aufbauen, du kannst dich wieder aufpeppeln. Du kannst hingehen und sagen, so jetzt bin ich

wieder soweit. Jetzt kann ich mich um ne Job kümmern. Das ist alles drin in so ner

Wagenburg. Ein Obdachloser hat keine Perspektive und in ner Wagenburg hast du sie. Schon

allein durch das, das du nicht alleine bist. Du hast die Sicherheit. Du hast den warmen Wagen.

44


Lebenswelt

Du hast was zu Essen zu Hause. Die Sicherheiten die hat man nur in nem Wagen. Und wenn

man das mal hat, dann will man es nicht mehr missen. Es gibt gewiss die einen oder anderen

die das als Brücke nehmen und sagen, gut jetzt bin ich wieder soweit, jetzt kann ich wieder in

ne Wohnung, wenn sie es kurzfristig machen. Für ein oder zwei Jahre. (2) Aber irgendwann,

wenn sie dann mal 5 Jahre in der Wohnung gewesen sind. Dann, Mensch. Jetzt wieder in nen

Wagen, das wärs.

F: Wie kamst du zum Wagenleben?

W: (3) Ich bin auf den Platz gekommen da war ich achtzehn, neunzehn. Stress zuhause

gehabt; Dann bin ich halt weg; Straße, Platte, besetzte Häuser. Ich war ja zuerst in

Regensburg. Ich komm ja aus Bayern. Und dann in Regensburg habe ich ein paar Leute

getroffen, du wir fahren nach Freiburg, mir brauchen noch ein zwei Leute die mitfahren um

Spritgeld zu sparen. Und ich sagte, ach hoch ach du, warum denn nicht, ein Wochenende nach

Freiburg. Jo, andere Stadt andere Leute, ja; (2) (lachen). Das wars. Zwischendurch war ich

noch mal eineinhalb Jahr lang unterwegs mit meinem Hund. Frankreich und Spanien. Zu Fuß.

Geloffe. War schön. Und dann bin ich wieder hier her. Hab gesagt, so jetzt fass ich Fuß.

Dann kam ich wieder auf den blöden Junk. War ja schon mal drauf. Dann war ich wieder

drauf. Dann war ich so ein halbes Jahr lang weg vom Platz. Nur in der Stadt. Und dann habe

ich gesagt; jetzt. Hab Leute gefragt wie siehts aus, kann ich kommen zum entziehen und zum

fit werden. Klar, logisch, komm, wir helfen dir. Haben sie gemacht. Und jetzt bin ich seit

einigen Jahren wieder richtig selbständig auf den Beinen und das habe ich einigen Leuten hier

zu verdanken. Unter anderem der Wagenburg. Wenn es die nicht gegeben hätte, wäre ich jetzt

schon tot. Ja, Junk ist ein Teufelszeug.

45


3.2.2 Eselswinkel: geleitet 67

Lebenswelt

Der zweite städtisch geleitete Wagenplatz Eselswinkel ist dasselbe, nur nicht (mehr)

im Grünen. Auch er ist die Folge eines neu entstehenden Stadtteils. War Biohum in seiner

heutigen Form das Resultat der Rieselfeldbebauung, so ist der Eselswinkel das Resultat der

Wohnraumbebauung im Quartier Vauban. In beiden Stadterweiterungsprojekten gab es keine

Integrationsansätze 68 , sondern es zeigte sich zweimal die äußerste Stadtperipherie als neu

auszuweisender Lebensraum für die Bewohner von Wagen.

Wagenplatz Eselswinkel, wie er seit 1998 besteht, wird ebenfalls betrieben als

öffentliche Einrichtung in der Form einer unselbständigen Anstalt des öffentlichen Rechts.

Primärer Zweck ist - laut Satzung - die Unterbringung von Bau- und Wohnwagenbewohnern

des Interimsstandortes und gegebenenfalls auch von weiteren Personen, die auf der

Gemarkung der Stadt Freiburg „keine Wohnung oder Unterkunft“ haben.

War der Platz zunächst fast komplett eingeschlossen von einem dichten grünen

Waldgürtel, so zeigten sich bereits nach wenigen Jahren seines Bestehens starke

transformatorische Kräfte, die das Wohnumfeld veränderten. Rodungen gaben die Sicht frei

auf eine 300 Meter entfernte Stadtumgehungsstraße, kurz darauf entstand ein Möbelzentrum

(2000) in unmittelbarer westlicher Nachbarschaft mit einer fast 8 Meter hohen

Wellblechfassade. Ein dazugehöriger Autoparkplatz schließt sich direkt gen Norden an, eine

Zufahrtsstraße zu LKW-Rampen des Möbelzentrums 69 begrenzt die südliche Seite. Eine

bereits bestehende zweispurige Straße im Osten, neben Gerätelagern des Technischen

Hilfswerks, wird auf vier Spuren erweitert (Hermann-Mitsch Straße). 70 Auf der

gegenüberliegenden Straßenseite ist auf einer Fläche von der Größe der Freiburger Altstadt

das französische Spezialchemieunternehmen Rhodia angesiedelt. Start- und Landebahn des

Flughafens liegen 250 Meter entfernt. Die einst fast ganz in einen dichten Waldverband

eingebettete Wagenburg steht nun inmitten einer autogerechten Gewerbefläche für

Großmärkte und mit einem Chemieindustrieriesen in der Nachbarschaft. Über die Zeit

geblieben ist nur die periphere Lage im Gesamtkontext Stadt.

67 Hierbei wurde keine freie Einsicht in die Unterlagen der Stadt Freiburg ermöglicht.

In der Flurnamenerläuterung „ehemaliger Weideplatz“ (WIRTH 1932: 140)

68 Gespräch mit Herrn Feith, dem Leiter der Projektgruppe Vauban (16.11.2006)

69 10-30 LKW, Anlieferung und Ausfuhren von 8:30 Uhr bis 20:30 Uhr, wobei viele LKW

auch schon zwischen 7 und 8 Uhr das Gelände anfahren. (Quelle: Verwaltung Möbel-Braun)

70 Die Hermann Mitsch-Strasse dient als direkte Verbindung zwischen der Be- und

Endladestation für das Lkw-Cargo-Center der Deutschen Bahn und der Autobahn 5

Karlsruhe-Basel. Schwerlastverkehr, Möbelzentrumkunden und ein Teil der 1200 Menschen

zählenden Belegschaft von Rhodia nutzen, neben weiteren Verkehrsteilnehmern, von Montag

bis Samstag die Verkehrsachse.

46


Abb. 21: Parzellierte städtische Wagenburg im Gewerbegebiet

Lebenswelt

Das 4200 qm Areal selbst ist in 31 meist rechteckige Parzellen zu je 80 - 100 qm

unterteilt und von einer 2,20 Meter hohen geschlossenen Bretterwand umgeben. 5% des

ehemaligen kanadischen Rot-Eichenbestandes wurden belassen. Der Platz verfügt über einen

gemeinschaftlichen Wasser- und Abwasseranschluss, sowie über zwei, nach Geschlechtern

getrennte Sanitärcontainer. Genau wie auf dem Biohum-Platz muss eine monatliche

Grundpauschale von 50 Euro für Allgemeinkosten und Unterhalt entrichtet werden.

Individualstrom wird über gesonderte Zähler abgerechnet, ebenso das Benutzen von Trockner

47


Lebenswelt

und Waschmaschine. Manche Wagen sind neben Telefon auch an ein platzinternes Netzwerk

angeschlossen.

Auch hier regeln Einzelnutzungsverträge die städtischen Rahmenbedingungen, unter

welchen die Bewohner die Parzellen beziehen dürfen. Beschränkung der Hundezahl,

Besucherentgelt ab dem dritten Tag, ein Beirat 71 oder ein fünfstündiger monatlicher

Arbeitseinsatz sind Beispiele, die als administrative Regelungsmechanismen extern festgelegt

wurden. Die Stadtverwaltung behält sich auch hier in der Satzung vor: „Ein Rechtsanspruch

auf Aufrechterhaltung der öffentlichen Einrichtung besteht nicht. Die Stadt kann die

Einrichtung insbesondere schließen, (...) wenn das Gelände für andere Zwecke benötigt wird.“

Gegenwärtig leben 18 Männer und 4 Frauen auf dem Platz, wobei die deutliche

Mehrheit weit über vierzig ist. Der älteste Wagenbewohner Freiburgs lebt mit über 65 Jahren

auch auf diesem Gelände. Insgesamt weist dieser Platz eine geringe, jedoch kontinuierliche

Zu- und Abzugsfrequenz auf. Die Weitervermittlung in eine norm-ale Wohnunterkunft

erfolgte bisher fast gar nicht. Ausnahmen stellen hierbei Frauen dar, die schwanger sind und

die zwangsweise oder auch auf Wunsch in eine Wohnung weitervermittelt werden. Kinder

sind auf dem Platz nicht erlaubt. Insgesamt zeigt sich das Wagenburggefüge eher heterogen,

wobei die Bandbreite von politisch Engagierten aus der ehemaligen Hausbesetzerszene über

Mitglieder einer Punkbewegung, ehemalige Obdachlose, bis hin zu Bewohnern in

dauercampingähnlichen Schrebergartenparzellen reicht. Die Mehrzahl der hier Lebenden

gehört jedoch noch verschiedensten Wagenburggruppierungen des Vauban-Areal an, welche

damals bereit waren, sich durch Unterlassen weiterer rechtlicher Schritte gegen die Stadt

einen zugesicherten Platz auf dem Interimsplatz und folglich am Eselswinkel zu sichern.

Sämtliche postmodernen Wirkungsmechanismen der vorherigen Wagenburg Biohum

zeigen sich auch hier. Neben dem Gated-Community Charakter - Partizipation, Pluralisierung

des Stadtbildes, Segregation und dezentrale Überwachung - weist die dortige

Lebensgemeinschaft in ihrer Binnenstrukturierung weitere Heterogenität auf. Als

Gegenhorizont der hier lebenden Personen werden weniger Notunterkünfte und

Obdachlosigkeit gesehen, als vielmehr ein isoliertes Wohnen in Courbousierschen

Hochhäusern.

71 Dieser Beirat setzt sich aus städtischen Verwaltungsbeamten, Bürgern, sowie Vertretern des

Platzes zusammen. Seine Zuständigkeit ist in einer gesonderten Geschäftsordnung geregelt.

Herr Wagner, der Polizeichef a.D. Freiburg (ehemaliger Einsatzleiter gegen die

Hausbesetzerszene) ist ebenfalls Mitglied des Beirates.

48


Lebenswelt

LeeRobert Zimmermann, (Anfang 60 – arbeitlos, gelernter Lithograph). Sonntag, 7. Januar 2007,

14:00 Uhr

F: Wie oft ist es dir bewusst, dass du in keinem Haus wohnst?

R: Ich könnte da gar nicht mehr wohnen. Ich war zehn Jahre lang mit einer Frau zusammen.

Und ich war oft bei ihr. Eine wunderschöne Wohnung. Drei Zimmer, wunderbar. Aber nach

ein paar Tagen habe ich Platzangst gekriegt und musste gehen (lachen). Und sie hatte immer

gesagt, mmh schön dass du da bist. Aber ich musste erst mal zur Balkontür und raus. So stand

ich erst mal draußen.

F: Ändert sich das Raumgefühl, wenn man längere Zeit im Wagen lebt?

R: Ja, ganz sicher. Wenn ich da rein geh [zeigt auf seinen Wagen], dann bin ich total

geborgen, ja, aber ich kann halt aufmachen und ich hab grenzenlose Freiheit. Ich kann raus

gehen. Es umgibt mich nichts Verschlossenes. Das stört mich auch immer.

F: Wie empfindest du den umgebenden Raum?

R: (4) Wie empfinde ich den Platz hier? Sehr angenehm. Ich bin nicht immer erfreut was

intern läuft, im Endeffekt sind es aber eben drei vier Leute, die den Laden hier schmeißen.

Verwaltung und den ganzen Krempel und sich vor allem auch politisch drum kümmern. In

ner Nacht und Nebelaktion könnte man manche hier in ein Heim stecken, denen würde das

gar nicht auffallen, vor lauter Alkohol. Das ist halt auch ein Problem. Aber das Problem gibt

es übrigens überall. Und ich hab das in Hochhäusern noch viel schlimmer entdeckt, wenn ich

an Weingarten denk, wo Menschen zum Teil leben, die kaum Perspektive haben, die Null

Perspektive haben. Also hier kannst du immer zum Nachbar gehen. Hier kannst du was

gestalten. Es ist eine Gemeinschaft. Es ist eine Gemeinschaft hier.

F: Was macht das Wagenleben aus?

R: Wir wollen mobil sein, wir wollen draußen leben, wir wollen nicht in Wohnungen leben.

Wir wollen nicht in irgendwelchen betonierten Häusern leben. Isoliert. (3) Weil das ist

isoliert, du kannst ja ne wunderschöne Wohnung kriegen, ohne weiteres, aber dann lebst du

da in dieser Wohnung und nebendran lebt auch jemand und da auch jemand und du hast mit

denen nichts zu tun. Das ist von keinem hier ne Zielsetzung. Okay, ein schönes großes Haus

ist ne Möglichkeit, nur Häuser gibt’s nicht mehr. Und die die es gab, die haben wir besetzt,

und uns manchmal auch rausprügeln lassen. Was auch interessant war (lachen).

F: Wie hat sich das Umfeld des Platzes verändert seit es ihn gibt?

49


Lebenswelt

R: Sehr, sehr viel Veränderung. Als wir hier her kamen gabs nur Wald hier, rundum, die

Herman-Mitsch Strasse war schmal, da sind keine LKWs durchgedonnert. Da gabs keinen

IKEA, da gabs kein Möbelbraun, da war hier alles Wald.

F: Kann es ein Problem sein, bei einem Arbeitgeber, wenn man die Wagenburg als Adresse

angibt?

R: Ja, schon. Es kann schon sein. Zum Beispiel bei der [XXX], da hat ihr Chef, der

Lehrmeister schon mal schräg gekuckt. Er wusste halt auch nicht Bescheid. Inzwischen hat er

eine andere Meinung, inzwischen ist er begeistert, weil er sieht, sie ist nun bald fertig mit der

Lehre und hat das gut gemacht.

F: Gibt es viele Beispiele, wo es zu Problemen mit Arbeitgebern kam?

R: Eigentlich nicht. Aber verstehst du, man muss auch nicht her gehen und Wagenburg

angeben. Verstehst du. Ich hab ja auch eine ganz seriöse Adresse, die überall eingetragen ist.

F: Wie empfindest du die Berichterstattung in den Medien?

A: Puuh, die Badische Zeitung gibt sich zwar Mühe, aber manchmal auch ein wenig daneben.

Aber ich denke doch, dass sich einige hier, Mühe geben. Gott sei Dank.

F: Würdest du das Leben im Wagen weiterempfehlen?

R: Ich würde sagen, es soll jeder leben wie er will. Ansonsten kann ich jedem empfehlen

einmal so zu leben. (3) Es werden wahrscheins auch immer mehr, zwangsweise, so leben

müssen, wenn Ressourcen so knapp werden, Wohnungen, die so genannte Kluft, wenn

Wohnungen so teuer werden, dass man sie nicht mehr bezahlen kann. Ich habe Leute kennen

gelernt, Ingenieure, Ärzte, die auf einmal dastanden, was mach ich denn jetzt, Frau ist weg,

sie blieb da, solange alles gut lief, er verliert die Arbeit, sitzt zu Hause und ist fertig. Und die

Frau guckt sich um, wie kann ich es mir wieder besser gehen lassen. Es ist brutal. (3) Dann

kann das hier schon mal die einzige Chance sein, Gemeinschaft. Weil irgendwo möchte doch

jeder in ner Großfamilie leben, das ist schon die Urform, die gibt es nicht mehr. Wenn, dann

leben wir sie irgendwo, oder wieder.

Abb. 22 - 24: Außenansicht, sowie Privatsphäre, Arbeitsplatz und Ofen im Innern des Wagens (Quelle: eigen

Jan./Apr./2007)

50


3.2.3 Schattenpark: geteilt

Lebenswelt

Die größte selbstverwaltete Wagenburggruppierung Freiburgs liegt in fast

unmittelbarer Nachbarschaft zum städtisch geleiteten Platz Eselswinkel. Flughafen, Hermann

Mitsch Straße, Rhodia- Chemieindustrie und Gerätelager des Technischen Hilfswerks, stellen

auch hier, neben einer Halle der Freiburger Straßenbahngesellschaft, die angrenzenden

Raumnutzungen dar.

Die segregierende Lage des Platzes artikuliert sich nicht nur in der Ausweisung in ein

wohnfunktionsloses Areal, sondern auch in den Entfernungen zu Versorgungseinrichtungen

des täglichen Lebens. So befindet sich der nächste Supermarkt 0,5 km entfernt, die nächste

Grundschule 2,5 km, der nächste Bankautomat 1 km, die nächste Kirche 2,4 km, die nächste

Post 2,8 km, der nächste Kinderspielplatz 2 km, die Innenstadt und die Universität 3,5 km

(alle Angaben bemessen nach Luftlinie) – bei einer gleichzeitigen mangelhaften Anbindung

an das öffentliche Personennahverkehrsnetz. 72

Die Gruppe selbst setzt sich zusammen aus Mitgliedern der verschiedensten früheren

Wagenburgen Freiburgs, die stets einen städtisch geleiteten Platz mit administrativem

Regelwerk ablehnten und sich stattdessen weiterhin für einen autonomen Wagenplatz

einsetzten. So erfolgte im Jahr 1999 die Gründung eines eingetragenen Vereins (Die

Schattenparker e.V.), mit dessen Hilfe die Gruppe in den folgenden Jahren versuchte, von

Privatpersonen einen Platz zu kaufen oder zu pachten. Eine Initiative, welche jedoch stets an

Einwänden von Seiten der Stadtverwaltung scheiterte.

Durch die nicht erfolgte Genehmigung zur Niederlassung auf städtischem oder

privatem Gelände kam es immer wieder zu Protesten und Aktionen, wodurch die Gruppe auf

ihre Situation aufmerksam machen wollte. So wurde vom Glockenturm des Freiburger

Münsters ein 15 Meter langes Gesuch-Plakat entrollt, welches auf die Raumnot aufmerksam

machen sollte. Es wurden in Zeitungen Anzeigen geschaltet, auf unkommerziellen

Radiosendern das Anliegen vorgetragen, Demonstrationen organisiert, Straßentheater initiiert,

Besuche beim Bürgermeister zu Hause und während der Sprechzeiten im Rathaus

vorgenommen, Kontakte mit Stadträten hergestellt, rechtliche Klagen eingereicht,

Unterschriftenlisten erstellt, ein Tag der offenen Wagentür gestaltet, Gespräche am Runden

Tisch vorbereitet.

Darüber hinaus steht im Hintergrund der Gruppe ein sehr heterogener

Fürsprecherkreis, welcher unterstützend wirkt. Er setzt sich aus Stadträten, Klerikern,

Universitätsprofessoren, Unternehmern und studentischen Gruppierungen zusammen. Eine

bundesweite Vernetzung der einzelnen autonom agierenden Wagenplätze unter

Selbstverwaltung stellt ebenfalls eine Basis dar, welche durch Solidaritätsbekundungen und

72 Linie 22: Mo. bis Fr. 7:48 - 17:40 und Linie 11: Mo. bis Sa. 6:25 - 20:22. (Stand: Feb.

2007) Beide Linien sind abgestimmt auf die Öffnungszeiten der angrenzenden Großmärkte.

51


Abb. 25: Geteilte Wagenburg im Gewerbegebiet

Lebenswelt

52


Lebenswelt

Teilnahme bei Demonstrationen stützend wirkt. Finanzielle Mittel eines gemeinsamen

Wagenburgkontos können in Anspruch genommen werden, welches sich aus vielen

selbstverwalteten Plätzen in ganz Deutschland speist.

Ein Blick auf die Binnenstruktur der Gruppe zeigt, dass sich die Bewegungsmomente

der einzelnen unterschiedlichen Freiburger Wagenburgen eingeschrieben haben und sich

hierdurch eine äußerst heterogene Zusammensetzung ergeben hat. Der Altersdurchschnitt

liegt bei circa 25 Jahren. Neben Studenten befinden sich hier ehemalige Obdachlose,

Krankenschwestern, Arbeitslose, Kindergärtner, Schüler, Selbständige, Azubis, Frührentner

und mehrere Kinder. Kleinfamilien und Alleinerziehende sind gleichermaßen vertreten.

Single stellen die größte Subgruppierung dar.

Im Vergleich zu allen anderen Freiburger Wagenburgen ist der Anteil an umgebauten

LKW und Bussen hier am höchsten. Diese sind von den Besitzern kunstvoll verziert und in

Eigenregie ausgebaut worden. Neben den erhöhten Wohnkosten durch Steuer und

Versicherung bietet diese Wohnform einen ungebundeneren und flexibleren Lebensstil. Mit

Hilfe der motorisierten Wohneinheiten können Wagenburgen kurzfristig verlassen und andere

Plätze im innerdeutschen Raum, aber auch in europäischen Nachbarländern angefahren

werden. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, sich für eine gewisse Zeit von der Gruppe zu

entfernen und rurale Gebiete oder andere urbane Räume anzufahren. Gerade dieses

ungezwungene Verbleiben an einem Ort oder auch innerhalb einer Gruppe wird von vielen als

Freiheit und dynamischer Entwicklungsprozess verstanden. So können sich Phasen einer

intensiven Gruppenzugehörigkeit mit Phasen eines eremitenhaften Einzellebens abwechseln

und ergänzen.

Der Platz selbst wurde erst Ende 2006 (Pachtvertragsende 2011) bezogen und somit

sind die infrastrukturellen Einrichtungen noch im Aufbau begriffen. Zunächst mussten die

beiden Plätze von Holzresten gesäubert werden. Wege aus Kies wurden angelegt, zwei

Baustellentoiletten angemietet, welche jedoch langfristig durch Kompost und Hochklos

ersetzt werden sollen. Eine Umzäunung hin zur Lkw-Durchfahrt 73 entstand zusammen mit

selbstgeschweißten Toren. Eine Bühne auf der Basis eines alten Bauwagens wurde errichtet.

Gemeinsame Projekte sind geplant wie: ein Kinderzirkus, eine Töpferecke und eine

Schreinerwerkstatt. Ein Küchenwagen dient bereits jetzt zum Zubereiten gemeinsamer

Mahlzeiten (kurz: Vokü für Volksküche). Platzbewohner, die in der Gastronomie, in

Krankenhäusern oder im Lebensmittelhandel arbeiten, bringen nach Feierabend die

Überproduktion eines Tages mit und legen sie auf einen kollektiven „Marktstand“

(DoItYourself-Shop). Dieser wird darüber hinaus mit einer Auswahl an containerten 74

73 Tempo 50 stellt insbesondere eine Gefährdung für Kinder dar.

74 Moderne Form der Nachlese, wobei industriell gefertigte Lebensmittel mit Druckstellen

oder unmittelbar abgelaufenem Verfallsdatum aus den Containern von Lebensmittelfabriken

oder Supermärkten geholt werden. Diese noch genießbaren Lebensmittel werden in

Großstädten oftmals in einem informellen Wirtschaftskreislauf nochmals untereinander

ausgetauscht.

53


Lebenswelt

Lebensmitteln täglich ergänzt. Die hier angebotenen Nahrungsmittel stellen eine

kostenneutrale Grundversorgung dar, auf welche alle Bewohner zur Ergänzung oder Deckung

des täglichen Bedarfs zurückgreifen können. Frischwasser wird täglich zentral an einem

angezapften Hydranten entnommen. Die Stromversorgung liegt in Form von Solarpanel auf

jedem Wagendach. Internet ist über ein Funknetz bereitgestellt. Fast jeder Bewohner verfügt

noch einmal über eine eigene Kochstelle mit Gas. Auch werden manche Wagen in den

Wintermonaten mit Gas beheizt, wobei die Mehrzahl der kleinen Räumlichkeiten mit Holz in

selbsteingebauten gusseisernen Öfen erwärmt werden. Wöchentlich findet eine

basisdemokratische Plenarsitzung statt, wobei alle Bewohner dasselbe Stimmrecht besitzen

und die verschiedensten Belange über Diskussion zum einstimmigen Konsens gebracht

werden.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass all die Wesensmerkmale der Postmoderne sich

hier am anschaulichsten manifestieren und sich in den semi-strukturierten Interviews

widerspiegeln (Gesamte Transkription siehe Anhang ➣ 6.2.3 und 6.2.4). Ehemalige staatliche

Dienstleistungen werden dezentral in Eigenregie erbracht; es tritt eine Entmischung der

urbanen Gesellschaft nach Lebensstilmilieus ein; Ästhetisierung der Lebenswelt durch

selbständige Gestaltung der Wägen und der unmittelbaren Umwelt, bei einer gleichzeitigen

Verwerfung von Stiltreue. Das traditionelle Familiengefüge wird um Patch-work-

Verbindungen erweitert. Es findet eine spielerische Herausforderung des Ordnungssystems

durch Protest- und Aktionsformen statt. Gleichzeitig vollzieht sich eine Abkehr vom

makropolitischen Sektor und eine Zuwendung zu den verschiedensten sozialen

Bewegungssektoren der Mikro- und Subpolitik. Partizipation und prozesshaftes

Experimentieren zeichnen vielfach die Abkehr von einem positivistischen Fortschrittsglauben

aus. Konsumvermeidung und nachhaltige Ressourcennutzung stehen bei vielen als

Handlungsmaxime im Zentrum. Als Gegenhorizont zum Wagen zeigt sich das gesamte

Spektrum der Wohnraumversorgung vom sozialen Wohnsilobau der sechziger und siebziger,

über städtische Mietshäuser bis hin zum Einfamilienhaus.

Abb. 26 - 27: Präsentation im Citybereich vor dem Freiburger Konzerthaus 75

75 Quelle: http://de.indymedia.org/2006/07/152763.shtml

54


Lebenswelt

Alexandra, Stephi, Ulrike (zwischen 20 und 30 – Ausbildung, Studium, Verkäuferin),

Samstag, 10. Februar 2007, 19:30 Uhr

F: Warum entstehen Wagenplätze häufig in der Stadt?

A: Das ist einfach zu erklären. Wohnraum ist teuer und mit einem Wagen ist Mobilität da.

U: Man wohnt nicht alleine in einer Mietskaserne, sondern mit mehreren Leuten.

A: Und das Leben draußen natürlich, welches du nicht mitbekommst in ner Wohnung, da

bekommst du es nicht mit ob es regnet, ob es stürmt. Im Wagen bekommst du so was mit. (4)

Hier in Freiburg speziell war es eben ansteckend. Die Leute bekamen unsere Aktionen in der

Stadt mit, und die dachten sich; ah, super, toll, mach ich mit. Über die Hälfte der Leute jetzt

sind neu dazugekommen. (...) Vor allem auch viele Leute, die davor gar nichts mit dem Leben

im Wagen zu tun hatten, die das dadurch erst kennen gelernt hatten. Und es jetzt großartig

finden.

F: Sind dann relativ viele Leute in Wohnungen gegangen, weil ihnen die

Auseinandersetzungen mit der Stadt zu heftig waren?

A: Keiner. Die wo gegangen sind, sind auf andere Wagenplätze in Hamburg, Berlin oder

anderswo.(...) Nein. Doch eine, aber das hatte einen andern Grund. Sie hatte ein Kind

bekommen.

F: Kann das ein Grund sein, aus dem Wagen zu ziehen?

A: Kann schon sein. In unserem Fall jetzt hier war der Platz halt völlig neu, es gab noch keine

Wege, knietief Schlamm sozusagen, keine Wasseranschlüsse, keinen Zaun drumherum, Das

Kind war zwei Jahre alt und die Straße ist hier in der Nähe, das ist nicht sinnvoll. Im Sommer,

wenn das Gelände besser befriedet ist, dann ist sie bestimmt auch wieder mehr hier. Für

kleine Kiddis war das schon gefährlich. Im allgemeinen ist es mit Kindern schwieriger, bei so

Sachen mit Schule. Wenn man keinen festen Platz hat, dann geht das fast nicht mit Kind. (...)

die Schule ist vielleicht in einer anderen Ecke der Stadt, da wo man sich gerade nicht

befindet.

F: Was sind die Gründe in den Wagen zu ziehen?

U: Mobilität auf jeden Fall.

S: Bei mir stand eine Reise am Anfang, mit Kind und Hund im VW Bus, ein halbes Jahr, und

dann war klar, ich komm zurück, werde die WG-Zimmer auflösen, kauf mir einen größeren

Bus und ziehe wieder los. Und das habe ich dann auch so gemacht.

55


Lebenswelt

A: Bei mir war das eigentlich genau so. Bus gekauft, mit Kind, noch vor der Einschulung, ein

dreiviertel Jahr lang losgezogen, und konnte es mir dann einfach nicht mehr vorstellen in

einem Haus zu wohnen. Zuvor hatte ich auch gar keine Wagenleute gekannt. (...) Was auch

ein Grund ist irgendwie, ist nicht bei diesem Konsum mitzumachen. Wagenleben heißt auch

Holz machen, Wasser holen in Kanistern, Solarstrom. Ich bin nicht so auf Konsum fixiert.

Keinen Fernseher besitzen. Viel mit Recycling machen. Wieviele Wagen sind innen komplett

aus recycletem Material ausgebaut? Man schaut, dass man alles wieder verwenden kann. Das

ist irgendwo auch ein Gedanke des Wagenlebens, glaube ich, nicht diesen Konsumwahnsinn

mitzumachen, (3) die Bandbreite ist weit, aber das ist irgendwo der Tenor.

U: Mir fällt noch ein Grund ein, weshalb man im Wagen lebt. Man kann seine Kreativität

ausleben. Sei es nun im Innenausbau oder außen am LKW. Das ist auf jeden Fall ein Punkt.

S: Mit Kind find ich es auch super. Egal wo ich hingefahren bin, ich hatte immer alles dabei,

Bett dabei, Küche dabei, Spielsachen dabei. Man konnte raus, auch mal bei einem Festival,

das Kind dabei und sobald er müde wird hat er sein Bett, da weiß er da gehört er hin, da kann

er sich schlafen legen. Und ich bin trotzdem noch dabei. Ich muss nicht zu Hause in der

Wohnung sitzen, sondern bin noch voll dabei, auch mit Kind. Das hab ich immer sehr

genossen.

F: Ändert sich was an der Raumwahrnehmung, wenn man längere Zeit im Wagen gelebt hat?

A: Ja, auf jeden Fall. Wenn ich in eine Wohnung komme, denke ich, wow, ist das viel Platz.

Oftmals vielleicht auch ordentlicher. Man hat in einem Wagen halt einfach nicht soviel

Stauraum. Wenn meine Eltern zu Besuch hier sind, dann sagen die schon manchmal, hier

siehts aber ein bisschen rümpelig aus. Aber in Wirklichkeit hat das alles schon seine Ordnung,

nur ich habe halt nicht noch einmal zwanzig Zimmer nebenan, wo dann alles verschwindet.

(...) Sich beschränken vor allem auch. Viel Quatsch durch die Gegend fahren, das macht man

vielleicht ne Weile, aber dann mistet man groß aus.

S: Kistenweise give-away. Ciao. Du brauchst doch bestimmt nen großen Kochtopf. Tür auf,

Klamotten, Kassetten und alles an die Leute, die so was im Leben noch brauchen (lachen).

F: Verändert sich die Gruppenstruktur, wenn man längere Zeit auf einem Platz steht?

A: Ja auf jeden Fall. Es wird bequemer. Im Vergleich zum letzten Winter jetzt, als die Wägen

noch beschlagnahmt waren, da waren wir alle auf einem Platz zusammengepfercht, auf

engstem Raum. Wir mussten Gespräche führen, wir mussten des sell und jenes organisieren.

Man konzentriert sich mehr auf sich auf einem Platz dann. Was auch mal wieder sein muss.

Job, Studium und alles mal wieder auf die Reihe kriegen, da hat es bei einigen ziemlich

geklappert. (2) Ist ja auch okay. Aber man merkt es. Man sitzt nicht jeden Abend zusammen

und bespricht, was man am nächsten Tag unbedingt tun muss.

56


Arne Brinkmann, (Mitte 20 - Kindergärtner), Samstag, 10. Februar 2007, 18:15 Uhr

F: Wie setzt sich denn heute die Gruppe zusammen?

Lebenswelt

A: Heute setzt sich die Gruppe aus lauter im Wagen lebenden Menschen zusammen, die

politisch interessiert sind, die das Leben anders leben wollen, die mehr Selbstverwaltung,

mehr Autonomie haben wollen, die prinzipiell für sich in ihrem Leben was anders machen

wollen, sei es jetzt viel draußen sein, sei es mobil sein, sei es politisch aktiv sein, sei es

einfach eine Alternative zu bieten zu diesem Mietezahlen. Sei es Umweltschutz,

beziehungsweise autonom sein zu wollen, durch eine eigene Stromversorgung. Gründe im

Wagen leben zu wollen gibt es so viele wie Menschen.

F: Was sind die gemeinsamen Sachen, die man auf einem Wagenplatz macht?

A: An der Feuerstelle sitzen, über politische Werte und Normen diskutieren. Einfach viel

zusammen machen. Man kriegt hier mehr davon mit, wie es dem Anderen geht. Letzte Woche

war einer hier krank, und das wussten dann natürlich sofort alle, und dann sind nach und

nach, mal vier mal fünf, zu ihm ins Krankenhaus gefahren und haben ihn besucht. Und so was

finde ich stark und wichtig. Super wichtig, dass das so funktioniert. Du bist krank und der

ganze Platz kommt dich besuchen. Du hast sozusagen 30 Freunde, die sich um dich kümmern.

(...) Es ist einfach ein Ausprobieren, wie man leben kann, ohne alle Strukturen anzunehmen,

die uns die Gesellschaft draußen zeigt und beibringt. Wir probieren ja hier eine Alternative

aus, wir dreißig Leute, wie man wirklich anders zusammen leben kann, gemeinschaftlich

leben kann.

F: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der Stadt Freiburg?

A: Hier ist es immer sehr anstrengend. Komischerweise, weil die Stadt sich ja immer gerne

als die offene und tolerante Stadt zeigt, aber sie es überhaupt nicht ist. (...) Überhaupt nicht

verständlich. In einer Stadt wo Wohnungsnot besteht, wo es wenigen billigen Wohnraum gibt

und die Stadt hinterher ist möglichst vielen billigen Wohnraum zu kreieren, da kann man da

doch nicht ne Gruppe von Leuten, die ihr eigenes Haus, ihre eigene Lebensform schaffen, wo

die Stadt nichts damit zu tun hat, die kann man dann doch nicht vernichten. Schizophrenie.

Das versteh ich nicht. Mit der Stadt zu verhandeln, das ist en ewiges Gelammer, meine Güte

(2). Da mit dem sprechen. Dann gibt es zehn verschiedene Ämter, die da mit reinschneien. Da

ist der Sozialbürgermeister verantwortlich, da ist das Liegenschaftsamt verantwortlich, da ist

das Bauverwaltungsamt verantwortlich, da kommt das Bauordnungsamt, weil das ja nicht

geht, dann noch ein Bürgermeister und dann noch der und dann noch der und dann noch der

und dann noch der. Und du diskutierst dich dumm und dämlich, für eine Sache, die eigentlich

so easy ist. Letztendlich. Der gesetzliche Rahmen lässt es zu, aber irgendwie kann man es

doch nicht zulassen.

F: Was erreicht ne Stadt mit einer Räumung?

57


Lebenswelt

A: Protest. (2) Ne Menge Geld aus dem Fenster werfen, ne Menge Verhandlungen, ne Menge

schlechte Presse. (...) Fast eine Million wurde ausgegeben an Polizeieinsätzen, nur wegen den

Schattenparkern und den Aktionen. Für eine Million hättest du dir fünf Plätze kaufen können.

Wie lange könnten Menschen davon leben. Unglaublich. Selbe Geschichte jetzt mit den

Straßenpunks.

F: Wie oft bemerkst du, dass du in keinem Haus wohnst?

A: Schon ab und zu. Naja, es gibt schon gewisse Sachen die angenehm sind in einem Haus.

So was wie ne eigene Dusche, Waschmaschine. Aber ich wollte es nicht wieder tauschen. Ich

bin voll glücklich. Klar, wenn du manchmal nach Hause kommst, und du musst erstmal

wieder die Heizung anmachen, oder vom Platz her. (...) Der Platz ist manchmal so ein

bisschen das Ding.

F: Was ist der Unterschied zwischen einer angemeldeten und einer unangemeldeten

Demonstration?

A: (lachen) Das ist reine Formsache. Generell ist es einfach nicht in Ordnung, dass Leute ihre

Meinung frei äußern wollen und sie es anmelden müssen, um dann einen Brief zurück zu

bekommen, das dürft ihr nicht mitnehmen, das dürft ihr nicht anziehen, das ist sowieso

verboten und das wollen wir auch nicht. Da ist meine Meinungsfreiheit schon wieder

eingeschränkt. Keine Schminke ins Gesicht, keine Autos, keine Lautsprecher. In Karlsruhe

hatten sie eine Demo im Januar angemeldet, worauf es hieß, ihr dürft nicht mit Mützen und

Schal kommen. (2) Wenn du eine Demonstration anmeldest, brauchst du einen

Veranstaltungsleiter und der ist für die gesamte Demonstration verantwortlich, das heißt,

wenn Philip und Peter sich von nem Bullen geärgert fühlen und dem eins auf die Mütze

hauen, bekomm ich den Ärger. Weil ich die Demo angemeldet hab. (...) Das Konsensprinzip

ist bei denen noch nicht angekommen. (...) Der Weg wird ewig mit dir abgesprochen, wo du

langfahren darfst, und ich will doch dahin gehen, wo ich meine, dass ich da meine Meinung

äußern will. Dann will ich das vor dem Bahnhof, vor dem Konzerthaus, auf dem

Bertholdsbrunnen. So dass es auch alle Leute mitbekommen. Und will nicht einmal um die

Stadt herum geführt werden, wo es keiner mitkriegt. (...) Team Grün würde es nie

genehmigen am Münster vorbei zu ziehen. Das gab es noch nie.

F: Hast du den Eindruck, dass es am Rand der Stadt hier ist?

A: Ja, absolut. Und dass die Stadt das so will. Jetzt haben sie uns hier absolut ins Ghetto

gesteckt. Hier ist ja absolut nichts. Hier kriegen das fünf Hansels, die den falschen Weg zum

Möbelbraun nehmen, die kriegen das mit und die LKW-Fahrer, die Möbelbraun beliefern,

ansonsten kriegt das hier keiner mit. Und genau das wollten sie auch. Das Ganze möglichst

ungesehen.

58


3.2.4 Waldmenschen: geräumt

Lebenswelt

Unweit der Schattenparker-Wagenburg, etwa 250 Meter weiter südlich, befindet sich

ebenfalls zwischen der vierspurigen Verbindungsstraße und dem Flughafengelände seit drei

Jahren eine weitere Wagenansammlung. Ein ehemaliger Schießstand der französischen

Armee mit seinen ausgedienten mehrere hundert Meter langen Schussbahnen bildet hier die

Grundfläche für drei Bau- und drei Wohnwagen. Die ehemals militärisch genutzte

Liegenschaft mit starker Bodenkontamination aus Schießrückständen ging wie das

Kasernenareal Vauban 1992 an den Bund über. 76 Das Areal selbst ist circa 100 Meter breit

und knapp 500 Meter lang und mit dichtem Pioneerwald überzogen. Die wallartigen

Schießbahnen dazwischen ermöglichen nur die zeilenförmige Anordnung der Wagen.

Die Gruppe selbst setzt sich zusammen aus sechs Männern in mittlerem und

höherem Alter, die allesamt Hartz IV 77

beziehen. In Eigenregie errichteten sie

eine gemeinsame Aufenthaltshütte (5

x 3 m), in der ein gemauerter offener

Kamin, ein Wohnzimmertisch, eine

Polstergarnitur, eine Kochstelle und

ein Fernseher stehen. Aufgrund einer

mündlichen Zusage ist ihnen die

Nutzung des Raumes bis zum

Zeitpunkt einsetzender

Erschließungsarbeiten für ein weiteres

Möbelzentrum gestattet worden.

Selbst nennen sie sich die

Waldmenschen.

Abb. 28: Zeilenförmig angeordnete Wagenburg

Auch stellt diese Wagenburg

eine weitere Heterogenisierung der herkömmlichen Stadtstruktur dar. Die Entmischung nach

Lebensstilmilieus, Partizipation und die Auflösung eines traditionellen Familiengefüges

zeigen sich auch hier. Als postmodernen Wirkungsmechanismus lässt sich ebenfalls die

dezentrale selbstständige Bereitstellung ehemaliger staatlicher Grundversorgungen feststellen.

Als abgelehnter Gegenhorizont der hier wohnenden stehen betreutes Wohnen, die städtisch

geleiteten Wagenburgen und Obdachlosigkeit.

76

Bundesanstaltseigene Liegenschaft verwaltet durch die Bundesanstalt für Immobilien in

Freiburg (Flurstücknummer 6256/2).

77

Der monatliche Regelsatz errechnet sich hierbei aus: Nahrung 103,25 €; Kleidung und

Schuhe 32,70 €; Wohnbedarfsmittel 26,76 €; Haushaltsgegenstände 26,15 €;

Gesundheitspflege 12,25 €; Kommunikation 27,67 €; Kultur 32,89 €; Bildung 0,00 €;

Bewirtung 10,36 €; Verkehr 26,07 €; andere Waren und Dienstleistungen 24,65 €.

(FREIEBÜRGER Feb.07)

59


Lebenswelt

Abb. 29 - 31: Ehemalige Schießzeilen mit Gemeinschaftshütte, Wohn- und Bauwägen (Quelle: eigen Jan./2007)

Karlheinz, Diddi, Pitt (Mitte 40 bis Anfang 60 - Arbeitslos), Sonntag, 28. Januar 2007, 15:30 Uhr

F: Wie oft bemerkst du, dass du in keinem Haus wohnst?

K: Eigentlich jeden Tag. (2) Ich merk jeden Tag, dass ich in keinem Haus wohn. Weil ich am

Morgen aufstehen kann und hab meine Ruhe, ich werd nicht angeblökt, ich bin zufrieden, ich

steh auf, mach mein Kaffee selber und werd nicht angemotzt von der Nachbarschaft oder so.

Ich hab einfach meine Ruhe. Ich merk es also jeden Tag.

F: Wieso entstand die Wagenburg an diesem Platz?

K: Das Wieso ist eigentlich ganz einfach. Die Frage ist eigentlich überflüssig. Weil die Leute

auf die Straße fliegen, sei es durch Scheidung, seis durch Arbeitsverlust und fliegen auf die

Straße, und kriegen dort keine Möglichkeiten und suchen sich dann halt Alternativen. Und

dann möchte ich jetzt den Diddi bitten hier weiter zu sprechen, wie er zu so nem Ding

[Bauwagen] hier kommt.

D: Ich war einer von den ersten hier. Ich hatte einen grünen Wohnwagen, damit stand ich

zuerst auf dem Parkplatz da oben. Dann kamen die Zigeuner und als die dann gingen, musste

ich dann auch gehen. Ich wäre weggeräumt geworden. Und dann kam ich hier her. Hier war

alles zugewachsen, es gab noch ne Hütte von den Franzosen und dann bin ich zwangsweise

hier herein gezogen. Vor die Hütte. (2) Dann war ich nicht mehr auf Stadtgelände, sondern

auf Bundeseigentumsgelände, also das gehört jedem.

K: Und so haben wir eine Duldung bekommen. So haben wir einfach ne Chance gekriegt. Das

sind nun knappe drei Jahre. Und es funktioniert. Wir haben uns irgendwie gefunden. (...)

Ohne Betreuung, ohne alles. Mir hatten bewiesen, dass das funktioniert. Dass nicht irgend ein

Hansele, der überhaupt nicht weiss was Obdachlosigkeit ist, hier zu bestimmen hat. Und das

ist uns ganz wichtig. Denn ich sag mir immer. In jedem Beruf musst du ein Praktikum

machen vor Ort, dann sollen bitte solche Leute, die über solche Sachen entscheiden, bitte

Praktikum machen über den Winter bei uns hier. Dann kann er mitreden. (2) Das ist einfach

meine persönliche Einstellung. Ich weiß nicht wie die andern denken.

F: Welche Freiheiten hat man denn hier?

60


Lebenswelt

P: Man hat hier alles und nichts. Wir haben den Platz hier, den Platz des himmlischen

Friedens genannt. Wir schlagen uns hier nicht. Man hat Zeiten, wo man sich anhasst, aber

ansonsten. Die sollen uns einfach ne Form zum Leben geben, wo man in Würde sterben kann.

F: (4) Muss man gegen Vorurteile ankämpfen, wenn man in ner Wagenburg lebt?

K: Wir sind ja eigentlich nicht ne Wagenburg im eigentlichen Sinn. Der Eselswinkel, das is

ne Wagenburg. Da gibt es Oberdorf, Unterdorf. Die Leute werden willkürlich

zusammengesteckt. Einer von der Stadt sagt, und jetzt kommt der da hin, obwohl er gar nicht

passt. Oberdorf, Unterdorf und zwischendurch noch ein paar Punks. Kann einfach nicht

funktionieren. Und genau das wollten wir vermeiden. Wir sind auch nicht alle dicke Freunde,

aber wir respektieren uns schlussendlich, und wenn’s eng wird hängen wir zusammen. (3)

Weißt du wie betreutes Wohnen vor sich geht? (...) Dann will ich es dir erklären. (2) Wir

nehmen jetzt Haus Gabriel [„Stationäre Eingliederungseinrichtung“ 78 ] da vorn. Kannst du

rein. Wir haben viele freie Zimmer, schöne Zimmer. Gibt’s um siebene Frühstück. Nur du

bekommst kein Geld mehr. Du bekommst pro Woche zweimal 15 Euro Taschengeld. Die

nehmen dir das Geld. Jetzt, kannst du natürlich sagen, okay, ich brauch ja nichts zu essen

kaufen, du hast ja ne Wohnung, nur quatsch, wie willst du da wieder heraus kommen, wenn

du nichts auf die Seite tun kannst. Geht ja nicht.

F: Ist das Leben hier sehr kostengünstig?

K: Ne, weil wenn wir ne Wohnung nehmen würden, würden wir das ja bezahlt bekommen.

Nur es gibt keine. Es gibt keine Wohnung wenn du zu einem Vermieter kommst und sagst du

bis ALG- [Arbeitslosengeld] Empfänger. Für mich unverständlich, denn es wäre ne sichere

Miete für den Vermieter, nur die haben das nicht gemerkt.

F: Was fehlt hier?

P: Nichts.

K: Mir fehlt das Verständnis, dass das hier verkauft wird, dass hier ne Möbelladen herkommt,

obwohl daneben schon zwei sind. Kann ich geistig nicht folgen. (...) Auch ein Politiker kann

Menschlichkeit zeigen. Für mich ist ganz klar, wenn sie uns hängen lassen, dann werde ich

Platte machen vor dem Rathaus, dann können sie mich holen, dann können sie mich

wegbringen. Dann lieg ich wieder hin. Mit Zeitung, mit Fernseher, mit allem. 79

78 Quelle: http://www.caritas-freiburg.de Täglich nehmen in Freiburg zwischen 90 und 120

Menschen ohne eigene Wohnungen die Essensausgabe “Pflasterstub” der Caritas in

Anspruch.

79 Aufgrund des Baus eines weiteren Möbelzentrums erging im Februar ein Schreiben mit der

Bitte auf Verlassen des Grundstücks binnen zwei Wochen. Nachverhandlungen ermöglichten

es, weitere vier Wochen zu bleiben, daraufhin wurde der Platz ersatzlos geräumt (Feb. 2007).

61


3.2.5 Punkstadt: geräumt

Lebenswelt

Ebenfalls auf der bundeseigenen Liegenschaft befindet sich circa 200 Meter weiter

südlich eine Wagenburg der Punkbewegung. 80 Auch sie besetzen ein circa 1000 qm großes

verwildertes Areal des ehemaligen französischen Schießstandes, welcher seit 1992 als Brache

zwischen dem Rhodia Chemiekomplex, dem Obdachlosen- und Asylwohnheim, den

Parkplätzen der Messe und des Flughafens liegt.

Nach vorangegangener Räumung auf einer Brachfläche weiter nördlich (heutiger

Schattenpark) und in besetzten leerstehenden Häusern sowie Platzverweisen unter den

Freiburger Innenstadtbrücken, bezog die Gruppe, bestehend aus 12 Personen, im Spätherbst

2006 das Gelände am südlichen Ende des ehemaligen Schießplatz. 6 Wohnwagen und zwei

Kleinbusse wurden hierbei als Wagenburgformation auf das dicht bewachsene Gelände

gestellt. Eine eng geschlossene Kreisformation kommt der historischen Vorläuferform nahe

und ist die Folge einer nicht erfolgten Duldung von städtischer Seite.

Wegen der Besetzung ergeht im Januar ein Räumungsbescheid vom Amt für

Öffentliche Ordnung für den 01.02.07.

Durch den Kauf eines Teiles der

bundeseigenen Liegenschaft wird die

Stadt die Parkplatzfläche für das

gegenüberliegende Messegelände

ausweiten und die geplante

Verlängerung der Stadtbahnlinie

vorerst zurückstellen. Von Seiten der

Punkgruppierung wird daraufhin

begonnen, den Platz zu

verbarrikadieren, um sich gegen eine

ersatzlose Räumung zur Wehr zu

setzen. Ein geschlossener

Abb. 32: Wagenburg mit Umwallung

palisadenartiger Wall wird um die

Burg herum errichtet, Bäume werden

gefällt und Vorrichtungen gegen

80 Es handelt sich im europäischen Vergleich um eine Bewegung, die zwar als Jugendstil Fuß

gefasst hat, jedoch im gesamtgesellschaftlichen Kontext mit den anarchistischen Axiomen

kaum rezipiert wurde. Spanien, Frankreich, Italien oder Russland zeigen einen weitaus

stärkeren Bewegungssektor im Subpolitik-Bereich. Theoretische Grundlagen des Anarchismus

(Herrschaft ohne Hierarchie) legte Étienne de La Boétie im 16. Jhr. (vgl.: KERBS

1971: 84 f.)

62


Lebenswelt

Räumfahrzeuge in den Boden gestemmt. Mit Tarnnetzen und Folien wird die Wagenburg

zusätzlich nach oben gegen Aufzeichnungen von Polizeihubschraubern abgeschirmt.

Transparente machen nach außen hin auf die Situation aufmerksam.

Neben der ersatzlosen Räumung an der Stadtperipherie stehen häufig ausgesprochene

Innenstadtverbote, welche den Betroffenen das Betreten des Zähringer-Altstadtkerns nur für

die nötigsten Besorgungen genehmigen. Parallel zu dem postmodernen

Wirkungsmechanismus Partizipation, Heterogenisierung nach Lebensmilieus, subpolitisches

Engagement, Herausforderung der Hypotaxe zeigt sich hier die Wagenburg als Formgeber für

den Versuch, einen anarchistischen Lebensstil mit sozialökonomischem Wirtschaften

innerhalb einer Kleingruppe zu praktizieren. Als Gegenhorizont steht für die meisten

Obdachlosigkeit, Notunterkünfte oder Konflikte in Mietwohnungen.

Joe (Anfang 30 - gelernter Mechaniker) Samstag, 20. Januar 2007, 19:30 Uhr

F: Wie oft bemerkst du, dass du in keinem Haus wohnst?

J: Ja klar, jeden Tag. Morgens, Mittags, Abends. Hier kann ich meine Hunde direkt aus dem

Wagen raus laufen lassen. (...) die ganzen Betonklötze die rumstehen, da hab ich kein Bock

drauf. Da hast du dann immer deine Nachbarn, mit denen du Stress hast oder irgend ein

Vermieter stresst, der dir sagt was du zu tun oder zu lassen hast. Und hier tut man eben selbst

seine Regeln bestimmen mit seinen Leuten. Hier kann man sich absprechen und man hat nicht

den Zwang von oben. Du zahlst deine Miete jeden Monat, so und so viel Euro Nebenkosten.

Hier ist es um einiges leichter, du lebst draußen, bist in der Natur. Das ist auch gerade wenn

man Hunde hat besser als ein Haus oder sonst was.

F: Wieso ist die Wagenburg gerade hier entstanden?

J: Also wir waren hier schon mal, vorletztes Jahr. Das Gelände hier steht seit Jahren leer.

Alles zugewuchert. Daraufhin haben wir gesagt, hier ist nichts, hier passiert nichts, also

können wir hier unsere Wagenburg drauf setzen, weil es braucht eh keiner. Deshalb haben wir

den Platz hier gewählt. Und letztes Jahr wurden wir eben schon einmal geräumt hier.

F: Wie sieht es aus, wenn man in der Innenstadt sein möchte?

J: Wenn man mit drei vier Leuten an einem Platz steht, ne Decke für die Hunde ausgebreitet

oder sonst was, dann ist das illegales Lagern. Und das verstößt gegen die öffentliche

Sicherheit und Ordnung und gibt ne Anzeige. Und es gibt einen sofortigen Platzverweis. Es

gibt auch mehrere Leute, die haben jetzt auch schon Innenstadtverbote 81 direkt, die dürfen

sich nur noch um das Nötigste zu besorgen in der Innenstadt aufhalten, wenn nicht, gibt es

achtundvierzig Stunden Beseitigungsgewahrsam und ne erneute Anzeige und Bußgeld.

81 Innstadtverbote werden meist für ein Jahr ausgesprochen.

63


F: Ändert sich was, wenn man längere Zeit im Wagen lebt?

Lebenswelt

J: (2) Weiss nicht ob sich da was ändert. Die meisten von uns haben schon zig Jahre auf der

Straße ohne Wagen gelebt. Man hat einfach sein Zuhause, das man immer dabei hat. Es gibt

einem Rückhalt, wenn du weißt, du hast da was, wo du rein gehen kannst, wo du die Tür zu

machen kannst, bub aus, hast du deine Ruhe. Was sich da ändert weiß ich nicht. Wenn man

auf einem Platz lebt, dann tut sich das Gemeinschaftsgefühl stärken. Wir leben hier

sozialökonomisch, das heißt, wenn jemand was braucht, alle tragen die Kosten von allen,

egal um was es geht, wenn jetzt jemand Gerichtskosten hat, dann bezahlt der, der mehr hat,

wer halt was hat der legt mehr rein, bei einer kleinen Gruppe wie wir das sind geht das recht

gut. Das was alle brauchen, wird auch von allen getragen.

F: Warum gibt es soviel Druck gegen die Wagenburg?

J: Ich glaube die Stadt hat auch Angst davor, das sich da auch ein politisches Spektrum bildet,

das nicht nach der Pfeife gerade tanzt, so wie es der Staat gerade will. Leute die sich selbst

organisieren können und nicht immer unter staatlicher Obhut sind und kontrolliert werden.

Und sich auch dagegen stellen können. Dass die Leute auch Freidenker sind und nicht durch

Medien zugeschüttet. Nicht, du musst morgens zur Arbeit gehen, weil der Staat das so will,

schön in die Rentenkasse einzahlen und mit vierundsechzig kriegst du dann deine Rente, und

du musst ein Häuschen haben mit Garten. 82

Abb. 33 - 35: Räumung der vorherigen Punkburg Juli 2006 83

82 Im Februar 2007 wurde die Wagenburg durch Polizeikräfte abermals eingekesselt und

geräumt. Wobei vorzeitig die Wagen hinter dem palisadenartigen Sichtschutz entfernt wurden

und sich die Wagenburg als Täuschungskörper heraus stellte (siehe Funktion der historischen

Wagenburg ➣ 2.1). Bis zum Abschluss der Recherche Ende März 2007 trat die Gruppierung

im Stadtbild Freiburgs vorerst nicht in Form einer Wagenburg wieder in Erscheinung.

83 Quelle: http://de.indymedia.org/2006/07/151527.shtml

64


3.2.6 Urstrom: geduldet

Lebenswelt

Unter ökologischen Aspekten hat sich am Rande des südlichen Stadtwalddistrikts

(XIV) nahe des Ortes Tiengen eine kleine Wagenburg mit familienartigen Strukturen seit

über einem Jahrzehnt etabliert. 84 Die Wagenburg stellt den autarken Versuch dar, den Idealen

einer Anti-Atomkraftbewegung ein lebensweltliches Perdon zu geben.

Auf einer circa 600 qm großen Wiesenfläche leben hier eine Frau, zwei Männer und

ein schulpflichtiges Kind. Alle drei Erwachsenen sind berufstätig, das Mädchen geht nach

eigenen Angaben gerne zur Schule. Das Grundstück selbst ist von einem ortsansässigen

Bauern gepachtet und von Seiten der Stadt geduldet. Im weiteren Umfeld gibt es keine

Ansiedlungen und auch der geschotterte Waldweg entlang des Mischwaldes endet, bedingt

durch eine umzäunte Weidefläche, hier

Die Versorgung der

Wagenburg (ein umgebauter LKW

und vier zum Teil historische Wagen)

mit Frischwasser ist über einen 700

Liter röhrenförmigen Zinktank

gewährleistet, welcher im Sommer

alle 3 Wochen und im Winter alle

vier Wochen mit Hilfe einer

Zugmaschine und einem

landwirtschaftlichen Hänger bei

Abb. 36: Rechtwinklige Wagenburgformation

Bekannten in der Nähe befüllt wird.

Ein privates Unternehmen übernimmt

zwei Mal jährlich die Entsorgung

eines Toilettentanks (Hochklo). Die

Energieversorgung ist ausschließlich

über Solarzellen geregelt. Mehrere parallel geschaltete Batterieblocks in den Wagen speichern

über die Sommer- und Herbstmonate Energie für die winterliche Jahreszeit, wo die direkte

oder diffuse Sonneneinstrahlung nicht mehr ausreicht, um den Tagesbedarf zu decken. Im

Hochsommer dient eine verspiegelte Parabolschüssel zusätzlich als Energiekonverter zum

Erzeugen von kochendem Wasser. Beheizt werden die Wagen ausschließlich mit Holz.

Regenauffangbehälter stellen eine zusätzliche Wasserreserve für einfache Belange dar,

hauptsächlich dienen sie jedoch als Trinkwasser für mehrere Schafe, Hühner und Enten,

welche sich in Stallungen neben einer zusätzlich gepachteten Weidefläche im unmittelbaren

Umfeld befinden.

84 Lageangabe ist leicht verfälscht wieder gegeben, um die fragile rechtliche Lage des Platzes

nicht zu gefährden und auch um weiteren Zuzug nicht zu fördern. Ausdrücklich wird darauf

hingewiesen, dass kein weiterer Stellplatz zur Verfügung gestellt werden kann.

65


Lebenswelt

Postmodernität zeigt sich in einer weiteren Ausdifferenzierung nach Lebensstilen,

durch die Verwerfung einer stiltreuen Wohnarchitektur, durch subpolitisches Engagement,

Partizipation, das selbstständige Erzeugen ehemaliger staatlicher Grundversorgungen sowie

das Verwerfen eines positivistischen Fortschrittsglaubens. Im folgenden Interviewbeitrag

zeigt sich darüber hinaus die Lebenswelt der Sinti und Roma als idealistischer Gegenhorizont.

Abb. 37 - 39: Traditionelle und moderne Wagenformen (Quelle: eigen Jan./2007)

Uri Fried (Anfang 40 – Landwirt und Wagenbauer), Donnerstag, 11. Januar 2007, 15:30 Uhr

F: Wie oft bemerkst du, dass du in keinem Haus wohnst?

U: Wie oft ich merk, dass ich (lachen) gar nicht, ich hab den Vergleich zum Haus echt

verloren. (lachen) Ne, das ist mein zu Hause und da hab ich nie so das Bedürfnis, gut ich

wollte schon einmal ein Haus kaufen, aber das ist irgendwie, nicht weil ich mir jetzt hier

direkt ein Haus ersehne, sondern weil ich da mehr Platz und mehr Räumlichkeiten hätte. Das

ist wohl der Grund.

F: Was macht diesen Raum im Wagen aus?

U: Die vielen Fenster. Ich finde es wirklich toll einen kleinen Raum zu haben, der aber in alle

Richtungen hin offen ist und wo man wirklich auch nur das Notwendigste hat und dies auch

braucht, also Bett, Spüle, Stuhl, Klamottenschrank. Fertig. Super. (3) Du kannst einfach viel

draußen sein, ich liebe das draußensein. Das ist es irgendwo, der Wagen ist klein und

schnuckelig und draußen, das ist das Wohnzimmer. Drinnen die Schlafkajüte. Total gut.

F: Was führt zu mehr Gruppenbildung, das gemeinschaftliche Interesse, oder der Druck von

außen, politisch, städtisch?

U: Ich denke, oftmals ist es der Druck von außen. Denn der ist so gemacht, dass man einfach

zusammenhalten muss, wenn die Leute sich vereinzeln besteht keine Chance, sich gegen

diesen Druck zu wenden und so ist man aufeinander wirklich angewiesen, was man sonst im

Leben ja nicht so spürt. Aber es geht auch oft einher mit einem politischen Willen. Eigentlich

gehört es zusammen. Durch den Druck entsteht ein politischer Wille, dadurch entsteht meist

noch mehr Druck, weil die Leute sich politisch verhalten, was der Stadt wiederum nicht

gefällt. Der Druck wird erhöht, wodurch den Leuten aber klarer wird was sie politisch wollen,

66


Lebenswelt

da kann man hier in Freiburg schon klar eine Entwicklung sehen, dass die Leute sich

politisieren über die Auseinandersetzungen, die es gab. Vorher war es den Leuten vielleicht

gar nicht so bewusst, dass es so massive Widerstände gibt.

F: Vielleicht abschließend noch zwei weiter gefasste Fragen. Würdest du Wagenburgen und

die ethnische Minderheit der Sinti und Roma in Verbindung bringen können?

U: Das ist für mich selber ne schwierige Frage. Weil ich mich in meinem Idealgefühl, was ich

schon hatte im Wagen, mich schon orientiert hab nach diesen alten Zigeunergeschichten.

Einmal wollten wir eine Wagenkaravane machen in den Neunzigern, da hatte ich dann viel

Literatur gewälzt und festgestellt, dass viele Fahrende, Sinti , Romas, Vagabunden, dass die

bestimmte Landstriche hatten wo sie unterwegs waren um Handel zu treiben. Aber doch auch

wiederum oftmals ihren festen Platz hatten. Und so habe ich mir das alles auch ein wenig

nahe geholt und ich finde es sich auch schon, wenn ich merke, wie das Draußenleben für mich

auch positive Qualitäten hat, das Verbundensein mit der Natur, das Zusammengehören zu der

Gruppe, die im Wagen wohnt. Draußen Feuer machen, kochen, feiern. Vielleicht sind das

Sachen, die da eine Verbindung herstellen, für mich persönlich. Aber für die Zigeuner selber,

da ist das wohl ne ganz andere Geschichte. Da steht die Sippe wohl mehr im Zentrum und

nicht das Draußen leben. Für mich ziehe ich Verbindungen.

F: Ist das Ganze eher ein Wertekonflikt oder ist es mehr ein Interessenskonflikt, wo es mehr

um die Fläche geht?

U: In erster Linie denke ich ein Wertekonflikt, denn Fläche gäbe es eigentlich genug die

brachliegen. Es ist ein Wertekonflikt. Ich denke die normale; Bevölkerung, die fühlt sich da

bestimmt in ihren hochgehaltenen Werten schwer verletzt (lachen). Die Leute müssen nicht so

viel arbeiten, die haben ein lockeres Leben, zahlen keine Miete, müssen kein Haus

abbezahlen. Die Vorurteile, die ziehen nur rum und klauen, leben auf Kosten anderer. Das

sind Sachen die muss die Bevölkerung schon verteidigen. Ich denk sogar, dass die Stadt,

wenn es nicht eine solche Werteverschiebung darstellen würde, würde sie vielleicht auch

sagen, nehmt euch den Platz und Ruhe jetzt mit euch. Aber dadurch, dass sie einen Platz

geben, unterstützen sie auch die Werte, deshalb sind sie eigentlich auch in erster Linie

dagegen.

F: Noch ein paar abschließende Worte?

U: Ich fände es gut, persönlich interessiert mich die Geschichte der Sinti und Romas, weil ich

glaub die ganzen Vorurteile treffen zum Teil auch uns. Und ich sehe, die auch zum Teil als

die großen Vorreiter vom Wagenleben überhaupt. Gäbe es dies heute, ohne die Kultur des

fahrenden Lebens? Das fände ich interessant, da mehr Verbindungen herzustellen, sowohl

persönlich, als auch im Größeren.

67


3.2.7 Ölmühle: geduldet

Lebenswelt

Seit Ende 1992 besteht, ebenfalls unter ökologischem Vorzeichen, die Wagenburg

Ölmühle am nordwestlichen Stadtgemarkungsrand. 85 Zwei Zirkuswagen und sieben

Bauwagen stehen hier auf einer circa 1000 qm großen gepachteten Wiesenfläche, die einst als

Weide und zur Futtermittelproduktion diente. Die eigentliche Siedlungskontinuität der Stadt

reicht nicht bis an das Areal heran, so dass sich lediglich ein altes Bauernhaus 86 in der

unmittelbaren Nachbarschaft befindet. Eine Überlandstraße sowie die Haupttrasse der

Eisenbahnverbindung Freiburg-Basel verlaufen ebenfalls in räumlicher Nähe. Mit Hilfe von

Strauch- und Baumbepflanzungen wurde allerdings versucht, die beidseitige Lärmemission

nachhaltig zu dämmen.

Die größtenteils familiäre Gruppenstruktur - heute bestehend aus fünf Erwachsenen

und vier Kindern - verblieb relativ stabil seit Bestehen des Platzes. Abzüge waren beruflich

bedingt oder durch den Wunsch, ein eigenes Haus zu bauen.

Der Platz selber zeichnet sich durch ein selbstentworfenes Wegenetz aus, welches die

einzelnen Wagen in ihrer ovalen Anordnung über Holzstege miteinander verbindet. Neben

einem großen Zirkuswagen, der als gemeinschaftlicher Aufenthaltsraum mit Esstisch,

Couchecke, Telefonanschluß und geräumiger Kochmöglichkeit ausgestattet ist, gibt es noch

einen Gästewagen, der für nahe Bekannte und Verwandte als Unterkunft dienen kann.

Geheitzt wird aussschließlich mit Holz. Mit Hilfe von großflächigen Sonnenkollektoren wird

Warmwasser hergestellt. Solarpaneele auf den einzelnen Wagen sichern die Stromversorgung

der wenigen

Elektrogeräte.

Ein Windrad

deckt zusätzlich

den

Strombedarf in

sonneneinstrahl

ungsarmen

Monaten. Über

eine

Schwängelpum

pe und eine 4,2

Meter tiefe

Quellfassung

Abb. 40: Offener Wagenburgkreis

85

Auf eine genauere Lagebeschreibung muss aus Rücksicht auf den rechtlichen Status der

Burg verzichtet werden.

86

Das Gebäude wurde im Juli 2006 durch das Freiburger Mietshäusersyndikat erworben und

wird in Eigenregie nun restauriert und ausgebaut.

68


wird Grundwasser (zum Teil Rheinuferfiltrat) 87 gefördert, was die Autarkie weiter erhöht.

Lebenswelt

Als Gegenhorizont, oder vielmehr Vergleichshorizont, zeigt sich im nachfolgenden

Interviewausschnitt das Einfamilienhaus oder die Wohnung. Postmoderne

Wirkungsmechanismen in Form der Pluralisierung von Lebensstilen, einer

Postsuburbanisierung, Partizipation, Engagement im subpolitischen Bereich, Erweiterung der

traditionellen Familienstruktur, sowie die Abwendung von einer positivistischen

konsumorientiertern Leitkultur manifestieren sich darüber hinaus.

Abb. 41 - 43: Gemeinschaftswagen und Privatwagen (Quelle: eigen Nov./2007)

Ellen Koppitz (Mitte 30 – Caritas-Mitarbeiterin) Donnerstag, 30.November 2006, 16:30 Uhr

F: Warum kennt keiner die Wagenburg-Ölmühle?

E: Das erklärt sich dadurch, dass diese Wagenburg auf privatem Grund steht und nicht auf

städtischem und deswegen ist es auch einfacher, sich zu arrangieren. Es bringt einfach nicht

so viel Stress mit sich, denn bei städtischem Grund und Boden, da wollen immer alle

mitreden. Gemeinderäte, und so weiter. Wenn man sich jedoch nur privat mit jemandem

einigen muss, dann ist es unter Umständen leichter. So war es zumindest bei uns. (3) Der OB

Böhme hat damals die Devise ausgegeben, wenn die soziale Akzeptanz herrscht im Umfeld

von ner Wagenburg auf Privatgrund, dann unternimmt die Stadt nichts dagegen (2) und so

war das bei uns. (2) Als wir im Herbst 92 hierher gezogen sind haben wir gleich versucht,

uns eine Lobby im Dorf zu erschaffen. Wir haben die Leute aus dem Dorf eingeladen zum

Kaffee trinken und haben ihnen alles gezeigt und so bewiesen, dass wir ganz normal sind und

nur ein bisschen spinnen was die Wohnform betrifft. Wir haben auch konsequent im Dorf

eingekauft, beim Bauer die Milch, beim Winzer den Wein, im kleinen Edeka, Pferde hatten

wir untergestellt. Und uns somit eben integriert und dadurch hatten wir da auch nie Probleme,

sondern nur Fürsprecher. (2) Und ansonsten waren wir sehr unauffällig: keine Hunde, keine

Trecker, keine Autos und dadurch hat das niemanden groß gestört. Und man lebt ja auch hier

ein wenig abgelegen, weg vom Dorfrand mitten in den Feldern. Bahn und Straße, da will eh

keiner wohnen. Alles laut. So kam das.

87 Eine Untersuchung stellte leicht erhöhte Keimspuren im Wasser fest, dennoch qualifizierte

es sich als Trinkwasser, lediglich für Kleinkinder sollte es nicht verwendet werden.

69


F: Was bedeutet denn Selbstverwaltung für euch hier?

Lebenswelt

E: Na ja, es gibt ja die angenehmen Seiten des Wagenlebens und es gibt die, die unter

Umständen unangenehm sein können (2) nämlich, dass man sich um alles selbst kümmern

muss. Und Selbstverwaltung heißt für mich in dem Zusammenhang, dass ich mich selber ums

Wohnen, ums Wasser, um Energie, um Heizung, um alles kümmern muss. Wenn ich mit

meiner Sense ein Kabel durchsens beim Rasenmähen, dann muss ich gucken wie ich es selber

wieder zusammenflicke. Wenn ich nicht für mein Brennholz sorge, dann ist mir kalt im

Winter, das macht nicht irgendwer für dich.(2) Das kann für manche Leute sehr unangenehm

sein. Es ist vor allen Dingen sehr zeitaufwändig. Man verbringt hier mehr Zeit mit der

Organisation des Alltags, als in einem Haus oder in einer Wohnung. (2) Und früher hieß

Selbstverwaltung, dass man zu acht gleichberechtigt Entscheidungen trifft. Wir haben viel

diskutiert und debattiert.

F: Also, wenn ich es richtig verstanden habe, dann hattet ihr nie groß etwas mit der

Wagenburgbewegung in der Stadt zu tun?

E: Nie gehabt. Uns ging es auch nie primär um das Wagenleben, sondern um ein ökologisches

Leben und um ein Leben in Gemeinschaft. Wir wollten also auch nie die Schlacht schlagen

für alle, die im Wagen wohnen, weil wir uns als solche gar nicht indentifiziert haben, primär.

(2) Ökologie reichte aus als Ideologie. Was da schon alles dazu gehört: Nachhaltigkeit,

bewusstes Leben, ganzheitlich und gemeinschaftlich, (2) das reicht aus. (lacht) Klar, es ist

hier ein Randplatz, aber im Paradies wohnt keiner.

F: Habt ihr irgendwas mit nem Motor?

E: Ne Kettensäge.

F: Andere ökologische Aspekte?

E: Dass wir beim Biobauern kaufen, dass wir Fahrrad fahren, Holzheizung, Strom selber

machen, was noch? (2) Einfach nicht ein so konsumistisches Leben führen. Sich beim BUND

engagieren [Bund für Umwelt und Naturschutz].

F: Wie lange würde es dauern, die Wiese wieder in ihren ursprünglichen Zustand zu bringen?

E: Wenn man alle Wägen wegzieht und die Kabel [von den Solarpaneelen und Telefon] aus

dem Boden nimmt, dann ist das Arbeit für eine Woche, dann streut man Grassamen und ein

paar Monate später siehst du nichts mehr. Außer, dass wir relativ viel Bäume gepflanzt haben

(lacht), die hier vorher nicht standen.

70


3.2.8 Susiburg: gesichert

Lebenswelt

Diese Wagenburg ist integraler Bestandteil und Resultat eines privat organisierten Rezivilisierungs-Projektes

auf dem Gelände des ehemaligen französischen Quartiers Vauban.

Parallel zu der Ausarbeitung eines Umnutzungskonzeptes und der Gründung eines

eingetragenen Vereins (SUSI e.V.- Selbstorganisierte unabhängige Siedlungsinitiative) fand

1993 eine stille Besetzung von mehreren Mannschaftsunterkünften statt, um einerseits der

starken Wohnungsnot in Freiburg und andererseits den Komplettabrissplänen der Stadt

entgegen zu wirken.

Initiator war eine Gruppe von 10 Studenten, die mit Hilfe des unabhängigen Asta und

des Freiburger Mietshäusersyndikats einen ökologisch nachhaltigen und kostenminimierten

Umbau der 50 mal 16 Meter großen, dreistöckigen Mannschaftsunterkünfte in die Wege

leiteten. Es ging um den Erhalt der noch guten bis sehr guten Bausubstanz. „Umbau statt

Neubau“ lautete die Devise, in deren Kontext von Anfang an auch eine integrierte

Wagenburg auf einer Freifläche zwischen den Häusern als Nachverdichtung geplant war.

Von 24 ehemaligen Mannschaftsunterkünften konnten in diesem Rahmen 4 vor einem

Abriss bewahrt werden, und so ging direkt Eigentum vom Bund an die neu gegründete

basisdemokratische Struktur über, die sich als rechtlichen Rahmen den einer GmbH wählte.

Besondere Berücksichtigung im Projekt fanden hierbei auch Menschen, die von

Obdachlosigkeit bedroht waren und sich das gemeinschaftliche Zusammenleben in

unterschiedlichsten Wohngemeinschaften vorstellen konnten. Geld sollte hierbei weniger ein

Zutrittkriterium sein, als das Einbringen einer so genannten Muskelhypothek, bei der die

eigene Arbeitskraft angerechnet werden kann. Insgesamt fanden so knapp 260 Menschen in

den Häusern und knapp 20 auf dem Wagenplatz einen neuen Wohnraum.

Auf dem heutigen Wagenplatz (circa 900 qm) leben größtenteils Familien in

ausgebauten Bau- und Zirkuswagen. Zu den 16 Wagen auf dem Platz gesellen sich mehrere

umgebaute LKWs und Omnibusse, die sich zeilenförmig am Rande des SUSI-Geländes

anschließen. Für einen kurzzeitigen Aufenthalt stehen ein Gästewagen sowie zwei

Durchfahrerplätze zur Verfügung. Viele der Bewohner gehörten nicht einer mobilen

Wagenbewegung an, sondern bezogen den Wagen direkt aus dem Haus heraus.

Was die infrastrukturelle Ausstattung anbelangt, so gibt es ein Badehäuschen, welches

unmittelbar an einen ehemaligen Kasernenblock angeschlossen ist. Hier befinden sich

gemeinschaftliche Duschen, Badewanne, Waschbecken und Klo. Die Wagen werden

ausschließlich mit Holz beheizt und verfügen selbst über keinen Wasseranschluss. Mit

Kanistern muss das Wasser von der zentralen Stelle geholt werden. Ein Verteilerkasten auf

220 V Basis versorgt die einzelnen Wagen mit Elektrizität. Solaranlagen auf angebauten

Terrassen und Veranden speisen zusätzlich Strom ein. Ein geschottertes Wegenetz verbindet

die Wagen untereinander über den ansonsten grasbewachsenen Zwischenraum. Ein lockerer

Baumbewuchs mit zum Teil über 15 Meter hohen Eichen verbessert das Mikroklima für die

71


Lebenswelt

Wagen und die umgebenden Häuser. Teilweise erfolgt der Zugang zu den

Erdgeschosswohnungen über das verbindende Wegenetz des Platzes.

Abb. 44: Flexible Wagenburganordnung zwischen Wohnhausbebauung

Susiburg zeigt sich seit 12 Jahren als integratives Projekt in einem dichten

Wohnbauviertel. Wenige Regelungen, wie das Verbot des Verbrennens von nassem Holz oder

Kohlen, ermöglichen hier das Bestehen zweier verschiedenster Wohnformen auf engstem

Raum. Theoretisch denkbar und in Diskussion ist ein Vorschlag zur ausschließlichen

Beheizung der Wagen mit Gastechnik, um die Emissionen weiter zu minimieren und um

hiermit die Wohnqualität der umliegenden Gebäude weiter zu verbessern. Die kostengünstige

Nachverdichtung, die auch Wohnraum für einkommensschwache Menschen bereithält, weist

eine stark gefestigte Bewohnerstruktur auf. Wechsel finden selten statt. Anteilmäßig wird ein

Teil der Gesamtkosten des Projektes auf sie übertragen, wie zum Beispiel Erbpachtzins,

Wasser oder Müllabfuhr. So entfallen pro Wagen ungefähr 90 Euro monatlich an

Grundgebühr.

Noch einmal zeigen sich auch bei der letzten vorgestellten Wagenburg die

postmodernen Wirkungsmechanismen: Subpolitisches Engagement, Partizipation und

Heterogenisierung der Stadtlandschaft. Darüber hinaus zeigt sich ein pluralistisches

Nebeneinander der verschiedensten Wohn- und Lebensstile auf engstem Raum.

Ästhetisierung des eigenen Wohnumfeldes und der Entwurf eines avangardistischen

Hybridstiles erhalten auf diesem rechtlich langfristig abgesicherten Platz eine neue Qualität.

Als Gegenhorizont wird oftmals triste Massenarchitektur gesehen mit wenig individuellen

Gestaltungsmöglichkeiten.

72


Lebenswelt

Auszüge aus einem Interview mit Bobby Glatz, welcher selbst Wagenbesitzer war und

das Projekt von Anfang an begleitet hat, verdeutlichen einige Wirkungsmechanismen und die

Sicht eines Architekten auf die Thematik. Wohnhaft ist er heute mit seiner Familie in einem

der umgebauten Quartiere gleich neben dem Wagenplatz.

Bobby Glatz (Anfang 40 - Architekt) Montag, 4. Dezember 2006, 15:30 Uhr

F: Wie hat das bei dir angefangen mit Wagenburgen?

B: (...) Ich hab damals meinen Wagen auf das Gelände hier gezogen, also der erste Wagen auf

dem SUSI-Gelände, und habe den hier auf dem Platz, in den Zwischenraum gestellt, einfach

auch um ein Zeichen zu setzen, weil das auch wichtig war, gerade im Projekt SUSI, dass im

Projekt ein Wagenplatz ist, ein Wagenbereich. Es wurde dann städtebaulich eingearbeitet in

einen Plan und hieß dann irgendwie Freiraum für experimentelles Wohnen auf Rädern. So

war das dann schon mal von Anfang an immer bei dem Gesamtprojekt mit drin, also Teil

einer Idee, wie man die Kaserne umnutzen kann. Gerade, wenn so ein Stadtteil völlig neu

entsteht, also eigentlich die Chance ist, sowas auch stadtnah zu integrieren. Weil wenn erst

mal Wohnbebauung da ist, und man muss das nachträglich machen, dann wird es halt

schwierig. Es ist gut, es von vorneherein irgendwo, bevor die Nachbarschaft da ist, das zu

ermöglichen.

F: Am Anfang gab es noch Interessengruppen, zwischen denen man vermitteln musste. Zum

einen die Anwohner, die, die im Haus sind, und die städtische Seite. Was kann man da jetzt

sagen?

B: Das war auch eine Riesenaktion, eine Gratwanderung, weil es ja auch vom baurechtlichen

her nicht vorgesehen war, es bleibt eben eine Grauzone. Es hat sich eben etabliert hier. Wir

haben das nie verschwiegen, sondern offensiv vertreten von SUSI aus, dass es diesen

Wagenplatz gibt, eigenverantwortlich natürlich. SUSI übernimmt natürlich nicht die

Verantwortung, was die Leute da machen. Es hat sich halt so entwickelt. Der Freiraum war

da. Und jetzt existiert der Wagenplatz und wir haben gute Erfahrungen damit gemacht. Die

Leute müssen anteilig ihre Unkosten und ihren Verbrauch bezahlen. Ein ganz normales

Wohnverhältnis.

F: Eine nachhaltige Form des Wohnens?

B: Das ist sehr umstritten. Gerade die Grünen haben am Anfang ja manchmal Probleme mit

Wagenplätzen und so, nach dem Motto: wenn die dann irgendwo im Wald sind oder auf einer

Lichtung oder in Gebieten, wo eigentlich gar nicht gebaut werden darf, oder so etwas. Dann

kommt hinzu, dass man nur eine relativ geringe Verdichtung herausholt städtebaulich. Aber

diese zwei Argumente haben wir im Laufe der Jahre geschafft zu entkräften, so dass die

einsichtig sind, und sich auch die Grünen da letztendlich für die Wagenplätze schon auch

einsetzen oder eingesetzt haben. Aber es hat auch gedauert. Es war nicht gleich

73


Lebenswelt

selbstverständlich. Es wird nichts versiegelt, kaum Ressourcen verbraucht, es ist nur eine

temporäre, vorübergehende Sache und es ist vor allem auch eine Wohnform. Dass es eben das

Recht geben soll, dass man eben auch so wohnt, und dann musste man auch klarmachen, dass

immer nur ein verschwindend geringer Teil der Leute sind, die so wohnen oder leben wollen.

Und dass es da eher um Toleranz geht. Dass es das halt auch geben kann. Es sagt ja jetzt

niemand, dass alle in einem Wagen wohnen sollen, sondern es geht einfach darum, dass es

das auch gibt, und seien es nun irgendwelche Leute, die beruflich auf Reisen angewiesen sind,

und es da halt auch passt, ob es jetzt im Wohnmobil ist oder mit dem Zirkuswagen, das sei

mal dahin gestellt. Leute, die ein einfaches Leben leben wollen und die sonst nicht die

Möglichkeit hätten, dass sie sich das erfüllen können, und dass es auch seine Berechtigung

hat.

F: Wie siehst du die Entwicklung in der Stadt Freiburg?

B: (...) Wenn man solche Plätze hat und solche Nischen, dann kann sich eben auch eine

andere Kultur ansiedeln. Früher gab es Gaukler und reisende Händler und sonst etwas, die

haben die Nachrichten mitgebracht von Ort zu Ort und haben dann irgendwo auch kulturell

etwas hereingebracht. Ein Stück weit sehe ich es heute auch noch so, vielleicht ein wenig

sesshafter. Es sind Leute, die einfach leben wollen und kleine Brötchen backen und oft wenig

konsumieren und bei der ganzen Wirtschaftswachstumsgeschichte sich nicht beteiligen

wollen. (2) Freiburg, glaube ich, war ja mal eine Stadt, wo alle Zugang hatten. So habe ich es

irgendwie in Erinnerung vom Heimatkundeunterricht (lacht), dass die Menschen ursprünglich

in den Stadtmauern von Freiburg sicher waren oder sein konnten. Da gab es zumindest mal

irgendwann so eine Zeit.

Abb. 45 - 46: Bau- und Zirkuswagen als lockere Nachverdichtung zwischen ehemaligen

Mannschaftsunterkünften (Quelle: eigen Aug./2004)

74


3.3 Normative Regelungsmechanismen

Normativ

Zur weiteren Konturierung des Phänomens steht im Folgenden die rechtliche

Rahmensetzung im Mittelpunkt. Hierbei werden drei gesonderte Perspektiven eingenommen,

um die Stellung einer Wagenburgkultur zu verorten. Im Speziellen geht es hierbei um

baurechtliche Belange, um die Raumordnungskategorien eines Stadtplanungskonzeptes und

die Berührungspunkte mit der Gesetzesausübung durch die Exekutiven.

3.3.1 Baurecht und Wohnrecht

Für die Beurteilung der rechtlichen Situation von Wagenburgen und ihrer

Grundfunktion des Wohnens sind Bundesbaugesetz (BauGB) 88 , Baunutzungsverordnung

(BauNVO) 89 sowie die jeweils länderspezifischen Bauordnungen die Rechtsgrundlage. Im

Fall von Freiburg im Breisgau ist es somit die Baden-Württembergische Bauordnung, kurz

LBO 90 .

Die auf bundesdeutscher Ebene festgelegten Grundsätze der Bauleitplanung beinhalten

(§ 1 BauGB) „eine dem Wohl der Allgemeinheit entsprechende sozialgerechte

Bodennutzung“, Förderung der „Eigentumsbildung weiter Kreise der Bevölkerung“ sowie

eine „nachhaltige städtebauliche Entwicklung.“ Besondere Berücksichtigung sollen auch „die

Anforderungen Kosten sparenden Bauens“ erfahren. Bodenversiegelung soll „auf das

notwendige Maß“ begrenzt bleiben. All diese Leitgedanken lassen sich mit den Grundsätzen

des Siedlungstypus Wagenburg in Einklang bringen.

Darüber hinaus initiieren und regeln §§ 8-13 BauGB die vorbereitende

Bauleitplanung, sprich den Flächennutzungsplan, und die verbindliche Bauleitplanung, also

den konkreten Bebauungsplan.

Differenzierte Regelungen zur Kategorisierung der Einzelfunktionen des Raumes im

Flächennutzungsplan sind in der BauNVO §§ 2-11 festgeschrieben. Hierbei lässt sich

feststellen, dass grundsätzlich alle Bauflächen und Baugebiete, mit Ausnahme der

Industriegebiete, einer Nutzung für Wagenburgen offen stehen. Gewerbegebiete erhalten

zusätzlich eine gewisse Einschränkung, da hier Wohnflächen, nur im Zusammenhang mit der

gewerblichen Nutzung ermöglicht werden (Bereitschaftspersonal, Aufsichtspersonal,

Betriebsleiter und Betriebsinhaber). 91 Die Sonderbaufläche 92 „experimentelles Wohnen“

88 Quelle: http://www.bundesrecht.juris.de/bbaug/index.html

89 Quelle: http://www.bundesrecht.juris.de/baunvo/index.html

90 Quelle: http://www.bauordnung.at/deutschland/baden-wuerttemberglandesbauordnung.php

91 So genannte beschleunigte und vereinfachte Verfahren (§§ 13 und 13a des BauGB)

ermöglichen die kurzfristige Nachbesserung in der FNP-Zuordnung - im Speziellen für

Belange der Innenentwicklung.

75


Normativ

weist im Gesamtkontext die flexibelsten Raumkategorisierungen für Wagenburgen auf,

insbesondere dadurch, dass von städtischer Seite die ansonsten notwendigen und

kostenintensiven Erschließungsarbeiten nicht geleistet werden müssen. Eine Regelung,

welcher einer auf Autarkie bedachten Wohnform dienlich ist.

Auf bundesdeutscher Gesetzesebene zeigen sich noch die Paragraphen 34 und 35

BauGB mit ihren Festschreibungen zu Bauen im Innen- wie Außenbereich als maßgebliche

Regelungsmechanismen. „Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein

Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und

der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung

einfügt und die Erschließung gesichert ist.“ (Abs.1 § 34) Dieser durchaus wohlwollende

juristische Leitgedanke für die Innenentwicklung zeigt sich in Bezug auf Vorhaben im

Außenbereich wesentlich restriktiver. „Sonstige Vorhaben können im Einzelfall zugelassen

werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und

die Erschließung gesichert ist.“ (Abs.2 § 35 BauGB) Als öffentliche Belange werden im

folgenden dritten Absatz unter anderem die Zersiedelung des Landschaftsbildes, Entstehung

von Splittersiedlungen oder auch die unwirtschaftliche Aufwendung von Erschließungskosten

angeführt. Eine Umwidmung von Außenflächen zum Innenbereich nach § 30 BauGB

ermöglicht juristisch die Ausweitung der Siedlungskontinuität und die Nutzbarmachung von

unmittelbar angrenzenden Räumen.

Des Weiteren können mit Hilfe des § 31 BauGB Ausnahmen und Befreiungen,

Festlegungen einzelner Bebauungspläne zurückgesellt werden, um eine anderweitige Nutzung

zu ermöglichen. „Von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann befreit werden, wenn die

Grundzüge der Planung nicht berührt werden und die Abweichung städtebaulich vertretbar ist

(...) und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den

öffentlichen Belangen vereinbar ist.“ Dies ermöglicht insbesondere eine temporäre Nutzung

funktionsloser bebauter oder unbebauter Flächen. Es zeigt jedoch auch gleichzeitig die

Schnittfläche zu einem Entscheidungsbereich im Politischen.

Was eine konkrete Beurteilung der Wagen nach der LBO Baden-Württemberg

anbelangt, so wurde mehrfach im Sinne einer baulichen Einrichtung nach § 2.1 entschieden

(vgl.: JANSSEN 1998: 33), da insbesondere die Möglichkeit zur Nächtigung und der

Begehbarkeit des Raumes besteht. Bauliche Anlagen bedürfen nach § 49 LBO in Verbindung

mit § 50 und § 51 jedoch grundsätzlich einer Baugenehmigung. Umgehen lässt sich diese an

der Normvorstellung eines Hauses angelehnte Jurisdiktion mit Hilfe des § 38 LBO Bauliche

Anlagen und Räume besonderer Art oder Nutzung. Im Speziellen sind hier auch Camping-

92 Sondergebiete (§ 11 BauNVO) können als Flächennutzungskategorien in allen

Teilgebieten, mit Ausnahme von innerstädtischen Kerngebieten (§ 7 BauNVO), ausgewiesen

werden.

76


Normativ

und Zeltplätze, sowie Fliegende Bauten 93 eingegliedert. Durch eine solche aus

phänomenologischer Sicht näher liegende Kategorisierung des Wagens lassen sich

insbesondere individuelle Lösungsansätze im Bereich der infrastrukturellen Erschließung,

einer freieren Anordnung der Wagen auf dem Gelände, sowie eine flexiblere Regelung in

Bezug auf Abstandsbestimmungen zu Nachbargebäuden realisieren.

Kritisch anzumerken bleibt, dass viele juristische Überbleibsel aus der Nachkriegszeit

- welche der Reurbanisation dienten, nachdem die akute Wohnungsnot gelindert war und man

an die Auflösung von Individuallösungen im Umland der Städte ging- Wagenbewohnern

heute noch entgegen gehalten werden. Bremen erließ 1956 entsprechende Gesetze. Hamburg

verabschiedete 1959 Bestimmungen, welche heute noch, in leicht abgeänderter Form, ihre

Gültigkeit haben. (PRALLE 2000: 20). Auch verbleiben in vielen Städten noch sogenannte

Landfahrerbestimmungen als administrative Restriktionsklausel gegen mobile Wohnformen.

Zusammenfassend sind zwei Dinge festzuhalten. Zum einen zeigt der festgelegte

Gesetzestext eine entstehungsgeschichtlich bedingte Fixierung auf den Kulturbaustein Haus.

Nicht ohne Grund spiegelt sich die Morphogenese des Wortlautes Haus auch in der

legislativen Rahmengebung wider. So spricht man von Hausrecht, Hausherr und

Hausfrieden. Der Wagen hingegen verbleibt mangelhaft definierter Hybrid, für welchen der

legislative Rahmen keine explizit passenden Kategorien bereit hält.

Zweitens verbleiben die verwaltungstechnischen Entscheidungsträger und die

politischen Akteure als Dreh- und Angelpunkt aller rechtlichen Absicherung des Phänomens

im Raum. Auslegungsfreudige Formulierungen wie „öffentliche Belange“ oder „Wahrung der

öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ können schon im Vorfeld gegen das Kulturphänomen

angeführt werden, bevor eine baurechtliche Machbarkeitsstufe erreicht wird. Somit ergibt sich

schnell ein Übergang in die politischen Entscheidungsbereiche der jeweiligen Stadt oder

Kommune. Der juristische Rahmen an sich würde dem Phänomen genügend Raum eröffnen.

Die rechtlich sicherste und politisch unantastbarste Wagenburg steht, verankert mit

einem verbindlichen Bebauungsplan, auf den Flächennutzungsplanfeldern Wohnfläche,

Experimentelles Wohnen oder Mischfläche auf einer Liegenschaft in privatem Eigentum -

womit wir auch gleichzeitig beim letzten und größten juristischen Rahmenfenster angelangt

sind. Artikel II-67 und II-77 artikulieren in der Europäischen Verfassung das Recht auf

Achtung der Wohnung und das Recht auf Besitzen, Nutzen und Verfügen von Eigentum.

Entsprechendes findet sich in den Artikeln 13 und 14 des Grundgesetzes der Bundesrepublik

Deutschland, welche Unverletzlichkeit der Wohnung 94 und des Eigentums garantieren.

93 Durch Einordnung der Wagen unter § 69 LBO Fliegende Bauten entfällt die Anfertigung

einer baurechtlichen Genehmigung, wodurch jedoch gleichzeitig nur eine

Ausführungsgenehmigung für eine Frist von bis zu fünf Jahren bestehen kann, welche bei

Ablauf stets um dieselbe Periode verlängert werden kann.

94 Der Verwaltungsgerichtshof Baden Württemberg (Az.: 1 S 2446/96) befindet hierzu am

15.04.1997: „Es spricht vieles dafür, dass die Wohn- und Bauwagen der Wagenburg [XXX]

77


3.3.2 Flächen und Nutzungsplan

Normativ

Was die Lage der Wagenburgen in Bezug auf die Kategorien eines

Flächennutzungsplanes (FNP) anbelangt, so zeigt sich ein relativ ungebundenes Verhältnis.

Die acht Freiburger Wagenburgen sind auf sechs unterschiedlichen Grundflächenkategorien

anzutreffen, worin sich zum einen die rechtlich labile Lage und die oftmals fehlende

administrative Verankerung des Kulturphänomens durchpaust – zum anderen sich aber auch

die Anpassungsfähigkeit der Wohnform an die unterschiedlichsten Raumbedingungen

widerspiegelt.

Die folgenden Zuordnungen zwischen Wagenburgen und dem am 09.12.2006 in Kraft

getretenen Flächennutzungsplan 2020 95 der Stadt Freiburg wurden mit Informationen aus

einem Gespräch mit dem Leiter des PRISE Institutes, Herrn Schröder-Klings, 96 ergänzt.

Biohum

Eselswinkel

Aufgrund einer zeitlichen Befristung bis 2012 konnte diese städtisch geleitete

Wagenburg im Naturschutzgebiet errichtet werden. Bauliche Einrichtungen können

in gemarkungsübergreifenden Schutzgebieten jedoch nicht im FNP ausgewiesen

werden. Das Areal würde auf einer Waldfläche am Rande eines Schutzgebietes

liegen.

Die zweite städtische Wagenburg ist als Sonderbaufläche für Experimentelles

Wohnen ausgewiesen. Eine Kategorisierung, die von infrastrukturellen

Erschließungspflichten wie Frisch-, Abwasser, Strom und Straße befreit. Der

Wagenplatz hier weist jedoch all diese Grundversorgungen auf. Die

Kategorisierung kann in allen Teilarealen ausgewiesen werden mit Ausnahme

Naturschutzgebiet und Industriegebiet. 97

Wohnungen im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG sind (vgl. BVerfGE 89, 1). “ Wodurch sich in

zweiter Ableitung ergibt, dass das Durchsuchen und Eindringen in die Wagen nur nach

richterlichem Beschluss erfolgen darf, es sei denn, es handelt sich um Gefahr im Verzug oder

um Abwehr einer gemeinen Gefahr (Art. 13 Abs. 2 und 3 GG).

95

(Drucksache G06/132) Feststellung des Flächennutzungsplans 2020 und des

Landschaftsplans 2020

96

Gesamtes Interview im Anhang ➣ 6.3.3

97

Flächennutzungstypus, der in Freiburg unter Gewerbefläche integriert ist.

78


Schattenpark

Waldmenschen

Punkstadt

Urstrom

Ölmühle

Susiburg

Normativ

Die Wagenburg liegt auf zwei durch eine Zufahrtsstrasse getrennte Flächen, die

sich in städtischem Besitz befinden und von welchen derzeit noch eine als

Sonderbaufläche Forschung 98 ausgewiesen ist. Sie wird jedoch ab 2011 ebenfalls

als Gewerbefläche verzeichnet sein. Das komplette umliegende Areal (ca. 2,5 ha)

soll – bedingt durch das Ende aller umliegenden Pachtverträge 2010/2011 – auf

den Markt gebracht werden (Wert circa: 3 Millionen / 120 Euro pro

Gewerbegebietsquadratmeter).

Diese Wagenburg liegt auf Sonderbaufläche für großflächigen Einzelhandel. Das

Gebiet ist zusätzlich mit einem schwarzen X markiert, was auf erheblich mit

umweltgefährdenden Stoffen belastete Böden hinweist. Bis zum Jahr 2009 soll

hier ein weiteres Möbelzentrum entstehen. Für circa 5 Millionen Euro wird das

Gesamtareal erworben werden, zuzüglich Altlastbeseitigung.

Überörtliche oder örtliche Verkehrsflächen mit zusätzlichem Verweis auf Park

and Ride zeichnet die Grundfläche dieser Wagenburg im FNP aus. Eine noch

nicht existente Stadtbahnlinie ist ebenfalls als Signatur vertreten.

Am Übergang zwischen Landwirtschaftlicher Nutzfläche und Waldfläche befindet

sich die kleinste Freiburger Wagenburg.

Landwirtschaftliche Nutzfläche stellt auch die Raumdarstellung im FNP für die

Wagenburg am Siedlungssplitter Ölmühle dar.

Zwischen den beiden ehemaligen Quartiersunterkünften der französischen Armee

befindet sich die einzige Freiburger Wagenburg mit der Zuordnung zu

Wohnbaufläche.

98 Ursprünglich war die Errichtung eines Frauenhofer-Institutes geplant.

79


Normativ

Was eine Zuordnung zu dem als Zusatz verabschiedeten Landschaftsplan 2020

anbelangt, so zeigt sich die Wagenburg Biohum auf einer Fläche mit naturnahen

Waldbeständen im Naturschutzgebiet. Eselswinkel, Schattenpark und Waldmenschen

befinden sich auf gewerblichen Bauflächen. Auf der Kategorie Straßenbaufläche und

Bahnanlagen befindet sich Punkstadt. Solarburg liegt auf landwirtschaftlichen Flächen. Das

Umfeld der Wagenburg Ölmühle wird als eine der wenigen unzugeordneten Flächenschnipsel

als weiße Fläche dargestellt, was der Legendenbetitelung Offenhaltung entspricht. Susiburg

steht als einzige Freiburger Wagenburg auf Wohnbaufläche.

Abschließend bleibt zu bemerken, dass auch die richtige Zuordnung zu

Wohnbaufläche, Gemischte Bauflächen oder Experimentellem Wohnen keine Rechtssicherheit

per se bietet. Hiermit wird nur die Grundlage geschaffen, um eine baurechtliche Verankerung

FNP-konform zu entwerfen, was somit erst im zweiten Schritt eine Absicherung gleichrangig

mit anderer Bebauung ergibt.

Flächennutzungspläne sind auf 15 bis 20 Jahre ausgelegt. Wagenburgen existieren

zeitweise nur für Monate, manchmal sogar nur für Wochen an einem Ort. Das Ganze

Kulturphänomen in seiner heutigen postmodernen Formung existiert seit gerade einmal 25

Jahren, wobei die starke Motorisierung des Phänomens noch nicht einmal seit 15 Jahren

besteht. Beides, Flächennutzungsplan und Kulturphänomen, befindet sich deshalb größtenteils

auf parallelen, sich nicht überschneidenden Räumen, bedingt - unter anderem - durch die

historische und konkrete raumzeitliche Divergenz.

3.3.3 Rechtsstaatliche Sicherheit

Bei der Betrachtung des Kulturphänomens durch den normativen Rahmen eines

Rechtsstaates und seine juristisch fixierten Regeln des Zusammenlebens in Ordnung und

Sicherheit und der daraus hervorgehenden Verwaltung, Kontrolle und Registrierung durch die

exekutiven Staatsorgane bleibt zunächst anzumerken, dass Privatpersonen der Zugang zu

etwaigen Statistiken in Baden Württemberg nicht gegeben ist, und sich hieraus eine Erfassung

erschwert. Ein erweitertes Informationsgesetz, welches derzeit noch in der politischen

Diskussion ist und in anderen Bundesländern bereits verwirklicht wurde, wird die

Auskunftspflicht der staatlichen Träger gegenüber Dritten vertiefen. 99

Aufgrund dieses gegenwärtigen Faktums verbleibt das narrative Interview als einzige

empirische Methode zur Sachverhaltsklärung des Zusammenhangs von Wagenburgkultur und

exekutiver Gewalt. Ein Interview mit dem Polizeihauptkommissar a.D. Günther Zinnkann soll

daher im Folgenden die Sachlage der Wagenburgen in Freiburg erhellen. Als Bezirksleiter des

99 Anfragen auf Einsicht bei beiden Freiburger Polizeirevieren wurde nicht stattgegeben (Okt.

2006)

80


Normativ

Polizeireviers Nord übernahm er, nach Abzug der französischen Armee, federführend und vor

Ort die Überwachung und Kontrolle des brachliegenden Areals. Das Vauban-Quartier stellt in

den Jahren 1992 bis 1997, wie im historischen Teil bereits erörtert, die größte

Wagenburgbündelung in der Geschichte der Stadt Freiburg dar. Mehr als 10 Wagenburgen

und ungefähr 120 Wagenbewohner rezivilisierten das Gelände, bevor Stadtplanungsämter das

Areal für sich entdeckten.

Günther Zinnkann Polizeihauptkommissar a.D. - Leiter des Bezirksdienstes Polizeirevier Freiburg-

Süd. Donnerstag, 23. November 2006, 15:00 Uhr. 100

F: Als Polizeibeamter hat man wohl einen besonderen Bezug zur Wagenburgthematik?

Z: Ja, aus dem dienstlichen Bereich heraus natürlich. Von der polizeilichen Aufgabe her.

F: Was stand in den Berichten drin, die Sie anfertigen mussten über das Vauban-Gelände?

Z: Wenn ich auf dem Platz gewesen bin und habe da Unregelmäßigkeiten festgestellt, dann

habe ich auch ein Vorkommnis darüber geschrieben. Wenn also zum Beispiel neue Leute auf

den Platz gekommen sind, die wurden dann kontrolliert (2) auf menschlicher Basis. Zum Teil

kannte ich die dann auch schon, dadurch war es einfach. Anhand der Kennzeichen habe ich

dann die Halter festgestellt. Ich wollte die Menschen, die auch jetzt schon in einer

schwierigen Situation waren, jetzt auch nicht noch von behördlicher Seite zu arg piesacken

und (2) wie soll ich sagen (1) demoralisieren. Sie waren mir alle an und für sich herzlich

willkommen dort. Man hatte sie dann eben auch unter Kontrolle. Man wusste, wo die Leute

eben auch sind, das sie nicht im Wald wild kampieren oder auf der Straße herumstehen. Heute

mal in der Dortusstraße, morgen in der Kaiser-Josefstrasse, mal hier, mal dort. Das ist ja auch

keine gute Sache. Da ist es schon besser wenn man einen Platz hat, von dem man weiß, dass

er voraussichtlich die nächsten paar Jahre nicht bebaut wird. Und, ich habe dann auch immer

in den Vorkommnissen, dann rein geschrieben, wie dann eben die Entwicklung auf dem

Gelände ist, was sich tut und Straftaten vor allen Dingen, die sich ereignet haben.

F: Gab es da eine Mehrung im Vergleich zu anderen Stadtvierteln?

Z: Nein, gar nicht. Also wir hatten ganz wenige Straftaten. Als die Wagenburg dort

eingezogen ist auf diesem riesigen Gelände, da hatten schon die Stadträte von Freiburg

gemeint: jetzt gibt es Zoff dort draußen, jetzt kommt mehr oder weniger so ne multikulturelles

Irgendwas. Es kommen sozial schwache Leute dort hin, die selbst mit sich nicht im Reinen

sind, die mit andern Krach bekommen, die stehlen, die klauen, die dort mit Fahrzeugen

handeln, die mit Rauschgift handeln. (2) Aber, diese Leute, die eben in den Wagenburgen

waren, die hatten ihre eigene Lebensvorstellung gehabt. Und es waren auch zum Teil, Leute

zwischen 30 und 50 Jahren, junge Leute gab es damals noch relativ wenige, es gab zwar

100 Gesamtes Interview siehe Anhang ➣ 6.3.6

81


Normativ

welche, aber es waren weniger. Und die haben in ihrem Leben schon soviel erlebt, dass sie

gar kein Interesse daran hatten, irgendwie polizeilich zu stark aufzufallen. (2) Aber,

Vorkommnisse wurden natürlich gefertigt, wenn zum Beispiel Cannabis gefunden wurde oder

wenn, interessant war auch immer, wenn man mir gemeldet hat: da hat wieder jemand ein

Schrottauto abgestellt. Etwas, das allerdings nicht zu den Wagenburgen gehörte. Also es gab

auch noch Nebenerscheinungen, die von polizeilicher Seite aus bearbeitet werden mussten.

Verstoß gegen Abfallbeseitigungsgesetz. Also immer wenn da einmal wieder größere Haufen

Abfall lagen, dann wurde von den Leuten dort behauptet: Das waren die Wagenburgler. Es

hat sich nur dann herauskristallisiert, dass es gar nicht die Wagenburgler waren, sondern

Leute aus der Stadt, die ihren ganzen Mist rein gefahren haben in die Vauban Kaserne und

haben es dort hingeschmissen, dann musste sich immer wieder die Stadt um die Entsorgung

kümmern. Wenn sie dann am Ende von zwei drei Jahren 100 Schrottfahrzeuge 101 haben, das

geht ins Geld. Und immer waren die Wagenburgler mit unter Verdacht und dabei waren die

noch sauberer wie manch ein Bürger in der Stadt.

F: Was war Ihre spezielle Aufgabe Herr Zinnkann?

F: Ja, Herr Metzger war ja Revierführer. Ich war derjenige, der den Bezirksdienst geleitet

hatte und hatte auch 12 Leute unter mir. Und habe auch gesagt, ich mach das. Ihr braucht

euch darum nicht zu kümmern. Ich mach das. Und es ist besser, wenn das ein Polizist gezielt

macht, dann verliert der die Übersicht nicht. Er ist informiert über alles und hat Personen und

Ortskenntnisse. Ansonsten ist es nicht möglich dazu ein Urteil abzugeben. (2) Und, am Ende

eines Jahres, das muss so 95 gewesen sein, da wurden Herr Metzger und ich eingeladen zu

einem Ausschuss des Gemeinderates um ein Referat zu halten über die Ansammlungen,

wieviele Wagenburgen sich dort befänden. Wie die Leute sich verhalten. Wie die Kriminalität

ist. Wie die Stimmung ist. Und so weiter. Und, da haben die also erst einmal gestaunt, als ich

denen erzählte, dass Kriminalität gleich Null ist, dass also die Menschen im Vauban-Gelände

sich anständig verhalten und auch keinen Anlass geben für polizeiliche Razzien, (2) mit

Polizeiüberfällen, wie die Wägler gerne sagen in ihren Kreisen. Nein. Es war wirklich nichts.

F: Kam es denn in der ganzen Zeit nie dazu?

Z: Nein, es kam nie dazu. Es kam überhaupt nicht dazu.

F: Kam es zu Räumungen auf dem Gelände?

Z: Ja, es kam zu Räumungen, nachdem feststand, dass gebaut wurde. Und dann kam für die

Wagenburgler, die wussten zwar, dass, sie wurden auch ein paar Mal von der Stadt

aufgefordert, das Gelände zu verlassen. Aber dass die nicht gehen, das war voraussehbar.

101 Zwischen 1992 und 1998 mussten über 100 illegal abgestellte Autowracks sowie Unrat im

Umfang von circa 200 Kubikmeter entfernt werden.

82


Normativ

Und wenn sie einmal monatelang dort stehen und geduldet werden, dann haben die sozusagen

auch ein Wohnrecht da drauf wo sie sind. Da kann man die dann nicht mehr so ohne weiteres

raus schmeißen, so im Zuge von Gefahr im Verzug oder sonst so was. Das geht ja gar nicht.

Das ist unmöglich. Das kann man nicht. Dann hat man eben versucht einen Kompromiss zu

schließen indem man einen anderen Platz anbietet. Plätze, die jedoch meist abgelehnt wurden

von den 120 Leuten, die dort waren, so kam die Stadt nicht umhin, eine Räumungsklage

einzureichen.

F: Würden Sie sagen, es gibt den typischen Wagenburgbewohner?

Z: (3) Mittlerweile würde ich schon sagen, der typische Wagenburgbewohner, das ist ein

Mensch, der sich an diese Wohnart gewöhnen kann und der die Vorteile merkt, die es hat,

sich einen eigenen Bereich aufzubauen, wo er sein Herrschaftsbereich hat. Wo es niemanden

mehr gibt der ihm was sagen kann, wie zum Beispiel in einem großen Wohnhaus. (2) Es ist

bei manchen natürlich auch ein finanzieller Aspekt, das darf man nicht vergessen. Wenn ich

364 Euro im Monat hab oder mir jeden Tag meine 9 Euro abhole. Wie kann ich da ne Miete

bezahlen? Dann mich verköstigen? Das geht ja gar nicht. Das ist rein theoretisch nicht

möglich.

F: Wie ließe sich die Thematik in Bezug auf Politik und Polizei entschärfen?

Z: 102 Es liegt, glaube ich, in der ganzen Geschichte einfach nur da dran, dass es am Platz fehlt.

Es gibt die Möglichkeit sie zu dulden auf privaten Plätzen und da sind Leute angesprochen,

Grundstücksbesitzer hier im Umland von Freiburg. Dann wäre dies alles kein Problem.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass sich die Konzentration aller in Wagen

lebenden Menschen an einem Ort für die Exekutive als einfachste und effizienteste

Überwachung und Registrierung zeigt. Die historisch größte Wagenburgagglomeration auf

dem ehemaligen Kasernengelände der Vauban wies im Vergleich zu anderen Stadtteilen aus

polizeilicher Sicht keine feststellbaren Unterschiede auf. Die Kriminalität tendierte gegen

Null. 103

Darüber hinaus zeigte sich eine Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung des

Phänomens aus polizeilicher Sicht und den beschlussfassenden Organen der Stadt, welche

oftmals eine negative Vorstellung mit Wagenburgkultur verbinden. Als zentrales Problem der

Thematik stellte sich auch aus Sicht der exekutiven Gewalt der zur Verfügung stehende Raum

dar.

102 Ein Belobigungsschreiben des Polizeipräsidenten der Landespolizeidirektion bestätigt

Herrn Zinnkann eine vorbildliche Ausführung seines Dienstes, hohe soziale Kompetenz und

menschliche Integrität. (Az: 14/0300.6-2 / 18.07.1997)

103 Gleiches attestiert der Abteilungsleiter des Jugend- und Sozialamt Herr Würthemberger

(vgl.: ➣ 6.3.5.)

83


Exkurs: Konsensfindung Stadt vs. Wagenburg

Konsens

Dies soll keine akademisch erweiterte Reproduktion einer Dichotomie darstellen, sondern

vielmehr die Anatomie eines möglichen und notwendigen Dialoges aufzeigen zur Vermittlung

eines Interessenskonflikts zwischen Stadtverwaltung/-politik und Wagenburggemeinschaften.

Die Aufstellung wurde so gewählt, dass Forderungen und Möglichkeiten jeweils mögliche

Entsprechungen als Pendant bekommen und sich somit ein gemeinsames Interesse ausweisen

lassen kann. 104

Wagenburggemeinschaften Stadtverwaltung

• Lobbyarbeit und Imagekampagnen

• eigenständige Platzsuche/Vorauswahl

• Mobilität ermöglicht kurz- und

mittelfristige Nutzung brachliegender

Flächen

• Erwerb oder Pacht privater Flächen

• Gründung eines eingetragenen Vereins

• Gästewagen, Durchfahrerplätze

• Erschließung in Eigeninitiative

• Zaunbau, Wegenetz

• Komposttoiletten

• Wasserversorgung

• Autarke Solarstromversorgung

• Nachhaltige Wohnform

• Hohe Flexibilität, kleine modulare

• Soziale Akzeptanz im Umfeld

• Kostenintensive Standortsuche

• Kameralistik

• Beschränkte Anzahl stadteigener Flächen

• Vertragssicherheit und kontinuierliche

Ansprechpartner

• Zuzugsregelungen

• Erschließungskostenminimierung

• Klimaschutzauflagen

• FNP-Konformität

104 Die tabellarische Gegenüberstellung basiert auf einem Gespräch mit dem Leiter des

Stadtplanungsamtes Freiburg, Herrn Chemnitz, und verschiedenen Wagenbewohnern. Die

Auflistung wurde darüber hinaus um weitere Unterpunkte erweitert.


Wohneinheiten

• Kulturelle Bereicherung

• Selbsthilfe-Werkstätten

• Waldkindergärten

• Beitrag gegen Rechtsextremismus

• Kulturbühne

• Sicherheitsgewinn für temporär genutzte

Räume (Kleingartenanlagen,

Gewerbegebiete, Bauhöfe), keine

Entsorgung von Müll auf Brachflächen.

• Nutzung von Siedlungssplittern

• Selbstverwaltung

• Kostengünstige Eigentumsbildung

• kein Naturschutz-, Wasserschutz-,

Überschwemmungsgebiet 105 ,

Industriegebiet oder Biotop

• Vielfältige und pluralistische Stadt

• Sicherheit und Ordnung

• Siedlungskontinuität

• Minimierung des Verwaltungsaufwands

• Fürsorgepflicht bei Obdachlosigkeit

Normativ

105 Wobei: „Wasserschutzgebiete stellen in der Regel keine Restriktionsflächen für

Bauwagensiedlungen dar.“ (Drucksache G 00191.1) Stadtplanungsamt, Herr Weigand, und

Umweltschutzamt, Herr Lehn.

85


3.4 Nachhaltige Ökosphären

Nachhaltigkeit

Zur weiteren Konturierung des Phänomens erscheint die Hinterfragung eines oftmals

kontrovers debattierten Postulates über Nachhaltigkeit 106 und die ökologische Vertretbarkeit

der Kulturerscheinung angebracht. Können Wagenburgen einen experimentellen Beitrag zu

einem Nachhaltigkeitsdiskurs liefern? Ein Diskurs, welcher seinen Ausgangspunkt in

verschriftlichter Form 1987 in dem erschienenen Brundtland-Bericht 107 erhielt und über die

UNCED-Konferenz in Rio 1992 seine Transformation zur Agenda 21 bekam.

3.4.1 Zukunftsagenda

Auch Freiburg ist, genau wie 2600 Kommunen Deutschlands, Unterzeichner der Lokal

Agenda 21 (und der Charta von Aalborg) und verpflichtete sich somit dem dreigliedrigen

Leitgedanken, bestehend aus ökologischer Verträglichkeit, ökonomischer Vernunft und

sozialer Gerechtigkeit. Konkret ausbuchstabiert lautet er hier: „Freiburgs Entwicklung wird

als nachhaltig zu bezeichnen sein, wenn die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gewährleistet

ist, die soziale Gerechtigkeit gestärkt wird und die ökologisch Lebensgrundlag für Menschen,

Tiere und Pflanzen auch für kommende Generationen erhalten und verbessert werden.“

(STADT FREIBURG 2006: 5) Erweitert wird der triptychonale Gedanke um die Komponente

des bürgerschaftlichen Engagements – sprich horizontale Verhandlungssysteme und

kooperative Handlungsprogramme zur Entwicklung einer integrativen Umsetzungsstrategie,

als Teil eines neuen Polittypus. 108

Just an dieser Stelle liegt auch der Anknüpfungspunkt zu den zivilen Akteuren der

einzelnen Wagenburgkulturen, die sich parataktisch um die Realisation ihres Lebensstils und

die damit verbundenen Raumvorstellungen in den politischen Diskurs einbringen. Inwiefern

hier die inhaltlichen Bestandteile der drei schwammig fixierten Nachhaltigkeitsaxiome eine

realweltliche Transmission erfahren, zeigt die folgende Ausführung.

3.4.2 Wagenspur

Vereinfachend gesagt tragen fünf Grundfaktoren wesentlich dazu bei, dass

Wagenburgen einen nachhaltigen Wohnbaustein auf Rädern mit geringem ökologischen

Abdruck darstellen können: die fast völlig ausbleibende Bodenversiegelung,

106

Definition: „Langfristige Sicherung der natürlichen Lebensbedingungen; Befriedigung der

Grundbedürfnisse aller Menschen; Notwendigkeit der systematischen Verknüpfung von

sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Entwicklungsaspekten.“ (BRANDT 2002: 91)

Synonyme sind: „Dauerhaftigkeit, Zukunftsfähigkeit, Zukunftsbeständigkeit, Tragfähigkeit,

Sustainability“ (DANGSCHAT 1997: 169).

107

Our Common Future von der ehemaligen norwegischen Umwelt- und Premierministerin

Gro Harlem Brundtland (BRUNDTLAND 1987).

108

In Freiburg erstmalig praktiziert (2005/06) durch die aktive Integration von 900 Bürgern

über Moderationsteams bei der Gestaltung des neuen FNP-2020.(STADT FREIBURG 2006: 6 f.)


Nachhaltigkeit

Materialrecycling, die Abkopplung von regulären Infrastrukturleistungen, das minimalistische

Raumangebot und der damit einhergehende Lebensvollzug.

Das Raumangebot, welches sich bei den meisten Wagen zwischen 8 und 18 qm

bewegt, schlägt sich unmittelbar in reduziertem Heizaufwand nieder, wenngleich die oftmals

mangelhafte Isolierung und die sechs Außenflächen ohne Unterkellerung und Speicher im

Vergleich zum Haus zwangsläufig eine höhere Wärmeabgabe ergeben. Wie die folgende

tabellarische Gegenüberstellung jedoch untermauern wird, zeigt sich, bezogen auf den

realweltlichen Stoffverbrauch eines Individuums, der Ressourcenaufwand im Vergleich als

geringer.

Darüber hinaus sorgt das minimalistische Raumvolumen für die reduzierten

Unterbringungsmöglichkeit von materiellen Gütern. Fehlende Nebenräume, Speicher und

Keller bringen zwangsläufig eine Beschränkung auf wenige essentielle Gegenstände mit sich.

Die Raumgröße an sich verbleibt Regulierungsmaßstab für den Umfang der möglichen

Besitzgegenstände und dem damit einhergehenden materiellen Konsum.

Weiter braucht und erlaubt ein kleiner Raum nur eine geringe Möblierung. Die jeweils

speziellen Raumanforderungen - sei es nun im Koffer eines ausgedienten LKW′s oder unter

dem gewölbten Dach eines Bauwagens - erfordern individuelle Lösungsansätze, um den

Innenausbau so effizient und multifunktional wie möglich zu gestalten. Recycling von

Altstoffen stellt hierbei nicht nur eine kostengünstige, sondern auch eine modulare

Möblierung dar, welche zugeschnitten und eingepasst werden kann. Aufgrund der

Möglichkeit zur Mobilität sind fast alle Bauteile fest installiert, was die Erneuerungsquote

und die damit verbundene Müll- und Neuproduktion reduziert.

Was sich als ressourcenschonende Innenwelt auszeichnet, kann im Falle der Hülle

ökologische Probleme mit sich bringen. Die Nutzung von ausgemusterten LKW′s und Bussen

als Wohneinheiten kann, bedingt durch das hohe Alter der meisten Fahrzeuge wegen

undichter Kühl- oder Ölkreisläufe die Nachhaltigkeit in Bezug auf Böden entscheidend

verringern. Gemeinsam bleibt jedoch allen Wohneinheiten, dass es sich nicht um

Neuproduktion handelt. Allesamt sind Zweckumwandlungen - wie im Falle eines umgebauten

Möbelwagens oder Postlieferbusses - oder eine Weiternutzung ausgedienter Wohneinheiten

wie schwerfälligen Zirkuswagen oder Bauwagen.

Gleichsam bedecken alle Wagen nur vier postkartengroße Bodenflächen mit ihren

Rädern und reduzieren durch ihr stelzenhaftes temporäres Verbleiben die Bodenversiegelung

auf eine Minimum.

Weiter zeigt sich die Abkopplung von standardisierten infrastrukturellen

Grundleistungen als ressourcenschonender, bewusster Umgang mit Substituten. Der

Wasserhahn ist vielfach ersetzt durch den täglichen Gang zu einer zentralen Wasserstelle mit

dem Kanister. Der Strom wir über Solarpaneele selbst erzeugt und steht nur in einem

87


Nachhaltigkeit

beschränkten Umfang zur Verfügung. Die Klärfunktion von Komposttoiletten oder aber auch

die Wirtschaftlichkeit von dezentralen Sammelbehältern, welche von Abpumpfirmen mit

einem Fahrzeug entleert werden müssen, stehe als Diskussionspunkt im Raum. Beide

Systeme reduzieren jedoch den Wasserverbrauch um ein Vielfaches im Vergleich zu

regulären Hausanschlüssen.

Die folgende tabellarische Verbrauchs-Darstellung darf nicht als absoluter Mittelwert

gesehen werden, da sowohl bei den privaten, wie auch bei den städtisch geleiteten

Wagenburgen oftmals eine exakte Messung pro Person nicht gegeben werden kann.

Nichtsdestotrotz wurden alle Zahlen nach bestem Wissen und Gewissen dargestellt und

versucht, so viele differenzierte Aspekte wie möglich und nötig einfließen zu lassen. Eine

Grundtendenz bleibt auch ohne die exakten Nachkommastellen mehr als deutlich erkennbar.

Alle Zahlen sind temperaturbereinigt und beziehen sich auf den Verbrauch einer Person pro

Jahr.

Verbrauchsart Strom Frischwasser Abwasser Kfz-Kraftstoff Heizung

Eselswinkel 673 € 32.000 l 30.000 l 100 l 5 Ster*

Biohum 426 € 32.000 l 30.000 l 19 l 5 Ster*

Schattenpark 0 € 3200 l 360 l 0 - 1600 l 3 - 4,5 Ster**

Ölmühle 0 € 3100 l 330 l 0 l 2,5 Ster

Urstrom 0 € 2400 l 570 l 416 l 4 Ster

Wagenburgen Ø 220 € 14.540 l 12.252 l 267 l

Deutschland Ø 109 600 € 46.000 l 46.000 l 720 l

4 Ster

3,8 Ster***

Abb. 45: Verbrauchszahlenlistung

*oder z.T. 2 Tonnen Briketts. ** oder z.T. 60-80 kg Gas (Holzbefeuerung stellt bei den drei nicht städtisch geleiteten Wagenburgen jedoch

die Regel dar). *** Umrechnung: 1 Ster entspricht 500 kg mit 3,6 kwh Heizleistung je kg.

Anzufügen bleibt, dass bei der kostenneutralen Stromversorgung der drei nicht

städtisch geleiteten Wagenburgen Schattenpark, Ölmühle und Urstrom die Produktion der

Solarmodule mit in eine Ökobilanz einfließen müsste. Die Stromkostenunterschiede zwischen

den beiden städtisch verwalteten Wagenburgen ergeben sich insbesondere durch die

109 Quellen: http://www.biologie.de/biowiki/Durchschnittsverbrauch

http://www.destatis.de/download/d/ugr/tabanhangprivatehaushalte.pdf

Niedrigenergiehäuser oder Passiv-Häuser unterschreiten diese Durchschnittswerte deutlich.

Im Vergleich zur Wagenburg steht diese Form der Nachhaltigkeit jedoch meist verbunden mit

Neubau und in engem Zusammenhang mit monetärer Liquidität.

88


Nachhaltigkeit

Warmwasserzubereitung in den Sanitärcontainern. Beim Frischwasserverbrauch ist bei

Solarburg noch die Tränkung der Tierbestände in regenarmen Monaten beinhaltet. Was den

Kraftstoffverbrauch anbelangt, so sind drei Bewohner des Wagenplatzes Eselswinkel mit

einem PKW ausgestattet. In der Wagenburg Schattenpark zeigt sich die grundlegende

Differenz zwischen dem Besitz eines LKWs und dem damit verbundenen hohen

Kraftstoffverbrauch bei Bewegung und der quasi-immobilen Wohnform in Bau- oder

Zirkuswagen. Die Kraftstoffangabe für Biohum kann trotz 19 Personen so genau ausfallen, da

gemeinsam nur ein Traktor samt Hänger für sämtliche Fahrten (hauptsächlich Einkäufe)

verwendet wird. Als letzter Punkt steht der Heizaufwand, welcher sich bei der Wagenburg

Ölmühle insbesondere durch die familienartige Struktur und den damit verbundenen

Aufenthalt in einem Gemeinschaftswagen auf die geringe Zahl von 2,5 Ster pro Person und

Heizperiode beläuft.

Zur qualitativen Bündelung und Erfassung der tabellarisch gewonnen Datenstruktur

eignet sich das inzwischen viel benutzte Theorem eines ökologischen Fußabdrucks. Mathis

Wackernagel und William E. Rees entwickelten 1994 ein Konzept, mit dessen Hilfe der

tatsächliche Flächenverbrauch für einen Lebensstil errechnet werden kann. 110 Es handelt sich

hierbei um die Annäherung an ein ganzheitliches Konzept, welches den konkreten

Lebensvollzug des einzelnen Menschen und den damit einhergehenden Verbrauch von

Stoffen in Relation zu der benötigten Fläche für Produktion und Absorption derer stellt. Oder

anders gesagt: der ökologische Fußabdruck ist die Summe aller benötigten Flächen zur

Bereitstellung der Stoffe eines Lebensstils. Nachhaltigkeit zeigt sich, sobald die rein

theoretisch zur Verfügung stehende Fläche von 2,2 ha pro Erdenbürger unterschritten wird.

2006 wurden 4,5 ha benötigt, um den Lebensstil eines deutschen Staatsbürgers zu generieren.

Im Vergleich hierzu beläuft sich die Umrechnung mit den gemittelten Verhältnissen der

Verbrauchszahlen auf den Flächenbedarf einer im Wagen lebende Person auf 2,3 ha. 111

Es zeigt sich darüber hinaus auch ein einfacher monokausaler Nexus zwischen Raum

und Nachhaltigkeit, was das Kulturphänomen als Ganzes betrifft. Erst ein gesichertes

längerfristiges räumliches Verbleiben auf einem Platz ermöglicht die nachhaltige

Entwicklung des Lebensmilieus als Ganzes. Bestes Beispiel ist hier der seit 1994

selbstverwaltete Wagenplatz auf einem ehemaligen Kasernenareal in Tübingen/Schwaben

(vgl.: TÜBINGEN 2000). Solarpaneele können dauerhaft aufgerichtet auf den Wagen installiert

werden, so dass der höchste Wirkungsgrad erzielt wird. Urbane Agrikultur kann sich

ausbilden. Regenwassernutzungssysteme und Komposttoiletten lassen sich errichten.

Gemeinschaftsräume können entstehen, welche den Heizaufwand im Winter deutlich

reduzieren. Der entscheidende und alles überlagernde Faktor verbleibt die sinkende oder ganz

110 (WACKERNAGEL, REES 1997: 21 ff.)

111 Frisch- und Abwasser wurden als eine gemittelte Verhältniszahl eingebracht. Die

Hinzunahme weiterer Kategorien – neben Wasser, Strom, Verkehr und Heizung – wie Freizeit

oder Konsum würde das Bild weiter ausdifferenzieren und vermutlich die Tendenzen in

dieselbe Richtung bestätigen.

89


Öffentlichkeit

stagnierende Mobilität mit dem damit verbundenen sinkenden Diesel- und Benzinverbrauch

bei LKW′s, Bussen und Zuggespannen. Rechtssicherheit im Raum ist daher eng gekoppelt

mit der Entwicklung von Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit jedoch nicht nur im ökologischen

Sinne, sondern auch im sozialen Bereich sowie im wirtschaftlichen. Ausbildungen, Arbeit

oder Studium können durch wegfallenden Räumungsdruck konsequenter verfolgt werden.

Darüber hinaus verfestigen sich durch den Bezug eines Platzes soziale Strukturen zwischen

den einzelnen Wagenbewohnern, aber auch hin zu den im-mobilen Bevölkerungsmilieus.

3.5 Kontextuelle Transformation

Wie konstruiert und konstatiert sich dieses Verhältnis zwischen quasi-sesshaften

Hausbewohnern und semi-mobilen Wagenbewohnern? Im Folgenden wird hierzu das

öffentliche Meinungsbild, sowie die mediale Repräsentation zu einer differenzierteren

Erfassung der Wagenburgkultur analysiert.

3.5.1 Die Öffentlichkeit

Das Einbringen einer zusätzlichen Perspektive auf die Kulturerscheinung Wagenburg

soll Transformationsmechanismen zwischen der selbigen und der öffentlichen Meinung

freilegen. Im Speziellen geht es um die konstruktivistischen Bestandteile des öffentlichen

Meinungsbildes in räumlicher, soziologischer, politischer und historischer Ausprägung, zu

deren Erfassung 246 Umfragebögen angefertigt wurden. (Blankomuster siehe Anhang ➣

6.1.3).

Neben Interview und Telefonumfrage, schien aus zeitökonomischer und aus

hermeneutischer Sicht eine Briefumfrage am geeignetsten zu sein, um ein valides und

verifizierbares Ergebnis zu bekommen. 112 Antwortverzerrungen gegenüber anderen

Erhebungsmethoden scheinen hier in geringster Quantität aufzutreten, wenngleich die

Streuung der Fragebögen und die damit erreichte Grundgesamtheit ein ausschlaggebender

Parameter ist.

Durch die Kombination von zwei methodischen Vorüberlegungen wurde versucht, alle

Freiburger 101.700 Haushalte gleichmäßig und repräsentativ zu erreichen. Hierbei wurde zum

einen ein Aufsplittungsschlüssel, bestehend aus einem Quadratraster, angefertigt, welches

über alle Wohngebiete der Stadtkarte 113 gelegt wurde. 84 Quadrate à 4x4 cm deckten

hierdurch die Wohnraumbebauung ab. Zum anderen diente die Personenanzahl in den

einzelnen Stadtteilen als Verteilungsschlüssel, um eine gleichmäßige Streuung der

Umfragebögen auf das Stadtgebiet und seine Bevölkerung zu erhalten. Die einzelnen

Quadrate wurden in einem zusammenführenden Schritt beider Methoden mit den für einen

Stadtteil zur Verfügung stehenden Umfragebögen aufgefüllt. So entfielen zum Beispiel auf

112 Alleinlebende Menschen haben hierbei eine erhöhte Chance, in die Statistik einzugehen.

113 Amtlicher Stadtplan 1:15 000 Ausgabe 2005/2006 – Vermessungsamt Stadt Freiburg (Hg.)

90


Öffentlichkeit

den Stadtteil Herdern (10 927 Einwohner) 13 Umfragebögen in 5 Quadraten. Auf den

Stadtteil Waldsee (5359 Einwohner) hingegen 6 Umfragebögen in 3 Quadraten. Haslach

bezog 22 Umfragebögen verteilt auf 4 Teilgebiete bei einer Gesamtbevölkerung von 17 587.

Umliegende Gemeinden, welche auch noch zur Stadt Freiburg gehören, wurden hierbei

ebenfalls berücksichtigt. So entfielen zum Beispiel auf Opfingen mit 4053 Einwohnern (in

zwei Quadraten) 5 Fragebögen.

Was den Fragebogen selbst anbelangt, so ist dieser Resultat zweier Pretest-Phasen, zu

je 6 und 14 Bögen, welche zu einer Optimierung des Fragedesigns führten. Die hierdurch

erhaltenen standardisierten Bögen 114 wurden eigenständig über das gesamte Stadtgebiet

verteilt. Über einen vorbedruckten Briefumschlag konnten die Adressaten die Ergebnisse

portofrei rücksenden, wobei sich die Rücklaufquote bei 21,95% befand. Verglichen mit

anderen schriftlichen postalischen Umfragen ist dies ein gutes bis sehr gutes Ergebnis. Von

den 54 eingegangenen Fragebögen waren alle gültig, wenn auch in Einzelfällen nicht jeder

Fragesatz beantwortet wurde und die anonymisierten Angaben zur Person in knapp 15 % der

Fälle nicht ausreichend angegeben wurden.

Was das Rücklaufergebnis anbelangt, so kann im Vergleich mit Daten des Freiburger

Statistikamts 115 keine gravierende Unregelmäßigkeit festgestellt werden. Eine

demographische wie stadträumliche Repräsentanz ist gegeben. Lediglich ein überhöhter

Frauenanteil weicht leicht von den statistischen Mittelwerten ab. Ansonsten weist das

Stichprobeverfahren ein hinreichend strukturgetreues Abbild der Grundgesamtheit auf, und

hat somit repräsentativen Charakter.

Folgende Ergebnisse zeichnen das öffentliche Meinungsbild der Stadt Freiburg im

Breisgau:

An erster Stelle stand die Niederschrift der spontanen Gedanken zu Wagenplatz und

Wagenburg. Hierbei differenzierte sich bereits das gesamte Spektrum an neutralen, positiven

und negativen Zuschreibungen. Auffällig jedoch bleibt, dass mit Ausnahme zweier

Ausführungen kein persönlicher direkter Zugang zu Plätzen oder Bewohnern beschrieben

wird, was einen ersten Anhaltspunkt für eine weiter auszuführende Simulacrum-These über

das Phänomen darstellt.

Konkret ausbuchstabiert finden sich im negativen abwertenden Meinungsspektrum

Aussagen wie: „Niederlassung anarchistischer Schmarotzer, die die Gesellschaft ablehnen,

aber trotzdem von ihr leben wollen und fremdes Eigentum widerrechtlich und egoistisch

benutzen. Es ist mir unverständlich, wie man die Gesellschaft ablehnen kann und gleichzeitig

von ihr leben will. Es wäre konsequent zu gehen und für sich selbst zu sorgen und nicht zu

114 siehe Anhang ➣ 6.1.3

115 Quelle: http://www.bis.freiburg.de/statistik

91


Öffentlichkeit

Lasten anderer.“ (Verwalter von Liegenschaften, 47) oder „ Sollte man nicht dulden. Wie die

Zigeuner“ (Rentnerin, 60). Im neutralen Spektrum finden sich Statements wie: „Alternative

Lebensform. Habe mich bisher noch nicht eingehend mit diesem Thema befasst und eher

beiläufig wahrgenommen“ (k.A.) oder „ Bauwagensiedlung“ (Arbeitsloser, 28). Im Spektrum

der Positivzuschreibungen finden sich Aussagen wie: „ Alternatives Wohnen in der heutigen

Zeit für Leute, die auf jeglichen Luxus verzichten, nur nicht auf die Freiheit, sich selbst zu

verwirklichen.“ (Beamter, 53) oder „ Alternatives Leben und Wohnen, Freiheit und Natur“

(Student, 22). 116

Nach dieser einführenden assoziativen Umschreibung stand die Frage nach einer

generellen Akzeptanz an. Eine absolute Mehrheit von 56% zeigte sich hierbei mit positiver

Resonanz. 11% zeigten Gleichgültigkeit und 33% standen der Kulturerscheinung ablehnend

gegenüber. Kritisch bleibt hierbei zu reflektieren, ob eine Wohnform und der damit eng

verbundene Lebensstil überhaupt zur Abstimmung gebracht werden darf. Da ein Grossteil des

politischen Diskurses jedoch seine initialen und finalen Argumentationsthesen aus einer

angeblichen Nichtakzeptanz der Bevölkerung bezieht, erschien es angebracht, dieses

Argument auf seine Validität hin zu prüfen. 117 Knapp 40 Prozent der abgegebenen Stimmen

sehen darüber hinaus in dieser Wohn- und Lebensform eine Bereicherung für eine Stadt.

Gefragt nach den Orten, an welchen die Entstehung einer Wagenburg zu befürworten

wäre, zeigte sich eine generelle Tendenz zu stadtperipheren Räumen, sowie eine Ausweisung

in wohnfunktionslose Areale, wie Industrie- oder Gewerbegebiet. Unter Berücksichtigung

von Zweifachnennungen entfielen 23% der Stimmen auf eine Platzierung im eigenen

Wohngebiet oder in Wohngebieten generell.

Abb. 46 - 47: Standortentscheidung und Nachbarschaftsnutzung in absoluten Zahlen der abgegebenen Stimmen

Eine gezielte Nachfrage bezüglich der vorstellbaren nachbarschaftlichen Nutzungen

ergab, dass die Akzeptanz zu Kindergärten und Schwerbehindertenheimen am höchsten ist.

Asylbewerberheime liegen mit 18 Stimmen zusammen mit Wagenburgen im Mittelfeld.

Wohnfunktionslose Nutzung wie Gewerbeflächen liegt am unteren Ende.

116 Eine Liste aller Zuschreibungen und Meinungsbilder steht im Anhang (➣ 6.1.4).

117 Redeprotokoll aus der Gemeinderatssitzung vom 21.04.1995: “Kann man Plätze

ausweisen, wenn die Akzeptanz in der Bevölkerung gegen Null tendiert? (…) Wollen wir

einer Sache zustimmen, die eine Mehrheit der Bevölkerung ablehnt?”

92


Öffentlichkeit

Durch die Verknüpfung eines Bürgerentscheids 118 vom 13. November 2006 und

Wagenburgplätzen lassen sich signifikante Überschneidungen feststellen. Bei der damaligen

Volksentscheidung stimmten 70,2 % gegen den Verkauf von 7900 der 8900 städtischen

Wohnungen an eine amerikanische Investorengruppe zur Sanierung des Haushaltsdefizits. Die

Stadtregierung erhoffte, sich durch einen Erlös von mindestens 510 Millionen Euro, den

Schuldenstand der Stadt begleichen zu können, um somit ohne Schuldzinsen im kommenden

Haushaltsjahr (in den kommenden Haushaltsjahren) wirtschaften zu können. Ob hierdurch

eine große Chance vertan wurde, oder ob ein klares Signal an die Stadtregierung ging, dass

Wohnraum keine Ware ist, bleibt im Ermessensbereich jedes einzelnen. Festzuhalten bleibt,

dass beide Themenfelder eine ähnliche Polarisierung hervorrufen, was eine generelle

Zustimmung beziehungsweise Ablehnung betrifft.

Neben diesem gesamtstädtischen

Bürgerentscheid lassen sich weitere

Überschneidungen zwischen einzelnen

Stadtteilen und einer Wagenburgkultur

erkennen. So stimmten die Wohngebiete

Stühlinger und Wiehre mit mehr als 90 % der

abgegebenen Stimmen für eine Akzeptanz des

Lebens im Wagen, wohingegen Landwasser,

Mooswald und Haslach fast ausschließlich

gegen einen Wagenburgplatz stimmten.

Abb. 48: Bürgerentscheid und Wagenburgen

Phänomenologische Parallelen lassen sich

auf architektonisch-stadtplanerischer Seite

zu dieser Diskrepanz erkennen. Bei den drei

tendenziell ablehnenden Stadtteilen handelt es sich um eher standardisierte

Gesamtplanungskonzepte mit anti-individualistischem Charakter. Sei es nun in Form einer

Gartenstadt und Arbeitersiedlung der 1920er, einer ehemaligen Frontkämpfersiedlung der

1940er oder dem monolithischen Sozialwohnungsbau der 1960er und 1970er Jahre. Alle drei

Wohngebiete liegen kernstadtentfernt. Stühlinger und Wiehre schließen dagegen direkt an die

Kernstadt an und zeichnen sich mehr durch Altbauwohnungen und gründerzeitliche Villen

aus. Lage und Form der Wohnbebauung transformiert sich in diesen Fällen über die

unterschiedliche Bezugsklientel in ein Meinungsbild. Alle weiteren Freiburger Stadtgebiete

zeigten keine Besonderheit in der Verteilung auf.

Was in stadträumlichen Kategorien bedingt eine explizite Interpretation ergibt, zeigt

sich in Bezug auf soziodemographische Daten relativ eindeutig. So lassen sich klar drei

Personenkreise voneinander trennen, was die Akzeptanz gegenüber einer Wagenburgkultur

118 Bei einer Wahlbeteiligung von 39,9 % stimmten 70,5 % für den Erhalt der städtischen

Wohnungen und 29,5 % dagegen. Quelle:

http://www.swr.de/nachrichten/bw//id=1622/nid=1622/did=1708726/1dwhr3b/index.html

93


Öffentlichkeit

anbelangt. Zum einen gibt es die Gruppe der Alleinwohnenden oder Alleinerziehenden,

welche sich mit 77 % klar für das Wagenleben ausspricht. 119 Ein ähnlich hoher Anteil liegt

bei der Personengruppe, die als Familienstand ledig angab. Hier befürworten 71 % diese

Wohnform (Überschneidungen sind gegeben). Konträr hierzu stehen Verheiratete mit

Familie, die sich mit 55 % gegen die Lebenswelt einer Wagenburg aussprechen.

Ein weiteres nennenswertes Resultat der Studie ist der hohe prozentuale Anteil derer,

die sich ein Leben auf Probe im Wagen vorstellen könnten. So sprechen sich 63 % der

Befürworter für die Möglichkeit aus, einmal diese Wohnform selbst auszuprobieren. Knapp

67 % würden einen Tag der offenen Tür in einer Wagenburg wahrnehmen. Gemessen an der

Grundgesamtheit handelt es sich hierbei um 35 % beziehungsweise 37 % - also in beiden

Fällen um mehr als ein Drittel.

Stellt man die Wohnungsgröße in Quadratmetern als Referenzzahl der Akzeptanz

gegenüber, so zeigt sich der prozentual höchste Anteil (69,2 %) bei Besitzern von

Wohnungen unter 65 qm. Wohnungsinhaber oder Eigentümer um 75 qm hingegen weisen die

geringste Akzeptanz auf (knapp 20 %). Ab 80 qm Wohnfläche steigt die Akzeptanz erneut an.

Von den insgesamt 35 %, die sich das Wohnen in einem Wagen selbst zutrauen würden, leben

knapp 85 % in Wohnungen mit einer Fläche von unter 65 qm. Was in Bezug auf die

Wohnungsgröße eine eindeutige Aussage zulässt, bleibt in Verbindung mit dem Besitz eines

eigenen Wohnmobils oder Wohnwagens nicht eindeutig. So konnte keine Relation zwischen

dem Campingmobilbesitz und einer Wagenburgkultur hergestellt werden.

Worin liegen nun aber aus Sicht der Sesshaften die Gründe, in einen Wagen zu

ziehen? Ein selbstbestimmtes Leben sehen knapp zwei Drittel der Grundgesamtheit als

Hauptmotivation für einen solchen Entschluss. In enger Verbindung stehen auch monetäre

Abb. 49: Kognitionsbild der im-mobilen Bevölkerungsteile

119 Im Jahr 2005 waren 767 Haushalte in der Wohnungssucherdatei Freiburg gemeldet.

Gegenüber dem Vorjahr bedeutet dies eine Zunahme um 30%. Von den 12,3 Mio. Euro

welche an Wohngeld im Jahr 2004 ausbezahlt wurden entfielen mehr als 40% auf auf 1

Personenhaushalte. (AMT FÜR WOHNUNGSWESEN UND LIEGENSCHAFTEN DER STADT FREIBURG

2006: 48 ff.)

94


Öffentlichkeit

Aspekte und Wohnungsnot. Ökologische und politische Gründe werden nur von einem

starken Fünftel der Befragten als Grund angegeben.

Ein weiterer Bestandteil der Erhebung war eine Liste von 63 Assoziationsworten,

welche in Verbindung zu der Kulturform gebracht werden konnten. Die häufigsten

Zuschreibungen waren hierbei kostengünstiges Leben, Unabhängigkeit, alternative

Wohnform, Hunde, Bauwagen, Arbeitslose und Grundstücksbesetzer. Am wenigsten genannt

wurden unter anderem Akademiker, Rechtsradikale, Nachhaltigkeit, Traditionelles Wohnen,

Innenausbau, Mutter Courage und Eigentümer. Bemerkenswert hierbei bleibt, dass 75 % der

Personen, die Sinti und Roma mit Wagenburgkultur in Verbindung bringen, der Kulturform

ablehnend gegenüber stehen. Eine negative Zuschreibung, welche nur noch von den drei

Worten Umweltverschmutzung, Alkoholismus und Drogen übertroffen wird. Somit zeigt sich,

dass, gemessen an der Grundgesamtheit, knapp ein Viertel der Befragten (22 %) das

Phänomen mit der ethnischen Minderheit in Verbindung bringt und die kulturgeschichtlichen

Negativprojektionen und Ressentiments auf Wagenburgbewohner überträgt.

Eine weitere Besonderheit bei den Zuschreibungen zum Wagenburgphänomen stellte

ein LBS-Werbeclip dar, welcher von mehr als jedem Dritten hiermit in Verbindung gebracht

wurde (35 %). Im folgenden Medienanalyseteil wird hierauf noch einmal explizit Bezug

genommen und versucht, den bekanntesten deutschen cineastischen Wagenplatz zu

dekonstruieren und ihn in seine einzelnen suggestiven Bestandteile aufzuflechten.

Was die konkret existenten Freiburger Wagenplätze anbelangt, so zeigt sich zum

einen, dass Plätze ohne eine mediale Repräsentation in der Wahrnehmung der

Stadtbevölkerung kaum oder gar nicht vorhanden sind. Der Platz der Waldmenschen, die

Straßenpunks

oder auch der

Wagenplatz

Urstrom tauchen

nicht unter

sonstige auf. Der

Platz Ölmühle,

welcher keine

mediale

Abb. 50: Bekanntheitsgrad der Wagenplätze in absoluten Zahlen der abgegebenen Aufmerksamkeit

Stimmen

auf sich zog,

verbleibt

ebenfalls fast unbemerkt am Stadtrand. Susiburg (Vauban), der einzige quasi stadtinterne

Platz, bekommt trotz einer relativ geringen printmedialen Repräsentation in den

zurückliegenden 5 Jahren einen hohen Bekanntheitsgrad. Eine Fangfrage stellte der

nichtexistente Wagenplatz im Stadtteil Stühlinger dar, um den „Wahrheitsgehalt“ der

räumlichen Bestandsaufnahme zu falsifizieren. Schlussfolgernd zeigen sich die zentrale

95


Öffentlichkeit

geographische Lage, sowie ein mediales Simulacrum als die Bedingungen zur Möglichkeit

einer öffentlichen Wahrnehmung.

Nachgefragt, wodurch sich eine mediale Repräsentation generellen konstituiert, zeigt

sich die hohe Bedeutung der lokalen Zeitung(en). Was im Falle Freiburgs die monopolistische

Stellung der Badischen Zeitung darstellt. Fernsehen, Internet und überregionale Printmedien

tragen einen sehr geringen Teil zu der Vermittlung des Phänomens bei. Bücher haben gar

keine Bedeutung. Auffällig ist, wie stark die Meinungsbildung vom Informationsfluss über

Dritte gespeist ist. Dieser folgt anteilsmäßig gleich nach der lokalen Zeitung. Der direkte -

wie auch immer qualitativ geartete – Kontakt zu den Bewohnern selbst spielt eine

geringfügige

Rolle und

unterstreicht

zugleich die

phänomenologische

Bedeutung

des medialen

Simulacrums. Der

begehbare Raum

Abb. 51: Meinungsbildende Medien

selbst stellt eine

zu vernachlässigende

Rolle in der Erfahrbarmachung des Phänomens. Er zeigt sich somit nicht nur

geographisch als peripher, sondern auch kognitiv.

13 Prozent der Befragten glauben darüber hinaus, dass Wagenburgen hauptsächlich

um ein Freiburger Phänomen darstellt. 18 Prozent sind der Meinung, dass es sich um eine rein

deutsche Erscheinung handelt.

Abschließend stand die Frage nach dem Zusammenhangs zwischen Realpolitik und

den Raumanforderungen der Kulturerscheinung, wobei sich ein konstantes Verhältnis darbot.

Abb. 52 - 53: Realpolitischer Kontext

Fragestellung

96


3.5.2 Die Medienwelt

Medien

Der größte, weitestreichende und zugleich kurzlebigste Raum der Postmoderne stellt

der medial erzeugte dar. Nichts erscheint uns real, wenn es nicht medial vermittelt ist, so

könnte man mit Luhmanns Gedanken seine Bedeutung verdeutlichen (LUHMANN: 1995).

Habermas setzt hierbei die „kommunikativ erzeugte“ Macht der „administrativ verwendeten

Macht“ direkt gegenüber (HABERMAS 1989: 427). Und auch die neuere geographische

Forschung hat den Blickwinkel einer reinen Vorort-Raumempirie erweitert und versucht,

gewinnbringend diese Netzwerke und Kommunikationsräume mit einzubeziehen.

Die im ersten Teil der kontextuellen Transformation dargelegte Bedeutung des medial

erzeugten Simulacrums einer Wagenburg soll nun abschließend auf seine Bedingtheit

untersucht werden. Welche Akteure treten mit welchen Inhalten medial kanalisiert in den

öffentlichen Raum? Drei wichtige Hinweise ergaben sich hierbei bereits durch die

repräsentative Umfrage: zum einen die singuläre Bedeutung eines Werbeclips; die zu

vernachlässigende Funktion der überregionalen Medien - welchen nicht die sonst konstatierte

Aufgabe eines Leitmediums bekommen; und an dritter und wichtigster Stelle die Bedeutung

der regionalen Presse.

Freiburg ist in dieser Hinsicht eine dankbare Fallstudie, da sich lediglich eine Zeitung

monopolartig die Vermittlung des Örtlichen zur Aufgabe gemacht hat. Die Badische Zeitung

mit einer Auflage von 155.000 bedient nach eigenen Angaben eine Leserschaft von 400.000

Menschen in Stadt und Umland mit weltpolitischen, aber vor allem auch mit lokalen

Themenfeldern.

Im Zusammenhang mit dem Phänomen Wagenburgkultur wurden in den

zurückliegenden fünf Jahren knapp 100 Artikel veröffentlicht (01.01.2001 - 31.12.2006). 120

Diese galt es mit Hilfe eines standardisierten Analyserasters zu betrachten und auszuwerten.

Die Leseschablone selbst (Anhang ➣ 6.1.5) ist das Ergebnis mehrere Pretest-Phasen an

Wagenburg-Artikeln in regionalen wie überregionalen Printmedien.

Bei der Betrachtung der Tageszeitungsartikel ist zunächst auffällig die stark

asymmetrische Verteilung der Thematik in der betrachteten Periode von fünf Jahren. So gab

es über das Jahr 2001 hinweg 22 Artikel. 2002 waren es hingegen gerade einmal 3 Artikel.

2003 hatten 4 Artikel Wagenburgen zur Thematik. 2004 waren es 6. 2005 waren es hingegen

29. Und im Jahr 2006 wurden 35 Artikel verfasst. Dies lässt den Schluss zu, dass es sich um

ein Phänomen handelt, welches eine printmediale Darstellung nur äußerst unregelmäßig und

unter bestimmten Bedingungen erfährt.

120 37 kurze Artikel (< 180 Worte), 55 mittellange Artikel (zwischen 180 und 800 Worten)

und 7 lange Artikel ( > als 800 Worte)

97


Medien

Eine tiefere Analyse der einzelnen Beiträge brachte hervor, dass Demonstrationen und

Protestaktionen in fast 50% der Fälle die Schreibanlässe bildeten. Lediglich 9% der Artikel

waren abgekoppelt von unmittelbar aktuellen Ereignissen und versuchten, durch meist längere

Beiträge zu einer

Versachlichung der

Thematik beizutragen.

Akute

Räumungsandrohungen

und Gerichtstermine

Abb. 54: Schreibanlass

initiierten ebenfalls eine

Berichterstattung. 16% der

meist kurzen Artikel geben

an die Leserschaft weiter,

wohin sich das Phänomen

im urbanen Raum bewegt oder konzentriert hat. Insgesamt stellen somit 86% der Artikel

Spannungsfelder dar und nur 14% verbleiben neutral verortend oder im Sinne einer

weitergefassten Kontextualisierung.

Bei einer weiteren Analyse der Artikel unter dem Aspekt der Spannungsfelder und den

damit einhergehenden Konfliktlinien zeigt sich die Stadt – als administrative Koppelung aus

Politik und Verwaltung –

als Hauptkontrahent

gegenüber Wagenburgen,

gefolgt von

Auseinandersetzungen mit

der exekutiven Gewalt.

Konfliktlinien zur übrigen

Bürgerschaft der Stadt

werden in 9% der Artikel

Abb. 55: Hauptkonfliktlinie in der Berichterstattung

dargestellt. Die

Thematisierung einer

innerpolitischen oder

innerrechtsstaatlichen

Debatte findet in 3% der

Fälle ihre Artikulation.

Eine Darstellung gänzlich

ohne Konfliktlinien liegt in

7% der Artikel vor.

Abb. 56: Inhaltliche Schwerpunkte der Artikel

Durch eine

zusätzliche vereinfachte

Etikettierung auf inhaltlicher Ebene mit fünf verschiedenen Kategorien zeigt sich, dass

Rechtsbruch und Kriminalität in 35% der Fälle den Grundtenor des Artikels bilden. Eine

98


Medien

Darstellung der juristischen Dimension liegt bei knapp einem Viertel der Artikel vor.

Wagenburgen als einen politischen Sachverhalt stellen 18% der Schreibbeiträge dar. Den

Versuch, das Phänomen als Kulturerscheinung an sich zu beschreiben, unternehmen noch

einmal genau so viele. In 7% der Fälle geht es um eine romantisierte Schilderung des

Wagenlebens inmitten einer Welt ohne Spannungsverhältnisse. Insgesamt zeigt sich bei der

printmedialen Darstellung auf lokaler Ebene eine starke Focusierung auf Spannungsfeldern

sowie auf Verstöße gegen das Rechtssystem im Speziellen.

Im Sinne eines „liberalen Öffentlichkeitsmodells“ (GERHARDS 1998: 37), in welchem

sich die Meinungsvielfalt im ausgewogenen Repräsentationsverhältnis artikuliert, weisen die

Artikel darüber hinaus rein quantitativ einen Überhang zugunsten der Wagenbewohner aus.

Mit 30 zitierten Wortmeldungen sind sie direkt vertreten. Auf Gegendarstellungen und -

argumentationen entfallen 24 wörtliche Zitate, verteilt auf Stimmen von Polizei (4),

Verwaltung (9), Ober- und Bürgermeister (7) und Bürgern (4). Als zusätzliche Fürsprecher

artikulierten sich hingegen nur drei Bürgerstimmen. Gemessen an der hieraus entworfenen

Dichotomie von für und wider stellt sich ein leichter Überhang für die Wagenbewohner dar,

welchem jedoch ein aufgefächerter größtenteils institutionell verankerter Stimmenkanon

entgegensteht.

Nimmt man ein „deliberatives Öffentlichkeitsverständnis“ als Grundlage (GEBHARDS

1998: 31 ff.), welches eine argumentativ gestützte Mehrheitsmeinung zum Konsens bringen

soll, so zeigt sich im Fall der Wagenburgthematik ein starkes Anhaften an den administrativen

Diskurshoheiten. Eine Sachlage, die zum einen auf die professionalisierte

Öffentlichkeitsarbeit der Stadtverwaltung mit Pressestelle und Pressesprecher zurückzuführen

ist und zum Anderen auf das fast völlige Fehlen einer konstanten Öffentlichkeitsarbeitsgruppe

auf Seiten der Wagenburgen (vgl: Interview mit der Journalistin Beate Beule im Anhang ➣

6.3.1).

Neben diesen strukturellen Bedingtheiten im Hintergrund zeigt sich auf inhaltlicher

Ebene der verbliebenen Artikel eine weitere Besonderheit. 32 der knapp 100 Artikel sind

bebildert und zeichnen sich größtenteils durch eine distanzierte, gesichtslose Darstellung der

Bewohner aus. Von sieben Nahaufnahmen zeigen 5 eine Rückenansicht. Von sechs

Gruppenaufnahmen sind 3 mit Masken oder Vermummung. Polizeibeamte sind Bestandteil

von knapp der Hälfte aller Bilder. Lediglich zwei Photographien dokumentieren den

Innenraum eines Wagens.

Darüber hinaus ergibt sich bei der Betrachtung der Beiträge unter dem Aspekt eines

zeitlichen Rahmenfensters, dass 89 % der Artikel die Ereignisse im Kontext von maximal drei

Tagen betrachten. 6 % weiten den Bezugsrahmen auf 3 Monate aus. 4 % gehen über 3 Monate

hinaus. Auch die zum Teil ganzseitigen in der wohlwollenden Tradition einer Aufklärung

geschriebenen Artikel gehen nicht über den Bezugsrahmen von 5 Jahren hinaus. Ökologische

Aspekte werden von 4 Beiträgen aufgegriffen, wobei 3 davon eine Gefahr für die Umwelt in

der Wohnform sehen. Ein Artikel befasst sich mit Aspekten der Nachhaltigkeit. Von

99


insgesamt 99 Artikeln öffnen 4 den räumlichen Bezugsrahmen über Freiburg hinaus und

stellen Referenzpunkte zu anderen Städten innerhalb der Bundesrepublik dar.

Medien

Was die überregionalen Medien anbelangt, so muss zunächst angeführt werden, dass

es sich bei Wagenburgen um ein äußerst randständiges Thema handelt, welches durch die

jeweiligen „Leitmedien“ ein- bis zweimal pro Jahr aufgegriffen wird. 121 Generell lassen sich

hierbei zwei verschiedene Kategorien unterscheiden.

Zum einen gibt es Berichterstattung der feuilletonistischen Art, die oftmals skurrile

Einzelpersonen und deren alltägliche Lebenswelt beschreibt. Ironie, Emphase und

Ambiguität dienen hier meist als Stilmittel zur Bereicherung eines voyeuristischen Blicks in

das Kleinod Wagenburg. Die Beschreibungen sind durchaus meist positiv besetzt, und

attestieren der Wohnform Freiheit, Mobilität und eine verklärte Naturnähe rousseau’scher

Prägung. Über eine negative Definition betrachtet, zeichnen sie sich durch den Ausschluss des

Politischen aus. Interessenkonflikte und explizite Wertdarstellungen finden wenigen Raum in

dieser Art der Darstellung. Enge Analogismen finden sich zu den positivistischen

Meinungsbildern, wie sie die Öffentlichkeitsbefragung hervorbrachte (vgl.: ➣ 6.1.4).

Auf der anderen Seite findet sich eine zweite, gänzlich andere, weniger zugewandte

Art der Berichterstattung. Der exotische Alternativismus der ersteren Darstellungsweise wird

hier in ein asoziales Außenseitertum überspitzt, von welchem eine Bedrohung oder gar

Gefahr für „die Allgemeinheit“ ausgeht. Drogenabhängigkeit, Alkoholismus und

Obdachlosigkeit werden nicht als gesamtgesellschaftliches Problemfeld dargestellt, sondern

dienen hierbei als Kriterium zur ausgrenzenden Diffamierung der Bewohner. Kriminalität und

Rechtsbruch wird per Ferndiagnose als inhärente Struktur einer Wagenburg freigelegt. Zeigt

sich das Wagenleben bei der wohlwollenden Berichterstattung noch als leicht polygames

Nebeneinander auf der Schafsdecke im Mahagoni-Zirkuswagen, so weicht diese Darstellung

nun einem qualmig rußenden Ölofen in einem zugigen Bauwagen samt vereinsamtem

Alkoholiker.

Beiden überregionalen Berichterstattungen gelingt es gleichsam nicht, politische

Aspekte und einen weiteren Kontext einzublenden. Beide verbleiben Unterhaltung. Einen

Versachlichungsbeitrag zu einem Interessen- oder Wertekonflikt leisten beide Perspektiven

nicht – was hierbei gleichsam bedeuten müsste: den Raum, als zentralen Träger der

Kulturerscheinung, in die Betrachtung mit einzubeziehen.

121 Recherche über das digitale Archiv Medienport.de, welches sämtliche Artikel aller

größeren Tages- und Wochenzeitungen sowie Zeitschriften entgeltlich bereithält. Zur Suche

wurden folgende Stichworte eingegeben: Bauwagen, Bauwagenplatz, Wagenburg,

Wagenburgplatz, Alternatives wohnen. 433 Treffer insgesamt. 6 adäquate themenbezogene

Artikel der letzten fünf Jahre bei Bildzeitung, Focus, Süddeutscher Zeitung und Zeit wurden

daraufhin analysiert.

100


Medien

Darüber hinaus hat auch das visuelle Medium den Wagenplatz entdeckt, wenngleich

nicht nur als sporadischen Sensationsjournalismus, sondern auch als didaktische Hilfe bei der

Kindererziehung. Peter Lustig verbleibt namentlich der bekannteste Wagenbewohner in

Latzhosen seit 1981. Fragend durchstöbert er die Welt, welche sich in jeder Sendung neu um

seinen Wagen auftut. Hierbei versucht er leicht verständlich Wissenschaftliches und

Umweltbewusstsein zu vermitteln. Was seinen Bekanntheitsgrad anbelangt, so übertrifft er

sogar die literarische Mutter aller Wagenbewohner von Bertold Brecht – die Marketenderin

Courage (vgl.: ➣ 6.1.3).

Singulär und im kognitiven Gedächtnis jedes dritten Bürgers eingeschrieben scheinen

jedoch der Wagenplatz und die Wagenbewohner eines 26-sekündigen Werbeclips zu sein, der

von 2004 bis Anfang 2007 ausgestrahlt worden ist (vgl.: ➣ 3.3.1). Welche Prägung er

hinterlässt, soll mit Hilfe einer werkimmanenten Analyse in einem kurzen Exkursiv

diagnostiziert werden. Was verbleibt als suggestives Wertegerüst, wenn man die einzelnen

Einstellungen dekonstruiert?

Exkurs: Werbespot Wagenburg (15 Einstellungen / 26 Sekunden)

Der Clip beginnt mit einer Totalen. Ein altes Motorrad und mehrere matschige

Schlammpfützen leiten in den Bildmittelgrund über. Im goldenen Schnitt sitzen drei

jugendliche Komparsen auf Bierkästen. Die Farbtöne sind dunkel gehalten, nur ein qualmiges

Feuer im Hintergrund tritt hervor. Das Bild wirkt überladen und unübersichtlich. Mit einem

Off-Ton beginnt der Dialog 122 zwischen einer jungen Tochter und ihrem Vater. Beide sind

einzeln in einer Halbtotalen dargestellt. Sie hält ihre Beine eng umschlungen. Er, unrasiert

und mit rot unterlaufenen Augen, beachtet seine Tochter nur beiläufig. Ein Gegenschuss zeigt

aus voyeuristischem Blickwinkel zwischen Bauwagen und Gestrüpp eine junge tätowierte

Frau, die ihre Slips und Netz-T-Shirts aufhängt. Ihr gilt der Blick des Vaters. Die

Handkameraeinstellungen verbleiben ruckhaft und verwackelt. Der Hintergrund besteht aus

Graffiti und ausgeblichenen Brettern. Mit einer kurzen Kopfbewegung zur Seite kommentiert

der Vater die lebhaften Vorstellungen seiner Tochter. Aus der Vogelperspektive folgt ein

unruhiger Schwenk über einen Fußweg, wo zwei Jugendliche mit Hahnenkammfrisur vor

einem angeheftete Demonstrationsbanner schnell vorübergehen. Auf dem Leintuch sind

brennende Autoreifen vor einem Gebäude zu sehen. Eine weitere Halbtotale filmt drei der

122 Dialogverlauf zwischen Vater (V) und Tochter (T)

T: Ich kenn da ein Mädchen aus meiner Klasse. Und der Vater hat sein eigenes Haus,

wo jeder sein eigenes Zimmer hat.

V: Sind doch Spießer.

T: Und der Bernd hat eine Wohnung auf dem Dach, von wo aus man die ganze Stadt sehen

kann.

V: Auch Spießer.

T: Papa. Wenn ich groß bin, will ich auch mal Spießer werden.

OFF: Oder einfach Bausparer.

(Quelle: http://www.lbs.de/bw/lbs/pics/upload/tfmedia1/HBFAAKiaWG1.mpg)

101


Medien

Kamera abgewandte Jugendliche, im Mittagslicht beim Bongospielen, Grillen und Biertrinken

an einem qualmenden Feuer. Die Bildmontage wechselt zu Vater und Kind. Er fasst sie an der

Nase und wiederholt seine Meinung. Ein Zoom fokussiert auf das Gesicht des Mädchens

während sie bekundet, Spießer werden zu wollen. Er verschluckt sich beim Nippen an einer

alten Teetasse. Sein dreckiger Hals wird sichtbar. Als letzter Gegenschuss zu seinem Blick

erscheint die schimmelbefallene Wand eines Bauwagens mit einem in leuchtenden

Kinderfarben gemalten Haus darauf. Computergeneriert schwebt der Schriftzug einer

Bausparkasse herein.

Keiner der flüchtig und silhouettenhaft dargestellten Platzbewohner betätigt sich einer

Arbeit. Die gesamte Umgebung stellt ein wahlloses Sammelsurium dar, in welchem die

klassische Familienstruktur der Werbung nicht auffindbar ist. Der Vater selbst erscheint

apathisch, desinteressiert und verschmutzt. Das Kind hingegen dient als Identifikationsperson

und Sympathieträger, welches aufgeweckt und lebhaft den Wunsch nach einem Haus

verkörpert. Der Wagenplatz selbst fungiert als Gegenhorizont zum suggerierten Bedürfnis

hiernach.

Abb. 56 - 58: Von 2004 bis 2007 gesendete Konstruktion einer Wagenburg

Die Bedeutung einer Selbstdarstellung durch Träger der Wagenburgkultur kann

abschließend im gesamtgesellschaftlichen medialen Öffentlichkeitskontext vernachlässigt

werden. Im Anschluss an mehrmals jährlich stattfindende deutschlandweite Wagentage

erscheint ein ringbuchgebundenes Wagenburgmagazin namens Vogelfrai. Dieses versteht sich

jedoch nicht als mediales Sendemedium an eine größere Öffentlichkeit, sondern lediglich als

printmediale interne Kommunikation zur Vernetzung und Diskussion. Dem gegenüber steht

ein frei zugängliches Internetportal wikipedialer Machart namens Wagenleben.de, welches die

einzelnen Internetauftritte vieler innerdeutscher Wagenplätze verknüpft und darüber hinaus

allen Benutzern die Möglichkeit bietet, selbst Artikel zu verfassen und einzufügen. Die

Erweiterung um ein Diskussionsforum bietet Raum, um sämtliche Aspekte einer Lebenswelt

im Wagen zu thematisieren, zu kommentieren und zu diskutieren. Das Buch, als das Medium

der Moderne, verbleibt im Kontext der Wagenburgkultur an zweiter Stelle, weit hinter den

hypermedialen Darstellungen im Medium der Postmoderne.

102


4 Resümee

Resümee

Am Ende steht die Zusammenführung der Triangulation zur Konklusion unter erhöhter

Abstraktion. Konkreter ausbuchstabiert für eine Wagenburgkultur Heute bedeutet die

Bündelung der einzelnen Triangulationsstränge im Resümee das Aufdecken zweier

postmoderner Prozesse. Zum eine ist es die Pluralisierung. Zum andern ist es die

Polarisierung.

Als Initialräume beider Prozesse zeigen sich bei der urbanen Genese einer

Wagenburgkultur temporäre Freiflächen, wie Konversionsgebiete, Baulücken oder

Brachgelände. Im ausgehenden 20. Jahrhundert generierten die beiden historischen

Transformationsereignisse der Deindustrialisierung und die Beendigung einer Ost-Westblock

Dichotomie die größten urbanen und suburbanen funktionslosen Areale. Neben Militär- und

Industriebrache schließen Gewerbebrache und der allgemeine Schrumpfungsprozess der

meisten ostdeutschen Stadtlandschaft weiter Freiflächen auf. Im speziellen Freiburger

Fallbeispiel ist es die singuläre Transformation im Bereich der Abwasserwirtschaft, die

enorme Flächenpotentiale frei gibt.

Die mobilen, infrastrukturlosen Lebensstile in einer Wagenburg ermöglichen die

temporäre Folgenutzung all dieser Flächen, welche lediglich durch ihre

Untergrundbeschaffenheit und bauliche Reststruktur das Bewegen und Rangieren von Wagen

ermöglichen müssen. Besetzung, Duldung und Besitz stellen hierbei die gängige Bandbreite

der rechtlichen Lage im Raum dar.

Gleichsam greifen – wenn auch mit einer zeitlichen Versetzung um Monate oder

Jahrzehnte - Nachfolgenutzungspläne, welche die Wagen unter den Mechanismen der

abfallenden Bodenrendite an die Peripherie des urbanen Raumes, zu interurbaner Bewegung

oder ins rurale Umland tragen. Treibende zentrifugale Kräfte sind hierbei

Polarisationsprozesse wie Gentrifikation, Segregation und die renditediktierte Nutzung des

Raumes – kurz um alle raumgebundenen Prozesse einer sozialen Entmischung.

Das Freiburger Fallbeispiel zeigt darüber hinaus deutlich, dass es sich oftmals um

Großprojekte handelt, welche ein flexibles Reagieren von Wagenburgagglomeration auf den

jeweiligen Flächenwegfall nicht mehr erlaubt. Das Errichten eines industriellen

Schlachthofes, Fachmarktzentren, Stadtteilsanierungsprogramme und das Entstehen zweier

gänzlich neuer Stadtviertel sind hierbei die historischen Beispiele der Fallstudie.

Die eigentlichen Polarisierungsprozesse zeigen ein geschichtliches Kontinuum mit den

Exklusionsprozessen gegenüber der Ethnie der Sinti und Roma, für welche im geographisch

dokumentierten Zeitraum (ab 1884) im Falle Freiburgs das Stadtgebiet gleichsam keine

Integration auf der Basis von Wagen ermöglichte, sondern parallel zur heutigen

Wagenburgkultur die Deslokalisierung in ursprünglich wohnfunktionslose Areale erfolgte.

103


Resümee

Die heutige zonierte Stadt nach den Grundsätzen einer Charta von Athen mit dem

Leitgedanken der funktionalen Trennung von Lebensbereichen eröffnet somit durch die

Nichtzuordnung der Wohnform in eine Misch- oder Wohnviertelzonierung die Möglichkeit

einer räumlichen Falschplatzierung mit der Folge verstärkter Polarisierung und

Stigmatisierung der Bewohnerschaft. Im Falle Freiburgs verdeutlichen die beiden städtisch

geleiteten Wagenburgen in Industrie- und Gewerbegebiet sowie im Naturschutzgebiet

exemplarisch diese institutionell verankerte raumpolitische Entscheidung. Dies verdeutlicht,

dass jeglicher Zonierung einer Stadt nicht nur Funktionen, sondern gleichzeitig - wenn auch

in subtilerer Weise - Werte eingeschrieben sind. Bei der Deslokalisierung einer Wohnform in

ehemals wohnfunktionslose Areale formuliert sich die Nichtintegrierbarkeit eines Lebensstils

und dessen Werte in der Raumgemeinschaft Stadt.

Darüber hinaus zeigte die Freiburger Analyse, wie Orte mit Negativassoziationen,

bedingt durch naturräumliche Ungunstfaktoren oder die vorhergehende Nutzung vielfach als

auszuweisender Platz für mobile Lebensstile gelten (Am Galgenwäldchen, Am Eselswinkel,

Rieselfeld). Die Flurnamen und die Persistenz negativer Assoziationen über die eigentliche

Funktionsbezeichnung des Raumes wirken als Indikator und Verstärker sozialer

Polarisierung. Zusätzlich artikuliert sich bei fast allen stadtpolitischen Entscheidungen seit

dem ausgehenden 19. Jahrhundert, stets ein Verbergen und eine Exklusion des Phänomens

durch seine räumliche Verschiebung. Sei es bei der Ausweisung von Wohnfläche in einer

Kiesgrube, in Industrie- und Gewerbegebieten oder innerhalb dichter geschlossener

Waldverbände. Die kaschierte Fragmentierung der Stadtlandschaft verdeckt zum einen die

tatsächliche Polarisierung und zugleich die zunehmende Pluralisierung der urbanen

Lebensstile.

Im Falle einer Wagenburgkultur setzt die Pluralisierung aus unterschiedlichsten

gesamtgesellschaftlichen Gegenhorizonten zusammen. Vereinfacht dargestellt lassen sich

zwei zunächst divergente Lebensstile auszeichnen, welche den pluralistischen Wohnbaustein

Wagenburg speisen.

Auf der einen Seite ist es die in der Urbanität konzentrierte Obdachlosigkeit, von

welcher sich Menschen durch den Bezug eines Wagens zu befreien suchen. Das fehlende

Recht auf die Einklagbarkeit von Wohnraum in deutschen Gesetzestext, sowie die äußerst

bedingt adäquaten Wohnraumverhältnisse in Notunterkünften, betreuten Wohnanlagen und

Übergangswohnheimen stellen hierbei die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dar,

welche nach den jeweiligen biographischen Schlüsselmomenten, Obdachlosigkeit generieren.

Durch den Bezug eines Wagen verbessert sich die Lebensqualität eines ehemals Obdachlosen

deutlich. Freiheit, Schutz, Geborgenheit und das materialisierte Zeichen für einen

selbständigen Wiederaufbau der Person spiegelt sich für viele im Wagen selbst. Die neu

gefundene Gemeinschaft innerhalb einer Wagenburg zusammen mit der Vielzahl positiver

Assoziationen und Zuschreibungen führt dazu, dass der Wagen nur äußerst selten durch eine

Wohnung substituiert wird. In Konflikt hierzu tritt oftmals die stark monistische Ausrichtung

städtischer Fürsorge auf das Haus, als einzigen Baustein für die Grundversorgung Wohnen.

104


Resümee

In quantitativ weitaus größerem Umfang zeigt sich auf der anderen Seite ein

differenzierteres Bild, mit einer Vielzahl unterschiedlicher Gegenhorizonte, auf Grund derer

Menschen sich entscheiden aus einem Haus in einen Wagen zu ziehen. Mit den beschriebenen

Wirkungsmechanismen der Postmoderne wie Engagement in Mikro- und Subpolitik,

Ästhetisierung des eigenen Wohnumfeldes, selbstständiges Generieren ehemals staatlicher

Leistungen, Partizipation, Erweiterung der traditionellen Lebensgemeinschaft um multiple

Formen des Zusammenlebens, ein parataxisches Hierarchieverständnis, dezentrale

Strukturierung, sowie das Ersetzen eines positivistischen Fortschrittglaubens durch

Skeptizismus oder Ökologismus lässt sich die Grundgesamtheit erfassen. Und hier zeigt sich

erneut bei der Formierung der einzelnen Wägen zur Burg das Entstehen einer Gemeinschaft.

Die architektonischen Gegenhorizonte reichen hierbei von courbousierschen

Wohnsilos, über Reihenhausbebauung bis zum Einzelhaus, welche hinterlassen werden um zu

einer Pluralisierung der städtischen Lebensstile auf der Basis einer Wagenburg zu führen.

Beiden Bewegungsrichtungen ist gemein, dass der Entschluss im Wagen zu leben bei

allen Bewohnern zu einem festen Bestandteil der eigenen Biographie geworden ist und das

sich in diesem Entschluss eine Verbesserung der bisherigen Wohnverhältnisse gesehen wird.

Freiheit, Draußen und Gemeinschaft zeigt sich als kleinster gemeinsamer Nenner aller

narrativen Interviews.

Neben den postmodernen Wirkungsmechanismen der Polarisierung und der

Pluralisierung zeigt sich die öffentliche Wahrnehmung des Phänomens durch ein

postmodernes mediales Simulacra bestimmt. Trotz eines starken Zerrbildcharkters des medial

reproduzierten Phänomens, spiegelt sich hierin oftmals die räumlich geographische Exklusion

und eine soziale Stigmatisierung wieder.

Als wichtigster medialer Träger zur eigenen Binnenvernetzung und Repräsentation der

Wagenburgkultur nach außen verbleibt die hypermediale Darstellung im Internet - dem

Medium der Postmoderne.

Eine Kulturform, welche - vielleicht gleich keiner anderen - eine derartige Vielzahl an

postmodernen Wirkungsmechanismen und Aspekten an sich bündelt, zeigt sich in möglichen

Zukunftsszenarien als äußerst schwer kalkulierbar, zumal eine Vielzahl der Faktoren für eine

Zunahme, andere wiederum für eine Abnahme der 160 dezentralen deutschlandweiten

Wagenburgen sprechen.

Argumente die deutlich für einen Rückgang der Kulturerscheinung sprechen sind

derzeitige Entwicklungen im Bereich der Kfz- und Lkw-Zulassung, welche das Führen von

motorisierten Wagen im bisherigen Rahmen deutlich einschränken. Auch zeigt sich bei der

nichtmotorisierten Wohnlösung des Zirkuswagens, dass sich die Umstellung im

Schaustellergewerbe auf leichtere und flexiblere Aluminiumkonstruktionen oder modulare

105


Resümee

Containersysteme fast völlig vollzogen hat. Gleiches zeigt sich im Baugewerbe, wo

standardisierte Container zur transversalen und longitunalen Stapelung inzwischen den

Standard darstellen und Bauwagen nur noch eine marginale Rolle spielen.

Insbesondere zeigt sich auch die gegenwärtige Stadtentwicklung mit der Leitlinie einer

kompakten Stadt, durch Baulückenschließung und Innen- vor Außenentwicklung, als

tendenzielles Verschließen bisher offener städtischer Räume.

Für eine ansteigende Zahl der Wagenburgformationen sprechen hingegen der

progressive Charakter vieler postmoderner Mechanismen und deren Steigerung. Insbesondere

die Zunahme pluralistischer Lebensstile, der Bedeutungszuwachs postmaterialistischer Werte,

und die zunehmende Schlüsselstellung einer ökologisch nachhaltigen Entwicklung. Die sich

in Ansätzen vollziehende Synthese mit den Mietshäusersyndikatstrukturen tragen durch den

rechtlichen Rahmen einer GmbH zu einer Verbesserung der juristischen und monetären

Verhältnisse bei, die für die Belange einer Wagenburg und deren Flächenbedarf genutzt

werden können.

Gleich welche Entwicklung Wagenburgen in ihrer derzeitigen postmodernen Prägeart

vollziehen - Archäologie wird weiterhin wenig einer Kultur ohne Bodenversiegelung zu Tage

fördern können. Die Vorstellung von Stadt zeigt sich von Oppida bis Gropius stets an Stein

gemessen. Und so findet sich in der Vergangenheit oftmals nur die Gegenwart wieder.

106


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Hammesfahr tritt die Nachfolge von Peter Lustig bei „Löwenzahn“ an.

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05.09.2006: Strabag-Vertrag läuft bis 2041.

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31.08.2006: OB findet Alternative.

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31.08.2006: Wagenburgen gehören dazu – von Kiel bis Karlsruhe.

22.08.2006: Platz ist nur für die Hälfte.

07.08.2006: Alle bemühen sich um eine friedliche Lösung.

05.08.2006: Von Wagenburgen und Straßenaktionen.

05.08.2006: Die schwierige Suche nach der Wahrheit.

04.08.2006: Nächste Demo am Samstag.

02.08.2006: Friedliche Räumung der Straßenpunks.

01.08.2006: Was heißt hier Deeskalation?

01.08.2006: Heftige Diskussion um Polizeieinsatz.

29.07.2006: Was bleibt, sind Scherben.

20.07.2006: Schattenparker protestieren.

06.04.2006: Mit Lattenzaun und Hunden.

06.04.2006: Eine Sonderbaufläche für experimentelles Wohnen.

06.04.2006: Eine Chronologie.

05.04.2006: Die Wagenburgler richten sich häuslich ein.

13.03.2006: Film über die Schattenparker.

02.03.2006: Chance für die Wägler.

02.03.2006: Schattenparker wieder zu Hause.

15.02.2006: Stadt will Wagenburg im „Eselwinkel“.

09.02.2006: Übergangslösung für Schattenparker.

28.01.2006: Salomon hofft auf Lösung des Konflikts.

24.01.2006: Raus aus dem Vauban.

23.01.2006: Demo durch die Innenstadt.

13.01.2006: Wurde die Privatsphäre der Wagenbewohner nicht geachtet?

10.01.2006: Wagen der Schattenparker bleiben beschlagnahmt.

113


09.01.2006: Neue Aktion der Schattenparker.

07.01.2006: Wagen bleiben beschlagnahmt.

05.01.2006: Wägler und Stadt treffen sich vor Gericht.

24.12.2005: Kein Fest in der Wagenburg.

22.12.2005: Räder kommen ins Rollen.

19.12.2005: 500 Wägler protestieren friedlich.

17.12.2005: Andere Zeiten, andere Ziele.

17.12.2005: Die Telefone laufen heiß.

17.12.2005: Wagenburg: Unabhängige Frauen mit großen Befürchtungen.

16.12.2005: Leben in einer Burg mit Rädern.

16.12.2005: Wagenburg SUSi.

16.12.2005: Studenten unterstützen Wagenburgdemo.

16.12.2005: Grüne gehen auf Distanz zu OB und Polizei.

15.12.2005: Bürger helfen Wagenburgler.

13.12.2005: Polizeieinsätze kosten bislang 500.000 Euro.

12.12.2005: Viel Polizei, aber keine Demonstranten.

10.12.2005: Gespräche statt Gewalt.

09.12.2005: Wagenburgler planen Demo.

06.12.2005: Polizei schützt Rathaus vor Schattenparker.

06.12.2005: Wagenburgen in Freiburg.

06.12.2005: Von Toleranz und Respekt.

05.12.2005: Polizei räumt Wagenburg im Vauban.

29.11.2005: Kein Verständnis für die Wägler.

28.11.2005: Wagenburgler auf dem Weihnachtsmarkt.

26.11.2005: Streit nach Polizeieinsatz.

23.11.2005: Wägler contra Stadt vor Gericht.

08.07.2005: Bürger wollen Taten sehen.

23.06.2005: Ratsmehrheit lockert die Vorgaben.

23.06.2005: Verpflichtung für die Zukunft.

17.05.2005: Polizei räumt die nicht angemeldete Demo.

26.02.2005: Wägler wollen Platz nur gegen Ersatz.

19.02.2005: Wagenburgler müssen Platz räumen.

29.11.2004: St. Georgen reißt der Geduldsfaden.

26.11.2004: Schattenparker im Visier.

04.09.2004: Amt verschließt sich Wägler.

30.08.2004: Wägler erheben ihre Stimme.

28.08.2004: Wagentage im Industriegebiet.

23.08.2004: Wägler sind geduldet.

15.09.2003: Münsterturm als Litfasssäule.

15.07.2003: Wagenburglager ist zerstreut.

Bibliographie

114


10.07.2003: Polizei schickt Wagenburgler heim.

11.04.2003: Wagenburgler ziehen um.

08.10.2002: Blockhaus wird Treffpunkt.

24.07.2002: Vom Biohum ins Vormoos.

29.06.2002: Wagenburg ist umgezogen.

20.09.2001: Wagenburg kann neuen Platz ansteuern.

19.09.2001: Räte gegen Präzedenzfall.

06.06.2001: Jetzt vereint: die „Grüne Insel“ im Eselwinkel.

23.06.2001: Die „Schattenparker“ haben Freiburg verlassen.

16.06.2001: Schattenparker sind abgezogen.

16.06.2001: Solidarität mit den Schattenparkern.

13.07.2001: Für die Wagenburg.

11.07.2001: Stadt ist gegen die Umzugspläne.

10.07.2001: Schattenparker suchen Privatgrundstück.

23.06.2001: Es ist noch Zeit zum Üben.

19.06.2001: Wagenburg wird vorerst nicht geräumt.

18.06.2001: Wagenburg droht Räumung.

17.06.2001: Schattenparker stehen im Rampenlicht.

02.06.2001: Wagenburgmentalität.

02.04.2001: Biohum-Wagenburg zieht ins „Vormoos“.

02.03.2001: Film über „Wagenburg“.

24.01.2001: Biohum-Wagenburg kann jetzt umziehen.

23.01.2001: Ein brauchbarer Platz für die Biohum-Wagenburg.

20.01.2001: In Hochdorf kein Areal für Wagenburgen.

18.01.2001: Ortschaftsrat will keine Wagenburg.

17.01.2001: Kein Platz für Wagenburg.

Bibliographie

115


6 Anhang

Anhang

6.1 Analysewerkzeug und Erweiterungen ..................................................................117

6.1.1 Definition der Moderne vs. Postmoderne ..............................................117

6.1.2 Wagenburgen in Deutschland ...............................................................119

6.1.3 Umfragebogen .......................................................................................121

6.1.4 Meinungsspektrum ...............................................................................126

6.1.5 Medienanalyseraster ..............................................................................129

6.1.6 Biohum-Wagenburgagglomeration (1998) ...........................................130

6.1.7 Transkriptionslegende ...........................................................................131

6.2 Wagenburginterviews .........................................................................................131

6.2.1 Biohum: Wilhelm, Michael und Ulrich .................................................131

6.2.2 Eselswinkel: LeeRobert Zimmermann ..................................................142

6.2.3 Schattenpark: Alexandra, Stephanie, Ulrike .........................................144

6.2.4 Schattenpark: Arne Brinkmann .............................................................147

6.2.5 Waldmenschen: Karlheinz, Pitt und Diddi ............................................154

6.2.6 Punkstadt: Joe ........................................................................................160

6.2.7 Urstrom: Uri Fried ................................................................................163

6.2.8 Ölmühle: Ellen Koppitz .........................................................................168

6.2.9 Susiburg: Bobby Glatz .........................................................................171

6.3 Umfeldinterviews .................................................................................................181

6.3.1 Frau Beule (Journalistin der Badischen Zeitung) ..................................181

6.3.2 Herr Maier (Leiter des Liegenschaftsamtes).........................................186

6.3.3 Herr Schröder-Klings (Leiter des Stadtplanungsamt PRISE) ...............189

6.3.4 Herr Siegel (Projektgruppenleiter Rieselfeld) .......................................195

6.3.5 Herr Würthemberger (Abteilungsleiter des Sozial- und Jugendamtes)..198

6.3.6 Herr Zinnkann (Polizeihauptkommissar a.D.) ......................................207

116


6.1 Analysewerkzeug und Erweiterungen

6.1.1 Definition der Moderne vs. Postmoderne

Die hier tabellarisch dargestellt Dichotomie soll nicht als reine Gegenüberstellung verstanden

werden, bei der das eine durch das andere ersetzt wird, sondern vielmehr gehen die Elemente

der Moderne in die entsprechenden Elemente der Postmoderne über, darin auf, wirken subtil

neben oder mit ihnen weiter. Es ist weniger ein Bruch, als vielmehr eine Art Übergang,

welcher das Projekt aus dem 18. Jahrhundert weiterleitet und teilweise neu besetzt. Was hier

als Bipolarität erscheint, manifestiert sich meist als vermeintliche Widersprüchlichkeit in

einer kulturellen Co-Existenz des Gegenwärtigen.

MODERNE POSTMODERNE

➣ 6.1.1

Wahrheit Wahrheiten

Funktionalismus Ästhetizismus

Homogen funktionale Stadtbereiche Heteropolis und Fragmentation

Monismus, Idealismus Pluralismus

Dominierendes Zentrums Post-Suburbane-Entwicklung / Multizentrisch

Ganzheitliche Welt Theorie Ortsspezifische Theorien/ Diskurse / Kritische

Theorie

Globalität und Lokalität Glokalität

Positivistischer Fortschrittsglaube in Skeptizismus, Anti-Technologie Bewegungen,

Technik und Wissenschaft

Neo-Luddismus

Öffentlichkeit Einhegungen / Gated Communities /

Homogenität der Wissens- u. Lebensformen

Privatisierung des Öffentlichen

Heterogenität der Wissens- u. Lebensformen

Distanz Partizipation

„Grand recits“ / Meta-Erzählungen

Lokal-Erzählungen

Großen-Erzählungen

/ Dekonstruktion der

Geschichte / Historie Geschichten / Historien

Glaube und Mythos von einer sozialen und

kulturellen Einheit

Pluralistische Lebenswelten / Milieus

Sozialklasse, Ethnie und Nation als klare Multiple fragmentierte Grundlagen eigener

Basis von Identität

Identität

Ernsthaftigkeit, mittelklassen Ehrlichkeit Spiel, Herausforderung der „offiziellen“

Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit

Klassische Familie als zentrale

Multiple Arten des Zusammnenlebens,

Ordnungsmodell und Idealbild der

Gesellschaft

Patchwork-Familie

Ehegemeinschaft Lebensgemeinschaft

Zentralistische Strafsysteme Dezentrale Überwachungssysteme

Glaube und Engagement in Makro-Politik Engagement in Mikro-Politik oder Sub-Politik

(Parteien, Nationalstaatlichkeit, Institutionen) (NGOs, Lokalpolitik, Soziale Bewegungen,

Identitäts-Politik)

Dichotomie von Hoch- und Niederkultur Hybrid Kultur, Pop-Kultur

Form (verbunden, geschlossenen) Antiform (abgelöst, offen)

Fertige Kunstobjekte Prozess, Performanz, Happening


Stiltreue-Architektur Hybrid-Architektur/ Stilmix / Eklektizismus

Buch Hypermedia

Unmittelbare Präsenz Mediale Präsenz

Staatlich zentrale Dienstleistungen Dezentrale Marktförmige Dienstleistungen

Hypotaxe Parataxe

Synthese Antithese

➣ 6.1.1

Logozentrismus u. doppelte Reflexion

(Entwurf: eigen)

(Quellen: HALL 1998: 82 ff, IHAD 1982: 267-268, MALPAS 2005: 7-8, SHORT 1996: 32 ff,

Beck 1997: 28 ff.)

118


6.1.2 Wagenburgen in Deutschland

Die angefügte Hochzahl gibt die Zuordnung zur Übersichtskarte Deutschland (Abb. 9) für

Städte und Orte mit weniger als 50.000 Einwohnern an. Die angefügte Zahl in Klammer gibt

die Anzahl der Wagenburgen an, sofern diese die Anzahl eins übersteigt.

Baden Württemberg Bayern Berlin

Emmendingen 1

Denkendorf 5

Freiburg (6) Erlangen

Heidelberg München (2)

Karlsruhe Hof-Selmsdorf 6

Lörrach Würzburg (2)

Mannheim Weißenbrunn 7

Mutlangen 2

Nellingen 3

Ubstadt-Weiher 4

Berlin 6-11

Brandenburg Bremen Hamburg

Potsdam Bremen (4) Hamburg (9-14)

Treplin 8

Hessen Mecklenburg-Vorpommern Niedersachsen

Bauhaus 9

Boltenhagen 15 Aasendorf 19

Darmstadt (4) Breechen 16

Burgdorf 20

Dietzenbach 10

Greifswald Cuxhaven

Dissen 11

Kleinhundorf 17

Damme 21

Frankfurt a. M. (3) Rostock Göttingen

Gießen (4) Selmsdorf 18

Hannover (4)

Hanau (2) Hildesheim

Kassel (3) Lehrte-Imm. 22

Limburg 12 Längerich 23

Marburg Lingen 24

Messel 13

Lüneburg

Rüsselsheim Lutter 25

Wetzlar Oldenburg (2-3)

Wiesbaden Osnabrück

Witzenhausen 14

Polle 26

Sandhatten 27

➣ 6.1.2


Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Sachsen

Aachen Hohenöllen 34

Chemnitz

Bielefeld (2) Kaiserslautern Dresden

Billerbeck 28

Kleinich 35

Leipzig (4)

Düsseldorf Mainz Ottendorf 38

Duisburg Rodenbach 36

Pösneck 39

Dortmund Trier Zittau 40

Erkelenz 39

Höxter 30

Köln (2)

Mühlheim a.d.R.

Münster

Oberhausen

Paderborn

Petershagen 31

Rhede 32

Windeck 33

Wuppertal

Wiltingen 37

➣ 6.1.2

Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Thüringen

Derenburg 41 Brande-Hö. 44 Schnett-Masserberg 50

Höwisch 42

Buchholz 45

Klein Gartz 43 Dobersdorf 46

Magdeburg Flensburg (2)

Kiel (2)

Lübeck (3)

Moorende 47

Rade b. H. 48

Uetersen 49

120


6.1.3 Umfragebogen

Sehr geehrte Freiburger, sehr geehrte Freiburgerinnen,

➣ 6.1.3

im Mittelpunkt einer wissenschaftlichen Untersuchung am Geographischen Institut der

Universität Freiburg zum Thema

„Wagenburgkultur in Deutschland

mit einer Fallstudie der Situation

in Freiburg im Breisgau“

steht die öffentliche Wahrnehmung dieser städtischen Wohn- und Lebensform. Ich bedanke

mich recht herzlich für Ihre 8-minütige Mitarbeit, welche Sie benötigen, um die folgenden

Fragen kurz und anonym zu beantworten. Unter 101.700 Freiburger Haushalten wurden 250

per Zufallsprinzip ausgewählt , um ein Meinungsbild zu erstellen.

Selbstverständlich werden alle Daten streng vertraulich behandelt und nur im Rahmen dieser

Untersuchung verwendet. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht.

Diesem Schreiben ist ein bereits frankierter Briefumschlag beigefügt, mit welchem sie

Ihre Antworten in jeden öffentlichen Briefkasten bis zum 18. November einwerfen

können.

Die Ergebnisse der Studie werden im Stadtarchiv Freiburg ab Mai 2007 einsehbar sein.

Noch einmal möchte ich mich für Ihre Mithilfe recht herzlich bedanken.

Mit freundlichen Grüssen

Patrick Augenstein

Für etwaige Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung: augenstein@angelstrasse.de

121


Lediglich Frage eins sollte mit eigenen Worten beantwortet werden, alle weiteren Fragen werden

durch ankreuzen beantwortet. Mehrfachnennungen sind möglich.

1.) Was verbinden Sie mit den Worten: Wagenplatz oder Wagenburg? – eine kurze Niederschrift der

spontanen Gedanken:

2.)Stimmen Sie dieser Wohnform grundsätzlich zu?

O Ja 30 O Nein 18 O ist mir egal 6 (absolute Zahl der Nennungen)

3.) Sehen Sie hierin eine Bereicherung für die Stadt?

O Ja 20 O Nein 28 O ist mir egal 5

4.) Würden Sie das Entstehen eines Wagenplatzes an folgenden Orten befürworten?

O Am Stadtrand 31

O In Gewerbe- und Industriegebiet 16

O In Wohnviertel 8

O Am Waldrand 23

O Im eigenen Wohnviertel 11

O an keinem 14

5.) Welche Aspekte verbinden Sie mit dem Leben im Wagen?

O Unabhängigkeit 30

O Rastlosigkeit 7

O Freiheit 22

O Armut 23

O Naturnähe 22

O kostengünstiges Leben 31

O Kriminalität 6

O Kulturelle Vielfalt 13

O Alternative Wohnform 41

O Politische Bewegung 13

O Soziale Bewegung 16

O Ökologische Bewegung 8

O Traditionelles Wohnen 2

O Armutserscheinung 15

O Lagerfeuer 18

O Innenausbauten 4

O Hunde 38

O Sinti und Roma 12

O Zirkusmenschen 8

O Campingmobile 8

O Fahrendes Volk des Mittelalters 5

➣ 6.1.3

122


O LKW 15

O Wohnmobile 17

O Zirkuswagen 12

O Bauwagen 42

O Obdachlose 18

O Jugendliche 12

O Rechtsradikale 0

O Linksradikale 11

O Berufstätige 12

O Akademiker 3

O Studenten 15

O Auszubildende 10

O Menschen ohne Schulabschluss 15

O Arbeitslose 28

O Ein Phänomen hauptsächlich in Freiburg 7

O Ein Phänomen nur im Süden Deutschland 1

O Deutschlandweit 10

O Europaweit 10

O Weltweit 20

O Jack Kerouac 2

O Gustav Gräser 0

O Dieter Salomon 5

O Peter Lustig 8

O Mutter Courage 3

O LBS-Werbeclip 19

O Nachhaltigkeit 4

O Umweltverschmutzung 12

O Selbstversorger/Autarkie 23

O Alkoholismus 18

O Weibliche Emanzipation 2

O KTS 13

O Ökologie 5

O Drogen 15

O Anarchisten-Treffen 16

O Terrorismus 1

O Pächter/Mieter 16

O Grundstücksbesetzer 23

O Eigentümer 2

O immer Unterwegs 14

6.) Ein Wagenplatz in Freiburg sollte nur für ...

O Freiburger sein 8

O Deutsche sein 2

O für alle sein 25

O keinen sein 14

➣ 6.1.3

123


7.) Was motiviert Menschen dazu, im Wagen zu leben?

O Selbstbestimmtes Leben 36

O Hauptsache anders sein 18

O Wohnungsnot 28

O Finanzielle Not 26

O Abenteuerlust 22

O Ökologische Aspekte 14

O Politische Gründe 13

O sonstiges: 2

8.) Welche Gebäude würden Sie in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft befürworten

O Schwerbehindertenheim 37

O Asylbewerberheim 18

O Wagenplatz 15

O Gewerbefläche 6

O Kindergarten 40

O keines 1

9.) Wodurch erfuhren Sie am meisten vom Wagenburgleben?

O durch die Badische Zeitung 33

O durch das Fernsehen 2

O durch überregionale Zeitungen 3

O durch ein Buch 0

O durch das Internet 2

O durch Kontakt zu den Bewohnern 4

O durch Freunde und Bekannte 19

O sonstiges: 8

10.) Wie würden Sie sich über die Wagenburgkultur informieren?

O Fußgängerzoneninfostand 22

O Internet 10

O Buchladen 0

O Öffentliche Bücherei 1

O Stadtarchiv 2

O Fernseher 3

O Tageszeitung 25

O Freunde/Bekannte 20

O gar nicht 8

11.) Könnten Sie sich vorstellen, einmal auf Zeit diese Wohnform selbst auszuprobieren?

O Ja 19 O Nein 34 O weiß nicht 0

12.) Sollte die Stadt Freiburg die Wagenburgkultur gezielt in ihr Image-Konzept aufnehmen?

O Ja 13 O Nein 29 O weiß nicht 11

13.) Könnte Sie sich vorstellen, Wagenburgen in eine Stadtführung zu integrieren?

O Ja 17 O Nein 30 O weiß nicht 7

➣ 6.1.3

124


14.) Wären Sie daran interessiert zu erfahren wie das Leben in einem Wagen aussieht und würden

einen Tag der offenen Tür wahrnehmen?

O Ja 20 O Nein 28 O weiß nicht 6

15.) Welche Wagenplätze in der Stadt kennen Sie?

O Eselswinkel 28

O Schattenparker-Platz 16

O Alte Ölmühle 3

O In der Vauban 27

O Am Rieselfeld / Biohum 22

O Im Stühlinger 2

O sonstige: 0

O keinen 7

16.) Würden Sie in einer Gemeinderatssitzung für den Erhalt dieser Wohnform stimmen?

O Ja 33 O Nein 18

17.) Würden Sie in einer Gemeinderatssitzung für das Bereitstellen entgeltlicher Flächen stimmen?

O Ja 31 O Nein 19

18.) Sollte das Wagenleben genau wie jede andere Form des Wohnens behandelt werden?

O Ja 32 O Nein 19

19.) Haben Sie noch einen Kommentar zu diesem Thema? Hier wäre noch Platz:

Abschließend noch ein paar anonyme Fragen zu Ihrer Person und Ihrer Haushaltsform (Angaben freiwillig)

Familienstand Haushaltsform

O mit d. Eltern 11 O Heim

Geschlecht Alter Berufliche

Tätigkeit

18 ledig O mit d. Partner 11 O alleinerziehend 3 O Männlich

11 verheiratet O Familie 12 O alleinwohnend14

22

2 geschieden O WG 12 O Sonstiges: O Weiblich

O Altenheim

30

Ungefähre

Wohnungsgröße

Stimmten sie für

den Erhalt der

städtischen

Wohnungen am

12.11.?

qm O Ja 43

O Nein 13

Besitzen sie ein

Wohnwagen oder

Wohnmobil?

7 Ja

45 Nein

Wenn am

Sonntag Wahlen

wären, dann ...

In welchem

Stadtteil in

Freiburg leben

sie?

Herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen. Jetzt nur noch die Seiten in den Briefumschlag und

ab in einen öffentlichen Briefkasten damit.

➣ 6.1.3

125


6.1.4 Meinungsspektrum

Positive Zuschreibungen

➣ 6.1.4

- Schutz, Freiheit, Leben (Student, 27)

- Anhäufung von Wagen mit Leuten, die diese Lebensform frei gewählt haben

(Musiker, 51)

- Menschen, die bewusst dagegen sind, in festen Unterkünften zu leben, sich für die

individuelle Freiheit entschieden haben, die aber auch einen Platz in der Gesellschaft

haben sollen (Geschäftsführer, 49)

- Wagenburgler sollen sich frei und wohl fühlen, Plätze nutzen und fördern, aber auch

kompromissbereit sein (k.A.)

- Camping, Mobilität, Freiheit, Viele Freunde, Antifa, Abenteuer, keine Langeweile

(Redakteur, 50)

- Alternatives Leben und Wohnen, Freiheit und Natur (Student, 22)

- Schon immer mache ich Campingurlaub. Es gibt Millionen von Deutschen, die diese

Urlaubsform z.T. über Monate praktizieren. Gleichzeitig schimpfen viele über die

Lebensform, die sie Jahr für Jahr selbst wochen- oder monatelang wählen. (Arbeiter,

48)

- Alternatives Wohnen in der heutigen Zeit für Leute, die auf jeglichen Luxus

verzichten, nur nicht auf die Freiheit, sich selbst zu verwirklichen. (Beamter, 53)

- Eine unkonventionelle Wohnform, auf die jeder ein Recht haben sollte. (Geologin, 31)

- Bescheidene Lebensweise, mit einfachsten Mittel es sich wohnlich machen.

Dauercampen. Es sollte ein miteinander und nebeneinander sein, mit gegenseitigem

Respekt. (Verkäuferin, 39)

- Alternative Lebensform, Individualisten, viel Zeit im Freien bei Wind und Wetter.

Wagenburgen werden oft ohne ihre ausdrückliche Absicht zum Politikum, wenn die

Städte sie vertreiben wollen. Passen nicht in die kapitalistische Stadtplanung. (k.A.,

30)

- Relativ autarke Lebensform. Gemeinschaft, in der Alternatives offen stattfindet.

(Ärztin, 56)

Negative Zuschreibungen

- Versuch des Rückzugs aus dem allgemeinen bürgerlichen Leben mit der Hoffnung auf

grenzenlose Freiheit, Selbstverwirklichung, entweder alleine oder in der Gruppe.

Scheu, Verantwortung zu übernehmen. (Rentner, 65)

- 1. Wagenplätze abschaffen 2. Hundesteuer für die Penner einführen

3. Hundefuttergeld streichen! (Rentner, 73)

- Hunde, Punker, Anarchisten, Diesel- und Öl-Verschmutzung (k.A.)

- Viele Hunde, Schmutz, leben von unseren Steuergeldern, wollen sich nicht an die

Gesellschaft anpassen. (k.A.)

- Niederlassung anarchistischer Schmarotzer, die die Gesellschaft ablehnen aber

trotzdem von ihr leben wollen und fremdes Eigentum widerrechtlich und egoistisch

benutzen. Es ist mir unverständlich, wie man die Gesellschaft ablehnen kann und

gleichzeitig von ihr leben will. Es wäre konsequent zu gehen und für sich selbst zu

sorgen und nicht zu Lasten anderer. (Verwalter von Liegenschaften, 47)

- Sollte man nicht dulden. Wie die Zigeuner. (Rentnerin, 60)


➣ 6.1.4

- Unhygienisch, schmutzig, keine Anpassung an Gesellschaft, liegt Staat auf der

Tasche. Ich muß: Grundsteuer bezahlen, Miete, Wasser, Abwasser, Hundesteuer. Wer

bezahlt den Dreck, der hinterlassen wird? (k.A.)

- Ich finde schon für alle Leute in Wohnung wohnen. (Hausfrau, 35)

- Aussteiger aus dem normalen Zivilleben, mit Nachdruck anders sein wollen bis hin

zum Fanatismus. (k.A.)

- Dreck, Gewalt, Drogen, Auflehnung, Anarchisten, Asoziale, Armut, Arbeitslose,

fordern Lebensraum den sie nicht bezahlen. Ich bin mit dem Verhalten der

Wagenburgler nicht einverstanden und somit gegen diese Wohnkultur. Wenn Wb sich

anständig und sozial verhalten würden, hätte ich keinerlei Probleme mit ihnen.

(Schüler, 16)

- Asoziales Volk. (k.A., 32)

- Gesellschaftsaussteiger, Flöhe, Platzmangel (Student, 26)

- Sollte man in der heutigen Zeit nicht dulden (Rentnerin, 70)

- Außenseiter, Arbeitslose, Wohnungslose. Bald jedoch kann dieser Zustand zunehmen

durch hohe Mieten und Verarmung, da alles zu teuer wurde. Die Mittelschicht stirbt in

Deutschland aus, die Armut nimmt zu. (k.A.)

- Wohnen bzw. Leben auf Kosten von anderen. (k.A.)

- Jemand der sich einigelt und mit seiner Umgebung nichts zu tun haben will.

Pubertärer Freiheitsdrang, hygienische Bedenken, Selbst-Ghettoisierung,

Verweigerung der Mitgestaltung des großen Gemeinwesens. (Akademiker, + 40)

- Lärm, Rauch, Chaos (Krankenschwester, 60)

- Es handelt sich um Zeitgenossen, die ohne Rücksicht auf ihre Umwelt ihr Leben leben

wollen und sich der Gesellschaft gegenüber nicht verpflichtet fühlen. (k.A.)

- Hunde, Ausgeliehene Sachen net wieder zurückbringen - “Wer Deutschland und

Hunde hasst, kann kein schlechter Mensch sein” (k.A., 26)

Neutral / Hybrid

- Freiheitsgefühl, Kalt im Winter, Keine Dusche (Student, 25)

- Fahrendes Volk, Autonomie, Selbstbestimmtes Wohnen, Ausleben von Eigenarten,

Ausstieg aus der Gesellschaft. (Beamter, 56 und Angestellte, 55)

- Wohnwagen, bisschen Dreckig, provisorisch, Rasta, alternative Lebenskultur

(erzwungen). (Student, 23)

- Leider weiß ich nicht viel darüber. Eigentlich befürworte ich keine DAGEGEN-

Einstellung, aber nur Gleichförmigkeit und Uniformität ist für eine Gesellschaft

natürlich auch tödlich ... ! (k.A.)

- Da enttäuscht wieder D. Salomon! Nie mehr Grün! Sind doch schwarz! (k.A.)

- Freiheit – Unabhängigkeit – Protest – Wohnungsnot. Der Leistungsdruck in unserer

Gesellschaft beginnt schon im Kindergarten, Grundschule. Hier nicht mithalten zu

können oder wollen kann schnell gehen. Eine alternative Lebensform ist konsequente

logische Folgerung. (Sozialarbeiter, 48)

- Hier wohnen zum Teil Menschen, die keine Wohnung haben, aber auch solche, die

dieses„alternative“ Wohnen gut finden. (Rentnerin, 73)

- Alternative Lebensform. Habe mich bisher noch nicht eingehend mit diesem Thema

befasst und eher beiläufig wahrgenommen. (k.A.)

- Kenne ich einige Leute - Alternative Lebensform - könnte ich nicht, wäre mir zu eng -

finde ich mutig. Ich finde es diskriminierend, wie die Wagenburgler oder die Punks

127


➣ 6.1.4

die ja dort auch sind, behandelt werden. Die Art der Polizei grenzt an Rassismus, nur

weil sie anders sind? Menschenrecht? (Arzthelferin, 37)

- Alternativ, Hunde, Müll, Lagerfeuer, Traum von Freiheit (Einzelhändler, 53)

- Hunde, Punker, Anarchisten, Diesel- und Öl-Verschmutzung (k.A.)

- Alternative Lebensform (Psychotherapeutin, 50)

- Ich habe grundsätzlich kein Problem mit dieser Wohnform, bin aber nicht damit

einverstanden, dass die Wagenburgler einen kostenfreien Platz wollen. Alle anderen

bezahlen ihre Wohnung/Bauplatz auch. (Referendarin, 25)

- Bauwagensiedlung (Arbeitsloser, 28)

- Protest, Unverbesserliche, Wohnsitzlose (k.A., 38)

- Wilder Westen, Camping (Student, 19)

- Bisher war die Stadtverwaltung verständnislos. Ich hoffe auf Duldsamkeit der

Bevölkerung. (Rentnerin, k.A)

- Ansammlung alter Baustellenwagen, worin sich Menschen aus sozialen

„Randbereichen“ (teure) Mieten ersparen. „Burg“ schafft für sie ein soziales Umfeld

von Geborgenheit. Zu viel öffentliche Aufmerksamkeit hofiert diese „ach so

romantische“ Lebensform und zementiert die soziale Verweigerung dieser Menschen.

Schlechtes Beispiel für labile Menschen. Die Extravaganz darf die normalen Bürger

nicht belasten. (Rentnerin, 65)

- Chaos, Lagerfeuer, Angstgefühle, wenn man nachts durchs Wagenburggelände läuft,

herumstreunende Hunde, in den Wagenburgen, vermute ich auch gemütliches Leben

und gute Gemeinschaft. Ein Tag der offenen Tür wäre interessant. (Kaufm.

Angestellter, 43)

128


6.1.5 Medienanalyseraster

Medienanalyse

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Erscheinungsdatum:

Länge des Artikels: Kurz Mittel Lang

Rubrik: Politik - Gesellschaft - Feuilleton - Lokal - Sonstiges

Schreibanlass:

Romantisierung:

Kriminalisierung:

Politisierung:

Juristisierung:

Kulturalisierung:

Konfliktlinien: WB Pol. WB Bür. WB Stadt WB (ohne) Sonstiges

Räumlicher Bezugsrahmen: Lok. Nat. Euro. Glob.

Zeitlicher Bezugsrahmen: Gegenw. Nahe Verg. Entft. Verg. Historisch

Ökologie: Gefährdung Nachhaltigkeit

Stimmberechtigte:

Bildanalyse: Anzahl der Bilder

Bildgröße

Bildunterschrift

Distanz

Nähe

Motiv

Auffälligkeit

➣ 6.1.5

129


6.1.6 Biohum-Wagenburgagglomeration (1998)

Abb.: Wagenburggruppierungen vor der Rieselfeldbebauung und dem Folgeplatz

➣ 6.1.6

130


6.1.7 Transkriptionslegende (nach BOHNSACK: 1999)

. stark sinkende Intonation

; schwach sinkende Intonation

, schwach steigende Intonation

? steigende Intonation/Fragesatz

okay betont

kursiv sehr leise gesprochen

(3) Dauer einer Sprechpause in Sekunden

(lachen) Lachen

(...) Kürzung des Gesprochenen

[geht] Zusatzinformation

6.2 Wagenburginterview

6.2.1 Biohum: Wilhelm, Michael und Ulrich

➣ 6.1.7 u. 6.2.1

Wilhelm (gelernter KFZ Mechaniker, z.Zt. 1 Euro Beschäftigungsverhältnis in einer

Schreinerei), Uli (Chefredakteur der Obdachlosenzeitung Freiebürger), Michael

(Landschaftsgärtner)

F: Wieso entstanden auf dem ehemaligen Biohumgelände die Wagenburgen? Wieso gerade

an dieser Stelle?

W: Wieso gerade da? An dieser Stelle, da sind die Leute eben von der Haid hinten geräumt

worden, also die mussten da weg. Und die haben sich das dann da ausgesucht, und mit

Genehmigung, also, mit unter der Hand von den Bullen durften die dann dort sein. Und ich

bin hier her gekommen. Sagen wir mal so aus der Not ne Tugend gemacht, ich war ja dann

obdachlos. Ein Kollege hat mich eingeladen eine Zeitlang auf seinen Wagen aufzupassen und

dann habe ich nach und nach ein paar Leute mitgebracht. Wir waren zuvor ja in Zelten. Mein

erster Wagen war ein R4, das weiß ich noch, ein rosaroter R4, (lachen), umgebauter. Ja. Das

war ein geiler Wagen. Ja und dann nach und nach sind die Leute dann halt auch gekommen.

Da haben sich die Obdachlosen dann halt gesagt, wenn ich die Möglichkeit hab in nem

Wagen zu Wohnen, es werden ja manchmal auch Wohnwägen und so verschenkt, und so ist

das hier auf dem Platz auf jeden Fall entstanden. Würde ich sagen. Dass viele Obdachlose

gesagt haben, ne, gehen wir in Wagen. Besser.

M: Ist immer besser als auf der Straße zu leben, hast ne Dach überm Kop.

F: Was ist mit der Alternative, die Städtischen Wohneinrichtungen , die es gibt oder gab?

W: Da gabs damals, wir hatten es vorhin schon gehabt, da gabs gar nichts. Wo sie uns dann

zweiundneunzig räumen wollten, da han wir. Keiner wo hier gewohnt hat, ein Ersatzangebot

gekriegt. Weder ne Wohnung oder sonst was. Da hieß es, ihr könnt ja, dann ins

Obdachlosenheim gehen.

F: In der Schwarzwaldstraße?

131


➣ 6.2.1

W: Ne, das war damals noch in der Klarastraße, da wo jetzt das Ferdinand-Weiß-Haus,

Wartburg ist, da hinten. Klara 100. Obdachlosenheim einfach. Das ist heute nun in der

Hermann-Mitsch -Strasse. Da hätten wir dann hin können. Das war die Alternative. Und da

haben wir dann halt gesagt, ne Quatsch, wir haben ja unsere Häuser, wir haben ja unser Dach.

Praktisch unsere Wohnungen. (2) Da baust du dir was auf, so ein Wohnwagen so einen alten,

so einen ausramponierten, den musst du dann halt auch ausbauen, und ne Ofen rein und

trallala. Nö. (2) Und dann haben wir uns halt gewehrt dagegen, dass sie uns das bisschen, was

wir jetzt haben, auch noch wegnehmen wollen. Sprich, die Freiheit auch die du dann hast. Als

Wagenburgbewohner hat man schon viel Freiheiten. (2) Du machst die Tür auf und du bist

draußen.

U: Wenn du so willst, haben wir zweimal die Woche in der Innenstadt, meist am

Rathausplatz, Unterschriften gesammelt, Infostand aufgebaut, das haben wir anderthalb

Monate lang gemacht. Bis dann im Herbst, da kam dieser Gemeinderatsentschluss, dass

erstmal die Räumung gestoppt ist und dass wir erst mal geduldet sind und nach nem

Ersatzgelände gesucht wird.

F: Warum sind diese städtischen Wohnheime keine Alternative? Worin unterscheidet sich

das?

W: Erstens, also ich kann jetzt nur von mir reden, aber wahrscheinlich von vielen anderen

auch, die wo Hunde haben, Hundebesitzer. Ein Hund ist nun mal der beste Kumpel, wenn

man auf der Straße ist oder auch so; und den darf du da erstmal nicht mitnehmen. Das ist ein

Grund. Zweitens bis du da eingepfechert in Budenen mit zehn, zwanzig Leuten zusammen,

das geht nicht. Es ist nicht sauber. Es ist (gelammer). Der eine furzt, der andere scheißt sich

ein, der nächste pisst sich ein, der andere kotzt sich ein. Es ist so. Es sind ein Haufen

Alkoholiker darunter. Und dann wirst du konfrontiert jeden Tag mit Leuten und du sackst im

Endeffekt jeden Tag immer weiter ab, weil du es ganz anders einfach nicht ertragen kannst,

du musst saufen, um das ganze Gedönse zu ertragen. Und die Freiheit hast du halt hier (2); du

kannst trinken wenn du Lust hast, und hast du keine Lust, dann gehst du in deinen Wagen

oder gehst auch raus und trinkst nichts. Und wenn es Streit gibt. Zoff gibt es überall, klar,

aber, du bist dann nicht so gezwungen und du musst nachts um 10 net daheim sein, also

praktisch im Wohnheim, jetzt musst du drin sein und wenn du später kommst, dann stehst du

vor verschlossenen Toren und kommst nicht mehr rein. Also wenn ich hier weggehe, dann

geh ich morgens um acht und komm was weiß ich was heim.

F: Und morgens im Wohnheim muss man wieder gehen?

W: Ja, morgens musst du wieder raus.

M: Klara, war damals sechs Uhr morgens.

U: Gut , heute sind sie ein wenig humaner; heute ist es so acht oder neun. Jetzt gibt es da auch

dann die nassen Unterkünfte. Wenn du da jetzt ein wenig weiter bist, dann lebst du im

Zweimannzimmer. Bitteschön. Hast du da Bock auf Dauer zu zweit in einem Zimmer zu

leben?

W: Und du kannst dir net aussuchen mit wem. Vielleicht hast du das Glück und bist alleine

auf nem Zimmer, sie sind aber eigentlich auf zwei Leute ausgerichtet. Wenn du dann viel

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➣ 6.2.1

Pech hast, wenn also richtig fett Saison ist, ich nenn des jetzt mal so, wenn da Durchwanderer

kommen, was es ja immer noch gibt. Und die wollen dann halt da auch mal abschlafen, und

sich duschen und Wäsche waschen und dann wird aus einem Einmannzimmer plötzlich ein

Zwei- oder Dreimannzimmer. Dann wir halt noch ne Bett hinzugestellt oder ne Matratze auf

den Boden gschmisse. Und du kennst die Leut net und hast dann da dein kleinen Spind, da

hast du deine persönliche Habe drin, also deine Privatsphäre wird ja dadurch auch

unterbrochen. Also du bist nie allein für dich privat. Und jeder Mensch hat das Recht auf

Privatsphäre, und die wird dir dann in dem Moment, sage ich jetzt einfach einmal,

weggenommen.

M: Du wirst entmündigt.

W: Du kannst da rein zum Pennen und mehr nicht.

M: Andere Rechte hast du nicht.

F: Eine Parzelle hier ist für eine Person ausgerichtet.

W: Eine Parzelle hier ist für eine Person ausgerichtet.

F: Dürfte man zu zweit oder dritt drauf?

W: Dürftest du auch. Du darfst aber nur 30 Prozent der Stellfläche nutzen für Wagen.

F: Der Rest muss Grünfläche bleiben?

W: Ja, so ungefähr.

F: Was ist aus Beton hier auf dem Platz?

W: Das Fundament von da (Sanitärcontainer) und von hier der Hütte und da wo sie die

Stromkästen hingemacht haben. (Rahmenfundament)

F: Wie war die Gruppenzusammensetzung auf dem alten Biohum-Platz?

W: Ach, du da gab es einen Teil mit Punks, dann gabs die in der Mitten, das waren die Säufer,

dann gabs die Heiligenecke und dann gabs da die ganz andere Ecke. Über die redet man nicht.

F: Unter Säufer und Punks kann ich mir was vorstellen, aber was sind die Heiligen?

W: Das sind halt so Christen, Gläubige, Bibeltreue, so ganz komische Leute, sag ich jetzt mal,

ganz vorsichtig ausgedrückt.

F: Also haben sich da immer so Gruppen heraus gebildet.

W: Ja, es gab so richtige Gruppenbildung, man hat sich zwar untereinander einigermaßen

verständigt. Ging. Aber, sagen wir mal so, wenn es darauf ankam, war der ganze Platz

gestanden.

F: Politische Gruppierungen, gabs das auch?

133


➣ 6.2.1

W: Unter Umständen auch. Es bleibt ja auch nicht aus. Die einen haben die Ansichten, die

anderen haben selle. Es gab dann aber ne Gruppe, die hatten ganz sonderbare Ansichten

gehabt, die waren ein bisschen auf ner rechten Schiene , will ich jetzt mal so sagen. Die, über

die man halt nicht so redet. Aber es gab sie schon, sie hatten da schon ein paar Einschläge

dazu gehabt. (2) Und dann gabs eben da die Punks, und die Hippies gab es ganz am Anfang

noch.

F: Kann man sagen, dass diese Gruppierung so schon auf dem alten Platz entstanden ist?

W: Ich sag mal so, auf dem alten Platz gabs Gruppierung, aber hier gibt es jetzt eigentlich

keine mehr. Also hier ist es ein geschlossener Haufen. Und auf dem alten Platz, da gab es die

da hinten, die da vorn und die in der mitten, hatten wir gesagt. Ja, war so. Und die ganz

andern, die Heiligen (lachen). So wars.

F: Ist die Gruppe dann erst hier entstanden?

W:Wir wollten im Endeffekt einen Platz für uns. Am liebsten hätten wir natürlich den Platz

behalten wollen. Wo es dann aber von der Stadt hieß, das geht nicht, weil die Anwohner, wo

da hin sollen, die könnten sich ja an uns gestoßen fühlen. (3) Was aber his jetzt heraus stellt,

die Rieselfeldbewohner, die haben mit uns kein Problem und wir mit denen auch nicht. Im

Gegenteil. Viele wissen gar nicht, dass es uns gibt. Würden sie vielleicht wissen, wenn wir

noch da wären. (leise)

F: Gab es Konflikte, als der Platz noch 120 Meter weiter vorn war?

W: Es gab vielleicht mal den einen oder anderen Jogger der da durch ist, weil manche Leut

ihre Hunde da frei haben rennen gehabt. Und ne Jogger, das ist für jeden Hund Beute.

M: (lachen)

W: Ja, (lachen), und da wurde dann schon mal der eine oder andere vom Fahrrad geholt oder

mal in die Waden gezwickt, aber nichts ernsthafteres.

M: Das war dann auch unglücklich, die Jogger, die sind ja dann auch immer quer über

unseren Platz gelaufen, an den Wägen vorbei, und das haben sich die Hunde eben halt nicht

alle gefallen lassen.

F: Also, da war schon Konfliktpotenzial da, wegen den Hunden.

W: Wegen den Hunden gab es schon mal Reibereien.

M: Der Weg da war völlig verwachen, es war praktisch nur ein kleiner schmaler Pfad. Und

dann wo die mit der Baustelle angefangen haben, haben sie den Weg verbreitert und dann fing

das Problem eigentlich erst an , weil der Weg dann halt einfach breiter war, und zwar offen.

Vorher haben alle gedacht, das ist irgendwie so ein verwilderter Weg, oder weiß Gott was.

Und dann kam es dann schon einmal vor, dass da ein Jogger sich verirrt. Wir haben dann ab

und zu auch mal ein paar Schilder gemacht und die dann an die Schranke und an Bäume

gemacht. Und haben dann darauf geschrieben: Achtung freilaufende Hunde. Bloß hat die der

Förster immer wieder abgemacht, weil er gemeint hat, wir dürfen die nicht anbringen, das ist

illegal, das ist für uns verboten. Obwohl es völliger Schwachsinn ist, wir wollten einfach nur,

dass die Leute Bescheid wissen. Die wurden uns einfach immer wieder weg gemacht.

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F: Was stört an einer Satzung?

➣ 6.2.1

M: 70 Cent Besucherpauschale. Dass es zum Beispiel nur ein Nutzungsvertrag ist und keine

Pacht.

U: Bis vor nem guten Jahr, hat es am meisten gestört, dass es eine Art Zuzugsstopp gab. Das

heißt, laut Vertrag durfte ja keiner -, sagen mir mal wie im Todesfall oder so weiter, durfte

keiner dazu ziehen. Das heißt, im Endeffekt hatte man den Platz aussterben lassen wollen.

Das war der Punkt, der eigentlich an meisten gestört hat, dass die Parzelle nicht neu besetzt

werden darf. Das haben wir aber dann geändert. Wir haben es halt einfach durchgezogen.

W: Haben wir aber fast drei Jahre dafür gebraucht.

U: Und erst beim dritten Mal im Gemeinderat ist die Satzung dann geändert worden.

F: Wenn jemand neu dazu kommt, wird das dann einstimmig beschlossen?

U: Das wird einstimmig beschlossen. Der muss sich erst mal hier vorstellen. Klar, man muss

die Menschen ja erst mal kennen lernen, und dann machen wir hier ne Sitzung, dann sitzt der

ganze Haufen zusammen. Und dann wird halt abgestimmt, kann er jetzt her oder nicht her.

Wenn einer jetzt sagt ,ne, mit dem kann ich net,

M: Dann gibt’s ne Probezeit, man guckt obs trotzdem funktioniert.

F: Welche Änderungen könnte man sich wünschen?

M: Wie gesagt, dass es nur ein Nutzungsvertrag und kein Pachtvertrag. Bei nem

Nutzungsvertrag sind wir halt eben schneller wegräumbar, als wenn wir ne Pachtvertrag

hätten. Und der Vertrag ist nur bis 2011 festgesetzt. Wir müssen also irgendwann wieder

dafür anfangen, dafür zu sorgen , dass unser Vertrag verlängert wird. Am besten nicht gerade

auf den letzten Drücker. (2) Und was uns noch nervt, das ist von den Pressemitteilungen her,

wir als schwer Alkohol- , Drogenabhängige.

U: Drogen- und alkoholkranke Menschen, die von Sozialarbeitern betreut werden.

W: Aber das steht ja nicht in der Satzung (lachen). (2) Das ist einfach die Presse von der

Stadt. Die hat das festgelegt.

U: Wir haben das letztes Jahr in der Badischen (Zeitung) einmal klargestellt. Und die

Redakteurin von der Badischen wollte ja unseren zuständigen Sozialarbeiter sprechen.

M: Durfte sie nicht.

W: Ja , wir haben ja keinen.

U: Und, sie hat keine Genehmigung vom Presseamt bekommen.

W: Da hat zwar einer Stellung genommen. Aber sie durfte es nicht drucken, weil das keine

Pressemitteilung von der Stadt ist, daran müssen sich eben Zeitungsleute halten. Du kennst

dich aus Herr Redakteur.

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U: Ja.

W: Is so, vollkommen klar.

W: Und was die dann anderweitig ermitteln, das dürfen sie dann gar nicht drucken, weil die

Stadt dann sagt, das ist unsere Presse Mitteilung, also wenn, dann das.

F: Wie sieht dann die Wahrheit aus mit Sozialarbeiter und Drogen ?

➣ 6.2.1

W: Sozialarbeiter kommt sporadisch hier her. Ich würde mal sagen, wenn mal wirklich was

ist. Weil man braucht ihn eigentlich nicht. Wir sind eigenständig, wir sind selbständig. Wir

machen so gut wie alles, was wir machen, was wir wollen, was wir brauchen, aus

Eigeninitiative. (3)

F: Und das andere Thema?

W: Ich bin mir sicher dass der Bürgermeister mehr Alkohol trinkt als wir. Daheim halt, beim

Ausspannen mit ner Zigarre, (2) bei nem gutem Buch.

F, M, W: (lachen)

U: Ach weißt du, es ist ein so leidiges Thema, das kommt von zweiundneuzig, wo das Ganze

auch so zugetroffen hat, also wo es wesentlich andere Probleme gab. Da gab es noch viel Junk

auf dem Platz. Das haben wir aber alles selber auch klar gemacht, es kommt uns kein Junk

mehr auf den Platz. Das musst du verstehen, das kommt von damals. Es nervt einfach. Stellt

dir einfach mal vor, es will jemand ne Ausbildugn anfangen, wie wir es auch gehabt haben.

So, jetzt sagt sich der Personalchef, ah das ist doch die Wagenburg, ich hab da in der

Badischen (Zeitung) was gelesen, Opfinger 190, Alkohol und Drogenkranke, ja bitteschön,

welche Chance hat denn der, sich zu bewerben.

M: Von wie vielen Arbeitstelle wurde ich schon abgewiesen.

U: Du wirst nach der Adresse gefragt. Dann sagst du Opfinger 190. Dann ist mir schon ein

paar Mal passiert. Ach, das ist doch da, wo die Wagenburg ist. Dann sag ich natürlich, da ich

ja da leb, denn da wohn ich ja auch im Bauwagen. Dann wird erst mal freundlich durch die

Blume, ja, wie ist des denn da so? und was macht ihr im Winter? Sage ich, ja, ich hab ne

Holzofen mit dem heiz ich halt und kochen tu ich mit Gas, wie jeder andere auch. Oder der

eine kocht halt elektrisch, wenn man sich es leisten kann, aber ich hab halt lieber Gas. Das ist

halt so durch die Blume. Die machen sich dann ihr Bild. Sie richten sich natürlich auch immer

nach den Medien; (2) und dementsprechend wirst du dann halt auch behandelt. Du gehst dann

und es wird dir freundlich gesagt, sie bekommen dann eine schriftliche Mitteilung (lachen).

F: Also, könnte man sagen, da ist Diskriminierung vorhanden?

U: Ist vorhanden.

M: Ich hab zuerst einmal gar nicht erwähnt, dass ich im Wagen wohne, erst wo mich die

Leute länger kannten und so, und auch zufrieden waren mit meiner Arbiet, da hab ich gesagt;

ich wohn im Bauwagen. Das ist halt so wie nach dem Motto, wenn einer schwul ist, dann

bekommt er keine Arbeit, aber wenn er sich bewährt hat, dann sagt man, der is halt schwul,

136


➣ 6.2.1

aber eigentlich is er doch ganz okay, so muss man sich das vorstellen, wirklich. Lieber also

besser erst mal nichts sagen, man weiß ja nie.

F: Liegt viel an der Berichterstattung in den Medien?

W: Viel, viel. Es ist mir oft passiert beim Bewerben irgendwo, oh oh. Manche haben es dann

wenigstens auch direkt gesagt. Tut mir leid, geht nicht. Aber die meisten gehen dann her und

reden durch die Blume. ( Dann merkt man das selber im Gespräch ja auch. Dann merkt man

das im Gespräch ja schon. Dann gibt es da Gerüchte. Ich weiß noch. Das war irgendwann

fünfundneunzig oder so, da war das bayerische Fernsehen hier. (2) Das kam dann auch im

Fernsehen, das wurde dann auch ausgestrahlt. Die haben halt gefilmt wegen Wagenburgen

und so. Und da wir ich dann mit dem Tasilo, Kollege, ein alter von mir, von uns, und wir

waren gerade am Grube ausheben. Und wir waren halt schon verschwunden und unsere Köpfe

hat man nicht mehr gesehen. Da kam halt nur schaufelweis die Erde aus dem neuen Loch.

Und dann bin ich rüber zum Einkaufen gegangen. Und dann kam uns ne Oma entgegen, so ne

alte Frau halt. Und dann frägt die tatsächlich, stimmt des, dass ihr wirklich da eure Toten

beerdigt, ich hab da nen Bericht im Fernsehen gesehen. Ha ja gut, wir waren halt damals noch

einwenig anders druff. Dann sagte ich, ha ja klar , selbstverständlich, wo willst du denn auch

hin damit, kann sich ja heute keiner mehr leisten (lachen). Zack, hat sie die Straßenseite

gewechselt. Aber was willst de denn da auch sagen, da wird berichtet, dass wir unsere

Scheißhausgruben selber ausheben und die frägt, ob wir da unserer Toten rein schmeißen.

(lachen)

U: Oder als wir die Müllaktion hier gemacht hatten, die letzte. Da kamen dann zwei Frauen

aus dem Wohngebiet hier an und unterhalten sich, da haben wir hier den ganzen Wald

aufgeräumt, einen ganzen Container voll mit Schrott und allem möglichen. Und dann die

zwei Frauen vorbei gelaufen, und die haben gedacht,der ganze Müll kommt von hier vom

Platz. Dann die auch mal erst aufgeklärt. Dass das ganze hier vom Waldstreifen ist, da kam

eine Unmenge an Müll heraus. Und die dachten, das wäre vom Platz.

W: Das waren fast zwei Container voll. Ich kann mich auch noch erinnern, wie die Bullen

froh waren damals als wir noch viele ,viele Punks waren, da war ich auch noch gut dabei. Wo

wir dann aus der Stadt draußen waren. Und dann hier oben gewohnt haben. Denn dann war’n

wir nicht mehr in der Stadt, der Schandfleck war weg für die Bullen, die hatten keine Arbeit

mehr mit uns. Von wegen da wegschmeißen oder dort wegschmeißen. Die haben uns ja von

einer Ecke in die andere gejagt. Und da waren wir froh, dass wir hier unsere Ruhe hatten. Du

wurdest nicht gescheucht, nimmer. Du konntest in Ruhe dein Bier trinken. Man ist zwar

trotzdem in die Stadt. Klar, musst du ja, wenn du irgendwie an Geld kommen willst.

Schnorren, Biertrinken, Leute treffen (lachen). Aber die Bullen, die Bürgermeister und die

Stadt, die waren anfangs schon froh, dass wir aus der Stadt draußen waren und dann hier

gewohnt haben.

F: Was meinst du mit „in der Stadt“?

W: In der Stadt, Platte machen in der Stadt, oder an der Uni sitzen und hier und da saufen,

was wir da ja Tag und Nacht gemacht haben, weil wir ja nicht wussten wohin.

M: Das Denkmal da gehörte uns.

W: War ständig unser Platz.

137


M: War unser Wohnzimmer.

➣ 6.2.1

W: Wurde dann irgendwann, nach viel Ärger und Theater und hin und her, wurde es von den

Bullen dann irgendwann einmal mehr der weniger akzeptiert. Und wo wir dann hier waren,

haben die dann gemerkt, die Leute , die trinken zwar ihr Bier und schnorren Geld, was man ja

braucht, aber dann gehen die auch wieder weg. Die fahren dann wieder raus auf ihren Platz.

Wir waren dann aus der Stadt draußen. Zack. Und es gab auch nie Ärger großartig, ab und zu

mal ein bisschen, das bleibt nicht aus.)

F: Trinkt man mehr Alkohol, wenn man Platte macht in der Stadt - als in der Wagenburg?

U: Ja.

W: Ja, ja.

U: Ja.

F: Wieso?

W: Wieso? Erstens du wachst morgens auf und dir ist kalt. Du gehst aus deinem Schlafsack

raus und dir ist kalt und frierst. Dann trinkst du erst mal ne Schnäpsle zum warm werden, nu,

was eigentlich jeder Bruttonormalverbraucher sagt, wenn mir kalt is, dann trink ich mal

schnell a Schnäpsle, der wärmt mich auf. Was zwar Blödsinn ist rein von den Ärzten her, aber

für den ersten Moment macht der warm. Und schon hast du deinen ersten Schnaps getrunken.

Und dann triffst du Leute. Die einen haben durchgesoffen, haben Party gemacht. Dann triffst

du die. Bist noch relativ nüchtern. Ah, komm, wir trinken jetzt en Bier. Weil Sprudel oder so,

das ist da eher selten, denn das kostet Geld, und man wird nicht betrunken davon. Also, muss

mit Geld auch haushalten, auch als Obdachloser, also kaufe ich mir doch des, was effektiver

ist, also en Bier oder en Schnaps, man will ja auch besoffen sein, denn anders erträgst du die

Stadt ja nicht. Du musst den Kragen voll haben, damit du die Stadt (2), du bist ja von morgens

bis abends in der Stadt, bis du dich hinlegst, bis du sagst: Jetzt ist Ende, jetzt penn ich ein.

Bis zu dem Punkt bist du ja nur in der Stadt. Ständig konfrontiert mit Bullen, mit Menschen,

du hast nie eine winzig kleine Privatsphäre, gar nichts. Du hast wirklich, null. Und den Frust

saufst du dir runter. Erstens, des sag ich jetzt mol. Um zu vergessen. Viele nenne des so. Zum

Teil zum Abschalten, zum Teil zu jetzt Arschlecken, puh, ich bin blau, alles cool , alles

schön, aber zum andern auch, dass man halt auch nachts schlafen kann, weil , (3) ich hab des

schon mal gemacht. Ich hab mich schon mal nüchtern unter ne Brücke gelegt und das geht

garnicht. Du bist so was von wach. Erstens, es kann jeden Moment irgendwo ein Idiot auf

dich lauern und dich von hinten anfallen und dir einen Baseballschläger ins Genick schlagen.

Deshalb schläfst du unruhig. Dann die Geräusche, die Auots , die Straßenbahnen, dann laufen

Leute vobei. Du muss ja richtg blaue sein, richtig voll sein, damit du richtig pennen kannst.

(2) Also mir persönlich ging das oft so auf Platte, dass ich eigentlich im Hinterkopf immer die

Gefahr hab lauern hören, pass auf, da kann jetzt einer kommen und haut dir was ins Genick

rein während du schläfst.

M: Ja, auf Platte ist das nicht das erste Mal.

U: Oder man zündet einem den Schlafsack an, is noch schöner

138


➣ 6.2.1

W: Oder solche Geschichten, was alles schon passiert ist. Und damals, als ich noch Platte

gemacht hab, da gab es noch das Berbertelefon, so haben wir das genannt. Das hat ja

wunderbar funktioniert.

U: Ja, wir müssen jetzt mal rüber. Also ciao dann.

M: Jo, bis später.

F: Jo, ciao.

W: Da schläfst du dann schon anders. Notgedrungen durch regelmäßigen Alkohloverbrauch,

nicht vernünftig essen. Dann bis du halt gleich mal Alki. Das geht ruck zuck.

F: Und außerhalb von der Stadt findet man dann Ruhe, wie auf dem alten Biohum zum

Beispiel?

W: Auf jeden Fall. Da gehst du hin und weißt, das ist jetzt mein Domizil. Da passiert mir

nichts. Da kann man ausschlafen, man kann sich Essen machen, zum Beispiel, man kann

richtig kochen, mit Topf und Teller und trallala. Wie man halt richtig kocht. Für mich ist das

jetzt mittlerweile ganz normal, ganz normal zu kochen, denn früher auf Platte ging das gar

nicht. Da geht man in die Suppenküche.

F: Was hätte man besser machen können an diesem Platz?

W: (3) Puuh, größer hatte man ihn machen können. Ich mein jetzt nicht von den Parzellen her,

das ist okay, aber vom Platz her.

Als zu verbessernde Merkmale wurden von den Bewohnern bemerkt: Müllabfuhr, die mit

ihrem LKW auf dem Platz wenden muss, zu geringe Beachtung der brandrechtlichen

Vorsichtsmaßnahmen, zu wenige Feuerlöscher, zu geringer Wasserdruck, zu geringe

Allgemeinfläche,

F: Was bekommt ihr vom Wohngebiet Rieselfeld so mit?

W: Eigentlich gar nichts.

F: Was nehmt ihr von Infrastruktur in Anspruch?

W: Den Lidl, die Straßenbahn, man ist jetzt näher an der Stadt. Die Post, durch

Scheckeinlösen, Apotheke, Ärzte sind hier unten.

F: Hat sich da was verbessert?

W: Ja, in dem Sinn schon. Man muss nicht immer ne halbe Stunde bis in die Stadt. Hat sich

schon verbessert. Ich mein auch hier jetzt mit den Containern, Waschmaschine, früher musste

man immer in die Wartburg gehen zum Waschen oder Duschen. Das war schon immer ne

Mords-Tour.

F: Geht man jetzt weniger in die Innenstadt?

139


➣ 6.2.1

W: Ja, ja viel weniger. Ich gehe jetzt vielleicht einmal im Monat. Mit dem Trecker fahren wir

zum Einkaufen in den Real. Ist immer lustig, da sind wir dann fünf, sechs Leut und wir

kommen dann mit unseren Einkaufswagen. Die Verkäufer im Real, die kennen uns alle schon,

die grüßen dann. Das sind auch nette Leut. Da holt man dann des Nötigste.

F: Ich schau noch mal kurz auf meine Fragenliste, was da noch so ist (5). Würde es mehr

Bedarf geben an solchen Wagenplätzen?

W: Auf jeden Fall. Ich hab jetzt schon einige Leute in der Stadt getroffen, mit denen ich mich

unterhalten habe, aber auch im Sommer kommen die Leute hier her und gucken, ooh Mensch,

Wahnsinn (3), das könnte ich mir jetzt auch noch vorstellen. Also, es gibt verdammt viel

Menschen, die auch noch so was machen täten. Aber der Risikofaktor ist eben bei ner

Wagenburg eben noch zu hoch, um von der Stadt einfach ausradiert zu werden. Pfut, weg.

Dazu haben sie die Macht. Wenn die Stadt jetzt hier sagen würde, du, Schluss, aus mit

Wagenburgen. Da können wir uns auf die Ohren stellen und mit den großen Zehen wackeln,

das ist dann auch interessant. Da sind wir zu klein, zu minderwertig, also ne Minderheit.

F: Wenn man eine Wagenburg einrichtet, besteht dann nicht die Gefahr, dass – du hattest

selber eben gemeint, dass, wenn man einmal im Wagen gelebt hat, dass es dann schwer ist

wieder wo anders zu wohnen, - also, dass die Leute dann im Wagen bleiben?

W: Ja, das ist meine Meinung dazu. Das ist ja auch kein schlechtes Ding. Ich war damals ja,

vor zig Jahren. Ich hab selber gejunkt. Ich war selber einmal ein Junkie. Und eben durch diese

Wagenburg hier bin ich von dem Junk weggekommen, durch den Zusammenhalt von den

Leut, die stützen sich, die helfen sich untereinander. Und das ist das, was ein Obdachloser auf

der Straße nicht hat. Da ist das nicht. Da ist jeder für sich. Da ist jeden Tag Kampf ums

Überleben, sage ich jetzt mal so. Du musst da nur an dich denken und Egoist sein. Absoluter

Egoist sein. Und dir jeden Tag bewusst sein , dass du dich deiner Haut wehren musst. Das

muss man in so nem Bauwagen net; du findest Selbstbewusstsein, du kannst dich wieder

aufbauen, du kannst dich wieder aufpeppeln. Du kannst hingehn und sagen, so, jetzt bin ich

wieder soweit. Jetzt kann ich mich um ne Job kümmern. Das ist alles drin in so ner

Wagenburg. Ein Obdachloser hat keine Perspektive und in ner Wagenburg hast du sie. Schon

allein durch das, dass du nicht alleine bist. Du hast die Sicherheit. Du hast den warmen

Wagen. Du hast was zu essen zu Hause. Die Sicherheiten, die hat man nur in nem Wagen.

Und wenn man das mal hat, dann will man es nicht mehr missen. Es gibt gewiss die einen

oder anderen, die das als Brücke nehmen und sagen, gut, jetzt bin ich wieder soweit, jetzt

kann ich wieder in ne Wohnung, wenn sie kurzfristig machen. Für ein oder zwei Jahre. (2)

Aber irgendwann, wenn sie dann mal 5 Jahre in der Wohnung gewesen sind, dann Mensch,

jetzt wieder in nen Wagen, das wärs.

F: Habt ihr bei der Gestaltung dieses Platzes hier mitgemacht? Oder mitgearbeitet?

W: Garnicht. Die hatten hier aufgeschüttet, haben Kanalisation gelegt, die Parzellen

abgesteckt und dann hieß es, so, jetzt rüber. Da waren die Container noch nicht da. Anfangs

hatten wir noch Dixies hier. Und das wars gewesen.

F: Wie siehst du die Zukunft von dieser Wohnform hier?

W: Ich seh die eigentlich recht gut. Ich habe da weniger Bedenken wie andere, wegen der

Räumung 2011. Das glaube ich nicht. Da hat das hier viel zu viel Geld gekostet, das hier alles

140


zu bauen und dann hätten sie ja wieder den Ärger. Und wohin dann mit uns. Wo wollte die

Stadt denn auch hin mit uns.

F: Wie kamst du zum Wagenleben?

➣ 6.2.1

W:(3). Ich bin auf den Platz gekommen da war ich achtzehn, neunzehn. Stress zuhause

gehabt; Dann bin ich halt weg; Straße, Platte, besetzte Häuser. Ich war ja zuerst in

Regensburg. Ich komm ja aus Bayern. Und dann in Regensburg habe ich ein paar Leute

getroffen, du, wir fahren nach Freiburg, mir brauchen noch ein, zwei Leute die mitfahren, um

Spritgeld zu sparen. Und ich sagte, ach hoch ach du, warum denn nicht, ein Wochenende nach

Freiburg. Jo, andere Stadt, andere Leute, ja; (2) (lachen). Das wars. Zwischendurch war ich

noch mal eineinhalb Jahr lang unterwegs mit meinem Hund. Frankreich und Spanien. Zu Fuß.

Geloffe. War schön. Und dann bin ich wieder hier her. Hab gesagt, so, jetzt fass ich Fuß.

Dann kam ich wieder auf den blöden Junk. War ja schon mal drauf. Dann war ich wieder

drauf. Dann war ich so ein halbes Jahr lang weg vom Platz. Nur in der Stadt. Und dann habe

ich gesagt: Jetzt. Hab Leute gefragt, wie siehts aus, kann ich kommen zum entziehen und

zum fit werden. Klar, logisch, komm, wir helfen dir. Haben sie gemacht. Und jetzt bin ich seit

einigen Jahren wieder richtig selbständig auf den Beinen und das habe ich einigen Leuten

hier zu verdanken. Unter anderem der Wagenburg. Wenn es die nicht gegeben hätte, wäre ich

jetzt schon tot. Ja, Junk ist ein Teufelszeug. (4) Das war dann auch die Zeit, wo man gesagt

hat: Auf dem Platz kein Junks mehr. Es sind ja auch ein paar Leute auf dem Platz dort drüben

gestorben. Mit Überdosis.

F: Auf dem alten Biohum?

W: Auf dem alten Biohum. Ja, nicht hier. Hier haben wir jetzt vier. Vier Tote. Der XXX ist an

Lungenentzündung gestorben im Krankenhaus. Der XXX hat sich vergiftet. Der XXX hat sich

erschossen. Drei. Sind drei.

[Junge Frau mit Hund kommt zur Feuerstelle, Mann kommt zum Holzspalten]

F: Ich hab mich schon einmal gefragt, ob es was bringen würde, die Wagenburgen näher an

die Stadt zu machen?

W: Ne, wenn du jetzt so ne Wagenburg näher an die Stadt ran machst, dann wär das für die

Wagenburgbewohner ein Vorteil - oder eher ein Grund - in die Stadt rein zu gehen. Aber du

hast dann wieder andersrum die Leute von der Stadt, die eher bei dir hocken. Also ich bin

froh, dass es einigermaßen vom Schuss weg ist.

F: Und dass mehr Kontakte entstehen?

W: Ach, Kontakte, wenn man welche will, kann man die pflegen. Man besucht die Leute.

Konzerte. Es kommen öfters Leute auch zu Besuch hier her. Jetzt im Winter eher weniger.

Denen ist der Weg zu weit. Einerseits denke ich das ist gut, andererseits (3): Ich bin froh

drum, umso mehr Ruhe hat man dann für sich und drum rum. Weil zu nahe an der Stadt

hättest du jede Nacht halligalli und rambazamba. Und dann hast du wieder dieses plumpe

Zusammenhängen, hängen müssen. Da will ich jetzt nicht jedem sagen, verschwind hier, ich

wohn hier. Man will ja auch gastfreundlich sein.

141


6.2.2 Eselswinkel: Lee Robert Zimmermann

F: Wie oft ist es dir bewusst, dass du in keinem Haus wohnst?

➣ 6.2.2

R: Ich könnte da gar nicht mehr wohnen. Ich war zehn Jahre lang mit einer Frau zusammen.

Und ich war oft bei ihr. Eine wunderschöne Wohnung. Drei Zimmer, wunderbar. Aber nach

ein paar Tagen habe ich Platzangst gekriegt und musste gehen (lachen). Und sie hatte immer

gesagt, mmh, schön dass du da bist. Aber ich musste erst mal zur Balkontür und raus. So

stand ich erst mal draußen.

F: Ändert sich das Raumgefühl, wenn man längere Zeit im Wagen lebt?

R: Ja, ganz sicher. Wenn ich da rein geh (zeigt auf seinen Wagen), dann bin ich total

geborgen, ja, aber ich kann halt auf machen und ich hab grenzenlose Freiheit. Ich kann raus

gehen. Es umgibt mich nichts Verschlossenes. Das störte mich auch immer.

F: Wie empfindest du den umgebenden Raum?

R: (4) Wie empfinde ich den Platz hier? Sehr angenehm. Ich bin nicht immer erfreut, was

intern läuft, im Endeffekt sind es aber eben drei, vier Leute, die den Laden hier schmeißen.

Verwaltung und den ganzen Krempel und sich vor allem auch politisch drum kümmern. In

ner Nacht und Nebelaktion könnte man manche hier in ein Heim stecken, denen würde das

gar nicht auffallen, vor lauter Alkohol. Das ist halt auch ein Problem. Aber das Problem gibt

es übrigens überall. Und ich hab das in Hochhäusern noch viel schlimmer entdeckt, wenn ich

an Weingarten denk, wo Menschen zum Teil leben, die kaum Perspektive haben, die null

Perspektive haben. Also, hier kannst du immer zum Nachbar gehen. Hier kannst du was

gestalten. Es ist eine Gemeinschaft. Es ist eine Gemeinschaft hier; bei den Schattenparkern

nicht anders. Es ist auch so, dass nur ein paar Leute den Laden schmeißen. Das ist

wahrscheinlich überall so. Der Rest igelt sich ein. Ja, die machen das schon. Aber auf der

anderen Seite ist es auch wieder richtig, denn du kannst ja nicht jeden vorschicken.

F: Was macht das Wagenleben aus?

R: Wir wollen mobil sein, wir wollen draußen leben, wir wollen nicht in Wohnungen leben.

Wir wollen nicht in irgendwelchen betonierten Häusern leben. Isoliert. (3) Weil das isoliert,

du kannst ja ne wunderschöne Wohnung kriegen, ohne weiteres, aber dann lebst du da in

dieser Wohnung und nebendran lebt auch jemand und da auch jemand, und du hast mit denen

nichts zu tun. Das ist von keinem hier ne Zielsetzung. Okay, ein schönes großes Haus ist ne

Möglichkeit, nur Häuser gibt’s nicht mehr. Und die, die es gab, die haben wir besetzt, und uns

manchmal auch rausprügeln lassen. Was auch interessant war (lachen).

F: Wie hat sich das Umfeld des Platzes verändert seit es ihn gibt?

R: Sehr, sehr viel Veränderung. Als wir hier her kamen gabs nur Wald hier, rundum, die

Herman-Mitsch Strasse war schmal, da sind keine LKW’s durchgedonnert. Da gabs keinen

IKEA, da gabs keinen Möbelbraun, da war hier alles Wald.

F: Kann es ein Problem sein, bei einem Arbeitgeber, wenn man die Wagenburg als Adresse

angibt?

142


➣ 6.2.2

R: Ja, schon. Es kann schon sein. Zum Beispiel bei der XXX, da hat ihr Chef, der Lehrmeister

schon mal schräg gekuckt. Er wusste halt auch nicht Bescheid. Inzwischen hat er eine andere

Meinung, inzwischen ist er begeistert, weil er sieht, sie ist nun bald fertig mit der Lehre und

hat das gut gemacht.

F: Gibt es viele Beispiele, wo es zu Problemen mit Arbeitgebern kam?

R: Eigentlich nicht. Aber verstehst du, man muss auch nicht her gehen und Wagenburg

angeben. Verstehst du. Ich hab ja auch eine ganz seriöse Adresse, die überall eingetragen ist.

F: Warum entstehen Wagenburgen oftmals in den Städten?

R: Also, die Stadt ist für politisch Engagierte sehr wichtig. Und der Großteil sind nun einmal

politisch engagierte Leute. Dann gibt es aber auch so was wie Landkommunen. Aber auf dem

Land ist es einfach noch zu konservativ.)

F: Ist es eine Art von Ghettoisierung hier an der Hermann-Mitsch Straße?

A: Naja, das kann man ganz eindeutig sehen. Wobei ich das der Stadt nicht unterstellen

möchte, sonder das ist wirklich unter Zwang irgendwo entstanden. Sie mussten etwas tun. Sie

mussten handeln. Sie hatten gesehen, Vertreibungspolitik läuft nicht, dazu haben sie von

außen auch viel Druck bekommen, von Organisationen. Also mussten sie handeln.

F: Wie empfindest du die Berichterstattung in den Medien?

A: Puuh, die Badische Zeitung gibt sich zwar Mühe, aber manchmal auch ein wenig daneben.

Aber ich denke doch, dass sich einige hier Mühe geben. Gott sei Dank.

F: Muss man manchmal gegen Vorurteile ankämpfen?

A: Das immer. Die Gängigen: Arbeitsscheu. Alkoholiker. Drogen.

F: Siehst du eine Verbindung zu der ethnischen Minderheit der Sinti und Roma?

A: Nein. (3) Nein. Also da trennt uns doch zuviel. Eine gewisse Machokultur, die kann ich

nicht ab, dieses Patriarchalische, damit kann ich nicht. Ohne rassistisch zu sein.

F: Hast du das Gefühl, dass der Platz hier vom rechtlichen Status Sicherheit bietet?

A: Keine Nutzungsverträge, sondern ein Pachtvertrag. (2) Von der Stadt her würde ich mir

einfach wünschen dass sie auch andere Lebensformen - (2) ja: auch fördert. Akzeptieren ist ja

aber für viele schon zu viel. Multikulti.

F: Was macht das Leben im Wagen aus?

A: Ha, vielleicht die Möglichkeit, mit Tieren zusammen zu leben (lachen). Wir hatten hier

schon Truthähne, Schweine, Hühner, Katzen.

F: Was ist wichtig im Leben?

143


➣ 6.2.3

A: Gesundheit, das ist natürlich das wichtigste. Freiheit. Für mich ist wichtig: Soziale

Kontakte, ich denke, dadurch kann man lange jung blieben. Die jungen Leute halten einen

jung. Junge Leute aus allen Schattierungen. Sind es nun Punks oder die Enkelkinder. Offen

bleiben. Der Kopf muss offen bleiben.

F: Würdest du das Leben im Wagen weiterempfehlen?

R: Ich würde sagen, es soll jeder leben wie er will. Ansonsten kann ich jedem empfehlen,

einmal so zu leben. (3) Es werden wahrscheinlich auch immer mehr, zwangsweise so leben

müssen, wenn Resourcen so knapp werden, Wohnungen, die sogenannte Klufft, wenn

Wohnungen so teuer werden, dass man sie nicht mehr bezahlen kann. Ich habe Leute kennen

gelernt, Ingeneure, Ärzte, die auf einmal dastanden. Was mach ich denn jetzt, Frau ist weg,

sie blieb da, solange alles gut lief, er verliert die Arbeit, sitzt zu Hause und ist fertig. Und die

Frau guckt sich um, wie kann ich es mir wieder besser gehen lassen. Es ist brutal. (3) Dann

kann das hier schon mal die einzige Chance sein, Gemeinschaft. Weil irgendwo möchte doch

jeder in ner Großfamilie leben, das ist schon die Urform, die gibt es nicht mehr. Wenn, dann

leben wir sie irgendwo, oder wieder.

6.2.3. Schattenpark: Alexandra, Stephanie und Ulrike

F: Warum entstehen Wagenplätze häufig in der Stadt?

A: Das ist einfach zu erklären. Wohnraum ist teuer und mit einem Wagen ist Mobilität da.

F: Man wohnt nicht alleine in einer Mietskaserne, sondern mit mehreren Leuten.

A: Und das Leben draußen natürlich, welches du nicht mitbekommst in ner Wohnung, da

bekommst du es nicht mit, ob es regnet, ob es stürmt. Im Wagen bekommst du so was mit. (4)

Hier in Freiburg speziell war es eben ansteckend. Die Leute bekamen unsere Aktionen in der

Stadt mit und die dachten sich; ah, super, toll, mach ich mit. Über die Hälfte der Leute jetzt

sind neu dazugekommen.

A: Vor allem auch viele Leute, die davor gar nichts mit dem Leben im Wagen zu tun hatten,

die das dadurch erst kennen gelernt hatten. Und es jetzt großartig finden. (2) Wir sind auch

froh darüber, jetzt neue Leute zu haben, denn die vom letzten Winter sind ziemlich

ausgepowert. Es gibt halt Leute die schon seit sieben Jahren dabei sind und jetzt nicht mehr so

sehr motiviert sind. Die mit der Materie jetzt schon zu lange rumkämpfen.

F: Sind dann relativ viel Leute in Wohnungen gegangen, weil ihnen die

Auseinandersetzungen mit der Stadt zu heftig waren?

A: Keiner. Die, wo gegangen sind, sind auf andere Wagenplätze in Hamburg, Berlin oder

anderswo.

F: Keiner ist in eine Wohnung gegangen?

A: Lass mich überlegen. Nein. Doch eine, aber das hatte einen andern Grund. Sie hatte ein

Kind bekommen.

144


F: Kann das ein Grund sein, aus dem Wagen zu ziehen?

➣ 6.2.3

A: Kann schon sein. In unserem Fall jetzt hier, war der Platz halt völlig neu, es gab noch

keine Wege, knietief Schlamm sozusagen, keine Wasseranschlüsse, keinen Zaun drumherum,

Das Kind war zwei Jahre alt und die Straße ist hier in der Nähe, das ist nicht sinnvoll. Im

Sommer, wenn das Gelände besser befriedet ist, dann ist sie bestimmt auch wieder mehr hier.

Für kleine Kids war das schon gefährlich. Im allgemeinen ist es mit Kindern schwieriger, bei

so Sachen mit Schule. Wenn man keinen festen Platz hat, dann geht das fast nicht mit Kind.

Wo will man denn da sein Kind zur Schule bringen?

F: Weil die Meldeadresse fehlt?

A: Die könnte man vielleicht noch haben. Aber die Schule ist vielleicht in einer anderen Ecke

der Stadt, da, wo man sich gerade nicht befindet.

S: Jedes Mal muss man dann neu gucken, wie, wo, wann Busse fahren, wie es hinkommt.

A: Was mutet man seinem Kind auch da zu.

F: Was sind die Gründe, in den Wagen zu ziehen?

U: Mobilität auf jeden Fall.

S: Bei mir stand eine Reise am Anfang, mit Kind und Hund im VW Bus, ein halbes Jahr, und

dann war klar, ich komm zurück, werde die WG - Zimmer auflösen, kauf mir einen größeren

Bus und ziehe wieder los. Und das habe ich dann auch so gemacht.

A: Bei mir war das eigentlich genauso. Bus gekauft, mit Kind, noch vor der Einschulung, ein

dreiviertel Jahr lang losgezogen, und konnte es mir dann einfach nicht mehr vorstellen, in

einem Haus zu wohnen. Zuvor hatte ich auch gar keine Wagenleute gekannt.

F: Was gibt es noch für Gründe, im Wagen zu leben?

S: Keine Miete bezahlen, sondern Pacht.

A: Was auch ein Grund ist irgendwie, ist, nicht bei diesem Konsum mitzumachen.

Wagenleben heißt auch Holz machen, Wasser holen in Kanistern, Solarstrom. Ich bin nicht so

auf Konsum fixiert. Keinen Fernseher besitzen. Viel mit Recycling machen. Wieviele Wagen

sind innen komplett aus recyceltem Material ausgebaut? Mann schaut, dass man alles wieder

verwenden kann. Das ist irgendwo auch ein Gedanke des Wagenlebens, glaube ich, nicht

diesen Konsumwahnsinn mitzumachen, (3) die Bandbreite ist weit, aber das ist irgendwo der

Tenor.

F: Hat man das Gefühl, dass es hier am Rande der Stadt ist?

S: Auf jeden Fall.

A: In die Innenstadt ist es ewig weit und auch die Dinge wie KTS oder SUSI, wo viele von

uns hier hingehen, sind auch am anderen Ende der Stadt. Die Busverbindung ist miserabel.

Um acht ist hier Feierabend. Sonntags gar keiner. Das ist halt auch ein bisschen politisch

145


➣ 6.2.3

gewollt, um uns herum wohnt eigentlich niemand mehr, außer den alten Eselswinklern, hier

werden wir nicht gesehen, hier werden wir nicht gesehen. Es muss sich quasi niemand mehr

mit uns auseinandersetzen. Möbel - Braun ist hier, da gibt es ein paar LKW-Fahrer und die

juckt das nicht. Und eigentlich find ich das echt schade. Nur blieb uns auch nicht viel mehr

übrig, als diesen Platz hier anzunehmen, denn die hätten uns die Wagen wieder

beschlagnahmt. Im Herbst war dann hier auch echt miese Stimmung, super neuer Platz, ooh,

Flughafen, IKEA, Rhodia-Industrie, kein Mensch hier. Das hat ganz schön auf die Stimmung

gedrückt.

U: Mir fällt noch ein Grund ein, weshalb man im Wagen lebt. Man kann seine Kreativität

ausleben. Sei es nun im Innenausbau oder außen am LKW. Das ist auf jeden Fall ein Punkt.

S: Mit Kind find ich es auch super. Egal, wo ich hingefahren bin, ich hatte immer alles dabei,

Bett dabei, Küche dabei, Spielsachen dabei. Man konnte raus, auch mal bei einem Festival,

das Kind dabei und sobald es müde wird, hat es sein Bett, da weiß es, da gehört es hin, da

kann es sich schlafen legen. Und ich bin trotzdem noch dabei. Ich muss nicht zu Hause in der

Wohnung sitzen, sondern bin noch voll dabei, auch mit Kind. Das hab ich immer sehr

genossen.

F: Ändert sich was an der Raumwahrnehmung, wenn man längere Zeit im Wagen gelebt hat?

A: Ja, auf jeden Fall. Wenn ich in eine Wohnung komme denke ich, wow, ist das viel Platz.

Oftmals vielleicht auch ordentllicher. Man hat in einem Wagen halt einfach nicht soviel

Stauraum. Wenn meine Eltern zu Besuch hier sind, dann sagen die schon manchmal, hier

siehts aber ein bisschen rümpelig aus. Aber in Wirklichkeit hat das alles schon seine

Ordnung, nur ich habe halt nicht noch einmal zwanzig Zimmer nebenan, wo dann alles

verschwindet.

S: Ja, man muss sich schon gut überlegen, wo man was hinräumt, wie man die Sachen

verstaut.

A: Sich beschränken vor allem auch. Viel Quatsch durch die Gegend fahren, das macht man

vielleicht ne Weile, aber dann mistet man groß aus.

S: Kistenweise give-away. Ciao. Du brauchst doch bestimmt nen großen Kochtopf. Tür auf,

Klamotten, Kassetten und alles an die Leute, die so was im Leben noch brauchen (lachen).

U: Platz , der aber oftmals mit Werkzeug wieder aufgefüllt wird.

A: Man braucht viel Werkzeug als Wagenmensch. Ich hatte einen Akkuschrauber, ne

komische billige Drei-Euro-Säge und vier, fünf Schraubenzieher, bevor ich in den Wagen zog

(lachen).

F: Man braucht mehr Zeit, um die Dinge in Schuss zu halten?

A: Als LKW-Fahrer ja, Bauwägler haben es da ein wenig leichter.

U: Man muss auch mal anspachteln, oder schweißen. Nun habe ich Wasser im Öl und musste

mal nach der Zylinderkopfdichtung schauen (lachen). Man lernt unheimlich viel, wenn man

im Wagen lebt, von Elektrik, zweihundertzwanzig Volt ist es jetzt auch nicht, aber ich weiß,

wie das mit meinen Solarzellen funktioniert, schrauben oder solche Geschichten. Ich hätte

146


➣ 6.2.4

mich früher nie getraut, ein Schweißgerät in die Hand zu nehmen. Die Möglichkeiten sind

einfach toll, mit Holz einen Innenausbau zu machen.

A: Frauen bilden sich da wohl handwerklich noch um einiges fort. Jungs sind da vielleicht

manchmal doch etwas bewanderter mit Technik. Manchmal (lachen).

F: Verändert sich die Gruppenstruktur, wenn man längere Zeit auf einem Platz steht?

A: Ja auf jeden Fall. Es wird bequemer. Im Vergleich zum letzten Winter jetzt, als die Wagen

noch beschlagnahmt waren, da waren wir alle auf einem Platz zusammengepfercht, auf

engstem Raum. Wir mussten Gespräche führen, wir mussten dieses und jenes organisieren.

Man konzentriert sich mehr auf sich auf einem Platz dann. Was auch mal wieder sein muss.

Job, Studium und alles mal wieder auf die Reihe kriegen, da hat es bei einigen ziemlich

gehapert. (2) Ist ja auch okay. Aber man merkt es. Man sitzt nicht jeden Abend zusammen

und bespricht, was man am nächsten Tag unbedingt tun muss.

F: Was könnte man sich für die Zukunft wünschen?

A: Mehr Gemeinschaftsmöglichkeiten hier. Aber das werden wir im Frühjahr auch angehen,

wir sind ja erst seit September hier. Da wird dann der Gemeinschaftswagen noch besser

ausgebaut. Manche wollten. (3) (Kind kommt in den Wagen) Ich denke, es werden noch

einige auf den Trichter kommen, was so ein Leben im Wagen ausmachen kann.

6.2.4 Schattenpark: Arne Brinkmann

F: Wer sind die Schattenparker?

A: Eine Gruppe von Leuten, die alle im Wagen leben, das haben sie alle gemeinsam, die alle

im Wagen leben wollen. Ein Gruppe von Leuten, die sich damals aus den unterschiedlichsten

Wagenburgen zusammengetan haben, die halt auf städtische Plätze, beziehungsweise auf die

städtischen Plätze, wo es dann allerlei Regeln gibt, nicht drauf wollten. Die dann gesagt

haben, Nein, auf so einen Platz wollen wir nicht. Auf en Platz mit Sozialarbeitern will ich

nicht. Auf den Platz am Rieselfeld will ich nicht, denn die haben sie auch verarscht. Ich will

weiter im Wagen leben, aber selbstverwaltet. Autonom. Und nicht von Stadt und allen

Möglichen regiert. Autonomie und Selbstverwaltung. Fakt ist einfach, dass die Leute, die

damals die Schattenparker gegründet haben, alle politisch aktiv waren und die keine Lust

hatten, sich auf irgend einen Platz zu setzen, um da jetzt Ruhe zu haben, sondern die weiter

einen selbstverwalteten Wagenplatz haben wollten.

F: Also, klar eine politische Bewegung?

A: So hat es auf jeden Fall angefangen. Dass die Schattenparker jetzt immer noch klar

politisch sind, ist, klar, immer noch der Fall. Und hat wohl auch damit was zu tun, dass die

Leute das damals so gegründet haben. Aber inzwischen sind ja sieben Jahre drin, wo viel

passiert ist. Es treibt sich nicht unbedingt so weiter. Es ist auch ein wechselndes Ding. (2)

Damals standen die Leute auf dem Obi-Gelände. Auch schon ein wenig davor. Aber

hauptsächlich auf dem Obi, da hatten sich die Leute gesagt, wir wollen ne Wagenburg haben.

147


➣ 6.2.4

Und dort war genügend Platz, letztendlich war es besetzt, und die Stadt dann auch gesagt hat:

ja, wenn irgendwo Wagenburgler rumstanden, fahrt doch auf den Obi, da steht ja eh schon der

Rest. Da werdet ihr so schnell nicht geräumt. Und haben somit auch wieder ein Ghetto

geschaffen von Wagenburglern. Denn zuvor standen sie mal da oder mal da und überall

durfte man dann nicht mehr stehen, nur noch auf dem Obi. Und das hat sich dann halt

zugespitzt, weil da letztendlich 50 bis 60 Leute standen. Waren dann schon irgendwo alles

Schattenparker, haben aber primär mit der Gruppe, die sich damals gegründet hat, nicht direkt

was zu tun.

F: Wie setzt sich denn heute die Gruppe zusammen?

A: Heute setzt sich die Gruppe aus lauter im Wagen lebenden Menschen zusammen, die

politisch interessiert sind, die das Leben anders leben wollen, die mehr Selbstverwaltung,

mehr Autonomie haben wollen, die prinzipiell für sich in ihrem Leben was anders machen

wollen, sei es, jetzt viel draußen sein, sei es, mobil sein, sei es, politisch aktiv sein, sei es,

einfach ne Alternative zu bieten, zu diesem Mietezahlen. Sei es Umweltschutz,

beziehungsweise autonom sein zu wollen durch eine eigene Stromversorgung. Gründe im

Wagen leben zu wollen gibt es soviel wie Menschen.

F: Warum entstehen Wagenburgen in einer Stadt?

A: (2) Gibt es wohl auch verschiedene Gründe. Heut wohl andere als damals. Viel hatte mit

der Hausbesetzungsszene zu tun, als dies dann schwieriger wurde, und krasse Repressionen

nach sich zog, aber die Leute trotzdem billig, anders leben wollten, da hat sich der Wagen

natürlich angeboten. Da bist du natürlich erst mal unabhängig von sämtlichen anderen Leuten

und wenn du auch noch nen Trecker hast, kannst du hin fahren wo du Lust hast. Auch ein

Grund ist wohl, eher heute, dass die Leute nicht soviel Geld haben, um Mieten, um Strom,

und Abfallgebühren, und alles was damit zusammenhängt, zu zahlen. Deshalb wird es auch

immer mehr werden in nächster Zeit, glaube ich, weil die Dinge einfach teurer werden. Sieht

man jetzt auch gut an den Straßenpunks, das ist ja auch ne Gruppe, die nicht im Haus leben

wollen, weil sie nicht das Geld haben, denen das Wagenleben ganz recht ist. Sie können freier

leben und müssen nicht soviel Geld bezahlen.

F: Wo würdest du die Alternativen sehen zum im Wagen leben?

A: Wieder ne Alternative zum Wagenleben? (lachen) Bauwagenleben, wobei das eigentlich

fast dasselbe ist. Schwierige Frage. SUSI ist vielleicht auch ne Alternative zum normalen

Wohnen, weil da auch sehr viel mit Gemeinschaft läuft, weil es auch eine Gemeinschaft ist,

die sich regelmäßig trifft und im Plenum was beschließt. Das wäre ne Alternative. Projekte,

wo die Leute mehr was zusammen machen, zusammen das Haus gestalten, zusammen am

Haus arbeiten, vielleicht auch nicht so hohe Mieten. Denn es geht ja auch, dass man ein Haus

kauft und die Mieten gering sind. Dass die gerade so reichen, dass das Haus instand gehalten

werden kann und dass sich keiner dumm und dämlich daran verdient.

F: Was sind die gemeinsamen Sachen, die man auf einem Wagenplatz macht?

A: An der Feuerstelle sitzen, über politische Werte und Normen diskutieren. Einfach viel

zusammen machen. Man kriegt hier mehr davon mit, wie es dem Anderen geht. Letzte Woche

war einer hier krank, und das wussten dann natürlich sofort alle, und dann sind nach und

nach, mal vier, mal fünf, zu ihm ins Krankenhaus gefahren und haben ihn besucht. Und so

was finde ich stark und wichtig. Super wichtig, dass das so funktioniert. Du bist krank und der

148


➣ 6.2.4

ganze Platz kommt dich besuchen. Du hast sozusagen 30 Freunde, die sich um dich kümmern.

Der eine mal mehr, der andere mal weniger. Oder aber auch, wenn du irgendwo stehen

bleibst, dann rufst du hier an. Und es ist egal, wen du anrufst, der ist dann hier auf dem Platz

und kümmert sich darum, dass dich irgendwer abholt und abschleppt. Oder er kümmert sich

darum, wenn du in einer anderen Stadt bist, dass du da wo hinfahren kannst. Es ist einfach

mehr Gemeinschaft. Mehr Zusammenhalt.

F: Gemeinschaftliche Kulturveranstaltungen?

A: Ja, das gibt es auch. Der DIY- shop, das ist auch eine Art Kultur.

F: Was ist das genau?

F: Theoretisch einfach ein Marktstand, wo jeder das mitbringt, was er containert, geschenkt

oder sonst was hat, in diesem Fall jetzt auf Essen bezogen. Der eine containert Bananen, 50

Bananen und legt die da hin. Jemand geht zum Bäcker und holt das alte Brot ab und legt es da

hin. Ich bring das Essen aus dem Kindergarten mit, was da übrig bleibt und stell es da hin.

Die Leute, wenn sie hier abends Hunger haben, dann gehen sie erst mal zum DIY- Foodshop,

gucken, was es da gibt; okay, da gibt es jetzt Tomaten und Paprika, muss ich also nur noch

Nudeln kaufen und dann mach ich ein nettes Essen. (2) Was eigentlich auch super wichtig ist,

ist dieses gemeinschaftliche Ausprobieren von Leben, denn wenn hier was ist, dann geht es

eigentlich immer die ganze Gruppe etwas an. Wenn jetzt hier einer etwas klauen würde, dann

würde das alle etwas angehen, dann müssen wir schauen, wie man das regelt, man muss

miteinander reden, man muss schauen, wie man damit umgeht. Da wir alle -, kann man schon

sagen, Hierarchien ablehnen, kann nicht einer die Polizei spielen und sagen, du fliegst jetzt

runter vom Platz. (2) Das ist gerade das super Spannende daran. Weil man die Fälle neu

ausdiskutieren muss. Es kann natürlich auch anstrengend sein. Aber man findet Alternativen,

wie es möglich ist, zusammen zu leben, ohne dass es Hierarchien gibt. Basisdemokratie eben,

dass alle mitdiskutieren können und nicht die Demokratie, die wir sonst haben in diesem

Lande hier, fünf Leute da oben entscheiden, die wir irgendwann einmal gewählt haben. Jeder

hat einfach das Entscheidungsrecht, ob er jetzt studiert hat, ob er ein Punker ist, oder ob er

gerne kifft. Alle müssen die Entscheidungsfreiheit, die Mitbestimmung haben. (3) Es ist

einfach ein Ausprobieren, wie man leben kann, ohne alle Strukturen anzunehmen, die uns die

Gesellschaft draußen zeigt und beibringt. Wir probieren ja hier eine Alternative aus, wir

dreißig Leute, wie man wirklich anders zusammen leben kann, gemeinschaftlich leben kann.

F: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der Stadt Freiburg?

A: Hier ist es immer sehr anstrengend. Komischerweise, weil die Stadt sich ja immer gerne

als die offene und tolerante Stadt zeigt, aber sie es überhaupt nicht ist. Sie lehnen jegliche

Form von Alternativen ab. Sie versuchen, alles im Keim zu ersticken, wie es echt nicht besser

geht. Es ist auch eher ne neuere Politik, wobei schon seit 15 Jahren die Bewohner (2) hier

vertrieben werden, und keiner weiß (1) eigentlich auch so richtig, was eigentlich dagegen

spricht. Ich glaube, (2) dass da auch wieder ein Kapitalismus mit rein spielt, mit uns kann

man halt kein Geld machen. (2) Vielleicht will Freiburg ja auch ne Snob-Stadt werden und da

passt so was nicht rein. Überhaupt nicht verständlich. In einer Stadt, wo Wohnungsnot

besteht, wo es wenigen billigen Wohnraum gibt und die Stadt hinterher ist, möglichst vielen

billigen Wohnraum zu kreieren, da kann man da doch nicht ne Gruppe von Leuten, die ihr

eigenes Haus, ihre eigene Lebensform schaffen, wo die Stadt nichts damit zu tun hat, die kann

man dann doch nicht vernichten. Schizophrenie. Das versteh ich nicht. Mit der Stadt zu

verhandeln, das ist en ewiges Gejammer, meine Güte, (2). Da mit dem sprechen. Dann gibt es

149


➣ 6.2.4

zehn verschiedene Ämter, die da mit reinschneien. Da ist der Sozialbürgermeister

verantwortlich, da ist das Liegenschaftsamt verantwortlich, da ist das Bauverwaltungsamt

verantwortlich, da kommt das Bauordnungsamt, weil das ja nicht geht, dann noch ein

Bürgermeister und dann noch der und dann noch der. Und du diskutierst dich dumm und

dämlich, für eine Sache, die eigentlich so easy ist. Letztendlich. Der gesetzliche Rahmen lässt

es zu, aber irgendwie kann man es doch nicht zulassen. (3) Oder zum Beispiel haben wir ne

Pressemitteilung rausgeschickt, dass wir die Straßenpunks aktiv in ihrem Kampf um den

Wagenplatz unterstützen. Und jetzt kriegen wir von der Stadt ne Mail, wo drin steht; ja, wir

müssen uns jetzt mal zusammensetzen, um über Folgen und Konsequenzen zu sprechen, die

aus ihrem Verhalten gegenüber den Straßenpunks entsteht. He, was ist denn jetzt los. Die

wollen uns jetzt Konsequenzen reindrücken, weil wir die Straßenpunks unterstützen, weil wir

einen weiteren Wagenplatz unterstützen mit der Kraft, die wir haben. (4) Das ist halt ein

einziges Spiel, die einen wollen gewinnen und die anderen, man spielt solange miteinander,

bis in der Mitte etwas heraus gekommen ist. Komisch irgendwie. Fünf Tage vor Ende des

alten Mietvertrags hatten sie kein neues Grundstück, sie hatten eine Fläche, die war jedoch

viel zu klein. Und, dann auf einmal, kommt der Salomon aus dem Urlaub wieder, ich hab da

noch ein Grundstück gefunden, was für ein Zufall, das können wir ja doch noch dazu nehmen.

Und auf einmal ist Platz da. (2) Hätten wir nicht Protest gemacht, hätten sie uns auf dem

kleinen Platz eingepfercht, das Ganze war vier Monate davor klar. Die verhandeln, bis es

nicht mehr geht und geben nur das Allerletzte raus. Nur das was unbedingt, unbedingt nötig

ist.

F: Was erreicht eine Stadt mit einer Räumung?

A: Protest. (2) Ne Menge Geld aus dem Fenster werfen, ne Menge Verhandlungen, ne Menge

schlechte Presse. Und letztendlich, ja, müssen sie den Leuten doch einen Platz geben. Drei

Monate wurde beschlagnahmt. Leute von ganz Deutschland kamen hier her, weil das einfach

so nicht geht. Und es war ein Kampf von drei Monaten, und letztendlich haben wir doch ne

Platz gekriegt. Fast eine Million wurde ausgegeben an Polizeieinsätzen, nur wegen den

Schattenparkern und den Aktionen. Für eine Million hättest du dir fünf Plätze kaufen können.

Wie lange könnten Menschen davon leben. Unglaublich. Selbe Geschichte jetzt mit den

Straßenpunks.

F: Ist die Durchsetzung dieser Wohnform manchmal ein Full-time-Job?

A: Ja, kommt drauf an. Jetzt hier, ist es eher etwas ruhiger geworden. (2) Es war Full-time-

Job. Aber jetzt ist das ganze hier erst mal sicher und die Leute können sich auf ihr eigenes

Leben und Ding konzentrieren. Durch den Konflikt mit den Straßenpunks wird dies natürlich

wieder völlig umgeworfen und man ist drei Wochen lang wieder nur mit der Lösung für einen

neuen Wagenplatz beschäftigt. Man unterstützt natürlich, weil es einfach auch nicht geht, dass

jetzt schon wieder ein Wagenplatz geräumt wird. (2) Drei Monate lang war es wirklich ein

Full-time-Job. Ich ging zur Schule und die restliche Energie hatte ich hier rein getan. Sie

hatten ja auch mein Haus weggenommen, mein Haus hatten sie weggenommen. (2)

F: Kommen dadurch andere Lebensbereiche zu kurz?

A: Ja, natürlich, wenn man mitten in einer Ausbildung seine Karre weggenommen bekommt,

kommt das natürlich zu kurz, weil man sich halt nun darum kümmern muss. Ja. Es ist einfach

sehr anstrengend. Es macht schon auch Spaß. Aber ich würde nicht sagen, dass ich es aus dem

Spaßfaktor heraus mache, sondern weil ich einfach ein anderes Bild davon hab, wie man

150


➣ 6.2.4

zusammen leben kann, oder wie die Welt aussehen kann. Zeit ist halt nicht unendlich da, und

Geld braucht man auch vom Arbeiten.

F: Muss man gegen allgemeine Vorurteile ankämpfen?

A: Ja, schon. In Freiburg vielleicht ein bisschen weniger als in anderen Städten.

F: Was sind die gängigen?

A: Schwierig. (2) Gute Frage. Dass man dreckig ist, warum man denn nicht in einer

Wohnung wohnen möchte, das verstehen manche Leute nicht. Und auch meine Eltern

bekommen das ständig zu hören, warum denn der jüngste Sohn im Wagen lebt. Dass die das

überhaupt zulassen, das geht schwer in die Köpfe rein. Dass es Leute gibt, die sich das

bewusst aussuchen und bewusst leben wollen. Was natürlich auch wieder was mit dieser

Gesellschaft zu tun hat. Weil der Standard so hoch gesetzt ist, dass man nur angesehen ist,

wenn man ein schickes Auto fährt, alles sauber ist, schicker Garten, Kinder, ne Frau, ne Haus

hat. Dann ist man angesehen und nicht, wenn man im Wagen lebt. Deshalb verstehen das

glaube ich viele nicht. (2) Bei meinen Eltern ist das immer wieder. Die stehen natürlich voll

auf meiner Seite und erzählen dann halt so, zeigen Bilder, und haben mir dann schon oft

erzählt, dass sie da fast einen Anschiss bekommen, dass ein Sohn von Ihnen so leben kann.

Das kann man doch nicht zulassen. Das ist ganz seltsam. Aber wir haben uns ein Stückchen

Freiheit zurückerobert. Und mir geht es super gut, so wie ich hier lebe. Hier kann ich so frei

sein wie ich Lust hab. Und muss nicht ständig gucken, dass ich meine Miete wieder herein

bekomm.

F: Ist es schwierig gewesen, juristischen Beistand zu finden?

A: Auf diesem Gebiet schon. Aber es gibt in Deutschland schon einige gute Anwälte, die sich

damit inzwischen schon recht gut auskennen. Klar, eher aber der Berliner oder Hamburger

Raum. Da haben sich Anwälte schon spezialisiert, in Anführungsstrichen. (2) Wenn

Wagenburgen eine super Einnahmequelle für irgend ne Kohle wären, dann wär das schon

längst passiert, dann würde es überall Wagenburgen geben. Aber da dem nicht so ist, sträubt

man sich dagegen, mit allen Gesetzen, die man nur finden kann. Man kann mit diesen Leuten

kein Geld machen und deshalb will man die nicht in der Stadt.

F: Ist es wichtig, einen Fürsprecherkreis zu haben?

A: Klar. Ohne den hätten wir es auch nur schwer geschafft.

F: Wie setzt sich der zusammen?

A: Leute aus den unterschiedlichsten Institutionen. Gemeinderäte, die ganz klar auf unserer

Seite stehen, Professoren an Unis, Leute von Firmen, einfach Leute, die in diesen

Gesellschaftskreisen mehr zu sagen haben und die sich einmischen. Und sagen; he, so könnt

ihr das nicht machen. Wenn diese Leute etwas sagen, dann ist die Stadt doch meist recht

schnell in einem Rechtfertigungszwang. Die Leute braucht man.

F: Gibt es staatliche Förderungsmittel für diese Wohnform?

151


➣ 6.2.4

A: So was wie Geld? Ich denke, das ist gar nicht nötig. Das wollen wir ja gar nicht. Wir

wollen autonom sein. Und sobald da jemand Geld reinspeist, hat der ja auch ein

Mitspracherecht und das wollen wir ja auch gar nicht. Wir wollen das für uns entscheiden.

F: Ich dachte da auch an Solarpaneel und solche Sachen, wo man staatliche Fördergelder

beantragen kann, um sich das Dach vom Häuschen zuzupflastern.

A: Wäre mal interessant, da einen Antrag zu stellen (lachen). Müsste man eigentlich echt mal

machen.

F: Wie oft bemerkst du, dass du in keinem Haus wohnst?

A: Schon ab und zu. Naja, es gibt schon gewisse Sachen, die angenehm sind in einem Haus.

So was wie ne eigene Dusche, Waschmaschine. Aber ich wollte es nicht wieder tauschen. Ich

bin voll glücklich. Klar, wenn du manchmal nach Hause kommst, und du musst erstmal

wieder die Heizung anmachen, oder vom Platz her, meine Turntables kann ich so gut wie nie

hier aufbauen, weil dann einfach alles komplett belegt ist, dann kann ich nichts mehr anderes

machen, und ich kann sie vor allem auch nicht stehen lassen, wenn ich was essen will. Der

Platz ist manchmal so ein bisschen das Ding.

F: Was waren denn die Gründe, im Wagen zu leben?

A: Was waren die Gründe? Haha. (2) Ist eigentlich auch ganz witzig. Als ich nach Freiburg

gekommen bin, zwei Monate später war mein Bruder hier, und wir hatten zusammen eine

Freundin besucht, die auch auf der Wagenburg gewohnt hat. Und ich dachte damals; Alter,

das ist ja so dreckig hier, das könnte ich nie so. Das weiß ich noch ganz genau, als ich das

damals so gesagt und gedacht hab. Und es hat anderthalb Jahre gedauert, dann hab ich selber

im Wagen gewohnt (lachen). Und davon ein Jahr suchen nach einem Auto. Gründe sind

verschieden. Mir hat das halt gefallen. Ich habe so nach und nach Leute kennen gelernt von

der Wagenburg und mir hat das gefallen, die Stimmung da, dass die Leute im Wagen wohnen,

viel draußen sein, das Leben in Eigenregie führen können. (2) Ja, es ist einfach nett mobil zu

sein, klar, es ist auch ne Alternative zu Miete zahlen. Es ist der Hammer, was man an Miete

rausschmeißt. Die Hälfte was man arbeitet, bezahlt man an Miete heutzutage. Total krank.

Worum denn, wofür denn? So gibt es die verschiedensten Gründe. Es gibt da Menschen, die

eher links orientiert sind. Das ist auch meine Lebensform, meine politische Einstellung. Da

man ja automatisch mit dem Wagen auf einer Wagenburg wohnt, und da dann auch viele

Leute mit dieser Einstellung sind, ist das auch ein ganz angenehmer Nebeneffekt, es bedingt

sich nebenbei, Leute, die ähnlich denken, in die selbe Richtung denken. Und man mit denen

auch Sachen ausprobieren kann.

F: Die Polizei als Exekutive führt ja nur Sachen aus, ist das Feindbild Polizei dann nicht total

falsch?

A: Ja, natürlich ist das total falsch. Aber, es sind nun mal diejenigen, die zu einem kommen

und sagen, du darfst das hier nicht. Politiker kommen ja nicht vorbei. Die gehen ja nicht

irgendwo hin und fragen: Was ist denn hier los? Das finde ich, ist das allerkränkste. Wofür

gibt es denn Politiker, damit sie nur den Haushalt da oben einwenig organisieren. Aber was da

unten auf der Straße abgeht, das interessiert sie nicht. Was wäre das für ein cooles Bild, wenn

der Salomon einfach mal losgehen würde und zu den Straßenpunks hingehen würde und

sagen: He, sag mal, was ist denn hier jetzt los? Wie können wir das denn regeln? Was habt ihr

für Vorschläge, ihr hört mich an und ich hör euch an. (2) Was wäre das für ein Bild. Aber das

152


➣ 6.2.4

passiert halt nicht und dann müssen die Bullen halt antanzen. Damit macht man Politik. Dann

kommen 400 Bullen, die sollen räumen und dann gibt es Stimmen; eh, muss das denn soviel

kosten. Die Polizei ist dann der Vermittler. Sie tragen die Message weiter. Wir bewerfen die

mit Farbbomben und die wissen dann, okay, die mögen uns nicht. Das tragen die dann wieder

zurück und die Stadt sagt dann, ja ihr müsst die jetzt aber räumen und dann kommen sie

wieder hin und kommen wieder (2). Es gab ja lange den Hager hier, und vor solchen

Aktionen ist der immer direkt alleine, oder mit einem Kollegen, in die Wagenburg rein. Hat

gesagt: Okay, jetzt haben wir hier ein Problem, ich muss euch räumen. Ihr wollt nicht

geräumt werden. Können wir irgendwas aushandeln. Der hatte auch keine Angst, dass er eins

auf die Mütze kriegt, weil dem keiner eins auf die Mütze gehauen hat. Weil klar war, wenn du

mit ihm redest und er etwas sagt, dann kannst du dich darauf verlassen. Wenn er sagt, ihr

werdet bis morgen Abend nicht geräumt, dann werdet ihr bis morgen Abend nicht geräumt.

Darauf ist Verlass. (1) Das ist eben ne komplett andere Polizeistrategie, da hat sich nie

jemand mit den Bullen angelegt. (2) Er ist in Pension. Jetzt ist es ne ganz andere Polizeilinie.

F: Was ist der Unterschied zwischen einer angemeldeten und einer unangemeldeten

Demonstration?

A: (lachen) Das ist reine Formsache. Generell ist es einfach nicht in Ordnung, dass Leute ihre

Meinung frei äußern wollen und sie es anmelden müssen, um dann einen Brief zurück zu

bekommen, das dürft ihr nicht mitnehmen, das dürft ihr nicht anziehen, das ist sowieso

verboten und das wollen wir auch nicht. Da ist meine Meinungsfreiheit schon wieder

eingeschränkt. Keine Schminke ins Gesicht, keine Autos, keine Lautsprecher. In Karsruhe

hatten sie eine Demo im Januar angemeldet, worauf es hieß, ihr dürft nicht mit Mützen und

Schal kommen. (2) Wenn du ein Demonstration anmeldest, brauchst du einen

Veranstaltungsleiter und der ist für die gesamte Demonstration verantwortlich, das heißt,

wenn Philip und Peter sich von nem Bullen geärgert fühlen und dem eins auf die Mütze

hauen, bekomm ich den Ärger. Weil ich die Demo angemeldet hab. (2) Bei einer

Straßenpunkdemo, war ja das Lustige, sie hatten mich rausgerufen. Ja, Brinkmann, jetzt

müssen wir aber irgendwas machen, wir brauchen jemand, der das anmeldet. Dann hab ich

gesagt, nö, ich machs nicht, das spricht gegen meine politische Einstellung. Ja, aber wir

brauchen irgend jemand. Können das auch mehr sein, vier, fünf oder sieben? Ja, geht. Okay,

dann melden jetzt alle, die hier dabei sind, die Demo an. Nö, nö, nö. Das geht aber auch nicht.

(3) Der Konsens Prinzip ist bei denen noch nicht angekommen. Unangemeldete Demos haben

sich in Freiburg einfach als Tradition herausgestellt oder es ist einfach Tradition geworden,

dass man keine Demo anmeldet. Weil wir diese Strukturen einfach nicht akzeptieren wollen.

(2) Der Weg wird ewig mit dir abgesprochen, wo du langfahren darfst, und ich will doch

dahin gehen, wo ich meine, dass ich da meine Meinung äußern will. Dann will ich das vor

dem Bahnhof, vor dem Konzerthaus, auf dem Bertholdsbrunnen, so dass es auch alle Leute

mitbekommen. Und will nicht einmal um die Stadt herum geführt werden, wo es keiner

mitkriegt.

F: Wird man aus gewissen Stadträumen ausgeschlossen bei einer Demo?

A: Team -Grün würde es nie genehmigen, am Münster vorbei zu ziehen. Das gab es noch nie.

F: Hast du den Eindruck, dass es am Rand der Stadt hier ist?

A: Ja, absolut. Und, dass die Stadt das so will. Jetzt haben sie uns hier absolut ins Ghetto

gesteckt. Hier ist ja absolut nichts. Hier kriegen das fünf Hansels -, die den falschen Weg zum

Möbelbraun nehmen, die kriegen das mit und die LKW-Fahrer, die Möbelbraun beliefern, die

153


➣ 6.2.5

kriegen das mit, ansonsten kriegt das hier keiner mit. Und genau das wollten sie auch. Das

Ganze möglichst ungesehen.

[Frau aus dem Gästewagen kommt herein, setzt sich und bleibt]

F: Siehst du eine Verbindung zu den Sinti und Roma?

A: Bedingt. Bei denen ist das wahrscheinlich mehr kulturell bedingt. Ich weiß jetzt nicht, wie

die Sinti und Roma den Gedanken Freiheit definieren. Aber, dass sie halt rumziehen und im

Wagen wohnen, klar, da ist schon ne Ähnlichkeit, aber ansonsten, weiß ich nicht. Sinti und

Roma machen auch viel Straßenkunst oder Handel, da sind vielleicht schon Ähnlichkeiten.

Da gibt es auch hier ein paar, die Schmuck auf Festivals verkaufen. Ansonsten gibt es, glaube

ich, nicht so viele Ähnlichkeiten, außer, dass sie in Deutschland auch vertrieben werden wie

wir oder es zumindest versucht wird.

F: Wie siehst du die Zukunft dieser Wohnform?

A: Ich denke, es werden immer mehr werden. Es sei denn, es werden immer krassere

Repressionen aufgefahren, so dass es nicht mehr haltbar ist. Auf der einen Seite wird es

bestimmt mehr, weil es immer mehr Leute gibt, die nicht mehr soviel verdienen, die nicht

mehr ihre Miete bezahlen können und deshalb in den Wagen ziehen. Auf der anderen Seite ist

der Rechtsstaat ja wieder fleißig dabei, dies einzuschränken. Ab gewissen Wohnmobilgrößen

musst du jetzt so und soviel mehr zahlen. Ab 2008 ist es schwieriger, einen LKW-

Führerschein zu machen. Ich denke, das Leben im Wagen wird immer mehr werden. Man

weiß es nicht.

F: Was liegt dir noch am Herzen?

A: Man sollte endlich sehen, dass es auch anders geht und es auch einmal akzeptieren.

6.2.5 Waldmenschen: Karlheinz, Pitt und Diddi

F: Wie oft bemerkst du, dass du in keinem Haus wohnst?

K: Eigentlich jeden Tag. (2) Ich merk jeden Tag, dass ich in keinem Haus wohn. Weil ich am

Morgen aufstehen kann und hab meine Ruhe, ich werd nicht angeblökt, ich bin zufrieden, ich

steh auf, mach meinen Kaffee selber und werd nicht angemotzt von der Nachbarschaft oder

so. Ich hab einfach meine Ruhe. Ich merk es also jeden Tag.

F: Ist das hier eine Wagenburg?

K: Es ist ne Wagenburg. Es ist ne legale Wagenburg, aber nicht betreut von der Stadt, sondern

einfach nur geduldet vom Land.

F: Seit wann gibt es die Wagenburg hier?

K: Seit circa knapp drei Jahren.

154


F: Wieso entstand die Wagenburg an diesem Platz?

➣ 6.2.5

K: Das Wieso ist eigentlich ganz einfach. Die Frage ist eigentlich überflüssig. Weil die Leute

auf die Straße fliegen, sei es durch Scheidung, sei es durch Arbeitsverlust und fliegen auf die

Straße, und kriegen dort keine Möglichkeiten und suchen sich dann halt Alternativen. Und

dann möchte ich jetzt den Diddi bitten, hier weiter zu sprechen, wie er zu so nem Ding

(Wohnwagen) hier kommt.

D: Ich war einer von den ersten hier. Ich hatte einen grünen Wohnwagen, damit stand ich

zuerst auf dem Parkplatz da oben. Dann kamen die Zigeuner und als die dann gingen musste

ich dann auch gehen. Ich wäre weggeräumt gewesen. Und dann kam ich hier her. Hier war

alles zugewachsen, es gab noch ne Hütte von den Franzosen und dann bin ich zwangsweise

hier herein gezogen. Vor die Hütte. (2) Dann war ich nicht mehr auf Stadtgelände, sondern

auf Bundeseigentumsgelände, also das gehört jedem.

K: Und so haben wir eine Duldung bekommen. So haben wir einfach ne Chance gekriegt. Das

sind nun knappe drei Jahre. Und es funktioniert. Wir haben uns irgendwie gefunden. Wir

mussten - , einem haben sie auch mal die Hütte angebrannt, auch mal räumen. Inzwischen ist

es eigentlich ne Gemeinschaft. (2). Es ist eigentlich was, das es so in ganz Freiburg nicht gibt.

Und deshalb werden wir jetzt auch wieder - , denke ich, mal wieder ne Ersatz kriegen, wenn

es auch nicht in dieser Form ist. Ohne Betreuung, ohne alles. Wir hatten bewiesen, dass das

funktioniert. Dass nicht irgendein Hansele, der überhaupt nicht weiss was Obdachlosigkeit ist,

hier zu bestimmen hat. Und das ist uns ganz wichtig. Denn ich sag mir immer: In jedem

Beruf musst du ein Praktikum machen vor Ort, dann sollen bitte solche Leute, die über solche

Sachen entscheiden, bitte Praktikum machen über den Winter bei uns hier. Dann kann er

mitreden. (2) Das ist einfach meine persönliche Einstellung. Ich weiß nicht wie die andern

denken. Er da hinten denkt gar nichts, aber Ruhe jetzt. Wir sind auch guter Hoffnung. Hier ist

verkauft. Wir müssen gehen. Durch den milden Winter sind die jetzt zwei Monate früher

gekommen. Also wollen sie uns hier kurzfristig raus haben. Wir haben schon mal ein paar

Tage Verlängerung bekommen und auch das Versprechen, dass für uns was geht. Denn wir

sind ja auch nicht mehr die jüngste Wagenburg. (2) Wenn du mir jetzt sagst, ich soll es

vergleichen mit Biohum oder Eselswinkel. Das geht nicht. Es ist was anderes.

F: Warum ist es was anderes?

K: Weil wir sind sechs Leute, wir setzen uns zusammen, wir entscheiden, es gibt hier

Diskussionen noch und nöcher, aber es wird entschieden und am nächsten Tag wird das

gemacht, was die Mehrheit entschieden hat. Und da brauchen wir nicht a Hansel, so ein

Sesselfurzer ,wo da entscheidet, also Sesselfurzer musst du nicht schreiben. Aber es ist so.

F: Wann müsst ihr von dem Gelände hier gehen?

K: Am 11 Februar. Aber wir sind davon ausgegangen, nach ner mündlichen Zusage, Ende

März, Ende April. Durch das milde Klima können die jetzt aber früher anfangen. Dadurch ist

das Ganze jetzt überraschend gekommen und dann müssen wir jetzt gucken, was wir machen

können. Das Ganze haben wir erfahren vor vier Tagen (25. Januar). Selbst wenn wir einen

neuen Platz hätten, wär das nicht machbar. Weil hier muss alles abgebaut, muss alles

rausgefahren werden. Das geht ja gar nicht mehr. Wir haben nicht mal Zugmaschinen. Hier ist

der Schrieb. Wobei danach am Ersten wäre (1. Februar). Und zwar genau in sechs Tagen.

155


F: Hier steht im Briefkopf aber 19. Januar?

➣ 6.2.5

K: Ja, da war der Brief aber nicht hier. Der Mann kam persönlich vorbei. Er kann uns ja auch

nicht anschreiben, wir haben hier ja keine Adresse (2).

P: Aber er hat es selber gemacht. Er hat sich getraut. Normalerweise schick er einen Lakaien.

Die Polizei.

K: Hier steht, dass Anfang 2007 festgelegt war seit längerem?

K: Ja, offiziell. Ende März, April war ausgemacht, aber das können wir nicht nachweisen, da

wird ja nichts schriftlich gemacht. Ist immer mündlich, ist ja logisch. Sie können jetzt halt

einfach früher anfangen. Der Kleine wird gefressen.

F: Wurde eine Alternative ausgewiesen?

K: Da sind wir dran. Es ist, kann ich des jetzt sagen? Ja , das kann ich sagen, es gibt ne

mündliche Zusage, von einer Frau, Name kann ich dir nicht sagen. Wir fallen nicht in die

Obdachlosigkeit und nicht ins betreute Wohnen. Und da ist morgen eine Stadtratsitzung. Wir

sind gemeinsam losgezogen, wie sich das halt für ne Gruppe gehört und haben uns drum

gekümmert. Ich bin recht optimistisch. Mittwoch kann ich mehr sagen.

F: Bis jetzt hat die Stadt ...

K: Nein, das ist ja nicht die Stadt, das ist das Land. Nur wir sind Freibürger (2), Freiburger.

Das heißt, wenn es hier nicht klappt, dann fall ich wieder an die Stadt. Deshalb geh ich gleich

zur Stadt. (2) Wir akzeptieren keine Notunterkunft, wir akzeptieren kein betreutes Wohnen,

wir akzeptieren keine zum Abbruch freigegeben Häuser, dass wir nach nem viertel Jahr schon

wieder das Theater haben.

D: Das Ziehen muss ein Ende haben.

K: Und ich bin der Meinung, dass es ganz einfach unser Recht ist. Und dass es auch gesehen

wurde, aber was schlussendlich dabei heraus kommt, weiß ich noch nicht. Es geht schon mal

in die Stadtratsitzung und das ist schon mal ganz wichtig. (3) Ich möchte noch ganz kurz dazu

erwähnen, das kannst du nicht wissen. Wir haben innerhalb der letzten zweieinhalb Monate

die ganze Hütte hier aufgebaut, weil wir davon ausgegangen sind, nach nem mündlichen

Versprechen, bis April, soweit ging unser Denken. Wir haben Geld reingesteckt, wir haben

über den Winter einen trockenen Ast, können hier kochen. Und das wäre jetzt Geld, wir sind

alle Hartz-Vier Empfänger, das können wir jetzt nicht mehr mitnehmen. Alles hier ist gebaut

von uns.

F: Strom, hab ich gesehen, kommt aus dem Aggregat, wo kommt das Wasser her?

P: Erinnert mich nicht ans Wasser.

K: Du musst Wasser holen (lachen). An der Tankstelle, neben dran, beim Haus Gabriel.

F: Da habt ihr ne Abmachung?

156


➣ 6.2.5

K: Ich hab Durst, und wenn ein Mensch Durst hat darf er trinken. Und wenn er fünf Flaschen

trinkt.

F: Was wäre die schlechteste Lösung am zehnten Februar?

K: Straße.

P: Okay gut, wir kennen alle Leute wo wir kurz unterkommen können, aber du hast keine

Intimsphäre, du kannst dich nicht entfalten, du hast nie dein eigenes, du kannst nicht kochen

was du willst, und du musst dich nach allem stellen, was der oder diejenige verlangt. Das

kanns nicht sein.

K: Also, wenn am zehnten nichts kommt. Dann werd ich vorm Rathaus stehn.

P: Ich leg mich auch hin.

K: Mit Schlafsack und allem. Und wenn sie sagen, ich soll gehn, dann lauf ich ne Runde über

den Kartoffelmarkt und leg mich wieder hin. Ich bin am zehnten gegangen, ich halt mich an

die Regeln.

F: Welche Freiheiten hat man denn hier?

K: Alle. Wir haben alle, aber nichts.

P: Man hat hier alles und nichts. Wir haben den Platz hier, den Platz des himmlischen

Friedens genannt. Wir schlagen uns hier nicht. Man hat Zeiten, wo man sich anhasst, aber

ansonsten. Die sollen uns einfach ne Form zum Leben geben, wo man in Würde sterben kann.

F: (4) Muss man gegen Vorurteile ankämpfen, wenn man in einer Wagenburg lebt?

K: Wir sind ja eigentlich nicht ne Wagenburg im eigentlichen Sinn. Der Eselswinkel, das is

ne Wagenburg. Da gibt es Oberdorf, Unterdorf. Die Leute werden willkürlich

zusammengesteckt. Einer von der Stadt sagt, und jetzt kommt der da hin, obwohl er gar nicht

passt. Oberdorf, Unterdorf und zwischendurch noch ein paar Punks. Kann einfach nicht

funktionieren. Und genau das wollten wir vermeiden. Wir sind auch nicht alle dicke Freunde,

aber wir respektieren uns schlussendlich, und wenn’s eng wird, hängen wir zusammen. (3)

Weißt du wie betreutes Wohnen vor sich geht?

F: Ne.

K: Dann will ich es dir erklären: (2) Wir nehmen jetzt Haus Gabriel da vorn. Kannst du rein.

Wir haben viele freie Zimmer, schöne Zimmer. Gibt’s um siebene Frühstück. Nur du

bekommst kein Geld mehr. Du bekommst pro Woche zweimal 15 Euro Taschengeld. Die

nehmen dir das Geld. Jetzt, kannst du natürlich sagen, okay, ich brauch ja nichts zu essen

kaufen, du hast ja ne Wohnung, nur Quatsch, wie willst du da wieder heraus kommen, wenn

du nichts auf die Seite tun kannsch. Geht ja nicht.

F: Ist das Leben hier sehr kostengünstig?

K: Ne, weil wenn wir ne Wohnung nehmen würden, würden wir das ja bezahlt bekommen.

Nur es gibt keine. Es gibt keine Wohnung wenn du zu nem Vermieter kommst und sagst du

157


➣ 6.2.5

bis ALG Empfänger. Für mich unverständlich, denn es wär ne sichere Miete für den

Vermieter, nur die haben das nicht gemerkt.

F: Gibt es irgendeinen Zuschuss für das Wohnen hier?

K: Nein. Brennstoffbeihilfe, die ist einmalig. Sonst gar nichts.

D: Aber es ist kostengünstiger als eine Wohnung im Endeffekt. Wir haben Spritkosten von

sieben Euro am Tag zusammen. Ein Euro pro Person. Essen bekommen wir zum Teil

geschenkt von Marktleuten und so. Wir bezahlen alles von Hartz-Vier Geld. Also pro Nase

dreihundertzweiundvierzig, neunzig.

F: Habt ihr schon mal ne Räumung mitmachen müssen? Wie ist sowas?

P: Hardcore.

K: Brutal, rücksichtslos gehen die vor, machen die Wägen kaputt und später kriegst du noch

ne Rechnung. (2) Ich sag so, wenn die hier kommen, dann geb ich einfach auf. Was wollen

wir mit sechs Leut ,wenn die ne Hundertschaft auffahren. Ich würde ihnen vielleicht noch

vorn im Auto die Luft raus lassen, aber das kost ja auch noch Geld. Die kommen dann von

Göppingen mit dem Schlagstock. Es ist nicht so, dass du da raus getragen wirst. Da gibts

erstmal Schlagstock. Sie machen die Bauwägen zu Schrott. Du musst den Transport noch

bezahlen und du kannst überhaupt nichts machen.

F: Wie hat sich die Gruppe zusammen gefunden?

K: Ich kenn alle eigentlich schon über Jahre hinweg. Und dann bin ich auch obdachlos

geworden. Kein Problem, kommst mit. Aber ansonsten halt nach und nach. Wir hatten aber

auch schon andere Leute hier, wo wir beten mussten, dass sie wieder gehen. Wir hatten auch

mal ein Mädchen aufnehmen wollen, aber das war ja totale Scheiße. Weil Schnaps, hundert

Polskis kommen dann, um sie zu besuchen. Dann haben wir halt gesagt, tut uns leid. Aber wir

haben solang gewartet, bis sie was anderes hat. Generell haben wir hier eigentlich die Regel,

kein Schnaps. Bier, Wein, Jägermeister, okay. Es gibt schon mal Ausnahmen, dass man einen

trinkt, aber nicht jeden Tag. Und wir essen hier jeden Tag warm.

F: (3)

K: Was ich dir jetzt mal abschließend sagen will, Patrick. Unser Wunsch ist einfach der: Wir

wollen zusammen bleiben, wir wollen in der Gruppe bleiben. Bis auf den verrückten XXX, der

will ja alleine gehen. Wir wollen in der Gruppe zusammen bleiben und in ähnlicher Form

weiterleben. Wir nehmen auch ne Hütte. Die kann renovationsbedürftig sein. Kein Problem.

Wenn wir jetzt ein Grundstück kriegen, dann haben wir en Problem, denn dann müssen wir

ein Zelt aufbauen, aber das gibts beim Roten Kreuz für ein paar Euro. Also, was anderes

kommt für uns eigentlich nicht in Frag, wir wollen zusammenbleiben, mit unseren Problemen,

mit unseren Meinungsverschiedenheiten, und dann funktionierts. Wir werden ganz sicher

nicht in ne Wohnung gehen, in betreutes Wohnen gehen, oder betreute Wagenburgen gehen.

Denn das gibt dann wieder ne extra Parzelle, wenn sie jetzt sagen Eselswinkel, dann müssen

sie ne extra Parzelle für uns machen. Es funktioniert ja anders nicht. Dann fängst ja schon

wieder an.

F: Habt ihr den Eindruck, dass es hier am Stadtrand ist?

158


K: Hier?. (2) Nö.

P: Ich bin in 10 Minuten in der Stadt mit dem Fahrrad.

➣ 6.2.5

K: Also, wir haben eigentlich bis auf Sonn- und Feiertage ne gute Verbindung. Eigentlich

läuft hier mehr als im Zentrum. Wir haben da vorn die Mess, wir haben den Autohof. Und

überall Einkaufsläden.

F: Was fehlt hier?

P: Nichts.

K: Doch. (2) So zwei oder drei Jahre Verlängerung (lachen).

F: Von der Infrastuktur her?

K: Mir fehlt das Verständnis, dass das hier verkauft wird, dass hier ne Möbelladen herkommt,

obwohl daneben schon zwei sind. Kann ich geistig nicht folgen.

P: Es wird überhaupt nicht gefragt, ob der Specht dann hier noch lebt. Oder auch die Ratten.

Ich bin kein Ökofreak, auf kein Fall, ich schmeiß auch mal mein Müll einfach hin.

K: Seit zwei Jahren haben wir hier ein Spechtehepaar, das ist so was von schön. So was

Natur.

P: Da ist soviel Veränderung. Schau dir Mexiko-City an. 30 Millionen und kein Grün. Aber

ich wills nochmal betonen: ich bin kein Ökofreak.

F: Also, man hat doch das Gefühl, dass man hier in der Natur wohnt?

P: Ja klar.

K: Unbedingt. Unbedingt. Ich hab schon mit den Tieren geschwätzt. Die haben mir zugehört.

Aber die haben mir keine Antwort geben (lachen). Die kommen bis auf nen halben Meter an

dich ran. (3) Was mich auch ärgert, zu unserer eigenen Sicherheit, weil hier jetzt

Baufahrzeuge kommen, müssen wir jetzt gehn. Verdammt noch mal. Hier waren Stürme und

die Bäume hat es umgeknickt, da hat sich keiner Sorgen gemacht um unsere Sicherheit.

F: Der Boden ist auch belastet. War das jemals ein Problem?

K: Für mich nicht. Ich bin ja auch belastet. Und wenn sie nun so auf unsere Sicherheit

bedacht sind. Wieso lassen sie uns denn dann da drei Jahre lang. Büüdüüdie Büd. Welcher

Bandit hat meinen Sangria wieder leer gesoffen? (lachen)

F: Was liegt noch am Herzen zu der Sache?

K: Auch ein Politiker kann Menschlichkeit zeigen. Für mich ist ganz klar, wenn sie uns

hängen lassen, dann werde ich Platte machen vor dem Rathaus, dann können sie mich holen,

dann können sie mich wegbringen. Dann lieg ich wieder hin. Mit Zeitung, mit Fernseher, mit

allem.

159


➣ 6.2.5

160


6.2.6 Punkstadt: Joe

F: Wie oft bemerkst du, dass du in keinem Haus wohnst?

➣ 6.2.6

J: Ja klar, jeden Tag. Morgens, mittags, abends. Hier kann ich meine Hunde direkt aus dem

Wagen raus laufen lassen.

F: Ist es bewusst gewählt, um nicht im Haus zu wohnen?

J: Ja, die ganzen Häuser, die ganzen Betonklötze die rumstehen, da hab ich kein Bock drauf.

Da hast du dann immer deine Nachbarn, mit denen du Stress hast oder irgendein Vermieter

stresst, der dir sagt was du zu tun oder zu lassen hast. Und hier tut man eben selbst seine

Regeln bestimmen mit seinen Leuten. Hier kann man sich absprechen und man hat nicht den

Zwang von oben. Du zahlst deine Miete jeden Monat so und so viel Euro, Nebenkosten. Hier

ist es um einiges leichter, du lebst draußen, bist in der Natur. Das ist, auch gerade wenn man

Hunde hat, besser als ein Haus oder sonst was.

F: Was wäre ne Alternative zum Wagen?

J: Nichts. Alle hier. Wir haben ja über den Winter in nem Haus gewohnt, nach unserem

letzten Wagenplatz. Also mir ist ne Wagenplatz lieber. Ich hab keinen Bock mehr in ein Haus

zu ziehen oder sonst wo hinzuziehen.

F: Wieso ist die Wagenburg gerade hier entstanden?

J: Also, wir waren hier schon mal, vorletztes Jahr. Das Gelände hier steht seit Jahren leer.

Alles zugewuchert. Daraufhin haben wir gesagt, hier ist nichts, hier passiert nichts, also

können wir hier unsere Wagenburg drauf setzten, weil es braucht eh keiner. Deshalb haben

wir den Platz hier gewählt. Und letztes Jahr wurden wir eben schon einmal geräumt hier. Sind

in ein Haus umgezogen, wo wir dann auch wieder geräumt wurden. Und haben dann das

Ponyhofgelände besetzt, was für uns eigentlich eines der idealsten Gelände war. Was dann

aber auch wieder geräumt wurde. In ner ewigen Action. Für acht Bewohner 100 BFE-Bullen

im Einsatz. [Beweissicherungs-Festnahme-Einheiten]. Komplett in schwarz gekleidet,

Körperpanzerung, Knarren, alles, und pi pa po.

F: Weißt du, was der Einsatz gekostet hat?

J: 20 000 Euro.

F: Empfindest du es hier als eine Art Ghettoisierung?

J: Ghettoisierung würde ich nicht sagen, nicht unbedingt. Man will die Leute halt aus der

Stadt haben. Dass man das nicht mehr mitbekommt. Das wollen vielen Leute. Ich denk mal,

ich bin ganz froh hier draußen, hier stört uns keiner und hier stören wir keinen. Aber ich mein,

du bist halt schon abgegrenzt von der Stadt und allem. Du kommst hier abends aus der

Gegend nicht mehr weg, denn ab acht Uhr fährt hier kein öffentlicher Bus mehr. Es gibt

keinen Straßenbahnanschluss von hier. Gar nichts. Aber vielleicht ist es auch gar nicht

schlecht, wenn vier Wagenburgen in einer Straße sind, dann kann man sich gegenseitig auch

helfen und solidarisieren, wenn es Ärger gibt.

F: Hat sich von der Stadt her etwas geändert in den letzten Jahren?

161


➣ 6.2.6

J: Ja, in den letzten beiden Jahren schon. Einiges. Die Stadt wurde immer intoleranter

gegenüber anders Denkenden. Früher hatten wir, auch grad in der Innenstadt, dass Leute auch

eher geduldet waren. Heutzutage wirst du aus der Stadt nur noch verjagt. Wenn du irgendwo

hockst, in ner größeren Gruppe. Und auch die Politik, seit wir den grünen Oberbürgermeister

haben, ist auch richtig gegen anders denkende Leute, und alternativ lebende Menschen

ausgelegt worden. Er hat auch mal in ner Gemeinderatssitzung den Spruch losgelassen, wo es

um unsere Platzräumung ging, dass man für solche Leute doch die Seuchenpolizei schicken

sollte. Und das von nem grünen Oberbürgermeister. Und er hatte ja auch mal gesagt, grüne

Politik heißt nicht direkt auch linke und soziale Politik, das heißt Umweltpolitik. Und seit er

da ist, ist einiges vieles schlimmer geworden. Und auch gerade das Vorgehen der Polizei

gegenüber Wagenbewohner, Obdachlose, sonstige Leute, die auf der Straße sind oder anders

leben, wird auch immer brutaler.

F: Wie sieht es aus, wenn man in der Innenstadt sein möchte?

J: Wenn man mit drei, vier Leuten an einem Platz steht, ne Decke für die Hunde ausgebreitet

hat oder sonst was, dann ist das illegales Lagern. Und das verstößt gegen die öffentliche

Sicherheit und Ordnung und gibt ne Anzeige. Und es gibt nen sofortigen Platzverweis. Es gibt

auch mehrere Leute, die haben jetzt auch schon Innenstadtverbote direkt, die dürfen sich nur

noch um das Nötigste zu besorgen in der Innenstadt aufhalten, wenn nicht, gibt es

achtundvierzig Stunden Beseitigungsgewahrsam und ne erneute Anzeige und Bußgeld.

F: Für wie lange ist so ein Innenstadtverbot ausgesprochen?

J: Die sind meist für ein Jahr ausgesprochen.

F: Stadtverbote gab es auch schon?

J: Das gab es auch schon, Hauptsächlich bei DIY - Festival. Da ging es recht derbe ab,

gerade mit Nicht - Freiburgern, oder Nicht - Deutschen; da wurde komplett für eine Woche

verboten, das Stadtgebiet von Freiburg zu betreten. Das ist schon fast faschistoid. Da weiß ne

Stadt genau, wie sie ihr Gewaltmonopol ausnutzen kann. Gegen die Leute, die dann

Stadtverbot haben, wird nochmal richtig radikal vorgegangen. Aufs übelste geschlagen und

geknüppelt. Was die Stadt hier gerade betreibt, das ist unter aller Sau. Jetzt ist der damalige

Einsatzleiter auch noch in Ruhestand gegangen und der hatte früher eigentlich immer eher auf

Deeskalation gesetzt, also kein Stress, da gab es bei den Demos eigentlich auch nie Ärger.

Den haben sie aber vor zwei Jahren abgesägt, weil der nicht die baden-württembergische

Linie gegenüber Leuten wie uns, vertreten würde. Und zu friedlich mit uns umgehen würde.

F: Was wäre ein Ausweichplatz für hier?

J: Es gibt keine Alternative. Die Stadt sagt direkt, wir werden keinen Wagenplatz bekommen.

Sie werden uns räumen. Wir können ins Obdachlosenheim ziehen.

F: Das ist die einzige Alternative, die von der Stadt vorgeschlagen wird?

J: Ja, noch nicht einmal Obdachlosenunterkunft, sondern Notunterkunft.

F: Was ist der Unterschied?

162


➣ 6.2.6

J: Du kannst abends ab sieben erst rein und musst morgens um sieben wieder raus. Tagsüber

darfst du nicht rein. Aber Obdachlosenheim ist generell für uns nichts, wir sind ja nicht

obdachlos, wir leben ja in Wägen. Ich weiß auch nicht, was in denen ihrem Kopf vorgeht.

F: Wie geht eine Räumung vor sich? Wie muss man sich das vorstellen?

J: Unsere letzte Räumung ging zum Beispiel so vor sich: Wir waren unvorbereitet. Morgens

um halb sieben sind 100 Beamte aufmarschiert. Einer von uns war noch wach. Sie haben die

Wohnwägen umstellt komplett. Haben den Platz abgeriegelt. Haben die Straßen abgeriegelt,

dass also niemand an den Platz ran kam, von unseren Unterstützern oder der Presse. Oder

auch nur in die Nähe. Daraufhin wurde uns eine Minute Zeit gegeben, die Türen sofort

aufzumachen und raus zu kommen, woraufhin ner Bekannten von uns auch mal die Tür

aufgemacht wurde und dem Hund der dann heraus kam, wurde dann sofort die Knarre vors

Gesicht gehalten. Dann wollten sie den Hund noch abschießen. Mir drohten sie, dass sie die

Tür aufbrechen, wenn ich nicht sofort die Tür aufmache. Eine Bekannte, die bei mir gepennt

hatte, musste somit mit den Unterhosen heraus, musste sich rausstellen. Die haben sich

natürlich schön darüber lustig gemacht. Und dann ging es ab. Wir wurden jeweils von vier

Beamten eskortiert vom Platz geführt. Einen Rucksack durften wir mit unserem Zeug packen

und wurden dann vom Platz weggetrieben. Woraufhin die Stadt dann mit Müllmännern,

Abschleppunternehmen und Gerichtsvollzieher unser Zeug verschrottet und abgeschleppt hat.

Bauwägen und Wohnwagen wurden zum Teil an Ort und Stelle verschrottet. Teile unseres

persönlichen Eigentums wurden in den Müll geworfen. Es gab dann aber auch keine

Alternative. Worauf wir wieder unter der Brück wohnten.

F: Kann man Einspruch hiergegen erheben?

J: Wir haben Anzeige erstattet gegen die Polizei wegen Diebstahl und Sachbeschädigung,

aber bisher ist noch nichts gekommen. Von den Bullen hören wir auch immer, macht doch

Anzeige, die Richter stehen eh auf unserer Seite. Und man sieht es ja auch, in Baden-

Württemberg sind in den letztem 5 Jahren zwei Polizeibeamte verklagt worden wegen solcher

Geschichten. Alle anderen wurden freigesprochen.

F: Ändert sich was, wenn man längere Zeit im Wagen lebt?

J: (2) Weiß nicht, ob sich da was ändert. Die meisten von uns haben schon zig Jahre auf der

Straße ohne Wagen gelebt. Man hat einfach sein Zuhause, das man immer dabei hat. Es gibt

einem Rückhalt, wenn du weißt, du hast da was, wo du rein gehen kannst, wo du die Tür zu-

machen kannst, bub aus, hast du deine Ruhe. Was sich da ändert weiß ich nicht. Wenn man

auf einem Platz lebt, dann tut sich das Gemeinschaftsgefühl stärken. Wir leben hier

sozialökonomisch, das heißt, wenn jemand was braucht, alle tragen die Kosten von allen,

egal um was es geht, wenn jetzt jemand Gerichtskosten hat, dann bezahlt der, der mehr hat,

wer halt was hat, der legt mehr rein, bei einer kleinen Gruppe wie wir das sind, geht das recht

gut. Das was alle brauchen, wird auch von allen getragen.

F: Würdest du sagen, dass es eine politische Gruppierung ist?

J: Nö, wir sind Punks.

F: Punk sein ist nicht politisch?

163


➣ 6.2.6

J: Ja, doch schon. Wir sind politisch geworden, wir kämpfen um Freiräume, wir solidarisieren

uns mit andern Wagenplätzen und Projekten. Ich bin politisch, schon.

F: Wie könnte man Punk definieren?

J: Punk kannst du nicht definieren. Nicht definierbar. (3) Wir sind Straßenpunks.

F: Wie hat sich die Gruppe zusammengefunden?

J: Also wir kennen uns zum Teil schon länger, gerade durch das Leben auf der Straße. Wir

hatten unter Brücken schon zusammen gewohnt. Wir kennen uns aus der Stadt. Es ist auch

immer ein Wechsel. Die Gruppe, die jetzt aber hier ist, die ist schon länger als zwei, drei

Jahre zusammen. Man kennt sich halt. Man kommt familiär miteinander klar. Wir kennen uns

eigentlich alle von der Straße.

F: Warum gibt es soviel Druck gegen die Wagenburgen?

J: Ich glaube, die Stadt hat auch Angst davor, dass sich da auch ein politisches Spektrum

bildet, das nicht nach der Pfeife gerade tanzt, so wie es der Staat gerade will. Leute, die sich

selbst organisieren können und nicht immer unter staatlicher Obhut sind und kontrolliert

werden. Und sich auch dagegen stellen können. Dass die Leute auch Freidenker sind und

nicht durch Medien zugeschüttet. Nicht: du musst morgens zur Arbeit gehen, weil der Staat

das so will, schön in die Rentenkasse einzahlen und mit vierundsechzig kriegst du dann deine

Rente, und du musst ein Häuschen haben mit Garten.

F: Liegt dir noch was am Herzen zu diesem Thema?

J: Am Herzen. Ja klar. Es muss mehr Wagenburgen geben. Und man soll sich auf keinen Fall

freie Räume erbetteln, sondern dafür kämpfen. Was anderes hilft nicht. Nicht kuschen,

einfach Widerstand leisten.

6.2.7 Urstrom: Uri

F: Wie oft bemerkst du, dass du in keinem Haus wohnst?

U: Wie oft ich merk, dass ich (lachen) gar nicht, ich hab den Vergleich zum Haus echt

verloren. (lachen) Ne, das ist mein zuhause und da hab ich nie so das Bedürfnis, gut ich

wollte schon einmal ein Haus kaufen, aber das ist irgendwie, nicht weil ich mir jetzt hier

direkt ein Haus ersehne, sondern weil ich da mehr Platz und mehr Räumlichkeiten hätte. Das

ist wohl der Grund.

F: Was glaubst du, warum entstehen Wagenburgen in der Nähe von einer Stadt?

U: Ich schätz mal, weil es in einer Stadt ein großes Bedürfnis gibt nach anders leben, nach

draußen leben und trotzdem die Stadt nicht missen.

F: Ein rein städtisches Phänomen?

164


➣ 6.2.7

U: So wie es hier existiert schon, wobei, es gibt auch einige Plätze auf dem Land, von Berlin

weiß ich das zum Beispiel, dass da einige ins Wendtland gezogen sind, sich ein Haus gemietet

haben mit einem Platz und nun da auch Wägen drumrum stehen. Also, wenn ich so überlege,

dann würde ich das nicht unterschreiben, dass es nur ein städtisches Phänomen ist. In der

Stadt fällt es einfach am meisten auf. Da gibt es einfach am meisten Ärger. Auf dem Land ist

es manchmal cooler geregelt oder es ist gleich verboten, aber dann entsteht da auch keine

Bewegung.

F: Das ist ein gutes Stichwort. Ist es ursprünglich eine politische, eine ökologische oder

überhaupt eine Bewegung gewesen?

U: Wenn ich jetzt die Freiburger Anfänge anschaue, den Zweig Rieselfeld, der war gar nicht

politisch, der war eher sozial. Dass die Leute einfach obdachlos waren, oder vielleicht in ner

Wohnung gelebt haben, aber dass einfach das Gestalten des eigenen Lebensraums mit dem

Wagen erst möglich war. Da gab es schon viele Obdachlose im Rieselfeld damals und bei

uns im Lehen damals, klar, für mich persönlich war es etwa politisches und für viele andere

auch, wir wollten der Wohnungssituation entgehen, nachdem die ganzen Häuser geräumt

waren und war in ner gewissen Weise ein Ausweg aus der Geschichte, dass der Häuserkampf

zu Ende war. Sowohl von der Stadt her, die massiv mit Repressionen gedroht hat und

angewendet hat. Soforträumung, sobald besetzt war. Vorgefertigte Räumungsbescheide für

die Vermieter und solche Sachen. Früher musste ja ein Vermieter immer erst ankündigen, hier

bei mir ist ein Haus besetzt, ich erlaube zu räumen, denn es handelt sich ja um Eigentum, wo

die Polizei ja nicht sofort einschreiten kann. Damals gab es dann aber Blanko-Bescheide für

jedes leere Haus, die nur noch vom Vermieter unterschrieben werden mussten.

Aber dann gab es auch noch ne Ökofraktion, die dann eben zum Teil in die Ölmühle ist und

noch Leute, die einfach unterwegs waren.

F: Der erste Freiburger Wagenplatz auf den Faulerwiesen, würdest du das unterschreiben?

U: Mmmh, da waren die ersten Wägen damals, da war ein Abrissviertel, zuvor ein Autohaus,

und dann sollte da neu gebaut werden, aber war dann ewig brach, weil die Häuser zum Teil

unter Denkmalschutz auch standen, die Faulerhäuser. Und da waren dann Busse aus England

mal da, dass weiß ich noch ganz genau. Auf diesem großen Platz, Fahrendes Volk sozusagen,

mitten in der Stadt. Und da kamen dann auch Leute dazu, die auch das Faulergebäude besetzt

haben.

F: Ist es eine ökologische Wohnform?

U: Ja, schon. Auf jeden Fall. Allein ein Haus zu bauen ist ja schon Energieverschwendung

(lachen). Nicht wirklich. Aber man bedenke nur mal den Energieverbrauch der nötig ist, um

eine Baugrube auszuheben. Wo hingegen in so einem Bauwagen wenig Energie drin steckt,

auch vom Wasserverbrauch her, vom Strom, den du ja eigentlich fast gar nicht benötigst. Man

braucht eigentlich weniger Resourcen; heißt es ja so nett (lachen).

F: Wie kam es zu deiner Entscheidung, im Wagen zu leben?

U: Eigentlich, auch weil ich die Freiheiten des besetzten Hausen und des kollektiven

Wohnens, weil ich die vermisst hab. Ich hatte dann ein paar Monate rumgewohnt bei Leuten,

aber hatte eigentlich nie vor, mir noch ne eigene Bude zu suchen. Das Rumwohnen war noch

so ein wenig okay, aber viele sind dann in Wohnungen, die billig oder frei waren. Mein

Entschluss kam dann, dass ich zu nem Bus kam, ohne Tüv. Und dann habe ich in ner großen

165


➣ 6.2.7

Haus-WG nachgefragt. Und da konnte ich mich hinten in den Hof stellen. Und hatte erst mal

meine Ruhe. Das war mir auch ziemlich wichtig. Ich hatte da auch nach den ganzen Monaten

Stress und rumwohnen, jobben musste ich auch noch in der Zeit. Da hatte ich dann einfach

Bock, ein Weilchen eine Auszeit zu haben. So bin ich dann in den Bus gekommen, von dort

habe ich dann so ein bisschen Interesse gehabt an Wagenleuten. Und dann bin ich ein

bisschen rumgefahren in der Stadt, habe Leute kennen gelernt. Und dann war für mich klar,

das ist geil. Ein Freund von mir ist dann mitgezogen, schon an dieses Haus, und dann war

klar, wir bleiben im Wagen, wir haben uns super verstanden, es war toll, dann sind wir im

Winter auf ne Campingplatz der offen war. Im Frühjahr sind wir dann runter, und dann ging

das Wagenleben erst richtig los.

F: Könntest du dir vorstellen, noch mal in einem Haus zu wohnen?

U: Ja, in nem großen Bauernhaus, das könnte ich mir schon vorstellen. Eine konkrete

Vorstellung wäre ein Haus und neben dran ein Wagen. Und im Haus Küche, Bad und so,

aber wohnen würde ich weiterhin im Wagen (lachen).

F: Was macht diesen Raum im Wagen aus?

U: Die vielen Fenster. Ich finde es wirklich toll, einen kleinen Raum zu haben, der aber in alle

Richtungen hin offen ist und wo man wirklich auch nur das Notwendigste hat und dies auch

braucht, also Bett, Spüle, Stuhl, Klamottenschrank. Fertig. Super. (3) Du kannst einfach viel

draußen sein, ich liebe das draußen sein. Das ist es irgendwo, der Wagen ist klein und

schnuckelig und draußen, das ist das Wohnzimmer. Drinnen die Schlafkajüte. Total gut.

F: Ändert sich dadurch die Raumwahrnehmung, wenn man längere Zeit im Wagen gelebt hat?

U: (3) [Handyanruf]. Raumwahrnehmung war deine letzte Frage, ne?

F: Ja.

U: Vielleicht geht der Blick mehr in die Weite. Schon in der Schule habe ich immer zum

Fenster hinaus geguckt. (lachen) Aber ansonsten.

F: Was sind so die Konfliktfelder denen man begegnet, wenn man im Wagen lebt?

U: (2) Wenn man unterwegs ist. Ängste. So, zwecks Faschoüberfällen, ständig auch mit

Bullen zu rechnen. Das ist schon ein Problem, eigentlich, gerade am Anfang, da hatte ich

lange gebraucht, um mich daran zu gewöhnen. Ich hatte es nicht so sehr negative empfunden,

es hatte einfach dazu gehört, bisschen wachsamer zu sein .Nachts, gerade wenn du irgendwo

stehst. Eine Haustür zu zumachen das ist schon ein recht sicheres Gefühl, aber ne Wagentür

irgendwo, das ist noch lange keine Haustür. Da hatte ich schon zu kämpfen. Wachsam sein,

auf jedes Geräusch nachts zu hören. Aber das hat sich dann gelegt, nach meiner ersten großen

Tour, wo ich viel unterwegs war, da merkst du dann doch, dass die Wahrscheinlichkeit, dass

du hier eine über die Rübe bekommst, ist eher nicht so drin. (Lachen) Ich habe dann auch

gemerkt, die Leute haben eher mehr Angst vor einem - ein Fahrender, ein Zigeuner.

Irgendwie hat sich das dann gelegt. Hier war das dann anfangs auch noch. Wenn du halt

einen Platz nicht kennst, dann weißt du halt auch nicht, was da nachts so los ist. Aber das war

dann irgendwann auch verschwunden. Das ist so ein Konfliktfeld. Das andere Konfliktfeld ist

dann halt der Kampf mit den Elementen. Kälte. Nässe. Hitze. Und manchmal Matsch.

166


F: Kämpfe gegen Vorurteile?

➣ 6.2.7

U: Ach (2). Mein Bestreben war eigentlich immer nur, das möglichst positiv darzustellen,

dass die Leute es selber schnallen, dass dies auch ne Möglichkeit ist zu leben. Von

Vorurteilen wurde ich selber eigentlich nie betroffen. Die bekommst du aber auch meist nicht

mit, da bist du dann schon wieder losgefahren. Aber die meisten sind doch eigentlich eher

interessiert und wollen reden.

F: Kann die Wagenburg als Adresse bei Arbeitgebern ein Problem sein?

U: Ja, wenn du nicht ne coolere Adresse hast. Aber selbst habe ich das noch nicht festgestellt.

Aber das Problem sind meist matschige Schuhe oder dreckige Klamotten.

F: Was bedeuten Jahreszeiten?

U: Das ist so der Lebenslauf auch. Es ändert sich. Irgendwie geht es über in dich (3)

Jahreszeiten sind rudimentär, die erlebst du richtig bewusst. Das sind dann auch immer ganz

unterschiedliche Zustände beim Wohnen im Wagen. Im Sommer kann es sehr heiß sein und

im Winter kalt, Frühling, Herbst durchwachsen. Irgendwie ist es schön, so die Jahreszeiten zu

erleben.

F: Gaspreiserhöhung, Stromkosten und Mietspiegelentwicklung, was kann man dazu sagen?

U: Kein Check (lachen). Ich weiß nicht mal ,was Strom kostet (lachen). (2) Mietenwicklung

(1). Strompreis, ja da hat man schon manchmal das Gefühl, super, das geht mich alles nichts

an. Und es ist doch für die allermeisten Leute etwas existenzielles, ob sie jetzt Strom haben

oder nicht. Das tut einen manchmal eher bestätigen.

F: Was führt zu mehr Gruppenbildung: das gemeinschaftliche Interesse, oder der Druck von

außen, politisch, städtisch?

U: Ich denke oftmals ist es der Druck von außen. Denn der ist so gemacht, dass man einfach

zusammenhalten muss, wenn die Leute sich vereinzeln besteht keine Chance, sich gegen

diesen Druck zu wenden und so ist man aufeinander wirklich angewiesen, was man sonst im

Leben ja nicht so spürt, oft. Aber es geht auch oft einher mit einem politischen Willen.

Eigentlich gehört es zusammen. Durch den Druck entsteht ein politischer Wille, dadurch

entsteht meist noch mehr Druck, weil die Leute sich politisch verhalten, was der Stadt

wiederum nicht gefällt. Der Druck wird erhöht, wodurch die Leute aber klarer werden, was

sie politisch wollen, da kann man hier in Freiburg schon klar ne Entwicklung sehen, dass die

Leute sich politisieren über die Auseinandersetzungen die es gab. Vorher war es den Leuten

vielleicht gar nicht so bewusst, dass es so massive Widerstände gibt.

F: Vielleicht noch zwei weiter gefasste Fragen: Würdest du Wagenburgkultur und die

ethnische Minderheit der Sinti und Roma in Verbindung bringen können?

U: Das ist für mich selber ne schwierige Frage. Weil ich mich in meinem Idealgefühl, was ich

schon hatte im Wagen, mich schon orientiert hab nach diesen alten Zigeunergeschichten.

Einmal wollten wir ne Wagenkarawane machen in den Neunzigern, da hatte ich dann viel

Literatur gewälzt und festgestellt, dass viele Fahrende, Sinti , Romas, Vagabunden, dass die

bestimmte Landstriche hatten wo sie unterwegs waren, um Handel zu treiben. Aber doch

auch wiederum oftmals ihren festen Platz hatten. Und so habe ich mir das alles auch ein

167


➣ 6.2.7

wenig nahe geholt und ich finde an sich auch schon, wenn ich merke, wie das draußen Leben

für mich auch positive Qualitäten hat, das Verbundensein mit der Natur, das

Zusammengehören zu der Gruppe die im Wagen wohnt. Draußen Feuer machen, Kochen,

Feiern. Vielleicht sind das Sachen, die da eine Verbindung herstellen, für mich persönlich.

Aber für die Zigeuner selber, da ist das wohl ne ganz andere Geschichte. Da steht die Sippe

wohl mehr im Zentrum und nicht das draußen Leben. Für mich ziehe ich Verbindungen.

F: Wie siehst du die Zukunft dieser Wohnform?

U: Schwer zu sagen. Die Akzeptanz ist vielleicht verbal gestiegen in der Bevölkerung, aber

rein praktisch ist noch immer keine Akzeptanz gegeben. Praktisch würde heißen, Leute stellen

Grundstücke zur Verfügung, - was einfach nicht größer geworden ist. Klar, die Leute

bekommen ein wenig davon mit, sind auch oftmals dafür, aber die praktische Umsetzung, wir

genehmigen das jetzt, wir stellen da jetzt was zur Verfügung, das ist immer noch nicht da.

F: Ist das Ganze eher ein Wertekonflikt oder ist es mehr ein Interessenskonflikt, wo es mehr

um die Fläche geht?

U: In erste Linie denke ich ein Wertekonflikt, denn Flächen gäbe es eigentlich genug die

brachliegen. Es ist ein Wertekonflikt. Ich denke, die normale Bevölkerung, die fühlt sich da

bestimmt in ihren hochgehaltenen Werten schwer verletzt (lachen). Die Leute müssen nicht so

viel arbeiten, die haben ein lockeres Leben, zahlen keine Miete, müssen kein Haus

abbezahlen. Die Vorurteile, die ziehen nur rum und klauen, leben auf Kosten anderer. Das

sind Sachen, die muss die Bevölkerung schon verteidigen. Ich denk sogar, dass die Stadt,

wenn es nicht eine solche Werteverschiebung darstellen würde, würde sie vielleicht auch

sagen, nehmt euch den Platz und Ruhe jetzt mit euch. Aber dadurch, dass sie einen Platz

geben, unterstützen sie auch die Werte, deshalb sind sie eigentlich auch in erster Linie

dagegen. Was sich als soziale Besetzung zeigt wie im Rieselfeld, da findet sich relativ einfach

ne Lösung. Da werden die Leute schnell wo hingekarrt, da könnt ihr hin. Aber sobald es

größer wurde gab es Druck.

F: Noch ein paar abschließende Worte?

U: Ich fände es gut, persönlich interessiert mich die Geschichte der Sinti und Romas, weil ich

glaub, die ganzen Vorurteile treffen zum Teil auch uns. Und ich sehe die auch zum Teil als

die großen Vorreiter vom Wagenleben überhaupt. Gäbe es dies heute, ohne die Kultur des

fahrenden Lebens? Das fände ich interessant, da mehr Verbindungen herzustellen, sowohl

persönlich, als auch im Größeren.

F: Schönes Schlusswort. Danke.

168


6.2.8 Ölmühle: Ellen Koppitz

F: Warum kennt keiner die Wagenburg-Ölmühle?

➣ 6.2.8

E: Das erklärt sich dadurch, dass diese Wagenburg auf privatem Grund steht und nicht auf

städtischem und deswegen ist es auch einfacher, sich zu arrangieren. Es bringt einfach nicht

so viel Stress mit sich, ... denn bei städtischem Grund und Boden, da wollen immer alle

mitreden – Gemeinderäte, und so weiter. Wenn man sich jedoch nur privat mit jemandem

einigen muss, dann ist es unter Umständen leichter. So war es zumindest bei uns. (3) Der OB

Böhme hat damals die Devise ausgegeben, wenn die soziale Akzeptanz herrscht im Umfeld

von ner Wagenburg auf Privatgrund, dann unternimmt die Stadt nichts dagegen (2) und so

war das bei uns. (2) Als wir im Herbst 92 hierher gezogen sind haben wir gleich versucht,

uns eine Lobby im Dorf zu erschaffen. Wir haben die Leute aus dem Dorf eingeladen zum

Kaffee trinken und haben ihnen alles gezeigt und so bewiesen, dass wir ganz normal sind und

nur ein bisschen spinnen was die Wohnform betrifft. Wir haben auch konsequent im Dorf

eingekauft, beim Bauer die Milch, beim Winzer den Wein, im kleinen Edeka, Pferde hatten

wir untergestellt. Und uns somit eben integriert und dadurch hatten wir da auch nie Probleme,

sondern nur Fürsprecher. (2) Und ansonsten waren wir sehr unauffällig: keine Hunde, keine

Trecker, keine Autos und dadurch hat das niemanden groß gestört. Und man lebt ja auch hier

ein wenig abgelegen, weg vom Dorfrand mitten in den Feldern ... Bahn und Straße, da will eh

keiner wohnen. Alles laut. So kam das.

F: Eine Lobby im Dorf war also wichtiger als die Stadt Freiburg an sich?

E: Anfänglich wurden wir noch observiert. Es gab mal ne Akte über uns. Aber als klar wurde,

dass hier weder Kriminelle oder andersweitig Böse wohnen, wurde das eingestellt. Vor allem

als der OB Böhme dann sagte, okay, er unternimmt nichts ohne massiv aufgefordert zu

werden. Infolgedessen wurden dann auch die Beobachtungen eingestellt.

F: Wie seid ihr denn auf diesen Platz hier an der Ölmühle gekommen?

E: Naja, wir haben rumgefragt an allen Stadträndern. Die Bauern aufgesucht. Und der Bauer,

der diese Wiese hier gepachtet hat, weil hier seine Kühe stehen. Der war sehr aufgeschlossen

als Biobauer. Der sagte dann ja, wegen mir kann ich euch ein Stück abzwacken, aber die

Besitzer müssten natürlich auch noch einverstanden sein. Er hat uns dann auch den Kontakt

hergestellt. Und als die dann auch einverstanden waren, ging das sehr rasch. (2) Ich denke das

ist eher eine Erfolgsstory, die nicht alltäglich ist. Das ist doch eher noch die große Ausnahme.

F: Ihr habt bestimmt dann hier auch ein Plenum auf dem Platz?

E: Früher gehabt.

F: Und jetzt?

E: Wir frühstücken zusammen und besprechen da das wichtigste oder essen zusammen zu

Abend. Es muss kein formaler Termin mehr gesetzt werden. Wir sind ja nicht mehr so viele.

(2) Es hat sich eingespielt.

F: Welchen Schwierigkeiten begegnet man dann noch?

169


E: Alle Schlachten geschlagen. (Lachen). Erfolgreich geschlagen. Durchgekämpft.

F: Wie lange geht dann euer Pachtvertrag hier?

E: Der hat keine Beschränkung

F: Das heißt, da steht drin.....

E: da steht nichts drin, das ist ne mündliche Abmachung mit dem Besitzer.

Das einzige ,was das sichtbare Zeichen ist - ist der Dauerauftrag.

F: Was bedeutet dann Selbstverwaltung für euch hier?

➣ 6.2.8

E: Na ja, es gibt ja die angenehmen Seiten des Wagenlebens und es gibt die, die unter

Umständen unangenehm sein können ... nämlich, dass man sich um alles selbst kümmern

muss. Und Selbstverwaltung heißt für mich in dem Zusammenhang, dass ich mich selber

ums Wohnen, ums Wasser, um Energie, um Heizung, um alles kümmern muss. Wenn ich mit

meiner Sense ein Kabel durchscnsen beim Rasenmähen dann muss ich gucken wie ich es

selber wieder zusammenflicke. Wenn ich nicht für mein Brennholz sorge, dann ist mir kalt im

Winter, das macht nicht irgendwer für dich.(2) Das kann für manche Leute sehr unangenehm

sein. Es ist vor allen Dingen sehr zeitaufwändig. Man verbringt hier mehr Zeit mit der

Organisation des Alltags, als in einem Haus oder in einer Wohnung. (2) Und früher hieß

Selbstverwaltung, dass man zu acht gleichberechtigt Entscheidungen trifft. Wir haben viel

diskutiert und debattiert. Es gab lange Diskussionen bis der erste Fernseher hierher kam.

Denn, passt das so zu der Ideologie?

F: Nach wieviel Jahren war das?

E: Nach fünf oder sechs.

F: Die Kinder wollten mal Fernseh gucken?

E: Ne, die Großen.

F: Also, wenn ich es richtig verstanden habe, dann hattet ihr nie groß etwas mit der

Wagenburgbewegung in der Stadt zu tun?

E: Nie gehabt. Uns ging es auch nie primär um das Wagenleben, sondern um ein ökologisches

Leben und um ein Leben in Gemeinschaft. Wir wollten also auch nie die Schlacht schlagen

für alle die im Wagen wohnen, weil wir uns als solche gar nicht identifiziert haben, primär.

(2) Ökologie reichte aus als Ideologie. Was da schon alles dazu gehört: Nachhaltigkeit,

Bewusstes Leben, Ganzheitlich und Gemeinschaftlich ... das reicht aus. (lacht) Klar, es ist

hier ein Randplatz, aber im Paradies wohnt keiner.

F: Ihr habt nur Bauwägen hier und gar keine Fahrzeuge?

E: Ja, ganz bewusst nicht.

F: Und beim Rangieren der Wägen?

170


➣ 6.2.8

E: Ach, die stehen jetzt auch schon ne ganze Weile hier und man kann die auch zu zehnt gut

rangieren. Und wenn es halt gar nicht geht, dann haben wir uns schon einmal einen Trecker

geliehen, aber es war immer klar, dass wir keinen besitzen wollen.

F: Habt ihr irgendwas mit nem Motor?

E: Ne Kettensäge.

F: Andere ökologische Aspekte?

E: Dass wir beim Biobauern kaufen, dass wir Fahrrad fahren, Holzheizung, Strom selber

machen, was noch? (2) Einfach nicht ein so konsumistisches Leben führen. Sich beim BUND

engagieren (Bund für Umwelt und Naturschutz).

F: Nichts aus Beton gebaut?

E: Null. Kein Gramm Beton verbaut.

F: Wäre es vom Verpächter her gegangen?

E: Nie gefragt. War für uns immer klar, dass dies eine Wiese ist und dass die, falls wir nach

nem halben Jahr, nach 2, nach 3, nach 5, nach 10 gegangen wären, dass die nach einem

Winter, einem Sommer wieder rein als Wiese da steht. Für uns war das immer wichtig, dass

die Wiese Wiese sein kann, wenn nötig.

F: Wie lange würde es dauern, die Wiese wieder in ihren ursprünglichen Zustand zu bringen?

E: Wenn man alle Wägen weg zieht und die Kabel (von den Solarpaneel und Telefon) aus

dem Boden nimmt, dann ist das Arbeit für eine Woche, dann streut man Grassamen und ein

paar Monate später siehst du nichts mehr. Außer, ... dass wir relativ viel Bäume gepflanzt

haben, (lacht), die hier vorher nicht standen. Aber auch das ist wohl kein unnatürlicher

Eingriff. Das war uns immer wichtig.

A: Woher kommen die Wägen? Aus der näheren Region?

E: Es gab da einmal eine Boomzeit, wo man viele Wägen bekommen hat. Dieser hier stammt

von einem Zirkus. Auf dem Platz hier haben wir zwei davon und der Rest sind Bauwägen.

Dann gibt es noch einen Schäferwagen und alles aus der Freiburger Umgebung.

F: Wieviele Ster braucht man zum Heizen von einem Zirkuswagen?

E: Ja, das kommt auf den Winter an. Heute morgen habe ich einmal eingeheizt und es dann

ausgehen lassen. Ganz unterschiedlich, je nachdem wie streng ein Winter ist. 1-2 Ster pro

Wagen. Aber man heizt ja zum Beispiel auch da nicht, wo man schläft, es sei denn, es ist

abartig grimmig draußen, dann heizt man auch mal den Schlafwagen.

F: Wie siehst du die Entwicklung der Wagenburgen in der Zukunft?

E: Ich denke hier wird sich nicht viel ändern. Der Flächennutzungsplan ist gemacht und hier

ist weiterhin Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen, also wird sich für die Spekulanten in

171


➣ 6.2.9

absehbarer Zeit kein Bauland ergeben. Vielleicht können wir eines Tages diese Wiese hier

einmal kaufen, das wäre eigentlich sehr schön. Und wenn nicht, dann halt nicht. Dann pachten

wir halt weiterhin. (2) Und insgesamt für Freiburg gesehen, denke ich wird sich die Sache

befrieden. Ich schätze mal die Schattenparker werden dann doch noch einen Privatmenschen

finden, der sie aufnimmt und die Stadt gibt ihren Segen, Das wäre der schönste Fall der zu

wünschen wäre. Denn dies ist immer noch das Ruhigste und Sicherste. Und ich schätz mal die

Schattenparker haben auch Lust auf ein wenig mehr Ruhe im Leben. Das ständige

Umherziehen ist nur für manche Leute gut und nicht für alle.

F: Vielen herzlichen Dank für das Gespräch.

6.2.9 Susiburg: Bobby Glatz

F: Wie hat das bei dir angefangen mit Wagenburgen?

B: Ja, bei mir war es eigentlich so, dass ich selber einen Wagen hatte, an dem ich dann immer

wieder herumgeschustert habe, aber letztendlich auch nie so richtig dazugekommen bin, und

hatte einfach einen Faible dafür. Es ging schon los in -, das habe ich halt erlebt in Bremen, wo

ich studiert habe, dort habe ich schon einen Wagenplatz mitgekriegt und auch experimentelles

Wohnen in Schrebergärten, umgebaute Hütten und solche Sachen. Das hat mich halt schon

immer gereizt, ich habe Architektur studiert und von daher war das schon auch einfach ein

spannendes Thema prinzipiell für mich. Und als ich dann zurückkam von Bremen nach

Freiburg, wollte ich auch nicht nur halt eine Diplomarbeit schreiben. Ich habe mich nach

einem Thema umgeguckt, und eigentlich war so die Idee, sowas wie Gemeinschaftshaus und

Wagenplatz, und das ganze dann städtebaulich zu beleuchten, und auch das Soziale und

Ökologische und so weiter. Und so habe ich mich auch umgeguckt, und dann war für mich

eigentlich ein Thema gewesen. Es war im Rieselfeld gerade Biohum damals, als es losging,

die Ruinen da, Gemäuer und so, die da waren, und die ersten Leute. Und das hat mich schon

interessiert, und habe mir das ernsthaft überlegt, dort etwas zu machen. Das andere Thema

wäre gewesen, Wohnumfeldverbesserung in irgendeiner tristen Hochhaus-Plattenbau-

Siedlung. Und das Dritte waren halt frei werdende Kasernen. Und so bin ich dann zu SUSI

gekommen, weil es war ja der Fall der Mauer 89, und 90 habe ich mich dann nach einem

Diplomthema umgeguckt und habe mich dann im Sommer 90 dann halt fürs Vauban

entschieden, also die Rezivilisierung militärischer Anlagen am Beispiel der Vauban-Kaserne

in Freiburg-Süd, und hab dann eben auch das SUSI-Konzept mitentwickelt und bin da auf

Leute im Asta gestoßen, Asta, die sich auch mit dem Thema Wohnraum beschäftigt haben,

hatte aber damals schon, eben weil ich jetzt über Wagenplatz in erster Linie einfach auch

schon Kontakte geknüpft, dann zum Krähenwinkel in Lehen, also ein Wagenplatz, der da

entstanden ist, der ist dann auch gerade dann dort entstanden. Und einige Leute von dort

stehen dann heute auch hier oder noch hier. Es waren noch mehr von denen, die dort waren.

Und andere sind halt zur Ölmühle gegangen von dort aus, wieder andere sind sonst wohin. (2)

Ich hab damals meinen Wagen auf das Gelände hier gezogen, also der erste Wagen auf dem

SUSI-Gelände, und habe den hier auf dem Platz, in den Zwischenraum gestellt, das war

früher so ein schwarzer Ascheplatz, einfach auch um ein Zeichen zu setzen, weil das auch

wichtig war, gerade im Projekt SUSI, dass im Projekt ein Wagenplatz ist, ein Wagenbereich.

Es wurde dann städtebaulich eingearbeitet in einen Plan, und hieß dann irgendwie Freiraum

für experimentelles Wohnen auf Rädern. So war das dann schon mal von Anfang an immer

bei dem Gesamtprojekt mit drin, also Teil einer Idee wie man die Kaserne umnutzen kann.


➣ 6.2.9

Gerade, wenn so ein Stadtteil völlig neu entsteht, also eigentlich die Chance ist, sowas auch

stadtnah zu integrieren. Weil wenn erst mal Wohnbebauung da ist, und man muss das

nachträglich machen, dann wird es halt schwierig. Es ist gut, es von vorneherein irgendwo,

bevor die Nachbarschaft da ist, das zu ermöglichen. Ja, und vor dem Hintergrund habe ich

mich damals auch schon umgekuckt, Christiania im speziellen, wohnen in Güterwaggons, und

solche Dinge. Der besondere Reiz war eben dann auch das mit den Holzwägen, ohne eigenen

Motor, Zirkuswägen, Bauwägen. Letztendlich hat sich das dann ja hier auch entwickelt auf

dem Wagenplatz. Da war am Anfang so eine ganz kleine Wagengruppe, und rundherum am

Wagenplatz gibt's auch die sogenannte Wagen-WG, das war also dann eine WG, die hatte als

einziges den Ausgang zum Wagenplatz, zu dem auserwählten Zwischenraum, und

ursprünglich war dann auch nur die Hälfte vom Platz geplant, weil man musste es erstmal im

Projekt durchsetzen, weil dann ja schon auch von Anfang an dann, wo wir die Häuser quasi

hatten oder inne hatten, gab es noch eine Zeit, da waren wir hier drin und hatten noch keinen

Vertrag. Da war das mehr oder weniger halt wild, also illegal im Haus, quasi Besetzung. Und

auch in der Zeit ging es ja schon los, also irgendwie mit der Orientierung der Leute hier,

Sondierung, was passiert hier, und was kann hier stattfinden. Und dann kann ich mich noch

dran erinnern, dass es ziemlich heiß herging um das Thema, ob es hier einen Wagenplatz

geben kann oder nicht und wie groß der sein darf, denn es gab einen Interessenkonflikt

zwischen Bewohner, die sich eher Gärten vorgestellt haben und da mehr Freiraum für ihre

gärtnerischen und sonstigen Vorstellungen, Verwirklichungen und für Kinder und für Tiere

und so, und eben die Wagenleute. Und dann gab's erst mal einen kleinen Platz. Wie's aber

auch so ist, die Erfahrung zeigt sich auch, der Wagenplatz hat sich dann auch im SUSI quasi

immer wieder vergrößert, die Nachfrage war einfach riesengroß. Es kam hinzu, dass dann

auch immer mehr, also wir hatten ja auch noch Wagenplätze auf dem gesamten Areal. Es

waren ja 38 Hektar Brachland ungefähr. Viele uneinsehbare Winkel, Hinterhöfe sind

entstanden durch Wellblechhallen, die da waren und irgendwelche Backsteingebäude mit

Werkstätten, war halt ein richtiger Abenteuerspielplatz für jung und alt, groß und klein, und

da sind verschiedenste experimentelle Wohnformen entstanden, unter anderem auch zwei,

drei verschiedene Wagenplätze. Es gab die Wagenwiese und dann eben mehr mit so

Wohnwägen etwas und dann nochmals einen anderen Wagenplatz, da ist dann einiges

entstanden und die mussten aber so nach und nach dann auch weg immer, je mehr sich eben

die Entwicklungsmaßnahme da eingefressen hat, umso mehr Platz ist dann eben flöten

gegangen und irgendwann mussten sie weg. Und dann wurde auch der Druck auf SUSI

größer, also dass hier Leute dann angeklopft haben und geguckt haben, dass sie hier drin

stehen können. Andere Leute von hier haben angefangen, sich zu entscheiden, doch nimmer

im Zimmer zu wohnen und haben von hier aus eigentlich erst das Wagenleben entdeckt, ohne

dass sie jemals herumgefahren wären, sind einfach nur aus dem Haus raus in den Wagen rein.

Das ist jetzt ein Großteil von denen, die hier wohnen, sind eigentlich eher - also die Wägen

sind eigentlich nie groß herumgefahren, also vielleicht mal von dort drüben hier her, aber

mehr nicht.

F: Könnte man da prozentual sagen, wie viele sozusagen aus der Haustüre in den Wagen

reingegangen sind?

B: Jetzt muss ich gerade mal überlegen, wer und wer nicht. Also dann würde ich sagen, ich

nenn zwar keine Namen, aber im Prinzip würde ich sagen, sind es auf dem Platz da unten

eigentlich nur zwei.

F: Von insgesamt sechs?

173


➣ 6.2.9

B: Von dem Wagenplatz hier zwischen den Häusern, also du meinst nicht vorne die

Blechhalle natürlich, das würde in Summen gehen,

F: Also insgesamt, die von Wohnungen in den Wagen sind.

B: Ich sage jetzt gerade das Umgekehrte, die quasi von der Straße oder von Wagenplätzen in

die WG ziehen, um das Missverständnis gleich zu klären, also das sind nur zwei.

F: Wie viele Leute wohnen unten insgesamt?

B: Zwei Männer. Alle anderen sind wirklich aus den Häusern raus, haben sich irgendwo

anders das als preisgünstigere oder als - vielleicht nicht gleich in erster Linie wegen dem

preisgünstigeren, sondern in erster Linie einfach ein Obdach hoch, aber dann eben doch auch

noch die Komponente, dass es halt auch günstig ist, und dann hat man niedrigere

Lebenshaltungskosten und ist dann auch nicht gezwungen, entsprechend viel Geld

heranzuschaffen, sondern kann auf kleinerer Flamme leben.

F: Zwei von wie vielen?

B: Nur von zwölf oder zehn, oder maximal 20 %, die wirklich on the road und so. Aber die

anderen, die eben eher unterwegs waren, die sind auch teilweise weg, also die von draußen,

vom Wagenplatz kamen, die sind auch eher weggegangen. Da gab's dann auch ganz viele

Konflikte auf dem Platz, das war einfach auch so. Angefangen über verschiedene (3)

Einstellungen zum Wagenleben, persönliche Sachen halt, die sich entwickelt haben. Das war

einfach nicht so leicht. Ich würde jetzt mal sagen, die Leute, die jetzt auch wirklich diesen

Solidaritätsgedanken zu anderen Wagenplätzen haben, zu Tübingen und so, so Leute, die

eben dann auch zu den Wagentreffen gehen und die mitorganisiert haben, die Wagentreffen,

die bundesweit herumwandern, die Leute sind bis auf einen gar nimmer da. Bei den anderen

habe ich da nie etwas mitgekriegt, dass die jetzt jemals engagiert wären. Schon Solidarität

gezeigt haben zu Schattenparkern, in der Zeit natürlich, was aber jetzt auch nicht diese

Wagengeschichte, da gab's ja andere in Freiburg, und die stehen jetzt inzwischen nicht mehr

hier. Das sind aber auch Leute, die können zwischen den Häusern auch gar nicht so gut - die

brauchen so mehr das Wildere, das Freiere, oder vielleicht auch noch mehr - ein Naturstil

braucht auch Platzwechsel usw., also braucht man eigentlich auch Räder. Aber die da unten,

da könnte man locker die Räder abmontieren, es ist halt praktisch, um mal zu rangieren, aber

dass die mal fahren, da träumen sie vielleicht davon teilweise, dass man mal eine Fahrt macht

mit den Kindern mit dem Traktor an den Bodensee. Aber die sind jetzt kein fahrendes Volk.

F: Ist da ein Fundament drunter unter den einzelnen Wägen, was betoniert ist?

B: Das Fundament ist quasi, wenn der Reifen platt ist und langsam zerbröselt (lacht) und dann

wirkt das praktisch wie ein Fundament. Oder es wird aufgebockt, dann ist eine Terrasse

drangebaut, dann ist miteinander verbunden, dann müsstest du erst mal schrauben. Aber

richtige Fundamente haben die nicht. Das wollten wir jetzt auch nicht. Es gibt hier ein paar

Hütten, also Leute haben hier Hütten oder Vorräume angebaut, die Fundamente haben. So

kleine Fundamente, die sind ja aufliegende Bauten eigentlich, locker-leicht dahin gesetzt.

F: Es gibt diesen Gemeinschaftsbadraum.

B: Der ist an das Haus drangebaut, das gehört eigentlich zum Haus. Das ist halt ein richtiges

Zimmermannskonstruktions-Badhäuschen, was die Leute gemeinsam unter Mithilfe auch

174


➣ 6.2.9

teilweise von SUSI-Baugruppen gebaut haben. Damit sie eben die Sanitärversorgung haben.

Dass man nicht auf Anschluss an Wohnungen (2) drauf angewiesen ist. Wie gesagt, es gab

auch die Wagen-WG, das hat sich aber dann aber begeben, dass ein paar Leute, die eben hier

von Anfang an waren, dass die dann wieder gegangen sind, gerade eine Frau mit mehreren

Kindern und dann noch eine Frau mit Kind, Uri und verschiedene. Die sind dann halt auch

gegangen und somit hat sich das dann geändert mit der Besetzung in der Wagen-WG. Ich

glaube, jetzt gehen da nur noch zwei Leute hin vom Wagenplatz. Die anderen haben entweder

andere WGs oder nutzen halt wirklich dieses Badhäuschen und Toilette und so etwas.

F: Die einzelnen Wägen, haben die Strom, Wasser, Abwasser?

B: Die haben Stromanschluss. Da gibt's halt so einen Verteilerkasten, der extra mit Zähler für

den Wagenplatz ist, das haben die sich da hinbauen lassen, und da können sie Strom

bekommen und sonst heizen sie, und dann gibt's da die Vorschrift nur mit trockenem Holz,

keine Kohle und auch keine Elektroheizungen, weil dass das Stromnetz überbelasten würde.

Das wäre einfach, wenn alle Stormheizung hätten, dann würde das wahrscheinlich im Kasten

die Sicherung raushauen. Und es ist auch allgemein bei SUSI mit den Ansprüchen von

energiesparmäßig dann halt auch nicht passend, wenn man da mit Elektroheizung

herummacht. Wenn jetzt jemand mal krank ist und braucht es in der Zeit, es ist bitterkalt, man

heizt am Morgen kurz an, und wenn man spät nachts zurückkommt, da sagt ja kein Mensch

was. Aber halt nicht als Grundversorgung. Wahrscheinlich hat jeder seine Notheizung

irgendwo, was ja auch nachvollziehbar ist. Wenn man krank ist, ist man auf so etwas

angewiesen. Wasser holen sie sich in den Wagen mit Kanistern oder ähnlichem, dass sie da

kochen können. (2) Früher gab's noch einen Wagenrat, den gibt's jetzt so nimmer. Man

kommt jetzt nur noch zusammen, wenn etwas Dringendes anliegt. Ansonsten hat sich das

ziemlich verlaufen im Lauf der Jahre. Es war mal intensiver anfangs, als es darum ging, den

Platz einzurichten, die Plätze zu verteilen. Ich denke, es spielt jetzt nur noch eine Rolle, wenn

jemand Neues kommt, wenn jemand gegangen ist oder wenn jemand gehen soll, dann tritt der

Wagenrat zusammen, oder wenn eine große Aktion entsteht.

F: Ansonsten, die Grundsachen sind dann geregelt, die hat man festgelegt über die Jahre

hinweg.

B: Und viele Plätze gibt's ja nicht mehr. Wer erst hier mal einen Platz hat, das hat sich auch

erwiesen, der bleibt eigentlich auch recht lang. Da gibt's noch einen Gästewagen, oder dass

jemand seinen Wagen mal vermietet an andere. (3) Ein paar Leute haben auch Kinder im

Wagen, gut die Hälfte, die andere Hälfte nicht.

F: Am Anfang gab's noch Interessensgruppen, zwischen denen man vermitteln musste. Zum

einen die Anwohner, die, die im Haus sind, und die städtischer Seite. Was kann man da jetzt

sagen?

B: Das war auch eine Riesenaktion, eine Gratwanderung, weil es ja auch vom Baurechtlichen

her nicht vorgesehen war, es bleibt eben eine Grauzone. Es hat sich eben etabliert hier. Wir

haben das nie verschwiegen, sondern offensiv vertreten von SUSI aus, dass es diesen

Wagenplatz gibt, eigenverantwortlich natürlich. SUSI übernimmt natürlich nicht die

Verantwortung, was die Leute da machen. Es hat sich halt so entwickelt. Der Freiraum war

da. Und jetzt existiert der Wagenplatz und wir haben gute Erfahrungen damit gemacht. Die

Leute müssen anteilig ihre Unkosten und ihren Verbrauch bezahlen. Ein ganz normales

Wohnverhältnis.

175


F: Ist es dann ein Pachtvertrag für die ganze Fläche?

➣ 6.2.9

B: Es ist im Prinzip einzeln und gar nicht schriftlich geregelt. Dafür gibt's auch keine

Grundlage. Es geht darum, dass das, was verbraucht wird, irgendwo bezahlt wird, und dass es

einen Aufwand macht, dadurch entsteht. Die machen ja auch Müll wie jeder, und so müssen

sie auch einen Anteil an Müllgebühren bezahlen, einen Anteil der Fläche und Erbbauzins,

wobei dass das Geringste ist. Versicherungsmäßig, das wird halt einfach umgelegt zu diesen

Nebenkostensachen, die ja auch wir dann haben, dass das dann auch für die Mieter okay ist

und sie nicht das Gefühl haben, sie zahlen für andere mit, zumal da ja nicht gerade die reichen

Leute wohnen, die es sich gerade so aus dem Ärmel schütteln, sondern (1) dass das irgendwie

gerecht läuft. Und das bezahlen die.

F: Wie hoch sind dann die Nebenkosten ungefähr?

B: Es müssen auch alle im SUSI Mitglied sein natürlich, ganz normal ihre Muskelhypothek,

also Eigenleistung einbringen und so weiter. Es kommt darauf an, ob jemand einen Wagen

hat oder zwei und ob er das Badhäuschen benutzt oder nicht. Da gibt es so verschiedene. Ich

würde mal sagen, so ca. für einen normalen Wagen mit einer Person dürfte bei 80 - 90 Euro

liegen.

F: Und der Fixkostenanteil vom Land her, also die Grundfläche, die Liegenschaft sozusagen?

B: Also vom Grund, das weiß ich auswendig auch nicht. Ich meine, wie groß die Fläche

genau ist, da müsste ich nochmals nachschlagen, aber inzwischen haben wir bestimmt, was

sie nutzen, vielleicht sind es 900 Quadratmeter der ganze Platz. Es kommt darauf an, von wo

nach wo man misst. Es ist auch immer auch die Tendenz, dass man am Platz immer noch

etwas da dran baut und irgendwann der ganze Zwischenraum. Es war mal klar, dass es da

einen Abstandsstreifen gibt zwischen den Häusern. Und plötzlich ist da wieder was. Keiner

hat danach gefragt und dann gibt's wieder keinen Antrag. Das ist ja okay. Aber das ist schon

so diese Expansionstendenz. So ein Haus hat eine Grundfläche von 50 mal 16,66 m, das sind

ja 800 nochwas. Die Häuser sind 50 Meter lang, 16,70 breit. Es ist die Frage, von wo nach wo

man misst, also von daher sind das bestimmt 1000 Quadratmeter, was die haben und das ist ja

dann im Prinzip 1/15 von der Gesamtfläche. Und pro qm bezahlen wir, bezogen auf 400 DM

pro qm, heute umgerechnet auf 200 Euro ungefähr, 1 % Erbbauzins pro Jahr, ermäßigter

Erbbauzins.

F: An die Stadt?

B: Nein, an den Bund, also Bundesrepublik Deutschland, also an die Oberfinanzdirektion,

Bundesvermögensabteilung, Bundesvermögensamt. Mit denen haben wir zu tun, mit denen

haben wir einen Erbbaurechtsvertrag. Wobei man das so direkt gar nicht sagen kann. Also wir

legen es jetzt nicht so um, also den Erbbauzins bezahlt eigentlich SUSI, und die Bewohner

bezahlen ja eine Pauschale, so dass sie eben etwas dazu beitragen.

F: Sollen wir uns beeilen mit den Fragen?

B: Ja, genau. Wo sind wir stehen geblieben? Beim Platz?

F: Ja, die Kosten, 80 Euro dann umgelegt.

176


➣ 6.2.9

B: Ja, pro Wagen ungefähr. Also es verdoppelt sich jetzt nicht einfach, die Kosten. Weil was

ist, wenn jemand dann einen zweiten Wagen hat, für ein Kind oder Kinder, und dann kommt

halt etwas oben drauf. Also wenn du diese Preise genau haben willst, dann kannst du sicher

auch mal im Büro nachfragen/recherchieren beim Christoph, der hat so eine Liste, was das

genau kostet. Also das kannst du dann über das Büro auch rauskriegen, was da bezahlt wird.

F: Vielleicht kurz zur Geschichte noch: Also, es ging 92 an den Bund über und die Stadt hat

dann für 20 Mio. die ganze Fläche abgekauft?

B: Ja, also 40 Mio. DM damals ca.

F: Exklusive das SUSI?

B: SUSI-und Studentenwerkgelände, Studi-Dorfgelände. Den Rest entwickeln eben die Stadt,

die Kommune über die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme. Für das Ganze gab's einen

städtebaulichen Ideenwettbewerb. Da hat man schon versucht, dass da eben auch ein Freiraum

für experimentelles Wohnen berücksichtigt wird, speziell für Wagenplätze und so. Das haben

sie aber nicht berücksichtigt, und so wie sie eben auch den Abriss aller restlichen Gebäude

eigentlich gefordert haben, also komplett das zu überplanen.

F: Ist es bei euch jetzt als experimentelle Wohnfläche ausgewiesen? Das Stück dazwischen?

B: Nein, das hat sich quasi so etabliert, eingebürgert, wie man es nennen mag. Wie gesagt,

wir sind da offensiv rangegangen von Anfang an. Einen Wagenplatz gibt's. Da war auch

schon einmal der Baubürgermeister auf dem Platz, als er frisch im Amt war damals, der jetzt

schon wieder Ende des Jahres hier uns verlässt in Freiburg. Kurz nach seinem Amtsantritt ist

er mit einer Architektenjury, die hatten irgend etwas gesucht auf dem Gelände, wo

ausgezeichnet worden ist, da sind sie halt zufällig hier über den Wagenplatz spaziert und sind

auch ins Gespräch gekommen mit Wagenplatz-Bewohnern, haben sich auch bei einem

vorgestellt. Ja, übrigens, ich bin der neue Baubürgermeister. Und da kam aber auch nie etwas,

also auch vorher schon nicht. Wir haben immer wieder mal das zu spüren bekommen vom

Bauordnungsamt, dass die nachgebohrt haben, aber wir mussten dann auch mal angeben, wie

viele Wägen da sind, und einen Lageplan machen der Wägen. So etwas haben wir dann schon

auch vom Projekt bringen müssen. Aber letztendlich dulden die das. Ich meine, baurechtlich

bleibt es natürlich eine Grauzone. Es geht eben letztendlich bei solchen Sachen um die

Hygiene und so, das können wir nachweisen, das ist kein Problem. Das andere ist

Brandschutz und solche Dinge.

F: Was gibt es da zu beachten beim Brandschutz? Die Befeuerung von den Öfen?

B: Das weiß ich jetzt gar nicht für einen Wagenplatz. Das müssten die halt dann auch

festlegen. Sie wollten es immer mal machen, aber haben sich dann auch nicht mehr gemeldet

und haben es ja auch nie gemacht so richtig. Die Leute gucken halt selber im eigenen

Interesse, dass es gut läuft und halten auch ein bisschen Abstand zu den Nachbarn, zumindest

teilweise. Es ist nicht überall, aber die meisten stehen ja da für sich. Und wie gesagt, beim

Heizen da gibt es die Regel, dass es eben mit trockenem Holz, nicht mit Kohle und möglichst

keine Elektroöfen, wobei ja die von der Sicherheit wahrscheinlich okay wären, aber eben der

Stromverbrauch. Theoretisch könnte man auch mit Gas heizen, mit so Technik, die man auch

im Wohnmobil hat. Das wäre auch noch eine Möglichkeit, die ja durchaus mal kommen

könnte, wenn sich halt Anwohner zu sehr aufregen wegen irgendwelcher Emissionen oder so.

177


➣ 6.2.9

F: Die Fragen sind jetzt thematisch nicht ganz so zusammenhängend. Die Vauban-

Wagenburg ist eigentlich nicht in der Presse, gar nicht, wenn man so die letzten Badische

Zeitung-Artikel der letzten 5 Jahre nimmt, die habe ich mal durchgeschaut im Archiv. Das ist

eigentlich kaum ein Thema.

B: Es war neulich mal ein Thema als positives Beispiel, wie es auch sein kann. Als es um die

Schattenparker ging, da habe ich mal jemand von der BZ hierher geholt und dann mit

Wagenleuten in Kontakt gebracht, da gab es dann einen ausführlicheren Artikel. Die haben

sich dann eben auch mit Wagenleuten unterhalten. Aber ansonsten wenig. Das hat einfach

auch den Grund, also ein Foto kommt immer mal irgendwo rein, in irgendeiner Form. Aber

man hat jetzt auch nicht den Bedarf gehabt, von hier aus etwas zu machen. (Telefongespräch)

Es macht ja jetzt keinen Sinn, einen Wagenplatz, den es gibt, irgendwie stark ins Zentrum zu

stellen. Letztendlich gibt es auch noch zu wenige Wagenplätze. Es kommt dann eher wieder

von der Politik oder von der Stadtverwaltung, nach dem Motto, wenn dann die Forderung

wieder ist nach einem neuen Platz oder dass etwas bleiben kann, wo eben noch nicht so

etabliert ist. Dann heißt es ja immer: Es gibt ja schon die und die Wagenplätze. Und da wollen

wir uns jetzt nicht gerade immer vorne dranstellen, dass wir dann als Alibi benutzt werden,

was für tolle Wagenplätze es hier in Freiburg gibt. Erstens muss man den auch total

erkämpfen auf eine Art, überhaupt das gesamte Gelände, das Projekt und so, und da ist eben

quasi der Wagenplatz dann mit draus entstanden, was aber ja ein Stück weit auch angekündigt

und klar war. Und von daher, dass die Stadt sich dann damit rühmt, das wollen wir nicht, als

Alibifunktion herhalten. Es braucht auch immer mehr Plätze, und deswegen halten wir uns da

eigentlich auch ziemlich zurück. Und die Leute haben jetzt auch nicht das Bedürfnis oder den

Drang, sich in den Mittelpunkt zu stellen. Es kommen immer noch genug Gäste in den

Vauban, einfach Reisegruppen, die da Besichtigungen/Führungen bekommen. Die gucken da

dann auch immer und fotografieren und so kommt es in die ganze Welt, bis nach Japan. Also

von daher läuft da genug Öffentlichkeitsarbeit. Da ist die Frage, ob der Parameter dabei die

BZ ist, aber das ist natürlich kommunalpolitisch ein Parameter, ganz klar, ein Maßstab.

F: Verkauft die Stadt gezielt das positive Image dieser Wagenburg?

B: Ja, schon, klar, durchaus. Und wenn es dann eben darum geht, dann heißt es schnell, Ja, da

gibt's ja schon Plätze. Da sind sie schnell bei, Eselswinkel, Ölmühle und SUSI, wir müssen

dann als Alibifunktion herhalten, wenn es darum geht zu begründen, warum man nicht noch

einen Wagenplatz zulässt.

F: Eine nachhaltige Form des Wohnens?

B: Das ist sehr umstritten. Gerade die Grünen haben am Anfang ja manchmal Probleme mit

Wagenplätzen und so, nach dem Motto: Wenn die dann irgendwo im Wald sind oder auf einer

Lichtung oder in Gebieten, wo eigentlich gar nicht gebaut werden darf, oder so etwas. Dann

kommt hinzu, dass man nur eine relativ geringe Verdichtung herausholt städtebaulich. Aber

diese zwei Argumente haben wir im Laufe der Jahre geschafft zu entkräften, so dass die

einsichtig sind, und sich auch die Grünen da letztendlich für die Wagenplätze schon auch

einsetzen oder eingesetzt haben. Aber es hat auch gedauert. Es war nicht gleich

selbstverständlich. Es wird nichts versiegelt, kaum Resourcen werden verbraucht, es ist nur

eine temporäre, vorübergehende Sache und es ist vor allem auch eine Wohnform. Dass es

eben das Recht geben soll, dass man eben auch so wohnt, und dann musste man auch

klarmachen, dass immer nur ein verschwindend geringer Teil der Leute sind, die so wohnen

oder leben wollen. Und dass es da eher um Toleranz geht. Dass es das halt auch geben kann.

Es sagt ja jetzt niemand, dass alle in einem Wagen wohnen sollen, sondern es geht einfach

178


➣ 6.2.9

darum, dass es das auch gibt, und seien es nun irgendwelche Leute, die beruflich auf Reisen

angewiesen sind, und es da halt auch passt, ob es jetzt im Wohnmobil ist oder mit dem

Zirkuswagen, das sei mal dahin gestellt. Leute, die ein einfaches Leben leben wollen und die

sonst nicht die Möglichkeit hätten, dass sie sich das erfüllen können, und dass es auch seine

Berechtigung hat.

F: Ein Argument von Seiten der Stadt ist immer, dass, wenn man einen Platz ausweist, dass es

dann zu einem unendlichen Zuzug kommen wird.

B: Ja, gut. Ich denke, wenn es mal genug Plätze gäbe und verteilt, dann wäre das nicht so das

Problem. Natürlich, es kommt hinzu, dass Freiburg klimatisch sicherlich auch noch einmal

atmosphärisch ganz nett ist, also dass dadurch ein gewisser Zuzug einfach gegeben ist, wo

dann vielleicht auch gerade noch mal Leute das Wagenleben anzieht, das mag sein, dass das

mit eine Rolle spielt. Und wenn es drumherum nicht möglich ist in den anderen Gemeinden,

wenn die dicht machen, klar, dann gibt es halt so diesen Oaseneffekt, eine Oase in der Wüste,

und das wird eben angesteuert. Das ist klar. Andererseits Freiburg, wie der Name schon sagt,

hat da auch eben dieses Image gern, und von daher muss da schon noch ein bisschen mehr

drin sein.

F: Du hast gerade so das Umfeld angesprochen: Tübingen hat, meine ich, eine recht ähnliche

Situation gehabt, ein Kasernengelände. Da ist es irgendwie anders abgelaufen. Lag es nur am

Wald?

B: Kuntabunt und Bambule und so, die da am Rande waren, da waren ja auch schon

Wagentreffen, dann kennt man sich auch teilweise. Gut, da ist schon eine andere Situation,

sicher. Da war man erst mal auch aufgeschlossener demgegenüber. Aber da gibt es ja auch

eine lange Geschichte, da musste man ja auch drum kämpfen letztendlich, weil da kamen

glaube ich auch noch Entwicklungsmaßnahmen, die Kaserne war jedenfalls auch eine

Konversionsfläche.

F: Aber es hat sich ein städtischer Wagenplatz entwickelt, und hier in Freiburg nicht.

B: Ja, schon. Die Stadt lässt ja hier quasi das Rieselfeld und den Eselswinkel als städtischen

Wagenplatz laufen oder als so eine Art.

F: Wenn man die jetzt vergleichen würde, Biohum hat zum erstellen Zweihunderttausend

Euro gekostet, die Demonstrationszüge von Schattenparkern haben ein bisschen mehr als eine

Million Euro gekostet. Was ist das für eine Relation zu dem Projekt hier?

B: Es hat hier jetzt die Stadt gar nichts gekostet, im Gegenteil. Die Stadt hat Geld bekommen

dafür, dass es SUSI gibt. SUSI hat keinen Pfennig von der Stadt, keinen Cent, im Gegenteil,

man beteiligt sich an der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme noch zusätzlich, bezahlt in

den Gesamttopf ein, wie jeder Investor ein Stück weit auch, für Erschließungsmaßnahmen,

die außerhalb vom Gelände passieren. Fakt ist, dass man das hier alles erkämpfen musste,

dass man die Fördermittel, die wir haben, von Land und Bund haben, und dass man auch da

eigentlich, bis auf die studentischen Zuschüsse, nichts in Anspruch nimmt. Die Darlehen im

sozialen Wohnungsbau zahlen wir auch zurück. Dann haben wir überhaupt ganz wenig

Subventionen, Fördermittel und Förderdarlehen in Anspruch genommen, nur die Hälfte

gegenüber dem studentischen Bettplatz beim Studentenwerken, und auch nur die Hälfte pro

Quadratmeterr an zinsverbilligten Darlehen im sozialen Wohnungsbau gegenüber anderen.

Also wir sind eigentlich das Vorzeigeprojekt schlechthin dahingehend und haben zusätzlich

179


➣ 6.2.9

dann auch noch eine Toleranz und Bereitschaft und den Willen, dass der Wagenplatz hier sein

kann, den die Stadt quasi so zusätzlich zur Befriedung und kulturellen Bereicherung noch

dazubekommen hat. Mal gerade so nebenbei. Und das können wir, denke ich, auch ganz

selbstbewusst sagen. Weil stolz sind wir ja nicht. (lacht)

F: (lacht) Rassismus oder Sexismus, ist das eher weniger ein Thema in so einem Gebiet, das

ja mit ein gewisser Integrations ...

B: Wenn da irgendwie eine Punker-WG mit ehemals obdachlose Jugendliche von der Straße

mit einer Frauen/Lesben-WG zusammenkommt in der Nachbarschaft, da gab es schon

Reibungspunkte, wo Sachen aufeinanderkamen. Aber ich denke, das wird überall erfasst. Das

gibt es halt, Auseinandersetzungen kann es mal geben. Weil du jetzt gezielt eben Sexismus

oder etwas angesprochen hast, da gab es dann schon mal etwas, dass die Punks ziemlich im

Sprachgebrauch dann ziemlich ordinär waren und (3) da gab es dann schon Probleme. Und

letztendlich sind die dann auch hier gegangen oder ausgezogen aus dem Projekt. Aber nicht

nur deswegen, auch noch, weil da viele Sachen waren, von Sachbeschädigung oder

Ruhestörung, Beleidigung, Mietrückstände. Alles zusammen hat eben dazu geführt, dass ein

Großteil dieser Punks, die wir mal hatten, weggezogen sind. Zwei sind noch da. Aber nicht

auf dem Wagenplatz, weil (lacht) (2) und die zahlen auch ihre Mietschulden zurück oder

haben sie inzwischen fast. Einer hat es komplett zurückbezahlt, da hat es zwar lange gedauert,

aber es hat auch funktioniert. Und einer lebt jetzt in einer Wohnung, hat sich integriert. Man

kann ja niemanden integrieren, er hat sich selbst eben integriert.

F: Kann man da vielleicht eine Wagenburg sozusagen als Integrations, als Zwischenschritt

auch ansehen für Leute, die Platte machen, die draußen auf der Straße sind, und dann

sozusagen der Übergang in ein so genanntes normales Wohnhaus?

B: Ich denke, das kann man nie verallgemeinern. Das ist eine Möglichkeit, die es geben kann,

aber ich würde eher sagen, dass so jemand eher gerne von der Brücke weg in so einen Wagen

und dann da auch bleiben. Das würde ich mal von der Mehrheit sagen. Vielleicht gibt es ja

dann auch irgendwann wieder, dass es doch mit einem Haus oder so. (2) Das kommt aber

drauf an, was sie da für Möglichkeiten bekommen. Das ist so individuell, die persönlichen

Schicksale, das ist so vielfältig. Das hängt ja auch damit zusammen: Hat jemand riesige

Probleme psychischer Art oder Drogenabhängigkeit oder so etwas oder sonst irgendetwas.

Oder ist es einfach ein Abenteurertyp, der das einfach nicht haben kann, im Haus zu sein, dass

so etwas eine Rolle spielt, dass man einfach raus will, draußen sein will. Das denke ich, sind

so unterschiedliche Beweggründe. Bis hin zum wirklich Reisenden, der herumreisen will. Um

die geht's ja. Klar, Schattenparker sind ja mobiler, die fahren eher mit dem Wohnmobil herum

heutzutage, und die anderen sind eher so, dass sie ihren Wagen ein paar Meter weit bewegen

wollen und dann wieder da bleiben wollen.

F: In der öffentlichen Meinung gibt's ja noch so ein bisschen die Tendenz, dass es sich um ein

kriminelles Milieu handelt. Bei der Ölmühle gibt es polizeiliche Akten über die Anfangszeit.

Was kann man da sagen aus der eigenen Erfahrung heraus? Stimmt dieses Vorurteil?

B: Ich denke, es kommt eigentlich daher, dass man erst mal so das übliche (3) Misstrauen

gegenüber dem Unbekannten, Fremden, Andersartigen hat. Das spielt da sicher eine Rolle,

und das ist bei der Polizei und beim Verfassungsschutz und überall bei denen auch extrem

ausgeprägt, und dann tun sie sich da auf irgendwelche harmlosen Leute, weil die so anders

sind, konzentrieren. Also das halte ich für link, abwegig. Also irgendjemand, der aus der Sicht

eine Gefahr sein könnte, sitzt jetzt nicht irgendwo im Wagen, das ist viel zu auffällig. Das ist

180


➣ 6.2.9

eher ein Ablenkungsmanöver und auch ein bisschen Hetze und Kampagne. Das geht für mich

schon auch ein Stück weit in Richtung Rassismus gegen das Andersartige. Ich meine, das ist

ja in dem Fall nicht gegen die Abstämmigkeit von irgendeinem Völkerstamm oder so. Aber

einfach nur eben jemand, der so lebt, der wird erst einmal als (2) Störung betrachtet, vielleicht

auch als Gefahr. Das kriminell schon gar nicht. Ich würde eher sagen, es sind oft Leute, die

eher friedvoll sind, die ihren Einklang mit der Natur, die ihre Ruhe haben wollen eigentlich,

die einfach leben wollen, die auch nicht irgendwie materiell die Idee kämen, sich mordsmäßig

zu bereichern, sondern denen ist das einfach auch gar nicht so wichtig, jetzt mal ganz

verallgemeinert. Natürlich wird es da auch Ausnahmen geben, aber tendenziell mal im

Vergleich zur Allgemeingesellschaft, würde ich eher sagen, völlig harmlos, was das angeht.

F: Ich glaube, wir kommen dann schon zu den Abschlussfragen.

B: Also vielleicht ein gewisser Ungehorsam, der sich entwickelt, wenn Leute einfach immer

wieder verjagt werden und so und einfach, dass einem das zuviel wird, und dass man dann

auch eher wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht, und aus dem Kalkül

heraus. Ich meine, dass es auch schon einen gewissen Mut auch erfordert, bei manchen halt,

dass sie den Schritt halt tun in den Wagen, also auch gegenüber ihren Eltern oder sonstigen

Leuten, das einfach zu machen, das einfach zu leben, da braucht man schon eine gewisse

Courage. Ja, sich überhaupt zu trauen, draußen zu sein nachts, und irgendwie so sein Leben

zu meistern und das teilweise ohne Recht an einem Grundstück, wo man stehen darf und

einfach herumziehen, das erfordert schon einen gewissen Mut und so. Von daher auch

vielleicht dann so ein bisschen die Einstellung, dass man sich nicht gleich alles gefallen lässt,

wenn da irgendwelche Ordnungshüter über Gebühr irgendwo dann aufspielen, anstatt dann

irgendwie den tatsächlichen Verbrechern oder sonst wo hinterherzugehen und sich dann mit

so etwas die Zeit vertreiben.

F: Wie siehst du die Entwicklung in der Stadt Freiburg?

B: Ich denke, jetzt die Schattenparker haben es ganz gut thematisiert, auch wenn da noch

sicherlich einiges, was jetzt so Öffentlichkeitsarbeit, die Außenwirkung angeht, vielleicht

auch schief gegangen ist. Das lag aber teilweise nicht nur an ihnen selber, das sind

irgendwelche anderen Leute, die da mitgemacht haben. Und traurig ist halt, dass die BZ,

Polizei und Stadtverwaltung teilweise genau dann so etwas nutzen und ausspielen und da

Stimmung gemacht wird. Und es wird eben auch auf die Spitze getrieben. Man ist einfach zu

weit gegangen. Ich denke, man schießt da teilweise wirklich mit Kanonen auf Spatzen. Die

Verhältnismäßigkeit ist völlig verloren gegangen bei diesen Einsätzen. Krass, also das war

schon enttäuschend. Und andererseits vielleicht auch ein Lehrstück. Andererseits weil das so

war, hat es doch wieder auch eine Sensibilität geschaffen hat. Aber alle Plätze, die man da

irgendwo gezeigt hat, man war ja da auch konstruktiv, und aus irgendwelchen Gründen ist das

nicht gegangen, oder selbst wenn es dann Privatleute waren, die da etwas bereitstellen

wollten, wurde eben auf die Druck ausgeübt in irgendeiner Form, dass die dann auch wieder

einen Rückzieher gemacht haben. (3) Teilweise, könnte ich mir auch vorstellen, dass man

Flächen nimmt, die jetzt quasi nicht im Flächennutzungsplan drin sind als Bauflächen, oder

im Gitter drin sind, oder erstmal die nächsten Jahre nicht rankommen, wo es selber keinen

Bebauungsplan gibt, dass man da auch guckt, ob es nicht die eine oder andere Fläche gibt, die

da geeignet wäre. Das sind auch solche Flächen, die man in einer Entwicklung irgendwo in

einem Gewerbegebiet oder sonst wo, wo es halt für manche Wagenleute, die wollen jetzt

nicht unbedingt naturnah, sondern eher stadtnah wohnen. Die brauchen eher wieder eine

andere Fläche, andere Umgebung. Das kann man alles auch gar nicht über einen Kamm

scheren. Also ich wünsche mir einfach da mehr Toleranz und dass man nicht immer die

181


➣ 6.3.1

Ängste schürt bei Leuten durch Vorurteile, dass man da auch irgendwie cool bleibt und man

sieht, das wird immer nur ein Teil der Bevölkerung machen. Es sind mehr jüngere Leute,

natürlich auch nicht nur, aber letztendlich ist es ein verschwindend kleiner Teil in der

Bevölkerung. Ich denke auch, die Toleranz kann zu einer gewissen Befriedung irgendwo

beitragen. Die Leute wollen einfach nur ihr Leben leben können. Und es ist darüber hinaus

auch eine Bereicherung. Wenn man solche Plätze hat und solche Nischen, dann kann sich

eben auch eine andere Kultur ansiedeln. Früher gab es Gaukler und reisende Händler und

sonst etwas, die haben die Nachrichten mitgebracht von Ort zu Ort und haben dann irgendwo

auch kulturell etwas hereingebracht. Ein Stück weit sehe ich es heute auch noch so, vielleicht

einwenig sesshafter. Es sind Leute, die einfach leben wollen und kleine Brötchen backen und

oft wenig konsumieren und bei der ganzen Wirtschaftswachstumsgeschichte sich nicht

beteiligen wollen. (2) Freiburg, glaube ich, war ja mal eine Stadt, wo alle Zugang hatten - so

habe ich es irgendwie in Erinnerung vom Heimatkundeuntericht (lacht), dass die Menschen

ursprünglich in den Stadtmauern von Freiburg sicher waren oder sein konnten. Da gab es

zumindest mal irgendwann so eine Zeit.

F: Schönes Schlusswort.

6.3 Umfeld-Transkriptionen

6.3.1 Frau Beule (Journalistin der Badischen Zeitung)

F: Worin unterscheidet sich denn die Berichterstattung von Wagenburg-Kultur zu einem

anderen Thema? Unterscheidet sich das?

B: Also eigentlich würde ich erstmal sagen, unterscheidet sich's gar nicht von der

Herangehensweise, weil man eigentlich genauso an so ein Thema rangeht wie an jedes andere

eigentlich auch, und es wird von einem Lokaljournalisten auch verlangt, dass man sich im

Grund in jedes Thema so einarbeiten kann. (2) Bei diesem ganzen Thema Schattenparker war

natürlich das Problem, dass das natürlich politisch hoch brisant war. Dementsprechend wird's

natürlich immer schwierig. Oder dann wird die Berichterstattung immer (2) kritischer beäugt,

würd' ich sagen, als wenn es ein Thema ist, was nur wenige Leute interessiert. Man ist dann

von beiden Seiten unter Beschuss und hat dann auch das Gefühl, man kann's auch niemandem

wirklich recht machen. Es ist dann so: Die eine Seite meckert, und die andere Seite meckert,

und jeder fühlt sich schlecht dargestellt oder falsch dargestellt.

F: Mit zwei Seiten meinen Sie die Schattenparker und die Stadt.

B: Genau, ja.

F: Die Stadtverwaltung oder eben die Regierung.

B: Ich weiß nicht, ob da sonst noch jemand drinhängt. Ich denk also schon primär natürlich an

diese beiden Seiten, die ja auch so gegeneinander (2) oder die einfach unterschiedliche

Interessen haben und insofern (2) jeder sagt dann: "Aber der andere ist zu gut dargestellt. Der

kriegt zuviel Raum in der Zeitung.“ Oder: „Das wird zu positiv dargestellt und es war gar

nicht so." Und die andere Seite sagt's genau andersherum. Und im Grunde steht man so als

Journalist dazwischen. Und (3) was das Thema Wagenburg schwierig gemacht hat, war

vielleicht, dass die einfach aufgrund ihrer basisdemokratischen Struktur keinen Sprecher

182


➣ 6.3.1

haben, der nach außen tritt und für sie spricht, das gilt halt gegenüber der Stadtverwaltung,

gegenüber der Polizei, gilt aber genauso gegenüber der Presse. (3) Und dementsprechend

wechseln sie halt immer wieder die Ansprechpartner, man weiß nie, mit wem man's zu tun

hat. Man weiß nicht (2), kann man sich jetzt auf die Aussagen verlassen, weil's immer wieder

neue Leute sind. Oder es gab halt einfach ein paar, die ich mit der Zeit kannte, und wo ich

auch wusste, wenn die etwas sagen, dann ist es auch einigermaßen wasserdicht. Es gab aber

auch andere, wo ich das nicht wusste oder wo ich dann auch erlebt hab, dass es nicht so ist.

Das ist natürlich schwieriger, wenn man da immer wieder neue Leute hat, und dann weiß man

noch nicht mal, wen man da am Telefon hat. Die wollen ja auch die Namen dann nicht sagen,

weil sie angeblich, oder das ist so immer dann die Begründung, Angst haben vor der Polizei

oder wie auch immer, obwohl sie ja im Grunde ja sowieso die meisten der Polizei bekannt

sind, kann man ja sagen. Insofern ist das ein bisschen schwierig nachvollziehbar.

F: Also Schwierigkeiten, einen Ansprechpartner zu finden in der Szene?

B: Ja, genau. Oder gar nicht unbedingt Schwierigkeiten, einen Ansprechpartner zu finden,

sondern keinen kontinuierlichen zu haben. Also die waren schon auskunftsbereit, das auf

jeden Fall, aber wollten eben nicht immer nur einen, nicht immer nur den gleichen

Ansprechpartner nach außen geben. Und sie wollten eben auch keine Namen von sich in der

Zeitung stehen haben oder viele nicht, also die meisten nicht. Am Anfang gar nicht, und dann

hat sich's noch ein bisschen geändert. Und (3) das ist dann auch immer schwierig (2), oder

was ich auch immer nicht so ganz verstanden habe, weil ja eigentlich an sich immer der

Gegenseite, jetzt der Stadtverwaltung oder auch der Polizei, vorgeworfen wird, dass sie

immer sofort kriminalisiert werden und gesagt wird; Okay, das ist ja alles ganz schlimm, was

ihr da macht." Aber im Grunde, wenn man dann noch nicht mal bereit ist, mit seinem Namen

in der Zeitung zu stehen, verstärkt das ja dieses Bild; So, wir machen etwas ganz Böses da

und das ist alles ganz illegal." Anstatt zu sagen; Ich heiß jetzt soundso und sage das, die

wohnen hier, das ist nichts Illegales, und wir tun auch nichts Böses und nichts Verbotenes. Ja,

das macht es auf der Seite schwierig, (5)

F: Wie ist dann der Informationsfluss von der anderen Seite, von der städtischen Seite?

B: Das läuft da ganz offiziell. Die haben da ihre Pressestelle und (3) da ruft man an und dann

kennt man ja auch die Ansprechpartner (3). Also das kann man jetzt nicht wirklich

vergleichen. Das eine ist eben eine professionelle Pressestelle und das andere ist dann eine

normale Gruppe. Das hat jetzt auch nichts mit Wagenburg oder sonst etwas zu tun. Das ist

natürlich immer, wenn man so einen Verein oder was hat, ist das nicht das Gleiche, wie wenn

man jetzt eine professionelle Pressestelle hat.

F: Hat man da das Gefühl, dass man ausreichend mit Informationen versorgt wird von

städtischer Seite?

B: Natürlich will die Stadt vielleicht auch nicht immer alle Informationen sofort sagen. Zum

Teil laufen da noch Verhandlungen oder so, dann können sie auch manche Sachen aus den

Gründen nicht sagen. Aber im Großen und Ganzen haben die auch eine Auskunftspflicht,

zumindest in vielen Bereichen und müssen dann ja auch Auskunft geben, wenn die Presse

dort anruft. Nun noch einmal zu den Wagenburglern zurück: Die waren ja auch immer sehr -

hatten immer so ein großes Bedürfnis: "Ja, wir wollen jetzt, dass die Zeitungen über uns

berichten“ und haben auch immer viele Pressemitteilungen geschickt und so, waren dann aber

auf der anderen Seite eben, wenn man dann kam und was wissen wollte, manche schon eher

ganz abweisend, aber auch wie gesagt dann dieses Problem, dass sie keine Namen nennen

wollten. Und das passt eben alles nicht so ganz zusammen. (10)

183


F: Also ist es dann schwierig, das Thema zu versachlichen, wenn man zwischen den zwei

Gegenspielern vermitteln muss? Also dann eine sachliche und klare Linie reinzubringen.

➣ 6.3.1

B: Ich meine, das war natürlich schon ein sehr emotionales Thema, aber ich würde jetzt nicht

sagen, dass es anders ist bei so einem Wagenburg-Thema als bei jedem anderen politisch

brisanten Thema. Das hat man sehr häufig, dass man einfach (1) die Stadt halt mit ihrer

Position oder Regierungspräsidium oder sonst wen, und auf der anderen Seite eben den

Verein oder wen auch immer, die ein ganz anderes Interesse haben und (2) dann hat man

immer diese Konflikte dazwischen und muss dann immer sehen, dass man beide Seiten

gleichmäßig darstellt. Aber je brisanter das Ganze wird, hab ich halt den Eindruck, das sich

halt immer mehr beide Seiten schlecht dargestellt fühlen oder immer gesagt wird: "Ja, die

andere Seite kriegt viel mehr Raum als wir." Und die andere Seite sagt genau das Gleiche.

F: Aber als Journalist arbeitet man ja unabhängig, oder? Das ist doch irgendwo so ein Codex,

dass man dann sagt (2) ich lass mich nicht vereinnahmen von einer Partei?

B: Ja, so sollte es ja sein, dass man versucht, beide Seiten darzustellen, und zwar neutral

darzustellen. Also dass man jeweils die Positionen gegenüberstellt, das Ganze nicht wertet

und (2) einfach sagt, die wollen das oder das ist deren Position, und die anderen wollen eben

das und die haben die Position. Und bitte, lieber Leser, dann guck halt, was du davon hältst.

F: Werte ist ein interessantes Stichwort, weil ich hab mir die Frage gestellt: Handelt es sich

bei dem Ganzen um einen Wertekonflikt oder um einen Interessenskonflikt? Was ist da Ihre

persönliche Meinung?

B: Was meinen Sie jetzt mit Wertekonflikt?

F: Also Werte in Bezug auf die ganze Lebensform, die Werte, die da repräsentiert werden.

Und Interessenskonflikt so der Platz, also die Fläche.

B: Dazu möchte ich nichts sagen.

F: (5) Was ist denn der häufigste Schreibanlass bei der Thematik?

B: Im Grunde: Solange man von denen nichts hört und nichts sieht, sind die natürlich auch

nicht groß Thema in der Zeitung. Das hatte mich auch verwundert. Ich hatte auch mal in

anderen Städten nachgefragt, wie die so mit Wagenburgen umgehen, dass dort auch die

Stadtverwaltung und zum Teil auch die anderen Zeitungen gesagt haben: "Wagenburgen?

Was ist das denn? Da haben wir ja noch nie was davon gehört." Obwohl die auch einen

Wagenburg-Platz hatten, zum Teil auch mit vielen Leuten drauf. Die hatten aber gar keine

Probleme damit und deswegen war das überhaupt kein Thema für die und deswegen kannten

die das überhaupt nicht oder mussten erst mal stark in ihrem Gedächtnis kramen, sich mal

wieder dran erinnern, dass sie sowas auch noch hatten. Also insofern, klar, solange da kein

aktueller Anlass ist, geht sowas dann eher unter, oder wird vielleicht mal alle paar Jahre, ach,

da haben wir ja noch so einen Wagenburg-Platz. Was machen die denn da eigentlich (2) so als

kuriose Wohnform. Wobei man aber sagen muss, dass andere Themen ja ähnlich behandelt

werden. Also es gibt ja ganz, ganz viele Themen in der Stadt, die nur zum Thema werden,

wenn irgend etwas Aktuelles passiert, weil man kann ja gar nicht über diese Wohnform oder

über jedes andere Thema oder was weiß ich alle drei Monate berichten. Also dafür ist ja der

Platz in der Zeitung gar nicht da. Und in dem Fall war der aktuelle Anlass, die mussten halt

von dem Platz runter in St. Georgen. So fing's ja an. Und dann gab's noch diese

184


➣ 6.3.1

Gerichtsverhandlung. Es war ja über Wochen oder Monate hohes politisches Thema und

dementsprechend wurde auch häufig drüber berichtet.

F: Also der politische Konflikt als primärer Schreibanlass.

B: In dem Fall schon. Ja.

F: (3) Was gibt's zu den Bildern zu sagen? Also die Bebilderung von dem Artikel? Ist da

irgend etwas zu beachten, wenn man da als Journalist Bilder macht?

B: Also erstmal muss ich sagen, dass ich selber keine Bilder gemacht habe, sondern dass das

immer noch mal ein Fotograf selber macht. (3) Inwiefern man da Bilder, ähm ich denk es ist

von der Bebilderung jetzt nicht ein anderes Problem als bei jedem anderen Artikel auch.

F: Muss denn um Erlaubnis gefragt werden, ob sie abgebildet werden dürfen?

B: Das kommt immer so ein bisschen auf den Kontext drauf an. Aber dafür bin ich zu wenig

Fotojournalistin, als dass ich das jetzt im Detail weiß. Also wenn man jetzt zum Beispiel ein

Portraitfoto macht von einer einzelnen Person, dann muss auf jeden Fall die Person da

einverstanden sein. Wenn man jetzt z. B. aber ein großes Ereignis fotografiert, wie auch zum

Beispiel eine Demo, da muss man dann nicht jeden einzelnen fragen. Also und dazwischen

gibt's dann nochmal irgendwelche Unterregelungen, die ich jetzt aber nicht im Detail kenne.

F: Okay. (3) Ja, ich hab die Bebilderung mal gezählt. Das waren bei 83 Artikeln gab's 31

Bilder, die dazu gemacht worden sind.

B: Ehrlich? So wenig?

F: Ist das wenig?

B: Da die BZ einen fest vorgeschriebenen Bildanteil pro Seite hat, wundert mich das jetzt.

Wobei man vielleicht auch da jetzt auch immer so das Problem hatte, dass die Bilder immer

ähnlich sind. Also entweder hat man eine Demo, okay, aber jetzt bei den anderen

Geschichten, ja dieser Wagenburg-Platz und so, das sieht dann natürlich irgendwann immer

gleich aus oder die Leute sehen immer gleich aus und dann ist es natürlich auch blöd, wenn

man immer ein ähnliches Bild hat.

F: Was noch ein bisschen auffällig war, dass von den ganzen 31 oder 32 Bildern zwei aus

einem Wagen innendrin waren. Alle anderen Bilder waren eigentlich sozusagen

Außenaufnahmen, wie Sie gesagt haben, Demonstrationszug oder so.

B: Ja, aber ich meine, das ist natürlich (4), weiß ich nicht. Man lässt ja auch nicht jeden sofort

in seine Wohnung rein, insofern ist das ja auch klar, dass die vielleicht nicht jeden in den

Wagen reinlassen und da Bilder machen lassen, weil's ja auch nicht um das Innenleben von

dem Wagen geht in dem Fall oder in dem Bericht, sondern es geht ja eher um den ganzen

Platz. Und dann nimmt man natürlich auch ein Bild, was den ganzen Platz repräsentiert und

nicht, was das Innere des Wagens repräsentiert, würde ich jetzt mal sagen.

F: Ist es schwierig, sich mit Literatur zu versorgen, um das Phänomen zu erklären?

B: Also erstmal muss man ja sagen, dass Lokaljournalisten generell sehr wenig mit Literatur

arbeiten, also zumindest so mit Büchern jetzt an sich. Also es ist ja nicht so wie bei einer

wissenschaftlichen Arbeit, dass man sich vorher zehn Bücher besorgt und dann die erstmal

185


➣ 6.3.1

alle durcharbeitet, und dann 10 Wochen später den Artikel schreibt. Das geht ja im normalen

Tagesgeschäft gar nicht. Sondern es passiert irgendwas, in dem Fall dann halt die Besetzung

der Wagenburgler von dem Platz XY, und dann hat man keine Zeit, sich erst noch großartig

da einzulesen, sondern dann geht die ganze Aktion dann vielleicht bis abends um 8 und bis

um 9, und um 10 muss dann der Text fertig sein, und da ist natürlich der Zeitdruck viel zu

groß, als sich da groß einzuarbeiten. Ansonsten macht man viel Internetrecherche, da gibt's

dann schon ein paar Sachen zum Thema, aber richtig viel dann auch nicht. Vor allem halt

nichts Neutrales. Also da gibt's dann einfach die verschiedenen Wagenburg-Gruppen in

Deutschland oder so, die dann Internetseiten haben, dann gibt's da diese eine Diplomarbeit,

die ich ja auch mal gelesen habe, aber ansonsten (2) so Hintergrundwissen Wagenburgler

bekommt man dann einfach durch die Personen vor Ort, mit denen man sich unterhält, aber

nicht unbedingt durch Literatur.

F: Sehr spärlich.

B: Ja, ich hab wie gesagt halt da gar keinen Überblick da drüber, weil ich mich nicht

wissenschaftlich mit dem Thema beschäftige, sondern eben journalistisch, und das ist dann

eine andere Herangehensweise.

F: Ja, vielleicht ein bisschen allgemeiner - ich weiß nicht, ob Sie da etwas dazu sagen können:

Die mediale Berichterstattung über dieses Phänomen, wie kann man die bewerten so im

Allgemeinen?

B: Da habe ich keine Ahnung von.

F: Stehen Ihnen bei der Redaktion genügend raumbezogene Daten zur Verfügung, über die

Stadt?

B: Raumbezogene Daten? Also Sie meinen zum Beispiel wie viele Plätze gibt es in der Stadt?

F: Also welche Plätze würden in Frage kommen? Bebauungspläne und solche Sachen.

B: In der Redaktion nun eher nicht. Wenn ich eine Anfrage habe, dann wende ich mich

eigentlich direkt an das Presseamt der Stadt persönlich und frag dann nach, zum Beispiel, wie

viele Flächen von der und der Sorte gibt's in der Stadt und dann krieg ich eben diese Antwort

vom Presseamt. Es ist aber nicht so, dass ich mich da selber mit dem Flächennutzungsplan

hinsetze und die durchzähle oder so. (2) Insofern verlässt man sich dann natürlich auch auf

die Aussagen der Stadt. Es ist eher seltener, dass man selber mal mit Plänen oder so hantiert.

F: Haben Sie noch ein paar abschließende Gedanken zu dem Themenbereich?

B: Nein.

F: Werden die Themen verteilt, oder ist es ein morgendlicher runder Tisch, und man sagt; Ja,

ich mach das wieder. Ich kenne mich da aus. Oder werden die Themen zugeteilt von der

Redaktion?

B: Es ist eigentlich schon so, dass wenn man erst mal in einem Thema drin ist, so wie ich

auch, dass dann natürlich, wenn wieder was ist, die mich ansprechen, ob ich das auch mache

und sonst haben die halt auch ihre Redaktionskonferenzen, wo ich dann nicht daran teilnehme

als Freie, aber wo die dann auch natürlich über die aktuellen Themen sprechen und dann eben

entsprechend aufteilen, auch untereinander dann, unter den Redakteuren. (3) Aber wie gesagt,

ich würde jetzt gar nicht so einen großartigen Unterschied machen, so was ist anders bei

186


➣ 6.3.2

Wagenburg-Berichterstattung wie bei all den anderen. Das kann man überhaupt nicht sagen.

Außer wie gesagt, dieses - was es sicherlich in der Form kaum gibt mit - diesen

Ansprechpartnern und so, dass das eher problematisch ist. Aber ansonsten unterscheidet sich

das nicht von anderen Themen oder von der Herangehensweise, dass das anders wäre. Das ist

alles immer gleich im Grunde.

F: Da es politisch ist, bekommt man von allen Seiten mal eine auf den Deckel.

B: Ja, aber wie gesagt, das ist bei anderen politischen Sachen auch so (2).

6.3.2 Herr Maier (Leiter des Amtes für Liegenschaften und Wohnungswesen)

F: Was zeichnet die Wohnungssituation in Freiburg aus?

M: Es gibt ja klare Vorgaben. Freiburg ist ja eine Stadt, wo wir in der Regel einen

permanenten Zuzug haben. Und dann muss man auch mal entscheiden, wollen wir

Wohnungsknappheit haben, sprich steigende Mieten. (2) Das erreicht man indem man für die

Nachziehenden keine Wohnungen baut. Dann wird das Wohnungsgut knapp. Knappes Gut

verteuert sich. Oder baut man Wohnungen, das ist der Beste Mieterschutz, einfach

Wohnungen zu bauen, dann bleibt das Wohnungsangebot gemessen an der Bevölkerung

gleich und der Mietspiegel stabilisiert sich. Dies haben wir getan in den beiden Bereichen

Rieselfeld und Vauban. Die haben in den letzten Jahren maßgeblich dazu beigetragen, dass

die Mieten nicht stiegen.

F: Juristisch gesehen verwalten sie unbewegliches Gut, dennoch haben sie es auch mit einer

mobilen Wohnform zu tun. Wie kommt das?

M: Ja, die im-mobilen Grundstücke und die Wagenburgler die immer dann mobil werden,

wenn der Sommer kommt. Und zwar ziehen sie dann aus dem kalten Deutschland, nämlich

von Berlin und Hamburg nach Süden Richtung Freiburg, weil das so ein schönes

mediterranes Flair hat. Da fühlen sich dann alle sehr wohl. Wir könnten unbegrenzt für

Wagenburgen Flächen ausweisen. Wir hätten jede Menge Abnehmer, aber die Stadt ist auch

nur begrenzt aufnahmefähig für eine ganz bestimmt Schicht Menschen, die für die Stadt, für

die Infrastruktur der Stadt nichts bereit stellt. Diese Gruppe nimmt nur in Anspruch. Sie

kommt und fordert. Ich sags jetzt ein bisschen hart, wir sind jetzt hier und fordern jetzt von

den Bürgern der Stadt Freiburg eine Fläche auf der wir uns aufhalten können. Dann können

wir unsere Kinder bei euch in den Kindergarten geben. Aber selbst tragen sie zum

Gemeinwohl nichts bei. Und da ist die Stadt Freiburg nicht gewillt einen grenzenlosen Zuzug

zu zulassen. Der Gemeinderat hat beschlossen es gibt einen Wagenplatz am Eselswinkel. Der

wird jetzt noch etwas vergrößert, aber dabei wird es jetzt auch bleiben. 6:33 (3) Bei den

Wagenburgler muss man auch unterschieden. Es gibt da im Sommer eine große Schicht

darunter, die ist häufig im Sommer unterwegs, die machen einfach nur Urlaub. Es ist natürlich

preiswerter auf irgend ner Wiese zu stehen wo keiner Geld will von mir, als wenn ich hier

sozusagen auf einem eingerichteten Campingplatz gehe mit einer eingerichtete Infrastruktur.

Da muss ich halt pro Abend pro Nacht 20 Euro bezahlen oder 30 oder 15. Ich weiß es nicht

(2) und während man den Anspruch hat seitens der Wagenburg, vielleicht 25 Euro für ein

ganzes Fahrzeug pro Monat zu bezahlen, wenn man das Grundstück von der Kommune in

beschlag nimmt, am besten besetzt. 7:19


F: Der Schattenparkerplatz kostet 1000 Euro pro Monat?

➣ 6.3.2

M:Ja, das entspricht 4% aus dem halben Grundstückswert. Ja, man hat das also nicht auf die

wagen herunter gebrochen, sondern man hat das großzügig gesehen (2) man will ja nicht

überteuern. Das sind 4% aus dem halben Grundstückswert den sie da bezahlen. Das ist pro

Wagen 10 Euro.

F: Grundstückswert ist gleich Verkaufswert?

M: Den Verkaufswert, das ist ja Gewerbegebiet wo die da draufstehen und wenn sie das als

gewerbliche Fläche nehmen, die bei 100 Euro liegen, oder (3) je nachdem wenn sich ein

Unternehmen wie Möbelbraun oder IKEA auch 200Euro. Aber im Moment stehen da so viele

Wägen darauf rum. Also 10 Euro pro Monat sind sehr moderat und überschaubar. Das sind

drei Packungen Zigaretten.

F: Wagenburgen als eine Art günstiger sozialer Wohnungsbau?

M: (2) wenn sie Wohnraum (1) das ist ja (1) Ich habe in zwei drei Wägen hinein geschaut. Es

gibt da unterschiedlichste Ausprägungen. (2) Wenn man so leben will, also mit meinen

Hygienevorstellungen wäre das nicht zu vereinbaren. Also man muss wirklich (2) wie soll ich

sagen, fast neandertalmäßig leben wollen, zurück zur Natur, wie im achtzehnten Jahrhundert

ohne Toilette ohne fließend Wasser. Ja also, viel zu wenig Hygiene. Und die ganzen Gerüche

die dann entstehen.

F: (2) Oder Wagenburgleben als eine ökologische und nachhaltige Wohnform?

M: Nicht unproblematisch. Das sind in der Regel ausrangierte Baufahrzeuge oder ausrangierte

LKWs und zum Teil sind die nicht im besten Zustand. Da versickert schon mal der eine oder

andere Liter Öl ins Grundwasser. (2) Man muss jedoch sagen, das letzte Grundstück das sie

[die Schattenparker] geräumt haben war in ordentlichem Zustand.

F: Sie meinen in der Haid?

M: Das Haid Gelände, das haben sie relativ ordentlich hinterlassen. Nicht so wie ich mir

meine Wohnung vorstelle, wenn ich sie vom Mieter zurückbekomme, aber für deren

Maßstäbe wars ordentlich.

F: Bei meinen Recherchen bin ich auf den Paragraphen Bauen im Außenbereich gestoßen? In

wie fern betrifft er die Wagenburgthematik.

M: Ja, die Wagenburgmenschen die wollen ja, (2) sie sehen irgendwo eine Wiese und sagen

sich, prima Standort. Morgens Sonne, Abend Sonne und das Fahrzeug auch in der Nähe und

wollen darauf stehen. Aber wir haben ja gesetzliche Vorschriften, die das gemeinschaftliche

Zusammenleben regeln und dazu gehört auch, dass man in bestimmten Bereichen bauen darf

und in bestimmten nicht, sei es wegen Lärmschutz, Naturschutz, Biotopschutz oder was weiß

ich. Und es ist immer sehr schwer dieser Gruppe zu vermitteln, dass man sich im

Außenbereich befindet, wo man auch nicht so Lager hinstellen darf. Da gibt es Konflikte.

F: Handelt es sich dann um ein Gebäude im juristischen Sinn?

188


➣ 6.3.2

M: Eine bauliche Einrichtung ist da nicht erlaubt. Wenn wir sie erlauben würden, hätte das für

uns zur Folge oder auch für die Gemeinde, das sie dann auch die Einrichtungen beschaffen

müssten. Dann hat der Nutzer diesen Anspruch. Aber wenn es als Baufläche ausgewiesen

würde, dann muss die Kommune für den Anschluss sorgen. Das kann eine Kommune im

Außenbereich aber gar nicht leisten, schon gar nicht für diese Klientel, die diese Investition

nicht in irgendeiner Form zurückzahlen kann.

F: Man könnte aber eine Fläche doch auch als Experimentelles Wohnen ausweisen?

M: Das ist die Krücke zu der die Verwaltung greift um jetzt so eine Wagenburg

vorübergehend auf einer Fläche auf der es nicht erlaubt ist, normalerweise, zu zulassen.

F: Die Anschlüsse werden hier nicht benötigt?

M: Nein, die werden nicht benötigt (2) aber das geht nicht lange.

F: Experimentelles Wohnen am Waldrand wäre schon möglich?

M: Ja, aber dann kommt die Frage der Verunreinigung, Müllentsorgung, und so weiter. Man

kann auch nicht überall gerade einen Campingplatz einrichten. (2) Es ist schon einwenig

dreist in Frankreich oder in Deutschland irgendwo einen Wagen anzuspannen, viele kommen

ja auch aus dem Ausland und hierher zu kommen, nach Freiburg zu kommen und zu fordern.

Die Erfahrung in Freiburg hat gezeigt, die Wagenburgler sie beschlagnahmen widerrechtlich

eine private oder öffentliche Fläche und beanspruchen. Aber es geht ja noch weiter, es geht ja

über die Wagenburg hinaus (2). Es geht ja weiter, dass ein Großteil dieser Klientel dann auch

noch andere Leistungen will (1) Sozialleistungen. (2) Aber es gibt immer wieder

Randgruppen, die sagen in eurer Kasse ist für uns auch noch was. Aber man darf den Bürger

nicht vergessen, der bezahlt das alles. Also kurz um, der bezahlt den Urlaub von den Berliner.

Der spannt seinen Wagen dort an und kommt hierher. Das bezahlt der Bürger.

F: Es gibt doch aber auch eine andere Klientel als die des Urlaubers. Menschen die hier

wohnen, arbeiten, studieren.

M: Ja, aber sie ziehen mit ihrem Wagen ja rum. Sie bleiben ja mobil. (1) Ein modernes

Zigeunerleben nur unter erschwerten Bedingungen. Es gab und gibt viele Zu und Abgänge.

Das ist einfach so. Und da sind die Urlauber, die sich darunter verstecken. Also wir hatten als

wir diesen Platz am Eselswinkel [Schattenparkerplätze] zur Verfügung gestellt hatten es am

Schluss mit einer anderen Mannschaft zu tun. Die hat sich verändert im Laufe der Zeit. Das

war jetzt kein einhundert Prozent fester Rahmen, das man gesagt hat, das sind jetzt dreißig

Leute die bleiben immer zusammen, sondern es gab immer so ein Schwund von zehn. Zehn

sind weg zehn sind gekommen. Da gab es immer zu und Abzüge

F: Eine Frage hätte ich noch. Die Stadtgeschichte von Tübingen und Freiburg weist

verblüffende Ähnlichkeit auf, was die Rezivilisierung eines ehemaligen Kaserne anbetrifft.

Wie sehen sie das Quartier Vauban im Zusammenhang mit den Wagenburgen?

M: Die Fläche wird verkauft. Der Wohnungsbau läuft an in der Vauban nach Jahren der

Besetzung. Und nun sollen sie [die Wagenbewohenr] am Besten wieder dahin wo sie

hergekommen sind. Die müssen ja irgendwo hergekommen sein. (2) Die sind ja nicht

entstandne einfach so. Die sind ja von einem Ort A nach einem Ort B gegangen. Dann hat

man sie aufgefordert geht wieder nach A, denn Platz B ist uns.

189


F: Es entstand dann doch eine Wagenburg auf dem privaten SUSI Gelände?

➣ 6.3.3

M: Da hat die Stadt auch nichts dagegen, das hat sie immer gesagt. Wenn Private sich bereit

finden eine Wagenburg auf ihrem Grundstück oder Gelände haben zu wollen und die

Nachbarschaft wird durch nicht belästigt, also Nachts laute Musik, Lärm vom Wagen, das

man Hunde frei laufen lässt. Die eine Gefahr für Kinder und Erwachsene sind, die alles

verkoten und was weiß ich nicht alles. Also wenn man das alles irgendwie in geordnete

Verhältnisse bekommt, dann wird dies durchaus von der Stadt Freiburg (3), aber sie selber

haben keine weiteren Flächen auszuweisen.

F: Haben sie noch ein paar abschließende Worte zu diesem Thema?

M: Wenn ich ein Auto einen Tag im Halteverbotstehen lasse, dann habe ich einen Strafzettel.

Da ist die Stadt konsequent. Wenn ich bei rot über die Ampel fahre habe ich einen Strafzettel.

Wenn ich einen Bauwagen nehme und stelle den ins Halteverbot dann fehlt diese Konsequenz

(1) oder hat gefehlt. Ich denke es stet einem Gemeinwesen gut an, dass sie all gleich

behandelt.

F: Vielen Dank.

6.3.3 Herr Schröder-Klings (Leiter des Stadtplanungsamtes PRISE)

F: Vielleicht am Anfang zwei drei allgemeine Frage, die die Geographem immer sehr

interessieren. (2) Ist Wirtschaftswachstum noch an Flächenwachstum gebunden?

S: (4) Jein, es gibt natürlich noch bestimmte Bereiche in denen wir noch zusätzliche Flächen

brauchen. Das ist insbesondere im Logistikbereich. Sonst haben wir eher den Punk das

eigentlich die, im Produktionsbereich, der in Freiburg sowieso nur sehr schwach vertreten ist.

Wir haben einundachtzig Prozent der Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich, das da eher

auf weniger Fläche mehr produziert wird. Weil die flächenaufwendigen Produktionen

eigentlich nicht mehr in Deutschland, zum Teil auch schon nicht mehr in Europa, sondern in

Ostasien oder in anderen Ländern stattfinden. (2) Wir brauchen zum Teil im

Dienstleistungsbereich mehr Flächen, aber insgesamt, das sehen sie am neuen

Flächennutzungsplan ist eigentlich der Bedarf an neuen Flächen im Außenbereich deutlich

rückläufig. Das ist auch unser erklärtes politisches Ziel, hier in diesem FNP durch ein

Vorrang der Innenentwicklung vor einer Außenentwicklung, die Flächeninanspruchnahme im

Außenbereich so weit wie möglich zu verringern.

F: Ein Schlagwort bei den Geographen ist noch der demographische Wandel. Schlägt er sich

im FNP nieder?

S: In gewissem Umfang schon, weil der Hauptgrund warum wir im Wohnungsbau überhaupt

noch neu Flächen brauchen, in dem weiterhin wachsenden Wohnflächenverbrauch pro Person

liegt und der liegt nicht unwesentlich daran das wir immer älter werden, die

Einpersonenhaushalte immer größer werden und die älteren Leute wenn sie dann nur noch zu

Zweit oder eben sogar allein leben, häufig –solange sie nicht Pflegefälle werden – nicht bereit

sind ihre großzügigen üppigen Wohnraum aufzugeben. Insoweit spielt der demographische

Wandel schon eine Rolle, das die Entwicklung die eigentlich die jungen Leute angeht


➣ 6.3.3

weitgehend abgeschlossen ist. Wir hatten früher zusätzlichen Wohnflächenverbrauch, weil

eben die jungen Leute früher von zu Hause auszogen und ihren eigenen Haushalt bildeten,

aber ich glaube wir haben zur Zeit in Freiburg 54% Singelhaushalte, das ist kaum noch

steigerbar. Das ist ein sehr hoher Anteil, auch im Vergleich zu andern Kommunen. Es ist

vorallendingen die immer älter werden Gesellschaft, das wir doch leider immer noch neue

Wohnungen, Wohnbauflächen brauchen. (1)

F: Wie registriert man die Wagenburgen im Flächennutzungsplan? Um nun zu dieser

speziellen Thematik überzuleiten.

S: Wir haben darauf reagiert aufgrund von Anregungen während der Offenlage der

Planentwurfs, [steht auf und zeigt auf den FNP] an diesem Standort eine Sonderbaufläche für

Experimentelles Wohnen eingerichtet haben. Das bedeutet dort kann diese Sonderform des

Wohnens auch durch einen entsprechenden Bebauungsplan dauerhaft planungsrechtlich

gesichert werden.

F: Das wäre jetzt der städtische Platz Eselswinkel.

S: Ja. Es gibt ja einen zweiten Standort, Biohum, der ist befristet geduldet bis 2011. Der liegt

aber im Landschaftsschutzgebiet und kann deshalb dort nicht dauerhaft dargestellt werden.

F: Und wird nicht umgeschrieben in Experimentelles Wohnen?

S: Nein, nein, das können wir auch nicht machen. Wir können eine Baufläche im FNP nur

dort darstellen wo wir kein Landschaftsschutzgebiet haben. Die von der Naturschutzbehörde,

in diesem Fall das Regierungspräsidium, weil es ein gemarkungsübergreifendes

Landschaftsschutzgebiet ist, ist vorrangig vor dem FNP, wir dürfen im FNP keine Baufläche

darstellen, wenn irgendwas als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen ist.

F: Unterschieden sich denn die zwei städtischen Standorte im rechtlichen Status?

S: Ja, der eine ist eben ein vorübergehend geduldeter praktisch. Der andere war es bisher

auch, jetzt durch den Flächenutzungsplan und die darauf dann demnächst durchzuführende

verbindliche Bauleitplanung. Es ist schon jetzt ein Bebauungsplan, der das jetzt schon so

halbwegs absichert. Es gibt dort einen, aber er scheint mir etwas unsauber zu sein. Wir

werden das künftig dann auch im Bebauungsplan, auf dieser neuen Grundlage

Flächennutzungsplan, auch sauber absichern. Also rechtlich sauber absichern.

F: Im Eselswinkel gibt es eine Pacht oder besser gesagt die einzelnen Bewohner haben

Nutzungsverträge. Verbessert sich der rechtliche Status durch das Ausweißen einer Fläche als

Experimentelles Wohnen?

S: Nein, man muss die öffentlich rechtliche und die zivilrechtliche Seite von einander

unterscheiden. Das was sie eben angesprochen haben mit dem Nutzungsverhältnis ist die

zivilrechtliche Ebene. Die öffentlich rechtliche Ebene der Baulandplanung ist die Grundlage

dafür das man das andere legal machen kann. Das ist die vorrangige Geschichte, aber solange

ihren zivilrechtlichen Vertrag haben, dürfen die das nutzen. Von da her. Man kann allenfalls

sagen, wenn der zivilrechtliche Vertrag gegen öffentliche Vorschriften verstoßen würde, dann

wäre das vielleicht ein Kündigungsgrund. Aber; der Sache nach hat sich das nicht verbessert

dadurch. Es ist eben nur planungstechnisch sauber, bisher war das so ne Grauzone.

191


F: Und weiter südlich vom Eselswinkel wurden jetzt noch zwei weitere Plätze ausgewiesen

➣ 6.3.3

S: Nicht ausgewiesen, aber jetzt als Übergangslösung für fünf Jahre, um die andere

Problematik da zu lösen. Wie es damit dann in fünf Jahren weitergeht, das wird man sehen.

Es gibt also nur einen legalen dauerhaften Standort, das ist der Eselswinkel alt. Das Andere,

die nennen das ja Himmelfall und Ponyhof. Die beiden Standorte sind jetzt ne

Zwischenlösung für fünf Jahre.

F: Und befindet sich gerade auf ausgewiesener Gewerbegebietsfläche?

S: Zur Zeit ist es gerade teilweise noch Sonderbaufläche Forschung, da sollte mal ein

Frauenhoferinstitut hin das ist jetzt an nem anderen Standort und wir sind gerade dabei in

einer ersten FNP Änderung, das zu ner gewerblichen Baufläche zu machen, weil wir das in

fünf Jahren wenn die Frist abgelaufen ist, da sind auch noch auf dem Gelände Segelflieger

und Flugsportvereine neben dran deren Pachtverträge auch 2010 2011 auslaufen. Und dann

soll es insgesamt, das sind insgesamt zweieinhalb Hektar, als Gewerbefläche vermarktet

werden. Die Strabag geht ja auch raus, vorn dran ist die Farbe noch mit ihrer Holzgeschichte,

auch das ist eine befristete Geschichte. Also das soll dann insgesamt in (2) fünf Jahren oder in

vier Jahren, ist ja nun schon ein halbes Jahr rum, als Gewerbefläche auf den Markt kommen.

Wir haben ja nur noch sehr wenige Gewerbeflächen und (2) da ist das eine sehr gute;

Möglichkeit.

F: Für das Gewerbe ist es höchstwahrscheinlich auch eine potenzielle Fläche zwischen der

Herman Mitsch Straße und dem Flughafen, nahe an der Autobahn.

S: Ja, das auch. Und auf der anderen Seite, das Stand heute auch in der Zeitung. Direkt östlich

angrenzend wo zur Zeit noch der alte Schießplatz ist, da kommt ja jetzt bis 2009 ein

Möbelhaus hin.

F: Da haben wir dann eine Möbelmeile. Dreistück hintereinander.

S: Ja, ja. Das ist ne Möbelmeile. Also das was da noch fehlt, nämlich das gehobene Sortiment,

das kommt jetzt als drittes hinzu. So das sie bei IKEA anfangen, dann zu Möbelbraun, dann

zu XXX Lutz heißt die Kette; die da hinkommen wird. (1) Da hat der Gemeinderat am

Dienstag grundsätzlich zugestimmt.

F: Die IKEA Fläche, ich war bei Herr Maier von Wohnungswesen einmal, diese Fläche war

bei ungefähr zwölf Komma Fünf Millionen und die Möbelbraunfläche noch einmal etwa

genau so viel, was die Stadt als Einnahme hatte. Die Restfläche, liegt die ungefähr noch

einmal bei der Summe der Beiden, also bei vierundzwanzig fünfundzwanzig Millionen Euro?

S: (2) Nö, also nicht. Der Punkt ist, das was da jetzt noch in diesem Bereich wo die

Wagenburgen sind und Strabag und so weiter da ist, das sind ungefähr [Klopfen an der Tü]

Rechnen sie mal Gewerbefläche kostet dort 120 Euro,