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WAGENBURGKULTUR IN DEUTSCHLAND - mit einer ... - Wagendorf

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<strong>WAGENBURGKULTUR</strong> <strong>IN</strong> <strong>DEUTSCHLAND</strong><br />

- <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> Fallstudie zur Situation<br />

in Freiburg im Breisgau<br />

Wissenschaftliche<br />

Examensarbeit<br />

Frühjahr 2007<br />

betreut durch<br />

Herrn Prof. Dr. Stadelbauer<br />

(unverbesserte Version)<br />

vorgelegt von<br />

Patrick Th. Augenstein<br />

Erwinstr. 55<br />

79102 Freiburg<br />

augenstein@angelstrasse.de<br />

Geographie, Philosophie, Anglistik


MAN KANN DOCH NICHT E<strong>IN</strong>FACH SO<br />

KOMMEN UND GEHEN<br />

UND SCHWEIGEN<br />

(Kenneth White)<br />

Gewidmet<br />

Moritz Jordan<br />

2


Inhaltsverzeichnis<br />

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />

1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6<br />

1.1 Ein kulturgeographisches Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6<br />

1.2 Methodische Vorüberlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />

1.3 Schwierigkeiten und Metatext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />

2 Hybridhistorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />

2.1 Name und Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />

2.2 Fahrende und Utopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12<br />

2.3 Ford und Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15<br />

2.4 Kerouac und Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17<br />

2.5 Postmoderne und Flickenteppich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />

3 Aspekte <strong>einer</strong> Lebenswelt am Beispiel Freiburg im Breisgau. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />

3.1 Urbane Genese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />

3.1.1 Kiesgrube und Konzentrationslager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .23<br />

3.1.2 Klärwerk und Kaserne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .29<br />

3.2 Gegenwärtige Artikulationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37<br />

3.2.1 Biohum: geleitet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38<br />

3.2.2 Eselswinkel: geleitet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46<br />

3.2.3 Schattenpark: geteilt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51<br />

3.2.4 Waldmenschen: geräumt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59<br />

3.2.5 Punkstadt: geräumt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62<br />

3.2.6 Urstrom: geduldet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65<br />

3.2.7 Ölmühle: geduldet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68<br />

3.2.8 Susiburg: gesichert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71<br />

3.3 Normative Regelungsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75<br />

3.3.1 Baurecht und Wohnrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75<br />

3.3.2 Flächen und Nutzungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78<br />

3.3.3 Sicherheit und Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80<br />

Exkurs: Konsensfindung - Stadt vs. Wagenburg . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84<br />

3


3.4 Nachhaltige Dimensionen . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .86<br />

3.4.1 Zukunftsagenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86<br />

3.4.2 Wagenspur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86<br />

3.5 Kontextuelle Transformationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90<br />

3.5.1 Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90<br />

3.5.2 Medienwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97<br />

Exkurs: Werbeclip Wagenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101<br />

4 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103<br />

5 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .107<br />

6 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116<br />

Die fahrlässige Unterschlagung eines genderneutralen Terminus kann auch diese Zeile nicht<br />

entschuldigen, so doch bewusst machen.<br />

4


Vorwort<br />

„Ich kann das <strong>mit</strong> der Aussteigerei echt nicht mehr hören. Eine ‘alternative Wohnform’<br />

(auch eine Bezeichnung, die ich irgendwie nicht mag) macht noch lange keineN AussteigerIn.<br />

Die meisten WagenbewohnerInnen, die ich kenne, haben Handys, Bankkonten, Jobs, einen<br />

Internetzugang, gehen studieren oder beziehen Staatsknete, haben Ökoaktien oder<br />

Sparbücher, stehen in Kontakt <strong>mit</strong> ihrem meist gutbürgerlichen Elternhaus, lesen Zeitung und<br />

sehen fern, gehen im Supermarkt einkaufen, haben eine Krankenversicherung, gehen zur<br />

Krebsvorsorgeuntersuchung, gehen ins Kino, fahren schon mal Taxi und interessieren sich für<br />

Politik. Von ‘Ausstieg’ keine Spur - und das sind sogar noch die Leute, die in der öffentlichen<br />

Meinung irgendwie als ‘Freaks’, ‘Linksradikale’ und ‘Autonome’ gelten, oder sich sogar<br />

selber so sehen. Nur weil Leute nicht 12 Stunden täglich im Büro oder an der<br />

Supermarktkasse malochen und ihr Geld lieber für Solarzellen und schöne alte Schaukelstühle<br />

statt für eine verklinkerte Reihenhaushälfte <strong>mit</strong> Carport und Sauna im Keller ausgeben,<br />

werden sie doch nicht automatisch zu ‘Aussteigern’. Das ist mir irgendwie zu einfach, zu sehr<br />

RTL-Jargon, zu glorreich, zu verklärend oder einfach nur zu platt.“ 1<br />

1 Redebeitrag aus dem Forum wagendorf.de unter “Der Anfang des Lebens.” (Quelle:<br />

http://www.wagendorf.de/index.php?title=Special:Thread&thread=530)<br />

5


1 Einleitung<br />

Einleitung<br />

Für Menschen, die in umgebauten Wagen wohnen, ist der Raum das größte Problem.<br />

Nicht dass es ihnen an Platz in den kleinen multifunktionalen Einzimmerlösungen auf Rädern<br />

mangelt. 8 bis 22 Quadratmeter stellen offensichtlich genügend Wohnraum dar, ohne sich<br />

beengt zu fühlen. Die Küche einen Meter neben dem Schreibtisch und das Bett gleich neben<br />

dem Ofen lassen immer noch Platz für ein Bücherregal dazwischen. Doch 357.092<br />

Quadratkilometer deutsche Republik und im speziellen 2076 Städte scheinen zu klein zu sein,<br />

um burgartig angeordneten Wagen Raum zu geben.<br />

Worauf gründet dieses Verhältnis zwischen Stadt und Wagenburgkultur? Lässt es sich<br />

vereinfachen auf die geringe Geschossflächenzahl und den daraus resultierenden anti-urbanen<br />

Charakter des Wagens? Oder differenziert es sich in weitere, nicht arithmetisch zu erfassende<br />

Bereiche auf, welche das Sein der Kulturform auf Rädern bedingen? Was charakterisiert<br />

Wagenburgkultur in<strong>mit</strong>ten <strong>einer</strong> steinarchitektonischen Stadtlandschaft?<br />

1.1 Ein kulturgeographisches Thema<br />

Welche Wissenschaft könnte sich besser dieses Phänomens annehmen als eine<br />

Wissenschaft vom Raum – als die Geographie, genauer gesagt die Kulturgeographie, welche<br />

traditionell die Wechselwirkung von Mensch und Raum betrachtete und sich seit geraumer<br />

Zeit eines Besseren besinnt und Mensch, Raum und Kultur als einen Bestandteil der<br />

konstruktivistischen Betrachtung der conditio humana sieht. Ein so genannter cultural turn<br />

erneuert auch die Grundverständnisse dieser Empirie. Alte Dichotomien von Kultur und<br />

Natur, Subjekt und Objekt, werden dekonstruiert. Ankerpunkte lösen sich und Theoreme aus<br />

Semiotik, Netzwerktheorie, Lebensstilanalyse, Linguistik und Neu- Historizismus betreten<br />

und erweitern die geographische Forschung. Nietzsche, Lukmann, Habermas aber auch<br />

französische Autoren wie Foucault, Saussure, Derrida oder Barthes bilden hierbei die Spitze.<br />

(u.a.: GEBHARDT 2003)<br />

Eine Stärke verblieb der Geographie, auch wenn sich die Hermeneutik um zwei<br />

Himmelsrichtungen drehte. Es ist ihre inhärente, strukturelle Bedingtheit – kurz, das<br />

Zusammendenken der unterschiedlichsten Ansätze, wo<strong>mit</strong> sich die Geographie seit<br />

Humboldt’ Gedenken als die umgekehrte Philosophie darstellt. Denn, bereichert und bedient<br />

die Philosophie alle universitären Disziplinen – so hat die Geographie die Möglichkeit, sich<br />

aller zu bedienen und sie zusammen zu führen in der einen scheinbar standhaften Kategorie<br />

des Raumes. 2 Oder anders gesagt: zeichnet sich die Philosophie durch Diskursspeisung aus,<br />

so definiert sich die Geographie durch Diskursbündelung.<br />

2 trotz: Geodeterminismusdebatte und des Vorwurfs der Fundamentalontologie <strong>mit</strong><br />

Absolutheitsanspruch.


Einleitung<br />

Im Speziellen werden sich im Folgenden Axiome aus der sozialgeographischen<br />

Stadtforschung, der funktionalen Stadtraumforschung und der Lebensstilforschung<br />

verknüpfen. Verhaltens- und handlungsorientierte Stadtgeographie erweitert darüber hinaus<br />

die Bündelung der geographischen Stadtdiskurse um die akteurszentrierte Bewertung urbaner<br />

Räume. (HE<strong>IN</strong>EBERG 2006)<br />

1.2 Methodische Vorüberlegungen<br />

Auch die methodischen Vorüberlegungen, die dazu dienen, das Phänomen <strong>einer</strong><br />

Wagenburgkultur be- und ergreifbar zu machen, stehen in der Tradition der Bündelung.<br />

Schlüsselpunkt ist hier die Zusammenführung und Verknüpfung verschiedenster Methodiken<br />

unter dem Dach <strong>einer</strong> Triangulation (FLICK 2004). Aus der Verwendung <strong>einer</strong> Vielzahl<br />

unterschiedlicher Herangehensweisen ergibt sich so<strong>mit</strong> eine facettenreiche<br />

phänomenologische Beschreibung des Kulturträgers. Darüber hinaus ermöglicht die<br />

methodische Betrachtung aus unterschiedlichen Blickwinkeln die Reduzierung des so<br />

genannten Blinden Flecks, welcher aller Empirie inne liegt. Und auch die Veränderung eines<br />

Systems durch Messung erfährt hier<strong>mit</strong> eine Streuung. Denn aus hermeneutischer Sicht<br />

verbleibt kein System messbar, ohne das System selbst zu verändern.<br />

Die Komplexität eines Wagenburggefüges und s<strong>einer</strong> kontextuellen Felder werden im<br />

Speziellen <strong>mit</strong> Hilfe <strong>einer</strong> dialektischen Herleitung des Historischen vorläufig definiert, um<br />

eine theoretische Arbeitsperspektive für die folgenden einzelnen konkreten<br />

Raumartikulationen zu gewinnen (Kapitel ➣ 2 und 3.1). Mit administrativen Dokumenten,<br />

Beobachtungen im Raum, Kartierungen und qualitativen Interviews wird anschließend<br />

versucht, das konkrete Phänomen zu konturieren und ihm Inhalt zu geben (➣ 3.2). Hierbei<br />

zeigte sich der diachrone Interviewtypus, bestehend aus strukturiertem und offen-narrativem<br />

Teil, als adäquates methodisches Analysewerkzeug. Ein zunächst standardisierter Fragebogen<br />

erwies sich hingegen als unzureichend, um den differenzierten Lebensweltmilieus der<br />

einzelnen Wagenburgen gerecht zu werden. Lediglich die konstruierte Dichotomie Haus<br />

versus Wagen durchzieht alle individuell abgestimmten Fragencluster. 3<br />

Hierauf folgt eine Betrachtung des normativen Regelungsrahmens, welcher die<br />

konkreten Befunde ergänzt und vertieft (➣ 3.3). Im vorletzten Kapitel (➣ 3.4) wird <strong>mit</strong> Hilfe<br />

von arithmetischen Berechnungen und unter zuhilfenahme des Theorems eines ökologischen<br />

Fußabdrucks (WACKERNAGEL 1997) die Lebenswelt auf ihre Nachhaltigkeit geprüft.<br />

Abgeschlossen wird die Arbeit <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> quantitativ und qualitativen Analysen zweier<br />

kontextueller Felder (➣ 3.5). Zum einen steht hierbei das öffentliche Meinungsbild und zum<br />

andern die mediale Repräsentation des Kulturphänomens Wagenburg im Mittelpunkt. Beide<br />

Betrachtungen dienen der Einbettung in einen erweiterten kontextuellen Rahmen. Ein<br />

3 Sämtliche Interviews sind im Hauptteil der Arbeit nur in Auszügen wiedergegeben. Eine<br />

Transkription der gesamten Länge, sowie eine Transkriptionslegende befinden sich im<br />

Anhang (➣ 6.2).<br />

7


Einleitung<br />

grounded theory Ansatz (Erkenntnis- und Hypothesengenerierung bei Verlauf) umklammert<br />

alle Methodik bis zum Resümee. (MEIER-KRUGER: 2005)<br />

Die Fallstudie wurde hierbei gewählt, um dem Faktum der fast nicht vorhandenen<br />

empirischen Vorleistungen in Form von Essays oder Monographien zu begegnen und um vor<br />

Ort das Phänomen in s<strong>einer</strong> urbanen und suburbanen Ausprägung direkt analysieren zu<br />

können. „Ihre Anwendung erscheint immer dann als sinnvoll, wenn der Gegenstandsbereich<br />

sich nicht nur als komplex und heterogen erweist, sondern über ihn auch nur relativ wenig<br />

Erkenntnis besteht.“ (GEBHARDT: 18) Freiburg wurde hierbei aus rein privat-ökonomischen<br />

Gesichtspunkten als Ort zur Analyse festgelegt. Vor Beginn dieser Studie (Oktober 2006)<br />

bestand kein Kontakt zu Bewohnern, die sich entschieden, in <strong>einer</strong> mobilen oder quasimobilen<br />

Wohnung zu leben.<br />

1.3 Schwierigkeiten und Metatext<br />

Bei <strong>einer</strong> Erweiterung der Arbeit um das Feld der angewandten Geographie zeigt sich<br />

die Möglichkeit und Notwendigkeit, Text über Transmissionsriemen in der Praxis wirken zu<br />

lassen. Hierbei steht die Weiterver<strong>mit</strong>tlung an ein Triptychon - bestehend aus Wissenschaft,<br />

Politik und Öffentlichkeit - an erster Stelle. Mit Hilfe <strong>einer</strong> frei zugänglichen<br />

Downloadversion auf wagendorf.de soll der interessierten Öffentlichkeit ein Zugang gegeben<br />

werden. Zur wissenschaftlichen Weiterverarbeitung stehen ergänzend gebundene Versionen<br />

in der Fachbereichsbibliothek Geographie Freiburg, dem Archiv für Soziale Bewegung<br />

Freiburg sowie dem Stadtarchiv Freiburg. Über einen Mailverteiler werden 37 Personen,<br />

welche von Seiten der städtischen Verwaltung oder als Privatperson bei der Generierung von<br />

Datenmaterial beteiligt waren, direkt <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> Version der Abschlussarbeit beliefert.<br />

Freiburger Stadträte verschiedenster Fraktionen, Dezernatsleitungen sowie der<br />

Oberbürgermeister ergänzen als interessierte Adressaten die Reichweite um eine politische<br />

Komponente.<br />

Als Text über Text bleibt weiter anzufügen, dass die Erhebungen zum Teil nur <strong>mit</strong><br />

gewissen Einschränkungen vollzogen werden konnten. So artikulierte sich die nachwirkend<br />

politische Brisanz aus den Jahren 2004/2006 in <strong>einer</strong> eingeschränkten Bereitschaft der<br />

städtischen Verwaltungsämter, Dokumente zur tieferen Analyse freizugeben. Der verbliebene<br />

Datensatz stellte nichtsdestotrotz eine fundierte Grundlage dar, um die planungstechnischen<br />

Schritte und die Perspektive aus stadtverwaltungstechnischer Sicht zu rekonstruieren -<br />

wenngleich eine vollständige Einsicht mehr Transparenz hätte gewährleisten können.<br />

Insgesamt zeigt sich die schriftliche Quellenlage als äußerst spärlich. Selbst wenn ein<br />

neues derridianisches, hierarchieloses Textverständnis vieles gleichrangig nebeneinander<br />

stellt, so definiert sich das Phänomen immer noch durch relative Textlosigkeit. Ein enges<br />

Spektrum, bestehend aus Tagesnachrichten, Eigendarstellung, institutionsgebundenen<br />

Perspektive und das fast völlige Fehlen empirischer Erhebung - gleich welchen fakultativen<br />

Bereiches – eröffnet sich. Singulär, und bisher unerreicht in Umfang und Tiefe steht lediglich<br />

8


Einleitung<br />

eine soziologische Niederschrift aus dem Jahr 1996 zur Verfügung, welche in zweierlei<br />

Hinsicht bedeutungstragender Baustein aller Folgearbeiten sein kann. Einerseits wurden<br />

einige historische Parallelismen erstmalig aufgezeigt, welche – wenn auch fälschlicherweise<br />

angenommen - nicht das heutige definieren, es jedoch über eine Dialektik bedingen. Und es<br />

wurde auf den Bewegungscharakter des Phänomens in soziologischer Hinsicht aufmerksam<br />

gemacht. Beides diente als Ausgangslage, um das Phänomen um eine räumlich geographische<br />

Komponente zu erweitern und zu vertiefen.<br />

Was die Geographie als Disziplin selbst anbelangt, so widmete sie dem Phänomen<br />

bisher nur in essayistischer Form Beachtung, wobei zwei Beiträgen eine gewisse Fundiertheit<br />

attestiert werden darf.<br />

Eine erste umfassende literarische Bestandsaufnahme ergibt so<strong>mit</strong> ein sehr<br />

fragmentiertes Konglomerat, welches alle diskursiven Grundsteinsetzungen speist und<br />

begründet. Nun gilt es im Sinne Derridas Bedeutung vorläufig festzulegen durch all das<br />

Geschriebene und gleichsam durch all das nicht Geschriebene. Beides definiert Text.<br />

9


2 Hybridhistorie<br />

Hybridhistorie<br />

Eine erste geschichts-phänomenologische Annäherung an den Diskursbestand rund um<br />

die Wagenburgkultur bleibt ein Hybridgebilde aus den verschiedensten<br />

geisteswissenschaftlichen - und naturwissenschaftlichen Nachbardisziplinen. Zum einen liegt<br />

dies an der bereits beschriebenen, fast vollständigen à-historischen Qualität der<br />

verschriftlichten Quellen über die Kulturerscheinung. Zum andern unterliegt eine substanziell<br />

internalisierte Schnittfläche, welche die Lebenswelterfahrungen der im Wagen lebenden<br />

Menschen beinhalten könnte -rückwirkend konstruiert -, in der Diversität multipler<br />

kulturphänomenologischer Gegebenheiten.<br />

Die folgende historische Darstellung hat nicht den Anspruch, einen monokausalen<br />

Erklärungsansatz zu bilden, um das Kulturphänomen zu beschreiben, vielmehr soll die<br />

folgende Chronologie Teilaspekte des Gegenwärtigen hermeneutisch erschließen und eine<br />

aposteriorische geschichtliche Verortung konstruieren.<br />

In einem letzten hegelianisch-dialektischen Schritt (Negierung, Aufhebung und<br />

Erhöhung) werden diese Teilaspekte in das postmoderne Phänomen eingeschrieben und<br />

tragen so<strong>mit</strong> zu einem ersten konstitutiv definitorischen Erklärungsansatz des Gegenwärtigen<br />

bei. Nicht nur, dass eine chronologische Abfolge hierin ihr vorläufiges Ende beziehen wird,<br />

auch, und vielmehr, wird das Kulturphänomen auf die generellen Wirkungsmechanismen der<br />

Postmoderne 4 an- und durch sich verweisen.<br />

Der Begriff der Wagenburgkultur, als semiotische Zusammenfassung einzelner<br />

Prozesse, bleibt definitionsbedingt à-historisch. Nietzsche sagt es punktgenauer: „Definierbar<br />

ist nur das, was keine Geschichte hat.“(NIETZSCHE 1980: 317)<br />

4 Für eine tabellarische Definition siehe Anhang (➣ 6.1.1). Postmodern möchte sich hierbei<br />

nicht als methodische - oder als analytische Dimension verstanden wissen, sondern lediglich<br />

als deskriptive phänomenologische Dimension, nahe dem Sinne Becks (vgl.: BECK 1996: 2<br />

f.).<br />

10


2.1 Name und Form<br />

Hybridhistorie<br />

Die namensgebende Vorläuferform der heutigen Wagenburg taucht erstmalig im<br />

Späten Mittelalter auf. Es handelt sich hierbei um eine militärstrategische Formation, die als<br />

Transformationsstufe zwischen <strong>mit</strong>telalterlichem Kriegswesen und dem der anbrechenden<br />

Neuzeit gilt (WULF 1889: 8 f.). 5 Vorstellungen über die Systematik und Führung des<br />

geometrischen Gesamtkörpers stammen erstmals von Markgraf Albrecht Achilles von<br />

Brandenburg aus der Mitte des 15. Jahrhunderts. Anschaulich beschreibt er die Anordnung<br />

von marschierenden und lagernden Wagenformationen im Feld (PRIEBATSCH, 1894: 12 ff.).<br />

Weitere Hinweise auf die frühe Geschichte des Phänomens finden sich in Leonard<br />

Fronsberger′s Buch „Von Wagenburg und Veldleger“ aus dem Jahre 1573, wo ebenfalls in<br />

<strong>einer</strong> idealisierenden Beschreibung die Verwendung der unterschiedlichsten<br />

Lagerformationen beschrieben wird. Von den topographischen Lagebedingungen, über die<br />

Aufstellung der Mannschaftszelte, bis hin zur Platzierung der Kochstelle werden hier die<br />

unterschiedlichsten Aspekte <strong>einer</strong> militärischen Wagenburg durchdacht. Dicht gedrängt<br />

teilten sich bis zu 6000 Personen die vom Wagenburgmeister zugewiesen Quartiere innerhalb<br />

des mobilen Burgwesens. Ein ziehendes Heer beinhaltete zu jener Zeit nicht nur die Verbände<br />

der unterschiedlichsten Waffengattungen wie Reiterei oder Feldgeschützmannschaft, sondern<br />

auch Frauen, Kinder, Händler, Prostituierte, Schmiede, Küfer, Vieh, Kleintiere und alles, was<br />

an Gefolgschaft noch benötigt wurde, um einen Armeezug in Bewegung zu halten. Eine<br />

maximale Verdichtung des Innenbereiches ermöglichte es hierbei, die Außenlinie so kurz wie<br />

möglich zu halten. (FRONSBERGER 1573)<br />

Abb.: 4-5: Wagenburgformationen des 15. und 16. Jahrhundert (HENNE AM RHYN 1897: 482)<br />

Differenzierenderweise muss hinzugefügt werden, dass es sich bei der historischen<br />

Wagenburgformation - sei es nun als runder, ovaler oder quadratischer Gesamtkörper - nicht<br />

um eine reine Verteidigungsform handelte, welche versuchte durch Einpassung in die<br />

jeweiligen naturräumlichen und topografischen Gegebenheiten einen maximalen<br />

5 Der Wagenburg hussistischen Typus’ aus dem 15. Jahrhundert kommt hierbei besondere<br />

Bedeutung zu.<br />

11


Hybridhistorie<br />

Wirkungsgrad <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> Wagenumwallung zu erreichen. Vielmehr handelte es sich auch um<br />

einen taktischen Gesamtkörper in der militärischen Strategie, welchem durchaus auch<br />

Funktionen der Täuschung und des Konterangriffs <strong>mit</strong> Hilfe von zurückgehaltenen Einheiten<br />

zukommen konnte. 6 (WULF 1889: 45 ff.)<br />

Die in erster Linie taktische Festung konnte binnen kürzester Zeit errichtet werden und<br />

hinterließ bis auf etwaige Schanzanlagen, welche zusätzlich angelegt wurden, keine<br />

Artefakte, die mehrere Dekaden hätte überdauern können. Der Lebensraum innerhalb der<br />

Wagenumwallung war stark verdichtet und bei <strong>einer</strong> eventuellen Belagerung abhängig von<br />

den <strong>mit</strong>geführten Nahrungs<strong>mit</strong>teln, dem Lebendvieh und den Frischwasservorräten. Es<br />

handelte sich daher nur temporär um ein autonom und autochthon agierendes Gefüge.<br />

2.2 Fahrende und Utopie<br />

Bei <strong>einer</strong> weiteren historischen Spurensuche liegt nicht nur der formgebende Vorläufer<br />

im Mittelalter sondern auch eine Reihe inhaltlicher Zuschreibungen. Was in jener Epoche<br />

unter den nunmehr archivarischen Begriff des Fahrenden Volkes subsumiert wurde, erhielt<br />

über Jahrhunderte hinweg eine Sonderstellung im gesamtgesellschaftlichen Gefüge.<br />

Zwei historische Paradigmen erschweren jedoch eine Erfassung des so genannten<br />

Fahrenden Volkes. Zum einen zeigt sich innerhalb der mediavistischen Diskurshoheit von<br />

Adel und Klerus nur ein unscharfes verzerrtes Abbild der unteren Stände, welche oftmals<br />

bestenfalls als amorphe Masse im Hintergrund agieren. „Selbst im Berichtshorizont<br />

städtischer Chronisten sind die kleinen Leute nicht erfasst. (...) Alle Quellen, die über untere<br />

soziale Schichten, die über den gemeinen Mann im Mittelalter berichten, sind lediglich an den<br />

Sesshaften interessiert, ver<strong>mit</strong>teln – ungewollt – eine Vorstellung sozialer Statik.“ (SCHUBERT<br />

1995: 25) Beides, Sprecher und Gesprochenes, rekurriert so<strong>mit</strong> auf die polymorphen<br />

Machtstrukturen – im Foucault'schen Sinne - der sesshaften Oberschicht und deren normative<br />

Definitonsgewalt über die Vorstellung <strong>einer</strong> sozialen Hierarchie.<br />

Zum anderen handelt es sich bei den Fahrenden 7 keinesfalls um eine geschlossene<br />

homogene Gruppe, welche klar umrissen werden könnte. Vielmehr finden sich hier, genau<br />

wie im übrigen Teil der Gesellschaft auch, die unterschiedlichsten sozialen Profile und eine<br />

weitere Substrukturierung der hierarchischen Ständeabfolge. So befanden sich unter den<br />

Fahrenden Scholare, Pilger, Reliquienschausteller, besitzloser Klerus, Söldner,<br />

Wanderdirnen, Wanderärzte, Wanderapotheker ,Kesselflicker, Scherenschleifer, Hausierer,<br />

Theriakskrämer, Bettler, Spielmänner, Rattenfänger, Musikanten, Gaukler, Dompteure und<br />

6 Nach Angaben des Bundesdeutschen Presseamtes der Bundeswehr spielen Wagenburgen<br />

oder wagenburgähnliche Formationen bei k<strong>einer</strong> Waffengattung mehr eine Rolle (19.12.07).<br />

7 gernde diet oder gernde liute können hierbei als historische Synonyme angesehen werden<br />

(vgl. SCHUBERT 1995: 7)<br />

12


Hybridhistorie<br />

Sprecher, um die markantesten Berufsfelder und Lebensstile 8 zu nennen (u.a. BACHFISCHER<br />

1998). Auch gehörten Angehörige der ethnischen Minderheit der Sinti und Roma 9 ab dem 15.<br />

Jahrhundert zum stetig mobilen Teil der Bevölkerung. Allen gemein war der verminderte<br />

rechtliche Status gegenüber den Sesshaften. Eine Minderung, die bis zur völligen Entrechtung<br />

und gar Vogelfreisetzung führen konnte. So findet man zum Beispiel im Passauer Stadtrecht<br />

aus dem Jahr 1300 folgende lakonische Rechtsauffassung: „wer farund volk, das gut für er<br />

nimbt, schilt oder slecht, der ist dem richter nichts darumbe schuldich.“ 10 (BACHFISCHER<br />

1998: 55)<br />

Der verminderte Rechtsanspruch, sowie Ausgrenzung aufgrund äußerer Merkmale<br />

verhinderten eine gleichberechtigte Koexistenz oder gar Symbiose <strong>mit</strong> dem sesshaften Teil<br />

der Bevölkerung. „Konnte beispielsweise ein verarmter Edelmann zum fahrenden Spielmann<br />

werden, so gab es für die kommenden Generationen keinen Weg mehr zurück; sie und ihre<br />

Kinder blieben Musikanten, oder ähnlich gering geachtete. Auch Kleriker verloren ihre<br />

Position und ihre Sonderstellung als Geistliche, wenn sie längere Zeit das Leben von<br />

Fahrenden geführt hatten. Eine erneute Aufnahme in eine Adels-, Stadt-, Dorf-, oder<br />

Pfarrgemeinschaft war nahezu ausgeschlossen.“ (BACHFISCHER 1998: 20) Die<br />

Marginalisierung bekam noch ihren paradigmatischen Unterbau durch die <strong>mit</strong>telalterliche<br />

Vorstellung von ordo und status als die prädestinierte gottgewollte Standesabfolge innerhalb<br />

des Gesellschaftsgefüges.<br />

Auch begegnete man den Fahrenden <strong>mit</strong> äußerster Skepsis, da sie - bedingt durch ihre<br />

fast kontinuierliche Mobilität - oft als namenlose Fremde verblieben. Misstrauen, Vorsicht<br />

und Ablehnung waren Reaktionsmuster der Sesshaften, welche fest in familienartige oder<br />

dorfähnliche Strukturen – auch noch bestehend in den neu aufkommenden Gründungsstädten<br />

des 13. Jahrhunderts 11 – eingebunden waren und dieses Sozialgeflecht bei den mobilen<br />

Lebensstilen nicht ausfindig machen konnten. „Im Mittelalter bedeutete fremd sein soviel wie<br />

»ellende« sein.“ (BACHFISCHER 1998: 24 ff). Vorsichtig formuliert ließ sich sagen, dass die<br />

kurze temporäre und räumliche Nähe zwischen zwei Lebensweltmilieus zur Herausbildung<br />

von Ressentiments führen konnte.<br />

Dennoch gab es auch eine Reihe positiv besetzter Vorurteile, welche man dem<br />

Fahrenden Volke zuschrieb. So wurden sie geschätzt als Komödianten oder Spielmänner.<br />

Ihre Mobilität diente zum Über<strong>mit</strong>teln von Nachrichten und Informationen aller Art. Man<br />

8<br />

Auffällig ist hierbei, wieviele Bezeichnungen heute noch von <strong>einer</strong> negativen Kronotation<br />

begleitet sind, sofern sie alltagssprachig noch gebräuchlich sind.<br />

9<br />

Auf die seit 1417 über Böhmen eingewanderte Minderheit wird noch ausführlich als<br />

Anbindepunkt zur heutigen Wagenburgkultur in der Fallstudie Freiburg eingegangen werden.<br />

„Am Schicksal jener Menschen, die man seit dem 19. Jahrhundert als Inbegriff des fahrenden<br />

Volkes verstand, am Schicksal der Zigeuner also, lässt sich der neue Wille der Obrigkeit<br />

ablesen.“ (SCHUBERT: 1995: 362; vgl.: KROPP 1997: 3.1.3)<br />

10<br />

„Wer fahrendes Volk, das Geld anstatt Ehre nimmt, beschimpft oder schlägt, der ist dem<br />

Richter deshalb nichts schuldig.“<br />

11<br />

Epoche der Gründungsstädte ab 1120 (Freiburg: 1120 Gründung/1120 Stadtrecht)<br />

13


Hybridhistorie<br />

begegnete ihnen nicht kategorisch abweisend, da sie trotz allem einen integralen Bestandteil<br />

der damaligen Gesellschaft bildeten. „Im Alltag sind ihre Künste unerlässlich: Es handelt sich<br />

um spezielle Tätigkeiten, die nur von Umherziehenden ausgeübt werden können.“ (SCHUBERT<br />

1995: 20) Und auch das Umherreisen besitzt noch eine andere Konnotation. „Bis in das 16.<br />

Jahrhundert hinein bedeutete »unbewandert« auch »unerfahren«.“ (SCHUBERT 1995: 32) Auch<br />

die Mediävistin Bachfischer attestiert vergleichbares. „Die beruflich und sozial fest<br />

eingebundenen Bürger beargwöhnten natürlich aus ihren geordneten Lebensverhältnissen<br />

heraus die verlockenden Freiheiten und die Zwanglosigkeit des Lebens der Fahrenden.“<br />

(BACHFISCHER: 1998, 167) Trotz Ausgrenzung, Ressentiments und eines verklärt projizierten<br />

Freiheitsbildes konsolidierte sich das unausgewogene Verhältnis über die Zeit des Mittelalters<br />

durch eine wechselseitige Abhängigkeit.<br />

Neben diesen konstruktivistischen Kognitionsbildern gab es auch eine Reihe<br />

räumlicher Ausprägungsmuster der architektonischen Art, welche die Fahrenden ausgrenzten.<br />

So zeigt sich die <strong>mit</strong>telalterliche Befestigungsanlage <strong>mit</strong> Mauer, Tor, Zwinger und anderen<br />

Bauelementen nicht nur als militärische Wehranlage, sondern auch als eine Architektur der<br />

Überwachung und Kontrolle. „Ganz real wird die Stadt dem Fahrenden feindlich, weil nur<br />

hier an den Stadttoren und auf den bevölkerten Gassen die Kontrolle ausgeübt werden kann,<br />

die auf dem Lande gar nicht möglich ist.“ (SCHUBERT 1995: 373) Im Colmarer Stadtbuch 12<br />

aus dem Jahre 1378 findet sich diesbezüglich zum Beispiel die Bestimmung, dass Fahrendes<br />

Volk nur außerhalb der Mauer lagern durfte. Kein „varender man“ sollte an den Toren Korn<br />

sammeln und niemand ihm Korn verkaufen dürfen. (F<strong>IN</strong>STERWALD 1938: 322). Erst der<br />

urbane Raum des Mittelalters <strong>mit</strong> s<strong>einer</strong> klaren Umgrenzung machte eine Exklusion aus<br />

wirtschaftlichen und sozialen Bereichen gegenüber den Fahrenden möglich.<br />

An dieser Stelle sei noch ein Gedankeneinschub vermerkt, welcher die im<br />

Spät<strong>mit</strong>telalter aufkommende literarische Gattung der Utopie und ihre darauf folgenden<br />

realweltlichen Annäherungsversuche <strong>mit</strong> einbezieht. Thomas Mores Utopia aus dem Jahre<br />

1518 wird heute als eine gesellschaftskritische Anklage im Zeichen der mundus inversus<br />

gelesen, wobei sich bei <strong>einer</strong> Umlegung in geographische Diskurse zeigt, dass es auch ein<br />

urbanes Raum- und Gesellschaftskonzept darstellt, welches ein Zentrale Orte Modell nach<br />

Christaller vorweg denkt. Neben den Leitgedanken der Gemeinschaft, Einfachheit, des<br />

minimalistischen Konsums, gemeinsamer Arbeitsgeräte und <strong>einer</strong> quartiersinternen<br />

Kochdienststelle spielen basisdemokratische Konsensfindung und Gruppenstabilität bei der<br />

Konstruktion des Utopischen darüber hinaus eine zentrale Rolle. (MORE: 2003)<br />

12 Colmar wurde als ein Resultat des Westfälischen Friedens 1648 Frankreich zugeschrieben.<br />

14


2.3 Ford und Industrie<br />

Hybridhistorie<br />

Eine Weiterführung der Chronologie der Fahrenden zeigt in der aufkommenden<br />

Neuzeit eine verstärkte Ausgrenzung und Stigmatisierung. Diese ist zum einen bedingt durch<br />

eine anhaltende Differenzierung des Handelswesens in den Städten und <strong>einer</strong> daraus<br />

folgenden Unabhängigkeit von den Dienstleistungen der Umherziehenden. Zünfte und<br />

Gesellenorganisationen bilden sich heraus. In der postfeudalistischen Gesellschaft bilden sich<br />

verstärkt Manufakturen aus und eine aufkommende professionelle Kaufmannsgilde<br />

florentinischen Abbildes monopolisierte den Fernhandel zwischen den neu entstehenden<br />

Märkten. Zum anderen durch das Aufkommen von wohnwagenähnlichen Gefährten, welche<br />

die Abhängigkeit vom sesshaften Teil der Bevölkerung reduzierte. Beides führte zu <strong>einer</strong><br />

Verminderung der Kontaktstrukturen zwischen den Lebensstilmilieus und schlägt sich nicht<br />

nur in aparten mentalgeschichtlichen Konstruktionen nieder, sondern formuliert sich auch in<br />

verstärktem Maße in Mandate nund Edikten der Obrigkeit. (vgl.: SCHUBERT 1995: 351 ff.;<br />

FARWICK 1998: 146 ff.)<br />

So<strong>mit</strong> lässt sich durchaus das fast vollständige Ende eines gewachsenen<br />

Lebensmilieus und s<strong>einer</strong> gesamtgesellschaftlichen Funktionen konstatieren. „Untergang<br />

meint, das die Leistungen der Fahrenden für die Gesellschaft als überflüssig angesehen<br />

wurden, es bedeutet weiterhin, daß diese Menschen, die im Mittelalter für das<br />

Zusammenwachsen der Gesellschaft, von Hof zu Hof, von Siedlungsinsel zu Siedlungsinsel<br />

wandernd, so bedeutsam gewesen waren, an den Rand dieser Gesellschaft gedrängt, in das<br />

soziale Zwielicht gerückt werden. »Fahrendes Volk« gewinnt in diesem Zusammenhang<br />

einen neuen, einen negativen Sinn, der vor allem im 19. Jahrhundert verbreitet und teilweise<br />

romantisierend umgedeutet wurde.“ (SCHUBERT 1995: 352) Zählten die Fahrenden zuvor<br />

noch zum unverzichtlichen Teil des Wirtschafts- und Kommunikationskreislaufes, so wird<br />

ihr Tätigkeitsfeld sukzessive obsolet.<br />

Die zunehmende Technisierung und aufkommende Industrialisierung beendet viele<br />

mobile Lebensstile. Gleichzeitig erfahren diese jedoch durch die selben<br />

gesamtgesellschaftlichen Transformationskräfte eine Renaissance - wenngleich in <strong>einer</strong><br />

funktionalen Einschränkung. Der Wagen als r<strong>einer</strong> Wohnraum zeichnet sich als<br />

Hilfsbehausung aus, um die Verelendungserscheinungen der Hochindustrialisierungsphase<br />

abzufangen. Das bekannteste Deutsche Beispiel stellt hierbei Republik Barackia in Berlin dar<br />

(1872), wo durch Eigeninitiative am Ostrand der Stadt eine Wagen- und Hüttenansammlung<br />

entstand, um der drückenden Wohnungsnot der Zeit entgegenzuwirken. 13<br />

(BERNET 1999: 14 f.)<br />

13 Zwangsräumung der Siedlungsinitiative zum Dreikaiserjahr.<br />

15


Hybridhistorie<br />

Als rechtliche Rahmengebung zeigt sich hierbei der eingetragene Verein als adäquate<br />

Form, um der grassierenden Wohnungsnot des Industriezeitalters dauerhaft zu begegnen.<br />

„Eine aktive staatliche Wohnungspolitik existierte in Preußen das ganze 19. Jahrhundert<br />

nicht. Auch Städte und Gemeinden bekämpften nur gelegentlich die Folgen der staatlichen<br />

Tatenlosigkeit, noch 1871 wurde das Vorhandensein <strong>einer</strong> Wohnungsnot vom Magistrat und<br />

vom Polizeipräsidium der Stadt Berlin bestritten. (...) Schon 1848 wurde die Gründung von<br />

Vereinen ausdrücklich als das zeitgemäße Mittel zur Bekämpfung der Wohnungsnot<br />

angesehen. Bis zum ersten Weltkrieg ist im Zusammenhang <strong>mit</strong> der Wohnungsnot auf die<br />

Notwendigkeit von Privatvereinen hingewiesen worden, verstärkt dann, wenn die Not in den<br />

Städten anwuchs.“ (BERNET 1999: 13 f) Private selbstorganisierte Siedlungsformen zeigten<br />

sich als erfolgreiche Initiative, um die Wohnungsnot der anziehenden Industrialisierung und<br />

mangelnden politischen Partizipationsmöglichkeiten aufzufangen und zu kompensieren. 14<br />

Als historische Initialzündung kann hierbei Robert Owens′ (1771-1858) 15<br />

kooperatives kollektivistisches Wohnraumprojekt in Rochdale, Großbritannien, gesehen<br />

werden. In diesem urbanen Nukleus der aufkommenden Industrialisierung der<br />

Textilspinnereien zeigt sich erstmalig die Vereinsgründung <strong>mit</strong> genossenschaftlicher Struktur<br />

zum Zwecke der Erschaffung kostengünstigen Wohnraumes. 16 „Erstmals finden sich hier die<br />

drei Säulen des gemeinschaftlichen Wirtschaftens: Selbsthilfe, Selbstbestimmung und<br />

Selbstversorgung.“ (BERNET 1999: 15) Autarke Kameralistik fern von staatlichen<br />

Fehlsteuerungen kann hier eine kostengünstige Wohnraumversorgung ermöglichen.<br />

In den neu aufkommenden genossenschaftlichen Projekten in Deutschland wurde über<br />

die reine Wohnraumversorgung hinaus auch versucht, weitere Grunddaseinsfunktionen<br />

kostengünstig kollektivistisch zu bedienen. So wurden zum Beispiel Gemeinschaftsküchen<br />

eingerichtet oder das so genannte „Volksbrot“ hergestellt. Auch werden hier Leistungen<br />

vorweggenommen, welche später in staatliche Trägerschaft fallen, wie Kindergarten,<br />

Bibliothek oder Mieterberatungsstellen. (BERNT 1999: 38 ff) „Es war vor allem die<br />

Industrialisierung und ihre Schattenseiten, z.B. soziales Elend, Arbeitslosigkeit, autoritäre<br />

bürokratische Strukturen und nicht zuletzt geistige und soziale Entfremdung, die zum<br />

Auslöser für die Siedlungsprojekte wurden.“ (NOTHNAGLE 1999: 8)<br />

Ein vorläufiges geschichtliches Ende nahmen diese Eigeninitiativen <strong>mit</strong> dem<br />

aufkommenden Nationalsozialismus, wo die Schaffung eines „einheitlichen<br />

Reichsnährstandes“ und eine Gleichschaltung der genossenschaftlichen Strukturen durch den<br />

Parteikader erfolgten. Selbstverwaltung und Selbsthilfe passten nicht mehr in ein totalitäres<br />

System. (BERNET 1999: 45) Erst <strong>mit</strong> Ende des Zweiten Weltkrieges setzt sich eigenständige<br />

Siedlungsinitative zur Behebung der durch Kriegszerstörung bedingten Wohnungsknappheit<br />

14 „Das 19. Jahrhundert wird auch das ‘Jahrhundert der Vereine’ bezeichnet. Aufgrund<br />

mangelnder Möglichkeiten des Engagements auf parteipolitischer Ebene entstand eine<br />

Vielzahl von Vereinen im außerpolitischen Bereich.“ (BAUMGÄRTNER 1999: 55)<br />

15 Vgl.: historische Person Wilhelm Weitlings (1808-1871)<br />

16 http://uk.geocities.com/audreyhansca/ROCHDALE/rochdale.html<br />

16


Hybridhistorie<br />

fort. „ ... fast die Hälfte der Bevölkerung der Bundesrepublik [hatte] durch Flucht,<br />

Ausbombung und Vertreibung die Not der Mobilität erfahren.“ (SCHUBERT 1995: 3)<br />

Wohnungsnotstand und politisch bedingte Raumtransformation machten mobile Behausungen<br />

zu einem wesentlichen Bestandteil der Nachkriegsgeschichte und hielten Einzug in das<br />

kollektive Gedächtnis. 17<br />

2.4 Kerouac und Protestbewegung<br />

Den nächsten Anknüpfungspunkt bildet eine avantgardistische Schriftstellerszene<br />

<strong>einer</strong> amerikanischen Nachkriegsgeneration, die beginnt, Mobilität und das Automobil unter<br />

geschichtlich erstmaligen Kontexten zu entdecken. Das fordistische Zeitalter lieferte<br />

Massenprodukte bis zur völligen Konsumsättigung, propagierte das Fortschrittsparadigma,<br />

und die technokratische Perfektion. Konfor<strong>mit</strong>ät, Politgläubigkeit und eine Presbyterianischcalvinistische<br />

Arbeitsmoral waren die hohen Werte der Bohemiens. Jack Kerouac hinterfragt<br />

als zentraler Gegenpol der Beat-Generation 18 diesen vermeintlichen American Dream und<br />

versucht <strong>mit</strong> seinen 14. autobiographischen Werken, im Stile Marcel Prousts, eine Welt<br />

tieferen Sinns, gefestigter Identität und bleibenderer Wahrheit durch Mobilität zu erfahren.<br />

Neben On the Road (dt. Übers.: Unterwegs) wird The Dharma Bums zu den am stärksten<br />

rezipierten Büchern im deutschen Sprachraum (dt. Übers.:Gammler, Zen und Hohe Berge).<br />

„Ich habe Whitman 19 gelesen, wißt ihr, was er sagt, freut euch, Sklaven, und schreckt die<br />

fremden Tyrannen, er meint, das ist die Haltung für den Barden, den irren Zen Barden der<br />

alten Wüstenpfade. Seht mal, das Ganze ist nämlich eine Welt voll von Rucksackwanderern,<br />

Dharma Gammler, die sich weigern zu unterschreiben, was die Konsumgesellschaft fordert:<br />

daß man Produziertes verbrauchen soll und daher arbeiten muß, um überhaupt konsumieren<br />

zu dürfen, das ganze Zeug, das sie eigentlich gar nicht haben wollten, wie Kühlschränke,<br />

Fernsehapparate, Wagen, neue Wagen zum angeben, bestimmte Haaröle und Parfüms und<br />

lauter solch Kram, den man schließlich immer eine Woche später auf dem Mist wieder findet,<br />

alle gefangen in einem System von Arbeit, Produktion, Verbrauch, Arbeit, Produktion,<br />

Verbrauch.“ (KEROUAC, 1971: 75) Was als rein literarisch gesellschaftskritische Bewegung<br />

Mitte der 1950iger Jahre begann, weitet sich in der daraus resultierenden Hippiekultur zu<br />

<strong>einer</strong> Jugendbewegung transatlantischen Charakters aus und findet in den linken<br />

Studentenrevolten Deutschlands (Anti-Vietnamkriegproteste, Emanzipation,<br />

Antiautoritarismus und Konsumkritik) ihren Widerhall.<br />

War das 19. Jahrhundert die „Epoche der Vereine“ um fehlendes politisches Handeln<br />

abzufedern, so ist das ausgehende 20. Jahrhundert das der sozialen Bewegungen und des<br />

17 Eine transatlantische Spiegelung findet sich in den Siedlerwägen der Amerikanischen<br />

Westwärtsbewegung und in den Photographien der Wagenbehausungen zu Zeiten der Großen<br />

Depression.<br />

18 Weitere Vertreter waren u.a.: Allen Ginsberg, William Borroughs, Amiri Baracka, John<br />

Holmes und Lawrence Ferlinghetti. Schriften von Allen Charters und Gertrude Betz leiten<br />

die literarische Rezeptionsgeschichte in der hiesigen Amerikanistik.<br />

19 Walt Whitman (1819-1892)<br />

17


Hybridhistorie<br />

da<strong>mit</strong> verbundenen Aufkommens des „subpolitischen Raumes“ (BECK 1997: 4). So bildet sich<br />

20<br />

in der Bundesrepublik ein soziales Bewegungspotential zu den verschiedensten<br />

gesamtgesellschaftlichen Belangen wie Friedensbewegung, Anti-Atomkraftbewegung,<br />

Ökologiebewegungen oder auch emanzipatorische Frauenbewegungen.<br />

Ein Unbehagen über die gegebenen Umstände und die sich abzeichnenden Entwicklungen<br />

führte zu Massenprotesten gegen die etablierte Politik, der Suche nach individuellen<br />

Lösungen und zum Experimentieren <strong>mit</strong> diversen Lebensstilen. Die Erosion <strong>einer</strong> tendenziell<br />

links gerichteten Hausbesetzerszene, die durch Inbesitznahme innerstädtischen Leerstands auf<br />

Sozialbrache aufmerksam machen wollte, bildete Mitte der 1980er Jahre den historischen<br />

Anknüpfungspunkt für das Entstehen des postmodernen Phänomens <strong>einer</strong> Wagenburgkultur.<br />

(vgl.: KROPP: 3.1.3; RUCHT 2001: 51 ff.)<br />

2.5 Postmodern und Flickenteppich<br />

Abb.: 6-8 Köln (Kolbhallen): Eine Wagenburg innerhalb und außerhalb <strong>einer</strong> ausgedienten innerstädtischen<br />

Produktionshalle <strong>mit</strong> kollektivistisch kunstavantgardistischer Prägung.(Quelle: eigen Nov./2006)<br />

Alle bis hierher aufgezeigten geschichtlichen Momente finden nun ihre dialektische<br />

Einschreibung in das postmoderne Kulturphänomen Wagenburg. Über eine Negation werden<br />

sie aus ihrem genetisch geschichtlichen Umfeld dekontextualisiert, im Gegenwärtigen<br />

aufgehoben und in <strong>einer</strong> Synthese erweitert und erhöht – und tragen so<strong>mit</strong> zu <strong>einer</strong> ersten<br />

definitorischen Deutung des Gegenwärtigen bei.<br />

Was sich primär als militärisch-taktischer Körper zeigte, behält die Funktion von<br />

Verteidigung, Gegenaktion (nun Protest) und Täuschung zeitweise im zivilpolitischen<br />

Kontext bei, erfährt aber gleichzeitig eine essentielle Erweiterung als Träger der<br />

Grunddaseinsfunktion Wohnen, sowie bedingt die der Freizeit, der Arbeit und des Verkehrs.<br />

(➣ 3.2.1 - 3.2.8)<br />

20 Die Anti-Atomkraft Besetzungen in Wyhl am Kaiserstuhl stellen für die Freiburger- aber<br />

auch für die Bundesdeutsche-Bewegungsentwicklung ein impulsgebendes Ereignis dar.<br />

„Zu <strong>einer</strong> ersten dauerhaften Hochburg des Anti-Atomprotests entwickelte sich der badische<br />

Raum am Oberrhein. (...) Erst <strong>mit</strong> den Wyhler Ereignissen, (...), erlangte der Atomkonflikt<br />

nationale Aufmerksamkeit. (...)Die als erfolgreich angesehene Wyhler Platzbesetzung<br />

inspirierte Initiativen an anderen Standorten.“ (RUCHT 1994: 447-448)<br />

18


Hybridhistorie<br />

Inhaltliche Zuschreibungen, welche ebenfalls wie die Formgebungen ihren Ursprung<br />

im Mittelalter hatten, werden zum Teil auf heutige Wagenburgbewohner übertragen, im<br />

Speziellen finden sich hier vor allem Zuschreibungen in Verbindung <strong>mit</strong> der ethnischen<br />

Minderheit der Sinti und Roma, sowie ein medial ver<strong>mit</strong>teltes Bild von Kriminalität, was zu<br />

Ausschluss und Stigmatisierung führt. 21 (➣ 3.5.1 und 3.5.2)<br />

Aber auch positivistische Ausführungen jener Zeit von Freiheit und Ungebundenheit,<br />

erweitert um einen verklärten Roussea′schen Naturbegriff, dienen als stereotypische<br />

Fremdzuschreibung des Lebensmilieus. (➣ 3.5.1 und 3.5.2)<br />

Darüber hinaus zeigt sich Morus′ utopischer Gegenweltentwurf, im gegenwärtigen<br />

Wagenburgphänomen oftmals als realweltlich experimenteller Annäherungsversuch, der um<br />

basisdemokratische Konsensfindung und minimalistischen Konsum erweitert wird. 22 (➣ 3.2.3<br />

und 3.2.8)<br />

Was einst die verteidigungstechnische Umwallung des Kernstadtgebietes darstellte,<br />

paust sich heute als Umgrenzung des Citybereiches durch. Noch immer dient diese historisch<br />

gewachsene Stadtstruktur zur Kontrolle und Exklusion von Wagenbewohnern, wie das<br />

Beispiel des Zähringer Altstadtkerns Freiburgs zeigen wird. (➣ 3.2.3 und 3.2.5)<br />

War die aufkommende Industrialisierung <strong>mit</strong> der einhergehenden<br />

Bevölkerungsexplosion in den Städte Auslöser für Verelendung und Wohnungsnot der<br />

arbeitenden Klasse des 19. Jahrhunderts, so sind es nun neoliberale Mechanismen <strong>einer</strong> freien<br />

Marktwirtschaft, welche Teile der arbeitslosen Klasse zum Bezug eines Wagens bewegt.<br />

Soziale Sicherungssysteme bauten sich im ersten Falle erst auf und stellen im zweiten eine<br />

inadäquate Versorgung dar. (➣ 3.2.1 und 3.2.4)<br />

Darüber hinaus zeigt sich der rechtliche Rahmen des Vereins, noch immer, mehr als<br />

150 Jahre nach Robert Owen, als geeignete Rechtsform, um in privaten Trägerschaften<br />

Wohnraumprojekte wie die <strong>einer</strong> Wagenburg <strong>mit</strong>tel- oder gar langfristig sicher im Raum zu<br />

etablieren. Die Gründung <strong>einer</strong> Gesellschaft <strong>mit</strong> beschränkter Haftung kann darüber hinaus<br />

eine Verbesserung des monetären und rechtlichen Hintergrunds darstellen. (➣ 3.2.3 und<br />

3.2.8)<br />

Die drei Axiome Selbsthilfe, Selbstbestimmung und Selbstversorgung, Owens′<br />

kooperative kollektivistische Wohnraumprojekte, stellen sich heute im Wunsch nach<br />

21 Darüber hinaus sieht sich ein Teil der im Wagen lebenden selbst in der Tradition der<br />

Fahrenden. (➣ 3.2.6 und 3.2.8) aber auch: (KROPP 1996; MEYER 1984)<br />

22 Bei <strong>einer</strong> Fortführung der gedanklichen Verquickung des Utopiegedankens von Morus über<br />

Campellas Sonnenstaat und Francis Bacons New Atlantis gelangt man zu einem<br />

humanistischen Dystopieentwurf des 20. Jahrhunderts <strong>mit</strong> expliziten Darstellungen <strong>einer</strong><br />

Lebenswelt in Wägen am Ende des Buches Fahrenheit 451 von Ray Bradbury’s aus dem<br />

Jahre 1953.<br />

19


Hybridhistorie<br />

Autonomie bei allen Wagenburgen dar. Eine Autonomie, die neben Selbstbestimmung und<br />

Selbstverwaltung die rechtlich abgesicherte Existenz im Raum verlangt. Autarkie und<br />

Selbstversorgung spielen bei Wagenburgen im urbanen Raum keine oder nur bedingt bei der<br />

Energiegrundversorgung eine Rolle. Im Gegensatz hierzu stehen rurale Kommunen, welche<br />

durch Agrikultur einen höheren Selbstversorgungsgrad erreichen. (➣ 3.2.3 – 3.2.8 und 3.4.2)<br />

Eine letzte abschließende dialektisch historische Synthese bringt die sozialen<br />

Bewegungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts in Bezug zu <strong>einer</strong> Wagenburgkultur. Hierbei<br />

zeigt sich, dass Bewegungselemente aller großen sozialen Proteste wie Friedens-, Ökologie-,<br />

Anti-Atomstrom- oder Emanzipationsbewegung sich in das Profil der einzelnen<br />

Wagenburgen eingeschrieben haben. Das eigene Wohnumfeld kann als Erweiterung der<br />

oftmals institutionalisierten und diskursiv vermarkteten Bewegungen gesehen werden. So<br />

finden sich reine Frauenwagenburgen, Wagenburgen <strong>mit</strong> starker ökologischer Ausrichtung<br />

fern jeglicher Atomstromsteckdose, aber auch Wagenburgen, welche durch Sub-Kultur-<br />

Bewegungen, wie die <strong>einer</strong> anarchistischen Punkszene oder <strong>einer</strong> avantgardistischen<br />

Kunstszene, gebildet wurden. Darüber hinaus gibt es Wagenburgen, die sich aus<br />

Obdachlosigkeit und finanzieller Notlage gruppieren – was nicht <strong>einer</strong> sozialen Bewegung<br />

konkret entspricht –, wenngleich es doch die größte historische Konstante darstellt. Allen<br />

Gruppierungen und Strömungsrichtungen ist gemein, dass Wagenburgen eine Wohnform<br />

darstellen, innerhalb derer sich zentrale Werte <strong>einer</strong> identitätsstiftenden Maxime<br />

verwirklichen lassen, sei es ökologischer, sozialökonomischer, post-feministischer, familiärer,<br />

monetärer oder avantgardistischer- Natur.<br />

Auf der Grundlage dieser vorläufigen Definition werden sich in der folgenden<br />

Fallstudie die Postmodernen Wirkungsmechanismen einschreiben und zeigen. Stichworte sind<br />

hierbei: Pluralisierung der Lebensstile, multizentrische Stadtstruktur, Engagement in Mikro-<br />

und Subpolitik, Gated-Communities, Partizipation, Skeptizismus, Fragmentation, Parataxe,<br />

Lebensgemeinschaft, Patchwork-Familie, Dezentrale Überwachung, Hybrid-Architektur und<br />

Ästhetizismus. Eine Herleitung dieser Analyseaspekten befindet sich im Anhang (➣ 6.1.1).<br />

(HALL 1998: 82 ff.; IHAD 1982: 267-268; MALPAS 2005: 7-8; SHORT 1996: 32 ff.; Beck 1997:<br />

28 ff.)<br />

Was sich zunächst am Übergang zur Postmoderne aus <strong>einer</strong> klar linksgerichteten<br />

Hausbesetzer-Szene herausentwickelt hat, differenzierte sich binnen 25 Jahren in die<br />

verschiedensten Sozialfelder hinein. Die Wagenburgkultur an sich stellt hierbei nur bedingt<br />

eine soziale Bewegung dar, zu different manifestiert sich die jeweilige Struktur der einzelnen<br />

Wagenplätze. Zu mannigfaltig sind die einzelnen Beweggründe, die eine Wagenbündelung<br />

zur Burg bewirken.<br />

Von Flensburg bis Freiburg befinden sich derzeit mehr als 160 Wagenplätze dezentral<br />

in allen Teilen Deutschlands, wobei der Verteilungsschwerpunkt deutlich auf den<br />

westdeutschen Bundesländern liegt. Sämtliche innerdeutschen Millionenstädte weisen<br />

mehrere Wagenburgen aus. Sieben der neun Städte <strong>mit</strong> mehr als 500.000 Einwohnern<br />

20


Hybridhistorie<br />

besitzen Wagenburgen (Ausnahme: Stuttgart und Essen). Hessen, Nordrhein-Westfalen, die<br />

monozentrischen Ballungsgebiete Hamburg und Bremen sowie Hannover weisen die höchste<br />

Dichte auf. Die beiden polyzentrischen Ballungsräume Rhein-Ruhr, sowie Rhein-Main sind<br />

ebenfalls dicht <strong>mit</strong> Wagenburgen besetzt.<br />

Im Gegensatz hierzu weisen die östlichen Bundesländer nur eine sehr punktuelle<br />

Verteilung auf, wobei ein Vergleich <strong>mit</strong> früheren Auflistungen der Plätze zeigt, dass gerade<br />

seit circa 10 Jahren immer mehr Wagenburgformationen auch dort entstehen (Dresden,<br />

Leipzig, Rostock, Zittau). Zusammen <strong>mit</strong> Hamburg bildet Berlin das innerdeutsche<br />

Wagenburgagglomerationszentrum, wobei sich im Falle der Hauptstadt eine Verlagerung des<br />

Schwerpunktes in den letzten 5 Jahren aus dem ehemaligen Westteil in den ehemaligen<br />

Ostteil der Stadt feststellen lässt. (vgl.: ERNST 1995: 10; LANG 1979: 419)<br />

Darüber hinaus steht die innerdeutsche Verteilungsstruktur im engem Zusammenhang<br />

<strong>mit</strong> dem Hochschulangebot der Städte. So weisen mehr als 65 % der 74 deutschen<br />

Hochschulstädte eine Wagenburg aus. 23 Hingegen neigen Städte <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> starken<br />

rechtsextremistischen Szene dazu, keine Wagenburgen auszubilden. 24 Hiervon sind vor allem<br />

Mittel- und Kleinstädte betroffen, welche darüber hinaus über keine Universität verfügen. 25<br />

Differenzierend muss zur folgenden graphischen gesamtdeutschen Betrachtung 26<br />

hinzugefügt werden, dass die meisten Wagenburgen hinsichtlich des rechtlichen Rahmens<br />

und der da<strong>mit</strong> verbundenen Absicherung im Raum oftmals auf labilem Fundament stehen.<br />

Die Skala reicht hierbei von Wagenburgen, welche akut durch Räumung bedroht sind, über<br />

solche <strong>mit</strong> mündlichen Duldungsabsprachen, Nutzungsverträgen, Pachtverträgen, bis zu<br />

Wagenplätze auf Vereins- oder Genossenschaftsbasis und Privateigentumsverhältnissen.<br />

Dieser Umstand trägt dazu bei, dass eine räumliche Zuordnung nur bedingt eine empirische<br />

Reichweite zeigen kann. Auch tragen sich Wagenburgen, welche keine Kapazität in Form von<br />

Gästewagen oder Durchfahrerplätzen haben, oder unter städtischer Leitung stehen, tendenziell<br />

nicht in Auflistungen ein. 27<br />

Nichtsdestotrotz sind die folgenden Angaben alle nach bestem Wissen und Gewissen<br />

erstellt worden. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass, bedingt durch den mobilen<br />

und flexiblen Charakter des Phänomens, es eine Vielzahl weiterer Plätze gibt, welche sich im<br />

urbanen und ruralen Raum zeitweise befinden. (Quellen: SCHÖNFELD 2000: 7; VOGELFRAI<br />

2006: 35; http://www.wagendorf.de/index.php/Karte; sowie mündlich).<br />

23 Liste der deutschen Hochschulstädte: http://www.studis-online.de/StudInfo/hochschule.php<br />

24 Liste Rechtsextremer Vereinigungen: http://www.extremismus.com/texte/rex12.pdf<br />

25 Wagenburgen im nahen Ausland: Paris, Straßburg, Kopenhagen, Amsterdam, Bern, Wien.<br />

26 Eine alphabetische Listung der Wagenburgen (➣ 6.1.2)<br />

27 Für Freiburg steht daher oft zu lesen 2-3 (➣ 3.2.3 und 3.2.8).<br />

21


3 Aspekte <strong>einer</strong> Lebenswelt am Beispiel Freiburg im Breisgau<br />

Lebenswelt<br />

Um das gegenwärtige postmoderne Phänomen der Wagenburgkultur in Freiburg 30 zu<br />

beschreiben ist es von großem Nutzen, noch einmal einen kleinen Schritt zurück in die<br />

Moderne zu machen, um die vielschichtigen Parallelen zu <strong>einer</strong> anderen mobilen Lebenswelt<br />

aufzuzeigen – die der Sinti. Hierbei handelt es sich per Selbstdefinition und innerer<br />

struktureller Bedingtheit um einen Lebensstil anderer Qualität, jedoch finden sich in den<br />

Wechselwirkungen nach Außen sowie in den geographischen Erscheinungspunkten markante<br />

Übereinstimmungen zwischen beiden Phänomenen.<br />

3.1 Urbane Genese<br />

3.1.1 Konzentrationslager und Kiesgrube<br />

Im Stadtarchiv Freiburg findet sich der erste Berührungspunkt zur Kultur der Sinti und<br />

Roma in Form eines administrativen Schreibens aus dem Jahre 1884. Unter dem Datum des 5.<br />

Februar berichtet der Stadtrat dem Bezirksamt, dass der Viehmarkt-Platz aus der Faulerstraße<br />

verlegt worden ist. Und dass er von nun ab nicht mehr als Aufenthaltsort für „Spengler und<br />

Zigeuner“ genutzt werden sollte, um den Bau eines großflächigen industriellen Schlachthofs<br />

am ehemaligen Viehmarktplatz nicht zu tangieren. Der Nutzungswandel der Frei- und<br />

Marktfläche, welche ehemals zum Rayongebiet der nunmehr geschliffenen Vauban′schen<br />

Verteidigungsanlagen gehörte, führte zu <strong>einer</strong> institutionell verordneten Verlegung. Bei der<br />

Genese des postmodernen Wagenburgphänomens wird demselben Areal nochmals, als<br />

erneute Freifläche in Form innerstädtischer Brache, Bedeutung zukommen.<br />

Nach Wegfall der Faulerflächen wurde ein neuer Platz östlich der Stadt am<br />

Dreisamufer ausgewiesen, welcher erst nach mehreren Jahrzehnten im Jahr 1907 zu Protesten<br />

von Lokalvereinen führt und erneut verlegt wird. (MEHL / DETTL<strong>IN</strong>G 1978: 2 f.) 31<br />

Auch auf nationaler Ebene versuchten die Städte, sich untereinander zu koordinieren;<br />

so wurde auf Initiative des Deutschen Städtetagebundes hin im Jahr 1929 ein Berichtsheft zur<br />

„Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ erstellt, worin verschiedene „Lösungsansätze“<br />

diskutiert und verglichen werden. Die Frage, ob man Niederlassungen <strong>mit</strong> Wagen auf<br />

Privatgrundstücken verbieten sollte, wird diskutiert, jedoch nicht beantwortet. Bei k<strong>einer</strong><br />

innerdeutschen Stadt gab es zu jenem Zeitpunkt ein solches Verbot. (MEHL / DETTL<strong>IN</strong>G 1978:<br />

6)<br />

29<br />

Blankokarte Quelle: http//:www.recherchehilfen.de/karte_deutschland.gif<br />

30<br />

Freiburg 2006: 153,06 km2/ 214210 Einwohner / Haushaltsbudget 1,2 Milliarden Euro<br />

(EUROPEAN SECRETARY ICLEI 2006: 1)<br />

31<br />

Hierbei muss kritisch angemerkt werden, dass diese verschriftlichte Hauptquelle vom Leiter<br />

des Sozial- und Jugendamtes der Stadt Freiburg angefertigt wurde und dass bis zum heutigen<br />

Zeitpunkt keine milieuinterne Geschichtsschreibung vorliegt.<br />

23


Lebenswelt<br />

Frankfurt am Main hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine Siedlung außerhalb der<br />

Stadt für fahrende Minderheiten errichtet. In vielen anderen deutschen Städten wurde<br />

versucht, <strong>mit</strong> Privatwohnungen eine dezentrale Integration zu leisten. Hierbei wären zum<br />

Beispiel Hannover, Herford, Kiel oder Minden zu nennen. Freiburg gehörte zusammen <strong>mit</strong><br />

Frankfurt an der Oder und Darmstadt zu jenen Städten, welche einen offiziellen<br />

Landfahrerplatz außerhalb der Stadt ausgewiesen hatten. Die Fläche für mobile Wohnformen<br />

befand sich im Westen der Stadt jenseits des Bahnkörpers in un<strong>mit</strong>telbarer Nähe zum<br />

städtischen Zentralfriedhof (Hugstetter Straße). Der im Volksmund betitelte „Zigeunerplatz“<br />

lag hier in <strong>einer</strong> 4 bis 6 Meter tiefen Kiesgrube, wo der Aufenthalt polizeilich kontrolliert<br />

wurde und „nach Ablauf <strong>einer</strong> genehmigten Frist müsse [hier] <strong>mit</strong> aller Strenge auf eine<br />

Weiterreise bestanden werden.“ (MEHL / DETTL<strong>IN</strong>G 1978: 4 ff.).<br />

Unter dem Stichwort „Straßenbetteln und Zigeuner“ wird man im Stadtarchiv weiter<br />

fündig, Dokumente der Jahre 1920 bis 1939 sind in Aktenform einsehbar. Es finden sich<br />

Befürchtungen, die oftmals kinderreichen Familien könnten der Stadtkasse zur Last fallen. Es<br />

werden Überlegungen angestellt, das Verpachten von Privatflächen an Wagenbesitzer zu<br />

verbieten. Verschiedene Verlegungen des Platzes werden erwogen, um ein nahe liegendes<br />

Bauvorhaben nicht zu behindern. Als intolerabel wird hierbei oftmals schon der reine<br />

Sichtkontakt empfunden. So drängt das Liegenschaftsamt im Jahre 1933 darauf, einen<br />

anderen Standort zu finden, da immer mehr Wagen auch außerhalb der Senke zu sehen sind.<br />

Ein ehemaliger Exerzierplatz, ein unbenutzter Fliegerschießstand (Mooswald), sowie eine<br />

weitere Kiesgrube (Lehenerstraße) werden als Verschiebungsstandorte angedacht.<br />

Im Jahre 1935 kommt es dann zur Umsiedlung der Wagen in eine andere stillgelegte<br />

Kiesgrube zwischen Güterbahntrasse und landwirtschaftlichen Nutzflächen am westlichen<br />

Stadtrand (Opfingerstraße). Die 2900 qm umfassende Senke wird von der Stadt Freiburg von<br />

einem lokalen Bauunternehmer für 25 Reichsmark pro Jahr gepachtet. Eine vierteljährliche<br />

Kündigungsfrist gewährt dem Eigentümer weiterhin einen kurzfristigen Nutzungswandel des<br />

Geländes. Im Vergleich zum vorhergehenden Grubenplatz beträgt nun die Entfernung zur<br />

Kernstadt mehr als das Dreifache (circa 4 km). Weitere Folge ist auch, dass an anderen<br />

Stellen der Stadt keine Wagen mehr geduldet werden, wodurch die Einsprüche von Seiten<br />

verschiedenster Interessengruppen gegen den einen verbliebenen Platz jedoch nicht aufhören.<br />

So legt die Badische Kraftlieferungs-Gesellschaft eine Verwahrung beim Oberbürgermeister<br />

der Stadt ein, da sie beabsichtige, im Umfeld der Grube Elektrizitätswerkpersonal<br />

anzusiedeln: “Wir beabsichtigen durch die Einlegung dieses Protestes nicht, unserer Firma<br />

irgendwelche Vorspanndienste zu leisten, wie wir auch ebenso wenig dem fahrenden Volk die<br />

Berechtigung absprechen, als Volksgenossen zu leben. Wir haben lediglich das eine Interesse,<br />

unsere Arbeitskameraden vor einem gewissen Minderwertigkeitsgefühl zu bewahren, als<br />

schaffende Menschen im Kreise fahrenden Volkes leben und wohnen zu müssen.“ (MEHL /<br />

DETTL<strong>IN</strong>G 1978: 5)<br />

24


Abb. 10 u.11: Polizei kontrolliert und registriert Wagenbewohner der Sinti-Minderheit<br />

(Quelle: MEHL / DETTL<strong>IN</strong>G 1978: 1-2)<br />

Lebenswelt<br />

Aufgrund anhaltenden Drucks von Seiten des Elektrizitätsunternehmens wurde in der<br />

Folgezeit erneut nach einem Abschiebeplatz gesucht. So gab es zeitweise Überlegungen, eine<br />

Fläche nahe dem städtischen Verrieselungsfeld im Westen auszuweisen (Dreiecksplatz am<br />

Rieselfeld). Mit <strong>einer</strong> weiteren Kiesgrube in einem noch stadtentfernteren Gewann (Haid)<br />

wurde man dann jedoch fündig, wobei zum damaligen Zeitpunkt das Gelände zur<br />

umliegenden Gemeinde (St. Georgen) gehörte. Unter Nichtbeachtung der Gemarkungsgrenze<br />

übernahm die Stadt Freiburg die entstehenden Kosten für den Abtransport der Wagen <strong>mit</strong><br />

Hilfe von Zugpferden (6. Mai 1935) und schob sämtliche Familien ab.<br />

Der Bürgermeister von St. Georgen wurde daraufhin im Freiburger Rathaus vorstellig<br />

und verlangte die Ordnungswidrigkeit umgehend wieder zu beseitigen. Nun entschied man<br />

sich, die Sintifamilien aufzulösen, indem man die arbeitsfähigen Männer in ein Arbeitslager<br />

einweisen würde (Günterstal), die Frauen in eine Heimanstalt (Augustinusheim) und die<br />

Kinder in ein städtischen Waisenhaus - wenn sie nicht un<strong>mit</strong>telbar die Stadt und das nahe<br />

Umland verlassen würden. Durch Androhung der sofortigen Vollstreckung der Maßnahmen<br />

verließen daraufhin alle Wagenbewohner der ethnischen Minderheit St. Georgen und das<br />

Stadtgebiet. (MEHL / DETTL<strong>IN</strong>G 1978: 4-6)<br />

Über die folgenden Jahre nach 1935 finden sich keine schriftlichen Dokumente mehr,<br />

die vom Umgang <strong>mit</strong> oder dem Verbleib von ethnischen Minderheiten oder anderen<br />

Angehörigen mobiler Gruppierungen berichten. In den Akten des Stadtarchivs befindet sich<br />

lediglich ein Runderlass des Reichsministeriums des Innern vom 8. Dezember 1938 über die<br />

„Bekämpfung der Zigeunerplage“. Anknüpfungspunkt danach stellen erst wieder die hier<br />

zitierte Niederschriften des Leiters vom Sozial- und Jugendamt Herr Mehl aus den 1970er<br />

Jahren dar. 32<br />

Um die totalitären Herrschaftsstrukturen des Dritten Reiches, und das zugrunde<br />

liegende Menschenbild im Speziellen, zu veranschaulichen, genügt es jedoch vielleicht,<br />

einen kurzen Auszug aus dem verbliebenen Dokument wiederzugeben, um die administrative<br />

32 Auf Landesebene war das Jugendamt bis 1952 dem Innenministerium unterstellt.<br />

25


Lebenswelt<br />

Wegbereitung zum Genozid nachvollziehen zu können. „Die bisher bei der Bekämpfung der<br />

Zigeunerplage gesammelten Erfahrungen und die durch rassenbiologische Forschungen<br />

gewonnenen Erkenntnisse lassen es angezeigt erscheinen, die Regelungen der Zigeunerfrage<br />

aus dem Wesen dieser Rasse heraus in Angriff zu nehmen“, und etwas weiter liest man, „bei<br />

allen Zigeunern und nach Zigeunerart umherziehenden Personen ist zu prüfen, ob die<br />

Voraussetzung der Bestimmung über vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei<br />

gegeben ist (Gefährdung der Allgemeinheit durch asoziales Verhalten). Hierbei ist ein<br />

besonders strenger Maßstab anzulegen.“ Es ist im folgenden die Sprache von<br />

„Ehegesundheitsgesetzen“ und „Ehetauglichkeitszeugnissen“ sowie von den „ausdrücklichen<br />

Vermerken, dass es sich bei dem Antragsteller um einen Zigeuner (...) Zigeunermischling<br />

oder eine nach Zigeunerart umherziehende Person“ handelt. 33<br />

Was die kategorische Erfassung von mobilen Minderheiten anbelangt, so weist die<br />

Nachkriegszeit keinen neuen Absatz in der Linearität der Geschichte auf. Weiterhin bemüht<br />

man sich um das „Zigeunerproblem“ und bedient sich der gesetzlichen Paragraphen von<br />

1936, in welchen die Stadt Freiburg festlegte, dass nach dreitägigem Aufenthalt die<br />

Weiterfahrt angeordnet werden muss. „Dabei kann zunächst einmal davon ausgegangen<br />

werden, daß sich in der Bevölkerung die Einstellung zu den umherziehenden Zigeunern auch<br />

durch das Geschehen im Dritten Reich <strong>mit</strong> der Verfolgung dieses Volkes nicht wesentlich<br />

geändert hat.“ (MEHL / DETTL<strong>IN</strong>G 1978: 8 f.) Nicht nur mentalgeschichtliche Kontinuität<br />

begleitet das Phänomen weiterhin, auch zeigt sich bei der räumlichen Verortung kein Bruch<br />

oder gar Neuanfang.<br />

Die stadtnahe Gemeinde St. Georgen, welche vor Beginn des Krieges letzte Station<br />

von Wagenbewohnern war, ist nun wieder Anknüpfungspunkt für eine Gruppe von circa 30<br />

Familien, die im Dritten Reich als Zigeuner klassifiziert und interniert wurden. Unweit des<br />

städtischen Rieselfeldes finden sich im Galgenwäldchen (heute: Am Lindenwäldle) 1949<br />

erneut Familien der ethnischen Minderheit ein, welche daraufhin abermals in eine Kiesgrube<br />

500 m westlich verlegt werden.<br />

Im Folgenden kommt es 1950 zu <strong>einer</strong> weiteren Verschiebung und der Schließung<br />

eines geographischen Zirkels. Die in Wagen lebenden Großfamilien werden in dieselbe Grube<br />

33 Im Zweiten Weltkrieg wurden zwischen 250 000 und 1 Million Menschen ermordet, die<br />

als Zigeuner klassifiziert wurden. „Nach dem zweiten Weltkrieg führten so genannte<br />

Landfahrerzentralen der Polizei weiterhin systematische Erfassungen der Sinti und Roma<br />

durch. Katalogisierungsnummern waren hierbei die selben, welche durch SS-Personal in den<br />

Konzentrationslagern eintätowiert wurden. Auch Baden-Württemberg gab nach dem Krieg<br />

einen "Leitfaden zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens heraus," der den Beamten im Duktus<br />

der NS-Zeit "bis zur endgültigen Lösung des Zigeunerproblems" eine vorläufige Hilfe sein<br />

sollte. Quelle: http://www.zigeuner.de/sinti_und_roma_seit_600_jahren.htm.<br />

vgl: http://www.sub.uni-hamburg.de/opus/volltexte/2004/2247/<br />

26


Lebenswelt<br />

verwiesen, welche bis 1935 der Verbleibeort anderer Sinti darstellte (Opfingerstraße). So<strong>mit</strong><br />

ist nach mehr als 15 Jahren die Lagekontinuität des Phänomens wieder hergestellt.<br />

Weiterhin werden Ansiedlungen in unterschiedlichsten Freiburger Stadtteilen und<br />

Integrationsversuche durch Dezentralisierung von administrativer Seite stets unterbunden.<br />

Sesshafte Stadtbürger reichen Klagen ein, dass außerhalb der Grube Wagen zu sehen seien,<br />

woraufhin die Wagenansammlungen im Umfeld der Senke durch polizeiliche Kräfte geräumt<br />

und zu einem Verbleiben in der Grube gezwungen werden.<br />

Abb. 12: Sinti-Frau <strong>mit</strong> Kind am Stadtrand<br />

von Freiburg. (Mehl / Dettling 1978: 9)<br />

Erst allmählich verändert sich die<br />

Situation und die da<strong>mit</strong> verbundene<br />

geographische Lage der ethnischen Minderheit.<br />

Im Zuge <strong>einer</strong> neu entstandenen<br />

„Fürsorgepflicht“ Anfang der 1960er Jahre,<br />

welche in einem vergrößerten kontextualen<br />

Entwicklungsrahmen gesehen werden muss,<br />

werden von Seiten der Administration Pläne<br />

ausgearbeitet, welche die Wohnsituation der<br />

ethnischen Minderheit zu verbessern suchen. 34 Zu<br />

den zeitgeschichtlichen Ereignissen der 60er<br />

Jahre, die in Verbindung <strong>mit</strong> diversen Lösungsansätzen gesehen werden können, gehört ein<br />

verstärkter Zuzug verschiedenster Ethnien aus unabhängig gewordenen Kolonien ins<br />

benachbarte europäische Ausland. Eine zunehmende Anzahl an „Gastarbeiter“ ist für die<br />

wirtschaftliche Produktion in Deutschland tätig. Wachsendes Bruttoinlandsprodukt und<br />

materieller Wohlstand folgen. Das Zusammenwachsen der Europäischen Mitgliedstaaten und<br />

im Besonderen ein 1969 veröffentlichter Bericht zur Lage „der Zigeuner“ in der jungen<br />

Staatengemeinschaft folgen. Sowie eine verstärkte Debatte über Wiedergutmachungen und<br />

eine aufkommende intensivierte Auseinandersetzung <strong>mit</strong> dem Holocaust. All diese Faktoren<br />

führen zusammen <strong>mit</strong> den Raumansprüchen eines neuen courbousier′schen Stadtteils<br />

(Weingarten) zu einem marginalen , jedoch geographisch wahrnehmbaren, Gesinnungswandel<br />

und zur Ausarbeitung <strong>einer</strong> Barackensiedlung urbanen Charakters an der nördlichen Seite des<br />

städtischen Rieselfeldes (Mundenhofstraße).<br />

Neben vier Steinbaracken für insgesamt 26 Familien (139 Sinti) wurden noch zwei<br />

weitere Baracken errichtet für den temporären Aufenthalt von Landfahrern. Bei Planungs-<br />

und Entwicklungsprozessen wurde k<strong>einer</strong> der späteren Bewohner <strong>mit</strong> integriert. Die<br />

räumliche Nachbarschaft zu den noch aktiven städtischen Verrieselungsflächen führte<br />

zeitweise zu immensen Geruchsbelästigungen. Nierenerkrankungen häufen sich im<br />

Zusammenhang <strong>mit</strong> zugigen sanitären Einrichtungen, und so konnten „auch die baulichen<br />

34 Paradox erscheint die Freiburger Pioniertat im Kontext eines einmaligen<br />

Reichstagsbeschlusses durch Kaiser Maximillian I in Freiburg aus dem Jahr 1498, in dem<br />

man die Angehörigen dieser Minderheit als entrechtet und vogelfrei erklärte. (SCHUBERT<br />

1995: 363)<br />

27


Lebenswelt<br />

Verbesserungen (...) die wachsende Unzufriedenheit unter den Bewohnern nicht mehr<br />

abwehren“ (MEHL / DETTL<strong>IN</strong>G 1978: 13). Infolgedessen zogen im März 1972 fast alle<br />

Bewohner wieder aus der Barackensiedlung aus und weigerten sich, dem städtischen<br />

„Lösungsansatz“ Folge zu leisten.<br />

Um den kognitiven Hintergrund 35 dieses gescheiterten Versuchs zu beleuchten, scheint<br />

es angebracht, dem Sprachduktus des damaligen Sozial- und Jugendamtleiters (Herr Flamm)<br />

kurze Aufmerksamkeit zu schenken. „Zu den Sozialisationsvoraussetzungen gehört<br />

insbesondere zunächst auch die Überwindung tradierter Vorstellungen. Begriffe der<br />

Zivilisation, der Eigentumsordnung, der Familienordnung, usw. müssen erst entwickelt<br />

werden. So hat die Sozialisation durchaus auch andere Akzente als jene der Resozialisation<br />

von anderen Gefährdeten- und Nichtsesshaftengruppen. Für die Entwicklung solcher neuer<br />

Vorstellungen scheint die siedlungsmäßige Zusammenfassung der Zigeuner und Landfahrer<br />

in <strong>einer</strong> besonderen Siedlung durch bessere Einwirkungs- und Beeinflussungsmöglichkeiten<br />

und planmäßige Sozialisationshilfen Vorteile zu haben.“ (MEHL / DETTL<strong>IN</strong>G 1978: 12). Eine<br />

vorsichtige Deutung dieses Leitgedankens führt zu der Annahme, dass kulturelle Assimilation<br />

als Ziel <strong>mit</strong> den Bedingungen der Sesshaftmachung verknüpft wurde. „Sozialisation“,<br />

„Entwicklung“ und „Zivilisation“ entfalten ihre Wirkung durch die Beendigung eines mobilen<br />

Lebensstils, wodurch auch staatliche Überwachungs- und Steuerungsmechanismen eine<br />

effektivere Anwendung finden können. Der Auszug der Betroffenen quittierte jedoch die<br />

monistische Kulturvorstellung der administrativen Entscheidungsträger.<br />

Im Folgenden hielt man weiter am Konzept der Sesshaftmachung fest und prüfte<br />

verschiedenste im-mobile Konzepte, wie den Umbau <strong>einer</strong> ehemaligen Artilleriekaserne<br />

(Elsässerstraße) oder die Streuung der einzelnen Familien im Stadtgebiet. Schließlich<br />

entschied man sich für ein bundesdeutsch erstmaliges Konzept unter dem Schlagwort<br />

„wurzeltiefe Integration“. 140 Wohneinheiten entstanden in un<strong>mit</strong>telbarer Nähe zur<br />

Kiesgrube an der damaligen äußersten Peripherie der Stadt. Ein sozialpädagogisches<br />

Betreuungszentrum wurde errichtet (Haus Weingarten), Ganztagesbetreuung für Kinder<br />

eingerichtet, Integrationshilfegruppen für Erwachsene aufgestellt, finanziert durch<br />

kommunale Gelder und Zuschüsse von Land und Bund (1973-1977).<br />

Heute leben in Freiburg circa 80 Familien der Sinti-Ethnie, meist dezentral über das<br />

Stadtgebiet verteilt, zentralisiert um das Haus Weingarten, sowie auf zwei Wagenplätzen<br />

außerhalb der Stadt. 36<br />

35 Als Beweis für die kognitive Stigmatisierung sei hier noch ein Beitrag aus dem Feuilleton<br />

der Frankfurter Allgemeine Zeitung aus dem Jahre 1980 beigefügt: „Nicht, daß im Laufe der<br />

Zeit noch nie versucht worden wäre, dieses Nomadenerbe zu bewältigen und den Zigeunern<br />

unsere Vernunft beizubringen. (...) Die zweite Frage, woher denn die Zigeuner kamen, hat<br />

von Anfang an mehr ihre Wirtsvölker beschäftigt als sie selbst. (...) ihre Wasserscheu (...) ein<br />

Menschheitsfossil nahe der Stufe der Sammler stehengeblieben bis in die Atomzeit.“ (FAZ<br />

08.03.1980: 17)<br />

36 Quelle: Gespräch <strong>mit</strong> Prof. Dr. Matter (Ethnologie Universität Freiburg) 03.04.06.<br />

28


3.1.2 Klärwerke und Kaserne<br />

Lebenswelt<br />

Die nachfolgende entwicklungsgeschichtliche Darstellung 37 der<br />

Wagenburgdynamiken in Freiburg hat ihren Ausgang im Jahr 1987, als erstmals<br />

Wagengespanne auf den Faulerflächen eintreffen - also genau im selben innerstädtischen<br />

Bereich, wo 103 Jahre früher Mitglieder der Sinti-Ethnie zum ersten Mal geographisch<br />

lokalisierbar wurden. War es damals eine freie Marktfläche, welche <strong>mit</strong> einem modernen<br />

Schlachthof bebaut werden sollte, so ist es nun eine Brachfläche, welche durch ein<br />

Stadtteilsanierungsprogramm erschlossen werden soll und schon nach wenigen Monaten eine<br />

weitere Nutzung als Wagenplatz nicht ermöglicht.<br />

Parallel zu der entstehenden Wagenburg, die sich anfangs hauptsächlich aus Menschen<br />

<strong>einer</strong> erodierten Hausbesetzerszene zusammensetzt - die den Wagen als neuen Wohnraum<br />

entdeckten -, entwickelt sich in un<strong>mit</strong>telbarer Nachbarschaft der „Verein für Leben und<br />

Arbeiten im Grethergelände“. Diese Eigeninitiative setzt sich zum Ziel, die noch gute, wenn<br />

auch museale Bausubstanz eines ehemaligen Gießereibetriebs 38 aus Zeiten der<br />

Hochindustrialisierung zu erhalten, um kostengünstigen Wohn- und Arbeitsraum zu erstellen.<br />

Selbstverwaltung, Erbpachtzins und Muskelhypothek können die historischen Bauten vor den<br />

Abrissplänen des städtischen Sanierungsprogrammes retten und im Folgenden auch einen<br />

vorübergehenden Aufenthalt für die räumungsbedrohte Wagenburg liefern. Selbstorganisierte<br />

unkommerzielle Mietshausprojekte (wie Grether oder SUSI) bilden im Verlauf der<br />

Geschichte immer wieder Anlaufstellen für räumungsbedrohte Wagenburgen oder für durch<br />

Räumung obdachlos gewordene Bewohner.<br />

Bald schon zeigen sich jedoch zentrifugale Kräfte, die den innerstädtischen Nukleus<br />

<strong>einer</strong> Wagenburgkultur an die Stadtperipherie tragen. Räumungsandrohungen können trotz<br />

Demonstrationszügen, vehementen Einspruchs der damaligen Oppositionspartei Die Grünen<br />

nicht abgewandt werden (1988). Und so verlagern sich einzelne Wagenformationen an die<br />

westliche Stadtperipherie und auf Waldparkplätze. Auch sind städtische Campingplätze zu<br />

diesem Zeitpunkt noch bereit, Wagenbewohner über die Wintermonate aufzunehmen 39 -<br />

Räume, die sich ab Mitte der 90iger Jahre selbstausgebauten Wagen verschließen werden.<br />

37 Primäre Quelle waren hier eine milieuinterne Geschichtsschreibung des Wagenburgvereins<br />

Schattenparker (http://www.schattenparker.net/chronik) sowie die unpublizierten<br />

Niederschriften der PHK a.D. Z<strong>IN</strong>NKANN 2005. Sekundär wurden diese Historien durch eine<br />

Reihe narrativer Gespräche verifiziert, falsifizert, erweitert und vertieft, um die gewünschten<br />

geographischen Anbindungs- und Schlüsselmomente zu generieren. Die nachfolgende<br />

Chronologie versteht sich deshalb auch in erster Linie als Verschriftlichungsbeitrag <strong>einer</strong><br />

bisher größtenteils mündlich gehaltenen Überlieferung.<br />

38 Der ehemalige Graugussproduzent Grether & Cie (1888-1944) wurde ab 1983 schrittweise<br />

durch das Freiburger Mietshäusersyndikat erworben und umgestaltet.<br />

39 Zuletzt entscheidet sich der Campingplatz Hirtzberg Anfang/Mitte der 90er Jahre,<br />

selbstausgebaute Wohneinheiten nicht mehr aufzunehmen.<br />

29


Lebenswelt<br />

Nach einem Jahr am westlichen Stadtrand, wo eine ununterbrochene<br />

Siedlungskontinuität gegeben war, müssen die Wagen abermals behördlichem Druck weichen<br />

und werden daraufhin nur noch auf Flächen des städtischen Rieselfelds, in circa 2 km<br />

Entfernung von <strong>einer</strong> regulären Wohnraumbebauung, geduldet. Das städtische<br />

Verrieselungsareal bildete, wie bereits erörtert, auch das un<strong>mit</strong>telbare Wohnumfeld für<br />

Familien der Sinti vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. 1989 ist es nun die Fläche selbst,<br />

welche als Wohnraum für bis zu 56 Wagenbewohner in 8 lose zusammengefassten<br />

Wagenburgen dient, nachdem das gesamte Areal samt Absetzbecken 1986 funktionslos<br />

wurde. Die Überreste <strong>einer</strong> ehemaligen Biodüngerstoff-Fabrik (Biohum-Meyer) und deren<br />

ungenutztes Wegenetz dienen den Wagenbewohnern als Grundfläche. 40<br />

Auf dem weitläufigen Areal bilden sich Wagenburgen unter verschiedensten<br />

ökologischen oder politischen Grundprämissen heraus, wobei ein Großteil der hier Lebenden<br />

durch Eigeninitiative schlicht einen Ausweg aus der Obdachlosigkeit suchte. Eine<br />

infrastrukturelle Grundausstattung wird ihnen von Seiten der Stadt stets verweigert, um da<strong>mit</strong><br />

die Wohnbedingungen so unattraktiv wie möglich zu halten. Im Frühjahr 1992 kommt ein<br />

ersatzloser Räumungsversuch hinzu, welcher diesmal jedoch am Protest der verschiedensten<br />

sozialen Gruppen und auch Ämter scheiterte. In <strong>einer</strong> darauf folgenden Sitzung einigt sich<br />

der Gemeinderat auf den vorläufigen Fortbestand des Platzes.<br />

Aufgrund des sehr heterogenen Gruppengefüges kommt es in der Folgezeit immer<br />

wieder zu Neugruppierungen, Zuzügen und Abspaltungen. So verlässt eine Gruppe von 25<br />

Personen die ehemalige Verrieselungsfläche und bezieht eine Wiesenfläche nahe <strong>einer</strong><br />

Stadtumgehungsstraße (Im Zinklern). Woraufhin eine sofortige Räumungsverfügung ergeht,<br />

welche in einem Prozess vor dem Landgericht <strong>mit</strong> einem Vergleich endet. 1992 spaltet sich<br />

die Gruppe nach erneut eingegangener Räumungsklage in drei neue Wagenburgen auf. So<br />

entsteht in einem Schwarzwaldtal im nahegelegenen ruralen östlichen Umland eine neue<br />

Wagenburg (Höllental). Es bildet sich eine weitere nahe <strong>einer</strong> westlichen Umlandgemeinde<br />

(Hochdorf), sowie eine dritte, am südlichen Stadtrand nahe <strong>einer</strong> alten Ölmühle.<br />

Zwei wagenburgtypische Phänomene lassen sich hierbei erkennen. Zum einen führt<br />

administrativer Druck der Stadt zu <strong>einer</strong> zentrifugalen Bewegung ins Umland oder in<br />

benachbarte Städte. Zum anderen zeigt sich eine solche durch externe Faktoren initiierte<br />

Transformationsphase als wesentlicher Bestandteil <strong>einer</strong> Ausdifferenzierung des<br />

Wagenburggefüges. Es kommt zu Neuformierungen unter nuancierten Prämissen (ökologisch,<br />

familiär, politisch, freundschaftlich), wodurch sich die Gruppengröße verringert, um ein<br />

agileres Bewegen im Raum zu ermöglichen.<br />

Neben den externen, an eine Gruppe heran getragenen Transformationsinitiatoren<br />

(Räumungsbescheid, Ende eines Pachtvertrages, hinzukommende weitere<br />

Wagenburggruppierung) gibt es auch interne Faktoren (verfehlte Konsensfindung im Plenum,<br />

40 Lageskizze des damaligen Areals siehe Anhang ➣ 6.1.6<br />

30


Lebenswelt<br />

individuelle- oder familiäre Faktoren), welche zu Abspaltung, Sub- oder Neugruppierung<br />

führen. Alle Transformationsprozesse bewirken eine erneute Binnenstrukturierung bei<br />

gleichzeitiger Offenheit gegenüber Neuzuzug.<br />

Von den drei neu entstandenen Wagenburgen, die sich infolge administrativen Drucks<br />

ausdifferenzierten, blieb nur die nach ökologischen Gesichtspunkten ausgerichtete<br />

Wagenburg an der Ölmühle bestehen (➣ 3.2.7). Die anderen beiden zogen in Folge von<br />

Räumungsandrohungen der Gemeinden wieder zurück in den urbanen Raum der Stadt<br />

Freiburg (1993) und kehrten so<strong>mit</strong> die zentrifugale Bewegungsrichtung um.<br />

Im Sommer des Jahres 1993 machen sich zum ersten Mal die Auswirkungen des<br />

Mauerfalls un<strong>mit</strong>telbar im Stadtraum Freiburgs für Wagenburgbewohner bemerkbar.<br />

Nachdem Freiburg nach dem Zweiten Weltkrieg in die französische Besatzungszone gefallen<br />

war, wurde die hiesige "Albert-Schlageter“ Wehrmachtskaserne an der südlichen<br />

Stadtgebietsgrenze von 10.000 französischen Soldaten bezogen und in Quartier Vauban<br />

umbenannt. Nach dem Abklingen des Ost-West-Konfliktes wurde das Kasernengelände der<br />

Forces Françaises en Allemagne im August 1992 dann an den Bund übergeben. 41 Ein privates<br />

Sicherungsunternehmen übernimmt nun zunächst für ein knappes Jahr die Bewachung und<br />

Abriegelung des Geländes. Bald entschließt man sich von städtischer Seite jedoch, aus<br />

Kostengründen auf diese Maßnahmen zu verzichten.<br />

Ein ebenfalls von der französischen Armee hinterlassener Schießplatz ohne<br />

Folgenutzung an der nordöstlichen Peripherie der Stadt wird von zwei Wagenburgen bereits<br />

im Sommer 1992 bezogen. Ein Räumungsbescheid zwingt die Bewohner jedoch eine<br />

Ausweichfläche anzusteuern, woraufhin sie nach Absprache <strong>mit</strong> der Polizei auf das nunmehr<br />

ungenutzte Kasernengelände verwiesen werden. So entsteht direkt hinter <strong>einer</strong> provisorisch<br />

eingerichteten Notunterkunft für Obdachlose die erste Wagenburg auf dem ehemaligen<br />

Militärgelände (20.Mai 1994).<br />

In den folgenden Monaten und Jahren finden sich immer mehr<br />

Wagenburggruppierungen auf dem funktionslosen 1 km langen und 0,6 km breiten Gebiet ein.<br />

Es bilden sich Punkwagenburgen, Wagenburgen bestehend aus ehemaligen Obdachlosen,<br />

Wagenburgen aus der Anti-Atomkraft- und Ökologiebewegung, Wagenburgen <strong>mit</strong> rein<br />

familiären Strukturen und eine reine Frauenwagenburg. Mit knapp 90 Wagen entsteht so<strong>mit</strong><br />

die größte Wagenburgbündelung in der Stadtgeschichte Freiburgs.<br />

Ein zentral gelegener Sportplatz bildete die Grundfläche für mehr als 40 LKW,<br />

Zirkuswagen, Gespanne, Wohn- oder Bauwagen der insgesamt 12 autonom agierenden<br />

Wagenburgen (1995). Sanitäre Anlagen werden in Eigenregie erbaut. Eine Reparaturwerkstatt<br />

41 Die Stadt schließt 1992 <strong>mit</strong> der Bundesrepublik Deutschland einen Generalmietvertrag,<br />

welcher 1994 in einem konkreten Grundstückskaufvertrag aufgeht. (Gespräch <strong>mit</strong> Herrn Feith<br />

– Leiter der Projektgruppe Vauban am 16.11.06).<br />

31


Lebenswelt<br />

wird errichtet. Ein Kinderhort sowie ein Kinderbauernhof werden eröffnet. Politisch<br />

linksgerichtete Foren bilden sich. Unkommerzielle Kultur- und Musikveranstaltungen werden<br />

gestaltet.<br />

Die aufgezeigte rapide Rezivilisierung des Geländes bedingt sich zum einen durch die<br />

quantitativ zur Verfügung stehende Fläche, zum anderen durch die qualitativen Eigenschaften<br />

des Areals. So werden ausgediente Werkzeughallen und Kfz-Gruben nun zur Reparatur und<br />

zum Innenausbau der Wagen verwendet. Verbleibende Frischwasseranschlüsse konnten<br />

genutzt werden. Zurückgelassenes Alteisen und Bauholz wird recyclet und weiterverarbeitet.<br />

Darüber hinaus garantieren die einzelnen Kasernenblocks und Hallenkomplexe eine relative<br />

Kleinkämmerung des weitläufigen Areals für die einzelnen autonomen Wagenburgen. Und<br />

auch die Innenstadt kann binnen 10 Minuten <strong>mit</strong> dem Fahrrad erreicht werden.<br />

Ein weiterer Sachverhalt, welcher zur enormen Massierung der Wagen auf diesem<br />

Gelände beiträgt, ist eine Null-Toleranz Politik seitens der Polizeibehörde gegenüber anderen<br />

Wagenstandplätzen in der Stadt. So befinden sich lediglich auf dem Biohum-Gelände<br />

(Rieselfeld) noch eine größere Anzahl an Wagen. Alle anderen stadtinternen oder<br />

stadtperipheren Ansammlungen werden aufgelöst.<br />

Abb. 13: Zentrale Freifläche vor einem Kasernenblock Abb. 14: Umfunktionierter Doppeldecker im<br />

(Quelle: Z<strong>IN</strong>NKANN 2005: 52) Quartier-Vauban (Quelle: Z<strong>IN</strong>NKANN 2005: 53)<br />

Im Mai 1995 trifft als Folge des Balkankonfliktes eine weitere Wagenburg auf dem<br />

ehemals militärischen Quartiersgelände eine. Die Gruppe der Sinti bezieht eine Freifläche im<br />

südlichen Teil der Kaserne (heutige Gerda-Weiler-Straße), worauf es zu Spannungen <strong>mit</strong> den<br />

bereits in diesem Bereich etablierten Wagenburgen kommt und diese sich verlagern. Nach<br />

wenigen Monaten ziehen die Sinti-Familien <strong>mit</strong> ihren Wagen weiter und verlassen das<br />

Freiburger Stadtgebiet.<br />

Ab Mitte 1995 zeichnet sich für alle Wagenburgen ab, dass sie <strong>mit</strong> verminderten<br />

Raumverhältnissen zu rechnen haben, da ein Stadtteilentwicklungskonzept die<br />

Quartiersfläche erfasst hat und hieraus einen neuen Stadtteil <strong>mit</strong> Wohnhausbebauung machen<br />

32


Lebenswelt<br />

möchte (Projektgruppe Vauban). 42 Die daraufhin einsetzenden Erschließungsarbeiten drängen<br />

die Wagenbewohner immer mehr in Randlagen des Areals. Um ein Leben im Wagen<br />

fortsetzen zu können werden von den unterschiedlichen Gruppierungen verschiedenste<br />

Strategien entwickelt.<br />

Eine Wagenburgformation bezieht ein gepachtetes 6 Ar Grundstück am Fuße eines<br />

Vorbergausläufers des Schwarzwaldes (Schönberg, Gewann am Grundweg). Ermöglicht war<br />

dies durch den damalige Baubürgermeister, der die aufkommenden Engpässe erkannte, die<br />

durch den Wegfall des Vauban-Areals entstehen würde und daraufhin eine Duldung von<br />

Wagenburgen auf Privatflächen und in Landschaftsschutzgebieten zusichert, unter der<br />

Bedingung, dass es zu k<strong>einer</strong> Beeinträchtigung des natürlichen Haushalts kommt; eine<br />

geregelte Entsorgung von Müll und Abwasser gewährleistet ist; sowie eine soziale Akzeptanz<br />

bei der un<strong>mit</strong>telbaren Anwohnerschaft gegeben ist.<br />

Trotz Demonstrationen und Unterschriftenlisten 43 bewirkt der Protest eines<br />

Bürgervereins des mehr als 400 Meter entfernten Stadtteiles St. Georgen eine<br />

Räumungsklage 44 für das Flurstück an den Vorbergen des Schwarzwalds. Aufhänger sind<br />

hierbei freilaufende Hunde und eine angeblich nicht ökologische Nutzung des Flurstückes.<br />

Daraufhin verlassen die Bewohner ihren Standplatz im September 1998, bevor es zu <strong>einer</strong><br />

Beschlagnahmung der Fahrzeuge kommen kann. Nächste kurzfristige Anlaufstelle ist wieder<br />

eine noch nicht erschlossene Freifläche auf dem Vauban-Areal, bevor sich die Wagenburg bis<br />

Mitte 1999 auf einem Grundstück in <strong>einer</strong> der umliegenden Gemeinden des Stadtgebiets<br />

niederlässt (Tiengen).<br />

Um der bevorstehenden Kompletträumung des Vauban-Areals zu begegnen, gründet<br />

sich ein Verein (Queerbeet e.V.), welcher versucht, die unterschiedlichen Interessen der<br />

Wagenburgen zu bündeln und <strong>mit</strong> juristischer Hilfe zu vertreten. Ein Teil der<br />

Wagenbewohner kann sich auf Freiflächen eines Mietshäusersyndikatprojektes 45<br />

zurückziehen, welches sich die unkommerzielle Rezivilisierung von vier<br />

Mannschaftsgebäuden zur Aufgabe gemacht hat (Selbstorganisierte Siedlungsinitiative, kurz<br />

SUSI e.V.). Die hier entstehende Wagenburg wird daraufhin integraler Bestandteil des<br />

Projektes bleiben (➣ 3.2.8 Susiburg).<br />

Darüber hinaus splittern sich weiterhin kl<strong>einer</strong>e Wagenburgverbände ab und<br />

versuchen sich dezentral auf innerstädtischen Brachflächen oder auf dem ehemaligen<br />

französischen Schießstandgelände im Nordwesten der Stadt niederzulassen.<br />

42 Für 40 Millionen DM erwirbt die Stadt Freiburg das 3,5 ha Areal vom Bund, exklusive<br />

sechs Kasernenblocks des Studentenwerks und 4 Kasernenblocks des SUSI-Projekts.<br />

(Z<strong>IN</strong>NKANN 2005: 7)<br />

43 Circa 500 Anwohner aus dem Stadtteil St. Georgen<br />

44 Der Verpächter, ein ehemaliger KZ-Häftling, wird anschließend <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> Geldstrafe belegt.<br />

45 MIETSHÄUSERSYNDIKAT 2002 und 2005 stellt Einzelprojekte und auch weitere<br />

Verbindungen zu Wagenburgprojekten dar.<br />

33


Lebenswelt<br />

Beschlagnahmungen, Demonstrationen, Räumungen und Proteste begleiten so die Jahre 1996<br />

und 1997. Komplette Wagenburgen werden in <strong>einer</strong> semi-legalen Polizeiaktion auf die<br />

städtische Mülldeponie gebracht, um vier Tage später wieder von ihren Besitzern entwendet<br />

zu werden. Eine darauf folgende Gerichtsverhandlung endet im Vergleich. Am 21.06.1997<br />

kommt es dann zur endgültigen Räumung aller noch verbliebenen Wagen auf dem Gelände,<br />

um den weiteren Baufortgang der städtischen Erschließungsarbeiten fortführen zu können, die<br />

für den neu entstehenden Stadtteil Vauban vorgesehen sind.<br />

Erstmals in der Geschichte <strong>einer</strong> Freiburger Wagenburgkultur beginnt die Stadt nun zu<br />

agieren und ihr bisheriges eher reaktionäres Handlungsrepertoire, bestehend aus<br />

Räumungsklage und Exklusion, um die offizielle Ausweisung eines städtischen<br />

Wagenburgplatzes zu erweitern. Auf Grundlage eines Gemeinderatsbeschlusses wird ein<br />

Interimsstandort ausgewiesen, auf welchen die Wagenbewohner des Vauban-Areals offiziell<br />

umsiedeln können. Bei dem neuen Standort handelt es sich um eine Betonfläche eines<br />

städtischen Bauhofes neben <strong>einer</strong> stark befahrenen Durchgangsstraße in einem peripheren<br />

Industriegebiet. Unter Zahlung von monatlich 75 Euro kann hier ein Standplatz bezogen<br />

werden. Einzelnutzungsverträge müssen unterzeichnet werden, in welchen die Betreuung<br />

durch einen Sozialarbeiter festgeschrieben steht. Darüber hinaus dürfen keine weiteren<br />

rechtlichen Schritte gegen die Stadt unternommen und auch kein Anspruch auf einen<br />

Folgeplatz vor Gericht eingeklagt werden. 21 Wagenbewohner, meist höheren Alters aus den<br />

Ursprüngen der Hausbesetzerszene, akzeptieren die Verträge. Im Juni 1998 wird man 18<br />

Verbliebene auf den ersten offiziellen Freiburger Wagenplatz 500 m weiter westlich im<br />

selben Industriegebiet verlegen. Der städtisch geleitete Wagenplatz am Eselswinkel <strong>mit</strong> 31<br />

Nutzungsparzellen ist entstanden. (➣ 3.2.2 Eselswinkel)<br />

Parallel zum neuen Stadtteil Vauban auf dem ehemaligen Militärquartier entsteht auch<br />

auf dem ehemaligen städtischen Rieselfeld ein am Reissbrett entworfener Stadtteil für 10.000<br />

Bewohner. Als Folge der neuen Raumansprüche des Stadtteils kommt es auch hier zu<br />

Räumungsklagen, welche nur nach Protesten von Bürgern, Betroffenen und Sozialamt wieder<br />

rückgängig gemacht werden. Und so kommt es zum Entschluss, einen weiteren umzäunten<br />

Wagenplatz <strong>mit</strong> Parzellen unter städtischer Leitung auszuweisen. 20 Wagenbewohner, welche<br />

das Wagenleben als Alternative zur Obdachlosigkeit entdeckt haben, entscheiden sich für die<br />

Inanspruchnahme <strong>einer</strong> Parzelle. (➣ 3.2.1 Biohum)<br />

Beide städtischen Plätze, welche binnen 3 Jahren (1998 und 2001) entstanden sind,<br />

stellen jedoch für die meisten Wagenburgen keine Alternative dar. Zu restriktiv, zu peripher<br />

und ohne jedes Recht auf Selbstverwaltung zeigen sie sich unter direkter städtischer<br />

Direktion. Als Reaktion hierauf bildet sich der Verein Schattenparker, welcher sich zum Ziel<br />

gesetzt hat, einen selbstverwalteten Platz zu pachten oder zu erwerben, auf welchem dann die<br />

verschiedensten Wagenburggruppierungen erneut zusammen finden können. Als Folge<br />

fehlender adäquater städtischer Plätze zieht auch ein Teil der Wagenbewohner in umliegende<br />

Städte, im Besonderen nach Tübingen, wo Rezivilisierungsmaßnahmen <strong>einer</strong> vergleichbaren<br />

34


Lebenswelt<br />

französischen Kasernenanlage einen selbstverwalteten Wagenplatz für knapp 60 Menschen<br />

hervorgebracht hat.<br />

In Freiburg verbleiben hingegen zwei Baulücken auf dem zum Vorzeigeobjekt für<br />

nachhaltige Entwicklung avancierten Stadtteil Vauban als Anlaufstellen für Wagenburgen.<br />

Zum einen ist es eine noch unbebaute Freifläche zwischen der Wendeschleife <strong>einer</strong> neuen<br />

Stadtbahn und den Gleiskörpern der DB. Zum anderen ist es die Grundfläche von vier<br />

ehemaligen Mannschaftshäusern, 46 welche 1994 abgerissen wurden (Fahnenmastplatz).<br />

Wegen bald einsetzender Erschließungsarbeiten müssen beide Bereiche jedoch mehrmals<br />

geräumt werden. Bis zum Abschluss der Recherche zu dieser Arbeit (März 2007) liegen beide<br />

Flächen als Brache weiterhin im Stadtgebiet.<br />

Verhandlungsversuche <strong>mit</strong> Privatpersonen zur Pacht von Grundstücken scheitern über<br />

6 Jahre hinweg an Einwänden der Stadt, wodurch sich Wagenburggruppierungen stets<br />

dezentral im öffentlichen Stadtraum oder auf kurzzeitig besetzten Flächen aufhalten. Eine<br />

Sackgasse in einem Gewerbegebiet am westlichen Stadtrand (Haid- Bützingerstraße) wird der<br />

polizeilich geduldete Aufenthaltsort von 2001 bis 2003. Aufgrund parallel verlaufender<br />

Ausschlüsse in anderen Stadtteilen kommt es auch hier wieder zu <strong>einer</strong> Massierung der<br />

unterschiedlichsten Wagenburggruppierungen. Beschwerden von dortigen Betrieben bleiben<br />

nicht aus und so verteilen sich die Wagengruppierungen, nach <strong>einer</strong> eingegangenen<br />

Räumungsandrohung, erneut dezentral in der Stadt und im Umland (alter ungenutzer<br />

Messplatz, Waldparkplätze, Baggerseen, Industriebrachflächen in den Nachbargemeinden /<br />

March-Neuershausen).<br />

In der Folgezeit findet sich erneut eine öffentliche Verkehrsfläche als auszuweisender<br />

Raum für die Ansammlung von Wagen. Nun handelt es sich um eine Sackgasse neben <strong>einer</strong><br />

stark befahrenen städtischen Ausfallstraße (B3/„Am Campus“). Nutzungskonflikte <strong>mit</strong> den<br />

Bewohnern des nahe liegenden Stadtteiles (St. Georgen), welche die Sackgasse als<br />

Verbindung zu einem anschließenden Radweg nutzen, bleiben deshalb auch hier nicht aus.<br />

Die Stadt Freiburg schlägt daraufhin eine ungenutzte Baugrube in einem nahe gelegenen<br />

Industriegebiet als möglichen Bleibeort vor (Schildackerweg). Die Zufahrt über eine<br />

Kiesrampe stellt sich jedoch als zu steil heraus, als dass sie von Wagen befahren werden<br />

könnte. Auch gehört die Liegenschaft dem in Freiburg ansässigen Rüstungsunternehmen Litef<br />

und wird deshalb kategorisch abgelehnt. Festzuhalten bleibt, dass es hier zu <strong>einer</strong> räumlichen<br />

Ausweisung kommen sollte, welche zuvor schon für ein halbes Jahrhundert den Verbleibeort<br />

für Sinti-Familien darstellte.<br />

Aufgrund der nicht erfolgten Einigung kommt es zur Räumung der<br />

Wagenburgansammlung und zur Beschlagnahmung verschiedenster Wagenburgsplitter, die<br />

46 Vier Kasernenblöcke derselben soliden Bauart dienen dem Studentenwerk Freiburg zur<br />

Bereitstellung von 300 Studentenzimmern sowie dem SUSI-Projekt als kostengünstiger<br />

Wohnraum für 260 Menschen.<br />

35


Lebenswelt<br />

sich dezentral im Stadtgebiet zu verteilen suchen. Bisher offene Räume werden parallel hierzu<br />

durch bauliche Maßnahmen verschlossen (Brachflächen werden eingezäunt / der<br />

Grünstreifen, der bisher in der Sackgasse als Standplatz diente, wird <strong>mit</strong> 70 Meter<br />

Leitplanken versehen). Höhepunkt stellt die Einkesselung von 25 Wagen auf dem<br />

Fahnenmastplatz des Vaubangeländes dar, welche im Anschluss für drei Monate<br />

beschlagnahmt bleiben, 47 was die Betroffenen dazu zwingt, in bereitgestellte<br />

Kellerräumlichkeiten des SUSI-Projektes zu ziehen. Nach <strong>einer</strong> Reihe von Demonstrationen,<br />

Protestaktionen, 48 Straßentheater, Runde-Tisch Veranstaltungen, Informationsbroschüren<br />

sowie Tag der offenen Wagentür, Einsprüchen vom Evangelischen Klerus,<br />

Universitätsprofessoren und Gemeinderäten kann eine Herausgabe der Wagen gegen Zahlung<br />

<strong>einer</strong> fünfstelligen Auslösesumme bewirkt werden.<br />

Im Folgenden wird erstmalig eine städtische Fläche im Industriegebiet Nord zur<br />

Selbstverwaltung auf 5 Jahre dem Schattenparker-Verein angeboten. Der Platz befindet sich<br />

unweit des städtisch verwalteten<br />

Wagenplatz Eselswinkel an der äußersten<br />

Peripherie der Stadt und ist von der<br />

LKW-Zufahrt eines Möbelzentrums<br />

durchschnitten. Auf Grund anhaltender<br />

Beschlagnahmungsandrohungen und<br />

ausbleibender Raumalternativen wird der<br />

Platz von knapp 40 Wagenbewohnern<br />

Abb. 15: Wagenburgformation auf <strong>einer</strong> innerstädt-<br />

ischer Brachfläche kurz vor der Beschlagnahmung<br />

(Quelle: unbekannt)<br />

im September 2006 bezogen (➣ 3.2.3<br />

Schattenpark).<br />

Darüber hinaus gibt es noch<br />

kl<strong>einer</strong>e Wagenburgen auf der Gemarkungsfläche und im Stadtgebiet Freiburg, die sich auf<br />

rechtlich unsicherem Raum durch Besetzung (➣ 3.2.5 Punkburg) oder mündliche Duldung<br />

(➣ 3.2.4 Waldmenschen und 3.2.6 Urstrom) befinden.<br />

Die einzelnen acht Wagenburgen werden im Folgenden im Mittelpunkt der geographischen<br />

Betrachtung stehen.<br />

47 Längste Beschlagnahmung in der Geschichte der innerdeutschen Wagenburgkultur.<br />

48 Im innerdeutschen Kontext nimmt Freiburg eine Sonderstellung ein, was das<br />

Protestpotential anbelangt. (Anti-Faschismus Proteste der 1950er, Studentenbewegungen der<br />

1960er, oder auch die Ökologie-/Anti-Atombewegung Wyhl in den 1970/80er) „Für die<br />

1980er und frühen 1990er Jahre konnte in Freiburg ein anhaltend homogener und integrierter<br />

links-libertärer Bewegungssektor festgestellt werden. (...) Polizeistatistiken belegen, dass die<br />

Häufigkeit von Protest in Freiburg <strong>mit</strong> Protestmetropolen wie Berlin vergleichbar ist. Dies gilt<br />

insbesondere dann, wenn nicht nur die absolute Prostesthäufigkeit, sondern auch die<br />

Einwohnerzahl berücksichtigt wird.“ (HOCKE 2001: 212-213)<br />

36


3.2.1 Biohum: geleitet<br />

Lebenswelt<br />

Der heutige Wagenburgplatz Biohum ist das Resultat <strong>einer</strong> mehrjährigen Suche <strong>einer</strong><br />

Vielzahl städtischer Ämter nach <strong>einer</strong> Ausweichfläche, um die Raumanforderungen eines neu<br />

entstehenden Stadtteiles nicht zu tangieren, und es ist gleichzeitig der Versuch, eine frei<br />

gewachsene Lebenswelt innerhalb administrativer Regelungsmechanismen aufzufangen, zu<br />

kanalisieren und zu beenden.<br />

Seit Anfang 1989 haben sich in der Nähe funktionsloser Nachklärbecken des<br />

ehemaligen städtischen Verrieselungsfeldes 51 vermehrt Bau- und Wohnwagen angesammelt.<br />

Die Fläche befindet sich circa 300 m von einem nahe gelegenen Gewerbegebiet und über 1<br />

km von Wohnvierteln der Stadt entfernt. Wallartige Aufschüttungen bieten Sichtschutz und<br />

zusammen <strong>mit</strong> einem kaum genutzten Wegenetz des seit 1986 stillgelegten Biohum-Meyer<br />

Betriebs (Klärschlammverarbeitung zu Düngerprodukten) eine Lebensraumalternative für<br />

viele in der Stadt obdachlos gewordene Menschen, die sich hier <strong>mit</strong> geringem finanziellem<br />

Aufwand ein eigenes Heim in Form eines Wagens aufstellen. Darüber hinaus bietet das<br />

weitläufige Areal auch Platz für Wagenburggruppierungen anderer Prägeart - wenngleich in<br />

geringerer Umfang. (Lageskizze siehe Anhang ➣ 6.1.6)<br />

Die Raumnutzungsvorstellungen eines der größten baden-württembergischen<br />

Stadterweiterungsprojekte des ausgehenden 21sten Jahrhunderts kollidieren jedoch <strong>mit</strong> den<br />

Interessen der knapp 50 Menschen, die hier bereits leben. Bis Ende 2007 beabsichtigt man, in<br />

sukzessiver Abfolge von vier großen Bauabschnitten, eine 80 ha große Fläche infrastrukturell<br />

zu erschließen und zur Wohnraumbebauung frei zu geben. Das ansonsten agrarisch genutzte<br />

Gebiet wurde hierbei zu einem Viertel in Bauland umgewandelt. Ingesamt werden in diesem<br />

stark verdichteten neuen Stadtteil knapp 12.000 Bewohner untergebracht werden. Koordiniert<br />

und geleitet wird dieses Großvorhaben von <strong>einer</strong> dezernat- und ämterübergreifenden<br />

Projektgruppe, die <strong>mit</strong> Hilfe <strong>einer</strong> Treuhandfinanzierung außerhalb des regulären städtischen<br />

Haushaltes für die Vermarktung des Bodens und die Koordination der einzelnen Stellen<br />

verantwortlich ist. 52 Was in den 1960er Jahren der Sinti-Wagenplatz für die courbousiersche<br />

Stadterweiterung Weingarten darstellte, ist nun eine Wagenburgansammlung für das im<br />

cerdaschen Stil gehaltene Rieselfeld.<br />

Im Zuge dieser Stadterweiterung rückt die administrativ festgelegte Siedlungsgrenze<br />

durch fortschreitende infrastrukturelle Erschließungen näher an die Wagenburgen heran. Zu<br />

<strong>einer</strong> tatsächlichen Überschneidung beider Flächennutzungsansprüche kommt es nicht, die<br />

Wohnumfeldfunktion der entstehenden Familienhausbebauung schien jedoch durch das<br />

Verbleiben der Wagenburgen am äußersten südwestlichen Abschnitt des neuen Stadtteiles<br />

51 Betriebszeit : 1891 bis 1986 (HUMBERT 1997: 48 f.)<br />

52 Vgl.: ➣ 6.3.4 Interview <strong>mit</strong> Herr Klaus Siegel Leiter der Projektgruppe Rieselfeld /<br />

HUMBERT 1997: 26 ff.<br />

38


Lebenswelt<br />

stark beeinträchtigt. 53 Streunende Hunde stellten hierbei, nach Angaben des Projektleiters<br />

Siegel, die größte Gefahr für die neue Anwohnerschaft dar. Im speziellen sind hierbei Kinder<br />

gefährdet, da im Gesamtkonzept der Stadterweiterung ein Spielplatz in diesem Randbereich<br />

eingeplant wurde.<br />

Darüber hinaus führen anhaltende Imageprobleme des gesamten neuen urbanen<br />

Raumes zu <strong>einer</strong> forcierten Lösungssuche für die Wagenburgen. So sollten alle Wagen<br />

entfernt sein, ehe es zu <strong>einer</strong> Bodenabtragung im vierten Bauabschnitt und <strong>einer</strong> Einebnung<br />

verbleibender Reliefunebenheiten kommen kann, wodurch Einblick in die Wagenburgen von<br />

weit außerhalb ermöglicht wäre. Gründe für das anfänglich schlechte Image des Stadtteils<br />

lagen im hohen Anteil des Sozialwohnungsbaus, an der städtischen Randlage sowie am<br />

räumlichen Zusammenhang <strong>mit</strong> einem benachbarten Stadtquartier aus den 70er Jahren<br />

(Weingarten), welches die typischen Problemfelder <strong>einer</strong> courbousierschen Stadtarchitektur<br />

hervorbrachte. All dies führt zu <strong>einer</strong> erschwerten Ausgangslage für das Gesamtprojekt und<br />

bewirkt maßgeblich den aus- und abgrenzenden Umgang <strong>mit</strong> der Wagenburgthematik (vgl.:<br />

Interview <strong>mit</strong> Herrn Siegel ➣ 6.3.4).<br />

Zusätzlich muss in Betracht gezogen werden, dass vom Beginn der ersten<br />

Planungsschritte an eine Wagenburg für die neue urbane Erschließung keine Komponente<br />

darstellt. Kein integrativer Ansatz wird angedacht, um in einem neu entstehenden Stadtteil für<br />

über 10.000 Menschen - <strong>mit</strong> 50% sozialem Wohnungsbauanteil - eine Gruppe von 50<br />

Wagenbewohnern dauerhaft zu integrieren. In allen bauvorbereitenden Planungsschritten<br />

werden lediglich die naturräumlichen Gegebenheiten des neu zu erschließenden Areals<br />

erfasst. Die Wagenburgen als Raumkomponente wurden nachträglich von außen an das<br />

Stadtplanungsprojekt herangetragen. 54 (vgl. HUMPERT 1997: 48 ff.)<br />

Als ämterübergreifende Aufgabe wird das Phänomen erstmalig am 12.06.1997<br />

thematisiert. In einem Beschlussantrag 55 des Sozialamtes unter dem Titel „Hilfe für<br />

wohnungslose Menschen in Freiburg“ findet sich unter Ordnungspunkt 5: „Der Gemeinderat<br />

beauftragt die Verwaltung für die Bewohner der Wagenburg Biohum ein Ersatzgelände<br />

auszuweisen und die für die endgültige Beschlussfassung erforderlichen Planungsarbeiten<br />

53 Schreiben des Bauordnungsamts Herr Vetter vom 18.01.00: „Eine Belassung am alten<br />

Standort ist gleichbedeutend <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> Stagnation der Entwicklung des neuen Stadtteiles. (...)<br />

Es besteht also dringend Handlungsbedarf, da die Fläche direkt neben den vorgesehenen<br />

Familienhausgrundstücken liegen. (...) Diese Zielgruppe setzt sich erfahrungsgemäß<br />

besonders intensiv <strong>mit</strong> dem un<strong>mit</strong>telbaren Wohnumfeld auseinander, da es sich überwiegend<br />

um Familien <strong>mit</strong> kleinen Kindern handelt.“<br />

54 In den Jahren 1992 und 1996 gehen Räumungsaufforderungen vom Amt für Öffentliche<br />

Ordnung bei den Wagenburgbewohnern ein. Und nur auf höchster administrativer Ebene,<br />

unter Druck der Öffentlichkeit und durch Einwände des Sozial- und Jugendamtes kann<br />

zweimal eine ersatzlose Räumung verhindert werden.<br />

55 (Drucksache G 97 100)<br />

39


Lebenswelt<br />

durchzuführen“; woraufhin sich 16 städtische Ämter 56 auf die Suche nach einem Folgeplatz 57<br />

außerhalb der regulären Wohnraumbebauung begeben.<br />

5 Jahre später kam es dann zur offiziellen Übergabe eines städtisch geleiteten<br />

Folgeplatzes 120 Meter westlich des ehemaligen Areals in einem regionalen Grünzug des<br />

Landschaftsschutzgebiets Mooswald durch Bürgermeister Ulrich von Kirchbach (12.09.2002).<br />

Eine zeitlich befristete Nutzung auf 10 Jahre ermöglicht hier die Befreiung von der<br />

Landschaftsschutzverordnung 58 und das Erstellen eines Bebauungsplans in einem<br />

geschlossenen Waldverband. Es müssen keine Ausgleichs- oder Ersatzflächen für das<br />

Wegfallen <strong>einer</strong> 3000 qm großen Waldfläche veranschlagt werden, da versucht wird, den<br />

naturräumlichen Charakter des Schutzgebietes so weit wie möglich zu erhalten.<br />

Der Wagenplatz selbst wird nun als öffentliche Einrichtung in Form <strong>einer</strong><br />

unselbständigen Anstalt des öffentlichen Rechts betrieben. Es liegt ihm eine Satzung 59<br />

zugrunde, welche für jede der zwanzig eingerichteten Parzellen (a 100 qm) auf dem<br />

umzäunten Gelände einen Einzelnutzungsvertrag 60 vorsieht. Juristisch ausbuchstabiert steht<br />

hier, dass „kein Rechtsanspruch auf Aufrechterhaltung der öffentlichen Einrichtung besteht“<br />

61 ; dass „ein Beirat aus Vertretern der Platzbewohner/Innen, der Bürgergruppe und der Stadt“<br />

zu bilden ist; das durch die Verletzung der festgelegten Pflichten das Nutzungsverhältnis<br />

„jederzeit ohne Einhaltung <strong>einer</strong> Frist“ zu kündigen möglich ist. Zu diesen Pflichten gehören<br />

unter anderen Bestimmungen wie die maximal 30 qm umfassende Belegung der einzelnen<br />

Parzelle <strong>mit</strong> Bau- oder Wohnwagen; dass Hunde das Grundstück nicht unbeaufsichtigt<br />

verlassen dürfen; maximal ein Hund pro Person; eine Besucherpauschale von 70 Cent ab dem<br />

dritten Besuchstag; dass der Beirat über den Zuzug von neuen Personen entscheidet oder dass<br />

Vertretern der Stadt jederzeit unangekündigt Zugang zu den Gemeinschaftsflächen zu<br />

gewähren ist.<br />

Der Platz selbst bietet den Bewohnern zwei Sanitärcontainer (Fem./Mask.) und<br />

Stromanschluß. Eine monatliche Nutzungsgebühr von 50 Euro pro Person beinhaltet den<br />

gemeinschaftlichen Strom, Frisch- und Abwasser, Müllabfuhr sowie die allgemeinen<br />

Unterhaltskosten für den Platz. Der private Stromverbrauch wird über gesonderte Zähler<br />

56 Involvierte Ämter: Amt für Liegenschaften und Wohnungswesen, Amt für öffentliche<br />

Ordnung, Bauordnungsamt, Bauverwaltungsamt, Eigenbetrieb Stadtentwässerung, Forstamt,<br />

Gartenbauamt, Umweltschutzamt, Projektgruppe Rieselfeld, Rechtsamt,<br />

Regierungspräsidium, Sozial- und Jugendamt, Stadtbauamt, Tiefbauamt, sowie das<br />

Umweltschutzamt (Drucksache SO 96003).<br />

57 Von ursprünglich 128 erfassten und bewerteten Plätzen auf der gesamten Freiburger<br />

Gemarkungsfläche bleiben nach näherer Betrachtung zunächst 8, 5, später 2 und schließlich<br />

der heutige, als für die Stadt akzeptable Lösung übrig. (Drucksache G 00191)<br />

58 Befreiung nach Paragraph 62 NatSchG Abs.1.1<br />

59 (Drucksache G 02073)<br />

60 (Drucksache G 02073)<br />

61 Vorläufiges Vertragsende: April 2012.<br />

40


Lebenswelt<br />

erfasst. Die für die Errichtung des Platzes entstandenen Kosten 62 von 272 000 Euro wurden<br />

über das Treuhandkonto der Projektgruppe Rieselfeld abgewickelt und unter<br />

„Wohnumfeldverbesserung“ verbucht 63 . Folgekosten werden aus dem regulären Freiburger<br />

Jahreshaushalt beglichen. Die Errichtung erfolgte in städtischer Eigenregie, ohne die<br />

Einbindung der Bewohner und ohne eine planungstechnische Koordination <strong>mit</strong> diesen.<br />

Anzumerken bleibt hierbei, dass Erschließung und Ausstattung so gewählt wurden,<br />

dass sie dem Leitgedanken der politischen Planungsvorgaben entsprachen. „Die Infrastruktur<br />

des Platzes sollte einen bestimmten Mindeststandard nicht überschreiten, da der Wechsel in<br />

eine ‘normale Unterkunft’ auch für diese Zielgruppe erstrebenswert bleibt.“ 64 Jahrelange<br />

Diskussionen waren von Nöten, um die Errichtung eines gespendeten Blockhauses als<br />

Gemeinschaftsräumlichkeit in der Mitte des Platzes zu realisieren.<br />

Abb.17: Wagenburg <strong>mit</strong> parzellierter Struktur<br />

62 Keine städtischen Kosten- und Leistungsrechungen erfassen den projektbezogenen<br />

Arbeitsaufwand der involvierten Ämter. Ein Planungsverfahren über fünf Jahre hinweg, bei<br />

welchem zeitweise bis zu 16 Ämter <strong>mit</strong>einander kooperieren.<br />

63 (Drucksache G 97 100) Kostenintensiv war hierbei eine Druckentwässerung, welche die<br />

Abwässer gegen das eigentliche Gefälle des Geländes ins Abwassernetz des neuen Stadtteiles<br />

Rieselfeld pumpt. Weitere Kostenpunkte waren: Wasser und Stromanschluss, Freimachung<br />

des Geländes, Herstellung eines Zuwegs, Sanitärcontainer, Rekultivierung des verlassenen<br />

Areals sowie Erschließungsbeiträge. (Für eine genauere Aufschlüsselung siehe Drucksache<br />

BA 01011)<br />

64 Anfänglich war das Erstellen „einfacher Einzelunterkünfte (z.B. feste Gartenlauben) unter<br />

Beteiligung der Betroffenen“ noch vorgesehen, was jedoch im weiteren Realisationsverlauf<br />

verworfen wurde.<br />

41


Lebenswelt<br />

Zusammenfassend bleibt zu diesem Wagenplatz festzustellen, dass <strong>mit</strong> Hilfe<br />

erheblicher finanzieller Mittel 65 die ausgrenzende periphere Lage unter administrativem<br />

Regelwerk wiederhergestellt werden konnte. Ein Platz, der selbst im Herbst bei entlaubtem<br />

Mischwald von keinem der angrenzenden Waldwege oder gar vom neu entstandenen Stadtteil<br />

einsehbar ist, stellte nichtsdestotrotz für die hier lebenden Menschen eine<br />

Lebensraumalternative dar, zu welcher oftmals nur die Straße oder städtische Notunterkünfte<br />

als Gegenhorizont gesehen werden. Wohnraum im konventionellen Stil wird von allen<br />

inzwischen etwas in die Jahre gekommenen 17 verbliebenen Bewohnern einhellig abgelehnt.<br />

Durch das lange Zusammenleben hat sich ein starker Zusammenhalt in der Gruppe<br />

herausgebildet. Die Wirkungsmechanismen der Postmoderne, wie eingangs beschrieben,<br />

zeigen sich nur bedingt und in eingeschränktem Maße. Das nachfolgende Interview wird<br />

jedoch die aufgebrochene traditionelle Familienstruktur, die neue stützende Gemeinschaft des<br />

Zusammenlebens und Partizipation innerhalb eines umzäunten Wohnbereichs aufzeigen<br />

können – wenngleich sich der Exklusivitätsanspruch <strong>einer</strong> Gated-Community hier unter<br />

umgekehrtem monetären Vorzeichen zeigt. Gleichwohl, wie alle weiteren Wagenburgen trägt<br />

auch diese zu <strong>einer</strong> Pluralisierung der postmodernen Stadtlandschaft bei, wenngleich sich<br />

Heterogenität hier verstärkt in Form von Segregation und dezentralisierter<br />

Überwachungseinheit am äußersten Rande der Suburbanität widerspiegelt. 66<br />

Die folgenden qualitativen Interviewbeiträge sollen auch den quasi-objektivistischen<br />

Anfangssequenzen nicht nur als Gegengewicht dienen, sondern auch als ein Beitrag gegen die<br />

Versachlichung der menschlichen Identität verstanden werden - als eine narrativexistenzialistische<br />

Darstellung des Kulturträgers Mensch in seinem Raum. Im Anhang<br />

befinden sich eine Legende zur Transkriptionsmethodik (➣ 6.1.7), sowie die kompletten<br />

Abschriften der qualitativen Interviews (➣ 6.2), welche hier nur in stark gekürzter Fassung<br />

eingearbeitet wurden.<br />

Abb .18-20: Wagen innerhalb eines dichten Waldverbandes. (Quelle: eigen Jan/2007)<br />

65 Als Folge eines nicht integrativen Ansatzes entstehen Kosten insbesondere durch eine<br />

nachträglich einzurichtende Druckentwässerung, welche die Abwässer entgegen des<br />

regulären Geländegefälles zurück ins erhöht liegende Wohngebiet Rieselfeld pumpen muss.<br />

66 Vgl.: Klagge 1998: 139 ff.<br />

42


Lebenswelt<br />

Wilhelm (Mitte 40 - 1 Euro Schr<strong>einer</strong>eiarbeiter, gelernter KFZ Mechaniker) Sonntag, 21. Januar<br />

2007, 12:30 Uhr<br />

F: Wieso entstanden auf dem ehemaligen Biohumgelände die Wagenburgen? Wieso gerade<br />

an dieser Stelle?<br />

W: Wieso gerade da? An dieser Stelle, da sind die Leute eben von der Haid hinten geräumt<br />

worden, also die mussten da weg. Und die haben sich das dann da ausgesucht, und <strong>mit</strong><br />

Genehmigung, also, <strong>mit</strong> unter der Hand von den Bullen durften die dann dort sein. Und ich<br />

bin hier her gekommen. Sagen wir mal so aus der Not ne Tugend gemacht, ich war ja dann<br />

obdachlos. Ein Kollege hat mich eingeladen eine Zeitlang auf seinen Wagen aufzupassen und<br />

dann habe ich nach und nach ein paar Leute <strong>mit</strong>gebracht. Wir waren zuvor ja in Zelten. Mein<br />

erster Wagen war ein R4, das weiß ich noch, ein rosaroter R4, (lachen), umgebauter. Ja. Das<br />

war ein geiler Wagen. Ja, und dann nach und nach sind die Leute dann halt auch gekommen.<br />

Da haben sich die Obdachlosen dann halt gesagt, wenn ich die Möglichkeit hab in nem<br />

Wagen zu wohnen, es werden ja manchmal auch Wohnwägen und so verschenkt. Und so ist<br />

das hier auf dem Platz auf jeden Fall entstanden. Würde ich sagen. Dass viele Obdachlose<br />

gesagt haben, ne, gehen wir in Wagen. Besser.<br />

F: Was ist <strong>mit</strong> den Alternativen, die städtischen Wohneinrichtungen die es gibt oder gab?<br />

W: Da gabs damals, wir hatten es vorhin schon gehabt, da gabs gar nichts. Wo sie uns dann<br />

zweiundneunzig räumen wollten, da han wir. K<strong>einer</strong> wo hier gewohnt hat, ein Ersatzangebot<br />

gekriegt. Weder ne Wohnung oder sonst was. Da hieß es, ihr könnt ja, dann ins<br />

Obdachlosenheim gehen. (...) Das war die Alternative. Und da haben wir dann halt gesagt, ne<br />

Quatsch, wir haben ja unsere Häuser, wir haben ja unser Dach. Praktisch unsere Wohnungen.<br />

(2) Da baust du dir was auf, so ein Wohnwagen so einen alten, so einen ausramponierten, den<br />

musst du dann halt auch ausbauen, und ne Ofen rein und trallala. Nö. (2) Und dann haben wir<br />

uns halt gewehrt dagegen, dass sie uns das bisschen was wir jetzt haben auch noch<br />

wegnehmen wollen. Sprich, die Freiheit auch die du dann hast. Als Wagenburgbewohner hat<br />

man schon viele Freiheiten. (2) Du machst die Tür auf und du bist draußen.<br />

F: Warum sind diese städtischen Wohnheime keine Alternative? Worin unterscheidet sich<br />

das?<br />

W: Erstens, also ich kann jetzt nur von mir reden, aber wahrscheins von vielen anderen auch,<br />

die wo Hunde haben, Hundebesitzer. Ein Hund ist nun mal der beste Kumpel wenn man auf<br />

der Straße ist oder auch so; und den darfst du da erstmal nicht <strong>mit</strong>nehmen. Das ist ein Grund.<br />

Zweitens bis du da eingepfechert in Budenen <strong>mit</strong> zehn zwanzig Leuten zusammen, das geht<br />

nicht. Es ist nicht sauber. Es ist Gejammer. Der eine furzt, der andere scheißt sich ein, der<br />

nächste pisst sich ein, der andere kotzt sich ein. Es ist so. Es sind ein Haufen Alkoholiker<br />

darunter. Und dann wirst du konfrontiert jeden Tag <strong>mit</strong> Leuten und du sackst im Endeffekt<br />

jeden Tag immer weiter ab, weil du es ganz anders einfach nicht ertragen kannst, du musst<br />

43


Lebenswelt<br />

saufen um das ganze Gedönse zu ertragen. Und die Freiheit hast du halt hier (2) du kannst<br />

trinken wenn du Lust hast, und hast du keine Lust dann gehst du in deinen Wagen oder gehst<br />

auch raus und trinkst nichts.<br />

F: Was bekommt man vom Wohngebiet Rieselfeld so <strong>mit</strong>?<br />

W: Eigentlich gar nichts.<br />

F: Was nehmt ihr von der Infrastruktur in Anspruch?<br />

W: Den Lidl, die Straßenbahn, man ist jetzt näher an der Stadt. Die Post, durch Scheck<br />

einlösen, Apotheke, Ärzte sind hier unten.<br />

F: Hat sich da was verbessert?<br />

W: Ja, in dem Sinn schon. Man muss nicht immer ne halbe Stunde bis in die Stadt. Hat sich<br />

schon verbessert. Ich mein auch hier jetzt <strong>mit</strong> den [Sanitär-] Containern, Waschmaschine,<br />

früher musste man immer in die Wartburg [ehemaliges Obdachlosenheim] gehen zum<br />

Waschen oder Duschen. Das war schon immer ne Mords-Tour.<br />

F: Geht man jetzt weniger in die Innenstadt?<br />

W: Ja, ja viel weniger. Ich gehe jetzt vielleicht einmal im Monat. Mit dem Trekker fahren wir<br />

zum Einkaufen in den Real. Ist immer lustig, da sind wir dann fünf sechs Leut und wir<br />

kommen dann <strong>mit</strong> unseren Einkaufswägen. Die Verkäufer im Real die kennen uns alle schon,<br />

die grüßen dann. Das sind auch nette Leut. Da holt man dann des Nötigste.<br />

F: Wenn man ne Wagenburg einrichtet besteht dann nicht die Gefahr, dass – du hattest selber<br />

eben gemeint, dass wenn man einmal im Wagen gelebt hat, dass es dann schwer ist wieder wo<br />

anders zu wohnen, also dass die Leute dann im Wagen bleiben?<br />

W: Ja, das ist meine Meinung dazu. Das ist ja auch kein schlechtes Ding. Ich war damals ja,<br />

vor zich Jahren. Ich hab selber gejunked. Ich war selber einmal ein Junkie. Und eben durch<br />

diese Wagenburg hier bin ich von dem Junk weggekommen, durch den Zusammenhalt von<br />

den Leut, die stützen sich, die helfen sich untereinander. Und das ist das was ein Obdachloser<br />

auf der Straße nicht hat. Da ist das nicht. Da ist jeder für sich. Da ist jeden Tag Kampf ums<br />

Überleben, sage ich jetzt mal so. Du musst da nur an dich denken und Egoist sein. Absoluter<br />

Egoist sein. Und dir jeden Tag bewusst sein musst, dass du dich d<strong>einer</strong> Haut wehren musst.<br />

Das muss man in so nem Bauwagen net; du findest Selbstbewusstsein, du kannst dich wieder<br />

aufbauen, du kannst dich wieder aufpeppeln. Du kannst hingehen und sagen, so jetzt bin ich<br />

wieder soweit. Jetzt kann ich mich um ne Job kümmern. Das ist alles drin in so ner<br />

Wagenburg. Ein Obdachloser hat keine Perspektive und in ner Wagenburg hast du sie. Schon<br />

allein durch das, das du nicht alleine bist. Du hast die Sicherheit. Du hast den warmen Wagen.<br />

44


Lebenswelt<br />

Du hast was zu Essen zu Hause. Die Sicherheiten die hat man nur in nem Wagen. Und wenn<br />

man das mal hat, dann will man es nicht mehr missen. Es gibt gewiss die einen oder anderen<br />

die das als Brücke nehmen und sagen, gut jetzt bin ich wieder soweit, jetzt kann ich wieder in<br />

ne Wohnung, wenn sie es kurzfristig machen. Für ein oder zwei Jahre. (2) Aber irgendwann,<br />

wenn sie dann mal 5 Jahre in der Wohnung gewesen sind. Dann, Mensch. Jetzt wieder in nen<br />

Wagen, das wärs.<br />

F: Wie kamst du zum Wagenleben?<br />

W: (3) Ich bin auf den Platz gekommen da war ich achtzehn, neunzehn. Stress zuhause<br />

gehabt; Dann bin ich halt weg; Straße, Platte, besetzte Häuser. Ich war ja zuerst in<br />

Regensburg. Ich komm ja aus Bayern. Und dann in Regensburg habe ich ein paar Leute<br />

getroffen, du wir fahren nach Freiburg, mir brauchen noch ein zwei Leute die <strong>mit</strong>fahren um<br />

Spritgeld zu sparen. Und ich sagte, ach hoch ach du, warum denn nicht, ein Wochenende nach<br />

Freiburg. Jo, andere Stadt andere Leute, ja; (2) (lachen). Das wars. Zwischendurch war ich<br />

noch mal eineinhalb Jahr lang unterwegs <strong>mit</strong> meinem Hund. Frankreich und Spanien. Zu Fuß.<br />

Geloffe. War schön. Und dann bin ich wieder hier her. Hab gesagt, so jetzt fass ich Fuß.<br />

Dann kam ich wieder auf den blöden Junk. War ja schon mal drauf. Dann war ich wieder<br />

drauf. Dann war ich so ein halbes Jahr lang weg vom Platz. Nur in der Stadt. Und dann habe<br />

ich gesagt; jetzt. Hab Leute gefragt wie siehts aus, kann ich kommen zum entziehen und zum<br />

fit werden. Klar, logisch, komm, wir helfen dir. Haben sie gemacht. Und jetzt bin ich seit<br />

einigen Jahren wieder richtig selbständig auf den Beinen und das habe ich einigen Leuten hier<br />

zu verdanken. Unter anderem der Wagenburg. Wenn es die nicht gegeben hätte, wäre ich jetzt<br />

schon tot. Ja, Junk ist ein Teufelszeug.<br />

45


3.2.2 Eselswinkel: geleitet 67<br />

Lebenswelt<br />

Der zweite städtisch geleitete Wagenplatz Eselswinkel ist dasselbe, nur nicht (mehr)<br />

im Grünen. Auch er ist die Folge eines neu entstehenden Stadtteils. War Biohum in s<strong>einer</strong><br />

heutigen Form das Resultat der Rieselfeldbebauung, so ist der Eselswinkel das Resultat der<br />

Wohnraumbebauung im Quartier Vauban. In beiden Stadterweiterungsprojekten gab es keine<br />

Integrationsansätze 68 , sondern es zeigte sich zweimal die äußerste Stadtperipherie als neu<br />

auszuweisender Lebensraum für die Bewohner von Wagen.<br />

Wagenplatz Eselswinkel, wie er seit 1998 besteht, wird ebenfalls betrieben als<br />

öffentliche Einrichtung in der Form <strong>einer</strong> unselbständigen Anstalt des öffentlichen Rechts.<br />

Primärer Zweck ist - laut Satzung - die Unterbringung von Bau- und Wohnwagenbewohnern<br />

des Interimsstandortes und gegebenenfalls auch von weiteren Personen, die auf der<br />

Gemarkung der Stadt Freiburg „keine Wohnung oder Unterkunft“ haben.<br />

War der Platz zunächst fast komplett eingeschlossen von einem dichten grünen<br />

Waldgürtel, so zeigten sich bereits nach wenigen Jahren seines Bestehens starke<br />

transformatorische Kräfte, die das Wohnumfeld veränderten. Rodungen gaben die Sicht frei<br />

auf eine 300 Meter entfernte Stadtumgehungsstraße, kurz darauf entstand ein Möbelzentrum<br />

(2000) in un<strong>mit</strong>telbarer westlicher Nachbarschaft <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> fast 8 Meter hohen<br />

Wellblechfassade. Ein dazugehöriger Autoparkplatz schließt sich direkt gen Norden an, eine<br />

Zufahrtsstraße zu LKW-Rampen des Möbelzentrums 69 begrenzt die südliche Seite. Eine<br />

bereits bestehende zweispurige Straße im Osten, neben Gerätelagern des Technischen<br />

Hilfswerks, wird auf vier Spuren erweitert (Hermann-Mitsch Straße). 70 Auf der<br />

gegenüberliegenden Straßenseite ist auf <strong>einer</strong> Fläche von der Größe der Freiburger Altstadt<br />

das französische Spezialchemieunternehmen Rhodia angesiedelt. Start- und Landebahn des<br />

Flughafens liegen 250 Meter entfernt. Die einst fast ganz in einen dichten Waldverband<br />

eingebettete Wagenburg steht nun in<strong>mit</strong>ten <strong>einer</strong> autogerechten Gewerbefläche für<br />

Großmärkte und <strong>mit</strong> einem Chemieindustrieriesen in der Nachbarschaft. Über die Zeit<br />

geblieben ist nur die periphere Lage im Gesamtkontext Stadt.<br />

67 Hierbei wurde keine freie Einsicht in die Unterlagen der Stadt Freiburg ermöglicht.<br />

In der Flurnamenerläuterung „ehemaliger Weideplatz“ (WIRTH 1932: 140)<br />

68 Gespräch <strong>mit</strong> Herrn Feith, dem Leiter der Projektgruppe Vauban (16.11.2006)<br />

69 10-30 LKW, Anlieferung und Ausfuhren von 8:30 Uhr bis 20:30 Uhr, wobei viele LKW<br />

auch schon zwischen 7 und 8 Uhr das Gelände anfahren. (Quelle: Verwaltung Möbel-Braun)<br />

70 Die Hermann Mitsch-Strasse dient als direkte Verbindung zwischen der Be- und<br />

Endladestation für das Lkw-Cargo-Center der Deutschen Bahn und der Autobahn 5<br />

Karlsruhe-Basel. Schwerlastverkehr, Möbelzentrumkunden und ein Teil der 1200 Menschen<br />

zählenden Belegschaft von Rhodia nutzen, neben weiteren Verkehrsteilnehmern, von Montag<br />

bis Samstag die Verkehrsachse.<br />

46


Abb. 21: Parzellierte städtische Wagenburg im Gewerbegebiet<br />

Lebenswelt<br />

Das 4200 qm Areal selbst ist in 31 meist rechteckige Parzellen zu je 80 - 100 qm<br />

unterteilt und von <strong>einer</strong> 2,20 Meter hohen geschlossenen Bretterwand umgeben. 5% des<br />

ehemaligen kanadischen Rot-Eichenbestandes wurden belassen. Der Platz verfügt über einen<br />

gemeinschaftlichen Wasser- und Abwasseranschluss, sowie über zwei, nach Geschlechtern<br />

getrennte Sanitärcontainer. Genau wie auf dem Biohum-Platz muss eine monatliche<br />

Grundpauschale von 50 Euro für Allgemeinkosten und Unterhalt entrichtet werden.<br />

Individualstrom wird über gesonderte Zähler abgerechnet, ebenso das Benutzen von Trockner<br />

47


Lebenswelt<br />

und Waschmaschine. Manche Wagen sind neben Telefon auch an ein platzinternes Netzwerk<br />

angeschlossen.<br />

Auch hier regeln Einzelnutzungsverträge die städtischen Rahmenbedingungen, unter<br />

welchen die Bewohner die Parzellen beziehen dürfen. Beschränkung der Hundezahl,<br />

Besucherentgelt ab dem dritten Tag, ein Beirat 71 oder ein fünfstündiger monatlicher<br />

Arbeitseinsatz sind Beispiele, die als administrative Regelungsmechanismen extern festgelegt<br />

wurden. Die Stadtverwaltung behält sich auch hier in der Satzung vor: „Ein Rechtsanspruch<br />

auf Aufrechterhaltung der öffentlichen Einrichtung besteht nicht. Die Stadt kann die<br />

Einrichtung insbesondere schließen, (...) wenn das Gelände für andere Zwecke benötigt wird.“<br />

Gegenwärtig leben 18 Männer und 4 Frauen auf dem Platz, wobei die deutliche<br />

Mehrheit weit über vierzig ist. Der älteste Wagenbewohner Freiburgs lebt <strong>mit</strong> über 65 Jahren<br />

auch auf diesem Gelände. Insgesamt weist dieser Platz eine geringe, jedoch kontinuierliche<br />

Zu- und Abzugsfrequenz auf. Die Weiterver<strong>mit</strong>tlung in eine norm-ale Wohnunterkunft<br />

erfolgte bisher fast gar nicht. Ausnahmen stellen hierbei Frauen dar, die schwanger sind und<br />

die zwangsweise oder auch auf Wunsch in eine Wohnung weiterver<strong>mit</strong>telt werden. Kinder<br />

sind auf dem Platz nicht erlaubt. Insgesamt zeigt sich das Wagenburggefüge eher heterogen,<br />

wobei die Bandbreite von politisch Engagierten aus der ehemaligen Hausbesetzerszene über<br />

Mitglieder <strong>einer</strong> Punkbewegung, ehemalige Obdachlose, bis hin zu Bewohnern in<br />

dauercampingähnlichen Schrebergartenparzellen reicht. Die Mehrzahl der hier Lebenden<br />

gehört jedoch noch verschiedensten Wagenburggruppierungen des Vauban-Areal an, welche<br />

damals bereit waren, sich durch Unterlassen weiterer rechtlicher Schritte gegen die Stadt<br />

einen zugesicherten Platz auf dem Interimsplatz und folglich am Eselswinkel zu sichern.<br />

Sämtliche postmodernen Wirkungsmechanismen der vorherigen Wagenburg Biohum<br />

zeigen sich auch hier. Neben dem Gated-Community Charakter - Partizipation, Pluralisierung<br />

des Stadtbildes, Segregation und dezentrale Überwachung - weist die dortige<br />

Lebensgemeinschaft in ihrer Binnenstrukturierung weitere Heterogenität auf. Als<br />

Gegenhorizont der hier lebenden Personen werden weniger Notunterkünfte und<br />

Obdachlosigkeit gesehen, als vielmehr ein isoliertes Wohnen in Courbousierschen<br />

Hochhäusern.<br />

71 Dieser Beirat setzt sich aus städtischen Verwaltungsbeamten, Bürgern, sowie Vertretern des<br />

Platzes zusammen. Seine Zuständigkeit ist in <strong>einer</strong> gesonderten Geschäftsordnung geregelt.<br />

Herr Wagner, der Polizeichef a.D. Freiburg (ehemaliger Einsatzleiter gegen die<br />

Hausbesetzerszene) ist ebenfalls Mitglied des Beirates.<br />

48


Lebenswelt<br />

LeeRobert Zimmermann, (Anfang 60 – arbeitlos, gelernter Lithograph). Sonntag, 7. Januar 2007,<br />

14:00 Uhr<br />

F: Wie oft ist es dir bewusst, dass du in keinem Haus wohnst?<br />

R: Ich könnte da gar nicht mehr wohnen. Ich war zehn Jahre lang <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> Frau zusammen.<br />

Und ich war oft bei ihr. Eine wunderschöne Wohnung. Drei Zimmer, wunderbar. Aber nach<br />

ein paar Tagen habe ich Platzangst gekriegt und musste gehen (lachen). Und sie hatte immer<br />

gesagt, mmh schön dass du da bist. Aber ich musste erst mal zur Balkontür und raus. So stand<br />

ich erst mal draußen.<br />

F: Ändert sich das Raumgefühl, wenn man längere Zeit im Wagen lebt?<br />

R: Ja, ganz sicher. Wenn ich da rein geh [zeigt auf seinen Wagen], dann bin ich total<br />

geborgen, ja, aber ich kann halt aufmachen und ich hab grenzenlose Freiheit. Ich kann raus<br />

gehen. Es umgibt mich nichts Verschlossenes. Das stört mich auch immer.<br />

F: Wie empfindest du den umgebenden Raum?<br />

R: (4) Wie empfinde ich den Platz hier? Sehr angenehm. Ich bin nicht immer erfreut was<br />

intern läuft, im Endeffekt sind es aber eben drei vier Leute, die den Laden hier schmeißen.<br />

Verwaltung und den ganzen Krempel und sich vor allem auch politisch drum kümmern. In<br />

ner Nacht und Nebelaktion könnte man manche hier in ein Heim stecken, denen würde das<br />

gar nicht auffallen, vor lauter Alkohol. Das ist halt auch ein Problem. Aber das Problem gibt<br />

es übrigens überall. Und ich hab das in Hochhäusern noch viel schlimmer entdeckt, wenn ich<br />

an Weingarten denk, wo Menschen zum Teil leben, die kaum Perspektive haben, die Null<br />

Perspektive haben. Also hier kannst du immer zum Nachbar gehen. Hier kannst du was<br />

gestalten. Es ist eine Gemeinschaft. Es ist eine Gemeinschaft hier.<br />

F: Was macht das Wagenleben aus?<br />

R: Wir wollen mobil sein, wir wollen draußen leben, wir wollen nicht in Wohnungen leben.<br />

Wir wollen nicht in irgendwelchen betonierten Häusern leben. Isoliert. (3) Weil das ist<br />

isoliert, du kannst ja ne wunderschöne Wohnung kriegen, ohne weiteres, aber dann lebst du<br />

da in dieser Wohnung und nebendran lebt auch jemand und da auch jemand und du hast <strong>mit</strong><br />

denen nichts zu tun. Das ist von keinem hier ne Zielsetzung. Okay, ein schönes großes Haus<br />

ist ne Möglichkeit, nur Häuser gibt’s nicht mehr. Und die die es gab, die haben wir besetzt,<br />

und uns manchmal auch rausprügeln lassen. Was auch interessant war (lachen).<br />

F: Wie hat sich das Umfeld des Platzes verändert seit es ihn gibt?<br />

49


Lebenswelt<br />

R: Sehr, sehr viel Veränderung. Als wir hier her kamen gabs nur Wald hier, rundum, die<br />

Herman-Mitsch Strasse war schmal, da sind keine LKWs durchgedonnert. Da gabs keinen<br />

IKEA, da gabs kein Möbelbraun, da war hier alles Wald.<br />

F: Kann es ein Problem sein, bei einem Arbeitgeber, wenn man die Wagenburg als Adresse<br />

angibt?<br />

R: Ja, schon. Es kann schon sein. Zum Beispiel bei der [XXX], da hat ihr Chef, der<br />

Lehrmeister schon mal schräg gekuckt. Er wusste halt auch nicht Bescheid. Inzwischen hat er<br />

eine andere Meinung, inzwischen ist er begeistert, weil er sieht, sie ist nun bald fertig <strong>mit</strong> der<br />

Lehre und hat das gut gemacht.<br />

F: Gibt es viele Beispiele, wo es zu Problemen <strong>mit</strong> Arbeitgebern kam?<br />

R: Eigentlich nicht. Aber verstehst du, man muss auch nicht her gehen und Wagenburg<br />

angeben. Verstehst du. Ich hab ja auch eine ganz seriöse Adresse, die überall eingetragen ist.<br />

F: Wie empfindest du die Berichterstattung in den Medien?<br />

A: Puuh, die Badische Zeitung gibt sich zwar Mühe, aber manchmal auch ein wenig daneben.<br />

Aber ich denke doch, dass sich einige hier, Mühe geben. Gott sei Dank.<br />

F: Würdest du das Leben im Wagen weiterempfehlen?<br />

R: Ich würde sagen, es soll jeder leben wie er will. Ansonsten kann ich jedem empfehlen<br />

einmal so zu leben. (3) Es werden wahrscheins auch immer mehr, zwangsweise, so leben<br />

müssen, wenn Ressourcen so knapp werden, Wohnungen, die so genannte Kluft, wenn<br />

Wohnungen so teuer werden, dass man sie nicht mehr bezahlen kann. Ich habe Leute kennen<br />

gelernt, Ingenieure, Ärzte, die auf einmal dastanden, was mach ich denn jetzt, Frau ist weg,<br />

sie blieb da, solange alles gut lief, er verliert die Arbeit, sitzt zu Hause und ist fertig. Und die<br />

Frau guckt sich um, wie kann ich es mir wieder besser gehen lassen. Es ist brutal. (3) Dann<br />

kann das hier schon mal die einzige Chance sein, Gemeinschaft. Weil irgendwo möchte doch<br />

jeder in ner Großfamilie leben, das ist schon die Urform, die gibt es nicht mehr. Wenn, dann<br />

leben wir sie irgendwo, oder wieder.<br />

Abb. 22 - 24: Außenansicht, sowie Privatsphäre, Arbeitsplatz und Ofen im Innern des Wagens (Quelle: eigen<br />

Jan./Apr./2007)<br />

50


3.2.3 Schattenpark: geteilt<br />

Lebenswelt<br />

Die größte selbstverwaltete Wagenburggruppierung Freiburgs liegt in fast<br />

un<strong>mit</strong>telbarer Nachbarschaft zum städtisch geleiteten Platz Eselswinkel. Flughafen, Hermann<br />

Mitsch Straße, Rhodia- Chemieindustrie und Gerätelager des Technischen Hilfswerks, stellen<br />

auch hier, neben <strong>einer</strong> Halle der Freiburger Straßenbahngesellschaft, die angrenzenden<br />

Raumnutzungen dar.<br />

Die segregierende Lage des Platzes artikuliert sich nicht nur in der Ausweisung in ein<br />

wohnfunktionsloses Areal, sondern auch in den Entfernungen zu Versorgungseinrichtungen<br />

des täglichen Lebens. So befindet sich der nächste Supermarkt 0,5 km entfernt, die nächste<br />

Grundschule 2,5 km, der nächste Bankautomat 1 km, die nächste Kirche 2,4 km, die nächste<br />

Post 2,8 km, der nächste Kinderspielplatz 2 km, die Innenstadt und die Universität 3,5 km<br />

(alle Angaben bemessen nach Luftlinie) – bei <strong>einer</strong> gleichzeitigen mangelhaften Anbindung<br />

an das öffentliche Personennahverkehrsnetz. 72<br />

Die Gruppe selbst setzt sich zusammen aus Mitgliedern der verschiedensten früheren<br />

Wagenburgen Freiburgs, die stets einen städtisch geleiteten Platz <strong>mit</strong> administrativem<br />

Regelwerk ablehnten und sich stattdessen weiterhin für einen autonomen Wagenplatz<br />

einsetzten. So erfolgte im Jahr 1999 die Gründung eines eingetragenen Vereins (Die<br />

Schattenparker e.V.), <strong>mit</strong> dessen Hilfe die Gruppe in den folgenden Jahren versuchte, von<br />

Privatpersonen einen Platz zu kaufen oder zu pachten. Eine Initiative, welche jedoch stets an<br />

Einwänden von Seiten der Stadtverwaltung scheiterte.<br />

Durch die nicht erfolgte Genehmigung zur Niederlassung auf städtischem oder<br />

privatem Gelände kam es immer wieder zu Protesten und Aktionen, wodurch die Gruppe auf<br />

ihre Situation aufmerksam machen wollte. So wurde vom Glockenturm des Freiburger<br />

Münsters ein 15 Meter langes Gesuch-Plakat entrollt, welches auf die Raumnot aufmerksam<br />

machen sollte. Es wurden in Zeitungen Anzeigen geschaltet, auf unkommerziellen<br />

Radiosendern das Anliegen vorgetragen, Demonstrationen organisiert, Straßentheater initiiert,<br />

Besuche beim Bürgermeister zu Hause und während der Sprechzeiten im Rathaus<br />

vorgenommen, Kontakte <strong>mit</strong> Stadträten hergestellt, rechtliche Klagen eingereicht,<br />

Unterschriftenlisten erstellt, ein Tag der offenen Wagentür gestaltet, Gespräche am Runden<br />

Tisch vorbereitet.<br />

Darüber hinaus steht im Hintergrund der Gruppe ein sehr heterogener<br />

Fürsprecherkreis, welcher unterstützend wirkt. Er setzt sich aus Stadträten, Klerikern,<br />

Universitätsprofessoren, Unternehmern und studentischen Gruppierungen zusammen. Eine<br />

bundesweite Vernetzung der einzelnen autonom agierenden Wagenplätze unter<br />

Selbstverwaltung stellt ebenfalls eine Basis dar, welche durch Solidaritätsbekundungen und<br />

72 Linie 22: Mo. bis Fr. 7:48 - 17:40 und Linie 11: Mo. bis Sa. 6:25 - 20:22. (Stand: Feb.<br />

2007) Beide Linien sind abgestimmt auf die Öffnungszeiten der angrenzenden Großmärkte.<br />

51


Abb. 25: Geteilte Wagenburg im Gewerbegebiet<br />

Lebenswelt<br />

52


Lebenswelt<br />

Teilnahme bei Demonstrationen stützend wirkt. Finanzielle Mittel eines gemeinsamen<br />

Wagenburgkontos können in Anspruch genommen werden, welches sich aus vielen<br />

selbstverwalteten Plätzen in ganz Deutschland speist.<br />

Ein Blick auf die Binnenstruktur der Gruppe zeigt, dass sich die Bewegungsmomente<br />

der einzelnen unterschiedlichen Freiburger Wagenburgen eingeschrieben haben und sich<br />

hierdurch eine äußerst heterogene Zusammensetzung ergeben hat. Der Altersdurchschnitt<br />

liegt bei circa 25 Jahren. Neben Studenten befinden sich hier ehemalige Obdachlose,<br />

Krankenschwestern, Arbeitslose, Kindergärtner, Schüler, Selbständige, Azubis, Frührentner<br />

und mehrere Kinder. Kleinfamilien und All<strong>einer</strong>ziehende sind gleichermaßen vertreten.<br />

Single stellen die größte Subgruppierung dar.<br />

Im Vergleich zu allen anderen Freiburger Wagenburgen ist der Anteil an umgebauten<br />

LKW und Bussen hier am höchsten. Diese sind von den Besitzern kunstvoll verziert und in<br />

Eigenregie ausgebaut worden. Neben den erhöhten Wohnkosten durch Steuer und<br />

Versicherung bietet diese Wohnform einen ungebundeneren und flexibleren Lebensstil. Mit<br />

Hilfe der motorisierten Wohneinheiten können Wagenburgen kurzfristig verlassen und andere<br />

Plätze im innerdeutschen Raum, aber auch in europäischen Nachbarländern angefahren<br />

werden. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, sich für eine gewisse Zeit von der Gruppe zu<br />

entfernen und rurale Gebiete oder andere urbane Räume anzufahren. Gerade dieses<br />

ungezwungene Verbleiben an einem Ort oder auch innerhalb <strong>einer</strong> Gruppe wird von vielen als<br />

Freiheit und dynamischer Entwicklungsprozess verstanden. So können sich Phasen <strong>einer</strong><br />

intensiven Gruppenzugehörigkeit <strong>mit</strong> Phasen eines ere<strong>mit</strong>enhaften Einzellebens abwechseln<br />

und ergänzen.<br />

Der Platz selbst wurde erst Ende 2006 (Pachtvertragsende 2011) bezogen und so<strong>mit</strong><br />

sind die infrastrukturellen Einrichtungen noch im Aufbau begriffen. Zunächst mussten die<br />

beiden Plätze von Holzresten gesäubert werden. Wege aus Kies wurden angelegt, zwei<br />

Baustellentoiletten angemietet, welche jedoch langfristig durch Kompost und Hochklos<br />

ersetzt werden sollen. Eine Umzäunung hin zur Lkw-Durchfahrt 73 entstand zusammen <strong>mit</strong><br />

selbstgeschweißten Toren. Eine Bühne auf der Basis eines alten Bauwagens wurde errichtet.<br />

Gemeinsame Projekte sind geplant wie: ein Kinderzirkus, eine Töpferecke und eine<br />

Schr<strong>einer</strong>werkstatt. Ein Küchenwagen dient bereits jetzt zum Zubereiten gemeinsamer<br />

Mahlzeiten (kurz: Vokü für Volksküche). Platzbewohner, die in der Gastronomie, in<br />

Krankenhäusern oder im Lebens<strong>mit</strong>telhandel arbeiten, bringen nach Feierabend die<br />

Überproduktion eines Tages <strong>mit</strong> und legen sie auf einen kollektiven „Marktstand“<br />

(DoItYourself-Shop). Dieser wird darüber hinaus <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> Auswahl an containerten 74<br />

73 Tempo 50 stellt insbesondere eine Gefährdung für Kinder dar.<br />

74 Moderne Form der Nachlese, wobei industriell gefertigte Lebens<strong>mit</strong>tel <strong>mit</strong> Druckstellen<br />

oder un<strong>mit</strong>telbar abgelaufenem Verfallsdatum aus den Containern von Lebens<strong>mit</strong>telfabriken<br />

oder Supermärkten geholt werden. Diese noch genießbaren Lebens<strong>mit</strong>tel werden in<br />

Großstädten oftmals in einem informellen Wirtschaftskreislauf nochmals untereinander<br />

ausgetauscht.<br />

53


Lebenswelt<br />

Lebens<strong>mit</strong>teln täglich ergänzt. Die hier angebotenen Nahrungs<strong>mit</strong>tel stellen eine<br />

kostenneutrale Grundversorgung dar, auf welche alle Bewohner zur Ergänzung oder Deckung<br />

des täglichen Bedarfs zurückgreifen können. Frischwasser wird täglich zentral an einem<br />

angezapften Hydranten entnommen. Die Stromversorgung liegt in Form von Solarpanel auf<br />

jedem Wagendach. Internet ist über ein Funknetz bereitgestellt. Fast jeder Bewohner verfügt<br />

noch einmal über eine eigene Kochstelle <strong>mit</strong> Gas. Auch werden manche Wagen in den<br />

Wintermonaten <strong>mit</strong> Gas beheizt, wobei die Mehrzahl der kleinen Räumlichkeiten <strong>mit</strong> Holz in<br />

selbsteingebauten gusseisernen Öfen erwärmt werden. Wöchentlich findet eine<br />

basisdemokratische Plenarsitzung statt, wobei alle Bewohner dasselbe Stimmrecht besitzen<br />

und die verschiedensten Belange über Diskussion zum einstimmigen Konsens gebracht<br />

werden.<br />

Abschließend bleibt festzuhalten, dass all die Wesensmerkmale der Postmoderne sich<br />

hier am anschaulichsten manifestieren und sich in den semi-strukturierten Interviews<br />

widerspiegeln (Gesamte Transkription siehe Anhang ➣ 6.2.3 und 6.2.4). Ehemalige staatliche<br />

Dienstleistungen werden dezentral in Eigenregie erbracht; es tritt eine Entmischung der<br />

urbanen Gesellschaft nach Lebensstilmilieus ein; Ästhetisierung der Lebenswelt durch<br />

selbständige Gestaltung der Wägen und der un<strong>mit</strong>telbaren Umwelt, bei <strong>einer</strong> gleichzeitigen<br />

Verwerfung von Stiltreue. Das traditionelle Familiengefüge wird um Patch-work-<br />

Verbindungen erweitert. Es findet eine spielerische Herausforderung des Ordnungssystems<br />

durch Protest- und Aktionsformen statt. Gleichzeitig vollzieht sich eine Abkehr vom<br />

makropolitischen Sektor und eine Zuwendung zu den verschiedensten sozialen<br />

Bewegungssektoren der Mikro- und Subpolitik. Partizipation und prozesshaftes<br />

Experimentieren zeichnen vielfach die Abkehr von einem positivistischen Fortschrittsglauben<br />

aus. Konsumvermeidung und nachhaltige Ressourcennutzung stehen bei vielen als<br />

Handlungsmaxime im Zentrum. Als Gegenhorizont zum Wagen zeigt sich das gesamte<br />

Spektrum der Wohnraumversorgung vom sozialen Wohnsilobau der sechziger und siebziger,<br />

über städtische Mietshäuser bis hin zum Einfamilienhaus.<br />

Abb. 26 - 27: Präsentation im Citybereich vor dem Freiburger Konzerthaus 75<br />

75 Quelle: http://de.indymedia.org/2006/07/152763.shtml<br />

54


Lebenswelt<br />

Alexandra, Stephi, Ulrike (zwischen 20 und 30 – Ausbildung, Studium, Verkäuferin),<br />

Samstag, 10. Februar 2007, 19:30 Uhr<br />

F: Warum entstehen Wagenplätze häufig in der Stadt?<br />

A: Das ist einfach zu erklären. Wohnraum ist teuer und <strong>mit</strong> einem Wagen ist Mobilität da.<br />

U: Man wohnt nicht alleine in <strong>einer</strong> Mietskaserne, sondern <strong>mit</strong> mehreren Leuten.<br />

A: Und das Leben draußen natürlich, welches du nicht <strong>mit</strong>bekommst in ner Wohnung, da<br />

bekommst du es nicht <strong>mit</strong> ob es regnet, ob es stürmt. Im Wagen bekommst du so was <strong>mit</strong>. (4)<br />

Hier in Freiburg speziell war es eben ansteckend. Die Leute bekamen unsere Aktionen in der<br />

Stadt <strong>mit</strong>, und die dachten sich; ah, super, toll, mach ich <strong>mit</strong>. Über die Hälfte der Leute jetzt<br />

sind neu dazugekommen. (...) Vor allem auch viele Leute, die davor gar nichts <strong>mit</strong> dem Leben<br />

im Wagen zu tun hatten, die das dadurch erst kennen gelernt hatten. Und es jetzt großartig<br />

finden.<br />

F: Sind dann relativ viele Leute in Wohnungen gegangen, weil ihnen die<br />

Auseinandersetzungen <strong>mit</strong> der Stadt zu heftig waren?<br />

A: K<strong>einer</strong>. Die wo gegangen sind, sind auf andere Wagenplätze in Hamburg, Berlin oder<br />

anderswo.(...) Nein. Doch eine, aber das hatte einen andern Grund. Sie hatte ein Kind<br />

bekommen.<br />

F: Kann das ein Grund sein, aus dem Wagen zu ziehen?<br />

A: Kann schon sein. In unserem Fall jetzt hier war der Platz halt völlig neu, es gab noch keine<br />

Wege, knietief Schlamm sozusagen, keine Wasseranschlüsse, keinen Zaun drumherum, Das<br />

Kind war zwei Jahre alt und die Straße ist hier in der Nähe, das ist nicht sinnvoll. Im Sommer,<br />

wenn das Gelände besser befriedet ist, dann ist sie bestimmt auch wieder mehr hier. Für<br />

kleine Kiddis war das schon gefährlich. Im allgemeinen ist es <strong>mit</strong> Kindern schwieriger, bei so<br />

Sachen <strong>mit</strong> Schule. Wenn man keinen festen Platz hat, dann geht das fast nicht <strong>mit</strong> Kind. (...)<br />

die Schule ist vielleicht in <strong>einer</strong> anderen Ecke der Stadt, da wo man sich gerade nicht<br />

befindet.<br />

F: Was sind die Gründe in den Wagen zu ziehen?<br />

U: Mobilität auf jeden Fall.<br />

S: Bei mir stand eine Reise am Anfang, <strong>mit</strong> Kind und Hund im VW Bus, ein halbes Jahr, und<br />

dann war klar, ich komm zurück, werde die WG-Zimmer auflösen, kauf mir einen größeren<br />

Bus und ziehe wieder los. Und das habe ich dann auch so gemacht.<br />

55


Lebenswelt<br />

A: Bei mir war das eigentlich genau so. Bus gekauft, <strong>mit</strong> Kind, noch vor der Einschulung, ein<br />

dreiviertel Jahr lang losgezogen, und konnte es mir dann einfach nicht mehr vorstellen in<br />

einem Haus zu wohnen. Zuvor hatte ich auch gar keine Wagenleute gekannt. (...) Was auch<br />

ein Grund ist irgendwie, ist nicht bei diesem Konsum <strong>mit</strong>zumachen. Wagenleben heißt auch<br />

Holz machen, Wasser holen in Kanistern, Solarstrom. Ich bin nicht so auf Konsum fixiert.<br />

Keinen Fernseher besitzen. Viel <strong>mit</strong> Recycling machen. Wieviele Wagen sind innen komplett<br />

aus recycletem Material ausgebaut? Man schaut, dass man alles wieder verwenden kann. Das<br />

ist irgendwo auch ein Gedanke des Wagenlebens, glaube ich, nicht diesen Konsumwahnsinn<br />

<strong>mit</strong>zumachen, (3) die Bandbreite ist weit, aber das ist irgendwo der Tenor.<br />

U: Mir fällt noch ein Grund ein, weshalb man im Wagen lebt. Man kann seine Kreativität<br />

ausleben. Sei es nun im Innenausbau oder außen am LKW. Das ist auf jeden Fall ein Punkt.<br />

S: Mit Kind find ich es auch super. Egal wo ich hingefahren bin, ich hatte immer alles dabei,<br />

Bett dabei, Küche dabei, Spielsachen dabei. Man konnte raus, auch mal bei einem Festival,<br />

das Kind dabei und sobald er müde wird hat er sein Bett, da weiß er da gehört er hin, da kann<br />

er sich schlafen legen. Und ich bin trotzdem noch dabei. Ich muss nicht zu Hause in der<br />

Wohnung sitzen, sondern bin noch voll dabei, auch <strong>mit</strong> Kind. Das hab ich immer sehr<br />

genossen.<br />

F: Ändert sich was an der Raumwahrnehmung, wenn man längere Zeit im Wagen gelebt hat?<br />

A: Ja, auf jeden Fall. Wenn ich in eine Wohnung komme, denke ich, wow, ist das viel Platz.<br />

Oftmals vielleicht auch ordentlicher. Man hat in einem Wagen halt einfach nicht soviel<br />

Stauraum. Wenn meine Eltern zu Besuch hier sind, dann sagen die schon manchmal, hier<br />

siehts aber ein bisschen rümpelig aus. Aber in Wirklichkeit hat das alles schon seine Ordnung,<br />

nur ich habe halt nicht noch einmal zwanzig Zimmer nebenan, wo dann alles verschwindet.<br />

(...) Sich beschränken vor allem auch. Viel Quatsch durch die Gegend fahren, das macht man<br />

vielleicht ne Weile, aber dann mistet man groß aus.<br />

S: Kistenweise give-away. Ciao. Du brauchst doch bestimmt nen großen Kochtopf. Tür auf,<br />

Klamotten, Kassetten und alles an die Leute, die so was im Leben noch brauchen (lachen).<br />

F: Verändert sich die Gruppenstruktur, wenn man längere Zeit auf einem Platz steht?<br />

A: Ja auf jeden Fall. Es wird bequemer. Im Vergleich zum letzten Winter jetzt, als die Wägen<br />

noch beschlagnahmt waren, da waren wir alle auf einem Platz zusammengepfercht, auf<br />

engstem Raum. Wir mussten Gespräche führen, wir mussten des sell und jenes organisieren.<br />

Man konzentriert sich mehr auf sich auf einem Platz dann. Was auch mal wieder sein muss.<br />

Job, Studium und alles mal wieder auf die Reihe kriegen, da hat es bei einigen ziemlich<br />

geklappert. (2) Ist ja auch okay. Aber man merkt es. Man sitzt nicht jeden Abend zusammen<br />

und bespricht, was man am nächsten Tag unbedingt tun muss.<br />

56


Arne Brinkmann, (Mitte 20 - Kindergärtner), Samstag, 10. Februar 2007, 18:15 Uhr<br />

F: Wie setzt sich denn heute die Gruppe zusammen?<br />

Lebenswelt<br />

A: Heute setzt sich die Gruppe aus lauter im Wagen lebenden Menschen zusammen, die<br />

politisch interessiert sind, die das Leben anders leben wollen, die mehr Selbstverwaltung,<br />

mehr Autonomie haben wollen, die prinzipiell für sich in ihrem Leben was anders machen<br />

wollen, sei es jetzt viel draußen sein, sei es mobil sein, sei es politisch aktiv sein, sei es<br />

einfach eine Alternative zu bieten zu diesem Mietezahlen. Sei es Umweltschutz,<br />

beziehungsweise autonom sein zu wollen, durch eine eigene Stromversorgung. Gründe im<br />

Wagen leben zu wollen gibt es so viele wie Menschen.<br />

F: Was sind die gemeinsamen Sachen, die man auf einem Wagenplatz macht?<br />

A: An der Feuerstelle sitzen, über politische Werte und Normen diskutieren. Einfach viel<br />

zusammen machen. Man kriegt hier mehr davon <strong>mit</strong>, wie es dem Anderen geht. Letzte Woche<br />

war <strong>einer</strong> hier krank, und das wussten dann natürlich sofort alle, und dann sind nach und<br />

nach, mal vier mal fünf, zu ihm ins Krankenhaus gefahren und haben ihn besucht. Und so was<br />

finde ich stark und wichtig. Super wichtig, dass das so funktioniert. Du bist krank und der<br />

ganze Platz kommt dich besuchen. Du hast sozusagen 30 Freunde, die sich um dich kümmern.<br />

(...) Es ist einfach ein Ausprobieren, wie man leben kann, ohne alle Strukturen anzunehmen,<br />

die uns die Gesellschaft draußen zeigt und beibringt. Wir probieren ja hier eine Alternative<br />

aus, wir dreißig Leute, wie man wirklich anders zusammen leben kann, gemeinschaftlich<br />

leben kann.<br />

F: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit <strong>mit</strong> der Stadt Freiburg?<br />

A: Hier ist es immer sehr anstrengend. Komischerweise, weil die Stadt sich ja immer gerne<br />

als die offene und tolerante Stadt zeigt, aber sie es überhaupt nicht ist. (...) Überhaupt nicht<br />

verständlich. In <strong>einer</strong> Stadt wo Wohnungsnot besteht, wo es wenigen billigen Wohnraum gibt<br />

und die Stadt hinterher ist möglichst vielen billigen Wohnraum zu kreieren, da kann man da<br />

doch nicht ne Gruppe von Leuten, die ihr eigenes Haus, ihre eigene Lebensform schaffen, wo<br />

die Stadt nichts da<strong>mit</strong> zu tun hat, die kann man dann doch nicht vernichten. Schizophrenie.<br />

Das versteh ich nicht. Mit der Stadt zu verhandeln, das ist en ewiges Gelammer, meine Güte<br />

(2). Da <strong>mit</strong> dem sprechen. Dann gibt es zehn verschiedene Ämter, die da <strong>mit</strong> reinschneien. Da<br />

ist der Sozialbürgermeister verantwortlich, da ist das Liegenschaftsamt verantwortlich, da ist<br />

das Bauverwaltungsamt verantwortlich, da kommt das Bauordnungsamt, weil das ja nicht<br />

geht, dann noch ein Bürgermeister und dann noch der und dann noch der und dann noch der<br />

und dann noch der. Und du diskutierst dich dumm und dämlich, für eine Sache, die eigentlich<br />

so easy ist. Letztendlich. Der gesetzliche Rahmen lässt es zu, aber irgendwie kann man es<br />

doch nicht zulassen.<br />

F: Was erreicht ne Stadt <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> Räumung?<br />

57


Lebenswelt<br />

A: Protest. (2) Ne Menge Geld aus dem Fenster werfen, ne Menge Verhandlungen, ne Menge<br />

schlechte Presse. (...) Fast eine Million wurde ausgegeben an Polizeieinsätzen, nur wegen den<br />

Schattenparkern und den Aktionen. Für eine Million hättest du dir fünf Plätze kaufen können.<br />

Wie lange könnten Menschen davon leben. Unglaublich. Selbe Geschichte jetzt <strong>mit</strong> den<br />

Straßenpunks.<br />

F: Wie oft bemerkst du, dass du in keinem Haus wohnst?<br />

A: Schon ab und zu. Naja, es gibt schon gewisse Sachen die angenehm sind in einem Haus.<br />

So was wie ne eigene Dusche, Waschmaschine. Aber ich wollte es nicht wieder tauschen. Ich<br />

bin voll glücklich. Klar, wenn du manchmal nach Hause kommst, und du musst erstmal<br />

wieder die Heizung anmachen, oder vom Platz her. (...) Der Platz ist manchmal so ein<br />

bisschen das Ding.<br />

F: Was ist der Unterschied zwischen <strong>einer</strong> angemeldeten und <strong>einer</strong> unangemeldeten<br />

Demonstration?<br />

A: (lachen) Das ist reine Formsache. Generell ist es einfach nicht in Ordnung, dass Leute ihre<br />

Meinung frei äußern wollen und sie es anmelden müssen, um dann einen Brief zurück zu<br />

bekommen, das dürft ihr nicht <strong>mit</strong>nehmen, das dürft ihr nicht anziehen, das ist sowieso<br />

verboten und das wollen wir auch nicht. Da ist meine Meinungsfreiheit schon wieder<br />

eingeschränkt. Keine Schminke ins Gesicht, keine Autos, keine Lautsprecher. In Karlsruhe<br />

hatten sie eine Demo im Januar angemeldet, worauf es hieß, ihr dürft nicht <strong>mit</strong> Mützen und<br />

Schal kommen. (2) Wenn du eine Demonstration anmeldest, brauchst du einen<br />

Veranstaltungsleiter und der ist für die gesamte Demonstration verantwortlich, das heißt,<br />

wenn Philip und Peter sich von nem Bullen geärgert fühlen und dem eins auf die Mütze<br />

hauen, bekomm ich den Ärger. Weil ich die Demo angemeldet hab. (...) Das Konsensprinzip<br />

ist bei denen noch nicht angekommen. (...) Der Weg wird ewig <strong>mit</strong> dir abgesprochen, wo du<br />

langfahren darfst, und ich will doch dahin gehen, wo ich meine, dass ich da meine Meinung<br />

äußern will. Dann will ich das vor dem Bahnhof, vor dem Konzerthaus, auf dem<br />

Bertholdsbrunnen. So dass es auch alle Leute <strong>mit</strong>bekommen. Und will nicht einmal um die<br />

Stadt herum geführt werden, wo es k<strong>einer</strong> <strong>mit</strong>kriegt. (...) Team Grün würde es nie<br />

genehmigen am Münster vorbei zu ziehen. Das gab es noch nie.<br />

F: Hast du den Eindruck, dass es am Rand der Stadt hier ist?<br />

A: Ja, absolut. Und dass die Stadt das so will. Jetzt haben sie uns hier absolut ins Ghetto<br />

gesteckt. Hier ist ja absolut nichts. Hier kriegen das fünf Hansels, die den falschen Weg zum<br />

Möbelbraun nehmen, die kriegen das <strong>mit</strong> und die LKW-Fahrer, die Möbelbraun beliefern,<br />

ansonsten kriegt das hier k<strong>einer</strong> <strong>mit</strong>. Und genau das wollten sie auch. Das Ganze möglichst<br />

ungesehen.<br />

58


3.2.4 Waldmenschen: geräumt<br />

Lebenswelt<br />

Unweit der Schattenparker-Wagenburg, etwa 250 Meter weiter südlich, befindet sich<br />

ebenfalls zwischen der vierspurigen Verbindungsstraße und dem Flughafengelände seit drei<br />

Jahren eine weitere Wagenansammlung. Ein ehemaliger Schießstand der französischen<br />

Armee <strong>mit</strong> seinen ausgedienten mehrere hundert Meter langen Schussbahnen bildet hier die<br />

Grundfläche für drei Bau- und drei Wohnwagen. Die ehemals militärisch genutzte<br />

Liegenschaft <strong>mit</strong> starker Bodenkontamination aus Schießrückständen ging wie das<br />

Kasernenareal Vauban 1992 an den Bund über. 76 Das Areal selbst ist circa 100 Meter breit<br />

und knapp 500 Meter lang und <strong>mit</strong> dichtem Pioneerwald überzogen. Die wallartigen<br />

Schießbahnen dazwischen ermöglichen nur die zeilenförmige Anordnung der Wagen.<br />

Die Gruppe selbst setzt sich zusammen aus sechs Männern in <strong>mit</strong>tlerem und<br />

höherem Alter, die allesamt Hartz IV 77<br />

beziehen. In Eigenregie errichteten sie<br />

eine gemeinsame Aufenthaltshütte (5<br />

x 3 m), in der ein gemauerter offener<br />

Kamin, ein Wohnzimmertisch, eine<br />

Polstergarnitur, eine Kochstelle und<br />

ein Fernseher stehen. Aufgrund <strong>einer</strong><br />

mündlichen Zusage ist ihnen die<br />

Nutzung des Raumes bis zum<br />

Zeitpunkt einsetzender<br />

Erschließungsarbeiten für ein weiteres<br />

Möbelzentrum gestattet worden.<br />

Selbst nennen sie sich die<br />

Waldmenschen.<br />

Abb. 28: Zeilenförmig angeordnete Wagenburg<br />

Auch stellt diese Wagenburg<br />

eine weitere Heterogenisierung der herkömmlichen Stadtstruktur dar. Die Entmischung nach<br />

Lebensstilmilieus, Partizipation und die Auflösung eines traditionellen Familiengefüges<br />

zeigen sich auch hier. Als postmodernen Wirkungsmechanismus lässt sich ebenfalls die<br />

dezentrale selbstständige Bereitstellung ehemaliger staatlicher Grundversorgungen feststellen.<br />

Als abgelehnter Gegenhorizont der hier wohnenden stehen betreutes Wohnen, die städtisch<br />

geleiteten Wagenburgen und Obdachlosigkeit.<br />

76<br />

Bundesanstaltseigene Liegenschaft verwaltet durch die Bundesanstalt für Immobilien in<br />

Freiburg (Flurstücknummer 6256/2).<br />

77<br />

Der monatliche Regelsatz errechnet sich hierbei aus: Nahrung 103,25 €; Kleidung und<br />

Schuhe 32,70 €; Wohnbedarfs<strong>mit</strong>tel 26,76 €; Haushaltsgegenstände 26,15 €;<br />

Gesundheitspflege 12,25 €; Kommunikation 27,67 €; Kultur 32,89 €; Bildung 0,00 €;<br />

Bewirtung 10,36 €; Verkehr 26,07 €; andere Waren und Dienstleistungen 24,65 €.<br />

(FREIEBÜRGER Feb.07)<br />

59


Lebenswelt<br />

Abb. 29 - 31: Ehemalige Schießzeilen <strong>mit</strong> Gemeinschaftshütte, Wohn- und Bauwägen (Quelle: eigen Jan./2007)<br />

Karlheinz, Diddi, Pitt (Mitte 40 bis Anfang 60 - Arbeitslos), Sonntag, 28. Januar 2007, 15:30 Uhr<br />

F: Wie oft bemerkst du, dass du in keinem Haus wohnst?<br />

K: Eigentlich jeden Tag. (2) Ich merk jeden Tag, dass ich in keinem Haus wohn. Weil ich am<br />

Morgen aufstehen kann und hab meine Ruhe, ich werd nicht angeblökt, ich bin zufrieden, ich<br />

steh auf, mach mein Kaffee selber und werd nicht angemotzt von der Nachbarschaft oder so.<br />

Ich hab einfach meine Ruhe. Ich merk es also jeden Tag.<br />

F: Wieso entstand die Wagenburg an diesem Platz?<br />

K: Das Wieso ist eigentlich ganz einfach. Die Frage ist eigentlich überflüssig. Weil die Leute<br />

auf die Straße fliegen, sei es durch Scheidung, seis durch Arbeitsverlust und fliegen auf die<br />

Straße, und kriegen dort keine Möglichkeiten und suchen sich dann halt Alternativen. Und<br />

dann möchte ich jetzt den Diddi bitten hier weiter zu sprechen, wie er zu so nem Ding<br />

[Bauwagen] hier kommt.<br />

D: Ich war <strong>einer</strong> von den ersten hier. Ich hatte einen grünen Wohnwagen, da<strong>mit</strong> stand ich<br />

zuerst auf dem Parkplatz da oben. Dann kamen die Zigeuner und als die dann gingen, musste<br />

ich dann auch gehen. Ich wäre weggeräumt geworden. Und dann kam ich hier her. Hier war<br />

alles zugewachsen, es gab noch ne Hütte von den Franzosen und dann bin ich zwangsweise<br />

hier herein gezogen. Vor die Hütte. (2) Dann war ich nicht mehr auf Stadtgelände, sondern<br />

auf Bundeseigentumsgelände, also das gehört jedem.<br />

K: Und so haben wir eine Duldung bekommen. So haben wir einfach ne Chance gekriegt. Das<br />

sind nun knappe drei Jahre. Und es funktioniert. Wir haben uns irgendwie gefunden. (...)<br />

Ohne Betreuung, ohne alles. Mir hatten bewiesen, dass das funktioniert. Dass nicht irgend ein<br />

Hansele, der überhaupt nicht weiss was Obdachlosigkeit ist, hier zu bestimmen hat. Und das<br />

ist uns ganz wichtig. Denn ich sag mir immer. In jedem Beruf musst du ein Praktikum<br />

machen vor Ort, dann sollen bitte solche Leute, die über solche Sachen entscheiden, bitte<br />

Praktikum machen über den Winter bei uns hier. Dann kann er <strong>mit</strong>reden. (2) Das ist einfach<br />

meine persönliche Einstellung. Ich weiß nicht wie die andern denken.<br />

F: Welche Freiheiten hat man denn hier?<br />

60


Lebenswelt<br />

P: Man hat hier alles und nichts. Wir haben den Platz hier, den Platz des himmlischen<br />

Friedens genannt. Wir schlagen uns hier nicht. Man hat Zeiten, wo man sich anhasst, aber<br />

ansonsten. Die sollen uns einfach ne Form zum Leben geben, wo man in Würde sterben kann.<br />

F: (4) Muss man gegen Vorurteile ankämpfen, wenn man in ner Wagenburg lebt?<br />

K: Wir sind ja eigentlich nicht ne Wagenburg im eigentlichen Sinn. Der Eselswinkel, das is<br />

ne Wagenburg. Da gibt es Oberdorf, Unterdorf. Die Leute werden willkürlich<br />

zusammengesteckt. Einer von der Stadt sagt, und jetzt kommt der da hin, obwohl er gar nicht<br />

passt. Oberdorf, Unterdorf und zwischendurch noch ein paar Punks. Kann einfach nicht<br />

funktionieren. Und genau das wollten wir vermeiden. Wir sind auch nicht alle dicke Freunde,<br />

aber wir respektieren uns schlussendlich, und wenn’s eng wird hängen wir zusammen. (3)<br />

Weißt du wie betreutes Wohnen vor sich geht? (...) Dann will ich es dir erklären. (2) Wir<br />

nehmen jetzt Haus Gabriel [„Stationäre Eingliederungseinrichtung“ 78 ] da vorn. Kannst du<br />

rein. Wir haben viele freie Zimmer, schöne Zimmer. Gibt’s um siebene Frühstück. Nur du<br />

bekommst kein Geld mehr. Du bekommst pro Woche zweimal 15 Euro Taschengeld. Die<br />

nehmen dir das Geld. Jetzt, kannst du natürlich sagen, okay, ich brauch ja nichts zu essen<br />

kaufen, du hast ja ne Wohnung, nur quatsch, wie willst du da wieder heraus kommen, wenn<br />

du nichts auf die Seite tun kannst. Geht ja nicht.<br />

F: Ist das Leben hier sehr kostengünstig?<br />

K: Ne, weil wenn wir ne Wohnung nehmen würden, würden wir das ja bezahlt bekommen.<br />

Nur es gibt keine. Es gibt keine Wohnung wenn du zu einem Vermieter kommst und sagst du<br />

bis ALG- [Arbeitslosengeld] Empfänger. Für mich unverständlich, denn es wäre ne sichere<br />

Miete für den Vermieter, nur die haben das nicht gemerkt.<br />

F: Was fehlt hier?<br />

P: Nichts.<br />

K: Mir fehlt das Verständnis, dass das hier verkauft wird, dass hier ne Möbelladen herkommt,<br />

obwohl daneben schon zwei sind. Kann ich geistig nicht folgen. (...) Auch ein Politiker kann<br />

Menschlichkeit zeigen. Für mich ist ganz klar, wenn sie uns hängen lassen, dann werde ich<br />

Platte machen vor dem Rathaus, dann können sie mich holen, dann können sie mich<br />

wegbringen. Dann lieg ich wieder hin. Mit Zeitung, <strong>mit</strong> Fernseher, <strong>mit</strong> allem. 79<br />

78 Quelle: http://www.caritas-freiburg.de Täglich nehmen in Freiburg zwischen 90 und 120<br />

Menschen ohne eigene Wohnungen die Essensausgabe “Pflasterstub” der Caritas in<br />

Anspruch.<br />

79 Aufgrund des Baus eines weiteren Möbelzentrums erging im Februar ein Schreiben <strong>mit</strong> der<br />

Bitte auf Verlassen des Grundstücks binnen zwei Wochen. Nachverhandlungen ermöglichten<br />

es, weitere vier Wochen zu bleiben, daraufhin wurde der Platz ersatzlos geräumt (Feb. 2007).<br />

61


3.2.5 Punkstadt: geräumt<br />

Lebenswelt<br />

Ebenfalls auf der bundeseigenen Liegenschaft befindet sich circa 200 Meter weiter<br />

südlich eine Wagenburg der Punkbewegung. 80 Auch sie besetzen ein circa 1000 qm großes<br />

verwildertes Areal des ehemaligen französischen Schießstandes, welcher seit 1992 als Brache<br />

zwischen dem Rhodia Chemiekomplex, dem Obdachlosen- und Asylwohnheim, den<br />

Parkplätzen der Messe und des Flughafens liegt.<br />

Nach vorangegangener Räumung auf <strong>einer</strong> Brachfläche weiter nördlich (heutiger<br />

Schattenpark) und in besetzten leerstehenden Häusern sowie Platzverweisen unter den<br />

Freiburger Innenstadtbrücken, bezog die Gruppe, bestehend aus 12 Personen, im Spätherbst<br />

2006 das Gelände am südlichen Ende des ehemaligen Schießplatz. 6 Wohnwagen und zwei<br />

Kleinbusse wurden hierbei als Wagenburgformation auf das dicht bewachsene Gelände<br />

gestellt. Eine eng geschlossene Kreisformation kommt der historischen Vorläuferform nahe<br />

und ist die Folge <strong>einer</strong> nicht erfolgten Duldung von städtischer Seite.<br />

Wegen der Besetzung ergeht im Januar ein Räumungsbescheid vom Amt für<br />

Öffentliche Ordnung für den 01.02.07.<br />

Durch den Kauf eines Teiles der<br />

bundeseigenen Liegenschaft wird die<br />

Stadt die Parkplatzfläche für das<br />

gegenüberliegende Messegelände<br />

ausweiten und die geplante<br />

Verlängerung der Stadtbahnlinie<br />

vorerst zurückstellen. Von Seiten der<br />

Punkgruppierung wird daraufhin<br />

begonnen, den Platz zu<br />

verbarrikadieren, um sich gegen eine<br />

ersatzlose Räumung zur Wehr zu<br />

setzen. Ein geschlossener<br />

Abb. 32: Wagenburg <strong>mit</strong> Umwallung<br />

palisadenartiger Wall wird um die<br />

Burg herum errichtet, Bäume werden<br />

gefällt und Vorrichtungen gegen<br />

80 Es handelt sich im europäischen Vergleich um eine Bewegung, die zwar als Jugendstil Fuß<br />

gefasst hat, jedoch im gesamtgesellschaftlichen Kontext <strong>mit</strong> den anarchistischen Axiomen<br />

kaum rezipiert wurde. Spanien, Frankreich, Italien oder Russland zeigen einen weitaus<br />

stärkeren Bewegungssektor im Subpolitik-Bereich. Theoretische Grundlagen des Anarchismus<br />

(Herrschaft ohne Hierarchie) legte Étienne de La Boétie im 16. Jhr. (vgl.: KERBS<br />

1971: 84 f.)<br />

62


Lebenswelt<br />

Räumfahrzeuge in den Boden gestemmt. Mit Tarnnetzen und Folien wird die Wagenburg<br />

zusätzlich nach oben gegen Aufzeichnungen von Polizeihubschraubern abgeschirmt.<br />

Transparente machen nach außen hin auf die Situation aufmerksam.<br />

Neben der ersatzlosen Räumung an der Stadtperipherie stehen häufig ausgesprochene<br />

Innenstadtverbote, welche den Betroffenen das Betreten des Zähringer-Altstadtkerns nur für<br />

die nötigsten Besorgungen genehmigen. Parallel zu dem postmodernen<br />

Wirkungsmechanismus Partizipation, Heterogenisierung nach Lebensmilieus, subpolitisches<br />

Engagement, Herausforderung der Hypotaxe zeigt sich hier die Wagenburg als Formgeber für<br />

den Versuch, einen anarchistischen Lebensstil <strong>mit</strong> sozialökonomischem Wirtschaften<br />

innerhalb <strong>einer</strong> Kleingruppe zu praktizieren. Als Gegenhorizont steht für die meisten<br />

Obdachlosigkeit, Notunterkünfte oder Konflikte in Mietwohnungen.<br />

Joe (Anfang 30 - gelernter Mechaniker) Samstag, 20. Januar 2007, 19:30 Uhr<br />

F: Wie oft bemerkst du, dass du in keinem Haus wohnst?<br />

J: Ja klar, jeden Tag. Morgens, Mittags, Abends. Hier kann ich meine Hunde direkt aus dem<br />

Wagen raus laufen lassen. (...) die ganzen Betonklötze die rumstehen, da hab ich kein Bock<br />

drauf. Da hast du dann immer deine Nachbarn, <strong>mit</strong> denen du Stress hast oder irgend ein<br />

Vermieter stresst, der dir sagt was du zu tun oder zu lassen hast. Und hier tut man eben selbst<br />

seine Regeln bestimmen <strong>mit</strong> seinen Leuten. Hier kann man sich absprechen und man hat nicht<br />

den Zwang von oben. Du zahlst deine Miete jeden Monat, so und so viel Euro Nebenkosten.<br />

Hier ist es um einiges leichter, du lebst draußen, bist in der Natur. Das ist auch gerade wenn<br />

man Hunde hat besser als ein Haus oder sonst was.<br />

F: Wieso ist die Wagenburg gerade hier entstanden?<br />

J: Also wir waren hier schon mal, vorletztes Jahr. Das Gelände hier steht seit Jahren leer.<br />

Alles zugewuchert. Daraufhin haben wir gesagt, hier ist nichts, hier passiert nichts, also<br />

können wir hier unsere Wagenburg drauf setzen, weil es braucht eh k<strong>einer</strong>. Deshalb haben wir<br />

den Platz hier gewählt. Und letztes Jahr wurden wir eben schon einmal geräumt hier.<br />

F: Wie sieht es aus, wenn man in der Innenstadt sein möchte?<br />

J: Wenn man <strong>mit</strong> drei vier Leuten an einem Platz steht, ne Decke für die Hunde ausgebreitet<br />

oder sonst was, dann ist das illegales Lagern. Und das verstößt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit und Ordnung und gibt ne Anzeige. Und es gibt einen sofortigen Platzverweis. Es<br />

gibt auch mehrere Leute, die haben jetzt auch schon Innenstadtverbote 81 direkt, die dürfen<br />

sich nur noch um das Nötigste zu besorgen in der Innenstadt aufhalten, wenn nicht, gibt es<br />

achtundvierzig Stunden Beseitigungsgewahrsam und ne erneute Anzeige und Bußgeld.<br />

81 Innstadtverbote werden meist für ein Jahr ausgesprochen.<br />

63


F: Ändert sich was, wenn man längere Zeit im Wagen lebt?<br />

Lebenswelt<br />

J: (2) Weiss nicht ob sich da was ändert. Die meisten von uns haben schon zig Jahre auf der<br />

Straße ohne Wagen gelebt. Man hat einfach sein Zuhause, das man immer dabei hat. Es gibt<br />

einem Rückhalt, wenn du weißt, du hast da was, wo du rein gehen kannst, wo du die Tür zu<br />

machen kannst, bub aus, hast du deine Ruhe. Was sich da ändert weiß ich nicht. Wenn man<br />

auf einem Platz lebt, dann tut sich das Gemeinschaftsgefühl stärken. Wir leben hier<br />

sozialökonomisch, das heißt, wenn jemand was braucht, alle tragen die Kosten von allen,<br />

egal um was es geht, wenn jetzt jemand Gerichtskosten hat, dann bezahlt der, der mehr hat,<br />

wer halt was hat der legt mehr rein, bei <strong>einer</strong> kleinen Gruppe wie wir das sind geht das recht<br />

gut. Das was alle brauchen, wird auch von allen getragen.<br />

F: Warum gibt es soviel Druck gegen die Wagenburg?<br />

J: Ich glaube die Stadt hat auch Angst davor, das sich da auch ein politisches Spektrum bildet,<br />

das nicht nach der Pfeife gerade tanzt, so wie es der Staat gerade will. Leute die sich selbst<br />

organisieren können und nicht immer unter staatlicher Obhut sind und kontrolliert werden.<br />

Und sich auch dagegen stellen können. Dass die Leute auch Freidenker sind und nicht durch<br />

Medien zugeschüttet. Nicht, du musst morgens zur Arbeit gehen, weil der Staat das so will,<br />

schön in die Rentenkasse einzahlen und <strong>mit</strong> vierundsechzig kriegst du dann deine Rente, und<br />

du musst ein Häuschen haben <strong>mit</strong> Garten. 82<br />

Abb. 33 - 35: Räumung der vorherigen Punkburg Juli 2006 83<br />

82 Im Februar 2007 wurde die Wagenburg durch Polizeikräfte abermals eingekesselt und<br />

geräumt. Wobei vorzeitig die Wagen hinter dem palisadenartigen Sichtschutz entfernt wurden<br />

und sich die Wagenburg als Täuschungskörper heraus stellte (siehe Funktion der historischen<br />

Wagenburg ➣ 2.1). Bis zum Abschluss der Recherche Ende März 2007 trat die Gruppierung<br />

im Stadtbild Freiburgs vorerst nicht in Form <strong>einer</strong> Wagenburg wieder in Erscheinung.<br />

83 Quelle: http://de.indymedia.org/2006/07/151527.shtml<br />

64


3.2.6 Urstrom: geduldet<br />

Lebenswelt<br />

Unter ökologischen Aspekten hat sich am Rande des südlichen Stadtwalddistrikts<br />

(XIV) nahe des Ortes Tiengen eine kleine Wagenburg <strong>mit</strong> familienartigen Strukturen seit<br />

über einem Jahrzehnt etabliert. 84 Die Wagenburg stellt den autarken Versuch dar, den Idealen<br />

<strong>einer</strong> Anti-Atomkraftbewegung ein lebensweltliches Perdon zu geben.<br />

Auf <strong>einer</strong> circa 600 qm großen Wiesenfläche leben hier eine Frau, zwei Männer und<br />

ein schulpflichtiges Kind. Alle drei Erwachsenen sind berufstätig, das Mädchen geht nach<br />

eigenen Angaben gerne zur Schule. Das Grundstück selbst ist von einem ortsansässigen<br />

Bauern gepachtet und von Seiten der Stadt geduldet. Im weiteren Umfeld gibt es keine<br />

Ansiedlungen und auch der geschotterte Waldweg entlang des Mischwaldes endet, bedingt<br />

durch eine umzäunte Weidefläche, hier<br />

Die Versorgung der<br />

Wagenburg (ein umgebauter LKW<br />

und vier zum Teil historische Wagen)<br />

<strong>mit</strong> Frischwasser ist über einen 700<br />

Liter röhrenförmigen Zinktank<br />

gewährleistet, welcher im Sommer<br />

alle 3 Wochen und im Winter alle<br />

vier Wochen <strong>mit</strong> Hilfe <strong>einer</strong><br />

Zugmaschine und einem<br />

landwirtschaftlichen Hänger bei<br />

Abb. 36: Rechtwinklige Wagenburgformation<br />

Bekannten in der Nähe befüllt wird.<br />

Ein privates Unternehmen übernimmt<br />

zwei Mal jährlich die Entsorgung<br />

eines Toilettentanks (Hochklo). Die<br />

Energieversorgung ist ausschließlich<br />

über Solarzellen geregelt. Mehrere parallel geschaltete Batterieblocks in den Wagen speichern<br />

über die Sommer- und Herbstmonate Energie für die winterliche Jahreszeit, wo die direkte<br />

oder diffuse Sonneneinstrahlung nicht mehr ausreicht, um den Tagesbedarf zu decken. Im<br />

Hochsommer dient eine verspiegelte Parabolschüssel zusätzlich als Energiekonverter zum<br />

Erzeugen von kochendem Wasser. Beheizt werden die Wagen ausschließlich <strong>mit</strong> Holz.<br />

Regenauffangbehälter stellen eine zusätzliche Wasserreserve für einfache Belange dar,<br />

hauptsächlich dienen sie jedoch als Trinkwasser für mehrere Schafe, Hühner und Enten,<br />

welche sich in Stallungen neben <strong>einer</strong> zusätzlich gepachteten Weidefläche im un<strong>mit</strong>telbaren<br />

Umfeld befinden.<br />

84 Lageangabe ist leicht verfälscht wieder gegeben, um die fragile rechtliche Lage des Platzes<br />

nicht zu gefährden und auch um weiteren Zuzug nicht zu fördern. Ausdrücklich wird darauf<br />

hingewiesen, dass kein weiterer Stellplatz zur Verfügung gestellt werden kann.<br />

65


Lebenswelt<br />

Postmodernität zeigt sich in <strong>einer</strong> weiteren Ausdifferenzierung nach Lebensstilen,<br />

durch die Verwerfung <strong>einer</strong> stiltreuen Wohnarchitektur, durch subpolitisches Engagement,<br />

Partizipation, das selbstständige Erzeugen ehemaliger staatlicher Grundversorgungen sowie<br />

das Verwerfen eines positivistischen Fortschrittsglaubens. Im folgenden Interviewbeitrag<br />

zeigt sich darüber hinaus die Lebenswelt der Sinti und Roma als idealistischer Gegenhorizont.<br />

Abb. 37 - 39: Traditionelle und moderne Wagenformen (Quelle: eigen Jan./2007)<br />

Uri Fried (Anfang 40 – Landwirt und Wagenbauer), Donnerstag, 11. Januar 2007, 15:30 Uhr<br />

F: Wie oft bemerkst du, dass du in keinem Haus wohnst?<br />

U: Wie oft ich merk, dass ich (lachen) gar nicht, ich hab den Vergleich zum Haus echt<br />

verloren. (lachen) Ne, das ist mein zu Hause und da hab ich nie so das Bedürfnis, gut ich<br />

wollte schon einmal ein Haus kaufen, aber das ist irgendwie, nicht weil ich mir jetzt hier<br />

direkt ein Haus ersehne, sondern weil ich da mehr Platz und mehr Räumlichkeiten hätte. Das<br />

ist wohl der Grund.<br />

F: Was macht diesen Raum im Wagen aus?<br />

U: Die vielen Fenster. Ich finde es wirklich toll einen kleinen Raum zu haben, der aber in alle<br />

Richtungen hin offen ist und wo man wirklich auch nur das Notwendigste hat und dies auch<br />

braucht, also Bett, Spüle, Stuhl, Klamottenschrank. Fertig. Super. (3) Du kannst einfach viel<br />

draußen sein, ich liebe das draußensein. Das ist es irgendwo, der Wagen ist klein und<br />

schnuckelig und draußen, das ist das Wohnzimmer. Drinnen die Schlafkajüte. Total gut.<br />

F: Was führt zu mehr Gruppenbildung, das gemeinschaftliche Interesse, oder der Druck von<br />

außen, politisch, städtisch?<br />

U: Ich denke, oftmals ist es der Druck von außen. Denn der ist so gemacht, dass man einfach<br />

zusammenhalten muss, wenn die Leute sich vereinzeln besteht keine Chance, sich gegen<br />

diesen Druck zu wenden und so ist man aufeinander wirklich angewiesen, was man sonst im<br />

Leben ja nicht so spürt. Aber es geht auch oft einher <strong>mit</strong> einem politischen Willen. Eigentlich<br />

gehört es zusammen. Durch den Druck entsteht ein politischer Wille, dadurch entsteht meist<br />

noch mehr Druck, weil die Leute sich politisch verhalten, was der Stadt wiederum nicht<br />

gefällt. Der Druck wird erhöht, wodurch den Leuten aber klarer wird was sie politisch wollen,<br />

66


Lebenswelt<br />

da kann man hier in Freiburg schon klar eine Entwicklung sehen, dass die Leute sich<br />

politisieren über die Auseinandersetzungen, die es gab. Vorher war es den Leuten vielleicht<br />

gar nicht so bewusst, dass es so massive Widerstände gibt.<br />

F: Vielleicht abschließend noch zwei weiter gefasste Fragen. Würdest du Wagenburgen und<br />

die ethnische Minderheit der Sinti und Roma in Verbindung bringen können?<br />

U: Das ist für mich selber ne schwierige Frage. Weil ich mich in meinem Idealgefühl, was ich<br />

schon hatte im Wagen, mich schon orientiert hab nach diesen alten Zigeunergeschichten.<br />

Einmal wollten wir eine Wagenkaravane machen in den Neunzigern, da hatte ich dann viel<br />

Literatur gewälzt und festgestellt, dass viele Fahrende, Sinti , Romas, Vagabunden, dass die<br />

bestimmte Landstriche hatten wo sie unterwegs waren um Handel zu treiben. Aber doch auch<br />

wiederum oftmals ihren festen Platz hatten. Und so habe ich mir das alles auch ein wenig<br />

nahe geholt und ich finde es sich auch schon, wenn ich merke, wie das Draußenleben für mich<br />

auch positive Qualitäten hat, das Verbundensein <strong>mit</strong> der Natur, das Zusammengehören zu der<br />

Gruppe, die im Wagen wohnt. Draußen Feuer machen, kochen, feiern. Vielleicht sind das<br />

Sachen, die da eine Verbindung herstellen, für mich persönlich. Aber für die Zigeuner selber,<br />

da ist das wohl ne ganz andere Geschichte. Da steht die Sippe wohl mehr im Zentrum und<br />

nicht das Draußen leben. Für mich ziehe ich Verbindungen.<br />

F: Ist das Ganze eher ein Wertekonflikt oder ist es mehr ein Interessenskonflikt, wo es mehr<br />

um die Fläche geht?<br />

U: In erster Linie denke ich ein Wertekonflikt, denn Fläche gäbe es eigentlich genug die<br />

brachliegen. Es ist ein Wertekonflikt. Ich denke die normale; Bevölkerung, die fühlt sich da<br />

bestimmt in ihren hochgehaltenen Werten schwer verletzt (lachen). Die Leute müssen nicht so<br />

viel arbeiten, die haben ein lockeres Leben, zahlen keine Miete, müssen kein Haus<br />

abbezahlen. Die Vorurteile, die ziehen nur rum und klauen, leben auf Kosten anderer. Das<br />

sind Sachen die muss die Bevölkerung schon verteidigen. Ich denk sogar, dass die Stadt,<br />

wenn es nicht eine solche Werteverschiebung darstellen würde, würde sie vielleicht auch<br />

sagen, nehmt euch den Platz und Ruhe jetzt <strong>mit</strong> euch. Aber dadurch, dass sie einen Platz<br />

geben, unterstützen sie auch die Werte, deshalb sind sie eigentlich auch in erster Linie<br />

dagegen.<br />

F: Noch ein paar abschließende Worte?<br />

U: Ich fände es gut, persönlich interessiert mich die Geschichte der Sinti und Romas, weil ich<br />

glaub die ganzen Vorurteile treffen zum Teil auch uns. Und ich sehe, die auch zum Teil als<br />

die großen Vorreiter vom Wagenleben überhaupt. Gäbe es dies heute, ohne die Kultur des<br />

fahrenden Lebens? Das fände ich interessant, da mehr Verbindungen herzustellen, sowohl<br />

persönlich, als auch im Größeren.<br />

67


3.2.7 Ölmühle: geduldet<br />

Lebenswelt<br />

Seit Ende 1992 besteht, ebenfalls unter ökologischem Vorzeichen, die Wagenburg<br />

Ölmühle am nordwestlichen Stadtgemarkungsrand. 85 Zwei Zirkuswagen und sieben<br />

Bauwagen stehen hier auf <strong>einer</strong> circa 1000 qm großen gepachteten Wiesenfläche, die einst als<br />

Weide und zur Futter<strong>mit</strong>telproduktion diente. Die eigentliche Siedlungskontinuität der Stadt<br />

reicht nicht bis an das Areal heran, so dass sich lediglich ein altes Bauernhaus 86 in der<br />

un<strong>mit</strong>telbaren Nachbarschaft befindet. Eine Überlandstraße sowie die Haupttrasse der<br />

Eisenbahnverbindung Freiburg-Basel verlaufen ebenfalls in räumlicher Nähe. Mit Hilfe von<br />

Strauch- und Baumbepflanzungen wurde allerdings versucht, die beidseitige Lärmemission<br />

nachhaltig zu dämmen.<br />

Die größtenteils familiäre Gruppenstruktur - heute bestehend aus fünf Erwachsenen<br />

und vier Kindern - verblieb relativ stabil seit Bestehen des Platzes. Abzüge waren beruflich<br />

bedingt oder durch den Wunsch, ein eigenes Haus zu bauen.<br />

Der Platz selber zeichnet sich durch ein selbstentworfenes Wegenetz aus, welches die<br />

einzelnen Wagen in ihrer ovalen Anordnung über Holzstege <strong>mit</strong>einander verbindet. Neben<br />

einem großen Zirkuswagen, der als gemeinschaftlicher Aufenthaltsraum <strong>mit</strong> Esstisch,<br />

Couchecke, Telefonanschluß und geräumiger Kochmöglichkeit ausgestattet ist, gibt es noch<br />

einen Gästewagen, der für nahe Bekannte und Verwandte als Unterkunft dienen kann.<br />

Geheitzt wird aussschließlich <strong>mit</strong> Holz. Mit Hilfe von großflächigen Sonnenkollektoren wird<br />

Warmwasser hergestellt. Solarpaneele auf den einzelnen Wagen sichern die Stromversorgung<br />

der wenigen<br />

Elektrogeräte.<br />

Ein Windrad<br />

deckt zusätzlich<br />

den<br />

Strombedarf in<br />

sonneneinstrahl<br />

ungsarmen<br />

Monaten. Über<br />

eine<br />

Schwängelpum<br />

pe und eine 4,2<br />

Meter tiefe<br />

Quellfassung<br />

Abb. 40: Offener Wagenburgkreis<br />

85<br />

Auf eine genauere Lagebeschreibung muss aus Rücksicht auf den rechtlichen Status der<br />

Burg verzichtet werden.<br />

86<br />

Das Gebäude wurde im Juli 2006 durch das Freiburger Mietshäusersyndikat erworben und<br />

wird in Eigenregie nun restauriert und ausgebaut.<br />

68


wird Grundwasser (zum Teil Rheinuferfiltrat) 87 gefördert, was die Autarkie weiter erhöht.<br />

Lebenswelt<br />

Als Gegenhorizont, oder vielmehr Vergleichshorizont, zeigt sich im nachfolgenden<br />

Interviewausschnitt das Einfamilienhaus oder die Wohnung. Postmoderne<br />

Wirkungsmechanismen in Form der Pluralisierung von Lebensstilen, <strong>einer</strong><br />

Postsuburbanisierung, Partizipation, Engagement im subpolitischen Bereich, Erweiterung der<br />

traditionellen Familienstruktur, sowie die Abwendung von <strong>einer</strong> positivistischen<br />

konsumorientiertern Leitkultur manifestieren sich darüber hinaus.<br />

Abb. 41 - 43: Gemeinschaftswagen und Privatwagen (Quelle: eigen Nov./2007)<br />

Ellen Koppitz (Mitte 30 – Caritas-Mitarbeiterin) Donnerstag, 30.November 2006, 16:30 Uhr<br />

F: Warum kennt k<strong>einer</strong> die Wagenburg-Ölmühle?<br />

E: Das erklärt sich dadurch, dass diese Wagenburg auf privatem Grund steht und nicht auf<br />

städtischem und deswegen ist es auch einfacher, sich zu arrangieren. Es bringt einfach nicht<br />

so viel Stress <strong>mit</strong> sich, denn bei städtischem Grund und Boden, da wollen immer alle<br />

<strong>mit</strong>reden. Gemeinderäte, und so weiter. Wenn man sich jedoch nur privat <strong>mit</strong> jemandem<br />

einigen muss, dann ist es unter Umständen leichter. So war es zumindest bei uns. (3) Der OB<br />

Böhme hat damals die Devise ausgegeben, wenn die soziale Akzeptanz herrscht im Umfeld<br />

von ner Wagenburg auf Privatgrund, dann unternimmt die Stadt nichts dagegen (2) und so<br />

war das bei uns. (2) Als wir im Herbst 92 hierher gezogen sind haben wir gleich versucht,<br />

uns eine Lobby im Dorf zu erschaffen. Wir haben die Leute aus dem Dorf eingeladen zum<br />

Kaffee trinken und haben ihnen alles gezeigt und so bewiesen, dass wir ganz normal sind und<br />

nur ein bisschen spinnen was die Wohnform betrifft. Wir haben auch konsequent im Dorf<br />

eingekauft, beim Bauer die Milch, beim Winzer den Wein, im kleinen Edeka, Pferde hatten<br />

wir untergestellt. Und uns so<strong>mit</strong> eben integriert und dadurch hatten wir da auch nie Probleme,<br />

sondern nur Fürsprecher. (2) Und ansonsten waren wir sehr unauffällig: keine Hunde, keine<br />

Trecker, keine Autos und dadurch hat das niemanden groß gestört. Und man lebt ja auch hier<br />

ein wenig abgelegen, weg vom Dorfrand <strong>mit</strong>ten in den Feldern. Bahn und Straße, da will eh<br />

k<strong>einer</strong> wohnen. Alles laut. So kam das.<br />

87 Eine Untersuchung stellte leicht erhöhte Keimspuren im Wasser fest, dennoch qualifizierte<br />

es sich als Trinkwasser, lediglich für Kleinkinder sollte es nicht verwendet werden.<br />

69


F: Was bedeutet denn Selbstverwaltung für euch hier?<br />

Lebenswelt<br />

E: Na ja, es gibt ja die angenehmen Seiten des Wagenlebens und es gibt die, die unter<br />

Umständen unangenehm sein können (2) nämlich, dass man sich um alles selbst kümmern<br />

muss. Und Selbstverwaltung heißt für mich in dem Zusammenhang, dass ich mich selber ums<br />

Wohnen, ums Wasser, um Energie, um Heizung, um alles kümmern muss. Wenn ich <strong>mit</strong><br />

m<strong>einer</strong> Sense ein Kabel durchsens beim Rasenmähen, dann muss ich gucken wie ich es selber<br />

wieder zusammenflicke. Wenn ich nicht für mein Brennholz sorge, dann ist mir kalt im<br />

Winter, das macht nicht irgendwer für dich.(2) Das kann für manche Leute sehr unangenehm<br />

sein. Es ist vor allen Dingen sehr zeitaufwändig. Man verbringt hier mehr Zeit <strong>mit</strong> der<br />

Organisation des Alltags, als in einem Haus oder in <strong>einer</strong> Wohnung. (2) Und früher hieß<br />

Selbstverwaltung, dass man zu acht gleichberechtigt Entscheidungen trifft. Wir haben viel<br />

diskutiert und debattiert.<br />

F: Also, wenn ich es richtig verstanden habe, dann hattet ihr nie groß etwas <strong>mit</strong> der<br />

Wagenburgbewegung in der Stadt zu tun?<br />

E: Nie gehabt. Uns ging es auch nie primär um das Wagenleben, sondern um ein ökologisches<br />

Leben und um ein Leben in Gemeinschaft. Wir wollten also auch nie die Schlacht schlagen<br />

für alle, die im Wagen wohnen, weil wir uns als solche gar nicht indentifiziert haben, primär.<br />

(2) Ökologie reichte aus als Ideologie. Was da schon alles dazu gehört: Nachhaltigkeit,<br />

bewusstes Leben, ganzheitlich und gemeinschaftlich, (2) das reicht aus. (lacht) Klar, es ist<br />

hier ein Randplatz, aber im Paradies wohnt k<strong>einer</strong>.<br />

F: Habt ihr irgendwas <strong>mit</strong> nem Motor?<br />

E: Ne Kettensäge.<br />

F: Andere ökologische Aspekte?<br />

E: Dass wir beim Biobauern kaufen, dass wir Fahrrad fahren, Holzheizung, Strom selber<br />

machen, was noch? (2) Einfach nicht ein so konsumistisches Leben führen. Sich beim BUND<br />

engagieren [Bund für Umwelt und Naturschutz].<br />

F: Wie lange würde es dauern, die Wiese wieder in ihren ursprünglichen Zustand zu bringen?<br />

E: Wenn man alle Wägen wegzieht und die Kabel [von den Solarpaneelen und Telefon] aus<br />

dem Boden nimmt, dann ist das Arbeit für eine Woche, dann streut man Grassamen und ein<br />

paar Monate später siehst du nichts mehr. Außer, dass wir relativ viel Bäume gepflanzt haben<br />

(lacht), die hier vorher nicht standen.<br />

70


3.2.8 Susiburg: gesichert<br />

Lebenswelt<br />

Diese Wagenburg ist integraler Bestandteil und Resultat eines privat organisierten Rezivilisierungs-Projektes<br />

auf dem Gelände des ehemaligen französischen Quartiers Vauban.<br />

Parallel zu der Ausarbeitung eines Umnutzungskonzeptes und der Gründung eines<br />

eingetragenen Vereins (SUSI e.V.- Selbstorganisierte unabhängige Siedlungsinitiative) fand<br />

1993 eine stille Besetzung von mehreren Mannschaftsunterkünften statt, um <strong>einer</strong>seits der<br />

starken Wohnungsnot in Freiburg und andererseits den Komplettabrissplänen der Stadt<br />

entgegen zu wirken.<br />

Initiator war eine Gruppe von 10 Studenten, die <strong>mit</strong> Hilfe des unabhängigen Asta und<br />

des Freiburger Mietshäusersyndikats einen ökologisch nachhaltigen und kostenminimierten<br />

Umbau der 50 mal 16 Meter großen, dreistöckigen Mannschaftsunterkünfte in die Wege<br />

leiteten. Es ging um den Erhalt der noch guten bis sehr guten Bausubstanz. „Umbau statt<br />

Neubau“ lautete die Devise, in deren Kontext von Anfang an auch eine integrierte<br />

Wagenburg auf <strong>einer</strong> Freifläche zwischen den Häusern als Nachverdichtung geplant war.<br />

Von 24 ehemaligen Mannschaftsunterkünften konnten in diesem Rahmen 4 vor einem<br />

Abriss bewahrt werden, und so ging direkt Eigentum vom Bund an die neu gegründete<br />

basisdemokratische Struktur über, die sich als rechtlichen Rahmen den <strong>einer</strong> GmbH wählte.<br />

Besondere Berücksichtigung im Projekt fanden hierbei auch Menschen, die von<br />

Obdachlosigkeit bedroht waren und sich das gemeinschaftliche Zusammenleben in<br />

unterschiedlichsten Wohngemeinschaften vorstellen konnten. Geld sollte hierbei weniger ein<br />

Zutrittkriterium sein, als das Einbringen <strong>einer</strong> so genannten Muskelhypothek, bei der die<br />

eigene Arbeitskraft angerechnet werden kann. Insgesamt fanden so knapp 260 Menschen in<br />

den Häusern und knapp 20 auf dem Wagenplatz einen neuen Wohnraum.<br />

Auf dem heutigen Wagenplatz (circa 900 qm) leben größtenteils Familien in<br />

ausgebauten Bau- und Zirkuswagen. Zu den 16 Wagen auf dem Platz gesellen sich mehrere<br />

umgebaute LKWs und Omnibusse, die sich zeilenförmig am Rande des SUSI-Geländes<br />

anschließen. Für einen kurzzeitigen Aufenthalt stehen ein Gästewagen sowie zwei<br />

Durchfahrerplätze zur Verfügung. Viele der Bewohner gehörten nicht <strong>einer</strong> mobilen<br />

Wagenbewegung an, sondern bezogen den Wagen direkt aus dem Haus heraus.<br />

Was die infrastrukturelle Ausstattung anbelangt, so gibt es ein Badehäuschen, welches<br />

un<strong>mit</strong>telbar an einen ehemaligen Kasernenblock angeschlossen ist. Hier befinden sich<br />

gemeinschaftliche Duschen, Badewanne, Waschbecken und Klo. Die Wagen werden<br />

ausschließlich <strong>mit</strong> Holz beheizt und verfügen selbst über keinen Wasseranschluss. Mit<br />

Kanistern muss das Wasser von der zentralen Stelle geholt werden. Ein Verteilerkasten auf<br />

220 V Basis versorgt die einzelnen Wagen <strong>mit</strong> Elektrizität. Solaranlagen auf angebauten<br />

Terrassen und Veranden speisen zusätzlich Strom ein. Ein geschottertes Wegenetz verbindet<br />

die Wagen untereinander über den ansonsten grasbewachsenen Zwischenraum. Ein lockerer<br />

Baumbewuchs <strong>mit</strong> zum Teil über 15 Meter hohen Eichen verbessert das Mikroklima für die<br />

71


Lebenswelt<br />

Wagen und die umgebenden Häuser. Teilweise erfolgt der Zugang zu den<br />

Erdgeschosswohnungen über das verbindende Wegenetz des Platzes.<br />

Abb. 44: Flexible Wagenburganordnung zwischen Wohnhausbebauung<br />

Susiburg zeigt sich seit 12 Jahren als integratives Projekt in einem dichten<br />

Wohnbauviertel. Wenige Regelungen, wie das Verbot des Verbrennens von nassem Holz oder<br />

Kohlen, ermöglichen hier das Bestehen zweier verschiedenster Wohnformen auf engstem<br />

Raum. Theoretisch denkbar und in Diskussion ist ein Vorschlag zur ausschließlichen<br />

Beheizung der Wagen <strong>mit</strong> Gastechnik, um die Emissionen weiter zu minimieren und um<br />

hier<strong>mit</strong> die Wohnqualität der umliegenden Gebäude weiter zu verbessern. Die kostengünstige<br />

Nachverdichtung, die auch Wohnraum für einkommensschwache Menschen bereithält, weist<br />

eine stark gefestigte Bewohnerstruktur auf. Wechsel finden selten statt. Anteilmäßig wird ein<br />

Teil der Gesamtkosten des Projektes auf sie übertragen, wie zum Beispiel Erbpachtzins,<br />

Wasser oder Müllabfuhr. So entfallen pro Wagen ungefähr 90 Euro monatlich an<br />

Grundgebühr.<br />

Noch einmal zeigen sich auch bei der letzten vorgestellten Wagenburg die<br />

postmodernen Wirkungsmechanismen: Subpolitisches Engagement, Partizipation und<br />

Heterogenisierung der Stadtlandschaft. Darüber hinaus zeigt sich ein pluralistisches<br />

Nebeneinander der verschiedensten Wohn- und Lebensstile auf engstem Raum.<br />

Ästhetisierung des eigenen Wohnumfeldes und der Entwurf eines avangardistischen<br />

Hybridstiles erhalten auf diesem rechtlich langfristig abgesicherten Platz eine neue Qualität.<br />

Als Gegenhorizont wird oftmals triste Massenarchitektur gesehen <strong>mit</strong> wenig individuellen<br />

Gestaltungsmöglichkeiten.<br />

72


Lebenswelt<br />

Auszüge aus einem Interview <strong>mit</strong> Bobby Glatz, welcher selbst Wagenbesitzer war und<br />

das Projekt von Anfang an begleitet hat, verdeutlichen einige Wirkungsmechanismen und die<br />

Sicht eines Architekten auf die Thematik. Wohnhaft ist er heute <strong>mit</strong> s<strong>einer</strong> Familie in einem<br />

der umgebauten Quartiere gleich neben dem Wagenplatz.<br />

Bobby Glatz (Anfang 40 - Architekt) Montag, 4. Dezember 2006, 15:30 Uhr<br />

F: Wie hat das bei dir angefangen <strong>mit</strong> Wagenburgen?<br />

B: (...) Ich hab damals meinen Wagen auf das Gelände hier gezogen, also der erste Wagen auf<br />

dem SUSI-Gelände, und habe den hier auf dem Platz, in den Zwischenraum gestellt, einfach<br />

auch um ein Zeichen zu setzen, weil das auch wichtig war, gerade im Projekt SUSI, dass im<br />

Projekt ein Wagenplatz ist, ein Wagenbereich. Es wurde dann städtebaulich eingearbeitet in<br />

einen Plan und hieß dann irgendwie Freiraum für experimentelles Wohnen auf Rädern. So<br />

war das dann schon mal von Anfang an immer bei dem Gesamtprojekt <strong>mit</strong> drin, also Teil<br />

<strong>einer</strong> Idee, wie man die Kaserne umnutzen kann. Gerade, wenn so ein Stadtteil völlig neu<br />

entsteht, also eigentlich die Chance ist, sowas auch stadtnah zu integrieren. Weil wenn erst<br />

mal Wohnbebauung da ist, und man muss das nachträglich machen, dann wird es halt<br />

schwierig. Es ist gut, es von vorneherein irgendwo, bevor die Nachbarschaft da ist, das zu<br />

ermöglichen.<br />

F: Am Anfang gab es noch Interessengruppen, zwischen denen man ver<strong>mit</strong>teln musste. Zum<br />

einen die Anwohner, die, die im Haus sind, und die städtische Seite. Was kann man da jetzt<br />

sagen?<br />

B: Das war auch eine Riesenaktion, eine Gratwanderung, weil es ja auch vom baurechtlichen<br />

her nicht vorgesehen war, es bleibt eben eine Grauzone. Es hat sich eben etabliert hier. Wir<br />

haben das nie verschwiegen, sondern offensiv vertreten von SUSI aus, dass es diesen<br />

Wagenplatz gibt, eigenverantwortlich natürlich. SUSI übernimmt natürlich nicht die<br />

Verantwortung, was die Leute da machen. Es hat sich halt so entwickelt. Der Freiraum war<br />

da. Und jetzt existiert der Wagenplatz und wir haben gute Erfahrungen da<strong>mit</strong> gemacht. Die<br />

Leute müssen anteilig ihre Unkosten und ihren Verbrauch bezahlen. Ein ganz normales<br />

Wohnverhältnis.<br />

F: Eine nachhaltige Form des Wohnens?<br />

B: Das ist sehr umstritten. Gerade die Grünen haben am Anfang ja manchmal Probleme <strong>mit</strong><br />

Wagenplätzen und so, nach dem Motto: wenn die dann irgendwo im Wald sind oder auf <strong>einer</strong><br />

Lichtung oder in Gebieten, wo eigentlich gar nicht gebaut werden darf, oder so etwas. Dann<br />

kommt hinzu, dass man nur eine relativ geringe Verdichtung herausholt städtebaulich. Aber<br />

diese zwei Argumente haben wir im Laufe der Jahre geschafft zu entkräften, so dass die<br />

einsichtig sind, und sich auch die Grünen da letztendlich für die Wagenplätze schon auch<br />

einsetzen oder eingesetzt haben. Aber es hat auch gedauert. Es war nicht gleich<br />

73


Lebenswelt<br />

selbstverständlich. Es wird nichts versiegelt, kaum Ressourcen verbraucht, es ist nur eine<br />

temporäre, vorübergehende Sache und es ist vor allem auch eine Wohnform. Dass es eben das<br />

Recht geben soll, dass man eben auch so wohnt, und dann musste man auch klarmachen, dass<br />

immer nur ein verschwindend geringer Teil der Leute sind, die so wohnen oder leben wollen.<br />

Und dass es da eher um Toleranz geht. Dass es das halt auch geben kann. Es sagt ja jetzt<br />

niemand, dass alle in einem Wagen wohnen sollen, sondern es geht einfach darum, dass es<br />

das auch gibt, und seien es nun irgendwelche Leute, die beruflich auf Reisen angewiesen sind,<br />

und es da halt auch passt, ob es jetzt im Wohnmobil ist oder <strong>mit</strong> dem Zirkuswagen, das sei<br />

mal dahin gestellt. Leute, die ein einfaches Leben leben wollen und die sonst nicht die<br />

Möglichkeit hätten, dass sie sich das erfüllen können, und dass es auch seine Berechtigung<br />

hat.<br />

F: Wie siehst du die Entwicklung in der Stadt Freiburg?<br />

B: (...) Wenn man solche Plätze hat und solche Nischen, dann kann sich eben auch eine<br />

andere Kultur ansiedeln. Früher gab es Gaukler und reisende Händler und sonst etwas, die<br />

haben die Nachrichten <strong>mit</strong>gebracht von Ort zu Ort und haben dann irgendwo auch kulturell<br />

etwas hereingebracht. Ein Stück weit sehe ich es heute auch noch so, vielleicht ein wenig<br />

sesshafter. Es sind Leute, die einfach leben wollen und kleine Brötchen backen und oft wenig<br />

konsumieren und bei der ganzen Wirtschaftswachstumsgeschichte sich nicht beteiligen<br />

wollen. (2) Freiburg, glaube ich, war ja mal eine Stadt, wo alle Zugang hatten. So habe ich es<br />

irgendwie in Erinnerung vom Heimatkundeunterricht (lacht), dass die Menschen ursprünglich<br />

in den Stadtmauern von Freiburg sicher waren oder sein konnten. Da gab es zumindest mal<br />

irgendwann so eine Zeit.<br />

Abb. 45 - 46: Bau- und Zirkuswagen als lockere Nachverdichtung zwischen ehemaligen<br />

Mannschaftsunterkünften (Quelle: eigen Aug./2004)<br />

74


3.3 Normative Regelungsmechanismen<br />

Normativ<br />

Zur weiteren Konturierung des Phänomens steht im Folgenden die rechtliche<br />

Rahmensetzung im Mittelpunkt. Hierbei werden drei gesonderte Perspektiven eingenommen,<br />

um die Stellung <strong>einer</strong> Wagenburgkultur zu verorten. Im Speziellen geht es hierbei um<br />

baurechtliche Belange, um die Raumordnungskategorien eines Stadtplanungskonzeptes und<br />

die Berührungspunkte <strong>mit</strong> der Gesetzesausübung durch die Exekutiven.<br />

3.3.1 Baurecht und Wohnrecht<br />

Für die Beurteilung der rechtlichen Situation von Wagenburgen und ihrer<br />

Grundfunktion des Wohnens sind Bundesbaugesetz (BauGB) 88 , Baunutzungsverordnung<br />

(BauNVO) 89 sowie die jeweils länderspezifischen Bauordnungen die Rechtsgrundlage. Im<br />

Fall von Freiburg im Breisgau ist es so<strong>mit</strong> die Baden-Württembergische Bauordnung, kurz<br />

LBO 90 .<br />

Die auf bundesdeutscher Ebene festgelegten Grundsätze der Bauleitplanung beinhalten<br />

(§ 1 BauGB) „eine dem Wohl der Allgemeinheit entsprechende sozialgerechte<br />

Bodennutzung“, Förderung der „Eigentumsbildung weiter Kreise der Bevölkerung“ sowie<br />

eine „nachhaltige städtebauliche Entwicklung.“ Besondere Berücksichtigung sollen auch „die<br />

Anforderungen Kosten sparenden Bauens“ erfahren. Bodenversiegelung soll „auf das<br />

notwendige Maß“ begrenzt bleiben. All diese Leitgedanken lassen sich <strong>mit</strong> den Grundsätzen<br />

des Siedlungstypus Wagenburg in Einklang bringen.<br />

Darüber hinaus initiieren und regeln §§ 8-13 BauGB die vorbereitende<br />

Bauleitplanung, sprich den Flächennutzungsplan, und die verbindliche Bauleitplanung, also<br />

den konkreten Bebauungsplan.<br />

Differenzierte Regelungen zur Kategorisierung der Einzelfunktionen des Raumes im<br />

Flächennutzungsplan sind in der BauNVO §§ 2-11 festgeschrieben. Hierbei lässt sich<br />

feststellen, dass grundsätzlich alle Bauflächen und Baugebiete, <strong>mit</strong> Ausnahme der<br />

Industriegebiete, <strong>einer</strong> Nutzung für Wagenburgen offen stehen. Gewerbegebiete erhalten<br />

zusätzlich eine gewisse Einschränkung, da hier Wohnflächen, nur im Zusammenhang <strong>mit</strong> der<br />

gewerblichen Nutzung ermöglicht werden (Bereitschaftspersonal, Aufsichtspersonal,<br />

Betriebsleiter und Betriebsinhaber). 91 Die Sonderbaufläche 92 „experimentelles Wohnen“<br />

88 Quelle: http://www.bundesrecht.juris.de/bbaug/index.html<br />

89 Quelle: http://www.bundesrecht.juris.de/baunvo/index.html<br />

90 Quelle: http://www.bauordnung.at/deutschland/baden-wuerttemberglandesbauordnung.php<br />

91 So genannte beschleunigte und vereinfachte Verfahren (§§ 13 und 13a des BauGB)<br />

ermöglichen die kurzfristige Nachbesserung in der FNP-Zuordnung - im Speziellen für<br />

Belange der Innenentwicklung.<br />

75


Normativ<br />

weist im Gesamtkontext die flexibelsten Raumkategorisierungen für Wagenburgen auf,<br />

insbesondere dadurch, dass von städtischer Seite die ansonsten notwendigen und<br />

kostenintensiven Erschließungsarbeiten nicht geleistet werden müssen. Eine Regelung,<br />

welcher <strong>einer</strong> auf Autarkie bedachten Wohnform dienlich ist.<br />

Auf bundesdeutscher Gesetzesebene zeigen sich noch die Paragraphen 34 und 35<br />

BauGB <strong>mit</strong> ihren Festschreibungen zu Bauen im Innen- wie Außenbereich als maßgebliche<br />

Regelungsmechanismen. „Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein<br />

Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und<br />

der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung<br />

einfügt und die Erschließung gesichert ist.“ (Abs.1 § 34) Dieser durchaus wohlwollende<br />

juristische Leitgedanke für die Innenentwicklung zeigt sich in Bezug auf Vorhaben im<br />

Außenbereich wesentlich restriktiver. „Sonstige Vorhaben können im Einzelfall zugelassen<br />

werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und<br />

die Erschließung gesichert ist.“ (Abs.2 § 35 BauGB) Als öffentliche Belange werden im<br />

folgenden dritten Absatz unter anderem die Zersiedelung des Landschaftsbildes, Entstehung<br />

von Splittersiedlungen oder auch die unwirtschaftliche Aufwendung von Erschließungskosten<br />

angeführt. Eine Umwidmung von Außenflächen zum Innenbereich nach § 30 BauGB<br />

ermöglicht juristisch die Ausweitung der Siedlungskontinuität und die Nutzbarmachung von<br />

un<strong>mit</strong>telbar angrenzenden Räumen.<br />

Des Weiteren können <strong>mit</strong> Hilfe des § 31 BauGB Ausnahmen und Befreiungen,<br />

Festlegungen einzelner Bebauungspläne zurückgesellt werden, um eine anderweitige Nutzung<br />

zu ermöglichen. „Von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann befreit werden, wenn die<br />

Grundzüge der Planung nicht berührt werden und die Abweichung städtebaulich vertretbar ist<br />

(...) und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen <strong>mit</strong> den<br />

öffentlichen Belangen vereinbar ist.“ Dies ermöglicht insbesondere eine temporäre Nutzung<br />

funktionsloser bebauter oder unbebauter Flächen. Es zeigt jedoch auch gleichzeitig die<br />

Schnittfläche zu einem Entscheidungsbereich im Politischen.<br />

Was eine konkrete Beurteilung der Wagen nach der LBO Baden-Württemberg<br />

anbelangt, so wurde mehrfach im Sinne <strong>einer</strong> baulichen Einrichtung nach § 2.1 entschieden<br />

(vgl.: JANSSEN 1998: 33), da insbesondere die Möglichkeit zur Nächtigung und der<br />

Begehbarkeit des Raumes besteht. Bauliche Anlagen bedürfen nach § 49 LBO in Verbindung<br />

<strong>mit</strong> § 50 und § 51 jedoch grundsätzlich <strong>einer</strong> Baugenehmigung. Umgehen lässt sich diese an<br />

der Normvorstellung eines Hauses angelehnte Jurisdiktion <strong>mit</strong> Hilfe des § 38 LBO Bauliche<br />

Anlagen und Räume besonderer Art oder Nutzung. Im Speziellen sind hier auch Camping-<br />

92 Sondergebiete (§ 11 BauNVO) können als Flächennutzungskategorien in allen<br />

Teilgebieten, <strong>mit</strong> Ausnahme von innerstädtischen Kerngebieten (§ 7 BauNVO), ausgewiesen<br />

werden.<br />

76


Normativ<br />

und Zeltplätze, sowie Fliegende Bauten 93 eingegliedert. Durch eine solche aus<br />

phänomenologischer Sicht näher liegende Kategorisierung des Wagens lassen sich<br />

insbesondere individuelle Lösungsansätze im Bereich der infrastrukturellen Erschließung,<br />

<strong>einer</strong> freieren Anordnung der Wagen auf dem Gelände, sowie eine flexiblere Regelung in<br />

Bezug auf Abstandsbestimmungen zu Nachbargebäuden realisieren.<br />

Kritisch anzumerken bleibt, dass viele juristische Überbleibsel aus der Nachkriegszeit<br />

- welche der Reurbanisation dienten, nachdem die akute Wohnungsnot gelindert war und man<br />

an die Auflösung von Individuallösungen im Umland der Städte ging- Wagenbewohnern<br />

heute noch entgegen gehalten werden. Bremen erließ 1956 entsprechende Gesetze. Hamburg<br />

verabschiedete 1959 Bestimmungen, welche heute noch, in leicht abgeänderter Form, ihre<br />

Gültigkeit haben. (PRALLE 2000: 20). Auch verbleiben in vielen Städten noch sogenannte<br />

Landfahrerbestimmungen als administrative Restriktionsklausel gegen mobile Wohnformen.<br />

Zusammenfassend sind zwei Dinge festzuhalten. Zum einen zeigt der festgelegte<br />

Gesetzestext eine entstehungsgeschichtlich bedingte Fixierung auf den Kulturbaustein Haus.<br />

Nicht ohne Grund spiegelt sich die Morphogenese des Wortlautes Haus auch in der<br />

legislativen Rahmengebung wider. So spricht man von Hausrecht, Hausherr und<br />

Hausfrieden. Der Wagen hingegen verbleibt mangelhaft definierter Hybrid, für welchen der<br />

legislative Rahmen keine explizit passenden Kategorien bereit hält.<br />

Zweitens verbleiben die verwaltungstechnischen Entscheidungsträger und die<br />

politischen Akteure als Dreh- und Angelpunkt aller rechtlichen Absicherung des Phänomens<br />

im Raum. Auslegungsfreudige Formulierungen wie „öffentliche Belange“ oder „Wahrung der<br />

öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ können schon im Vorfeld gegen das Kulturphänomen<br />

angeführt werden, bevor eine baurechtliche Machbarkeitsstufe erreicht wird. So<strong>mit</strong> ergibt sich<br />

schnell ein Übergang in die politischen Entscheidungsbereiche der jeweiligen Stadt oder<br />

Kommune. Der juristische Rahmen an sich würde dem Phänomen genügend Raum eröffnen.<br />

Die rechtlich sicherste und politisch unantastbarste Wagenburg steht, verankert <strong>mit</strong><br />

einem verbindlichen Bebauungsplan, auf den Flächennutzungsplanfeldern Wohnfläche,<br />

Experimentelles Wohnen oder Mischfläche auf <strong>einer</strong> Liegenschaft in privatem Eigentum -<br />

wo<strong>mit</strong> wir auch gleichzeitig beim letzten und größten juristischen Rahmenfenster angelangt<br />

sind. Artikel II-67 und II-77 artikulieren in der Europäischen Verfassung das Recht auf<br />

Achtung der Wohnung und das Recht auf Besitzen, Nutzen und Verfügen von Eigentum.<br />

Entsprechendes findet sich in den Artikeln 13 und 14 des Grundgesetzes der Bundesrepublik<br />

Deutschland, welche Unverletzlichkeit der Wohnung 94 und des Eigentums garantieren.<br />

93 Durch Einordnung der Wagen unter § 69 LBO Fliegende Bauten entfällt die Anfertigung<br />

<strong>einer</strong> baurechtlichen Genehmigung, wodurch jedoch gleichzeitig nur eine<br />

Ausführungsgenehmigung für eine Frist von bis zu fünf Jahren bestehen kann, welche bei<br />

Ablauf stets um dieselbe Periode verlängert werden kann.<br />

94 Der Verwaltungsgerichtshof Baden Württemberg (Az.: 1 S 2446/96) befindet hierzu am<br />

15.04.1997: „Es spricht vieles dafür, dass die Wohn- und Bauwagen der Wagenburg [XXX]<br />

77


3.3.2 Flächen und Nutzungsplan<br />

Normativ<br />

Was die Lage der Wagenburgen in Bezug auf die Kategorien eines<br />

Flächennutzungsplanes (FNP) anbelangt, so zeigt sich ein relativ ungebundenes Verhältnis.<br />

Die acht Freiburger Wagenburgen sind auf sechs unterschiedlichen Grundflächenkategorien<br />

anzutreffen, worin sich zum einen die rechtlich labile Lage und die oftmals fehlende<br />

administrative Verankerung des Kulturphänomens durchpaust – zum anderen sich aber auch<br />

die Anpassungsfähigkeit der Wohnform an die unterschiedlichsten Raumbedingungen<br />

widerspiegelt.<br />

Die folgenden Zuordnungen zwischen Wagenburgen und dem am 09.12.2006 in Kraft<br />

getretenen Flächennutzungsplan 2020 95 der Stadt Freiburg wurden <strong>mit</strong> Informationen aus<br />

einem Gespräch <strong>mit</strong> dem Leiter des PRISE Institutes, Herrn Schröder-Klings, 96 ergänzt.<br />

Biohum<br />

Eselswinkel<br />

Aufgrund <strong>einer</strong> zeitlichen Befristung bis 2012 konnte diese städtisch geleitete<br />

Wagenburg im Naturschutzgebiet errichtet werden. Bauliche Einrichtungen können<br />

in gemarkungsübergreifenden Schutzgebieten jedoch nicht im FNP ausgewiesen<br />

werden. Das Areal würde auf <strong>einer</strong> Waldfläche am Rande eines Schutzgebietes<br />

liegen.<br />

Die zweite städtische Wagenburg ist als Sonderbaufläche für Experimentelles<br />

Wohnen ausgewiesen. Eine Kategorisierung, die von infrastrukturellen<br />

Erschließungspflichten wie Frisch-, Abwasser, Strom und Straße befreit. Der<br />

Wagenplatz hier weist jedoch all diese Grundversorgungen auf. Die<br />

Kategorisierung kann in allen Teilarealen ausgewiesen werden <strong>mit</strong> Ausnahme<br />

Naturschutzgebiet und Industriegebiet. 97<br />

Wohnungen im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG sind (vgl. BVerfGE 89, 1). “ Wodurch sich in<br />

zweiter Ableitung ergibt, dass das Durchsuchen und Eindringen in die Wagen nur nach<br />

richterlichem Beschluss erfolgen darf, es sei denn, es handelt sich um Gefahr im Verzug oder<br />

um Abwehr <strong>einer</strong> gemeinen Gefahr (Art. 13 Abs. 2 und 3 GG).<br />

95<br />

(Drucksache G06/132) Feststellung des Flächennutzungsplans 2020 und des<br />

Landschaftsplans 2020<br />

96<br />

Gesamtes Interview im Anhang ➣ 6.3.3<br />

97<br />

Flächennutzungstypus, der in Freiburg unter Gewerbefläche integriert ist.<br />

78


Schattenpark<br />

Waldmenschen<br />

Punkstadt<br />

Urstrom<br />

Ölmühle<br />

Susiburg<br />

Normativ<br />

Die Wagenburg liegt auf zwei durch eine Zufahrtsstrasse getrennte Flächen, die<br />

sich in städtischem Besitz befinden und von welchen derzeit noch eine als<br />

Sonderbaufläche Forschung 98 ausgewiesen ist. Sie wird jedoch ab 2011 ebenfalls<br />

als Gewerbefläche verzeichnet sein. Das komplette umliegende Areal (ca. 2,5 ha)<br />

soll – bedingt durch das Ende aller umliegenden Pachtverträge 2010/2011 – auf<br />

den Markt gebracht werden (Wert circa: 3 Millionen / 120 Euro pro<br />

Gewerbegebietsquadratmeter).<br />

Diese Wagenburg liegt auf Sonderbaufläche für großflächigen Einzelhandel. Das<br />

Gebiet ist zusätzlich <strong>mit</strong> einem schwarzen X markiert, was auf erheblich <strong>mit</strong><br />

umweltgefährdenden Stoffen belastete Böden hinweist. Bis zum Jahr 2009 soll<br />

hier ein weiteres Möbelzentrum entstehen. Für circa 5 Millionen Euro wird das<br />

Gesamtareal erworben werden, zuzüglich Altlastbeseitigung.<br />

Überörtliche oder örtliche Verkehrsflächen <strong>mit</strong> zusätzlichem Verweis auf Park<br />

and Ride zeichnet die Grundfläche dieser Wagenburg im FNP aus. Eine noch<br />

nicht existente Stadtbahnlinie ist ebenfalls als Signatur vertreten.<br />

Am Übergang zwischen Landwirtschaftlicher Nutzfläche und Waldfläche befindet<br />

sich die kleinste Freiburger Wagenburg.<br />

Landwirtschaftliche Nutzfläche stellt auch die Raumdarstellung im FNP für die<br />

Wagenburg am Siedlungssplitter Ölmühle dar.<br />

Zwischen den beiden ehemaligen Quartiersunterkünften der französischen Armee<br />

befindet sich die einzige Freiburger Wagenburg <strong>mit</strong> der Zuordnung zu<br />

Wohnbaufläche.<br />

98 Ursprünglich war die Errichtung eines Frauenhofer-Institutes geplant.<br />

79


Normativ<br />

Was eine Zuordnung zu dem als Zusatz verabschiedeten Landschaftsplan 2020<br />

anbelangt, so zeigt sich die Wagenburg Biohum auf <strong>einer</strong> Fläche <strong>mit</strong> naturnahen<br />

Waldbeständen im Naturschutzgebiet. Eselswinkel, Schattenpark und Waldmenschen<br />

befinden sich auf gewerblichen Bauflächen. Auf der Kategorie Straßenbaufläche und<br />

Bahnanlagen befindet sich Punkstadt. Solarburg liegt auf landwirtschaftlichen Flächen. Das<br />

Umfeld der Wagenburg Ölmühle wird als eine der wenigen unzugeordneten Flächenschnipsel<br />

als weiße Fläche dargestellt, was der Legendenbetitelung Offenhaltung entspricht. Susiburg<br />

steht als einzige Freiburger Wagenburg auf Wohnbaufläche.<br />

Abschließend bleibt zu bemerken, dass auch die richtige Zuordnung zu<br />

Wohnbaufläche, Gemischte Bauflächen oder Experimentellem Wohnen keine Rechtssicherheit<br />

per se bietet. Hier<strong>mit</strong> wird nur die Grundlage geschaffen, um eine baurechtliche Verankerung<br />

FNP-konform zu entwerfen, was so<strong>mit</strong> erst im zweiten Schritt eine Absicherung gleichrangig<br />

<strong>mit</strong> anderer Bebauung ergibt.<br />

Flächennutzungspläne sind auf 15 bis 20 Jahre ausgelegt. Wagenburgen existieren<br />

zeitweise nur für Monate, manchmal sogar nur für Wochen an einem Ort. Das Ganze<br />

Kulturphänomen in s<strong>einer</strong> heutigen postmodernen Formung existiert seit gerade einmal 25<br />

Jahren, wobei die starke Motorisierung des Phänomens noch nicht einmal seit 15 Jahren<br />

besteht. Beides, Flächennutzungsplan und Kulturphänomen, befindet sich deshalb größtenteils<br />

auf parallelen, sich nicht überschneidenden Räumen, bedingt - unter anderem - durch die<br />

historische und konkrete raumzeitliche Divergenz.<br />

3.3.3 Rechtsstaatliche Sicherheit<br />

Bei der Betrachtung des Kulturphänomens durch den normativen Rahmen eines<br />

Rechtsstaates und seine juristisch fixierten Regeln des Zusammenlebens in Ordnung und<br />

Sicherheit und der daraus hervorgehenden Verwaltung, Kontrolle und Registrierung durch die<br />

exekutiven Staatsorgane bleibt zunächst anzumerken, dass Privatpersonen der Zugang zu<br />

etwaigen Statistiken in Baden Württemberg nicht gegeben ist, und sich hieraus eine Erfassung<br />

erschwert. Ein erweitertes Informationsgesetz, welches derzeit noch in der politischen<br />

Diskussion ist und in anderen Bundesländern bereits verwirklicht wurde, wird die<br />

Auskunftspflicht der staatlichen Träger gegenüber Dritten vertiefen. 99<br />

Aufgrund dieses gegenwärtigen Faktums verbleibt das narrative Interview als einzige<br />

empirische Methode zur Sachverhaltsklärung des Zusammenhangs von Wagenburgkultur und<br />

exekutiver Gewalt. Ein Interview <strong>mit</strong> dem Polizeihauptkommissar a.D. Günther Zinnkann soll<br />

daher im Folgenden die Sachlage der Wagenburgen in Freiburg erhellen. Als Bezirksleiter des<br />

99 Anfragen auf Einsicht bei beiden Freiburger Polizeirevieren wurde nicht stattgegeben (Okt.<br />

2006)<br />

80


Normativ<br />

Polizeireviers Nord übernahm er, nach Abzug der französischen Armee, federführend und vor<br />

Ort die Überwachung und Kontrolle des brachliegenden Areals. Das Vauban-Quartier stellt in<br />

den Jahren 1992 bis 1997, wie im historischen Teil bereits erörtert, die größte<br />

Wagenburgbündelung in der Geschichte der Stadt Freiburg dar. Mehr als 10 Wagenburgen<br />

und ungefähr 120 Wagenbewohner rezivilisierten das Gelände, bevor Stadtplanungsämter das<br />

Areal für sich entdeckten.<br />

Günther Zinnkann Polizeihauptkommissar a.D. - Leiter des Bezirksdienstes Polizeirevier Freiburg-<br />

Süd. Donnerstag, 23. November 2006, 15:00 Uhr. 100<br />

F: Als Polizeibeamter hat man wohl einen besonderen Bezug zur Wagenburgthematik?<br />

Z: Ja, aus dem dienstlichen Bereich heraus natürlich. Von der polizeilichen Aufgabe her.<br />

F: Was stand in den Berichten drin, die Sie anfertigen mussten über das Vauban-Gelände?<br />

Z: Wenn ich auf dem Platz gewesen bin und habe da Unregelmäßigkeiten festgestellt, dann<br />

habe ich auch ein Vorkommnis darüber geschrieben. Wenn also zum Beispiel neue Leute auf<br />

den Platz gekommen sind, die wurden dann kontrolliert (2) auf menschlicher Basis. Zum Teil<br />

kannte ich die dann auch schon, dadurch war es einfach. Anhand der Kennzeichen habe ich<br />

dann die Halter festgestellt. Ich wollte die Menschen, die auch jetzt schon in <strong>einer</strong><br />

schwierigen Situation waren, jetzt auch nicht noch von behördlicher Seite zu arg piesacken<br />

und (2) wie soll ich sagen (1) demoralisieren. Sie waren mir alle an und für sich herzlich<br />

willkommen dort. Man hatte sie dann eben auch unter Kontrolle. Man wusste, wo die Leute<br />

eben auch sind, das sie nicht im Wald wild kampieren oder auf der Straße herumstehen. Heute<br />

mal in der Dortusstraße, morgen in der Kaiser-Josefstrasse, mal hier, mal dort. Das ist ja auch<br />

keine gute Sache. Da ist es schon besser wenn man einen Platz hat, von dem man weiß, dass<br />

er voraussichtlich die nächsten paar Jahre nicht bebaut wird. Und, ich habe dann auch immer<br />

in den Vorkommnissen, dann rein geschrieben, wie dann eben die Entwicklung auf dem<br />

Gelände ist, was sich tut und Straftaten vor allen Dingen, die sich ereignet haben.<br />

F: Gab es da eine Mehrung im Vergleich zu anderen Stadtvierteln?<br />

Z: Nein, gar nicht. Also wir hatten ganz wenige Straftaten. Als die Wagenburg dort<br />

eingezogen ist auf diesem riesigen Gelände, da hatten schon die Stadträte von Freiburg<br />

gemeint: jetzt gibt es Zoff dort draußen, jetzt kommt mehr oder weniger so ne multikulturelles<br />

Irgendwas. Es kommen sozial schwache Leute dort hin, die selbst <strong>mit</strong> sich nicht im Reinen<br />

sind, die <strong>mit</strong> andern Krach bekommen, die stehlen, die klauen, die dort <strong>mit</strong> Fahrzeugen<br />

handeln, die <strong>mit</strong> Rauschgift handeln. (2) Aber, diese Leute, die eben in den Wagenburgen<br />

waren, die hatten ihre eigene Lebensvorstellung gehabt. Und es waren auch zum Teil, Leute<br />

zwischen 30 und 50 Jahren, junge Leute gab es damals noch relativ wenige, es gab zwar<br />

100 Gesamtes Interview siehe Anhang ➣ 6.3.6<br />

81


Normativ<br />

welche, aber es waren weniger. Und die haben in ihrem Leben schon soviel erlebt, dass sie<br />

gar kein Interesse daran hatten, irgendwie polizeilich zu stark aufzufallen. (2) Aber,<br />

Vorkommnisse wurden natürlich gefertigt, wenn zum Beispiel Cannabis gefunden wurde oder<br />

wenn, interessant war auch immer, wenn man mir gemeldet hat: da hat wieder jemand ein<br />

Schrottauto abgestellt. Etwas, das allerdings nicht zu den Wagenburgen gehörte. Also es gab<br />

auch noch Nebenerscheinungen, die von polizeilicher Seite aus bearbeitet werden mussten.<br />

Verstoß gegen Abfallbeseitigungsgesetz. Also immer wenn da einmal wieder größere Haufen<br />

Abfall lagen, dann wurde von den Leuten dort behauptet: Das waren die Wagenburgler. Es<br />

hat sich nur dann herauskristallisiert, dass es gar nicht die Wagenburgler waren, sondern<br />

Leute aus der Stadt, die ihren ganzen Mist rein gefahren haben in die Vauban Kaserne und<br />

haben es dort hingeschmissen, dann musste sich immer wieder die Stadt um die Entsorgung<br />

kümmern. Wenn sie dann am Ende von zwei drei Jahren 100 Schrottfahrzeuge 101 haben, das<br />

geht ins Geld. Und immer waren die Wagenburgler <strong>mit</strong> unter Verdacht und dabei waren die<br />

noch sauberer wie manch ein Bürger in der Stadt.<br />

F: Was war Ihre spezielle Aufgabe Herr Zinnkann?<br />

F: Ja, Herr Metzger war ja Revierführer. Ich war derjenige, der den Bezirksdienst geleitet<br />

hatte und hatte auch 12 Leute unter mir. Und habe auch gesagt, ich mach das. Ihr braucht<br />

euch darum nicht zu kümmern. Ich mach das. Und es ist besser, wenn das ein Polizist gezielt<br />

macht, dann verliert der die Übersicht nicht. Er ist informiert über alles und hat Personen und<br />

Ortskenntnisse. Ansonsten ist es nicht möglich dazu ein Urteil abzugeben. (2) Und, am Ende<br />

eines Jahres, das muss so 95 gewesen sein, da wurden Herr Metzger und ich eingeladen zu<br />

einem Ausschuss des Gemeinderates um ein Referat zu halten über die Ansammlungen,<br />

wieviele Wagenburgen sich dort befänden. Wie die Leute sich verhalten. Wie die Kriminalität<br />

ist. Wie die Stimmung ist. Und so weiter. Und, da haben die also erst einmal gestaunt, als ich<br />

denen erzählte, dass Kriminalität gleich Null ist, dass also die Menschen im Vauban-Gelände<br />

sich anständig verhalten und auch keinen Anlass geben für polizeiliche Razzien, (2) <strong>mit</strong><br />

Polizeiüberfällen, wie die Wägler gerne sagen in ihren Kreisen. Nein. Es war wirklich nichts.<br />

F: Kam es denn in der ganzen Zeit nie dazu?<br />

Z: Nein, es kam nie dazu. Es kam überhaupt nicht dazu.<br />

F: Kam es zu Räumungen auf dem Gelände?<br />

Z: Ja, es kam zu Räumungen, nachdem feststand, dass gebaut wurde. Und dann kam für die<br />

Wagenburgler, die wussten zwar, dass, sie wurden auch ein paar Mal von der Stadt<br />

aufgefordert, das Gelände zu verlassen. Aber dass die nicht gehen, das war voraussehbar.<br />

101 Zwischen 1992 und 1998 mussten über 100 illegal abgestellte Autowracks sowie Unrat im<br />

Umfang von circa 200 Kubikmeter entfernt werden.<br />

82


Normativ<br />

Und wenn sie einmal monatelang dort stehen und geduldet werden, dann haben die sozusagen<br />

auch ein Wohnrecht da drauf wo sie sind. Da kann man die dann nicht mehr so ohne weiteres<br />

raus schmeißen, so im Zuge von Gefahr im Verzug oder sonst so was. Das geht ja gar nicht.<br />

Das ist unmöglich. Das kann man nicht. Dann hat man eben versucht einen Kompromiss zu<br />

schließen indem man einen anderen Platz anbietet. Plätze, die jedoch meist abgelehnt wurden<br />

von den 120 Leuten, die dort waren, so kam die Stadt nicht umhin, eine Räumungsklage<br />

einzureichen.<br />

F: Würden Sie sagen, es gibt den typischen Wagenburgbewohner?<br />

Z: (3) Mittlerweile würde ich schon sagen, der typische Wagenburgbewohner, das ist ein<br />

Mensch, der sich an diese Wohnart gewöhnen kann und der die Vorteile merkt, die es hat,<br />

sich einen eigenen Bereich aufzubauen, wo er sein Herrschaftsbereich hat. Wo es niemanden<br />

mehr gibt der ihm was sagen kann, wie zum Beispiel in einem großen Wohnhaus. (2) Es ist<br />

bei manchen natürlich auch ein finanzieller Aspekt, das darf man nicht vergessen. Wenn ich<br />

364 Euro im Monat hab oder mir jeden Tag meine 9 Euro abhole. Wie kann ich da ne Miete<br />

bezahlen? Dann mich verköstigen? Das geht ja gar nicht. Das ist rein theoretisch nicht<br />

möglich.<br />

F: Wie ließe sich die Thematik in Bezug auf Politik und Polizei entschärfen?<br />

Z: 102 Es liegt, glaube ich, in der ganzen Geschichte einfach nur da dran, dass es am Platz fehlt.<br />

Es gibt die Möglichkeit sie zu dulden auf privaten Plätzen und da sind Leute angesprochen,<br />

Grundstücksbesitzer hier im Umland von Freiburg. Dann wäre dies alles kein Problem.<br />

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass sich die Konzentration aller in Wagen<br />

lebenden Menschen an einem Ort für die Exekutive als einfachste und effizienteste<br />

Überwachung und Registrierung zeigt. Die historisch größte Wagenburgagglomeration auf<br />

dem ehemaligen Kasernengelände der Vauban wies im Vergleich zu anderen Stadtteilen aus<br />

polizeilicher Sicht keine feststellbaren Unterschiede auf. Die Kriminalität tendierte gegen<br />

Null. 103<br />

Darüber hinaus zeigte sich eine Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung des<br />

Phänomens aus polizeilicher Sicht und den beschlussfassenden Organen der Stadt, welche<br />

oftmals eine negative Vorstellung <strong>mit</strong> Wagenburgkultur verbinden. Als zentrales Problem der<br />

Thematik stellte sich auch aus Sicht der exekutiven Gewalt der zur Verfügung stehende Raum<br />

dar.<br />

102 Ein Belobigungsschreiben des Polizeipräsidenten der Landespolizeidirektion bestätigt<br />

Herrn Zinnkann eine vorbildliche Ausführung seines Dienstes, hohe soziale Kompetenz und<br />

menschliche Integrität. (Az: 14/0300.6-2 / 18.07.1997)<br />

103 Gleiches attestiert der Abteilungsleiter des Jugend- und Sozialamt Herr Würthemberger<br />

(vgl.: ➣ 6.3.5.)<br />

83


Exkurs: Konsensfindung Stadt vs. Wagenburg<br />

Konsens<br />

Dies soll keine akademisch erweiterte Reproduktion <strong>einer</strong> Dichotomie darstellen, sondern<br />

vielmehr die Anatomie eines möglichen und notwendigen Dialoges aufzeigen zur Ver<strong>mit</strong>tlung<br />

eines Interessenskonflikts zwischen Stadtverwaltung/-politik und Wagenburggemeinschaften.<br />

Die Aufstellung wurde so gewählt, dass Forderungen und Möglichkeiten jeweils mögliche<br />

Entsprechungen als Pendant bekommen und sich so<strong>mit</strong> ein gemeinsames Interesse ausweisen<br />

lassen kann. 104<br />

Wagenburggemeinschaften Stadtverwaltung<br />

• Lobbyarbeit und Imagekampagnen<br />

• eigenständige Platzsuche/Vorauswahl<br />

• Mobilität ermöglicht kurz- und<br />

<strong>mit</strong>telfristige Nutzung brachliegender<br />

Flächen<br />

• Erwerb oder Pacht privater Flächen<br />

• Gründung eines eingetragenen Vereins<br />

• Gästewagen, Durchfahrerplätze<br />

• Erschließung in Eigeninitiative<br />

• Zaunbau, Wegenetz<br />

• Komposttoiletten<br />

• Wasserversorgung<br />

• Autarke Solarstromversorgung<br />

• Nachhaltige Wohnform<br />

• Hohe Flexibilität, kleine modulare<br />

• Soziale Akzeptanz im Umfeld<br />

• Kostenintensive Standortsuche<br />

• Kameralistik<br />

• Beschränkte Anzahl stadteigener Flächen<br />

• Vertragssicherheit und kontinuierliche<br />

Ansprechpartner<br />

• Zuzugsregelungen<br />

• Erschließungskostenminimierung<br />

• Klimaschutzauflagen<br />

• FNP-Konfor<strong>mit</strong>ät<br />

104 Die tabellarische Gegenüberstellung basiert auf einem Gespräch <strong>mit</strong> dem Leiter des<br />

Stadtplanungsamtes Freiburg, Herrn Chemnitz, und verschiedenen Wagenbewohnern. Die<br />

Auflistung wurde darüber hinaus um weitere Unterpunkte erweitert.


Wohneinheiten<br />

• Kulturelle Bereicherung<br />

• Selbsthilfe-Werkstätten<br />

• Waldkindergärten<br />

• Beitrag gegen Rechtsextremismus<br />

• Kulturbühne<br />

• Sicherheitsgewinn für temporär genutzte<br />

Räume (Kleingartenanlagen,<br />

Gewerbegebiete, Bauhöfe), keine<br />

Entsorgung von Müll auf Brachflächen.<br />

• Nutzung von Siedlungssplittern<br />

• Selbstverwaltung<br />

• Kostengünstige Eigentumsbildung<br />

• kein Naturschutz-, Wasserschutz-,<br />

Überschwemmungsgebiet 105 ,<br />

Industriegebiet oder Biotop<br />

• Vielfältige und pluralistische Stadt<br />

• Sicherheit und Ordnung<br />

• Siedlungskontinuität<br />

• Minimierung des Verwaltungsaufwands<br />

• Fürsorgepflicht bei Obdachlosigkeit<br />

Normativ<br />

105 Wobei: „Wasserschutzgebiete stellen in der Regel keine Restriktionsflächen für<br />

Bauwagensiedlungen dar.“ (Drucksache G 00191.1) Stadtplanungsamt, Herr Weigand, und<br />

Umweltschutzamt, Herr Lehn.<br />

85


3.4 Nachhaltige Ökosphären<br />

Nachhaltigkeit<br />

Zur weiteren Konturierung des Phänomens erscheint die Hinterfragung eines oftmals<br />

kontrovers debattierten Postulates über Nachhaltigkeit 106 und die ökologische Vertretbarkeit<br />

der Kulturerscheinung angebracht. Können Wagenburgen einen experimentellen Beitrag zu<br />

einem Nachhaltigkeitsdiskurs liefern? Ein Diskurs, welcher seinen Ausgangspunkt in<br />

verschriftlichter Form 1987 in dem erschienenen Brundtland-Bericht 107 erhielt und über die<br />

UNCED-Konferenz in Rio 1992 seine Transformation zur Agenda 21 bekam.<br />

3.4.1 Zukunftsagenda<br />

Auch Freiburg ist, genau wie 2600 Kommunen Deutschlands, Unterzeichner der Lokal<br />

Agenda 21 (und der Charta von Aalborg) und verpflichtete sich so<strong>mit</strong> dem dreigliedrigen<br />

Leitgedanken, bestehend aus ökologischer Verträglichkeit, ökonomischer Vernunft und<br />

sozialer Gerechtigkeit. Konkret ausbuchstabiert lautet er hier: „Freiburgs Entwicklung wird<br />

als nachhaltig zu bezeichnen sein, wenn die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gewährleistet<br />

ist, die soziale Gerechtigkeit gestärkt wird und die ökologisch Lebensgrundlag für Menschen,<br />

Tiere und Pflanzen auch für kommende Generationen erhalten und verbessert werden.“<br />

(STADT FREIBURG 2006: 5) Erweitert wird der triptychonale Gedanke um die Komponente<br />

des bürgerschaftlichen Engagements – sprich horizontale Verhandlungssysteme und<br />

kooperative Handlungsprogramme zur Entwicklung <strong>einer</strong> integrativen Umsetzungsstrategie,<br />

als Teil eines neuen Polittypus. 108<br />

Just an dieser Stelle liegt auch der Anknüpfungspunkt zu den zivilen Akteuren der<br />

einzelnen Wagenburgkulturen, die sich parataktisch um die Realisation ihres Lebensstils und<br />

die da<strong>mit</strong> verbundenen Raumvorstellungen in den politischen Diskurs einbringen. Inwiefern<br />

hier die inhaltlichen Bestandteile der drei schwammig fixierten Nachhaltigkeitsaxiome eine<br />

realweltliche Transmission erfahren, zeigt die folgende Ausführung.<br />

3.4.2 Wagenspur<br />

Vereinfachend gesagt tragen fünf Grundfaktoren wesentlich dazu bei, dass<br />

Wagenburgen einen nachhaltigen Wohnbaustein auf Rädern <strong>mit</strong> geringem ökologischen<br />

Abdruck darstellen können: die fast völlig ausbleibende Bodenversiegelung,<br />

106<br />

Definition: „Langfristige Sicherung der natürlichen Lebensbedingungen; Befriedigung der<br />

Grundbedürfnisse aller Menschen; Notwendigkeit der systematischen Verknüpfung von<br />

sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Entwicklungsaspekten.“ (BRANDT 2002: 91)<br />

Synonyme sind: „Dauerhaftigkeit, Zukunftsfähigkeit, Zukunftsbeständigkeit, Tragfähigkeit,<br />

Sustainability“ (DANGSCHAT 1997: 169).<br />

107<br />

Our Common Future von der ehemaligen norwegischen Umwelt- und Premierministerin<br />

Gro Harlem Brundtland (BRUNDTLAND 1987).<br />

108<br />

In Freiburg erstmalig praktiziert (2005/06) durch die aktive Integration von 900 Bürgern<br />

über Moderationsteams bei der Gestaltung des neuen FNP-2020.(STADT FREIBURG 2006: 6 f.)


Nachhaltigkeit<br />

Materialrecycling, die Abkopplung von regulären Infrastrukturleistungen, das minimalistische<br />

Raumangebot und der da<strong>mit</strong> einhergehende Lebensvollzug.<br />

Das Raumangebot, welches sich bei den meisten Wagen zwischen 8 und 18 qm<br />

bewegt, schlägt sich un<strong>mit</strong>telbar in reduziertem Heizaufwand nieder, wenngleich die oftmals<br />

mangelhafte Isolierung und die sechs Außenflächen ohne Unterkellerung und Speicher im<br />

Vergleich zum Haus zwangsläufig eine höhere Wärmeabgabe ergeben. Wie die folgende<br />

tabellarische Gegenüberstellung jedoch untermauern wird, zeigt sich, bezogen auf den<br />

realweltlichen Stoffverbrauch eines Individuums, der Ressourcenaufwand im Vergleich als<br />

geringer.<br />

Darüber hinaus sorgt das minimalistische Raumvolumen für die reduzierten<br />

Unterbringungsmöglichkeit von materiellen Gütern. Fehlende Nebenräume, Speicher und<br />

Keller bringen zwangsläufig eine Beschränkung auf wenige essentielle Gegenstände <strong>mit</strong> sich.<br />

Die Raumgröße an sich verbleibt Regulierungsmaßstab für den Umfang der möglichen<br />

Besitzgegenstände und dem da<strong>mit</strong> einhergehenden materiellen Konsum.<br />

Weiter braucht und erlaubt ein kl<strong>einer</strong> Raum nur eine geringe Möblierung. Die jeweils<br />

speziellen Raumanforderungen - sei es nun im Koffer eines ausgedienten LKW′s oder unter<br />

dem gewölbten Dach eines Bauwagens - erfordern individuelle Lösungsansätze, um den<br />

Innenausbau so effizient und multifunktional wie möglich zu gestalten. Recycling von<br />

Altstoffen stellt hierbei nicht nur eine kostengünstige, sondern auch eine modulare<br />

Möblierung dar, welche zugeschnitten und eingepasst werden kann. Aufgrund der<br />

Möglichkeit zur Mobilität sind fast alle Bauteile fest installiert, was die Erneuerungsquote<br />

und die da<strong>mit</strong> verbundene Müll- und Neuproduktion reduziert.<br />

Was sich als ressourcenschonende Innenwelt auszeichnet, kann im Falle der Hülle<br />

ökologische Probleme <strong>mit</strong> sich bringen. Die Nutzung von ausgemusterten LKW′s und Bussen<br />

als Wohneinheiten kann, bedingt durch das hohe Alter der meisten Fahrzeuge wegen<br />

undichter Kühl- oder Ölkreisläufe die Nachhaltigkeit in Bezug auf Böden entscheidend<br />

verringern. Gemeinsam bleibt jedoch allen Wohneinheiten, dass es sich nicht um<br />

Neuproduktion handelt. Allesamt sind Zweckumwandlungen - wie im Falle eines umgebauten<br />

Möbelwagens oder Postlieferbusses - oder eine Weiternutzung ausgedienter Wohneinheiten<br />

wie schwerfälligen Zirkuswagen oder Bauwagen.<br />

Gleichsam bedecken alle Wagen nur vier postkartengroße Bodenflächen <strong>mit</strong> ihren<br />

Rädern und reduzieren durch ihr stelzenhaftes temporäres Verbleiben die Bodenversiegelung<br />

auf eine Minimum.<br />

Weiter zeigt sich die Abkopplung von standardisierten infrastrukturellen<br />

Grundleistungen als ressourcenschonender, bewusster Umgang <strong>mit</strong> Substituten. Der<br />

Wasserhahn ist vielfach ersetzt durch den täglichen Gang zu <strong>einer</strong> zentralen Wasserstelle <strong>mit</strong><br />

dem Kanister. Der Strom wir über Solarpaneele selbst erzeugt und steht nur in einem<br />

87


Nachhaltigkeit<br />

beschränkten Umfang zur Verfügung. Die Klärfunktion von Komposttoiletten oder aber auch<br />

die Wirtschaftlichkeit von dezentralen Sammelbehältern, welche von Abpumpfirmen <strong>mit</strong><br />

einem Fahrzeug entleert werden müssen, stehe als Diskussionspunkt im Raum. Beide<br />

Systeme reduzieren jedoch den Wasserverbrauch um ein Vielfaches im Vergleich zu<br />

regulären Hausanschlüssen.<br />

Die folgende tabellarische Verbrauchs-Darstellung darf nicht als absoluter Mittelwert<br />

gesehen werden, da sowohl bei den privaten, wie auch bei den städtisch geleiteten<br />

Wagenburgen oftmals eine exakte Messung pro Person nicht gegeben werden kann.<br />

Nichtsdestotrotz wurden alle Zahlen nach bestem Wissen und Gewissen dargestellt und<br />

versucht, so viele differenzierte Aspekte wie möglich und nötig einfließen zu lassen. Eine<br />

Grundtendenz bleibt auch ohne die exakten Nachkommastellen mehr als deutlich erkennbar.<br />

Alle Zahlen sind temperaturbereinigt und beziehen sich auf den Verbrauch <strong>einer</strong> Person pro<br />

Jahr.<br />

Verbrauchsart Strom Frischwasser Abwasser Kfz-Kraftstoff Heizung<br />

Eselswinkel 673 € 32.000 l 30.000 l 100 l 5 Ster*<br />

Biohum 426 € 32.000 l 30.000 l 19 l 5 Ster*<br />

Schattenpark 0 € 3200 l 360 l 0 - 1600 l 3 - 4,5 Ster**<br />

Ölmühle 0 € 3100 l 330 l 0 l 2,5 Ster<br />

Urstrom 0 € 2400 l 570 l 416 l 4 Ster<br />

Wagenburgen Ø 220 € 14.540 l 12.252 l 267 l<br />

Deutschland Ø 109 600 € 46.000 l 46.000 l 720 l<br />

4 Ster<br />

3,8 Ster***<br />

Abb. 45: Verbrauchszahlenlistung<br />

*oder z.T. 2 Tonnen Briketts. ** oder z.T. 60-80 kg Gas (Holzbefeuerung stellt bei den drei nicht städtisch geleiteten Wagenburgen jedoch<br />

die Regel dar). *** Umrechnung: 1 Ster entspricht 500 kg <strong>mit</strong> 3,6 kwh Heizleistung je kg.<br />

Anzufügen bleibt, dass bei der kostenneutralen Stromversorgung der drei nicht<br />

städtisch geleiteten Wagenburgen Schattenpark, Ölmühle und Urstrom die Produktion der<br />

Solarmodule <strong>mit</strong> in eine Ökobilanz einfließen müsste. Die Stromkostenunterschiede zwischen<br />

den beiden städtisch verwalteten Wagenburgen ergeben sich insbesondere durch die<br />

109 Quellen: http://www.biologie.de/biowiki/Durchschnittsverbrauch<br />

http://www.destatis.de/download/d/ugr/tabanhangprivatehaushalte.pdf<br />

Niedrigenergiehäuser oder Passiv-Häuser unterschreiten diese Durchschnittswerte deutlich.<br />

Im Vergleich zur Wagenburg steht diese Form der Nachhaltigkeit jedoch meist verbunden <strong>mit</strong><br />

Neubau und in engem Zusammenhang <strong>mit</strong> monetärer Liquidität.<br />

88


Nachhaltigkeit<br />

Warmwasserzubereitung in den Sanitärcontainern. Beim Frischwasserverbrauch ist bei<br />

Solarburg noch die Tränkung der Tierbestände in regenarmen Monaten beinhaltet. Was den<br />

Kraftstoffverbrauch anbelangt, so sind drei Bewohner des Wagenplatzes Eselswinkel <strong>mit</strong><br />

einem PKW ausgestattet. In der Wagenburg Schattenpark zeigt sich die grundlegende<br />

Differenz zwischen dem Besitz eines LKWs und dem da<strong>mit</strong> verbundenen hohen<br />

Kraftstoffverbrauch bei Bewegung und der quasi-immobilen Wohnform in Bau- oder<br />

Zirkuswagen. Die Kraftstoffangabe für Biohum kann trotz 19 Personen so genau ausfallen, da<br />

gemeinsam nur ein Traktor samt Hänger für sämtliche Fahrten (hauptsächlich Einkäufe)<br />

verwendet wird. Als letzter Punkt steht der Heizaufwand, welcher sich bei der Wagenburg<br />

Ölmühle insbesondere durch die familienartige Struktur und den da<strong>mit</strong> verbundenen<br />

Aufenthalt in einem Gemeinschaftswagen auf die geringe Zahl von 2,5 Ster pro Person und<br />

Heizperiode beläuft.<br />

Zur qualitativen Bündelung und Erfassung der tabellarisch gewonnen Datenstruktur<br />

eignet sich das inzwischen viel benutzte Theorem eines ökologischen Fußabdrucks. Mathis<br />

Wackernagel und William E. Rees entwickelten 1994 ein Konzept, <strong>mit</strong> dessen Hilfe der<br />

tatsächliche Flächenverbrauch für einen Lebensstil errechnet werden kann. 110 Es handelt sich<br />

hierbei um die Annäherung an ein ganzheitliches Konzept, welches den konkreten<br />

Lebensvollzug des einzelnen Menschen und den da<strong>mit</strong> einhergehenden Verbrauch von<br />

Stoffen in Relation zu der benötigten Fläche für Produktion und Absorption derer stellt. Oder<br />

anders gesagt: der ökologische Fußabdruck ist die Summe aller benötigten Flächen zur<br />

Bereitstellung der Stoffe eines Lebensstils. Nachhaltigkeit zeigt sich, sobald die rein<br />

theoretisch zur Verfügung stehende Fläche von 2,2 ha pro Erdenbürger unterschritten wird.<br />

2006 wurden 4,5 ha benötigt, um den Lebensstil eines deutschen Staatsbürgers zu generieren.<br />

Im Vergleich hierzu beläuft sich die Umrechnung <strong>mit</strong> den ge<strong>mit</strong>telten Verhältnissen der<br />

Verbrauchszahlen auf den Flächenbedarf <strong>einer</strong> im Wagen lebende Person auf 2,3 ha. 111<br />

Es zeigt sich darüber hinaus auch ein einfacher monokausaler Nexus zwischen Raum<br />

und Nachhaltigkeit, was das Kulturphänomen als Ganzes betrifft. Erst ein gesichertes<br />

längerfristiges räumliches Verbleiben auf einem Platz ermöglicht die nachhaltige<br />

Entwicklung des Lebensmilieus als Ganzes. Bestes Beispiel ist hier der seit 1994<br />

selbstverwaltete Wagenplatz auf einem ehemaligen Kasernenareal in Tübingen/Schwaben<br />

(vgl.: TÜB<strong>IN</strong>GEN 2000). Solarpaneele können dauerhaft aufgerichtet auf den Wagen installiert<br />

werden, so dass der höchste Wirkungsgrad erzielt wird. Urbane Agrikultur kann sich<br />

ausbilden. Regenwassernutzungssysteme und Komposttoiletten lassen sich errichten.<br />

Gemeinschaftsräume können entstehen, welche den Heizaufwand im Winter deutlich<br />

reduzieren. Der entscheidende und alles überlagernde Faktor verbleibt die sinkende oder ganz<br />

110 (WACKERNAGEL, REES 1997: 21 ff.)<br />

111 Frisch- und Abwasser wurden als eine ge<strong>mit</strong>telte Verhältniszahl eingebracht. Die<br />

Hinzunahme weiterer Kategorien – neben Wasser, Strom, Verkehr und Heizung – wie Freizeit<br />

oder Konsum würde das Bild weiter ausdifferenzieren und vermutlich die Tendenzen in<br />

dieselbe Richtung bestätigen.<br />

89


Öffentlichkeit<br />

stagnierende Mobilität <strong>mit</strong> dem da<strong>mit</strong> verbundenen sinkenden Diesel- und Benzinverbrauch<br />

bei LKW′s, Bussen und Zuggespannen. Rechtssicherheit im Raum ist daher eng gekoppelt<br />

<strong>mit</strong> der Entwicklung von Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit jedoch nicht nur im ökologischen<br />

Sinne, sondern auch im sozialen Bereich sowie im wirtschaftlichen. Ausbildungen, Arbeit<br />

oder Studium können durch wegfallenden Räumungsdruck konsequenter verfolgt werden.<br />

Darüber hinaus verfestigen sich durch den Bezug eines Platzes soziale Strukturen zwischen<br />

den einzelnen Wagenbewohnern, aber auch hin zu den im-mobilen Bevölkerungsmilieus.<br />

3.5 Kontextuelle Transformation<br />

Wie konstruiert und konstatiert sich dieses Verhältnis zwischen quasi-sesshaften<br />

Hausbewohnern und semi-mobilen Wagenbewohnern? Im Folgenden wird hierzu das<br />

öffentliche Meinungsbild, sowie die mediale Repräsentation zu <strong>einer</strong> differenzierteren<br />

Erfassung der Wagenburgkultur analysiert.<br />

3.5.1 Die Öffentlichkeit<br />

Das Einbringen <strong>einer</strong> zusätzlichen Perspektive auf die Kulturerscheinung Wagenburg<br />

soll Transformationsmechanismen zwischen der selbigen und der öffentlichen Meinung<br />

freilegen. Im Speziellen geht es um die konstruktivistischen Bestandteile des öffentlichen<br />

Meinungsbildes in räumlicher, soziologischer, politischer und historischer Ausprägung, zu<br />

deren Erfassung 246 Umfragebögen angefertigt wurden. (Blankomuster siehe Anhang ➣<br />

6.1.3).<br />

Neben Interview und Telefonumfrage, schien aus zeitökonomischer und aus<br />

hermeneutischer Sicht eine Briefumfrage am geeignetsten zu sein, um ein valides und<br />

verifizierbares Ergebnis zu bekommen. 112 Antwortverzerrungen gegenüber anderen<br />

Erhebungsmethoden scheinen hier in geringster Quantität aufzutreten, wenngleich die<br />

Streuung der Fragebögen und die da<strong>mit</strong> erreichte Grundgesamtheit ein ausschlaggebender<br />

Parameter ist.<br />

Durch die Kombination von zwei methodischen Vorüberlegungen wurde versucht, alle<br />

Freiburger 101.700 Haushalte gleichmäßig und repräsentativ zu erreichen. Hierbei wurde zum<br />

einen ein Aufsplittungsschlüssel, bestehend aus einem Quadratraster, angefertigt, welches<br />

über alle Wohngebiete der Stadtkarte 113 gelegt wurde. 84 Quadrate à 4x4 cm deckten<br />

hierdurch die Wohnraumbebauung ab. Zum anderen diente die Personenanzahl in den<br />

einzelnen Stadtteilen als Verteilungsschlüssel, um eine gleichmäßige Streuung der<br />

Umfragebögen auf das Stadtgebiet und seine Bevölkerung zu erhalten. Die einzelnen<br />

Quadrate wurden in einem zusammenführenden Schritt beider Methoden <strong>mit</strong> den für einen<br />

Stadtteil zur Verfügung stehenden Umfragebögen aufgefüllt. So entfielen zum Beispiel auf<br />

112 Alleinlebende Menschen haben hierbei eine erhöhte Chance, in die Statistik einzugehen.<br />

113 Amtlicher Stadtplan 1:15 000 Ausgabe 2005/2006 – Vermessungsamt Stadt Freiburg (Hg.)<br />

90


Öffentlichkeit<br />

den Stadtteil Herdern (10 927 Einwohner) 13 Umfragebögen in 5 Quadraten. Auf den<br />

Stadtteil Waldsee (5359 Einwohner) hingegen 6 Umfragebögen in 3 Quadraten. Haslach<br />

bezog 22 Umfragebögen verteilt auf 4 Teilgebiete bei <strong>einer</strong> Gesamtbevölkerung von 17 587.<br />

Umliegende Gemeinden, welche auch noch zur Stadt Freiburg gehören, wurden hierbei<br />

ebenfalls berücksichtigt. So entfielen zum Beispiel auf Opfingen <strong>mit</strong> 4053 Einwohnern (in<br />

zwei Quadraten) 5 Fragebögen.<br />

Was den Fragebogen selbst anbelangt, so ist dieser Resultat zweier Pretest-Phasen, zu<br />

je 6 und 14 Bögen, welche zu <strong>einer</strong> Optimierung des Fragedesigns führten. Die hierdurch<br />

erhaltenen standardisierten Bögen 114 wurden eigenständig über das gesamte Stadtgebiet<br />

verteilt. Über einen vorbedruckten Briefumschlag konnten die Adressaten die Ergebnisse<br />

portofrei rücksenden, wobei sich die Rücklaufquote bei 21,95% befand. Verglichen <strong>mit</strong><br />

anderen schriftlichen postalischen Umfragen ist dies ein gutes bis sehr gutes Ergebnis. Von<br />

den 54 eingegangenen Fragebögen waren alle gültig, wenn auch in Einzelfällen nicht jeder<br />

Fragesatz beantwortet wurde und die anonymisierten Angaben zur Person in knapp 15 % der<br />

Fälle nicht ausreichend angegeben wurden.<br />

Was das Rücklaufergebnis anbelangt, so kann im Vergleich <strong>mit</strong> Daten des Freiburger<br />

Statistikamts 115 keine gravierende Unregelmäßigkeit festgestellt werden. Eine<br />

demographische wie stadträumliche Repräsentanz ist gegeben. Lediglich ein überhöhter<br />

Frauenanteil weicht leicht von den statistischen Mittelwerten ab. Ansonsten weist das<br />

Stichprobeverfahren ein hinreichend strukturgetreues Abbild der Grundgesamtheit auf, und<br />

hat so<strong>mit</strong> repräsentativen Charakter.<br />

Folgende Ergebnisse zeichnen das öffentliche Meinungsbild der Stadt Freiburg im<br />

Breisgau:<br />

An erster Stelle stand die Niederschrift der spontanen Gedanken zu Wagenplatz und<br />

Wagenburg. Hierbei differenzierte sich bereits das gesamte Spektrum an neutralen, positiven<br />

und negativen Zuschreibungen. Auffällig jedoch bleibt, dass <strong>mit</strong> Ausnahme zweier<br />

Ausführungen kein persönlicher direkter Zugang zu Plätzen oder Bewohnern beschrieben<br />

wird, was einen ersten Anhaltspunkt für eine weiter auszuführende Simulacrum-These über<br />

das Phänomen darstellt.<br />

Konkret ausbuchstabiert finden sich im negativen abwertenden Meinungsspektrum<br />

Aussagen wie: „Niederlassung anarchistischer Schmarotzer, die die Gesellschaft ablehnen,<br />

aber trotzdem von ihr leben wollen und fremdes Eigentum widerrechtlich und egoistisch<br />

benutzen. Es ist mir unverständlich, wie man die Gesellschaft ablehnen kann und gleichzeitig<br />

von ihr leben will. Es wäre konsequent zu gehen und für sich selbst zu sorgen und nicht zu<br />

114 siehe Anhang ➣ 6.1.3<br />

115 Quelle: http://www.bis.freiburg.de/statistik<br />

91


Öffentlichkeit<br />

Lasten anderer.“ (Verwalter von Liegenschaften, 47) oder „ Sollte man nicht dulden. Wie die<br />

Zigeuner“ (Rentnerin, 60). Im neutralen Spektrum finden sich Statements wie: „Alternative<br />

Lebensform. Habe mich bisher noch nicht eingehend <strong>mit</strong> diesem Thema befasst und eher<br />

beiläufig wahrgenommen“ (k.A.) oder „ Bauwagensiedlung“ (Arbeitsloser, 28). Im Spektrum<br />

der Positivzuschreibungen finden sich Aussagen wie: „ Alternatives Wohnen in der heutigen<br />

Zeit für Leute, die auf jeglichen Luxus verzichten, nur nicht auf die Freiheit, sich selbst zu<br />

verwirklichen.“ (Beamter, 53) oder „ Alternatives Leben und Wohnen, Freiheit und Natur“<br />

(Student, 22). 116<br />

Nach dieser einführenden assoziativen Umschreibung stand die Frage nach <strong>einer</strong><br />

generellen Akzeptanz an. Eine absolute Mehrheit von 56% zeigte sich hierbei <strong>mit</strong> positiver<br />

Resonanz. 11% zeigten Gleichgültigkeit und 33% standen der Kulturerscheinung ablehnend<br />

gegenüber. Kritisch bleibt hierbei zu reflektieren, ob eine Wohnform und der da<strong>mit</strong> eng<br />

verbundene Lebensstil überhaupt zur Abstimmung gebracht werden darf. Da ein Grossteil des<br />

politischen Diskurses jedoch seine initialen und finalen Argumentationsthesen aus <strong>einer</strong><br />

angeblichen Nichtakzeptanz der Bevölkerung bezieht, erschien es angebracht, dieses<br />

Argument auf seine Validität hin zu prüfen. 117 Knapp 40 Prozent der abgegebenen Stimmen<br />

sehen darüber hinaus in dieser Wohn- und Lebensform eine Bereicherung für eine Stadt.<br />

Gefragt nach den Orten, an welchen die Entstehung <strong>einer</strong> Wagenburg zu befürworten<br />

wäre, zeigte sich eine generelle Tendenz zu stadtperipheren Räumen, sowie eine Ausweisung<br />

in wohnfunktionslose Areale, wie Industrie- oder Gewerbegebiet. Unter Berücksichtigung<br />

von Zweifachnennungen entfielen 23% der Stimmen auf eine Platzierung im eigenen<br />

Wohngebiet oder in Wohngebieten generell.<br />

Abb. 46 - 47: Standortentscheidung und Nachbarschaftsnutzung in absoluten Zahlen der abgegebenen Stimmen<br />

Eine gezielte Nachfrage bezüglich der vorstellbaren nachbarschaftlichen Nutzungen<br />

ergab, dass die Akzeptanz zu Kindergärten und Schwerbehindertenheimen am höchsten ist.<br />

Asylbewerberheime liegen <strong>mit</strong> 18 Stimmen zusammen <strong>mit</strong> Wagenburgen im Mittelfeld.<br />

Wohnfunktionslose Nutzung wie Gewerbeflächen liegt am unteren Ende.<br />

116 Eine Liste aller Zuschreibungen und Meinungsbilder steht im Anhang (➣ 6.1.4).<br />

117 Redeprotokoll aus der Gemeinderatssitzung vom 21.04.1995: “Kann man Plätze<br />

ausweisen, wenn die Akzeptanz in der Bevölkerung gegen Null tendiert? (…) Wollen wir<br />

<strong>einer</strong> Sache zustimmen, die eine Mehrheit der Bevölkerung ablehnt?”<br />

92


Öffentlichkeit<br />

Durch die Verknüpfung eines Bürgerentscheids 118 vom 13. November 2006 und<br />

Wagenburgplätzen lassen sich signifikante Überschneidungen feststellen. Bei der damaligen<br />

Volksentscheidung stimmten 70,2 % gegen den Verkauf von 7900 der 8900 städtischen<br />

Wohnungen an eine amerikanische Investorengruppe zur Sanierung des Haushaltsdefizits. Die<br />

Stadtregierung erhoffte, sich durch einen Erlös von mindestens 510 Millionen Euro, den<br />

Schuldenstand der Stadt begleichen zu können, um so<strong>mit</strong> ohne Schuldzinsen im kommenden<br />

Haushaltsjahr (in den kommenden Haushaltsjahren) wirtschaften zu können. Ob hierdurch<br />

eine große Chance vertan wurde, oder ob ein klares Signal an die Stadtregierung ging, dass<br />

Wohnraum keine Ware ist, bleibt im Ermessensbereich jedes einzelnen. Festzuhalten bleibt,<br />

dass beide Themenfelder eine ähnliche Polarisierung hervorrufen, was eine generelle<br />

Zustimmung beziehungsweise Ablehnung betrifft.<br />

Neben diesem gesamtstädtischen<br />

Bürgerentscheid lassen sich weitere<br />

Überschneidungen zwischen einzelnen<br />

Stadtteilen und <strong>einer</strong> Wagenburgkultur<br />

erkennen. So stimmten die Wohngebiete<br />

Stühlinger und Wiehre <strong>mit</strong> mehr als 90 % der<br />

abgegebenen Stimmen für eine Akzeptanz des<br />

Lebens im Wagen, wohingegen Landwasser,<br />

Mooswald und Haslach fast ausschließlich<br />

gegen einen Wagenburgplatz stimmten.<br />

Abb. 48: Bürgerentscheid und Wagenburgen<br />

Phänomenologische Parallelen lassen sich<br />

auf architektonisch-stadtplanerischer Seite<br />

zu dieser Diskrepanz erkennen. Bei den drei<br />

tendenziell ablehnenden Stadtteilen handelt es sich um eher standardisierte<br />

Gesamtplanungskonzepte <strong>mit</strong> anti-individualistischem Charakter. Sei es nun in Form <strong>einer</strong><br />

Gartenstadt und Arbeitersiedlung der 1920er, <strong>einer</strong> ehemaligen Frontkämpfersiedlung der<br />

1940er oder dem monolithischen Sozialwohnungsbau der 1960er und 1970er Jahre. Alle drei<br />

Wohngebiete liegen kernstadtentfernt. Stühlinger und Wiehre schließen dagegen direkt an die<br />

Kernstadt an und zeichnen sich mehr durch Altbauwohnungen und gründerzeitliche Villen<br />

aus. Lage und Form der Wohnbebauung transformiert sich in diesen Fällen über die<br />

unterschiedliche Bezugsklientel in ein Meinungsbild. Alle weiteren Freiburger Stadtgebiete<br />

zeigten keine Besonderheit in der Verteilung auf.<br />

Was in stadträumlichen Kategorien bedingt eine explizite Interpretation ergibt, zeigt<br />

sich in Bezug auf soziodemographische Daten relativ eindeutig. So lassen sich klar drei<br />

Personenkreise voneinander trennen, was die Akzeptanz gegenüber <strong>einer</strong> Wagenburgkultur<br />

118 Bei <strong>einer</strong> Wahlbeteiligung von 39,9 % stimmten 70,5 % für den Erhalt der städtischen<br />

Wohnungen und 29,5 % dagegen. Quelle:<br />

http://www.swr.de/nachrichten/bw//id=1622/nid=1622/did=1708726/1dwhr3b/index.html<br />

93


Öffentlichkeit<br />

anbelangt. Zum einen gibt es die Gruppe der Alleinwohnenden oder All<strong>einer</strong>ziehenden,<br />

welche sich <strong>mit</strong> 77 % klar für das Wagenleben ausspricht. 119 Ein ähnlich hoher Anteil liegt<br />

bei der Personengruppe, die als Familienstand ledig angab. Hier befürworten 71 % diese<br />

Wohnform (Überschneidungen sind gegeben). Konträr hierzu stehen Verheiratete <strong>mit</strong><br />

Familie, die sich <strong>mit</strong> 55 % gegen die Lebenswelt <strong>einer</strong> Wagenburg aussprechen.<br />

Ein weiteres nennenswertes Resultat der Studie ist der hohe prozentuale Anteil derer,<br />

die sich ein Leben auf Probe im Wagen vorstellen könnten. So sprechen sich 63 % der<br />

Befürworter für die Möglichkeit aus, einmal diese Wohnform selbst auszuprobieren. Knapp<br />

67 % würden einen Tag der offenen Tür in <strong>einer</strong> Wagenburg wahrnehmen. Gemessen an der<br />

Grundgesamtheit handelt es sich hierbei um 35 % beziehungsweise 37 % - also in beiden<br />

Fällen um mehr als ein Drittel.<br />

Stellt man die Wohnungsgröße in Quadratmetern als Referenzzahl der Akzeptanz<br />

gegenüber, so zeigt sich der prozentual höchste Anteil (69,2 %) bei Besitzern von<br />

Wohnungen unter 65 qm. Wohnungsinhaber oder Eigentümer um 75 qm hingegen weisen die<br />

geringste Akzeptanz auf (knapp 20 %). Ab 80 qm Wohnfläche steigt die Akzeptanz erneut an.<br />

Von den insgesamt 35 %, die sich das Wohnen in einem Wagen selbst zutrauen würden, leben<br />

knapp 85 % in Wohnungen <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> Fläche von unter 65 qm. Was in Bezug auf die<br />

Wohnungsgröße eine eindeutige Aussage zulässt, bleibt in Verbindung <strong>mit</strong> dem Besitz eines<br />

eigenen Wohnmobils oder Wohnwagens nicht eindeutig. So konnte keine Relation zwischen<br />

dem Campingmobilbesitz und <strong>einer</strong> Wagenburgkultur hergestellt werden.<br />

Worin liegen nun aber aus Sicht der Sesshaften die Gründe, in einen Wagen zu<br />

ziehen? Ein selbstbestimmtes Leben sehen knapp zwei Drittel der Grundgesamtheit als<br />

Hauptmotivation für einen solchen Entschluss. In enger Verbindung stehen auch monetäre<br />

Abb. 49: Kognitionsbild der im-mobilen Bevölkerungsteile<br />

119 Im Jahr 2005 waren 767 Haushalte in der Wohnungssucherdatei Freiburg gemeldet.<br />

Gegenüber dem Vorjahr bedeutet dies eine Zunahme um 30%. Von den 12,3 Mio. Euro<br />

welche an Wohngeld im Jahr 2004 ausbezahlt wurden entfielen mehr als 40% auf auf 1<br />

Personenhaushalte. (AMT FÜR WOHNUNGSWESEN UND LIEGENSCHAFTEN DER STADT FREIBURG<br />

2006: 48 ff.)<br />

94


Öffentlichkeit<br />

Aspekte und Wohnungsnot. Ökologische und politische Gründe werden nur von einem<br />

starken Fünftel der Befragten als Grund angegeben.<br />

Ein weiterer Bestandteil der Erhebung war eine Liste von 63 Assoziationsworten,<br />

welche in Verbindung zu der Kulturform gebracht werden konnten. Die häufigsten<br />

Zuschreibungen waren hierbei kostengünstiges Leben, Unabhängigkeit, alternative<br />

Wohnform, Hunde, Bauwagen, Arbeitslose und Grundstücksbesetzer. Am wenigsten genannt<br />

wurden unter anderem Akademiker, Rechtsradikale, Nachhaltigkeit, Traditionelles Wohnen,<br />

Innenausbau, Mutter Courage und Eigentümer. Bemerkenswert hierbei bleibt, dass 75 % der<br />

Personen, die Sinti und Roma <strong>mit</strong> Wagenburgkultur in Verbindung bringen, der Kulturform<br />

ablehnend gegenüber stehen. Eine negative Zuschreibung, welche nur noch von den drei<br />

Worten Umweltverschmutzung, Alkoholismus und Drogen übertroffen wird. So<strong>mit</strong> zeigt sich,<br />

dass, gemessen an der Grundgesamtheit, knapp ein Viertel der Befragten (22 %) das<br />

Phänomen <strong>mit</strong> der ethnischen Minderheit in Verbindung bringt und die kulturgeschichtlichen<br />

Negativprojektionen und Ressentiments auf Wagenburgbewohner überträgt.<br />

Eine weitere Besonderheit bei den Zuschreibungen zum Wagenburgphänomen stellte<br />

ein LBS-Werbeclip dar, welcher von mehr als jedem Dritten hier<strong>mit</strong> in Verbindung gebracht<br />

wurde (35 %). Im folgenden Medienanalyseteil wird hierauf noch einmal explizit Bezug<br />

genommen und versucht, den bekanntesten deutschen cineastischen Wagenplatz zu<br />

dekonstruieren und ihn in seine einzelnen suggestiven Bestandteile aufzuflechten.<br />

Was die konkret existenten Freiburger Wagenplätze anbelangt, so zeigt sich zum<br />

einen, dass Plätze ohne eine mediale Repräsentation in der Wahrnehmung der<br />

Stadtbevölkerung kaum oder gar nicht vorhanden sind. Der Platz der Waldmenschen, die<br />

Straßenpunks<br />

oder auch der<br />

Wagenplatz<br />

Urstrom tauchen<br />

nicht unter<br />

sonstige auf. Der<br />

Platz Ölmühle,<br />

welcher keine<br />

mediale<br />

Abb. 50: Bekanntheitsgrad der Wagenplätze in absoluten Zahlen der abgegebenen Aufmerksamkeit<br />

Stimmen<br />

auf sich zog,<br />

verbleibt<br />

ebenfalls fast unbemerkt am Stadtrand. Susiburg (Vauban), der einzige quasi stadtinterne<br />

Platz, bekommt trotz <strong>einer</strong> relativ geringen printmedialen Repräsentation in den<br />

zurückliegenden 5 Jahren einen hohen Bekanntheitsgrad. Eine Fangfrage stellte der<br />

nichtexistente Wagenplatz im Stadtteil Stühlinger dar, um den „Wahrheitsgehalt“ der<br />

räumlichen Bestandsaufnahme zu falsifizieren. Schlussfolgernd zeigen sich die zentrale<br />

95


Öffentlichkeit<br />

geographische Lage, sowie ein mediales Simulacrum als die Bedingungen zur Möglichkeit<br />

<strong>einer</strong> öffentlichen Wahrnehmung.<br />

Nachgefragt, wodurch sich eine mediale Repräsentation generellen konstituiert, zeigt<br />

sich die hohe Bedeutung der lokalen Zeitung(en). Was im Falle Freiburgs die monopolistische<br />

Stellung der Badischen Zeitung darstellt. Fernsehen, Internet und überregionale Printmedien<br />

tragen einen sehr geringen Teil zu der Ver<strong>mit</strong>tlung des Phänomens bei. Bücher haben gar<br />

keine Bedeutung. Auffällig ist, wie stark die Meinungsbildung vom Informationsfluss über<br />

Dritte gespeist ist. Dieser folgt anteilsmäßig gleich nach der lokalen Zeitung. Der direkte -<br />

wie auch immer qualitativ geartete – Kontakt zu den Bewohnern selbst spielt eine<br />

geringfügige<br />

Rolle und<br />

unterstreicht<br />

zugleich die<br />

phänomenologische<br />

Bedeutung<br />

des medialen<br />

Simulacrums. Der<br />

begehbare Raum<br />

Abb. 51: Meinungsbildende Medien<br />

selbst stellt eine<br />

zu vernachlässigende<br />

Rolle in der Erfahrbarmachung des Phänomens. Er zeigt sich so<strong>mit</strong> nicht nur<br />

geographisch als peripher, sondern auch kognitiv.<br />

13 Prozent der Befragten glauben darüber hinaus, dass Wagenburgen hauptsächlich<br />

um ein Freiburger Phänomen darstellt. 18 Prozent sind der Meinung, dass es sich um eine rein<br />

deutsche Erscheinung handelt.<br />

Abschließend stand die Frage nach dem Zusammenhangs zwischen Realpolitik und<br />

den Raumanforderungen der Kulturerscheinung, wobei sich ein konstantes Verhältnis darbot.<br />

Abb. 52 - 53: Realpolitischer Kontext<br />

Fragestellung<br />

96


3.5.2 Die Medienwelt<br />

Medien<br />

Der größte, weitestreichende und zugleich kurzlebigste Raum der Postmoderne stellt<br />

der medial erzeugte dar. Nichts erscheint uns real, wenn es nicht medial ver<strong>mit</strong>telt ist, so<br />

könnte man <strong>mit</strong> Luhmanns Gedanken seine Bedeutung verdeutlichen (LUHMANN: 1995).<br />

Habermas setzt hierbei die „kommunikativ erzeugte“ Macht der „administrativ verwendeten<br />

Macht“ direkt gegenüber (HABERMAS 1989: 427). Und auch die neuere geographische<br />

Forschung hat den Blickwinkel <strong>einer</strong> reinen Vorort-Raumempirie erweitert und versucht,<br />

gewinnbringend diese Netzwerke und Kommunikationsräume <strong>mit</strong> einzubeziehen.<br />

Die im ersten Teil der kontextuellen Transformation dargelegte Bedeutung des medial<br />

erzeugten Simulacrums <strong>einer</strong> Wagenburg soll nun abschließend auf seine Bedingtheit<br />

untersucht werden. Welche Akteure treten <strong>mit</strong> welchen Inhalten medial kanalisiert in den<br />

öffentlichen Raum? Drei wichtige Hinweise ergaben sich hierbei bereits durch die<br />

repräsentative Umfrage: zum einen die singuläre Bedeutung eines Werbeclips; die zu<br />

vernachlässigende Funktion der überregionalen Medien - welchen nicht die sonst konstatierte<br />

Aufgabe eines Leitmediums bekommen; und an dritter und wichtigster Stelle die Bedeutung<br />

der regionalen Presse.<br />

Freiburg ist in dieser Hinsicht eine dankbare Fallstudie, da sich lediglich eine Zeitung<br />

monopolartig die Ver<strong>mit</strong>tlung des Örtlichen zur Aufgabe gemacht hat. Die Badische Zeitung<br />

<strong>mit</strong> <strong>einer</strong> Auflage von 155.000 bedient nach eigenen Angaben eine Leserschaft von 400.000<br />

Menschen in Stadt und Umland <strong>mit</strong> weltpolitischen, aber vor allem auch <strong>mit</strong> lokalen<br />

Themenfeldern.<br />

Im Zusammenhang <strong>mit</strong> dem Phänomen Wagenburgkultur wurden in den<br />

zurückliegenden fünf Jahren knapp 100 Artikel veröffentlicht (01.01.2001 - 31.12.2006). 120<br />

Diese galt es <strong>mit</strong> Hilfe eines standardisierten Analyserasters zu betrachten und auszuwerten.<br />

Die Leseschablone selbst (Anhang ➣ 6.1.5) ist das Ergebnis mehrere Pretest-Phasen an<br />

Wagenburg-Artikeln in regionalen wie überregionalen Printmedien.<br />

Bei der Betrachtung der Tageszeitungsartikel ist zunächst auffällig die stark<br />

asymmetrische Verteilung der Thematik in der betrachteten Periode von fünf Jahren. So gab<br />

es über das Jahr 2001 hinweg 22 Artikel. 2002 waren es hingegen gerade einmal 3 Artikel.<br />

2003 hatten 4 Artikel Wagenburgen zur Thematik. 2004 waren es 6. 2005 waren es hingegen<br />

29. Und im Jahr 2006 wurden 35 Artikel verfasst. Dies lässt den Schluss zu, dass es sich um<br />

ein Phänomen handelt, welches eine printmediale Darstellung nur äußerst unregelmäßig und<br />

unter bestimmten Bedingungen erfährt.<br />

120 37 kurze Artikel (< 180 Worte), 55 <strong>mit</strong>tellange Artikel (zwischen 180 und 800 Worten)<br />

und 7 lange Artikel ( > als 800 Worte)<br />

97


Medien<br />

Eine tiefere Analyse der einzelnen Beiträge brachte hervor, dass Demonstrationen und<br />

Protestaktionen in fast 50% der Fälle die Schreibanlässe bildeten. Lediglich 9% der Artikel<br />

waren abgekoppelt von un<strong>mit</strong>telbar aktuellen Ereignissen und versuchten, durch meist längere<br />

Beiträge zu <strong>einer</strong><br />

Versachlichung der<br />

Thematik beizutragen.<br />

Akute<br />

Räumungsandrohungen<br />

und Gerichtstermine<br />

Abb. 54: Schreibanlass<br />

initiierten ebenfalls eine<br />

Berichterstattung. 16% der<br />

meist kurzen Artikel geben<br />

an die Leserschaft weiter,<br />

wohin sich das Phänomen<br />

im urbanen Raum bewegt oder konzentriert hat. Insgesamt stellen so<strong>mit</strong> 86% der Artikel<br />

Spannungsfelder dar und nur 14% verbleiben neutral verortend oder im Sinne <strong>einer</strong><br />

weitergefassten Kontextualisierung.<br />

Bei <strong>einer</strong> weiteren Analyse der Artikel unter dem Aspekt der Spannungsfelder und den<br />

da<strong>mit</strong> einhergehenden Konfliktlinien zeigt sich die Stadt – als administrative Koppelung aus<br />

Politik und Verwaltung –<br />

als Hauptkontrahent<br />

gegenüber Wagenburgen,<br />

gefolgt von<br />

Auseinandersetzungen <strong>mit</strong><br />

der exekutiven Gewalt.<br />

Konfliktlinien zur übrigen<br />

Bürgerschaft der Stadt<br />

werden in 9% der Artikel<br />

Abb. 55: Hauptkonfliktlinie in der Berichterstattung<br />

dargestellt. Die<br />

Thematisierung <strong>einer</strong><br />

innerpolitischen oder<br />

innerrechtsstaatlichen<br />

Debatte findet in 3% der<br />

Fälle ihre Artikulation.<br />

Eine Darstellung gänzlich<br />

ohne Konfliktlinien liegt in<br />

7% der Artikel vor.<br />

Abb. 56: Inhaltliche Schwerpunkte der Artikel<br />

Durch eine<br />

zusätzliche vereinfachte<br />

Etikettierung auf inhaltlicher Ebene <strong>mit</strong> fünf verschiedenen Kategorien zeigt sich, dass<br />

Rechtsbruch und Kriminalität in 35% der Fälle den Grundtenor des Artikels bilden. Eine<br />

98


Medien<br />

Darstellung der juristischen Dimension liegt bei knapp einem Viertel der Artikel vor.<br />

Wagenburgen als einen politischen Sachverhalt stellen 18% der Schreibbeiträge dar. Den<br />

Versuch, das Phänomen als Kulturerscheinung an sich zu beschreiben, unternehmen noch<br />

einmal genau so viele. In 7% der Fälle geht es um eine romantisierte Schilderung des<br />

Wagenlebens in<strong>mit</strong>ten <strong>einer</strong> Welt ohne Spannungsverhältnisse. Insgesamt zeigt sich bei der<br />

printmedialen Darstellung auf lokaler Ebene eine starke Focusierung auf Spannungsfeldern<br />

sowie auf Verstöße gegen das Rechtssystem im Speziellen.<br />

Im Sinne eines „liberalen Öffentlichkeitsmodells“ (GERHARDS 1998: 37), in welchem<br />

sich die Meinungsvielfalt im ausgewogenen Repräsentationsverhältnis artikuliert, weisen die<br />

Artikel darüber hinaus rein quantitativ einen Überhang zugunsten der Wagenbewohner aus.<br />

Mit 30 zitierten Wortmeldungen sind sie direkt vertreten. Auf Gegendarstellungen und -<br />

argumentationen entfallen 24 wörtliche Zitate, verteilt auf Stimmen von Polizei (4),<br />

Verwaltung (9), Ober- und Bürgermeister (7) und Bürgern (4). Als zusätzliche Fürsprecher<br />

artikulierten sich hingegen nur drei Bürgerstimmen. Gemessen an der hieraus entworfenen<br />

Dichotomie von für und wider stellt sich ein leichter Überhang für die Wagenbewohner dar,<br />

welchem jedoch ein aufgefächerter größtenteils institutionell verankerter Stimmenkanon<br />

entgegensteht.<br />

Nimmt man ein „deliberatives Öffentlichkeitsverständnis“ als Grundlage (GEBHARDS<br />

1998: 31 ff.), welches eine argumentativ gestützte Mehrheitsmeinung zum Konsens bringen<br />

soll, so zeigt sich im Fall der Wagenburgthematik ein starkes Anhaften an den administrativen<br />

Diskurshoheiten. Eine Sachlage, die zum einen auf die professionalisierte<br />

Öffentlichkeitsarbeit der Stadtverwaltung <strong>mit</strong> Pressestelle und Pressesprecher zurückzuführen<br />

ist und zum Anderen auf das fast völlige Fehlen <strong>einer</strong> konstanten Öffentlichkeitsarbeitsgruppe<br />

auf Seiten der Wagenburgen (vgl: Interview <strong>mit</strong> der Journalistin Beate Beule im Anhang ➣<br />

6.3.1).<br />

Neben diesen strukturellen Bedingtheiten im Hintergrund zeigt sich auf inhaltlicher<br />

Ebene der verbliebenen Artikel eine weitere Besonderheit. 32 der knapp 100 Artikel sind<br />

bebildert und zeichnen sich größtenteils durch eine distanzierte, gesichtslose Darstellung der<br />

Bewohner aus. Von sieben Nahaufnahmen zeigen 5 eine Rückenansicht. Von sechs<br />

Gruppenaufnahmen sind 3 <strong>mit</strong> Masken oder Vermummung. Polizeibeamte sind Bestandteil<br />

von knapp der Hälfte aller Bilder. Lediglich zwei Photographien dokumentieren den<br />

Innenraum eines Wagens.<br />

Darüber hinaus ergibt sich bei der Betrachtung der Beiträge unter dem Aspekt eines<br />

zeitlichen Rahmenfensters, dass 89 % der Artikel die Ereignisse im Kontext von maximal drei<br />

Tagen betrachten. 6 % weiten den Bezugsrahmen auf 3 Monate aus. 4 % gehen über 3 Monate<br />

hinaus. Auch die zum Teil ganzseitigen in der wohlwollenden Tradition <strong>einer</strong> Aufklärung<br />

geschriebenen Artikel gehen nicht über den Bezugsrahmen von 5 Jahren hinaus. Ökologische<br />

Aspekte werden von 4 Beiträgen aufgegriffen, wobei 3 davon eine Gefahr für die Umwelt in<br />

der Wohnform sehen. Ein Artikel befasst sich <strong>mit</strong> Aspekten der Nachhaltigkeit. Von<br />

99


insgesamt 99 Artikeln öffnen 4 den räumlichen Bezugsrahmen über Freiburg hinaus und<br />

stellen Referenzpunkte zu anderen Städten innerhalb der Bundesrepublik dar.<br />

Medien<br />

Was die überregionalen Medien anbelangt, so muss zunächst angeführt werden, dass<br />

es sich bei Wagenburgen um ein äußerst randständiges Thema handelt, welches durch die<br />

jeweiligen „Leitmedien“ ein- bis zweimal pro Jahr aufgegriffen wird. 121 Generell lassen sich<br />

hierbei zwei verschiedene Kategorien unterscheiden.<br />

Zum einen gibt es Berichterstattung der feuilletonistischen Art, die oftmals skurrile<br />

Einzelpersonen und deren alltägliche Lebenswelt beschreibt. Ironie, Emphase und<br />

Ambiguität dienen hier meist als Stil<strong>mit</strong>tel zur Bereicherung eines voyeuristischen Blicks in<br />

das Kleinod Wagenburg. Die Beschreibungen sind durchaus meist positiv besetzt, und<br />

attestieren der Wohnform Freiheit, Mobilität und eine verklärte Naturnähe rousseau’scher<br />

Prägung. Über eine negative Definition betrachtet, zeichnen sie sich durch den Ausschluss des<br />

Politischen aus. Interessenkonflikte und explizite Wertdarstellungen finden wenigen Raum in<br />

dieser Art der Darstellung. Enge Analogismen finden sich zu den positivistischen<br />

Meinungsbildern, wie sie die Öffentlichkeitsbefragung hervorbrachte (vgl.: ➣ 6.1.4).<br />

Auf der anderen Seite findet sich eine zweite, gänzlich andere, weniger zugewandte<br />

Art der Berichterstattung. Der exotische Alternativismus der ersteren Darstellungsweise wird<br />

hier in ein asoziales Außenseitertum überspitzt, von welchem eine Bedrohung oder gar<br />

Gefahr für „die Allgemeinheit“ ausgeht. Drogenabhängigkeit, Alkoholismus und<br />

Obdachlosigkeit werden nicht als gesamtgesellschaftliches Problemfeld dargestellt, sondern<br />

dienen hierbei als Kriterium zur ausgrenzenden Diffamierung der Bewohner. Kriminalität und<br />

Rechtsbruch wird per Ferndiagnose als inhärente Struktur <strong>einer</strong> Wagenburg freigelegt. Zeigt<br />

sich das Wagenleben bei der wohlwollenden Berichterstattung noch als leicht polygames<br />

Nebeneinander auf der Schafsdecke im Mahagoni-Zirkuswagen, so weicht diese Darstellung<br />

nun einem qualmig rußenden Ölofen in einem zugigen Bauwagen samt vereinsamtem<br />

Alkoholiker.<br />

Beiden überregionalen Berichterstattungen gelingt es gleichsam nicht, politische<br />

Aspekte und einen weiteren Kontext einzublenden. Beide verbleiben Unterhaltung. Einen<br />

Versachlichungsbeitrag zu einem Interessen- oder Wertekonflikt leisten beide Perspektiven<br />

nicht – was hierbei gleichsam bedeuten müsste: den Raum, als zentralen Träger der<br />

Kulturerscheinung, in die Betrachtung <strong>mit</strong> einzubeziehen.<br />

121 Recherche über das digitale Archiv Medienport.de, welches sämtliche Artikel aller<br />

größeren Tages- und Wochenzeitungen sowie Zeitschriften entgeltlich bereithält. Zur Suche<br />

wurden folgende Stichworte eingegeben: Bauwagen, Bauwagenplatz, Wagenburg,<br />

Wagenburgplatz, Alternatives wohnen. 433 Treffer insgesamt. 6 adäquate themenbezogene<br />

Artikel der letzten fünf Jahre bei Bildzeitung, Focus, Süddeutscher Zeitung und Zeit wurden<br />

daraufhin analysiert.<br />

100


Medien<br />

Darüber hinaus hat auch das visuelle Medium den Wagenplatz entdeckt, wenngleich<br />

nicht nur als sporadischen Sensationsjournalismus, sondern auch als didaktische Hilfe bei der<br />

Kindererziehung. Peter Lustig verbleibt namentlich der bekannteste Wagenbewohner in<br />

Latzhosen seit 1981. Fragend durchstöbert er die Welt, welche sich in jeder Sendung neu um<br />

seinen Wagen auftut. Hierbei versucht er leicht verständlich Wissenschaftliches und<br />

Umweltbewusstsein zu ver<strong>mit</strong>teln. Was seinen Bekanntheitsgrad anbelangt, so übertrifft er<br />

sogar die literarische Mutter aller Wagenbewohner von Bertold Brecht – die Marketenderin<br />

Courage (vgl.: ➣ 6.1.3).<br />

Singulär und im kognitiven Gedächtnis jedes dritten Bürgers eingeschrieben scheinen<br />

jedoch der Wagenplatz und die Wagenbewohner eines 26-sekündigen Werbeclips zu sein, der<br />

von 2004 bis Anfang 2007 ausgestrahlt worden ist (vgl.: ➣ 3.3.1). Welche Prägung er<br />

hinterlässt, soll <strong>mit</strong> Hilfe <strong>einer</strong> werkimmanenten Analyse in einem kurzen Exkursiv<br />

diagnostiziert werden. Was verbleibt als suggestives Wertegerüst, wenn man die einzelnen<br />

Einstellungen dekonstruiert?<br />

Exkurs: Werbespot Wagenburg (15 Einstellungen / 26 Sekunden)<br />

Der Clip beginnt <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> Totalen. Ein altes Motorrad und mehrere matschige<br />

Schlammpfützen leiten in den Bild<strong>mit</strong>telgrund über. Im goldenen Schnitt sitzen drei<br />

jugendliche Komparsen auf Bierkästen. Die Farbtöne sind dunkel gehalten, nur ein qualmiges<br />

Feuer im Hintergrund tritt hervor. Das Bild wirkt überladen und unübersichtlich. Mit einem<br />

Off-Ton beginnt der Dialog 122 zwischen <strong>einer</strong> jungen Tochter und ihrem Vater. Beide sind<br />

einzeln in <strong>einer</strong> Halbtotalen dargestellt. Sie hält ihre Beine eng umschlungen. Er, unrasiert<br />

und <strong>mit</strong> rot unterlaufenen Augen, beachtet seine Tochter nur beiläufig. Ein Gegenschuss zeigt<br />

aus voyeuristischem Blickwinkel zwischen Bauwagen und Gestrüpp eine junge tätowierte<br />

Frau, die ihre Slips und Netz-T-Shirts aufhängt. Ihr gilt der Blick des Vaters. Die<br />

Handkameraeinstellungen verbleiben ruckhaft und verwackelt. Der Hintergrund besteht aus<br />

Graffiti und ausgeblichenen Brettern. Mit <strong>einer</strong> kurzen Kopfbewegung zur Seite kommentiert<br />

der Vater die lebhaften Vorstellungen s<strong>einer</strong> Tochter. Aus der Vogelperspektive folgt ein<br />

unruhiger Schwenk über einen Fußweg, wo zwei Jugendliche <strong>mit</strong> Hahnenkammfrisur vor<br />

einem angeheftete Demonstrationsbanner schnell vorübergehen. Auf dem Leintuch sind<br />

brennende Autoreifen vor einem Gebäude zu sehen. Eine weitere Halbtotale filmt drei der<br />

122 Dialogverlauf zwischen Vater (V) und Tochter (T)<br />

T: Ich kenn da ein Mädchen aus m<strong>einer</strong> Klasse. Und der Vater hat sein eigenes Haus,<br />

wo jeder sein eigenes Zimmer hat.<br />

V: Sind doch Spießer.<br />

T: Und der Bernd hat eine Wohnung auf dem Dach, von wo aus man die ganze Stadt sehen<br />

kann.<br />

V: Auch Spießer.<br />

T: Papa. Wenn ich groß bin, will ich auch mal Spießer werden.<br />

OFF: Oder einfach Bausparer.<br />

(Quelle: http://www.lbs.de/bw/lbs/pics/upload/tfmedia1/HBFAAKiaWG1.mpg)<br />

101


Medien<br />

Kamera abgewandte Jugendliche, im Mittagslicht beim Bongospielen, Grillen und Biertrinken<br />

an einem qualmenden Feuer. Die Bildmontage wechselt zu Vater und Kind. Er fasst sie an der<br />

Nase und wiederholt seine Meinung. Ein Zoom fokussiert auf das Gesicht des Mädchens<br />

während sie bekundet, Spießer werden zu wollen. Er verschluckt sich beim Nippen an <strong>einer</strong><br />

alten Teetasse. Sein dreckiger Hals wird sichtbar. Als letzter Gegenschuss zu seinem Blick<br />

erscheint die schimmelbefallene Wand eines Bauwagens <strong>mit</strong> einem in leuchtenden<br />

Kinderfarben gemalten Haus darauf. Computergeneriert schwebt der Schriftzug <strong>einer</strong><br />

Bausparkasse herein.<br />

K<strong>einer</strong> der flüchtig und silhouettenhaft dargestellten Platzbewohner betätigt sich <strong>einer</strong><br />

Arbeit. Die gesamte Umgebung stellt ein wahlloses Sammelsurium dar, in welchem die<br />

klassische Familienstruktur der Werbung nicht auffindbar ist. Der Vater selbst erscheint<br />

apathisch, desinteressiert und verschmutzt. Das Kind hingegen dient als Identifikationsperson<br />

und Sympathieträger, welches aufgeweckt und lebhaft den Wunsch nach einem Haus<br />

verkörpert. Der Wagenplatz selbst fungiert als Gegenhorizont zum suggerierten Bedürfnis<br />

hiernach.<br />

Abb. 56 - 58: Von 2004 bis 2007 gesendete Konstruktion <strong>einer</strong> Wagenburg<br />

Die Bedeutung <strong>einer</strong> Selbstdarstellung durch Träger der Wagenburgkultur kann<br />

abschließend im gesamtgesellschaftlichen medialen Öffentlichkeitskontext vernachlässigt<br />

werden. Im Anschluss an mehrmals jährlich stattfindende deutschlandweite Wagentage<br />

erscheint ein ringbuchgebundenes Wagenburgmagazin namens Vogelfrai. Dieses versteht sich<br />

jedoch nicht als mediales Sendemedium an eine größere Öffentlichkeit, sondern lediglich als<br />

printmediale interne Kommunikation zur Vernetzung und Diskussion. Dem gegenüber steht<br />

ein frei zugängliches Internetportal wikipedialer Machart namens Wagenleben.de, welches die<br />

einzelnen Internetauftritte vieler innerdeutscher Wagenplätze verknüpft und darüber hinaus<br />

allen Benutzern die Möglichkeit bietet, selbst Artikel zu verfassen und einzufügen. Die<br />

Erweiterung um ein Diskussionsforum bietet Raum, um sämtliche Aspekte <strong>einer</strong> Lebenswelt<br />

im Wagen zu thematisieren, zu kommentieren und zu diskutieren. Das Buch, als das Medium<br />

der Moderne, verbleibt im Kontext der Wagenburgkultur an zweiter Stelle, weit hinter den<br />

hypermedialen Darstellungen im Medium der Postmoderne.<br />

102


4 Resümee<br />

Resümee<br />

Am Ende steht die Zusammenführung der Triangulation zur Konklusion unter erhöhter<br />

Abstraktion. Konkreter ausbuchstabiert für eine Wagenburgkultur Heute bedeutet die<br />

Bündelung der einzelnen Triangulationsstränge im Resümee das Aufdecken zweier<br />

postmoderner Prozesse. Zum eine ist es die Pluralisierung. Zum andern ist es die<br />

Polarisierung.<br />

Als Initialräume beider Prozesse zeigen sich bei der urbanen Genese <strong>einer</strong><br />

Wagenburgkultur temporäre Freiflächen, wie Konversionsgebiete, Baulücken oder<br />

Brachgelände. Im ausgehenden 20. Jahrhundert generierten die beiden historischen<br />

Transformationsereignisse der Deindustrialisierung und die Beendigung <strong>einer</strong> Ost-Westblock<br />

Dichotomie die größten urbanen und suburbanen funktionslosen Areale. Neben Militär- und<br />

Industriebrache schließen Gewerbebrache und der allgemeine Schrumpfungsprozess der<br />

meisten ostdeutschen Stadtlandschaft weiter Freiflächen auf. Im speziellen Freiburger<br />

Fallbeispiel ist es die singuläre Transformation im Bereich der Abwasserwirtschaft, die<br />

enorme Flächenpotentiale frei gibt.<br />

Die mobilen, infrastrukturlosen Lebensstile in <strong>einer</strong> Wagenburg ermöglichen die<br />

temporäre Folgenutzung all dieser Flächen, welche lediglich durch ihre<br />

Untergrundbeschaffenheit und bauliche Reststruktur das Bewegen und Rangieren von Wagen<br />

ermöglichen müssen. Besetzung, Duldung und Besitz stellen hierbei die gängige Bandbreite<br />

der rechtlichen Lage im Raum dar.<br />

Gleichsam greifen – wenn auch <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> zeitlichen Versetzung um Monate oder<br />

Jahrzehnte - Nachfolgenutzungspläne, welche die Wagen unter den Mechanismen der<br />

abfallenden Bodenrendite an die Peripherie des urbanen Raumes, zu interurbaner Bewegung<br />

oder ins rurale Umland tragen. Treibende zentrifugale Kräfte sind hierbei<br />

Polarisationsprozesse wie Gentrifikation, Segregation und die renditediktierte Nutzung des<br />

Raumes – kurz um alle raumgebundenen Prozesse <strong>einer</strong> sozialen Entmischung.<br />

Das Freiburger Fallbeispiel zeigt darüber hinaus deutlich, dass es sich oftmals um<br />

Großprojekte handelt, welche ein flexibles Reagieren von Wagenburgagglomeration auf den<br />

jeweiligen Flächenwegfall nicht mehr erlaubt. Das Errichten eines industriellen<br />

Schlachthofes, Fachmarktzentren, Stadtteilsanierungsprogramme und das Entstehen zweier<br />

gänzlich neuer Stadtviertel sind hierbei die historischen Beispiele der Fallstudie.<br />

Die eigentlichen Polarisierungsprozesse zeigen ein geschichtliches Kontinuum <strong>mit</strong> den<br />

Exklusionsprozessen gegenüber der Ethnie der Sinti und Roma, für welche im geographisch<br />

dokumentierten Zeitraum (ab 1884) im Falle Freiburgs das Stadtgebiet gleichsam keine<br />

Integration auf der Basis von Wagen ermöglichte, sondern parallel zur heutigen<br />

Wagenburgkultur die Deslokalisierung in ursprünglich wohnfunktionslose Areale erfolgte.<br />

103


Resümee<br />

Die heutige zonierte Stadt nach den Grundsätzen <strong>einer</strong> Charta von Athen <strong>mit</strong> dem<br />

Leitgedanken der funktionalen Trennung von Lebensbereichen eröffnet so<strong>mit</strong> durch die<br />

Nichtzuordnung der Wohnform in eine Misch- oder Wohnviertelzonierung die Möglichkeit<br />

<strong>einer</strong> räumlichen Falschplatzierung <strong>mit</strong> der Folge verstärkter Polarisierung und<br />

Stigmatisierung der Bewohnerschaft. Im Falle Freiburgs verdeutlichen die beiden städtisch<br />

geleiteten Wagenburgen in Industrie- und Gewerbegebiet sowie im Naturschutzgebiet<br />

exemplarisch diese institutionell verankerte raumpolitische Entscheidung. Dies verdeutlicht,<br />

dass jeglicher Zonierung <strong>einer</strong> Stadt nicht nur Funktionen, sondern gleichzeitig - wenn auch<br />

in subtilerer Weise - Werte eingeschrieben sind. Bei der Deslokalisierung <strong>einer</strong> Wohnform in<br />

ehemals wohnfunktionslose Areale formuliert sich die Nichtintegrierbarkeit eines Lebensstils<br />

und dessen Werte in der Raumgemeinschaft Stadt.<br />

Darüber hinaus zeigte die Freiburger Analyse, wie Orte <strong>mit</strong> Negativassoziationen,<br />

bedingt durch naturräumliche Ungunstfaktoren oder die vorhergehende Nutzung vielfach als<br />

auszuweisender Platz für mobile Lebensstile gelten (Am Galgenwäldchen, Am Eselswinkel,<br />

Rieselfeld). Die Flurnamen und die Persistenz negativer Assoziationen über die eigentliche<br />

Funktionsbezeichnung des Raumes wirken als Indikator und Verstärker sozialer<br />

Polarisierung. Zusätzlich artikuliert sich bei fast allen stadtpolitischen Entscheidungen seit<br />

dem ausgehenden 19. Jahrhundert, stets ein Verbergen und eine Exklusion des Phänomens<br />

durch seine räumliche Verschiebung. Sei es bei der Ausweisung von Wohnfläche in <strong>einer</strong><br />

Kiesgrube, in Industrie- und Gewerbegebieten oder innerhalb dichter geschlossener<br />

Waldverbände. Die kaschierte Fragmentierung der Stadtlandschaft verdeckt zum einen die<br />

tatsächliche Polarisierung und zugleich die zunehmende Pluralisierung der urbanen<br />

Lebensstile.<br />

Im Falle <strong>einer</strong> Wagenburgkultur setzt die Pluralisierung aus unterschiedlichsten<br />

gesamtgesellschaftlichen Gegenhorizonten zusammen. Vereinfacht dargestellt lassen sich<br />

zwei zunächst divergente Lebensstile auszeichnen, welche den pluralistischen Wohnbaustein<br />

Wagenburg speisen.<br />

Auf der einen Seite ist es die in der Urbanität konzentrierte Obdachlosigkeit, von<br />

welcher sich Menschen durch den Bezug eines Wagens zu befreien suchen. Das fehlende<br />

Recht auf die Einklagbarkeit von Wohnraum in deutschen Gesetzestext, sowie die äußerst<br />

bedingt adäquaten Wohnraumverhältnisse in Notunterkünften, betreuten Wohnanlagen und<br />

Übergangswohnheimen stellen hierbei die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dar,<br />

welche nach den jeweiligen biographischen Schlüsselmomenten, Obdachlosigkeit generieren.<br />

Durch den Bezug eines Wagen verbessert sich die Lebensqualität eines ehemals Obdachlosen<br />

deutlich. Freiheit, Schutz, Geborgenheit und das materialisierte Zeichen für einen<br />

selbständigen Wiederaufbau der Person spiegelt sich für viele im Wagen selbst. Die neu<br />

gefundene Gemeinschaft innerhalb <strong>einer</strong> Wagenburg zusammen <strong>mit</strong> der Vielzahl positiver<br />

Assoziationen und Zuschreibungen führt dazu, dass der Wagen nur äußerst selten durch eine<br />

Wohnung substituiert wird. In Konflikt hierzu tritt oftmals die stark monistische Ausrichtung<br />

städtischer Fürsorge auf das Haus, als einzigen Baustein für die Grundversorgung Wohnen.<br />

104


Resümee<br />

In quantitativ weitaus größerem Umfang zeigt sich auf der anderen Seite ein<br />

differenzierteres Bild, <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> Vielzahl unterschiedlicher Gegenhorizonte, auf Grund derer<br />

Menschen sich entscheiden aus einem Haus in einen Wagen zu ziehen. Mit den beschriebenen<br />

Wirkungsmechanismen der Postmoderne wie Engagement in Mikro- und Subpolitik,<br />

Ästhetisierung des eigenen Wohnumfeldes, selbstständiges Generieren ehemals staatlicher<br />

Leistungen, Partizipation, Erweiterung der traditionellen Lebensgemeinschaft um multiple<br />

Formen des Zusammenlebens, ein parataxisches Hierarchieverständnis, dezentrale<br />

Strukturierung, sowie das Ersetzen eines positivistischen Fortschrittglaubens durch<br />

Skeptizismus oder Ökologismus lässt sich die Grundgesamtheit erfassen. Und hier zeigt sich<br />

erneut bei der Formierung der einzelnen Wägen zur Burg das Entstehen <strong>einer</strong> Gemeinschaft.<br />

Die architektonischen Gegenhorizonte reichen hierbei von courbousierschen<br />

Wohnsilos, über Reihenhausbebauung bis zum Einzelhaus, welche hinterlassen werden um zu<br />

<strong>einer</strong> Pluralisierung der städtischen Lebensstile auf der Basis <strong>einer</strong> Wagenburg zu führen.<br />

Beiden Bewegungsrichtungen ist gemein, dass der Entschluss im Wagen zu leben bei<br />

allen Bewohnern zu einem festen Bestandteil der eigenen Biographie geworden ist und das<br />

sich in diesem Entschluss eine Verbesserung der bisherigen Wohnverhältnisse gesehen wird.<br />

Freiheit, Draußen und Gemeinschaft zeigt sich als kleinster gemeinsamer Nenner aller<br />

narrativen Interviews.<br />

Neben den postmodernen Wirkungsmechanismen der Polarisierung und der<br />

Pluralisierung zeigt sich die öffentliche Wahrnehmung des Phänomens durch ein<br />

postmodernes mediales Simulacra bestimmt. Trotz eines starken Zerrbildcharkters des medial<br />

reproduzierten Phänomens, spiegelt sich hierin oftmals die räumlich geographische Exklusion<br />

und eine soziale Stigmatisierung wieder.<br />

Als wichtigster medialer Träger zur eigenen Binnenvernetzung und Repräsentation der<br />

Wagenburgkultur nach außen verbleibt die hypermediale Darstellung im Internet - dem<br />

Medium der Postmoderne.<br />

Eine Kulturform, welche - vielleicht gleich k<strong>einer</strong> anderen - eine derartige Vielzahl an<br />

postmodernen Wirkungsmechanismen und Aspekten an sich bündelt, zeigt sich in möglichen<br />

Zukunftsszenarien als äußerst schwer kalkulierbar, zumal eine Vielzahl der Faktoren für eine<br />

Zunahme, andere wiederum für eine Abnahme der 160 dezentralen deutschlandweiten<br />

Wagenburgen sprechen.<br />

Argumente die deutlich für einen Rückgang der Kulturerscheinung sprechen sind<br />

derzeitige Entwicklungen im Bereich der Kfz- und Lkw-Zulassung, welche das Führen von<br />

motorisierten Wagen im bisherigen Rahmen deutlich einschränken. Auch zeigt sich bei der<br />

nichtmotorisierten Wohnlösung des Zirkuswagens, dass sich die Umstellung im<br />

Schaustellergewerbe auf leichtere und flexiblere Aluminiumkonstruktionen oder modulare<br />

105


Resümee<br />

Containersysteme fast völlig vollzogen hat. Gleiches zeigt sich im Baugewerbe, wo<br />

standardisierte Container zur transversalen und longitunalen Stapelung inzwischen den<br />

Standard darstellen und Bauwagen nur noch eine marginale Rolle spielen.<br />

Insbesondere zeigt sich auch die gegenwärtige Stadtentwicklung <strong>mit</strong> der Leitlinie <strong>einer</strong><br />

kompakten Stadt, durch Baulückenschließung und Innen- vor Außenentwicklung, als<br />

tendenzielles Verschließen bisher offener städtischer Räume.<br />

Für eine ansteigende Zahl der Wagenburgformationen sprechen hingegen der<br />

progressive Charakter vieler postmoderner Mechanismen und deren Steigerung. Insbesondere<br />

die Zunahme pluralistischer Lebensstile, der Bedeutungszuwachs postmaterialistischer Werte,<br />

und die zunehmende Schlüsselstellung <strong>einer</strong> ökologisch nachhaltigen Entwicklung. Die sich<br />

in Ansätzen vollziehende Synthese <strong>mit</strong> den Mietshäusersyndikatstrukturen tragen durch den<br />

rechtlichen Rahmen <strong>einer</strong> GmbH zu <strong>einer</strong> Verbesserung der juristischen und monetären<br />

Verhältnisse bei, die für die Belange <strong>einer</strong> Wagenburg und deren Flächenbedarf genutzt<br />

werden können.<br />

Gleich welche Entwicklung Wagenburgen in ihrer derzeitigen postmodernen Prägeart<br />

vollziehen - Archäologie wird weiterhin wenig <strong>einer</strong> Kultur ohne Bodenversiegelung zu Tage<br />

fördern können. Die Vorstellung von Stadt zeigt sich von Oppida bis Gropius stets an Stein<br />

gemessen. Und so findet sich in der Vergangenheit oftmals nur die Gegenwart wieder.<br />

106


5 Bibliographie<br />

Monographien und Artikel<br />

AMT FÜR WOHNUNGSWESEN UND LIEGENSCHAFTEN DER STADT FREIBURG I. BR. (2006):<br />

Jahresstatistik 2005 - Liegenschaften und Wohnungswesen. Freiburg.<br />

AUBERT, VILHELM (1972): Interessenskonflikt und Wertekonflikt. – In: Bühl, W. (Hg.):<br />

Konflikte und Konfliktstrategien. München: 178-205.<br />

BACHFISCHER, MARGIT (1998): Musikanten, Gaukler und Vaganten – Spielmannskunst im<br />

Mittelalter. Augsburg.<br />

Bibliographie<br />

BAUMGÄRTNER, JUDITH (1999): Unter Gleichgesinnten wohnen – Die vegetarischen<br />

Siedlungsgründungen Eden-Oranienburg und Monte Verita im Vergleich. - In: Nothnagle,<br />

A. (Hg.): Auf freiem Grund <strong>mit</strong> freiem Volke - Alternative Siedlungen in Deutschland und<br />

Schweden im industriellen Zeitalter. Berlin : 55-60.<br />

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Günther Weiss. Sinti und Roma seit 600 Jahren in Deutschland - Eine Kurzfassung über<br />

Geschichte, Kultur und Verfolgung. (Letzte Änderung: 31.09.2001)<br />

Artikel überregionaler Zeitungen<br />

BILDZEITUNG. 05.12.2005: Sie blockieren sein Rathaus.<br />

FOCUS. 09.12.2002: Aufmarsch der Chaoten.<br />

FRANKFURTER ALLGEME<strong>IN</strong>E ZEITUNG. 08.03.1980: Romanestan – Das ist unsere Freiheit.<br />

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. 03.05.2003: Die Guerilla-Gärtnerin.<br />

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. 23.05.2003: Wehenschreiber in der Wagenburg – Wenn Klabauter<br />

Frau Verena Kaffee kochen will, muss sie erst mal einen schweren Kanister schleppen.<br />

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. 05.05.2006: Aufruhr im Land der Liebe.<br />

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. 07.10.2006: Der Fernsehfuchs – Ein Neuer im Bauwagen: Guido<br />

Hammesfahr tritt die Nachfolge von Peter Lustig bei „Löwenzahn“ an.<br />

112


SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. 04. 01.2007: Das Gesetz der Straße – Obdachlose ringen der<br />

französischen Regierung im Wahlkampf das Versprechen ab, ein einklagbares Recht auf<br />

Wohnung einzuführen.<br />

DIE ZEIT. 09.11.06: Krieg den Hütten.<br />

Bibliographie<br />

FREIEBÜRGER Feb.07 (9): Im Umland ist es frostig - Länger heizen <strong>mit</strong> gekürzter Beihilfe.<br />

Artikel der Badischen Zeitung<br />

24.10.2006: Kleine WG auf dem Schießplatz.<br />

11.09.2006: Der Umzug als Notlösung.<br />

06.09.2006: Mietvertrag für Schattenparker.<br />

05.09.2006: Strabag-Vertrag läuft bis 2041.<br />

01.09.2006: Jetzt sind die Schattenparker am Zug.<br />

31.08.2006: OB findet Alternative.<br />

31.08.2006: Wunsch und Wirklichkeit.<br />

31.08.2006: Wagenburgen gehören dazu – von Kiel bis Karlsruhe.<br />

22.08.2006: Platz ist nur für die Hälfte.<br />

07.08.2006: Alle bemühen sich um eine friedliche Lösung.<br />

05.08.2006: Von Wagenburgen und Straßenaktionen.<br />

05.08.2006: Die schwierige Suche nach der Wahrheit.<br />

04.08.2006: Nächste Demo am Samstag.<br />

02.08.2006: Friedliche Räumung der Straßenpunks.<br />

01.08.2006: Was heißt hier Deeskalation?<br />

01.08.2006: Heftige Diskussion um Polizeieinsatz.<br />

29.07.2006: Was bleibt, sind Scherben.<br />

20.07.2006: Schattenparker protestieren.<br />

06.04.2006: Mit Lattenzaun und Hunden.<br />

06.04.2006: Eine Sonderbaufläche für experimentelles Wohnen.<br />

06.04.2006: Eine Chronologie.<br />

05.04.2006: Die Wagenburgler richten sich häuslich ein.<br />

13.03.2006: Film über die Schattenparker.<br />

02.03.2006: Chance für die Wägler.<br />

02.03.2006: Schattenparker wieder zu Hause.<br />

15.02.2006: Stadt will Wagenburg im „Eselwinkel“.<br />

09.02.2006: Übergangslösung für Schattenparker.<br />

28.01.2006: Salomon hofft auf Lösung des Konflikts.<br />

24.01.2006: Raus aus dem Vauban.<br />

23.01.2006: Demo durch die Innenstadt.<br />

13.01.2006: Wurde die Privatsphäre der Wagenbewohner nicht geachtet?<br />

10.01.2006: Wagen der Schattenparker bleiben beschlagnahmt.<br />

113


09.01.2006: Neue Aktion der Schattenparker.<br />

07.01.2006: Wagen bleiben beschlagnahmt.<br />

05.01.2006: Wägler und Stadt treffen sich vor Gericht.<br />

24.12.2005: Kein Fest in der Wagenburg.<br />

22.12.2005: Räder kommen ins Rollen.<br />

19.12.2005: 500 Wägler protestieren friedlich.<br />

17.12.2005: Andere Zeiten, andere Ziele.<br />

17.12.2005: Die Telefone laufen heiß.<br />

17.12.2005: Wagenburg: Unabhängige Frauen <strong>mit</strong> großen Befürchtungen.<br />

16.12.2005: Leben in <strong>einer</strong> Burg <strong>mit</strong> Rädern.<br />

16.12.2005: Wagenburg SUSi.<br />

16.12.2005: Studenten unterstützen Wagenburgdemo.<br />

16.12.2005: Grüne gehen auf Distanz zu OB und Polizei.<br />

15.12.2005: Bürger helfen Wagenburgler.<br />

13.12.2005: Polizeieinsätze kosten bislang 500.000 Euro.<br />

12.12.2005: Viel Polizei, aber keine Demonstranten.<br />

10.12.2005: Gespräche statt Gewalt.<br />

09.12.2005: Wagenburgler planen Demo.<br />

06.12.2005: Polizei schützt Rathaus vor Schattenparker.<br />

06.12.2005: Wagenburgen in Freiburg.<br />

06.12.2005: Von Toleranz und Respekt.<br />

05.12.2005: Polizei räumt Wagenburg im Vauban.<br />

29.11.2005: Kein Verständnis für die Wägler.<br />

28.11.2005: Wagenburgler auf dem Weihnachtsmarkt.<br />

26.11.2005: Streit nach Polizeieinsatz.<br />

23.11.2005: Wägler contra Stadt vor Gericht.<br />

08.07.2005: Bürger wollen Taten sehen.<br />

23.06.2005: Ratsmehrheit lockert die Vorgaben.<br />

23.06.2005: Verpflichtung für die Zukunft.<br />

17.05.2005: Polizei räumt die nicht angemeldete Demo.<br />

26.02.2005: Wägler wollen Platz nur gegen Ersatz.<br />

19.02.2005: Wagenburgler müssen Platz räumen.<br />

29.11.2004: St. Georgen reißt der Geduldsfaden.<br />

26.11.2004: Schattenparker im Visier.<br />

04.09.2004: Amt verschließt sich Wägler.<br />

30.08.2004: Wägler erheben ihre Stimme.<br />

28.08.2004: Wagentage im Industriegebiet.<br />

23.08.2004: Wägler sind geduldet.<br />

15.09.2003: Münsterturm als Litfasssäule.<br />

15.07.2003: Wagenburglager ist zerstreut.<br />

Bibliographie<br />

114


10.07.2003: Polizei schickt Wagenburgler heim.<br />

11.04.2003: Wagenburgler ziehen um.<br />

08.10.2002: Blockhaus wird Treffpunkt.<br />

24.07.2002: Vom Biohum ins Vormoos.<br />

29.06.2002: Wagenburg ist umgezogen.<br />

20.09.2001: Wagenburg kann neuen Platz ansteuern.<br />

19.09.2001: Räte gegen Präzedenzfall.<br />

06.06.2001: Jetzt vereint: die „Grüne Insel“ im Eselwinkel.<br />

23.06.2001: Die „Schattenparker“ haben Freiburg verlassen.<br />

16.06.2001: Schattenparker sind abgezogen.<br />

16.06.2001: Solidarität <strong>mit</strong> den Schattenparkern.<br />

13.07.2001: Für die Wagenburg.<br />

11.07.2001: Stadt ist gegen die Umzugspläne.<br />

10.07.2001: Schattenparker suchen Privatgrundstück.<br />

23.06.2001: Es ist noch Zeit zum Üben.<br />

19.06.2001: Wagenburg wird vorerst nicht geräumt.<br />

18.06.2001: Wagenburg droht Räumung.<br />

17.06.2001: Schattenparker stehen im Rampenlicht.<br />

02.06.2001: Wagenburgmentalität.<br />

02.04.2001: Biohum-Wagenburg zieht ins „Vormoos“.<br />

02.03.2001: Film über „Wagenburg“.<br />

24.01.2001: Biohum-Wagenburg kann jetzt umziehen.<br />

23.01.2001: Ein brauchbarer Platz für die Biohum-Wagenburg.<br />

20.01.2001: In Hochdorf kein Areal für Wagenburgen.<br />

18.01.2001: Ortschaftsrat will keine Wagenburg.<br />

17.01.2001: Kein Platz für Wagenburg.<br />

Bibliographie<br />

115


6 Anhang<br />

Anhang<br />

6.1 Analysewerkzeug und Erweiterungen ..................................................................117<br />

6.1.1 Definition der Moderne vs. Postmoderne ..............................................117<br />

6.1.2 Wagenburgen in Deutschland ...............................................................119<br />

6.1.3 Umfragebogen .......................................................................................121<br />

6.1.4 Meinungsspektrum ...............................................................................126<br />

6.1.5 Medienanalyseraster ..............................................................................129<br />

6.1.6 Biohum-Wagenburgagglomeration (1998) ...........................................130<br />

6.1.7 Transkriptionslegende ...........................................................................131<br />

6.2 Wagenburginterviews .........................................................................................131<br />

6.2.1 Biohum: Wilhelm, Michael und Ulrich .................................................131<br />

6.2.2 Eselswinkel: LeeRobert Zimmermann ..................................................142<br />

6.2.3 Schattenpark: Alexandra, Stephanie, Ulrike .........................................144<br />

6.2.4 Schattenpark: Arne Brinkmann .............................................................147<br />

6.2.5 Waldmenschen: Karlheinz, Pitt und Diddi ............................................154<br />

6.2.6 Punkstadt: Joe ........................................................................................160<br />

6.2.7 Urstrom: Uri Fried ................................................................................163<br />

6.2.8 Ölmühle: Ellen Koppitz .........................................................................168<br />

6.2.9 Susiburg: Bobby Glatz .........................................................................171<br />

6.3 Umfeldinterviews .................................................................................................181<br />

6.3.1 Frau Beule (Journalistin der Badischen Zeitung) ..................................181<br />

6.3.2 Herr Maier (Leiter des Liegenschaftsamtes).........................................186<br />

6.3.3 Herr Schröder-Klings (Leiter des Stadtplanungsamt PRISE) ...............189<br />

6.3.4 Herr Siegel (Projektgruppenleiter Rieselfeld) .......................................195<br />

6.3.5 Herr Würthemberger (Abteilungsleiter des Sozial- und Jugendamtes)..198<br />

6.3.6 Herr Zinnkann (Polizeihauptkommissar a.D.) ......................................207<br />

116


6.1 Analysewerkzeug und Erweiterungen<br />

6.1.1 Definition der Moderne vs. Postmoderne<br />

Die hier tabellarisch dargestellt Dichotomie soll nicht als reine Gegenüberstellung verstanden<br />

werden, bei der das eine durch das andere ersetzt wird, sondern vielmehr gehen die Elemente<br />

der Moderne in die entsprechenden Elemente der Postmoderne über, darin auf, wirken subtil<br />

neben oder <strong>mit</strong> ihnen weiter. Es ist weniger ein Bruch, als vielmehr eine Art Übergang,<br />

welcher das Projekt aus dem 18. Jahrhundert weiterleitet und teilweise neu besetzt. Was hier<br />

als Bipolarität erscheint, manifestiert sich meist als vermeintliche Widersprüchlichkeit in<br />

<strong>einer</strong> kulturellen Co-Existenz des Gegenwärtigen.<br />

MODERNE POSTMODERNE<br />

➣ 6.1.1<br />

Wahrheit Wahrheiten<br />

Funktionalismus Ästhetizismus<br />

Homogen funktionale Stadtbereiche Heteropolis und Fragmentation<br />

Monismus, Idealismus Pluralismus<br />

Dominierendes Zentrums Post-Suburbane-Entwicklung / Multizentrisch<br />

Ganzheitliche Welt Theorie Ortsspezifische Theorien/ Diskurse / Kritische<br />

Theorie<br />

Globalität und Lokalität Glokalität<br />

Positivistischer Fortschrittsglaube in Skeptizismus, Anti-Technologie Bewegungen,<br />

Technik und Wissenschaft<br />

Neo-Luddismus<br />

Öffentlichkeit Einhegungen / Gated Communities /<br />

Homogenität der Wissens- u. Lebensformen<br />

Privatisierung des Öffentlichen<br />

Heterogenität der Wissens- u. Lebensformen<br />

Distanz Partizipation<br />

„Grand recits“ / Meta-Erzählungen<br />

Lokal-Erzählungen<br />

Großen-Erzählungen<br />

/ Dekonstruktion der<br />

Geschichte / Historie Geschichten / Historien<br />

Glaube und Mythos von <strong>einer</strong> sozialen und<br />

kulturellen Einheit<br />

Pluralistische Lebenswelten / Milieus<br />

Sozialklasse, Ethnie und Nation als klare Multiple fragmentierte Grundlagen eigener<br />

Basis von Identität<br />

Identität<br />

Ernsthaftigkeit, <strong>mit</strong>telklassen Ehrlichkeit Spiel, Herausforderung der „offiziellen“<br />

Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit<br />

Klassische Familie als zentrale<br />

Multiple Arten des Zusammnenlebens,<br />

Ordnungsmodell und Idealbild der<br />

Gesellschaft<br />

Patchwork-Familie<br />

Ehegemeinschaft Lebensgemeinschaft<br />

Zentralistische Strafsysteme Dezentrale Überwachungssysteme<br />

Glaube und Engagement in Makro-Politik Engagement in Mikro-Politik oder Sub-Politik<br />

(Parteien, Nationalstaatlichkeit, Institutionen) (NGOs, Lokalpolitik, Soziale Bewegungen,<br />

Identitäts-Politik)<br />

Dichotomie von Hoch- und Niederkultur Hybrid Kultur, Pop-Kultur<br />

Form (verbunden, geschlossenen) Antiform (abgelöst, offen)<br />

Fertige Kunstobjekte Prozess, Performanz, Happening


Stiltreue-Architektur Hybrid-Architektur/ Stilmix / Eklektizismus<br />

Buch Hypermedia<br />

Un<strong>mit</strong>telbare Präsenz Mediale Präsenz<br />

Staatlich zentrale Dienstleistungen Dezentrale Marktförmige Dienstleistungen<br />

Hypotaxe Parataxe<br />

Synthese Antithese<br />

➣ 6.1.1<br />

Logozentrismus u. doppelte Reflexion<br />

(Entwurf: eigen)<br />

(Quellen: HALL 1998: 82 ff, IHAD 1982: 267-268, MALPAS 2005: 7-8, SHORT 1996: 32 ff,<br />

Beck 1997: 28 ff.)<br />

118


6.1.2 Wagenburgen in Deutschland<br />

Die angefügte Hochzahl gibt die Zuordnung zur Übersichtskarte Deutschland (Abb. 9) für<br />

Städte und Orte <strong>mit</strong> weniger als 50.000 Einwohnern an. Die angefügte Zahl in Klammer gibt<br />

die Anzahl der Wagenburgen an, sofern diese die Anzahl eins übersteigt.<br />

Baden Württemberg Bayern Berlin<br />

Emmendingen 1<br />

Denkendorf 5<br />

Freiburg (6) Erlangen<br />

Heidelberg München (2)<br />

Karlsruhe Hof-Selmsdorf 6<br />

Lörrach Würzburg (2)<br />

Mannheim Weißenbrunn 7<br />

Mutlangen 2<br />

Nellingen 3<br />

Ubstadt-Weiher 4<br />

Berlin 6-11<br />

Brandenburg Bremen Hamburg<br />

Potsdam Bremen (4) Hamburg (9-14)<br />

Treplin 8<br />

Hessen Mecklenburg-Vorpommern Niedersachsen<br />

Bauhaus 9<br />

Boltenhagen 15 Aasendorf 19<br />

Darmstadt (4) Breechen 16<br />

Burgdorf 20<br />

Dietzenbach 10<br />

Greifswald Cuxhaven<br />

Dissen 11<br />

Kleinhundorf 17<br />

Damme 21<br />

Frankfurt a. M. (3) Rostock Göttingen<br />

Gießen (4) Selmsdorf 18<br />

Hannover (4)<br />

Hanau (2) Hildesheim<br />

Kassel (3) Lehrte-Imm. 22<br />

Limburg 12 Längerich 23<br />

Marburg Lingen 24<br />

Messel 13<br />

Lüneburg<br />

Rüsselsheim Lutter 25<br />

Wetzlar Oldenburg (2-3)<br />

Wiesbaden Osnabrück<br />

Witzenhausen 14<br />

Polle 26<br />

Sandhatten 27<br />

➣ 6.1.2


Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Sachsen<br />

Aachen Hohenöllen 34<br />

Chemnitz<br />

Bielefeld (2) Kaiserslautern Dresden<br />

Billerbeck 28<br />

Kleinich 35<br />

Leipzig (4)<br />

Düsseldorf Mainz Ottendorf 38<br />

Duisburg Rodenbach 36<br />

Pösneck 39<br />

Dortmund Trier Zittau 40<br />

Erkelenz 39<br />

Höxter 30<br />

Köln (2)<br />

Mühlheim a.d.R.<br />

Münster<br />

Oberhausen<br />

Paderborn<br />

Petershagen 31<br />

Rhede 32<br />

Windeck 33<br />

Wuppertal<br />

Wiltingen 37<br />

➣ 6.1.2<br />

Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Thüringen<br />

Derenburg 41 Brande-Hö. 44 Schnett-Masserberg 50<br />

Höwisch 42<br />

Buchholz 45<br />

Klein Gartz 43 Dobersdorf 46<br />

Magdeburg Flensburg (2)<br />

Kiel (2)<br />

Lübeck (3)<br />

Moorende 47<br />

Rade b. H. 48<br />

Uetersen 49<br />

120


6.1.3 Umfragebogen<br />

Sehr geehrte Freiburger, sehr geehrte Freiburgerinnen,<br />

➣ 6.1.3<br />

im Mittelpunkt <strong>einer</strong> wissenschaftlichen Untersuchung am Geographischen Institut der<br />

Universität Freiburg zum Thema<br />

„Wagenburgkultur in Deutschland<br />

<strong>mit</strong> <strong>einer</strong> Fallstudie der Situation<br />

in Freiburg im Breisgau“<br />

steht die öffentliche Wahrnehmung dieser städtischen Wohn- und Lebensform. Ich bedanke<br />

mich recht herzlich für Ihre 8-minütige Mitarbeit, welche Sie benötigen, um die folgenden<br />

Fragen kurz und anonym zu beantworten. Unter 101.700 Freiburger Haushalten wurden 250<br />

per Zufallsprinzip ausgewählt , um ein Meinungsbild zu erstellen.<br />

Selbstverständlich werden alle Daten streng vertraulich behandelt und nur im Rahmen dieser<br />

Untersuchung verwendet. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht.<br />

Diesem Schreiben ist ein bereits frankierter Briefumschlag beigefügt, <strong>mit</strong> welchem sie<br />

Ihre Antworten in jeden öffentlichen Briefkasten bis zum 18. November einwerfen<br />

können.<br />

Die Ergebnisse der Studie werden im Stadtarchiv Freiburg ab Mai 2007 einsehbar sein.<br />

Noch einmal möchte ich mich für Ihre Mithilfe recht herzlich bedanken.<br />

Mit freundlichen Grüssen<br />

Patrick Augenstein<br />

Für etwaige Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung: augenstein@angelstrasse.de<br />

121


Lediglich Frage eins sollte <strong>mit</strong> eigenen Worten beantwortet werden, alle weiteren Fragen werden<br />

durch ankreuzen beantwortet. Mehrfachnennungen sind möglich.<br />

1.) Was verbinden Sie <strong>mit</strong> den Worten: Wagenplatz oder Wagenburg? – eine kurze Niederschrift der<br />

spontanen Gedanken:<br />

2.)Stimmen Sie dieser Wohnform grundsätzlich zu?<br />

O Ja 30 O Nein 18 O ist mir egal 6 (absolute Zahl der Nennungen)<br />

3.) Sehen Sie hierin eine Bereicherung für die Stadt?<br />

O Ja 20 O Nein 28 O ist mir egal 5<br />

4.) Würden Sie das Entstehen eines Wagenplatzes an folgenden Orten befürworten?<br />

O Am Stadtrand 31<br />

O In Gewerbe- und Industriegebiet 16<br />

O In Wohnviertel 8<br />

O Am Waldrand 23<br />

O Im eigenen Wohnviertel 11<br />

O an keinem 14<br />

5.) Welche Aspekte verbinden Sie <strong>mit</strong> dem Leben im Wagen?<br />

O Unabhängigkeit 30<br />

O Rastlosigkeit 7<br />

O Freiheit 22<br />

O Armut 23<br />

O Naturnähe 22<br />

O kostengünstiges Leben 31<br />

O Kriminalität 6<br />

O Kulturelle Vielfalt 13<br />

O Alternative Wohnform 41<br />

O Politische Bewegung 13<br />

O Soziale Bewegung 16<br />

O Ökologische Bewegung 8<br />

O Traditionelles Wohnen 2<br />

O Armutserscheinung 15<br />

O Lagerfeuer 18<br />

O Innenausbauten 4<br />

O Hunde 38<br />

O Sinti und Roma 12<br />

O Zirkusmenschen 8<br />

O Campingmobile 8<br />

O Fahrendes Volk des Mittelalters 5<br />

➣ 6.1.3<br />

122


O LKW 15<br />

O Wohnmobile 17<br />

O Zirkuswagen 12<br />

O Bauwagen 42<br />

O Obdachlose 18<br />

O Jugendliche 12<br />

O Rechtsradikale 0<br />

O Linksradikale 11<br />

O Berufstätige 12<br />

O Akademiker 3<br />

O Studenten 15<br />

O Auszubildende 10<br />

O Menschen ohne Schulabschluss 15<br />

O Arbeitslose 28<br />

O Ein Phänomen hauptsächlich in Freiburg 7<br />

O Ein Phänomen nur im Süden Deutschland 1<br />

O Deutschlandweit 10<br />

O Europaweit 10<br />

O Weltweit 20<br />

O Jack Kerouac 2<br />

O Gustav Gräser 0<br />

O Dieter Salomon 5<br />

O Peter Lustig 8<br />

O Mutter Courage 3<br />

O LBS-Werbeclip 19<br />

O Nachhaltigkeit 4<br />

O Umweltverschmutzung 12<br />

O Selbstversorger/Autarkie 23<br />

O Alkoholismus 18<br />

O Weibliche Emanzipation 2<br />

O KTS 13<br />

O Ökologie 5<br />

O Drogen 15<br />

O Anarchisten-Treffen 16<br />

O Terrorismus 1<br />

O Pächter/Mieter 16<br />

O Grundstücksbesetzer 23<br />

O Eigentümer 2<br />

O immer Unterwegs 14<br />

6.) Ein Wagenplatz in Freiburg sollte nur für ...<br />

O Freiburger sein 8<br />

O Deutsche sein 2<br />

O für alle sein 25<br />

O keinen sein 14<br />

➣ 6.1.3<br />

123


7.) Was motiviert Menschen dazu, im Wagen zu leben?<br />

O Selbstbestimmtes Leben 36<br />

O Hauptsache anders sein 18<br />

O Wohnungsnot 28<br />

O Finanzielle Not 26<br />

O Abenteuerlust 22<br />

O Ökologische Aspekte 14<br />

O Politische Gründe 13<br />

O sonstiges: 2<br />

8.) Welche Gebäude würden Sie in ihrer un<strong>mit</strong>telbaren Nachbarschaft befürworten<br />

O Schwerbehindertenheim 37<br />

O Asylbewerberheim 18<br />

O Wagenplatz 15<br />

O Gewerbefläche 6<br />

O Kindergarten 40<br />

O keines 1<br />

9.) Wodurch erfuhren Sie am meisten vom Wagenburgleben?<br />

O durch die Badische Zeitung 33<br />

O durch das Fernsehen 2<br />

O durch überregionale Zeitungen 3<br />

O durch ein Buch 0<br />

O durch das Internet 2<br />

O durch Kontakt zu den Bewohnern 4<br />

O durch Freunde und Bekannte 19<br />

O sonstiges: 8<br />

10.) Wie würden Sie sich über die Wagenburgkultur informieren?<br />

O Fußgängerzoneninfostand 22<br />

O Internet 10<br />

O Buchladen 0<br />

O Öffentliche Bücherei 1<br />

O Stadtarchiv 2<br />

O Fernseher 3<br />

O Tageszeitung 25<br />

O Freunde/Bekannte 20<br />

O gar nicht 8<br />

11.) Könnten Sie sich vorstellen, einmal auf Zeit diese Wohnform selbst auszuprobieren?<br />

O Ja 19 O Nein 34 O weiß nicht 0<br />

12.) Sollte die Stadt Freiburg die Wagenburgkultur gezielt in ihr Image-Konzept aufnehmen?<br />

O Ja 13 O Nein 29 O weiß nicht 11<br />

13.) Könnte Sie sich vorstellen, Wagenburgen in eine Stadtführung zu integrieren?<br />

O Ja 17 O Nein 30 O weiß nicht 7<br />

➣ 6.1.3<br />

124


14.) Wären Sie daran interessiert zu erfahren wie das Leben in einem Wagen aussieht und würden<br />

einen Tag der offenen Tür wahrnehmen?<br />

O Ja 20 O Nein 28 O weiß nicht 6<br />

15.) Welche Wagenplätze in der Stadt kennen Sie?<br />

O Eselswinkel 28<br />

O Schattenparker-Platz 16<br />

O Alte Ölmühle 3<br />

O In der Vauban 27<br />

O Am Rieselfeld / Biohum 22<br />

O Im Stühlinger 2<br />

O sonstige: 0<br />

O keinen 7<br />

16.) Würden Sie in <strong>einer</strong> Gemeinderatssitzung für den Erhalt dieser Wohnform stimmen?<br />

O Ja 33 O Nein 18<br />

17.) Würden Sie in <strong>einer</strong> Gemeinderatssitzung für das Bereitstellen entgeltlicher Flächen stimmen?<br />

O Ja 31 O Nein 19<br />

18.) Sollte das Wagenleben genau wie jede andere Form des Wohnens behandelt werden?<br />

O Ja 32 O Nein 19<br />

19.) Haben Sie noch einen Kommentar zu diesem Thema? Hier wäre noch Platz:<br />

Abschließend noch ein paar anonyme Fragen zu Ihrer Person und Ihrer Haushaltsform (Angaben freiwillig)<br />

Familienstand Haushaltsform<br />

O <strong>mit</strong> d. Eltern 11 O Heim<br />

Geschlecht Alter Berufliche<br />

Tätigkeit<br />

18 ledig O <strong>mit</strong> d. Partner 11 O all<strong>einer</strong>ziehend 3 O Männlich<br />

11 verheiratet O Familie 12 O alleinwohnend14<br />

22<br />

2 geschieden O WG 12 O Sonstiges: O Weiblich<br />

O Altenheim<br />

30<br />

Ungefähre<br />

Wohnungsgröße<br />

Stimmten sie für<br />

den Erhalt der<br />

städtischen<br />

Wohnungen am<br />

12.11.?<br />

qm O Ja 43<br />

O Nein 13<br />

Besitzen sie ein<br />

Wohnwagen oder<br />

Wohnmobil?<br />

7 Ja<br />

45 Nein<br />

Wenn am<br />

Sonntag Wahlen<br />

wären, dann ...<br />

In welchem<br />

Stadtteil in<br />

Freiburg leben<br />

sie?<br />

Herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen. Jetzt nur noch die Seiten in den Briefumschlag und<br />

ab in einen öffentlichen Briefkasten da<strong>mit</strong>.<br />

➣ 6.1.3<br />

125


6.1.4 Meinungsspektrum<br />

Positive Zuschreibungen<br />

➣ 6.1.4<br />

- Schutz, Freiheit, Leben (Student, 27)<br />

- Anhäufung von Wagen <strong>mit</strong> Leuten, die diese Lebensform frei gewählt haben<br />

(Musiker, 51)<br />

- Menschen, die bewusst dagegen sind, in festen Unterkünften zu leben, sich für die<br />

individuelle Freiheit entschieden haben, die aber auch einen Platz in der Gesellschaft<br />

haben sollen (Geschäftsführer, 49)<br />

- Wagenburgler sollen sich frei und wohl fühlen, Plätze nutzen und fördern, aber auch<br />

kompromissbereit sein (k.A.)<br />

- Camping, Mobilität, Freiheit, Viele Freunde, Antifa, Abenteuer, keine Langeweile<br />

(Redakteur, 50)<br />

- Alternatives Leben und Wohnen, Freiheit und Natur (Student, 22)<br />

- Schon immer mache ich Campingurlaub. Es gibt Millionen von Deutschen, die diese<br />

Urlaubsform z.T. über Monate praktizieren. Gleichzeitig schimpfen viele über die<br />

Lebensform, die sie Jahr für Jahr selbst wochen- oder monatelang wählen. (Arbeiter,<br />

48)<br />

- Alternatives Wohnen in der heutigen Zeit für Leute, die auf jeglichen Luxus<br />

verzichten, nur nicht auf die Freiheit, sich selbst zu verwirklichen. (Beamter, 53)<br />

- Eine unkonventionelle Wohnform, auf die jeder ein Recht haben sollte. (Geologin, 31)<br />

- Bescheidene Lebensweise, <strong>mit</strong> einfachsten Mittel es sich wohnlich machen.<br />

Dauercampen. Es sollte ein <strong>mit</strong>einander und nebeneinander sein, <strong>mit</strong> gegenseitigem<br />

Respekt. (Verkäuferin, 39)<br />

- Alternative Lebensform, Individualisten, viel Zeit im Freien bei Wind und Wetter.<br />

Wagenburgen werden oft ohne ihre ausdrückliche Absicht zum Politikum, wenn die<br />

Städte sie vertreiben wollen. Passen nicht in die kapitalistische Stadtplanung. (k.A.,<br />

30)<br />

- Relativ autarke Lebensform. Gemeinschaft, in der Alternatives offen stattfindet.<br />

(Ärztin, 56)<br />

Negative Zuschreibungen<br />

- Versuch des Rückzugs aus dem allgemeinen bürgerlichen Leben <strong>mit</strong> der Hoffnung auf<br />

grenzenlose Freiheit, Selbstverwirklichung, entweder alleine oder in der Gruppe.<br />

Scheu, Verantwortung zu übernehmen. (Rentner, 65)<br />

- 1. Wagenplätze abschaffen 2. Hundesteuer für die Penner einführen<br />

3. Hundefuttergeld streichen! (Rentner, 73)<br />

- Hunde, Punker, Anarchisten, Diesel- und Öl-Verschmutzung (k.A.)<br />

- Viele Hunde, Schmutz, leben von unseren Steuergeldern, wollen sich nicht an die<br />

Gesellschaft anpassen. (k.A.)<br />

- Niederlassung anarchistischer Schmarotzer, die die Gesellschaft ablehnen aber<br />

trotzdem von ihr leben wollen und fremdes Eigentum widerrechtlich und egoistisch<br />

benutzen. Es ist mir unverständlich, wie man die Gesellschaft ablehnen kann und<br />

gleichzeitig von ihr leben will. Es wäre konsequent zu gehen und für sich selbst zu<br />

sorgen und nicht zu Lasten anderer. (Verwalter von Liegenschaften, 47)<br />

- Sollte man nicht dulden. Wie die Zigeuner. (Rentnerin, 60)


➣ 6.1.4<br />

- Unhygienisch, schmutzig, keine Anpassung an Gesellschaft, liegt Staat auf der<br />

Tasche. Ich muß: Grundsteuer bezahlen, Miete, Wasser, Abwasser, Hundesteuer. Wer<br />

bezahlt den Dreck, der hinterlassen wird? (k.A.)<br />

- Ich finde schon für alle Leute in Wohnung wohnen. (Hausfrau, 35)<br />

- Aussteiger aus dem normalen Zivilleben, <strong>mit</strong> Nachdruck anders sein wollen bis hin<br />

zum Fanatismus. (k.A.)<br />

- Dreck, Gewalt, Drogen, Auflehnung, Anarchisten, Asoziale, Armut, Arbeitslose,<br />

fordern Lebensraum den sie nicht bezahlen. Ich bin <strong>mit</strong> dem Verhalten der<br />

Wagenburgler nicht einverstanden und so<strong>mit</strong> gegen diese Wohnkultur. Wenn Wb sich<br />

anständig und sozial verhalten würden, hätte ich k<strong>einer</strong>lei Probleme <strong>mit</strong> ihnen.<br />

(Schüler, 16)<br />

- Asoziales Volk. (k.A., 32)<br />

- Gesellschaftsaussteiger, Flöhe, Platzmangel (Student, 26)<br />

- Sollte man in der heutigen Zeit nicht dulden (Rentnerin, 70)<br />

- Außenseiter, Arbeitslose, Wohnungslose. Bald jedoch kann dieser Zustand zunehmen<br />

durch hohe Mieten und Verarmung, da alles zu teuer wurde. Die Mittelschicht stirbt in<br />

Deutschland aus, die Armut nimmt zu. (k.A.)<br />

- Wohnen bzw. Leben auf Kosten von anderen. (k.A.)<br />

- Jemand der sich einigelt und <strong>mit</strong> s<strong>einer</strong> Umgebung nichts zu tun haben will.<br />

Pubertärer Freiheitsdrang, hygienische Bedenken, Selbst-Ghettoisierung,<br />

Verweigerung der Mitgestaltung des großen Gemeinwesens. (Akademiker, + 40)<br />

- Lärm, Rauch, Chaos (Krankenschwester, 60)<br />

- Es handelt sich um Zeitgenossen, die ohne Rücksicht auf ihre Umwelt ihr Leben leben<br />

wollen und sich der Gesellschaft gegenüber nicht verpflichtet fühlen. (k.A.)<br />

- Hunde, Ausgeliehene Sachen net wieder zurückbringen - “Wer Deutschland und<br />

Hunde hasst, kann kein schlechter Mensch sein” (k.A., 26)<br />

Neutral / Hybrid<br />

- Freiheitsgefühl, Kalt im Winter, Keine Dusche (Student, 25)<br />

- Fahrendes Volk, Autonomie, Selbstbestimmtes Wohnen, Ausleben von Eigenarten,<br />

Ausstieg aus der Gesellschaft. (Beamter, 56 und Angestellte, 55)<br />

- Wohnwagen, bisschen Dreckig, provisorisch, Rasta, alternative Lebenskultur<br />

(erzwungen). (Student, 23)<br />

- Leider weiß ich nicht viel darüber. Eigentlich befürworte ich keine DAGEGEN-<br />

Einstellung, aber nur Gleichförmigkeit und Unifor<strong>mit</strong>ät ist für eine Gesellschaft<br />

natürlich auch tödlich ... ! (k.A.)<br />

- Da enttäuscht wieder D. Salomon! Nie mehr Grün! Sind doch schwarz! (k.A.)<br />

- Freiheit – Unabhängigkeit – Protest – Wohnungsnot. Der Leistungsdruck in unserer<br />

Gesellschaft beginnt schon im Kindergarten, Grundschule. Hier nicht <strong>mit</strong>halten zu<br />

können oder wollen kann schnell gehen. Eine alternative Lebensform ist konsequente<br />

logische Folgerung. (Sozialarbeiter, 48)<br />

- Hier wohnen zum Teil Menschen, die keine Wohnung haben, aber auch solche, die<br />

dieses„alternative“ Wohnen gut finden. (Rentnerin, 73)<br />

- Alternative Lebensform. Habe mich bisher noch nicht eingehend <strong>mit</strong> diesem Thema<br />

befasst und eher beiläufig wahrgenommen. (k.A.)<br />

- Kenne ich einige Leute - Alternative Lebensform - könnte ich nicht, wäre mir zu eng -<br />

finde ich mutig. Ich finde es diskriminierend, wie die Wagenburgler oder die Punks<br />

127


➣ 6.1.4<br />

die ja dort auch sind, behandelt werden. Die Art der Polizei grenzt an Rassismus, nur<br />

weil sie anders sind? Menschenrecht? (Arzthelferin, 37)<br />

- Alternativ, Hunde, Müll, Lagerfeuer, Traum von Freiheit (Einzelhändler, 53)<br />

- Hunde, Punker, Anarchisten, Diesel- und Öl-Verschmutzung (k.A.)<br />

- Alternative Lebensform (Psychotherapeutin, 50)<br />

- Ich habe grundsätzlich kein Problem <strong>mit</strong> dieser Wohnform, bin aber nicht da<strong>mit</strong><br />

einverstanden, dass die Wagenburgler einen kostenfreien Platz wollen. Alle anderen<br />

bezahlen ihre Wohnung/Bauplatz auch. (Referendarin, 25)<br />

- Bauwagensiedlung (Arbeitsloser, 28)<br />

- Protest, Unverbesserliche, Wohnsitzlose (k.A., 38)<br />

- Wilder Westen, Camping (Student, 19)<br />

- Bisher war die Stadtverwaltung verständnislos. Ich hoffe auf Duldsamkeit der<br />

Bevölkerung. (Rentnerin, k.A)<br />

- Ansammlung alter Baustellenwagen, worin sich Menschen aus sozialen<br />

„Randbereichen“ (teure) Mieten ersparen. „Burg“ schafft für sie ein soziales Umfeld<br />

von Geborgenheit. Zu viel öffentliche Aufmerksamkeit hofiert diese „ach so<br />

romantische“ Lebensform und zementiert die soziale Verweigerung dieser Menschen.<br />

Schlechtes Beispiel für labile Menschen. Die Extravaganz darf die normalen Bürger<br />

nicht belasten. (Rentnerin, 65)<br />

- Chaos, Lagerfeuer, Angstgefühle, wenn man nachts durchs Wagenburggelände läuft,<br />

herumstreunende Hunde, in den Wagenburgen, vermute ich auch gemütliches Leben<br />

und gute Gemeinschaft. Ein Tag der offenen Tür wäre interessant. (Kaufm.<br />

Angestellter, 43)<br />

128


6.1.5 Medienanalyseraster<br />

Medienanalyse<br />

Zeitung:<br />

Erscheinungsdatum:<br />

Länge des Artikels: Kurz Mittel Lang<br />

Rubrik: Politik - Gesellschaft - Feuilleton - Lokal - Sonstiges<br />

Schreibanlass:<br />

Romantisierung:<br />

Kriminalisierung:<br />

Politisierung:<br />

Juristisierung:<br />

Kulturalisierung:<br />

Konfliktlinien: WB Pol. WB Bür. WB Stadt WB (ohne) Sonstiges<br />

Räumlicher Bezugsrahmen: Lok. Nat. Euro. Glob.<br />

Zeitlicher Bezugsrahmen: Gegenw. Nahe Verg. Entft. Verg. Historisch<br />

Ökologie: Gefährdung Nachhaltigkeit<br />

Stimmberechtigte:<br />

Bildanalyse: Anzahl der Bilder<br />

Bildgröße<br />

Bildunterschrift<br />

Distanz<br />

Nähe<br />

Motiv<br />

Auffälligkeit<br />

➣ 6.1.5<br />

129


6.1.6 Biohum-Wagenburgagglomeration (1998)<br />

Abb.: Wagenburggruppierungen vor der Rieselfeldbebauung und dem Folgeplatz<br />

➣ 6.1.6<br />

130


6.1.7 Transkriptionslegende (nach BOHNSACK: 1999)<br />

. stark sinkende Intonation<br />

; schwach sinkende Intonation<br />

, schwach steigende Intonation<br />

? steigende Intonation/Fragesatz<br />

okay betont<br />

kursiv sehr leise gesprochen<br />

(3) Dauer <strong>einer</strong> Sprechpause in Sekunden<br />

(lachen) Lachen<br />

(...) Kürzung des Gesprochenen<br />

[geht] Zusatzinformation<br />

6.2 Wagenburginterview<br />

6.2.1 Biohum: Wilhelm, Michael und Ulrich<br />

➣ 6.1.7 u. 6.2.1<br />

Wilhelm (gelernter KFZ Mechaniker, z.Zt. 1 Euro Beschäftigungsverhältnis in <strong>einer</strong><br />

Schr<strong>einer</strong>ei), Uli (Chefredakteur der Obdachlosenzeitung Freiebürger), Michael<br />

(Landschaftsgärtner)<br />

F: Wieso entstanden auf dem ehemaligen Biohumgelände die Wagenburgen? Wieso gerade<br />

an dieser Stelle?<br />

W: Wieso gerade da? An dieser Stelle, da sind die Leute eben von der Haid hinten geräumt<br />

worden, also die mussten da weg. Und die haben sich das dann da ausgesucht, und <strong>mit</strong><br />

Genehmigung, also, <strong>mit</strong> unter der Hand von den Bullen durften die dann dort sein. Und ich<br />

bin hier her gekommen. Sagen wir mal so aus der Not ne Tugend gemacht, ich war ja dann<br />

obdachlos. Ein Kollege hat mich eingeladen eine Zeitlang auf seinen Wagen aufzupassen und<br />

dann habe ich nach und nach ein paar Leute <strong>mit</strong>gebracht. Wir waren zuvor ja in Zelten. Mein<br />

erster Wagen war ein R4, das weiß ich noch, ein rosaroter R4, (lachen), umgebauter. Ja. Das<br />

war ein geiler Wagen. Ja und dann nach und nach sind die Leute dann halt auch gekommen.<br />

Da haben sich die Obdachlosen dann halt gesagt, wenn ich die Möglichkeit hab in nem<br />

Wagen zu Wohnen, es werden ja manchmal auch Wohnwägen und so verschenkt, und so ist<br />

das hier auf dem Platz auf jeden Fall entstanden. Würde ich sagen. Dass viele Obdachlose<br />

gesagt haben, ne, gehen wir in Wagen. Besser.<br />

M: Ist immer besser als auf der Straße zu leben, hast ne Dach überm Kop.<br />

F: Was ist <strong>mit</strong> der Alternative, die Städtischen Wohneinrichtungen , die es gibt oder gab?<br />

W: Da gabs damals, wir hatten es vorhin schon gehabt, da gabs gar nichts. Wo sie uns dann<br />

zweiundneunzig räumen wollten, da han wir. K<strong>einer</strong> wo hier gewohnt hat, ein Ersatzangebot<br />

gekriegt. Weder ne Wohnung oder sonst was. Da hieß es, ihr könnt ja, dann ins<br />

Obdachlosenheim gehen.<br />

F: In der Schwarzwaldstraße?<br />

131


➣ 6.2.1<br />

W: Ne, das war damals noch in der Klarastraße, da wo jetzt das Ferdinand-Weiß-Haus,<br />

Wartburg ist, da hinten. Klara 100. Obdachlosenheim einfach. Das ist heute nun in der<br />

Hermann-Mitsch -Strasse. Da hätten wir dann hin können. Das war die Alternative. Und da<br />

haben wir dann halt gesagt, ne Quatsch, wir haben ja unsere Häuser, wir haben ja unser Dach.<br />

Praktisch unsere Wohnungen. (2) Da baust du dir was auf, so ein Wohnwagen so einen alten,<br />

so einen ausramponierten, den musst du dann halt auch ausbauen, und ne Ofen rein und<br />

trallala. Nö. (2) Und dann haben wir uns halt gewehrt dagegen, dass sie uns das bisschen, was<br />

wir jetzt haben, auch noch wegnehmen wollen. Sprich, die Freiheit auch die du dann hast. Als<br />

Wagenburgbewohner hat man schon viel Freiheiten. (2) Du machst die Tür auf und du bist<br />

draußen.<br />

U: Wenn du so willst, haben wir zweimal die Woche in der Innenstadt, meist am<br />

Rathausplatz, Unterschriften gesammelt, Infostand aufgebaut, das haben wir anderthalb<br />

Monate lang gemacht. Bis dann im Herbst, da kam dieser Gemeinderatsentschluss, dass<br />

erstmal die Räumung gestoppt ist und dass wir erst mal geduldet sind und nach nem<br />

Ersatzgelände gesucht wird.<br />

F: Warum sind diese städtischen Wohnheime keine Alternative? Worin unterscheidet sich<br />

das?<br />

W: Erstens, also ich kann jetzt nur von mir reden, aber wahrscheinlich von vielen anderen<br />

auch, die wo Hunde haben, Hundebesitzer. Ein Hund ist nun mal der beste Kumpel, wenn<br />

man auf der Straße ist oder auch so; und den darf du da erstmal nicht <strong>mit</strong>nehmen. Das ist ein<br />

Grund. Zweitens bis du da eingepfechert in Budenen <strong>mit</strong> zehn, zwanzig Leuten zusammen,<br />

das geht nicht. Es ist nicht sauber. Es ist (gelammer). Der eine furzt, der andere scheißt sich<br />

ein, der nächste pisst sich ein, der andere kotzt sich ein. Es ist so. Es sind ein Haufen<br />

Alkoholiker darunter. Und dann wirst du konfrontiert jeden Tag <strong>mit</strong> Leuten und du sackst im<br />

Endeffekt jeden Tag immer weiter ab, weil du es ganz anders einfach nicht ertragen kannst,<br />

du musst saufen, um das ganze Gedönse zu ertragen. Und die Freiheit hast du halt hier (2); du<br />

kannst trinken wenn du Lust hast, und hast du keine Lust, dann gehst du in deinen Wagen<br />

oder gehst auch raus und trinkst nichts. Und wenn es Streit gibt. Zoff gibt es überall, klar,<br />

aber, du bist dann nicht so gezwungen und du musst nachts um 10 net daheim sein, also<br />

praktisch im Wohnheim, jetzt musst du drin sein und wenn du später kommst, dann stehst du<br />

vor verschlossenen Toren und kommst nicht mehr rein. Also wenn ich hier weggehe, dann<br />

geh ich morgens um acht und komm was weiß ich was heim.<br />

F: Und morgens im Wohnheim muss man wieder gehen?<br />

W: Ja, morgens musst du wieder raus.<br />

M: Klara, war damals sechs Uhr morgens.<br />

U: Gut , heute sind sie ein wenig humaner; heute ist es so acht oder neun. Jetzt gibt es da auch<br />

dann die nassen Unterkünfte. Wenn du da jetzt ein wenig weiter bist, dann lebst du im<br />

Zweimannzimmer. Bitteschön. Hast du da Bock auf Dauer zu zweit in einem Zimmer zu<br />

leben?<br />

W: Und du kannst dir net aussuchen <strong>mit</strong> wem. Vielleicht hast du das Glück und bist alleine<br />

auf nem Zimmer, sie sind aber eigentlich auf zwei Leute ausgerichtet. Wenn du dann viel<br />

132


➣ 6.2.1<br />

Pech hast, wenn also richtig fett Saison ist, ich nenn des jetzt mal so, wenn da Durchwanderer<br />

kommen, was es ja immer noch gibt. Und die wollen dann halt da auch mal abschlafen, und<br />

sich duschen und Wäsche waschen und dann wird aus einem Einmannzimmer plötzlich ein<br />

Zwei- oder Dreimannzimmer. Dann wir halt noch ne Bett hinzugestellt oder ne Matratze auf<br />

den Boden gschmisse. Und du kennst die Leut net und hast dann da dein kleinen Spind, da<br />

hast du deine persönliche Habe drin, also deine Privatsphäre wird ja dadurch auch<br />

unterbrochen. Also du bist nie allein für dich privat. Und jeder Mensch hat das Recht auf<br />

Privatsphäre, und die wird dir dann in dem Moment, sage ich jetzt einfach einmal,<br />

weggenommen.<br />

M: Du wirst entmündigt.<br />

W: Du kannst da rein zum Pennen und mehr nicht.<br />

M: Andere Rechte hast du nicht.<br />

F: Eine Parzelle hier ist für eine Person ausgerichtet.<br />

W: Eine Parzelle hier ist für eine Person ausgerichtet.<br />

F: Dürfte man zu zweit oder dritt drauf?<br />

W: Dürftest du auch. Du darfst aber nur 30 Prozent der Stellfläche nutzen für Wagen.<br />

F: Der Rest muss Grünfläche bleiben?<br />

W: Ja, so ungefähr.<br />

F: Was ist aus Beton hier auf dem Platz?<br />

W: Das Fundament von da (Sanitärcontainer) und von hier der Hütte und da wo sie die<br />

Stromkästen hingemacht haben. (Rahmenfundament)<br />

F: Wie war die Gruppenzusammensetzung auf dem alten Biohum-Platz?<br />

W: Ach, du da gab es einen Teil <strong>mit</strong> Punks, dann gabs die in der Mitten, das waren die Säufer,<br />

dann gabs die Heiligenecke und dann gabs da die ganz andere Ecke. Über die redet man nicht.<br />

F: Unter Säufer und Punks kann ich mir was vorstellen, aber was sind die Heiligen?<br />

W: Das sind halt so Christen, Gläubige, Bibeltreue, so ganz komische Leute, sag ich jetzt mal,<br />

ganz vorsichtig ausgedrückt.<br />

F: Also haben sich da immer so Gruppen heraus gebildet.<br />

W: Ja, es gab so richtige Gruppenbildung, man hat sich zwar untereinander einigermaßen<br />

verständigt. Ging. Aber, sagen wir mal so, wenn es darauf ankam, war der ganze Platz<br />

gestanden.<br />

F: Politische Gruppierungen, gabs das auch?<br />

133


➣ 6.2.1<br />

W: Unter Umständen auch. Es bleibt ja auch nicht aus. Die einen haben die Ansichten, die<br />

anderen haben selle. Es gab dann aber ne Gruppe, die hatten ganz sonderbare Ansichten<br />

gehabt, die waren ein bisschen auf ner rechten Schiene , will ich jetzt mal so sagen. Die, über<br />

die man halt nicht so redet. Aber es gab sie schon, sie hatten da schon ein paar Einschläge<br />

dazu gehabt. (2) Und dann gabs eben da die Punks, und die Hippies gab es ganz am Anfang<br />

noch.<br />

F: Kann man sagen, dass diese Gruppierung so schon auf dem alten Platz entstanden ist?<br />

W: Ich sag mal so, auf dem alten Platz gabs Gruppierung, aber hier gibt es jetzt eigentlich<br />

keine mehr. Also hier ist es ein geschlossener Haufen. Und auf dem alten Platz, da gab es die<br />

da hinten, die da vorn und die in der <strong>mit</strong>ten, hatten wir gesagt. Ja, war so. Und die ganz<br />

andern, die Heiligen (lachen). So wars.<br />

F: Ist die Gruppe dann erst hier entstanden?<br />

W:Wir wollten im Endeffekt einen Platz für uns. Am liebsten hätten wir natürlich den Platz<br />

behalten wollen. Wo es dann aber von der Stadt hieß, das geht nicht, weil die Anwohner, wo<br />

da hin sollen, die könnten sich ja an uns gestoßen fühlen. (3) Was aber his jetzt heraus stellt,<br />

die Rieselfeldbewohner, die haben <strong>mit</strong> uns kein Problem und wir <strong>mit</strong> denen auch nicht. Im<br />

Gegenteil. Viele wissen gar nicht, dass es uns gibt. Würden sie vielleicht wissen, wenn wir<br />

noch da wären. (leise)<br />

F: Gab es Konflikte, als der Platz noch 120 Meter weiter vorn war?<br />

W: Es gab vielleicht mal den einen oder anderen Jogger der da durch ist, weil manche Leut<br />

ihre Hunde da frei haben rennen gehabt. Und ne Jogger, das ist für jeden Hund Beute.<br />

M: (lachen)<br />

W: Ja, (lachen), und da wurde dann schon mal der eine oder andere vom Fahrrad geholt oder<br />

mal in die Waden gezwickt, aber nichts ernsthafteres.<br />

M: Das war dann auch unglücklich, die Jogger, die sind ja dann auch immer quer über<br />

unseren Platz gelaufen, an den Wägen vorbei, und das haben sich die Hunde eben halt nicht<br />

alle gefallen lassen.<br />

F: Also, da war schon Konfliktpotenzial da, wegen den Hunden.<br />

W: Wegen den Hunden gab es schon mal Reibereien.<br />

M: Der Weg da war völlig verwachen, es war praktisch nur ein kl<strong>einer</strong> schmaler Pfad. Und<br />

dann wo die <strong>mit</strong> der Baustelle angefangen haben, haben sie den Weg verbreitert und dann fing<br />

das Problem eigentlich erst an , weil der Weg dann halt einfach breiter war, und zwar offen.<br />

Vorher haben alle gedacht, das ist irgendwie so ein verwilderter Weg, oder weiß Gott was.<br />

Und dann kam es dann schon einmal vor, dass da ein Jogger sich verirrt. Wir haben dann ab<br />

und zu auch mal ein paar Schilder gemacht und die dann an die Schranke und an Bäume<br />

gemacht. Und haben dann darauf geschrieben: Achtung freilaufende Hunde. Bloß hat die der<br />

Förster immer wieder abgemacht, weil er gemeint hat, wir dürfen die nicht anbringen, das ist<br />

illegal, das ist für uns verboten. Obwohl es völliger Schwachsinn ist, wir wollten einfach nur,<br />

dass die Leute Bescheid wissen. Die wurden uns einfach immer wieder weg gemacht.<br />

134


F: Was stört an <strong>einer</strong> Satzung?<br />

➣ 6.2.1<br />

M: 70 Cent Besucherpauschale. Dass es zum Beispiel nur ein Nutzungsvertrag ist und keine<br />

Pacht.<br />

U: Bis vor nem guten Jahr, hat es am meisten gestört, dass es eine Art Zuzugsstopp gab. Das<br />

heißt, laut Vertrag durfte ja k<strong>einer</strong> -, sagen mir mal wie im Todesfall oder so weiter, durfte<br />

k<strong>einer</strong> dazu ziehen. Das heißt, im Endeffekt hatte man den Platz aussterben lassen wollen.<br />

Das war der Punkt, der eigentlich an meisten gestört hat, dass die Parzelle nicht neu besetzt<br />

werden darf. Das haben wir aber dann geändert. Wir haben es halt einfach durchgezogen.<br />

W: Haben wir aber fast drei Jahre dafür gebraucht.<br />

U: Und erst beim dritten Mal im Gemeinderat ist die Satzung dann geändert worden.<br />

F: Wenn jemand neu dazu kommt, wird das dann einstimmig beschlossen?<br />

U: Das wird einstimmig beschlossen. Der muss sich erst mal hier vorstellen. Klar, man muss<br />

die Menschen ja erst mal kennen lernen, und dann machen wir hier ne Sitzung, dann sitzt der<br />

ganze Haufen zusammen. Und dann wird halt abgestimmt, kann er jetzt her oder nicht her.<br />

Wenn <strong>einer</strong> jetzt sagt ,ne, <strong>mit</strong> dem kann ich net,<br />

M: Dann gibt’s ne Probezeit, man guckt obs trotzdem funktioniert.<br />

F: Welche Änderungen könnte man sich wünschen?<br />

M: Wie gesagt, dass es nur ein Nutzungsvertrag und kein Pachtvertrag. Bei nem<br />

Nutzungsvertrag sind wir halt eben schneller wegräumbar, als wenn wir ne Pachtvertrag<br />

hätten. Und der Vertrag ist nur bis 2011 festgesetzt. Wir müssen also irgendwann wieder<br />

dafür anfangen, dafür zu sorgen , dass unser Vertrag verlängert wird. Am besten nicht gerade<br />

auf den letzten Drücker. (2) Und was uns noch nervt, das ist von den Presse<strong>mit</strong>teilungen her,<br />

wir als schwer Alkohol- , Drogenabhängige.<br />

U: Drogen- und alkoholkranke Menschen, die von Sozialarbeitern betreut werden.<br />

W: Aber das steht ja nicht in der Satzung (lachen). (2) Das ist einfach die Presse von der<br />

Stadt. Die hat das festgelegt.<br />

U: Wir haben das letztes Jahr in der Badischen (Zeitung) einmal klargestellt. Und die<br />

Redakteurin von der Badischen wollte ja unseren zuständigen Sozialarbeiter sprechen.<br />

M: Durfte sie nicht.<br />

W: Ja , wir haben ja keinen.<br />

U: Und, sie hat keine Genehmigung vom Presseamt bekommen.<br />

W: Da hat zwar <strong>einer</strong> Stellung genommen. Aber sie durfte es nicht drucken, weil das keine<br />

Presse<strong>mit</strong>teilung von der Stadt ist, daran müssen sich eben Zeitungsleute halten. Du kennst<br />

dich aus Herr Redakteur.<br />

135


U: Ja.<br />

W: Is so, vollkommen klar.<br />

W: Und was die dann anderweitig er<strong>mit</strong>teln, das dürfen sie dann gar nicht drucken, weil die<br />

Stadt dann sagt, das ist unsere Presse Mitteilung, also wenn, dann das.<br />

F: Wie sieht dann die Wahrheit aus <strong>mit</strong> Sozialarbeiter und Drogen ?<br />

➣ 6.2.1<br />

W: Sozialarbeiter kommt sporadisch hier her. Ich würde mal sagen, wenn mal wirklich was<br />

ist. Weil man braucht ihn eigentlich nicht. Wir sind eigenständig, wir sind selbständig. Wir<br />

machen so gut wie alles, was wir machen, was wir wollen, was wir brauchen, aus<br />

Eigeninitiative. (3)<br />

F: Und das andere Thema?<br />

W: Ich bin mir sicher dass der Bürgermeister mehr Alkohol trinkt als wir. Daheim halt, beim<br />

Ausspannen <strong>mit</strong> ner Zigarre, (2) bei nem gutem Buch.<br />

F, M, W: (lachen)<br />

U: Ach weißt du, es ist ein so leidiges Thema, das kommt von zweiundneuzig, wo das Ganze<br />

auch so zugetroffen hat, also wo es wesentlich andere Probleme gab. Da gab es noch viel Junk<br />

auf dem Platz. Das haben wir aber alles selber auch klar gemacht, es kommt uns kein Junk<br />

mehr auf den Platz. Das musst du verstehen, das kommt von damals. Es nervt einfach. Stellt<br />

dir einfach mal vor, es will jemand ne Ausbildugn anfangen, wie wir es auch gehabt haben.<br />

So, jetzt sagt sich der Personalchef, ah das ist doch die Wagenburg, ich hab da in der<br />

Badischen (Zeitung) was gelesen, Opfinger 190, Alkohol und Drogenkranke, ja bitteschön,<br />

welche Chance hat denn der, sich zu bewerben.<br />

M: Von wie vielen Arbeitstelle wurde ich schon abgewiesen.<br />

U: Du wirst nach der Adresse gefragt. Dann sagst du Opfinger 190. Dann ist mir schon ein<br />

paar Mal passiert. Ach, das ist doch da, wo die Wagenburg ist. Dann sag ich natürlich, da ich<br />

ja da leb, denn da wohn ich ja auch im Bauwagen. Dann wird erst mal freundlich durch die<br />

Blume, ja, wie ist des denn da so? und was macht ihr im Winter? Sage ich, ja, ich hab ne<br />

Holzofen <strong>mit</strong> dem heiz ich halt und kochen tu ich <strong>mit</strong> Gas, wie jeder andere auch. Oder der<br />

eine kocht halt elektrisch, wenn man sich es leisten kann, aber ich hab halt lieber Gas. Das ist<br />

halt so durch die Blume. Die machen sich dann ihr Bild. Sie richten sich natürlich auch immer<br />

nach den Medien; (2) und dementsprechend wirst du dann halt auch behandelt. Du gehst dann<br />

und es wird dir freundlich gesagt, sie bekommen dann eine schriftliche Mitteilung (lachen).<br />

F: Also, könnte man sagen, da ist Diskriminierung vorhanden?<br />

U: Ist vorhanden.<br />

M: Ich hab zuerst einmal gar nicht erwähnt, dass ich im Wagen wohne, erst wo mich die<br />

Leute länger kannten und so, und auch zufrieden waren <strong>mit</strong> m<strong>einer</strong> Arbiet, da hab ich gesagt;<br />

ich wohn im Bauwagen. Das ist halt so wie nach dem Motto, wenn <strong>einer</strong> schwul ist, dann<br />

bekommt er keine Arbeit, aber wenn er sich bewährt hat, dann sagt man, der is halt schwul,<br />

136


➣ 6.2.1<br />

aber eigentlich is er doch ganz okay, so muss man sich das vorstellen, wirklich. Lieber also<br />

besser erst mal nichts sagen, man weiß ja nie.<br />

F: Liegt viel an der Berichterstattung in den Medien?<br />

W: Viel, viel. Es ist mir oft passiert beim Bewerben irgendwo, oh oh. Manche haben es dann<br />

wenigstens auch direkt gesagt. Tut mir leid, geht nicht. Aber die meisten gehen dann her und<br />

reden durch die Blume. ( Dann merkt man das selber im Gespräch ja auch. Dann merkt man<br />

das im Gespräch ja schon. Dann gibt es da Gerüchte. Ich weiß noch. Das war irgendwann<br />

fünfundneunzig oder so, da war das bayerische Fernsehen hier. (2) Das kam dann auch im<br />

Fernsehen, das wurde dann auch ausgestrahlt. Die haben halt gefilmt wegen Wagenburgen<br />

und so. Und da wir ich dann <strong>mit</strong> dem Tasilo, Kollege, ein alter von mir, von uns, und wir<br />

waren gerade am Grube ausheben. Und wir waren halt schon verschwunden und unsere Köpfe<br />

hat man nicht mehr gesehen. Da kam halt nur schaufelweis die Erde aus dem neuen Loch.<br />

Und dann bin ich rüber zum Einkaufen gegangen. Und dann kam uns ne Oma entgegen, so ne<br />

alte Frau halt. Und dann frägt die tatsächlich, stimmt des, dass ihr wirklich da eure Toten<br />

beerdigt, ich hab da nen Bericht im Fernsehen gesehen. Ha ja gut, wir waren halt damals noch<br />

einwenig anders druff. Dann sagte ich, ha ja klar , selbstverständlich, wo willst du denn auch<br />

hin da<strong>mit</strong>, kann sich ja heute k<strong>einer</strong> mehr leisten (lachen). Zack, hat sie die Straßenseite<br />

gewechselt. Aber was willst de denn da auch sagen, da wird berichtet, dass wir unsere<br />

Scheißhausgruben selber ausheben und die frägt, ob wir da unserer Toten rein schmeißen.<br />

(lachen)<br />

U: Oder als wir die Müllaktion hier gemacht hatten, die letzte. Da kamen dann zwei Frauen<br />

aus dem Wohngebiet hier an und unterhalten sich, da haben wir hier den ganzen Wald<br />

aufgeräumt, einen ganzen Container voll <strong>mit</strong> Schrott und allem möglichen. Und dann die<br />

zwei Frauen vorbei gelaufen, und die haben gedacht,der ganze Müll kommt von hier vom<br />

Platz. Dann die auch mal erst aufgeklärt. Dass das ganze hier vom Waldstreifen ist, da kam<br />

eine Unmenge an Müll heraus. Und die dachten, das wäre vom Platz.<br />

W: Das waren fast zwei Container voll. Ich kann mich auch noch erinnern, wie die Bullen<br />

froh waren damals als wir noch viele ,viele Punks waren, da war ich auch noch gut dabei. Wo<br />

wir dann aus der Stadt draußen waren. Und dann hier oben gewohnt haben. Denn dann war’n<br />

wir nicht mehr in der Stadt, der Schandfleck war weg für die Bullen, die hatten keine Arbeit<br />

mehr <strong>mit</strong> uns. Von wegen da wegschmeißen oder dort wegschmeißen. Die haben uns ja von<br />

<strong>einer</strong> Ecke in die andere gejagt. Und da waren wir froh, dass wir hier unsere Ruhe hatten. Du<br />

wurdest nicht gescheucht, nimmer. Du konntest in Ruhe dein Bier trinken. Man ist zwar<br />

trotzdem in die Stadt. Klar, musst du ja, wenn du irgendwie an Geld kommen willst.<br />

Schnorren, Biertrinken, Leute treffen (lachen). Aber die Bullen, die Bürgermeister und die<br />

Stadt, die waren anfangs schon froh, dass wir aus der Stadt draußen waren und dann hier<br />

gewohnt haben.<br />

F: Was meinst du <strong>mit</strong> „in der Stadt“?<br />

W: In der Stadt, Platte machen in der Stadt, oder an der Uni sitzen und hier und da saufen,<br />

was wir da ja Tag und Nacht gemacht haben, weil wir ja nicht wussten wohin.<br />

M: Das Denkmal da gehörte uns.<br />

W: War ständig unser Platz.<br />

137


M: War unser Wohnzimmer.<br />

➣ 6.2.1<br />

W: Wurde dann irgendwann, nach viel Ärger und Theater und hin und her, wurde es von den<br />

Bullen dann irgendwann einmal mehr der weniger akzeptiert. Und wo wir dann hier waren,<br />

haben die dann gemerkt, die Leute , die trinken zwar ihr Bier und schnorren Geld, was man ja<br />

braucht, aber dann gehen die auch wieder weg. Die fahren dann wieder raus auf ihren Platz.<br />

Wir waren dann aus der Stadt draußen. Zack. Und es gab auch nie Ärger großartig, ab und zu<br />

mal ein bisschen, das bleibt nicht aus.)<br />

F: Trinkt man mehr Alkohol, wenn man Platte macht in der Stadt - als in der Wagenburg?<br />

U: Ja.<br />

W: Ja, ja.<br />

U: Ja.<br />

F: Wieso?<br />

W: Wieso? Erstens du wachst morgens auf und dir ist kalt. Du gehst aus deinem Schlafsack<br />

raus und dir ist kalt und frierst. Dann trinkst du erst mal ne Schnäpsle zum warm werden, nu,<br />

was eigentlich jeder Bruttonormalverbraucher sagt, wenn mir kalt is, dann trink ich mal<br />

schnell a Schnäpsle, der wärmt mich auf. Was zwar Blödsinn ist rein von den Ärzten her, aber<br />

für den ersten Moment macht der warm. Und schon hast du deinen ersten Schnaps getrunken.<br />

Und dann triffst du Leute. Die einen haben durchgesoffen, haben Party gemacht. Dann triffst<br />

du die. Bist noch relativ nüchtern. Ah, komm, wir trinken jetzt en Bier. Weil Sprudel oder so,<br />

das ist da eher selten, denn das kostet Geld, und man wird nicht betrunken davon. Also, muss<br />

<strong>mit</strong> Geld auch haushalten, auch als Obdachloser, also kaufe ich mir doch des, was effektiver<br />

ist, also en Bier oder en Schnaps, man will ja auch besoffen sein, denn anders erträgst du die<br />

Stadt ja nicht. Du musst den Kragen voll haben, da<strong>mit</strong> du die Stadt (2), du bist ja von morgens<br />

bis abends in der Stadt, bis du dich hinlegst, bis du sagst: Jetzt ist Ende, jetzt penn ich ein.<br />

Bis zu dem Punkt bist du ja nur in der Stadt. Ständig konfrontiert <strong>mit</strong> Bullen, <strong>mit</strong> Menschen,<br />

du hast nie eine winzig kleine Privatsphäre, gar nichts. Du hast wirklich, null. Und den Frust<br />

saufst du dir runter. Erstens, des sag ich jetzt mol. Um zu vergessen. Viele nenne des so. Zum<br />

Teil zum Abschalten, zum Teil zu jetzt Arschlecken, puh, ich bin blau, alles cool , alles<br />

schön, aber zum andern auch, dass man halt auch nachts schlafen kann, weil , (3) ich hab des<br />

schon mal gemacht. Ich hab mich schon mal nüchtern unter ne Brücke gelegt und das geht<br />

garnicht. Du bist so was von wach. Erstens, es kann jeden Moment irgendwo ein Idiot auf<br />

dich lauern und dich von hinten anfallen und dir einen Baseballschläger ins Genick schlagen.<br />

Deshalb schläfst du unruhig. Dann die Geräusche, die Auots , die Straßenbahnen, dann laufen<br />

Leute vobei. Du muss ja richtg blaue sein, richtig voll sein, da<strong>mit</strong> du richtig pennen kannst.<br />

(2) Also mir persönlich ging das oft so auf Platte, dass ich eigentlich im Hinterkopf immer die<br />

Gefahr hab lauern hören, pass auf, da kann jetzt <strong>einer</strong> kommen und haut dir was ins Genick<br />

rein während du schläfst.<br />

M: Ja, auf Platte ist das nicht das erste Mal.<br />

U: Oder man zündet einem den Schlafsack an, is noch schöner<br />

138


➣ 6.2.1<br />

W: Oder solche Geschichten, was alles schon passiert ist. Und damals, als ich noch Platte<br />

gemacht hab, da gab es noch das Berbertelefon, so haben wir das genannt. Das hat ja<br />

wunderbar funktioniert.<br />

U: Ja, wir müssen jetzt mal rüber. Also ciao dann.<br />

M: Jo, bis später.<br />

F: Jo, ciao.<br />

W: Da schläfst du dann schon anders. Notgedrungen durch regelmäßigen Alkohloverbrauch,<br />

nicht vernünftig essen. Dann bis du halt gleich mal Alki. Das geht ruck zuck.<br />

F: Und außerhalb von der Stadt findet man dann Ruhe, wie auf dem alten Biohum zum<br />

Beispiel?<br />

W: Auf jeden Fall. Da gehst du hin und weißt, das ist jetzt mein Domizil. Da passiert mir<br />

nichts. Da kann man ausschlafen, man kann sich Essen machen, zum Beispiel, man kann<br />

richtig kochen, <strong>mit</strong> Topf und Teller und trallala. Wie man halt richtig kocht. Für mich ist das<br />

jetzt <strong>mit</strong>tlerweile ganz normal, ganz normal zu kochen, denn früher auf Platte ging das gar<br />

nicht. Da geht man in die Suppenküche.<br />

F: Was hätte man besser machen können an diesem Platz?<br />

W: (3) Puuh, größer hatte man ihn machen können. Ich mein jetzt nicht von den Parzellen her,<br />

das ist okay, aber vom Platz her.<br />

Als zu verbessernde Merkmale wurden von den Bewohnern bemerkt: Müllabfuhr, die <strong>mit</strong><br />

ihrem LKW auf dem Platz wenden muss, zu geringe Beachtung der brandrechtlichen<br />

Vorsichtsmaßnahmen, zu wenige Feuerlöscher, zu geringer Wasserdruck, zu geringe<br />

Allgemeinfläche,<br />

F: Was bekommt ihr vom Wohngebiet Rieselfeld so <strong>mit</strong>?<br />

W: Eigentlich gar nichts.<br />

F: Was nehmt ihr von Infrastruktur in Anspruch?<br />

W: Den Lidl, die Straßenbahn, man ist jetzt näher an der Stadt. Die Post, durch<br />

Scheckeinlösen, Apotheke, Ärzte sind hier unten.<br />

F: Hat sich da was verbessert?<br />

W: Ja, in dem Sinn schon. Man muss nicht immer ne halbe Stunde bis in die Stadt. Hat sich<br />

schon verbessert. Ich mein auch hier jetzt <strong>mit</strong> den Containern, Waschmaschine, früher musste<br />

man immer in die Wartburg gehen zum Waschen oder Duschen. Das war schon immer ne<br />

Mords-Tour.<br />

F: Geht man jetzt weniger in die Innenstadt?<br />

139


➣ 6.2.1<br />

W: Ja, ja viel weniger. Ich gehe jetzt vielleicht einmal im Monat. Mit dem Trecker fahren wir<br />

zum Einkaufen in den Real. Ist immer lustig, da sind wir dann fünf, sechs Leut und wir<br />

kommen dann <strong>mit</strong> unseren Einkaufswagen. Die Verkäufer im Real, die kennen uns alle schon,<br />

die grüßen dann. Das sind auch nette Leut. Da holt man dann des Nötigste.<br />

F: Ich schau noch mal kurz auf meine Fragenliste, was da noch so ist (5). Würde es mehr<br />

Bedarf geben an solchen Wagenplätzen?<br />

W: Auf jeden Fall. Ich hab jetzt schon einige Leute in der Stadt getroffen, <strong>mit</strong> denen ich mich<br />

unterhalten habe, aber auch im Sommer kommen die Leute hier her und gucken, ooh Mensch,<br />

Wahnsinn (3), das könnte ich mir jetzt auch noch vorstellen. Also, es gibt verdammt viel<br />

Menschen, die auch noch so was machen täten. Aber der Risikofaktor ist eben bei ner<br />

Wagenburg eben noch zu hoch, um von der Stadt einfach ausradiert zu werden. Pfut, weg.<br />

Dazu haben sie die Macht. Wenn die Stadt jetzt hier sagen würde, du, Schluss, aus <strong>mit</strong><br />

Wagenburgen. Da können wir uns auf die Ohren stellen und <strong>mit</strong> den großen Zehen wackeln,<br />

das ist dann auch interessant. Da sind wir zu klein, zu minderwertig, also ne Minderheit.<br />

F: Wenn man eine Wagenburg einrichtet, besteht dann nicht die Gefahr, dass – du hattest<br />

selber eben gemeint, dass, wenn man einmal im Wagen gelebt hat, dass es dann schwer ist<br />

wieder wo anders zu wohnen, - also, dass die Leute dann im Wagen bleiben?<br />

W: Ja, das ist meine Meinung dazu. Das ist ja auch kein schlechtes Ding. Ich war damals ja,<br />

vor zig Jahren. Ich hab selber gejunkt. Ich war selber einmal ein Junkie. Und eben durch diese<br />

Wagenburg hier bin ich von dem Junk weggekommen, durch den Zusammenhalt von den<br />

Leut, die stützen sich, die helfen sich untereinander. Und das ist das, was ein Obdachloser auf<br />

der Straße nicht hat. Da ist das nicht. Da ist jeder für sich. Da ist jeden Tag Kampf ums<br />

Überleben, sage ich jetzt mal so. Du musst da nur an dich denken und Egoist sein. Absoluter<br />

Egoist sein. Und dir jeden Tag bewusst sein , dass du dich d<strong>einer</strong> Haut wehren musst. Das<br />

muss man in so nem Bauwagen net; du findest Selbstbewusstsein, du kannst dich wieder<br />

aufbauen, du kannst dich wieder aufpeppeln. Du kannst hingehn und sagen, so, jetzt bin ich<br />

wieder soweit. Jetzt kann ich mich um ne Job kümmern. Das ist alles drin in so ner<br />

Wagenburg. Ein Obdachloser hat keine Perspektive und in ner Wagenburg hast du sie. Schon<br />

allein durch das, dass du nicht alleine bist. Du hast die Sicherheit. Du hast den warmen<br />

Wagen. Du hast was zu essen zu Hause. Die Sicherheiten, die hat man nur in nem Wagen.<br />

Und wenn man das mal hat, dann will man es nicht mehr missen. Es gibt gewiss die einen<br />

oder anderen, die das als Brücke nehmen und sagen, gut, jetzt bin ich wieder soweit, jetzt<br />

kann ich wieder in ne Wohnung, wenn sie kurzfristig machen. Für ein oder zwei Jahre. (2)<br />

Aber irgendwann, wenn sie dann mal 5 Jahre in der Wohnung gewesen sind, dann Mensch,<br />

jetzt wieder in nen Wagen, das wärs.<br />

F: Habt ihr bei der Gestaltung dieses Platzes hier <strong>mit</strong>gemacht? Oder <strong>mit</strong>gearbeitet?<br />

W: Garnicht. Die hatten hier aufgeschüttet, haben Kanalisation gelegt, die Parzellen<br />

abgesteckt und dann hieß es, so, jetzt rüber. Da waren die Container noch nicht da. Anfangs<br />

hatten wir noch Dixies hier. Und das wars gewesen.<br />

F: Wie siehst du die Zukunft von dieser Wohnform hier?<br />

W: Ich seh die eigentlich recht gut. Ich habe da weniger Bedenken wie andere, wegen der<br />

Räumung 2011. Das glaube ich nicht. Da hat das hier viel zu viel Geld gekostet, das hier alles<br />

140


zu bauen und dann hätten sie ja wieder den Ärger. Und wohin dann <strong>mit</strong> uns. Wo wollte die<br />

Stadt denn auch hin <strong>mit</strong> uns.<br />

F: Wie kamst du zum Wagenleben?<br />

➣ 6.2.1<br />

W:(3). Ich bin auf den Platz gekommen da war ich achtzehn, neunzehn. Stress zuhause<br />

gehabt; Dann bin ich halt weg; Straße, Platte, besetzte Häuser. Ich war ja zuerst in<br />

Regensburg. Ich komm ja aus Bayern. Und dann in Regensburg habe ich ein paar Leute<br />

getroffen, du, wir fahren nach Freiburg, mir brauchen noch ein, zwei Leute die <strong>mit</strong>fahren, um<br />

Spritgeld zu sparen. Und ich sagte, ach hoch ach du, warum denn nicht, ein Wochenende nach<br />

Freiburg. Jo, andere Stadt, andere Leute, ja; (2) (lachen). Das wars. Zwischendurch war ich<br />

noch mal eineinhalb Jahr lang unterwegs <strong>mit</strong> meinem Hund. Frankreich und Spanien. Zu Fuß.<br />

Geloffe. War schön. Und dann bin ich wieder hier her. Hab gesagt, so, jetzt fass ich Fuß.<br />

Dann kam ich wieder auf den blöden Junk. War ja schon mal drauf. Dann war ich wieder<br />

drauf. Dann war ich so ein halbes Jahr lang weg vom Platz. Nur in der Stadt. Und dann habe<br />

ich gesagt: Jetzt. Hab Leute gefragt, wie siehts aus, kann ich kommen zum entziehen und<br />

zum fit werden. Klar, logisch, komm, wir helfen dir. Haben sie gemacht. Und jetzt bin ich seit<br />

einigen Jahren wieder richtig selbständig auf den Beinen und das habe ich einigen Leuten<br />

hier zu verdanken. Unter anderem der Wagenburg. Wenn es die nicht gegeben hätte, wäre ich<br />

jetzt schon tot. Ja, Junk ist ein Teufelszeug. (4) Das war dann auch die Zeit, wo man gesagt<br />

hat: Auf dem Platz kein Junks mehr. Es sind ja auch ein paar Leute auf dem Platz dort drüben<br />

gestorben. Mit Überdosis.<br />

F: Auf dem alten Biohum?<br />

W: Auf dem alten Biohum. Ja, nicht hier. Hier haben wir jetzt vier. Vier Tote. Der XXX ist an<br />

Lungenentzündung gestorben im Krankenhaus. Der XXX hat sich vergiftet. Der XXX hat sich<br />

erschossen. Drei. Sind drei.<br />

[Junge Frau <strong>mit</strong> Hund kommt zur Feuerstelle, Mann kommt zum Holzspalten]<br />

F: Ich hab mich schon einmal gefragt, ob es was bringen würde, die Wagenburgen näher an<br />

die Stadt zu machen?<br />

W: Ne, wenn du jetzt so ne Wagenburg näher an die Stadt ran machst, dann wär das für die<br />

Wagenburgbewohner ein Vorteil - oder eher ein Grund - in die Stadt rein zu gehen. Aber du<br />

hast dann wieder andersrum die Leute von der Stadt, die eher bei dir hocken. Also ich bin<br />

froh, dass es einigermaßen vom Schuss weg ist.<br />

F: Und dass mehr Kontakte entstehen?<br />

W: Ach, Kontakte, wenn man welche will, kann man die pflegen. Man besucht die Leute.<br />

Konzerte. Es kommen öfters Leute auch zu Besuch hier her. Jetzt im Winter eher weniger.<br />

Denen ist der Weg zu weit. Einerseits denke ich das ist gut, andererseits (3): Ich bin froh<br />

drum, umso mehr Ruhe hat man dann für sich und drum rum. Weil zu nahe an der Stadt<br />

hättest du jede Nacht halligalli und rambazamba. Und dann hast du wieder dieses plumpe<br />

Zusammenhängen, hängen müssen. Da will ich jetzt nicht jedem sagen, verschwind hier, ich<br />

wohn hier. Man will ja auch gastfreundlich sein.<br />

141


6.2.2 Eselswinkel: Lee Robert Zimmermann<br />

F: Wie oft ist es dir bewusst, dass du in keinem Haus wohnst?<br />

➣ 6.2.2<br />

R: Ich könnte da gar nicht mehr wohnen. Ich war zehn Jahre lang <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> Frau zusammen.<br />

Und ich war oft bei ihr. Eine wunderschöne Wohnung. Drei Zimmer, wunderbar. Aber nach<br />

ein paar Tagen habe ich Platzangst gekriegt und musste gehen (lachen). Und sie hatte immer<br />

gesagt, mmh, schön dass du da bist. Aber ich musste erst mal zur Balkontür und raus. So<br />

stand ich erst mal draußen.<br />

F: Ändert sich das Raumgefühl, wenn man längere Zeit im Wagen lebt?<br />

R: Ja, ganz sicher. Wenn ich da rein geh (zeigt auf seinen Wagen), dann bin ich total<br />

geborgen, ja, aber ich kann halt auf machen und ich hab grenzenlose Freiheit. Ich kann raus<br />

gehen. Es umgibt mich nichts Verschlossenes. Das störte mich auch immer.<br />

F: Wie empfindest du den umgebenden Raum?<br />

R: (4) Wie empfinde ich den Platz hier? Sehr angenehm. Ich bin nicht immer erfreut, was<br />

intern läuft, im Endeffekt sind es aber eben drei, vier Leute, die den Laden hier schmeißen.<br />

Verwaltung und den ganzen Krempel und sich vor allem auch politisch drum kümmern. In<br />

ner Nacht und Nebelaktion könnte man manche hier in ein Heim stecken, denen würde das<br />

gar nicht auffallen, vor lauter Alkohol. Das ist halt auch ein Problem. Aber das Problem gibt<br />

es übrigens überall. Und ich hab das in Hochhäusern noch viel schlimmer entdeckt, wenn ich<br />

an Weingarten denk, wo Menschen zum Teil leben, die kaum Perspektive haben, die null<br />

Perspektive haben. Also, hier kannst du immer zum Nachbar gehen. Hier kannst du was<br />

gestalten. Es ist eine Gemeinschaft. Es ist eine Gemeinschaft hier; bei den Schattenparkern<br />

nicht anders. Es ist auch so, dass nur ein paar Leute den Laden schmeißen. Das ist<br />

wahrscheinlich überall so. Der Rest igelt sich ein. Ja, die machen das schon. Aber auf der<br />

anderen Seite ist es auch wieder richtig, denn du kannst ja nicht jeden vorschicken.<br />

F: Was macht das Wagenleben aus?<br />

R: Wir wollen mobil sein, wir wollen draußen leben, wir wollen nicht in Wohnungen leben.<br />

Wir wollen nicht in irgendwelchen betonierten Häusern leben. Isoliert. (3) Weil das isoliert,<br />

du kannst ja ne wunderschöne Wohnung kriegen, ohne weiteres, aber dann lebst du da in<br />

dieser Wohnung und nebendran lebt auch jemand und da auch jemand, und du hast <strong>mit</strong> denen<br />

nichts zu tun. Das ist von keinem hier ne Zielsetzung. Okay, ein schönes großes Haus ist ne<br />

Möglichkeit, nur Häuser gibt’s nicht mehr. Und die, die es gab, die haben wir besetzt, und uns<br />

manchmal auch rausprügeln lassen. Was auch interessant war (lachen).<br />

F: Wie hat sich das Umfeld des Platzes verändert seit es ihn gibt?<br />

R: Sehr, sehr viel Veränderung. Als wir hier her kamen gabs nur Wald hier, rundum, die<br />

Herman-Mitsch Strasse war schmal, da sind keine LKW’s durchgedonnert. Da gabs keinen<br />

IKEA, da gabs keinen Möbelbraun, da war hier alles Wald.<br />

F: Kann es ein Problem sein, bei einem Arbeitgeber, wenn man die Wagenburg als Adresse<br />

angibt?<br />

142


➣ 6.2.2<br />

R: Ja, schon. Es kann schon sein. Zum Beispiel bei der XXX, da hat ihr Chef, der Lehrmeister<br />

schon mal schräg gekuckt. Er wusste halt auch nicht Bescheid. Inzwischen hat er eine andere<br />

Meinung, inzwischen ist er begeistert, weil er sieht, sie ist nun bald fertig <strong>mit</strong> der Lehre und<br />

hat das gut gemacht.<br />

F: Gibt es viele Beispiele, wo es zu Problemen <strong>mit</strong> Arbeitgebern kam?<br />

R: Eigentlich nicht. Aber verstehst du, man muss auch nicht her gehen und Wagenburg<br />

angeben. Verstehst du. Ich hab ja auch eine ganz seriöse Adresse, die überall eingetragen ist.<br />

F: Warum entstehen Wagenburgen oftmals in den Städten?<br />

R: Also, die Stadt ist für politisch Engagierte sehr wichtig. Und der Großteil sind nun einmal<br />

politisch engagierte Leute. Dann gibt es aber auch so was wie Landkommunen. Aber auf dem<br />

Land ist es einfach noch zu konservativ.)<br />

F: Ist es eine Art von Ghettoisierung hier an der Hermann-Mitsch Straße?<br />

A: Naja, das kann man ganz eindeutig sehen. Wobei ich das der Stadt nicht unterstellen<br />

möchte, sonder das ist wirklich unter Zwang irgendwo entstanden. Sie mussten etwas tun. Sie<br />

mussten handeln. Sie hatten gesehen, Vertreibungspolitik läuft nicht, dazu haben sie von<br />

außen auch viel Druck bekommen, von Organisationen. Also mussten sie handeln.<br />

F: Wie empfindest du die Berichterstattung in den Medien?<br />

A: Puuh, die Badische Zeitung gibt sich zwar Mühe, aber manchmal auch ein wenig daneben.<br />

Aber ich denke doch, dass sich einige hier Mühe geben. Gott sei Dank.<br />

F: Muss man manchmal gegen Vorurteile ankämpfen?<br />

A: Das immer. Die Gängigen: Arbeitsscheu. Alkoholiker. Drogen.<br />

F: Siehst du eine Verbindung zu der ethnischen Minderheit der Sinti und Roma?<br />

A: Nein. (3) Nein. Also da trennt uns doch zuviel. Eine gewisse Machokultur, die kann ich<br />

nicht ab, dieses Patriarchalische, da<strong>mit</strong> kann ich nicht. Ohne rassistisch zu sein.<br />

F: Hast du das Gefühl, dass der Platz hier vom rechtlichen Status Sicherheit bietet?<br />

A: Keine Nutzungsverträge, sondern ein Pachtvertrag. (2) Von der Stadt her würde ich mir<br />

einfach wünschen dass sie auch andere Lebensformen - (2) ja: auch fördert. Akzeptieren ist ja<br />

aber für viele schon zu viel. Multikulti.<br />

F: Was macht das Leben im Wagen aus?<br />

A: Ha, vielleicht die Möglichkeit, <strong>mit</strong> Tieren zusammen zu leben (lachen). Wir hatten hier<br />

schon Truthähne, Schweine, Hühner, Katzen.<br />

F: Was ist wichtig im Leben?<br />

143


➣ 6.2.3<br />

A: Gesundheit, das ist natürlich das wichtigste. Freiheit. Für mich ist wichtig: Soziale<br />

Kontakte, ich denke, dadurch kann man lange jung blieben. Die jungen Leute halten einen<br />

jung. Junge Leute aus allen Schattierungen. Sind es nun Punks oder die Enkelkinder. Offen<br />

bleiben. Der Kopf muss offen bleiben.<br />

F: Würdest du das Leben im Wagen weiterempfehlen?<br />

R: Ich würde sagen, es soll jeder leben wie er will. Ansonsten kann ich jedem empfehlen,<br />

einmal so zu leben. (3) Es werden wahrscheinlich auch immer mehr, zwangsweise so leben<br />

müssen, wenn Resourcen so knapp werden, Wohnungen, die sogenannte Klufft, wenn<br />

Wohnungen so teuer werden, dass man sie nicht mehr bezahlen kann. Ich habe Leute kennen<br />

gelernt, Ingeneure, Ärzte, die auf einmal dastanden. Was mach ich denn jetzt, Frau ist weg,<br />

sie blieb da, solange alles gut lief, er verliert die Arbeit, sitzt zu Hause und ist fertig. Und die<br />

Frau guckt sich um, wie kann ich es mir wieder besser gehen lassen. Es ist brutal. (3) Dann<br />

kann das hier schon mal die einzige Chance sein, Gemeinschaft. Weil irgendwo möchte doch<br />

jeder in ner Großfamilie leben, das ist schon die Urform, die gibt es nicht mehr. Wenn, dann<br />

leben wir sie irgendwo, oder wieder.<br />

6.2.3. Schattenpark: Alexandra, Stephanie und Ulrike<br />

F: Warum entstehen Wagenplätze häufig in der Stadt?<br />

A: Das ist einfach zu erklären. Wohnraum ist teuer und <strong>mit</strong> einem Wagen ist Mobilität da.<br />

F: Man wohnt nicht alleine in <strong>einer</strong> Mietskaserne, sondern <strong>mit</strong> mehreren Leuten.<br />

A: Und das Leben draußen natürlich, welches du nicht <strong>mit</strong>bekommst in ner Wohnung, da<br />

bekommst du es nicht <strong>mit</strong>, ob es regnet, ob es stürmt. Im Wagen bekommst du so was <strong>mit</strong>. (4)<br />

Hier in Freiburg speziell war es eben ansteckend. Die Leute bekamen unsere Aktionen in der<br />

Stadt <strong>mit</strong> und die dachten sich; ah, super, toll, mach ich <strong>mit</strong>. Über die Hälfte der Leute jetzt<br />

sind neu dazugekommen.<br />

A: Vor allem auch viele Leute, die davor gar nichts <strong>mit</strong> dem Leben im Wagen zu tun hatten,<br />

die das dadurch erst kennen gelernt hatten. Und es jetzt großartig finden. (2) Wir sind auch<br />

froh darüber, jetzt neue Leute zu haben, denn die vom letzten Winter sind ziemlich<br />

ausgepowert. Es gibt halt Leute die schon seit sieben Jahren dabei sind und jetzt nicht mehr so<br />

sehr motiviert sind. Die <strong>mit</strong> der Materie jetzt schon zu lange rumkämpfen.<br />

F: Sind dann relativ viel Leute in Wohnungen gegangen, weil ihnen die<br />

Auseinandersetzungen <strong>mit</strong> der Stadt zu heftig waren?<br />

A: K<strong>einer</strong>. Die, wo gegangen sind, sind auf andere Wagenplätze in Hamburg, Berlin oder<br />

anderswo.<br />

F: K<strong>einer</strong> ist in eine Wohnung gegangen?<br />

A: Lass mich überlegen. Nein. Doch eine, aber das hatte einen andern Grund. Sie hatte ein<br />

Kind bekommen.<br />

144


F: Kann das ein Grund sein, aus dem Wagen zu ziehen?<br />

➣ 6.2.3<br />

A: Kann schon sein. In unserem Fall jetzt hier, war der Platz halt völlig neu, es gab noch<br />

keine Wege, knietief Schlamm sozusagen, keine Wasseranschlüsse, keinen Zaun drumherum,<br />

Das Kind war zwei Jahre alt und die Straße ist hier in der Nähe, das ist nicht sinnvoll. Im<br />

Sommer, wenn das Gelände besser befriedet ist, dann ist sie bestimmt auch wieder mehr hier.<br />

Für kleine Kids war das schon gefährlich. Im allgemeinen ist es <strong>mit</strong> Kindern schwieriger, bei<br />

so Sachen <strong>mit</strong> Schule. Wenn man keinen festen Platz hat, dann geht das fast nicht <strong>mit</strong> Kind.<br />

Wo will man denn da sein Kind zur Schule bringen?<br />

F: Weil die Meldeadresse fehlt?<br />

A: Die könnte man vielleicht noch haben. Aber die Schule ist vielleicht in <strong>einer</strong> anderen Ecke<br />

der Stadt, da, wo man sich gerade nicht befindet.<br />

S: Jedes Mal muss man dann neu gucken, wie, wo, wann Busse fahren, wie es hinkommt.<br />

A: Was mutet man seinem Kind auch da zu.<br />

F: Was sind die Gründe, in den Wagen zu ziehen?<br />

U: Mobilität auf jeden Fall.<br />

S: Bei mir stand eine Reise am Anfang, <strong>mit</strong> Kind und Hund im VW Bus, ein halbes Jahr, und<br />

dann war klar, ich komm zurück, werde die WG - Zimmer auflösen, kauf mir einen größeren<br />

Bus und ziehe wieder los. Und das habe ich dann auch so gemacht.<br />

A: Bei mir war das eigentlich genauso. Bus gekauft, <strong>mit</strong> Kind, noch vor der Einschulung, ein<br />

dreiviertel Jahr lang losgezogen, und konnte es mir dann einfach nicht mehr vorstellen, in<br />

einem Haus zu wohnen. Zuvor hatte ich auch gar keine Wagenleute gekannt.<br />

F: Was gibt es noch für Gründe, im Wagen zu leben?<br />

S: Keine Miete bezahlen, sondern Pacht.<br />

A: Was auch ein Grund ist irgendwie, ist, nicht bei diesem Konsum <strong>mit</strong>zumachen.<br />

Wagenleben heißt auch Holz machen, Wasser holen in Kanistern, Solarstrom. Ich bin nicht so<br />

auf Konsum fixiert. Keinen Fernseher besitzen. Viel <strong>mit</strong> Recycling machen. Wieviele Wagen<br />

sind innen komplett aus recyceltem Material ausgebaut? Mann schaut, dass man alles wieder<br />

verwenden kann. Das ist irgendwo auch ein Gedanke des Wagenlebens, glaube ich, nicht<br />

diesen Konsumwahnsinn <strong>mit</strong>zumachen, (3) die Bandbreite ist weit, aber das ist irgendwo der<br />

Tenor.<br />

F: Hat man das Gefühl, dass es hier am Rande der Stadt ist?<br />

S: Auf jeden Fall.<br />

A: In die Innenstadt ist es ewig weit und auch die Dinge wie KTS oder SUSI, wo viele von<br />

uns hier hingehen, sind auch am anderen Ende der Stadt. Die Busverbindung ist miserabel.<br />

Um acht ist hier Feierabend. Sonntags gar k<strong>einer</strong>. Das ist halt auch ein bisschen politisch<br />

145


➣ 6.2.3<br />

gewollt, um uns herum wohnt eigentlich niemand mehr, außer den alten Eselswinklern, hier<br />

werden wir nicht gesehen, hier werden wir nicht gesehen. Es muss sich quasi niemand mehr<br />

<strong>mit</strong> uns auseinandersetzen. Möbel - Braun ist hier, da gibt es ein paar LKW-Fahrer und die<br />

juckt das nicht. Und eigentlich find ich das echt schade. Nur blieb uns auch nicht viel mehr<br />

übrig, als diesen Platz hier anzunehmen, denn die hätten uns die Wagen wieder<br />

beschlagnahmt. Im Herbst war dann hier auch echt miese Stimmung, super neuer Platz, ooh,<br />

Flughafen, IKEA, Rhodia-Industrie, kein Mensch hier. Das hat ganz schön auf die Stimmung<br />

gedrückt.<br />

U: Mir fällt noch ein Grund ein, weshalb man im Wagen lebt. Man kann seine Kreativität<br />

ausleben. Sei es nun im Innenausbau oder außen am LKW. Das ist auf jeden Fall ein Punkt.<br />

S: Mit Kind find ich es auch super. Egal, wo ich hingefahren bin, ich hatte immer alles dabei,<br />

Bett dabei, Küche dabei, Spielsachen dabei. Man konnte raus, auch mal bei einem Festival,<br />

das Kind dabei und sobald es müde wird, hat es sein Bett, da weiß es, da gehört es hin, da<br />

kann es sich schlafen legen. Und ich bin trotzdem noch dabei. Ich muss nicht zu Hause in der<br />

Wohnung sitzen, sondern bin noch voll dabei, auch <strong>mit</strong> Kind. Das hab ich immer sehr<br />

genossen.<br />

F: Ändert sich was an der Raumwahrnehmung, wenn man längere Zeit im Wagen gelebt hat?<br />

A: Ja, auf jeden Fall. Wenn ich in eine Wohnung komme denke ich, wow, ist das viel Platz.<br />

Oftmals vielleicht auch ordentllicher. Man hat in einem Wagen halt einfach nicht soviel<br />

Stauraum. Wenn meine Eltern zu Besuch hier sind, dann sagen die schon manchmal, hier<br />

siehts aber ein bisschen rümpelig aus. Aber in Wirklichkeit hat das alles schon seine<br />

Ordnung, nur ich habe halt nicht noch einmal zwanzig Zimmer nebenan, wo dann alles<br />

verschwindet.<br />

S: Ja, man muss sich schon gut überlegen, wo man was hinräumt, wie man die Sachen<br />

verstaut.<br />

A: Sich beschränken vor allem auch. Viel Quatsch durch die Gegend fahren, das macht man<br />

vielleicht ne Weile, aber dann mistet man groß aus.<br />

S: Kistenweise give-away. Ciao. Du brauchst doch bestimmt nen großen Kochtopf. Tür auf,<br />

Klamotten, Kassetten und alles an die Leute, die so was im Leben noch brauchen (lachen).<br />

U: Platz , der aber oftmals <strong>mit</strong> Werkzeug wieder aufgefüllt wird.<br />

A: Man braucht viel Werkzeug als Wagenmensch. Ich hatte einen Akkuschrauber, ne<br />

komische billige Drei-Euro-Säge und vier, fünf Schraubenzieher, bevor ich in den Wagen zog<br />

(lachen).<br />

F: Man braucht mehr Zeit, um die Dinge in Schuss zu halten?<br />

A: Als LKW-Fahrer ja, Bauwägler haben es da ein wenig leichter.<br />

U: Man muss auch mal anspachteln, oder schweißen. Nun habe ich Wasser im Öl und musste<br />

mal nach der Zylinderkopfdichtung schauen (lachen). Man lernt unheimlich viel, wenn man<br />

im Wagen lebt, von Elektrik, zweihundertzwanzig Volt ist es jetzt auch nicht, aber ich weiß,<br />

wie das <strong>mit</strong> meinen Solarzellen funktioniert, schrauben oder solche Geschichten. Ich hätte<br />

146


➣ 6.2.4<br />

mich früher nie getraut, ein Schweißgerät in die Hand zu nehmen. Die Möglichkeiten sind<br />

einfach toll, <strong>mit</strong> Holz einen Innenausbau zu machen.<br />

A: Frauen bilden sich da wohl handwerklich noch um einiges fort. Jungs sind da vielleicht<br />

manchmal doch etwas bewanderter <strong>mit</strong> Technik. Manchmal (lachen).<br />

F: Verändert sich die Gruppenstruktur, wenn man längere Zeit auf einem Platz steht?<br />

A: Ja auf jeden Fall. Es wird bequemer. Im Vergleich zum letzten Winter jetzt, als die Wagen<br />

noch beschlagnahmt waren, da waren wir alle auf einem Platz zusammengepfercht, auf<br />

engstem Raum. Wir mussten Gespräche führen, wir mussten dieses und jenes organisieren.<br />

Man konzentriert sich mehr auf sich auf einem Platz dann. Was auch mal wieder sein muss.<br />

Job, Studium und alles mal wieder auf die Reihe kriegen, da hat es bei einigen ziemlich<br />

gehapert. (2) Ist ja auch okay. Aber man merkt es. Man sitzt nicht jeden Abend zusammen<br />

und bespricht, was man am nächsten Tag unbedingt tun muss.<br />

F: Was könnte man sich für die Zukunft wünschen?<br />

A: Mehr Gemeinschaftsmöglichkeiten hier. Aber das werden wir im Frühjahr auch angehen,<br />

wir sind ja erst seit September hier. Da wird dann der Gemeinschaftswagen noch besser<br />

ausgebaut. Manche wollten. (3) (Kind kommt in den Wagen) Ich denke, es werden noch<br />

einige auf den Trichter kommen, was so ein Leben im Wagen ausmachen kann.<br />

6.2.4 Schattenpark: Arne Brinkmann<br />

F: Wer sind die Schattenparker?<br />

A: Eine Gruppe von Leuten, die alle im Wagen leben, das haben sie alle gemeinsam, die alle<br />

im Wagen leben wollen. Ein Gruppe von Leuten, die sich damals aus den unterschiedlichsten<br />

Wagenburgen zusammengetan haben, die halt auf städtische Plätze, beziehungsweise auf die<br />

städtischen Plätze, wo es dann allerlei Regeln gibt, nicht drauf wollten. Die dann gesagt<br />

haben, Nein, auf so einen Platz wollen wir nicht. Auf en Platz <strong>mit</strong> Sozialarbeitern will ich<br />

nicht. Auf den Platz am Rieselfeld will ich nicht, denn die haben sie auch verarscht. Ich will<br />

weiter im Wagen leben, aber selbstverwaltet. Autonom. Und nicht von Stadt und allen<br />

Möglichen regiert. Autonomie und Selbstverwaltung. Fakt ist einfach, dass die Leute, die<br />

damals die Schattenparker gegründet haben, alle politisch aktiv waren und die keine Lust<br />

hatten, sich auf irgend einen Platz zu setzen, um da jetzt Ruhe zu haben, sondern die weiter<br />

einen selbstverwalteten Wagenplatz haben wollten.<br />

F: Also, klar eine politische Bewegung?<br />

A: So hat es auf jeden Fall angefangen. Dass die Schattenparker jetzt immer noch klar<br />

politisch sind, ist, klar, immer noch der Fall. Und hat wohl auch da<strong>mit</strong> was zu tun, dass die<br />

Leute das damals so gegründet haben. Aber inzwischen sind ja sieben Jahre drin, wo viel<br />

passiert ist. Es treibt sich nicht unbedingt so weiter. Es ist auch ein wechselndes Ding. (2)<br />

Damals standen die Leute auf dem Obi-Gelände. Auch schon ein wenig davor. Aber<br />

hauptsächlich auf dem Obi, da hatten sich die Leute gesagt, wir wollen ne Wagenburg haben.<br />

147


➣ 6.2.4<br />

Und dort war genügend Platz, letztendlich war es besetzt, und die Stadt dann auch gesagt hat:<br />

ja, wenn irgendwo Wagenburgler rumstanden, fahrt doch auf den Obi, da steht ja eh schon der<br />

Rest. Da werdet ihr so schnell nicht geräumt. Und haben so<strong>mit</strong> auch wieder ein Ghetto<br />

geschaffen von Wagenburglern. Denn zuvor standen sie mal da oder mal da und überall<br />

durfte man dann nicht mehr stehen, nur noch auf dem Obi. Und das hat sich dann halt<br />

zugespitzt, weil da letztendlich 50 bis 60 Leute standen. Waren dann schon irgendwo alles<br />

Schattenparker, haben aber primär <strong>mit</strong> der Gruppe, die sich damals gegründet hat, nicht direkt<br />

was zu tun.<br />

F: Wie setzt sich denn heute die Gruppe zusammen?<br />

A: Heute setzt sich die Gruppe aus lauter im Wagen lebenden Menschen zusammen, die<br />

politisch interessiert sind, die das Leben anders leben wollen, die mehr Selbstverwaltung,<br />

mehr Autonomie haben wollen, die prinzipiell für sich in ihrem Leben was anders machen<br />

wollen, sei es, jetzt viel draußen sein, sei es, mobil sein, sei es, politisch aktiv sein, sei es,<br />

einfach ne Alternative zu bieten, zu diesem Mietezahlen. Sei es Umweltschutz,<br />

beziehungsweise autonom sein zu wollen durch eine eigene Stromversorgung. Gründe im<br />

Wagen leben zu wollen gibt es soviel wie Menschen.<br />

F: Warum entstehen Wagenburgen in <strong>einer</strong> Stadt?<br />

A: (2) Gibt es wohl auch verschiedene Gründe. Heut wohl andere als damals. Viel hatte <strong>mit</strong><br />

der Hausbesetzungsszene zu tun, als dies dann schwieriger wurde, und krasse Repressionen<br />

nach sich zog, aber die Leute trotzdem billig, anders leben wollten, da hat sich der Wagen<br />

natürlich angeboten. Da bist du natürlich erst mal unabhängig von sämtlichen anderen Leuten<br />

und wenn du auch noch nen Trecker hast, kannst du hin fahren wo du Lust hast. Auch ein<br />

Grund ist wohl, eher heute, dass die Leute nicht soviel Geld haben, um Mieten, um Strom,<br />

und Abfallgebühren, und alles was da<strong>mit</strong> zusammenhängt, zu zahlen. Deshalb wird es auch<br />

immer mehr werden in nächster Zeit, glaube ich, weil die Dinge einfach teurer werden. Sieht<br />

man jetzt auch gut an den Straßenpunks, das ist ja auch ne Gruppe, die nicht im Haus leben<br />

wollen, weil sie nicht das Geld haben, denen das Wagenleben ganz recht ist. Sie können freier<br />

leben und müssen nicht soviel Geld bezahlen.<br />

F: Wo würdest du die Alternativen sehen zum im Wagen leben?<br />

A: Wieder ne Alternative zum Wagenleben? (lachen) Bauwagenleben, wobei das eigentlich<br />

fast dasselbe ist. Schwierige Frage. SUSI ist vielleicht auch ne Alternative zum normalen<br />

Wohnen, weil da auch sehr viel <strong>mit</strong> Gemeinschaft läuft, weil es auch eine Gemeinschaft ist,<br />

die sich regelmäßig trifft und im Plenum was beschließt. Das wäre ne Alternative. Projekte,<br />

wo die Leute mehr was zusammen machen, zusammen das Haus gestalten, zusammen am<br />

Haus arbeiten, vielleicht auch nicht so hohe Mieten. Denn es geht ja auch, dass man ein Haus<br />

kauft und die Mieten gering sind. Dass die gerade so reichen, dass das Haus instand gehalten<br />

werden kann und dass sich k<strong>einer</strong> dumm und dämlich daran verdient.<br />

F: Was sind die gemeinsamen Sachen, die man auf einem Wagenplatz macht?<br />

A: An der Feuerstelle sitzen, über politische Werte und Normen diskutieren. Einfach viel<br />

zusammen machen. Man kriegt hier mehr davon <strong>mit</strong>, wie es dem Anderen geht. Letzte Woche<br />

war <strong>einer</strong> hier krank, und das wussten dann natürlich sofort alle, und dann sind nach und<br />

nach, mal vier, mal fünf, zu ihm ins Krankenhaus gefahren und haben ihn besucht. Und so<br />

was finde ich stark und wichtig. Super wichtig, dass das so funktioniert. Du bist krank und der<br />

148


➣ 6.2.4<br />

ganze Platz kommt dich besuchen. Du hast sozusagen 30 Freunde, die sich um dich kümmern.<br />

Der eine mal mehr, der andere mal weniger. Oder aber auch, wenn du irgendwo stehen<br />

bleibst, dann rufst du hier an. Und es ist egal, wen du anrufst, der ist dann hier auf dem Platz<br />

und kümmert sich darum, dass dich irgendwer abholt und abschleppt. Oder er kümmert sich<br />

darum, wenn du in <strong>einer</strong> anderen Stadt bist, dass du da wo hinfahren kannst. Es ist einfach<br />

mehr Gemeinschaft. Mehr Zusammenhalt.<br />

F: Gemeinschaftliche Kulturveranstaltungen?<br />

A: Ja, das gibt es auch. Der DIY- shop, das ist auch eine Art Kultur.<br />

F: Was ist das genau?<br />

F: Theoretisch einfach ein Marktstand, wo jeder das <strong>mit</strong>bringt, was er containert, geschenkt<br />

oder sonst was hat, in diesem Fall jetzt auf Essen bezogen. Der eine containert Bananen, 50<br />

Bananen und legt die da hin. Jemand geht zum Bäcker und holt das alte Brot ab und legt es da<br />

hin. Ich bring das Essen aus dem Kindergarten <strong>mit</strong>, was da übrig bleibt und stell es da hin.<br />

Die Leute, wenn sie hier abends Hunger haben, dann gehen sie erst mal zum DIY- Foodshop,<br />

gucken, was es da gibt; okay, da gibt es jetzt Tomaten und Paprika, muss ich also nur noch<br />

Nudeln kaufen und dann mach ich ein nettes Essen. (2) Was eigentlich auch super wichtig ist,<br />

ist dieses gemeinschaftliche Ausprobieren von Leben, denn wenn hier was ist, dann geht es<br />

eigentlich immer die ganze Gruppe etwas an. Wenn jetzt hier <strong>einer</strong> etwas klauen würde, dann<br />

würde das alle etwas angehen, dann müssen wir schauen, wie man das regelt, man muss<br />

<strong>mit</strong>einander reden, man muss schauen, wie man da<strong>mit</strong> umgeht. Da wir alle -, kann man schon<br />

sagen, Hierarchien ablehnen, kann nicht <strong>einer</strong> die Polizei spielen und sagen, du fliegst jetzt<br />

runter vom Platz. (2) Das ist gerade das super Spannende daran. Weil man die Fälle neu<br />

ausdiskutieren muss. Es kann natürlich auch anstrengend sein. Aber man findet Alternativen,<br />

wie es möglich ist, zusammen zu leben, ohne dass es Hierarchien gibt. Basisdemokratie eben,<br />

dass alle <strong>mit</strong>diskutieren können und nicht die Demokratie, die wir sonst haben in diesem<br />

Lande hier, fünf Leute da oben entscheiden, die wir irgendwann einmal gewählt haben. Jeder<br />

hat einfach das Entscheidungsrecht, ob er jetzt studiert hat, ob er ein Punker ist, oder ob er<br />

gerne kifft. Alle müssen die Entscheidungsfreiheit, die Mitbestimmung haben. (3) Es ist<br />

einfach ein Ausprobieren, wie man leben kann, ohne alle Strukturen anzunehmen, die uns die<br />

Gesellschaft draußen zeigt und beibringt. Wir probieren ja hier eine Alternative aus, wir<br />

dreißig Leute, wie man wirklich anders zusammen leben kann, gemeinschaftlich leben kann.<br />

F: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit <strong>mit</strong> der Stadt Freiburg?<br />

A: Hier ist es immer sehr anstrengend. Komischerweise, weil die Stadt sich ja immer gerne<br />

als die offene und tolerante Stadt zeigt, aber sie es überhaupt nicht ist. Sie lehnen jegliche<br />

Form von Alternativen ab. Sie versuchen, alles im Keim zu ersticken, wie es echt nicht besser<br />

geht. Es ist auch eher ne neuere Politik, wobei schon seit 15 Jahren die Bewohner (2) hier<br />

vertrieben werden, und k<strong>einer</strong> weiß (1) eigentlich auch so richtig, was eigentlich dagegen<br />

spricht. Ich glaube, (2) dass da auch wieder ein Kapitalismus <strong>mit</strong> rein spielt, <strong>mit</strong> uns kann<br />

man halt kein Geld machen. (2) Vielleicht will Freiburg ja auch ne Snob-Stadt werden und da<br />

passt so was nicht rein. Überhaupt nicht verständlich. In <strong>einer</strong> Stadt, wo Wohnungsnot<br />

besteht, wo es wenigen billigen Wohnraum gibt und die Stadt hinterher ist, möglichst vielen<br />

billigen Wohnraum zu kreieren, da kann man da doch nicht ne Gruppe von Leuten, die ihr<br />

eigenes Haus, ihre eigene Lebensform schaffen, wo die Stadt nichts da<strong>mit</strong> zu tun hat, die kann<br />

man dann doch nicht vernichten. Schizophrenie. Das versteh ich nicht. Mit der Stadt zu<br />

verhandeln, das ist en ewiges Gejammer, meine Güte, (2). Da <strong>mit</strong> dem sprechen. Dann gibt es<br />

149


➣ 6.2.4<br />

zehn verschiedene Ämter, die da <strong>mit</strong> reinschneien. Da ist der Sozialbürgermeister<br />

verantwortlich, da ist das Liegenschaftsamt verantwortlich, da ist das Bauverwaltungsamt<br />

verantwortlich, da kommt das Bauordnungsamt, weil das ja nicht geht, dann noch ein<br />

Bürgermeister und dann noch der und dann noch der. Und du diskutierst dich dumm und<br />

dämlich, für eine Sache, die eigentlich so easy ist. Letztendlich. Der gesetzliche Rahmen lässt<br />

es zu, aber irgendwie kann man es doch nicht zulassen. (3) Oder zum Beispiel haben wir ne<br />

Presse<strong>mit</strong>teilung rausgeschickt, dass wir die Straßenpunks aktiv in ihrem Kampf um den<br />

Wagenplatz unterstützen. Und jetzt kriegen wir von der Stadt ne Mail, wo drin steht; ja, wir<br />

müssen uns jetzt mal zusammensetzen, um über Folgen und Konsequenzen zu sprechen, die<br />

aus ihrem Verhalten gegenüber den Straßenpunks entsteht. He, was ist denn jetzt los. Die<br />

wollen uns jetzt Konsequenzen reindrücken, weil wir die Straßenpunks unterstützen, weil wir<br />

einen weiteren Wagenplatz unterstützen <strong>mit</strong> der Kraft, die wir haben. (4) Das ist halt ein<br />

einziges Spiel, die einen wollen gewinnen und die anderen, man spielt solange <strong>mit</strong>einander,<br />

bis in der Mitte etwas heraus gekommen ist. Komisch irgendwie. Fünf Tage vor Ende des<br />

alten Mietvertrags hatten sie kein neues Grundstück, sie hatten eine Fläche, die war jedoch<br />

viel zu klein. Und, dann auf einmal, kommt der Salomon aus dem Urlaub wieder, ich hab da<br />

noch ein Grundstück gefunden, was für ein Zufall, das können wir ja doch noch dazu nehmen.<br />

Und auf einmal ist Platz da. (2) Hätten wir nicht Protest gemacht, hätten sie uns auf dem<br />

kleinen Platz eingepfercht, das Ganze war vier Monate davor klar. Die verhandeln, bis es<br />

nicht mehr geht und geben nur das Allerletzte raus. Nur das was unbedingt, unbedingt nötig<br />

ist.<br />

F: Was erreicht eine Stadt <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> Räumung?<br />

A: Protest. (2) Ne Menge Geld aus dem Fenster werfen, ne Menge Verhandlungen, ne Menge<br />

schlechte Presse. Und letztendlich, ja, müssen sie den Leuten doch einen Platz geben. Drei<br />

Monate wurde beschlagnahmt. Leute von ganz Deutschland kamen hier her, weil das einfach<br />

so nicht geht. Und es war ein Kampf von drei Monaten, und letztendlich haben wir doch ne<br />

Platz gekriegt. Fast eine Million wurde ausgegeben an Polizeieinsätzen, nur wegen den<br />

Schattenparkern und den Aktionen. Für eine Million hättest du dir fünf Plätze kaufen können.<br />

Wie lange könnten Menschen davon leben. Unglaublich. Selbe Geschichte jetzt <strong>mit</strong> den<br />

Straßenpunks.<br />

F: Ist die Durchsetzung dieser Wohnform manchmal ein Full-time-Job?<br />

A: Ja, kommt drauf an. Jetzt hier, ist es eher etwas ruhiger geworden. (2) Es war Full-time-<br />

Job. Aber jetzt ist das ganze hier erst mal sicher und die Leute können sich auf ihr eigenes<br />

Leben und Ding konzentrieren. Durch den Konflikt <strong>mit</strong> den Straßenpunks wird dies natürlich<br />

wieder völlig umgeworfen und man ist drei Wochen lang wieder nur <strong>mit</strong> der Lösung für einen<br />

neuen Wagenplatz beschäftigt. Man unterstützt natürlich, weil es einfach auch nicht geht, dass<br />

jetzt schon wieder ein Wagenplatz geräumt wird. (2) Drei Monate lang war es wirklich ein<br />

Full-time-Job. Ich ging zur Schule und die restliche Energie hatte ich hier rein getan. Sie<br />

hatten ja auch mein Haus weggenommen, mein Haus hatten sie weggenommen. (2)<br />

F: Kommen dadurch andere Lebensbereiche zu kurz?<br />

A: Ja, natürlich, wenn man <strong>mit</strong>ten in <strong>einer</strong> Ausbildung seine Karre weggenommen bekommt,<br />

kommt das natürlich zu kurz, weil man sich halt nun darum kümmern muss. Ja. Es ist einfach<br />

sehr anstrengend. Es macht schon auch Spaß. Aber ich würde nicht sagen, dass ich es aus dem<br />

Spaßfaktor heraus mache, sondern weil ich einfach ein anderes Bild davon hab, wie man<br />

150


➣ 6.2.4<br />

zusammen leben kann, oder wie die Welt aussehen kann. Zeit ist halt nicht unendlich da, und<br />

Geld braucht man auch vom Arbeiten.<br />

F: Muss man gegen allgemeine Vorurteile ankämpfen?<br />

A: Ja, schon. In Freiburg vielleicht ein bisschen weniger als in anderen Städten.<br />

F: Was sind die gängigen?<br />

A: Schwierig. (2) Gute Frage. Dass man dreckig ist, warum man denn nicht in <strong>einer</strong><br />

Wohnung wohnen möchte, das verstehen manche Leute nicht. Und auch meine Eltern<br />

bekommen das ständig zu hören, warum denn der jüngste Sohn im Wagen lebt. Dass die das<br />

überhaupt zulassen, das geht schwer in die Köpfe rein. Dass es Leute gibt, die sich das<br />

bewusst aussuchen und bewusst leben wollen. Was natürlich auch wieder was <strong>mit</strong> dieser<br />

Gesellschaft zu tun hat. Weil der Standard so hoch gesetzt ist, dass man nur angesehen ist,<br />

wenn man ein schickes Auto fährt, alles sauber ist, schicker Garten, Kinder, ne Frau, ne Haus<br />

hat. Dann ist man angesehen und nicht, wenn man im Wagen lebt. Deshalb verstehen das<br />

glaube ich viele nicht. (2) Bei meinen Eltern ist das immer wieder. Die stehen natürlich voll<br />

auf m<strong>einer</strong> Seite und erzählen dann halt so, zeigen Bilder, und haben mir dann schon oft<br />

erzählt, dass sie da fast einen Anschiss bekommen, dass ein Sohn von Ihnen so leben kann.<br />

Das kann man doch nicht zulassen. Das ist ganz seltsam. Aber wir haben uns ein Stückchen<br />

Freiheit zurückerobert. Und mir geht es super gut, so wie ich hier lebe. Hier kann ich so frei<br />

sein wie ich Lust hab. Und muss nicht ständig gucken, dass ich meine Miete wieder herein<br />

bekomm.<br />

F: Ist es schwierig gewesen, juristischen Beistand zu finden?<br />

A: Auf diesem Gebiet schon. Aber es gibt in Deutschland schon einige gute Anwälte, die sich<br />

da<strong>mit</strong> inzwischen schon recht gut auskennen. Klar, eher aber der Berliner oder Hamburger<br />

Raum. Da haben sich Anwälte schon spezialisiert, in Anführungsstrichen. (2) Wenn<br />

Wagenburgen eine super Einnahmequelle für irgend ne Kohle wären, dann wär das schon<br />

längst passiert, dann würde es überall Wagenburgen geben. Aber da dem nicht so ist, sträubt<br />

man sich dagegen, <strong>mit</strong> allen Gesetzen, die man nur finden kann. Man kann <strong>mit</strong> diesen Leuten<br />

kein Geld machen und deshalb will man die nicht in der Stadt.<br />

F: Ist es wichtig, einen Fürsprecherkreis zu haben?<br />

A: Klar. Ohne den hätten wir es auch nur schwer geschafft.<br />

F: Wie setzt sich der zusammen?<br />

A: Leute aus den unterschiedlichsten Institutionen. Gemeinderäte, die ganz klar auf unserer<br />

Seite stehen, Professoren an Unis, Leute von Firmen, einfach Leute, die in diesen<br />

Gesellschaftskreisen mehr zu sagen haben und die sich einmischen. Und sagen; he, so könnt<br />

ihr das nicht machen. Wenn diese Leute etwas sagen, dann ist die Stadt doch meist recht<br />

schnell in einem Rechtfertigungszwang. Die Leute braucht man.<br />

F: Gibt es staatliche Förderungs<strong>mit</strong>tel für diese Wohnform?<br />

151


➣ 6.2.4<br />

A: So was wie Geld? Ich denke, das ist gar nicht nötig. Das wollen wir ja gar nicht. Wir<br />

wollen autonom sein. Und sobald da jemand Geld reinspeist, hat der ja auch ein<br />

Mitspracherecht und das wollen wir ja auch gar nicht. Wir wollen das für uns entscheiden.<br />

F: Ich dachte da auch an Solarpaneel und solche Sachen, wo man staatliche Fördergelder<br />

beantragen kann, um sich das Dach vom Häuschen zuzupflastern.<br />

A: Wäre mal interessant, da einen Antrag zu stellen (lachen). Müsste man eigentlich echt mal<br />

machen.<br />

F: Wie oft bemerkst du, dass du in keinem Haus wohnst?<br />

A: Schon ab und zu. Naja, es gibt schon gewisse Sachen, die angenehm sind in einem Haus.<br />

So was wie ne eigene Dusche, Waschmaschine. Aber ich wollte es nicht wieder tauschen. Ich<br />

bin voll glücklich. Klar, wenn du manchmal nach Hause kommst, und du musst erstmal<br />

wieder die Heizung anmachen, oder vom Platz her, meine Turntables kann ich so gut wie nie<br />

hier aufbauen, weil dann einfach alles komplett belegt ist, dann kann ich nichts mehr anderes<br />

machen, und ich kann sie vor allem auch nicht stehen lassen, wenn ich was essen will. Der<br />

Platz ist manchmal so ein bisschen das Ding.<br />

F: Was waren denn die Gründe, im Wagen zu leben?<br />

A: Was waren die Gründe? Haha. (2) Ist eigentlich auch ganz witzig. Als ich nach Freiburg<br />

gekommen bin, zwei Monate später war mein Bruder hier, und wir hatten zusammen eine<br />

Freundin besucht, die auch auf der Wagenburg gewohnt hat. Und ich dachte damals; Alter,<br />

das ist ja so dreckig hier, das könnte ich nie so. Das weiß ich noch ganz genau, als ich das<br />

damals so gesagt und gedacht hab. Und es hat anderthalb Jahre gedauert, dann hab ich selber<br />

im Wagen gewohnt (lachen). Und davon ein Jahr suchen nach einem Auto. Gründe sind<br />

verschieden. Mir hat das halt gefallen. Ich habe so nach und nach Leute kennen gelernt von<br />

der Wagenburg und mir hat das gefallen, die Stimmung da, dass die Leute im Wagen wohnen,<br />

viel draußen sein, das Leben in Eigenregie führen können. (2) Ja, es ist einfach nett mobil zu<br />

sein, klar, es ist auch ne Alternative zu Miete zahlen. Es ist der Hammer, was man an Miete<br />

rausschmeißt. Die Hälfte was man arbeitet, bezahlt man an Miete heutzutage. Total krank.<br />

Worum denn, wofür denn? So gibt es die verschiedensten Gründe. Es gibt da Menschen, die<br />

eher links orientiert sind. Das ist auch meine Lebensform, meine politische Einstellung. Da<br />

man ja automatisch <strong>mit</strong> dem Wagen auf <strong>einer</strong> Wagenburg wohnt, und da dann auch viele<br />

Leute <strong>mit</strong> dieser Einstellung sind, ist das auch ein ganz angenehmer Nebeneffekt, es bedingt<br />

sich nebenbei, Leute, die ähnlich denken, in die selbe Richtung denken. Und man <strong>mit</strong> denen<br />

auch Sachen ausprobieren kann.<br />

F: Die Polizei als Exekutive führt ja nur Sachen aus, ist das Feindbild Polizei dann nicht total<br />

falsch?<br />

A: Ja, natürlich ist das total falsch. Aber, es sind nun mal diejenigen, die zu einem kommen<br />

und sagen, du darfst das hier nicht. Politiker kommen ja nicht vorbei. Die gehen ja nicht<br />

irgendwo hin und fragen: Was ist denn hier los? Das finde ich, ist das allerkränkste. Wofür<br />

gibt es denn Politiker, da<strong>mit</strong> sie nur den Haushalt da oben einwenig organisieren. Aber was da<br />

unten auf der Straße abgeht, das interessiert sie nicht. Was wäre das für ein cooles Bild, wenn<br />

der Salomon einfach mal losgehen würde und zu den Straßenpunks hingehen würde und<br />

sagen: He, sag mal, was ist denn hier jetzt los? Wie können wir das denn regeln? Was habt ihr<br />

für Vorschläge, ihr hört mich an und ich hör euch an. (2) Was wäre das für ein Bild. Aber das<br />

152


➣ 6.2.4<br />

passiert halt nicht und dann müssen die Bullen halt antanzen. Da<strong>mit</strong> macht man Politik. Dann<br />

kommen 400 Bullen, die sollen räumen und dann gibt es Stimmen; eh, muss das denn soviel<br />

kosten. Die Polizei ist dann der Ver<strong>mit</strong>tler. Sie tragen die Message weiter. Wir bewerfen die<br />

<strong>mit</strong> Farbbomben und die wissen dann, okay, die mögen uns nicht. Das tragen die dann wieder<br />

zurück und die Stadt sagt dann, ja ihr müsst die jetzt aber räumen und dann kommen sie<br />

wieder hin und kommen wieder (2). Es gab ja lange den Hager hier, und vor solchen<br />

Aktionen ist der immer direkt alleine, oder <strong>mit</strong> einem Kollegen, in die Wagenburg rein. Hat<br />

gesagt: Okay, jetzt haben wir hier ein Problem, ich muss euch räumen. Ihr wollt nicht<br />

geräumt werden. Können wir irgendwas aushandeln. Der hatte auch keine Angst, dass er eins<br />

auf die Mütze kriegt, weil dem k<strong>einer</strong> eins auf die Mütze gehauen hat. Weil klar war, wenn du<br />

<strong>mit</strong> ihm redest und er etwas sagt, dann kannst du dich darauf verlassen. Wenn er sagt, ihr<br />

werdet bis morgen Abend nicht geräumt, dann werdet ihr bis morgen Abend nicht geräumt.<br />

Darauf ist Verlass. (1) Das ist eben ne komplett andere Polizeistrategie, da hat sich nie<br />

jemand <strong>mit</strong> den Bullen angelegt. (2) Er ist in Pension. Jetzt ist es ne ganz andere Polizeilinie.<br />

F: Was ist der Unterschied zwischen <strong>einer</strong> angemeldeten und <strong>einer</strong> unangemeldeten<br />

Demonstration?<br />

A: (lachen) Das ist reine Formsache. Generell ist es einfach nicht in Ordnung, dass Leute ihre<br />

Meinung frei äußern wollen und sie es anmelden müssen, um dann einen Brief zurück zu<br />

bekommen, das dürft ihr nicht <strong>mit</strong>nehmen, das dürft ihr nicht anziehen, das ist sowieso<br />

verboten und das wollen wir auch nicht. Da ist meine Meinungsfreiheit schon wieder<br />

eingeschränkt. Keine Schminke ins Gesicht, keine Autos, keine Lautsprecher. In Karsruhe<br />

hatten sie eine Demo im Januar angemeldet, worauf es hieß, ihr dürft nicht <strong>mit</strong> Mützen und<br />

Schal kommen. (2) Wenn du ein Demonstration anmeldest, brauchst du einen<br />

Veranstaltungsleiter und der ist für die gesamte Demonstration verantwortlich, das heißt,<br />

wenn Philip und Peter sich von nem Bullen geärgert fühlen und dem eins auf die Mütze<br />

hauen, bekomm ich den Ärger. Weil ich die Demo angemeldet hab. (2) Bei <strong>einer</strong><br />

Straßenpunkdemo, war ja das Lustige, sie hatten mich rausgerufen. Ja, Brinkmann, jetzt<br />

müssen wir aber irgendwas machen, wir brauchen jemand, der das anmeldet. Dann hab ich<br />

gesagt, nö, ich machs nicht, das spricht gegen meine politische Einstellung. Ja, aber wir<br />

brauchen irgend jemand. Können das auch mehr sein, vier, fünf oder sieben? Ja, geht. Okay,<br />

dann melden jetzt alle, die hier dabei sind, die Demo an. Nö, nö, nö. Das geht aber auch nicht.<br />

(3) Der Konsens Prinzip ist bei denen noch nicht angekommen. Unangemeldete Demos haben<br />

sich in Freiburg einfach als Tradition herausgestellt oder es ist einfach Tradition geworden,<br />

dass man keine Demo anmeldet. Weil wir diese Strukturen einfach nicht akzeptieren wollen.<br />

(2) Der Weg wird ewig <strong>mit</strong> dir abgesprochen, wo du langfahren darfst, und ich will doch<br />

dahin gehen, wo ich meine, dass ich da meine Meinung äußern will. Dann will ich das vor<br />

dem Bahnhof, vor dem Konzerthaus, auf dem Bertholdsbrunnen, so dass es auch alle Leute<br />

<strong>mit</strong>bekommen. Und will nicht einmal um die Stadt herum geführt werden, wo es k<strong>einer</strong><br />

<strong>mit</strong>kriegt.<br />

F: Wird man aus gewissen Stadträumen ausgeschlossen bei <strong>einer</strong> Demo?<br />

A: Team -Grün würde es nie genehmigen, am Münster vorbei zu ziehen. Das gab es noch nie.<br />

F: Hast du den Eindruck, dass es am Rand der Stadt hier ist?<br />

A: Ja, absolut. Und, dass die Stadt das so will. Jetzt haben sie uns hier absolut ins Ghetto<br />

gesteckt. Hier ist ja absolut nichts. Hier kriegen das fünf Hansels -, die den falschen Weg zum<br />

Möbelbraun nehmen, die kriegen das <strong>mit</strong> und die LKW-Fahrer, die Möbelbraun beliefern, die<br />

153


➣ 6.2.5<br />

kriegen das <strong>mit</strong>, ansonsten kriegt das hier k<strong>einer</strong> <strong>mit</strong>. Und genau das wollten sie auch. Das<br />

Ganze möglichst ungesehen.<br />

[Frau aus dem Gästewagen kommt herein, setzt sich und bleibt]<br />

F: Siehst du eine Verbindung zu den Sinti und Roma?<br />

A: Bedingt. Bei denen ist das wahrscheinlich mehr kulturell bedingt. Ich weiß jetzt nicht, wie<br />

die Sinti und Roma den Gedanken Freiheit definieren. Aber, dass sie halt rumziehen und im<br />

Wagen wohnen, klar, da ist schon ne Ähnlichkeit, aber ansonsten, weiß ich nicht. Sinti und<br />

Roma machen auch viel Straßenkunst oder Handel, da sind vielleicht schon Ähnlichkeiten.<br />

Da gibt es auch hier ein paar, die Schmuck auf Festivals verkaufen. Ansonsten gibt es, glaube<br />

ich, nicht so viele Ähnlichkeiten, außer, dass sie in Deutschland auch vertrieben werden wie<br />

wir oder es zumindest versucht wird.<br />

F: Wie siehst du die Zukunft dieser Wohnform?<br />

A: Ich denke, es werden immer mehr werden. Es sei denn, es werden immer krassere<br />

Repressionen aufgefahren, so dass es nicht mehr haltbar ist. Auf der einen Seite wird es<br />

bestimmt mehr, weil es immer mehr Leute gibt, die nicht mehr soviel verdienen, die nicht<br />

mehr ihre Miete bezahlen können und deshalb in den Wagen ziehen. Auf der anderen Seite ist<br />

der Rechtsstaat ja wieder fleißig dabei, dies einzuschränken. Ab gewissen Wohnmobilgrößen<br />

musst du jetzt so und soviel mehr zahlen. Ab 2008 ist es schwieriger, einen LKW-<br />

Führerschein zu machen. Ich denke, das Leben im Wagen wird immer mehr werden. Man<br />

weiß es nicht.<br />

F: Was liegt dir noch am Herzen?<br />

A: Man sollte endlich sehen, dass es auch anders geht und es auch einmal akzeptieren.<br />

6.2.5 Waldmenschen: Karlheinz, Pitt und Diddi<br />

F: Wie oft bemerkst du, dass du in keinem Haus wohnst?<br />

K: Eigentlich jeden Tag. (2) Ich merk jeden Tag, dass ich in keinem Haus wohn. Weil ich am<br />

Morgen aufstehen kann und hab meine Ruhe, ich werd nicht angeblökt, ich bin zufrieden, ich<br />

steh auf, mach meinen Kaffee selber und werd nicht angemotzt von der Nachbarschaft oder<br />

so. Ich hab einfach meine Ruhe. Ich merk es also jeden Tag.<br />

F: Ist das hier eine Wagenburg?<br />

K: Es ist ne Wagenburg. Es ist ne legale Wagenburg, aber nicht betreut von der Stadt, sondern<br />

einfach nur geduldet vom Land.<br />

F: Seit wann gibt es die Wagenburg hier?<br />

K: Seit circa knapp drei Jahren.<br />

154


F: Wieso entstand die Wagenburg an diesem Platz?<br />

➣ 6.2.5<br />

K: Das Wieso ist eigentlich ganz einfach. Die Frage ist eigentlich überflüssig. Weil die Leute<br />

auf die Straße fliegen, sei es durch Scheidung, sei es durch Arbeitsverlust und fliegen auf die<br />

Straße, und kriegen dort keine Möglichkeiten und suchen sich dann halt Alternativen. Und<br />

dann möchte ich jetzt den Diddi bitten, hier weiter zu sprechen, wie er zu so nem Ding<br />

(Wohnwagen) hier kommt.<br />

D: Ich war <strong>einer</strong> von den ersten hier. Ich hatte einen grünen Wohnwagen, da<strong>mit</strong> stand ich<br />

zuerst auf dem Parkplatz da oben. Dann kamen die Zigeuner und als die dann gingen musste<br />

ich dann auch gehen. Ich wäre weggeräumt gewesen. Und dann kam ich hier her. Hier war<br />

alles zugewachsen, es gab noch ne Hütte von den Franzosen und dann bin ich zwangsweise<br />

hier herein gezogen. Vor die Hütte. (2) Dann war ich nicht mehr auf Stadtgelände, sondern<br />

auf Bundeseigentumsgelände, also das gehört jedem.<br />

K: Und so haben wir eine Duldung bekommen. So haben wir einfach ne Chance gekriegt. Das<br />

sind nun knappe drei Jahre. Und es funktioniert. Wir haben uns irgendwie gefunden. Wir<br />

mussten - , einem haben sie auch mal die Hütte angebrannt, auch mal räumen. Inzwischen ist<br />

es eigentlich ne Gemeinschaft. (2). Es ist eigentlich was, das es so in ganz Freiburg nicht gibt.<br />

Und deshalb werden wir jetzt auch wieder - , denke ich, mal wieder ne Ersatz kriegen, wenn<br />

es auch nicht in dieser Form ist. Ohne Betreuung, ohne alles. Wir hatten bewiesen, dass das<br />

funktioniert. Dass nicht irgendein Hansele, der überhaupt nicht weiss was Obdachlosigkeit ist,<br />

hier zu bestimmen hat. Und das ist uns ganz wichtig. Denn ich sag mir immer: In jedem<br />

Beruf musst du ein Praktikum machen vor Ort, dann sollen bitte solche Leute, die über solche<br />

Sachen entscheiden, bitte Praktikum machen über den Winter bei uns hier. Dann kann er<br />

<strong>mit</strong>reden. (2) Das ist einfach meine persönliche Einstellung. Ich weiß nicht wie die andern<br />

denken. Er da hinten denkt gar nichts, aber Ruhe jetzt. Wir sind auch guter Hoffnung. Hier ist<br />

verkauft. Wir müssen gehen. Durch den milden Winter sind die jetzt zwei Monate früher<br />

gekommen. Also wollen sie uns hier kurzfristig raus haben. Wir haben schon mal ein paar<br />

Tage Verlängerung bekommen und auch das Versprechen, dass für uns was geht. Denn wir<br />

sind ja auch nicht mehr die jüngste Wagenburg. (2) Wenn du mir jetzt sagst, ich soll es<br />

vergleichen <strong>mit</strong> Biohum oder Eselswinkel. Das geht nicht. Es ist was anderes.<br />

F: Warum ist es was anderes?<br />

K: Weil wir sind sechs Leute, wir setzen uns zusammen, wir entscheiden, es gibt hier<br />

Diskussionen noch und nöcher, aber es wird entschieden und am nächsten Tag wird das<br />

gemacht, was die Mehrheit entschieden hat. Und da brauchen wir nicht a Hansel, so ein<br />

Sesselfurzer ,wo da entscheidet, also Sesselfurzer musst du nicht schreiben. Aber es ist so.<br />

F: Wann müsst ihr von dem Gelände hier gehen?<br />

K: Am 11 Februar. Aber wir sind davon ausgegangen, nach ner mündlichen Zusage, Ende<br />

März, Ende April. Durch das milde Klima können die jetzt aber früher anfangen. Dadurch ist<br />

das Ganze jetzt überraschend gekommen und dann müssen wir jetzt gucken, was wir machen<br />

können. Das Ganze haben wir erfahren vor vier Tagen (25. Januar). Selbst wenn wir einen<br />

neuen Platz hätten, wär das nicht machbar. Weil hier muss alles abgebaut, muss alles<br />

rausgefahren werden. Das geht ja gar nicht mehr. Wir haben nicht mal Zugmaschinen. Hier ist<br />

der Schrieb. Wobei danach am Ersten wäre (1. Februar). Und zwar genau in sechs Tagen.<br />

155


F: Hier steht im Briefkopf aber 19. Januar?<br />

➣ 6.2.5<br />

K: Ja, da war der Brief aber nicht hier. Der Mann kam persönlich vorbei. Er kann uns ja auch<br />

nicht anschreiben, wir haben hier ja keine Adresse (2).<br />

P: Aber er hat es selber gemacht. Er hat sich getraut. Normalerweise schick er einen Lakaien.<br />

Die Polizei.<br />

K: Hier steht, dass Anfang 2007 festgelegt war seit längerem?<br />

K: Ja, offiziell. Ende März, April war ausgemacht, aber das können wir nicht nachweisen, da<br />

wird ja nichts schriftlich gemacht. Ist immer mündlich, ist ja logisch. Sie können jetzt halt<br />

einfach früher anfangen. Der Kleine wird gefressen.<br />

F: Wurde eine Alternative ausgewiesen?<br />

K: Da sind wir dran. Es ist, kann ich des jetzt sagen? Ja , das kann ich sagen, es gibt ne<br />

mündliche Zusage, von <strong>einer</strong> Frau, Name kann ich dir nicht sagen. Wir fallen nicht in die<br />

Obdachlosigkeit und nicht ins betreute Wohnen. Und da ist morgen eine Stadtratsitzung. Wir<br />

sind gemeinsam losgezogen, wie sich das halt für ne Gruppe gehört und haben uns drum<br />

gekümmert. Ich bin recht optimistisch. Mittwoch kann ich mehr sagen.<br />

F: Bis jetzt hat die Stadt ...<br />

K: Nein, das ist ja nicht die Stadt, das ist das Land. Nur wir sind Freibürger (2), Freiburger.<br />

Das heißt, wenn es hier nicht klappt, dann fall ich wieder an die Stadt. Deshalb geh ich gleich<br />

zur Stadt. (2) Wir akzeptieren keine Notunterkunft, wir akzeptieren kein betreutes Wohnen,<br />

wir akzeptieren keine zum Abbruch freigegeben Häuser, dass wir nach nem viertel Jahr schon<br />

wieder das Theater haben.<br />

D: Das Ziehen muss ein Ende haben.<br />

K: Und ich bin der Meinung, dass es ganz einfach unser Recht ist. Und dass es auch gesehen<br />

wurde, aber was schlussendlich dabei heraus kommt, weiß ich noch nicht. Es geht schon mal<br />

in die Stadtratsitzung und das ist schon mal ganz wichtig. (3) Ich möchte noch ganz kurz dazu<br />

erwähnen, das kannst du nicht wissen. Wir haben innerhalb der letzten zweieinhalb Monate<br />

die ganze Hütte hier aufgebaut, weil wir davon ausgegangen sind, nach nem mündlichen<br />

Versprechen, bis April, soweit ging unser Denken. Wir haben Geld reingesteckt, wir haben<br />

über den Winter einen trockenen Ast, können hier kochen. Und das wäre jetzt Geld, wir sind<br />

alle Hartz-Vier Empfänger, das können wir jetzt nicht mehr <strong>mit</strong>nehmen. Alles hier ist gebaut<br />

von uns.<br />

F: Strom, hab ich gesehen, kommt aus dem Aggregat, wo kommt das Wasser her?<br />

P: Erinnert mich nicht ans Wasser.<br />

K: Du musst Wasser holen (lachen). An der Tankstelle, neben dran, beim Haus Gabriel.<br />

F: Da habt ihr ne Abmachung?<br />

156


➣ 6.2.5<br />

K: Ich hab Durst, und wenn ein Mensch Durst hat darf er trinken. Und wenn er fünf Flaschen<br />

trinkt.<br />

F: Was wäre die schlechteste Lösung am zehnten Februar?<br />

K: Straße.<br />

P: Okay gut, wir kennen alle Leute wo wir kurz unterkommen können, aber du hast keine<br />

Intimsphäre, du kannst dich nicht entfalten, du hast nie dein eigenes, du kannst nicht kochen<br />

was du willst, und du musst dich nach allem stellen, was der oder diejenige verlangt. Das<br />

kanns nicht sein.<br />

K: Also, wenn am zehnten nichts kommt. Dann werd ich vorm Rathaus stehn.<br />

P: Ich leg mich auch hin.<br />

K: Mit Schlafsack und allem. Und wenn sie sagen, ich soll gehn, dann lauf ich ne Runde über<br />

den Kartoffelmarkt und leg mich wieder hin. Ich bin am zehnten gegangen, ich halt mich an<br />

die Regeln.<br />

F: Welche Freiheiten hat man denn hier?<br />

K: Alle. Wir haben alle, aber nichts.<br />

P: Man hat hier alles und nichts. Wir haben den Platz hier, den Platz des himmlischen<br />

Friedens genannt. Wir schlagen uns hier nicht. Man hat Zeiten, wo man sich anhasst, aber<br />

ansonsten. Die sollen uns einfach ne Form zum Leben geben, wo man in Würde sterben kann.<br />

F: (4) Muss man gegen Vorurteile ankämpfen, wenn man in <strong>einer</strong> Wagenburg lebt?<br />

K: Wir sind ja eigentlich nicht ne Wagenburg im eigentlichen Sinn. Der Eselswinkel, das is<br />

ne Wagenburg. Da gibt es Oberdorf, Unterdorf. Die Leute werden willkürlich<br />

zusammengesteckt. Einer von der Stadt sagt, und jetzt kommt der da hin, obwohl er gar nicht<br />

passt. Oberdorf, Unterdorf und zwischendurch noch ein paar Punks. Kann einfach nicht<br />

funktionieren. Und genau das wollten wir vermeiden. Wir sind auch nicht alle dicke Freunde,<br />

aber wir respektieren uns schlussendlich, und wenn’s eng wird, hängen wir zusammen. (3)<br />

Weißt du wie betreutes Wohnen vor sich geht?<br />

F: Ne.<br />

K: Dann will ich es dir erklären: (2) Wir nehmen jetzt Haus Gabriel da vorn. Kannst du rein.<br />

Wir haben viele freie Zimmer, schöne Zimmer. Gibt’s um siebene Frühstück. Nur du<br />

bekommst kein Geld mehr. Du bekommst pro Woche zweimal 15 Euro Taschengeld. Die<br />

nehmen dir das Geld. Jetzt, kannst du natürlich sagen, okay, ich brauch ja nichts zu essen<br />

kaufen, du hast ja ne Wohnung, nur Quatsch, wie willst du da wieder heraus kommen, wenn<br />

du nichts auf die Seite tun kannsch. Geht ja nicht.<br />

F: Ist das Leben hier sehr kostengünstig?<br />

K: Ne, weil wenn wir ne Wohnung nehmen würden, würden wir das ja bezahlt bekommen.<br />

Nur es gibt keine. Es gibt keine Wohnung wenn du zu nem Vermieter kommst und sagst du<br />

157


➣ 6.2.5<br />

bis ALG Empfänger. Für mich unverständlich, denn es wär ne sichere Miete für den<br />

Vermieter, nur die haben das nicht gemerkt.<br />

F: Gibt es irgendeinen Zuschuss für das Wohnen hier?<br />

K: Nein. Brennstoffbeihilfe, die ist einmalig. Sonst gar nichts.<br />

D: Aber es ist kostengünstiger als eine Wohnung im Endeffekt. Wir haben Spritkosten von<br />

sieben Euro am Tag zusammen. Ein Euro pro Person. Essen bekommen wir zum Teil<br />

geschenkt von Marktleuten und so. Wir bezahlen alles von Hartz-Vier Geld. Also pro Nase<br />

dreihundertzweiundvierzig, neunzig.<br />

F: Habt ihr schon mal ne Räumung <strong>mit</strong>machen müssen? Wie ist sowas?<br />

P: Hardcore.<br />

K: Brutal, rücksichtslos gehen die vor, machen die Wägen kaputt und später kriegst du noch<br />

ne Rechnung. (2) Ich sag so, wenn die hier kommen, dann geb ich einfach auf. Was wollen<br />

wir <strong>mit</strong> sechs Leut ,wenn die ne Hundertschaft auffahren. Ich würde ihnen vielleicht noch<br />

vorn im Auto die Luft raus lassen, aber das kost ja auch noch Geld. Die kommen dann von<br />

Göppingen <strong>mit</strong> dem Schlagstock. Es ist nicht so, dass du da raus getragen wirst. Da gibts<br />

erstmal Schlagstock. Sie machen die Bauwägen zu Schrott. Du musst den Transport noch<br />

bezahlen und du kannst überhaupt nichts machen.<br />

F: Wie hat sich die Gruppe zusammen gefunden?<br />

K: Ich kenn alle eigentlich schon über Jahre hinweg. Und dann bin ich auch obdachlos<br />

geworden. Kein Problem, kommst <strong>mit</strong>. Aber ansonsten halt nach und nach. Wir hatten aber<br />

auch schon andere Leute hier, wo wir beten mussten, dass sie wieder gehen. Wir hatten auch<br />

mal ein Mädchen aufnehmen wollen, aber das war ja totale Scheiße. Weil Schnaps, hundert<br />

Polskis kommen dann, um sie zu besuchen. Dann haben wir halt gesagt, tut uns leid. Aber wir<br />

haben solang gewartet, bis sie was anderes hat. Generell haben wir hier eigentlich die Regel,<br />

kein Schnaps. Bier, Wein, Jägermeister, okay. Es gibt schon mal Ausnahmen, dass man einen<br />

trinkt, aber nicht jeden Tag. Und wir essen hier jeden Tag warm.<br />

F: (3)<br />

K: Was ich dir jetzt mal abschließend sagen will, Patrick. Unser Wunsch ist einfach der: Wir<br />

wollen zusammen bleiben, wir wollen in der Gruppe bleiben. Bis auf den verrückten XXX, der<br />

will ja alleine gehen. Wir wollen in der Gruppe zusammen bleiben und in ähnlicher Form<br />

weiterleben. Wir nehmen auch ne Hütte. Die kann renovationsbedürftig sein. Kein Problem.<br />

Wenn wir jetzt ein Grundstück kriegen, dann haben wir en Problem, denn dann müssen wir<br />

ein Zelt aufbauen, aber das gibts beim Roten Kreuz für ein paar Euro. Also, was anderes<br />

kommt für uns eigentlich nicht in Frag, wir wollen zusammenbleiben, <strong>mit</strong> unseren Problemen,<br />

<strong>mit</strong> unseren Meinungsverschiedenheiten, und dann funktionierts. Wir werden ganz sicher<br />

nicht in ne Wohnung gehen, in betreutes Wohnen gehen, oder betreute Wagenburgen gehen.<br />

Denn das gibt dann wieder ne extra Parzelle, wenn sie jetzt sagen Eselswinkel, dann müssen<br />

sie ne extra Parzelle für uns machen. Es funktioniert ja anders nicht. Dann fängst ja schon<br />

wieder an.<br />

F: Habt ihr den Eindruck, dass es hier am Stadtrand ist?<br />

158


K: Hier?. (2) Nö.<br />

P: Ich bin in 10 Minuten in der Stadt <strong>mit</strong> dem Fahrrad.<br />

➣ 6.2.5<br />

K: Also, wir haben eigentlich bis auf Sonn- und Feiertage ne gute Verbindung. Eigentlich<br />

läuft hier mehr als im Zentrum. Wir haben da vorn die Mess, wir haben den Autohof. Und<br />

überall Einkaufsläden.<br />

F: Was fehlt hier?<br />

P: Nichts.<br />

K: Doch. (2) So zwei oder drei Jahre Verlängerung (lachen).<br />

F: Von der Infrastuktur her?<br />

K: Mir fehlt das Verständnis, dass das hier verkauft wird, dass hier ne Möbelladen herkommt,<br />

obwohl daneben schon zwei sind. Kann ich geistig nicht folgen.<br />

P: Es wird überhaupt nicht gefragt, ob der Specht dann hier noch lebt. Oder auch die Ratten.<br />

Ich bin kein Ökofreak, auf kein Fall, ich schmeiß auch mal mein Müll einfach hin.<br />

K: Seit zwei Jahren haben wir hier ein Spechtehepaar, das ist so was von schön. So was<br />

Natur.<br />

P: Da ist soviel Veränderung. Schau dir Mexiko-City an. 30 Millionen und kein Grün. Aber<br />

ich wills nochmal betonen: ich bin kein Ökofreak.<br />

F: Also, man hat doch das Gefühl, dass man hier in der Natur wohnt?<br />

P: Ja klar.<br />

K: Unbedingt. Unbedingt. Ich hab schon <strong>mit</strong> den Tieren geschwätzt. Die haben mir zugehört.<br />

Aber die haben mir keine Antwort geben (lachen). Die kommen bis auf nen halben Meter an<br />

dich ran. (3) Was mich auch ärgert, zu unserer eigenen Sicherheit, weil hier jetzt<br />

Baufahrzeuge kommen, müssen wir jetzt gehn. Verdammt noch mal. Hier waren Stürme und<br />

die Bäume hat es umgeknickt, da hat sich k<strong>einer</strong> Sorgen gemacht um unsere Sicherheit.<br />

F: Der Boden ist auch belastet. War das jemals ein Problem?<br />

K: Für mich nicht. Ich bin ja auch belastet. Und wenn sie nun so auf unsere Sicherheit<br />

bedacht sind. Wieso lassen sie uns denn dann da drei Jahre lang. Büüdüüdie Büd. Welcher<br />

Bandit hat meinen Sangria wieder leer gesoffen? (lachen)<br />

F: Was liegt noch am Herzen zu der Sache?<br />

K: Auch ein Politiker kann Menschlichkeit zeigen. Für mich ist ganz klar, wenn sie uns<br />

hängen lassen, dann werde ich Platte machen vor dem Rathaus, dann können sie mich holen,<br />

dann können sie mich wegbringen. Dann lieg ich wieder hin. Mit Zeitung, <strong>mit</strong> Fernseher, <strong>mit</strong><br />

allem.<br />

159


➣ 6.2.5<br />

160


6.2.6 Punkstadt: Joe<br />

F: Wie oft bemerkst du, dass du in keinem Haus wohnst?<br />

➣ 6.2.6<br />

J: Ja klar, jeden Tag. Morgens, <strong>mit</strong>tags, abends. Hier kann ich meine Hunde direkt aus dem<br />

Wagen raus laufen lassen.<br />

F: Ist es bewusst gewählt, um nicht im Haus zu wohnen?<br />

J: Ja, die ganzen Häuser, die ganzen Betonklötze die rumstehen, da hab ich kein Bock drauf.<br />

Da hast du dann immer deine Nachbarn, <strong>mit</strong> denen du Stress hast oder irgendein Vermieter<br />

stresst, der dir sagt was du zu tun oder zu lassen hast. Und hier tut man eben selbst seine<br />

Regeln bestimmen <strong>mit</strong> seinen Leuten. Hier kann man sich absprechen und man hat nicht den<br />

Zwang von oben. Du zahlst deine Miete jeden Monat so und so viel Euro, Nebenkosten. Hier<br />

ist es um einiges leichter, du lebst draußen, bist in der Natur. Das ist, auch gerade wenn man<br />

Hunde hat, besser als ein Haus oder sonst was.<br />

F: Was wäre ne Alternative zum Wagen?<br />

J: Nichts. Alle hier. Wir haben ja über den Winter in nem Haus gewohnt, nach unserem<br />

letzten Wagenplatz. Also mir ist ne Wagenplatz lieber. Ich hab keinen Bock mehr in ein Haus<br />

zu ziehen oder sonst wo hinzuziehen.<br />

F: Wieso ist die Wagenburg gerade hier entstanden?<br />

J: Also, wir waren hier schon mal, vorletztes Jahr. Das Gelände hier steht seit Jahren leer.<br />

Alles zugewuchert. Daraufhin haben wir gesagt, hier ist nichts, hier passiert nichts, also<br />

können wir hier unsere Wagenburg drauf setzten, weil es braucht eh k<strong>einer</strong>. Deshalb haben<br />

wir den Platz hier gewählt. Und letztes Jahr wurden wir eben schon einmal geräumt hier. Sind<br />

in ein Haus umgezogen, wo wir dann auch wieder geräumt wurden. Und haben dann das<br />

Ponyhofgelände besetzt, was für uns eigentlich eines der idealsten Gelände war. Was dann<br />

aber auch wieder geräumt wurde. In ner ewigen Action. Für acht Bewohner 100 BFE-Bullen<br />

im Einsatz. [Beweissicherungs-Festnahme-Einheiten]. Komplett in schwarz gekleidet,<br />

Körperpanzerung, Knarren, alles, und pi pa po.<br />

F: Weißt du, was der Einsatz gekostet hat?<br />

J: 20 000 Euro.<br />

F: Empfindest du es hier als eine Art Ghettoisierung?<br />

J: Ghettoisierung würde ich nicht sagen, nicht unbedingt. Man will die Leute halt aus der<br />

Stadt haben. Dass man das nicht mehr <strong>mit</strong>bekommt. Das wollen vielen Leute. Ich denk mal,<br />

ich bin ganz froh hier draußen, hier stört uns k<strong>einer</strong> und hier stören wir keinen. Aber ich mein,<br />

du bist halt schon abgegrenzt von der Stadt und allem. Du kommst hier abends aus der<br />

Gegend nicht mehr weg, denn ab acht Uhr fährt hier kein öffentlicher Bus mehr. Es gibt<br />

keinen Straßenbahnanschluss von hier. Gar nichts. Aber vielleicht ist es auch gar nicht<br />

schlecht, wenn vier Wagenburgen in <strong>einer</strong> Straße sind, dann kann man sich gegenseitig auch<br />

helfen und solidarisieren, wenn es Ärger gibt.<br />

F: Hat sich von der Stadt her etwas geändert in den letzten Jahren?<br />

161


➣ 6.2.6<br />

J: Ja, in den letzten beiden Jahren schon. Einiges. Die Stadt wurde immer intoleranter<br />

gegenüber anders Denkenden. Früher hatten wir, auch grad in der Innenstadt, dass Leute auch<br />

eher geduldet waren. Heutzutage wirst du aus der Stadt nur noch verjagt. Wenn du irgendwo<br />

hockst, in ner größeren Gruppe. Und auch die Politik, seit wir den grünen Oberbürgermeister<br />

haben, ist auch richtig gegen anders denkende Leute, und alternativ lebende Menschen<br />

ausgelegt worden. Er hat auch mal in ner Gemeinderatssitzung den Spruch losgelassen, wo es<br />

um unsere Platzräumung ging, dass man für solche Leute doch die Seuchenpolizei schicken<br />

sollte. Und das von nem grünen Oberbürgermeister. Und er hatte ja auch mal gesagt, grüne<br />

Politik heißt nicht direkt auch linke und soziale Politik, das heißt Umweltpolitik. Und seit er<br />

da ist, ist einiges vieles schlimmer geworden. Und auch gerade das Vorgehen der Polizei<br />

gegenüber Wagenbewohner, Obdachlose, sonstige Leute, die auf der Straße sind oder anders<br />

leben, wird auch immer brutaler.<br />

F: Wie sieht es aus, wenn man in der Innenstadt sein möchte?<br />

J: Wenn man <strong>mit</strong> drei, vier Leuten an einem Platz steht, ne Decke für die Hunde ausgebreitet<br />

hat oder sonst was, dann ist das illegales Lagern. Und das verstößt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit und Ordnung und gibt ne Anzeige. Und es gibt nen sofortigen Platzverweis. Es gibt<br />

auch mehrere Leute, die haben jetzt auch schon Innenstadtverbote direkt, die dürfen sich nur<br />

noch um das Nötigste zu besorgen in der Innenstadt aufhalten, wenn nicht, gibt es<br />

achtundvierzig Stunden Beseitigungsgewahrsam und ne erneute Anzeige und Bußgeld.<br />

F: Für wie lange ist so ein Innenstadtverbot ausgesprochen?<br />

J: Die sind meist für ein Jahr ausgesprochen.<br />

F: Stadtverbote gab es auch schon?<br />

J: Das gab es auch schon, Hauptsächlich bei DIY - Festival. Da ging es recht derbe ab,<br />

gerade <strong>mit</strong> Nicht - Freiburgern, oder Nicht - Deutschen; da wurde komplett für eine Woche<br />

verboten, das Stadtgebiet von Freiburg zu betreten. Das ist schon fast faschistoid. Da weiß ne<br />

Stadt genau, wie sie ihr Gewaltmonopol ausnutzen kann. Gegen die Leute, die dann<br />

Stadtverbot haben, wird nochmal richtig radikal vorgegangen. Aufs übelste geschlagen und<br />

geknüppelt. Was die Stadt hier gerade betreibt, das ist unter aller Sau. Jetzt ist der damalige<br />

Einsatzleiter auch noch in Ruhestand gegangen und der hatte früher eigentlich immer eher auf<br />

Deeskalation gesetzt, also kein Stress, da gab es bei den Demos eigentlich auch nie Ärger.<br />

Den haben sie aber vor zwei Jahren abgesägt, weil der nicht die baden-württembergische<br />

Linie gegenüber Leuten wie uns, vertreten würde. Und zu friedlich <strong>mit</strong> uns umgehen würde.<br />

F: Was wäre ein Ausweichplatz für hier?<br />

J: Es gibt keine Alternative. Die Stadt sagt direkt, wir werden keinen Wagenplatz bekommen.<br />

Sie werden uns räumen. Wir können ins Obdachlosenheim ziehen.<br />

F: Das ist die einzige Alternative, die von der Stadt vorgeschlagen wird?<br />

J: Ja, noch nicht einmal Obdachlosenunterkunft, sondern Notunterkunft.<br />

F: Was ist der Unterschied?<br />

162


➣ 6.2.6<br />

J: Du kannst abends ab sieben erst rein und musst morgens um sieben wieder raus. Tagsüber<br />

darfst du nicht rein. Aber Obdachlosenheim ist generell für uns nichts, wir sind ja nicht<br />

obdachlos, wir leben ja in Wägen. Ich weiß auch nicht, was in denen ihrem Kopf vorgeht.<br />

F: Wie geht eine Räumung vor sich? Wie muss man sich das vorstellen?<br />

J: Unsere letzte Räumung ging zum Beispiel so vor sich: Wir waren unvorbereitet. Morgens<br />

um halb sieben sind 100 Beamte aufmarschiert. Einer von uns war noch wach. Sie haben die<br />

Wohnwägen umstellt komplett. Haben den Platz abgeriegelt. Haben die Straßen abgeriegelt,<br />

dass also niemand an den Platz ran kam, von unseren Unterstützern oder der Presse. Oder<br />

auch nur in die Nähe. Daraufhin wurde uns eine Minute Zeit gegeben, die Türen sofort<br />

aufzumachen und raus zu kommen, woraufhin ner Bekannten von uns auch mal die Tür<br />

aufgemacht wurde und dem Hund der dann heraus kam, wurde dann sofort die Knarre vors<br />

Gesicht gehalten. Dann wollten sie den Hund noch abschießen. Mir drohten sie, dass sie die<br />

Tür aufbrechen, wenn ich nicht sofort die Tür aufmache. Eine Bekannte, die bei mir gepennt<br />

hatte, musste so<strong>mit</strong> <strong>mit</strong> den Unterhosen heraus, musste sich rausstellen. Die haben sich<br />

natürlich schön darüber lustig gemacht. Und dann ging es ab. Wir wurden jeweils von vier<br />

Beamten eskortiert vom Platz geführt. Einen Rucksack durften wir <strong>mit</strong> unserem Zeug packen<br />

und wurden dann vom Platz weggetrieben. Woraufhin die Stadt dann <strong>mit</strong> Müllmännern,<br />

Abschleppunternehmen und Gerichtsvollzieher unser Zeug verschrottet und abgeschleppt hat.<br />

Bauwägen und Wohnwagen wurden zum Teil an Ort und Stelle verschrottet. Teile unseres<br />

persönlichen Eigentums wurden in den Müll geworfen. Es gab dann aber auch keine<br />

Alternative. Worauf wir wieder unter der Brück wohnten.<br />

F: Kann man Einspruch hiergegen erheben?<br />

J: Wir haben Anzeige erstattet gegen die Polizei wegen Diebstahl und Sachbeschädigung,<br />

aber bisher ist noch nichts gekommen. Von den Bullen hören wir auch immer, macht doch<br />

Anzeige, die Richter stehen eh auf unserer Seite. Und man sieht es ja auch, in Baden-<br />

Württemberg sind in den letztem 5 Jahren zwei Polizeibeamte verklagt worden wegen solcher<br />

Geschichten. Alle anderen wurden freigesprochen.<br />

F: Ändert sich was, wenn man längere Zeit im Wagen lebt?<br />

J: (2) Weiß nicht, ob sich da was ändert. Die meisten von uns haben schon zig Jahre auf der<br />

Straße ohne Wagen gelebt. Man hat einfach sein Zuhause, das man immer dabei hat. Es gibt<br />

einem Rückhalt, wenn du weißt, du hast da was, wo du rein gehen kannst, wo du die Tür zu-<br />

machen kannst, bub aus, hast du deine Ruhe. Was sich da ändert weiß ich nicht. Wenn man<br />

auf einem Platz lebt, dann tut sich das Gemeinschaftsgefühl stärken. Wir leben hier<br />

sozialökonomisch, das heißt, wenn jemand was braucht, alle tragen die Kosten von allen,<br />

egal um was es geht, wenn jetzt jemand Gerichtskosten hat, dann bezahlt der, der mehr hat,<br />

wer halt was hat, der legt mehr rein, bei <strong>einer</strong> kleinen Gruppe wie wir das sind, geht das recht<br />

gut. Das was alle brauchen, wird auch von allen getragen.<br />

F: Würdest du sagen, dass es eine politische Gruppierung ist?<br />

J: Nö, wir sind Punks.<br />

F: Punk sein ist nicht politisch?<br />

163


➣ 6.2.6<br />

J: Ja, doch schon. Wir sind politisch geworden, wir kämpfen um Freiräume, wir solidarisieren<br />

uns <strong>mit</strong> andern Wagenplätzen und Projekten. Ich bin politisch, schon.<br />

F: Wie könnte man Punk definieren?<br />

J: Punk kannst du nicht definieren. Nicht definierbar. (3) Wir sind Straßenpunks.<br />

F: Wie hat sich die Gruppe zusammengefunden?<br />

J: Also wir kennen uns zum Teil schon länger, gerade durch das Leben auf der Straße. Wir<br />

hatten unter Brücken schon zusammen gewohnt. Wir kennen uns aus der Stadt. Es ist auch<br />

immer ein Wechsel. Die Gruppe, die jetzt aber hier ist, die ist schon länger als zwei, drei<br />

Jahre zusammen. Man kennt sich halt. Man kommt familiär <strong>mit</strong>einander klar. Wir kennen uns<br />

eigentlich alle von der Straße.<br />

F: Warum gibt es soviel Druck gegen die Wagenburgen?<br />

J: Ich glaube, die Stadt hat auch Angst davor, dass sich da auch ein politisches Spektrum<br />

bildet, das nicht nach der Pfeife gerade tanzt, so wie es der Staat gerade will. Leute, die sich<br />

selbst organisieren können und nicht immer unter staatlicher Obhut sind und kontrolliert<br />

werden. Und sich auch dagegen stellen können. Dass die Leute auch Freidenker sind und<br />

nicht durch Medien zugeschüttet. Nicht: du musst morgens zur Arbeit gehen, weil der Staat<br />

das so will, schön in die Rentenkasse einzahlen und <strong>mit</strong> vierundsechzig kriegst du dann deine<br />

Rente, und du musst ein Häuschen haben <strong>mit</strong> Garten.<br />

F: Liegt dir noch was am Herzen zu diesem Thema?<br />

J: Am Herzen. Ja klar. Es muss mehr Wagenburgen geben. Und man soll sich auf keinen Fall<br />

freie Räume erbetteln, sondern dafür kämpfen. Was anderes hilft nicht. Nicht kuschen,<br />

einfach Widerstand leisten.<br />

6.2.7 Urstrom: Uri<br />

F: Wie oft bemerkst du, dass du in keinem Haus wohnst?<br />

U: Wie oft ich merk, dass ich (lachen) gar nicht, ich hab den Vergleich zum Haus echt<br />

verloren. (lachen) Ne, das ist mein zuhause und da hab ich nie so das Bedürfnis, gut ich<br />

wollte schon einmal ein Haus kaufen, aber das ist irgendwie, nicht weil ich mir jetzt hier<br />

direkt ein Haus ersehne, sondern weil ich da mehr Platz und mehr Räumlichkeiten hätte. Das<br />

ist wohl der Grund.<br />

F: Was glaubst du, warum entstehen Wagenburgen in der Nähe von <strong>einer</strong> Stadt?<br />

U: Ich schätz mal, weil es in <strong>einer</strong> Stadt ein großes Bedürfnis gibt nach anders leben, nach<br />

draußen leben und trotzdem die Stadt nicht missen.<br />

F: Ein rein städtisches Phänomen?<br />

164


➣ 6.2.7<br />

U: So wie es hier existiert schon, wobei, es gibt auch einige Plätze auf dem Land, von Berlin<br />

weiß ich das zum Beispiel, dass da einige ins Wendtland gezogen sind, sich ein Haus gemietet<br />

haben <strong>mit</strong> einem Platz und nun da auch Wägen drumrum stehen. Also, wenn ich so überlege,<br />

dann würde ich das nicht unterschreiben, dass es nur ein städtisches Phänomen ist. In der<br />

Stadt fällt es einfach am meisten auf. Da gibt es einfach am meisten Ärger. Auf dem Land ist<br />

es manchmal cooler geregelt oder es ist gleich verboten, aber dann entsteht da auch keine<br />

Bewegung.<br />

F: Das ist ein gutes Stichwort. Ist es ursprünglich eine politische, eine ökologische oder<br />

überhaupt eine Bewegung gewesen?<br />

U: Wenn ich jetzt die Freiburger Anfänge anschaue, den Zweig Rieselfeld, der war gar nicht<br />

politisch, der war eher sozial. Dass die Leute einfach obdachlos waren, oder vielleicht in ner<br />

Wohnung gelebt haben, aber dass einfach das Gestalten des eigenen Lebensraums <strong>mit</strong> dem<br />

Wagen erst möglich war. Da gab es schon viele Obdachlose im Rieselfeld damals und bei<br />

uns im Lehen damals, klar, für mich persönlich war es etwa politisches und für viele andere<br />

auch, wir wollten der Wohnungssituation entgehen, nachdem die ganzen Häuser geräumt<br />

waren und war in ner gewissen Weise ein Ausweg aus der Geschichte, dass der Häuserkampf<br />

zu Ende war. Sowohl von der Stadt her, die massiv <strong>mit</strong> Repressionen gedroht hat und<br />

angewendet hat. Soforträumung, sobald besetzt war. Vorgefertigte Räumungsbescheide für<br />

die Vermieter und solche Sachen. Früher musste ja ein Vermieter immer erst ankündigen, hier<br />

bei mir ist ein Haus besetzt, ich erlaube zu räumen, denn es handelt sich ja um Eigentum, wo<br />

die Polizei ja nicht sofort einschreiten kann. Damals gab es dann aber Blanko-Bescheide für<br />

jedes leere Haus, die nur noch vom Vermieter unterschrieben werden mussten.<br />

Aber dann gab es auch noch ne Ökofraktion, die dann eben zum Teil in die Ölmühle ist und<br />

noch Leute, die einfach unterwegs waren.<br />

F: Der erste Freiburger Wagenplatz auf den Faulerwiesen, würdest du das unterschreiben?<br />

U: Mmmh, da waren die ersten Wägen damals, da war ein Abrissviertel, zuvor ein Autohaus,<br />

und dann sollte da neu gebaut werden, aber war dann ewig brach, weil die Häuser zum Teil<br />

unter Denkmalschutz auch standen, die Faulerhäuser. Und da waren dann Busse aus England<br />

mal da, dass weiß ich noch ganz genau. Auf diesem großen Platz, Fahrendes Volk sozusagen,<br />

<strong>mit</strong>ten in der Stadt. Und da kamen dann auch Leute dazu, die auch das Faulergebäude besetzt<br />

haben.<br />

F: Ist es eine ökologische Wohnform?<br />

U: Ja, schon. Auf jeden Fall. Allein ein Haus zu bauen ist ja schon Energieverschwendung<br />

(lachen). Nicht wirklich. Aber man bedenke nur mal den Energieverbrauch der nötig ist, um<br />

eine Baugrube auszuheben. Wo hingegen in so einem Bauwagen wenig Energie drin steckt,<br />

auch vom Wasserverbrauch her, vom Strom, den du ja eigentlich fast gar nicht benötigst. Man<br />

braucht eigentlich weniger Resourcen; heißt es ja so nett (lachen).<br />

F: Wie kam es zu d<strong>einer</strong> Entscheidung, im Wagen zu leben?<br />

U: Eigentlich, auch weil ich die Freiheiten des besetzten Hausen und des kollektiven<br />

Wohnens, weil ich die vermisst hab. Ich hatte dann ein paar Monate rumgewohnt bei Leuten,<br />

aber hatte eigentlich nie vor, mir noch ne eigene Bude zu suchen. Das Rumwohnen war noch<br />

so ein wenig okay, aber viele sind dann in Wohnungen, die billig oder frei waren. Mein<br />

Entschluss kam dann, dass ich zu nem Bus kam, ohne Tüv. Und dann habe ich in ner großen<br />

165


➣ 6.2.7<br />

Haus-WG nachgefragt. Und da konnte ich mich hinten in den Hof stellen. Und hatte erst mal<br />

meine Ruhe. Das war mir auch ziemlich wichtig. Ich hatte da auch nach den ganzen Monaten<br />

Stress und rumwohnen, jobben musste ich auch noch in der Zeit. Da hatte ich dann einfach<br />

Bock, ein Weilchen eine Auszeit zu haben. So bin ich dann in den Bus gekommen, von dort<br />

habe ich dann so ein bisschen Interesse gehabt an Wagenleuten. Und dann bin ich ein<br />

bisschen rumgefahren in der Stadt, habe Leute kennen gelernt. Und dann war für mich klar,<br />

das ist geil. Ein Freund von mir ist dann <strong>mit</strong>gezogen, schon an dieses Haus, und dann war<br />

klar, wir bleiben im Wagen, wir haben uns super verstanden, es war toll, dann sind wir im<br />

Winter auf ne Campingplatz der offen war. Im Frühjahr sind wir dann runter, und dann ging<br />

das Wagenleben erst richtig los.<br />

F: Könntest du dir vorstellen, noch mal in einem Haus zu wohnen?<br />

U: Ja, in nem großen Bauernhaus, das könnte ich mir schon vorstellen. Eine konkrete<br />

Vorstellung wäre ein Haus und neben dran ein Wagen. Und im Haus Küche, Bad und so,<br />

aber wohnen würde ich weiterhin im Wagen (lachen).<br />

F: Was macht diesen Raum im Wagen aus?<br />

U: Die vielen Fenster. Ich finde es wirklich toll, einen kleinen Raum zu haben, der aber in alle<br />

Richtungen hin offen ist und wo man wirklich auch nur das Notwendigste hat und dies auch<br />

braucht, also Bett, Spüle, Stuhl, Klamottenschrank. Fertig. Super. (3) Du kannst einfach viel<br />

draußen sein, ich liebe das draußen sein. Das ist es irgendwo, der Wagen ist klein und<br />

schnuckelig und draußen, das ist das Wohnzimmer. Drinnen die Schlafkajüte. Total gut.<br />

F: Ändert sich dadurch die Raumwahrnehmung, wenn man längere Zeit im Wagen gelebt hat?<br />

U: (3) [Handyanruf]. Raumwahrnehmung war deine letzte Frage, ne?<br />

F: Ja.<br />

U: Vielleicht geht der Blick mehr in die Weite. Schon in der Schule habe ich immer zum<br />

Fenster hinaus geguckt. (lachen) Aber ansonsten.<br />

F: Was sind so die Konfliktfelder denen man begegnet, wenn man im Wagen lebt?<br />

U: (2) Wenn man unterwegs ist. Ängste. So, zwecks Faschoüberfällen, ständig auch <strong>mit</strong><br />

Bullen zu rechnen. Das ist schon ein Problem, eigentlich, gerade am Anfang, da hatte ich<br />

lange gebraucht, um mich daran zu gewöhnen. Ich hatte es nicht so sehr negative empfunden,<br />

es hatte einfach dazu gehört, bisschen wachsamer zu sein .Nachts, gerade wenn du irgendwo<br />

stehst. Eine Haustür zu zumachen das ist schon ein recht sicheres Gefühl, aber ne Wagentür<br />

irgendwo, das ist noch lange keine Haustür. Da hatte ich schon zu kämpfen. Wachsam sein,<br />

auf jedes Geräusch nachts zu hören. Aber das hat sich dann gelegt, nach m<strong>einer</strong> ersten großen<br />

Tour, wo ich viel unterwegs war, da merkst du dann doch, dass die Wahrscheinlichkeit, dass<br />

du hier eine über die Rübe bekommst, ist eher nicht so drin. (Lachen) Ich habe dann auch<br />

gemerkt, die Leute haben eher mehr Angst vor einem - ein Fahrender, ein Zigeuner.<br />

Irgendwie hat sich das dann gelegt. Hier war das dann anfangs auch noch. Wenn du halt<br />

einen Platz nicht kennst, dann weißt du halt auch nicht, was da nachts so los ist. Aber das war<br />

dann irgendwann auch verschwunden. Das ist so ein Konfliktfeld. Das andere Konfliktfeld ist<br />

dann halt der Kampf <strong>mit</strong> den Elementen. Kälte. Nässe. Hitze. Und manchmal Matsch.<br />

166


F: Kämpfe gegen Vorurteile?<br />

➣ 6.2.7<br />

U: Ach (2). Mein Bestreben war eigentlich immer nur, das möglichst positiv darzustellen,<br />

dass die Leute es selber schnallen, dass dies auch ne Möglichkeit ist zu leben. Von<br />

Vorurteilen wurde ich selber eigentlich nie betroffen. Die bekommst du aber auch meist nicht<br />

<strong>mit</strong>, da bist du dann schon wieder losgefahren. Aber die meisten sind doch eigentlich eher<br />

interessiert und wollen reden.<br />

F: Kann die Wagenburg als Adresse bei Arbeitgebern ein Problem sein?<br />

U: Ja, wenn du nicht ne coolere Adresse hast. Aber selbst habe ich das noch nicht festgestellt.<br />

Aber das Problem sind meist matschige Schuhe oder dreckige Klamotten.<br />

F: Was bedeuten Jahreszeiten?<br />

U: Das ist so der Lebenslauf auch. Es ändert sich. Irgendwie geht es über in dich (3)<br />

Jahreszeiten sind rudimentär, die erlebst du richtig bewusst. Das sind dann auch immer ganz<br />

unterschiedliche Zustände beim Wohnen im Wagen. Im Sommer kann es sehr heiß sein und<br />

im Winter kalt, Frühling, Herbst durchwachsen. Irgendwie ist es schön, so die Jahreszeiten zu<br />

erleben.<br />

F: Gaspreiserhöhung, Stromkosten und Mietspiegelentwicklung, was kann man dazu sagen?<br />

U: Kein Check (lachen). Ich weiß nicht mal ,was Strom kostet (lachen). (2) Mietenwicklung<br />

(1). Strompreis, ja da hat man schon manchmal das Gefühl, super, das geht mich alles nichts<br />

an. Und es ist doch für die allermeisten Leute etwas existenzielles, ob sie jetzt Strom haben<br />

oder nicht. Das tut einen manchmal eher bestätigen.<br />

F: Was führt zu mehr Gruppenbildung: das gemeinschaftliche Interesse, oder der Druck von<br />

außen, politisch, städtisch?<br />

U: Ich denke oftmals ist es der Druck von außen. Denn der ist so gemacht, dass man einfach<br />

zusammenhalten muss, wenn die Leute sich vereinzeln besteht keine Chance, sich gegen<br />

diesen Druck zu wenden und so ist man aufeinander wirklich angewiesen, was man sonst im<br />

Leben ja nicht so spürt, oft. Aber es geht auch oft einher <strong>mit</strong> einem politischen Willen.<br />

Eigentlich gehört es zusammen. Durch den Druck entsteht ein politischer Wille, dadurch<br />

entsteht meist noch mehr Druck, weil die Leute sich politisch verhalten, was der Stadt<br />

wiederum nicht gefällt. Der Druck wird erhöht, wodurch die Leute aber klarer werden, was<br />

sie politisch wollen, da kann man hier in Freiburg schon klar ne Entwicklung sehen, dass die<br />

Leute sich politisieren über die Auseinandersetzungen die es gab. Vorher war es den Leuten<br />

vielleicht gar nicht so bewusst, dass es so massive Widerstände gibt.<br />

F: Vielleicht noch zwei weiter gefasste Fragen: Würdest du Wagenburgkultur und die<br />

ethnische Minderheit der Sinti und Roma in Verbindung bringen können?<br />

U: Das ist für mich selber ne schwierige Frage. Weil ich mich in meinem Idealgefühl, was ich<br />

schon hatte im Wagen, mich schon orientiert hab nach diesen alten Zigeunergeschichten.<br />

Einmal wollten wir ne Wagenkarawane machen in den Neunzigern, da hatte ich dann viel<br />

Literatur gewälzt und festgestellt, dass viele Fahrende, Sinti , Romas, Vagabunden, dass die<br />

bestimmte Landstriche hatten wo sie unterwegs waren, um Handel zu treiben. Aber doch<br />

auch wiederum oftmals ihren festen Platz hatten. Und so habe ich mir das alles auch ein<br />

167


➣ 6.2.7<br />

wenig nahe geholt und ich finde an sich auch schon, wenn ich merke, wie das draußen Leben<br />

für mich auch positive Qualitäten hat, das Verbundensein <strong>mit</strong> der Natur, das<br />

Zusammengehören zu der Gruppe die im Wagen wohnt. Draußen Feuer machen, Kochen,<br />

Feiern. Vielleicht sind das Sachen, die da eine Verbindung herstellen, für mich persönlich.<br />

Aber für die Zigeuner selber, da ist das wohl ne ganz andere Geschichte. Da steht die Sippe<br />

wohl mehr im Zentrum und nicht das draußen Leben. Für mich ziehe ich Verbindungen.<br />

F: Wie siehst du die Zukunft dieser Wohnform?<br />

U: Schwer zu sagen. Die Akzeptanz ist vielleicht verbal gestiegen in der Bevölkerung, aber<br />

rein praktisch ist noch immer keine Akzeptanz gegeben. Praktisch würde heißen, Leute stellen<br />

Grundstücke zur Verfügung, - was einfach nicht größer geworden ist. Klar, die Leute<br />

bekommen ein wenig davon <strong>mit</strong>, sind auch oftmals dafür, aber die praktische Umsetzung, wir<br />

genehmigen das jetzt, wir stellen da jetzt was zur Verfügung, das ist immer noch nicht da.<br />

F: Ist das Ganze eher ein Wertekonflikt oder ist es mehr ein Interessenskonflikt, wo es mehr<br />

um die Fläche geht?<br />

U: In erste Linie denke ich ein Wertekonflikt, denn Flächen gäbe es eigentlich genug die<br />

brachliegen. Es ist ein Wertekonflikt. Ich denke, die normale Bevölkerung, die fühlt sich da<br />

bestimmt in ihren hochgehaltenen Werten schwer verletzt (lachen). Die Leute müssen nicht so<br />

viel arbeiten, die haben ein lockeres Leben, zahlen keine Miete, müssen kein Haus<br />

abbezahlen. Die Vorurteile, die ziehen nur rum und klauen, leben auf Kosten anderer. Das<br />

sind Sachen, die muss die Bevölkerung schon verteidigen. Ich denk sogar, dass die Stadt,<br />

wenn es nicht eine solche Werteverschiebung darstellen würde, würde sie vielleicht auch<br />

sagen, nehmt euch den Platz und Ruhe jetzt <strong>mit</strong> euch. Aber dadurch, dass sie einen Platz<br />

geben, unterstützen sie auch die Werte, deshalb sind sie eigentlich auch in erster Linie<br />

dagegen. Was sich als soziale Besetzung zeigt wie im Rieselfeld, da findet sich relativ einfach<br />

ne Lösung. Da werden die Leute schnell wo hingekarrt, da könnt ihr hin. Aber sobald es<br />

größer wurde gab es Druck.<br />

F: Noch ein paar abschließende Worte?<br />

U: Ich fände es gut, persönlich interessiert mich die Geschichte der Sinti und Romas, weil ich<br />

glaub, die ganzen Vorurteile treffen zum Teil auch uns. Und ich sehe die auch zum Teil als<br />

die großen Vorreiter vom Wagenleben überhaupt. Gäbe es dies heute, ohne die Kultur des<br />

fahrenden Lebens? Das fände ich interessant, da mehr Verbindungen herzustellen, sowohl<br />

persönlich, als auch im Größeren.<br />

F: Schönes Schlusswort. Danke.<br />

168


6.2.8 Ölmühle: Ellen Koppitz<br />

F: Warum kennt k<strong>einer</strong> die Wagenburg-Ölmühle?<br />

➣ 6.2.8<br />

E: Das erklärt sich dadurch, dass diese Wagenburg auf privatem Grund steht und nicht auf<br />

städtischem und deswegen ist es auch einfacher, sich zu arrangieren. Es bringt einfach nicht<br />

so viel Stress <strong>mit</strong> sich, ... denn bei städtischem Grund und Boden, da wollen immer alle<br />

<strong>mit</strong>reden – Gemeinderäte, und so weiter. Wenn man sich jedoch nur privat <strong>mit</strong> jemandem<br />

einigen muss, dann ist es unter Umständen leichter. So war es zumindest bei uns. (3) Der OB<br />

Böhme hat damals die Devise ausgegeben, wenn die soziale Akzeptanz herrscht im Umfeld<br />

von ner Wagenburg auf Privatgrund, dann unternimmt die Stadt nichts dagegen (2) und so<br />

war das bei uns. (2) Als wir im Herbst 92 hierher gezogen sind haben wir gleich versucht,<br />

uns eine Lobby im Dorf zu erschaffen. Wir haben die Leute aus dem Dorf eingeladen zum<br />

Kaffee trinken und haben ihnen alles gezeigt und so bewiesen, dass wir ganz normal sind und<br />

nur ein bisschen spinnen was die Wohnform betrifft. Wir haben auch konsequent im Dorf<br />

eingekauft, beim Bauer die Milch, beim Winzer den Wein, im kleinen Edeka, Pferde hatten<br />

wir untergestellt. Und uns so<strong>mit</strong> eben integriert und dadurch hatten wir da auch nie Probleme,<br />

sondern nur Fürsprecher. (2) Und ansonsten waren wir sehr unauffällig: keine Hunde, keine<br />

Trecker, keine Autos und dadurch hat das niemanden groß gestört. Und man lebt ja auch hier<br />

ein wenig abgelegen, weg vom Dorfrand <strong>mit</strong>ten in den Feldern ... Bahn und Straße, da will eh<br />

k<strong>einer</strong> wohnen. Alles laut. So kam das.<br />

F: Eine Lobby im Dorf war also wichtiger als die Stadt Freiburg an sich?<br />

E: Anfänglich wurden wir noch observiert. Es gab mal ne Akte über uns. Aber als klar wurde,<br />

dass hier weder Kriminelle oder andersweitig Böse wohnen, wurde das eingestellt. Vor allem<br />

als der OB Böhme dann sagte, okay, er unternimmt nichts ohne massiv aufgefordert zu<br />

werden. Infolgedessen wurden dann auch die Beobachtungen eingestellt.<br />

F: Wie seid ihr denn auf diesen Platz hier an der Ölmühle gekommen?<br />

E: Naja, wir haben rumgefragt an allen Stadträndern. Die Bauern aufgesucht. Und der Bauer,<br />

der diese Wiese hier gepachtet hat, weil hier seine Kühe stehen. Der war sehr aufgeschlossen<br />

als Biobauer. Der sagte dann ja, wegen mir kann ich euch ein Stück abzwacken, aber die<br />

Besitzer müssten natürlich auch noch einverstanden sein. Er hat uns dann auch den Kontakt<br />

hergestellt. Und als die dann auch einverstanden waren, ging das sehr rasch. (2) Ich denke das<br />

ist eher eine Erfolgsstory, die nicht alltäglich ist. Das ist doch eher noch die große Ausnahme.<br />

F: Ihr habt bestimmt dann hier auch ein Plenum auf dem Platz?<br />

E: Früher gehabt.<br />

F: Und jetzt?<br />

E: Wir frühstücken zusammen und besprechen da das wichtigste oder essen zusammen zu<br />

Abend. Es muss kein formaler Termin mehr gesetzt werden. Wir sind ja nicht mehr so viele.<br />

(2) Es hat sich eingespielt.<br />

F: Welchen Schwierigkeiten begegnet man dann noch?<br />

169


E: Alle Schlachten geschlagen. (Lachen). Erfolgreich geschlagen. Durchgekämpft.<br />

F: Wie lange geht dann euer Pachtvertrag hier?<br />

E: Der hat keine Beschränkung<br />

F: Das heißt, da steht drin.....<br />

E: da steht nichts drin, das ist ne mündliche Abmachung <strong>mit</strong> dem Besitzer.<br />

Das einzige ,was das sichtbare Zeichen ist - ist der Dauerauftrag.<br />

F: Was bedeutet dann Selbstverwaltung für euch hier?<br />

➣ 6.2.8<br />

E: Na ja, es gibt ja die angenehmen Seiten des Wagenlebens und es gibt die, die unter<br />

Umständen unangenehm sein können ... nämlich, dass man sich um alles selbst kümmern<br />

muss. Und Selbstverwaltung heißt für mich in dem Zusammenhang, dass ich mich selber<br />

ums Wohnen, ums Wasser, um Energie, um Heizung, um alles kümmern muss. Wenn ich <strong>mit</strong><br />

m<strong>einer</strong> Sense ein Kabel durchscnsen beim Rasenmähen dann muss ich gucken wie ich es<br />

selber wieder zusammenflicke. Wenn ich nicht für mein Brennholz sorge, dann ist mir kalt im<br />

Winter, das macht nicht irgendwer für dich.(2) Das kann für manche Leute sehr unangenehm<br />

sein. Es ist vor allen Dingen sehr zeitaufwändig. Man verbringt hier mehr Zeit <strong>mit</strong> der<br />

Organisation des Alltags, als in einem Haus oder in <strong>einer</strong> Wohnung. (2) Und früher hieß<br />

Selbstverwaltung, dass man zu acht gleichberechtigt Entscheidungen trifft. Wir haben viel<br />

diskutiert und debattiert. Es gab lange Diskussionen bis der erste Fernseher hierher kam.<br />

Denn, passt das so zu der Ideologie?<br />

F: Nach wieviel Jahren war das?<br />

E: Nach fünf oder sechs.<br />

F: Die Kinder wollten mal Fernseh gucken?<br />

E: Ne, die Großen.<br />

F: Also, wenn ich es richtig verstanden habe, dann hattet ihr nie groß etwas <strong>mit</strong> der<br />

Wagenburgbewegung in der Stadt zu tun?<br />

E: Nie gehabt. Uns ging es auch nie primär um das Wagenleben, sondern um ein ökologisches<br />

Leben und um ein Leben in Gemeinschaft. Wir wollten also auch nie die Schlacht schlagen<br />

für alle die im Wagen wohnen, weil wir uns als solche gar nicht identifiziert haben, primär.<br />

(2) Ökologie reichte aus als Ideologie. Was da schon alles dazu gehört: Nachhaltigkeit,<br />

Bewusstes Leben, Ganzheitlich und Gemeinschaftlich ... das reicht aus. (lacht) Klar, es ist<br />

hier ein Randplatz, aber im Paradies wohnt k<strong>einer</strong>.<br />

F: Ihr habt nur Bauwägen hier und gar keine Fahrzeuge?<br />

E: Ja, ganz bewusst nicht.<br />

F: Und beim Rangieren der Wägen?<br />

170


➣ 6.2.8<br />

E: Ach, die stehen jetzt auch schon ne ganze Weile hier und man kann die auch zu zehnt gut<br />

rangieren. Und wenn es halt gar nicht geht, dann haben wir uns schon einmal einen Trecker<br />

geliehen, aber es war immer klar, dass wir keinen besitzen wollen.<br />

F: Habt ihr irgendwas <strong>mit</strong> nem Motor?<br />

E: Ne Kettensäge.<br />

F: Andere ökologische Aspekte?<br />

E: Dass wir beim Biobauern kaufen, dass wir Fahrrad fahren, Holzheizung, Strom selber<br />

machen, was noch? (2) Einfach nicht ein so konsumistisches Leben führen. Sich beim BUND<br />

engagieren (Bund für Umwelt und Naturschutz).<br />

F: Nichts aus Beton gebaut?<br />

E: Null. Kein Gramm Beton verbaut.<br />

F: Wäre es vom Verpächter her gegangen?<br />

E: Nie gefragt. War für uns immer klar, dass dies eine Wiese ist und dass die, falls wir nach<br />

nem halben Jahr, nach 2, nach 3, nach 5, nach 10 gegangen wären, dass die nach einem<br />

Winter, einem Sommer wieder rein als Wiese da steht. Für uns war das immer wichtig, dass<br />

die Wiese Wiese sein kann, wenn nötig.<br />

F: Wie lange würde es dauern, die Wiese wieder in ihren ursprünglichen Zustand zu bringen?<br />

E: Wenn man alle Wägen weg zieht und die Kabel (von den Solarpaneel und Telefon) aus<br />

dem Boden nimmt, dann ist das Arbeit für eine Woche, dann streut man Grassamen und ein<br />

paar Monate später siehst du nichts mehr. Außer, ... dass wir relativ viel Bäume gepflanzt<br />

haben, (lacht), die hier vorher nicht standen. Aber auch das ist wohl kein unnatürlicher<br />

Eingriff. Das war uns immer wichtig.<br />

A: Woher kommen die Wägen? Aus der näheren Region?<br />

E: Es gab da einmal eine Boomzeit, wo man viele Wägen bekommen hat. Dieser hier stammt<br />

von einem Zirkus. Auf dem Platz hier haben wir zwei davon und der Rest sind Bauwägen.<br />

Dann gibt es noch einen Schäferwagen und alles aus der Freiburger Umgebung.<br />

F: Wieviele Ster braucht man zum Heizen von einem Zirkuswagen?<br />

E: Ja, das kommt auf den Winter an. Heute morgen habe ich einmal eingeheizt und es dann<br />

ausgehen lassen. Ganz unterschiedlich, je nachdem wie streng ein Winter ist. 1-2 Ster pro<br />

Wagen. Aber man heizt ja zum Beispiel auch da nicht, wo man schläft, es sei denn, es ist<br />

abartig grimmig draußen, dann heizt man auch mal den Schlafwagen.<br />

F: Wie siehst du die Entwicklung der Wagenburgen in der Zukunft?<br />

E: Ich denke hier wird sich nicht viel ändern. Der Flächennutzungsplan ist gemacht und hier<br />

ist weiterhin Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen, also wird sich für die Spekulanten in<br />

171


➣ 6.2.9<br />

absehbarer Zeit kein Bauland ergeben. Vielleicht können wir eines Tages diese Wiese hier<br />

einmal kaufen, das wäre eigentlich sehr schön. Und wenn nicht, dann halt nicht. Dann pachten<br />

wir halt weiterhin. (2) Und insgesamt für Freiburg gesehen, denke ich wird sich die Sache<br />

befrieden. Ich schätze mal die Schattenparker werden dann doch noch einen Privatmenschen<br />

finden, der sie aufnimmt und die Stadt gibt ihren Segen, Das wäre der schönste Fall der zu<br />

wünschen wäre. Denn dies ist immer noch das Ruhigste und Sicherste. Und ich schätz mal die<br />

Schattenparker haben auch Lust auf ein wenig mehr Ruhe im Leben. Das ständige<br />

Umherziehen ist nur für manche Leute gut und nicht für alle.<br />

F: Vielen herzlichen Dank für das Gespräch.<br />

6.2.9 Susiburg: Bobby Glatz<br />

F: Wie hat das bei dir angefangen <strong>mit</strong> Wagenburgen?<br />

B: Ja, bei mir war es eigentlich so, dass ich selber einen Wagen hatte, an dem ich dann immer<br />

wieder herumgeschustert habe, aber letztendlich auch nie so richtig dazugekommen bin, und<br />

hatte einfach einen Faible dafür. Es ging schon los in -, das habe ich halt erlebt in Bremen, wo<br />

ich studiert habe, dort habe ich schon einen Wagenplatz <strong>mit</strong>gekriegt und auch experimentelles<br />

Wohnen in Schrebergärten, umgebaute Hütten und solche Sachen. Das hat mich halt schon<br />

immer gereizt, ich habe Architektur studiert und von daher war das schon auch einfach ein<br />

spannendes Thema prinzipiell für mich. Und als ich dann zurückkam von Bremen nach<br />

Freiburg, wollte ich auch nicht nur halt eine Diplomarbeit schreiben. Ich habe mich nach<br />

einem Thema umgeguckt, und eigentlich war so die Idee, sowas wie Gemeinschaftshaus und<br />

Wagenplatz, und das ganze dann städtebaulich zu beleuchten, und auch das Soziale und<br />

Ökologische und so weiter. Und so habe ich mich auch umgeguckt, und dann war für mich<br />

eigentlich ein Thema gewesen. Es war im Rieselfeld gerade Biohum damals, als es losging,<br />

die Ruinen da, Gemäuer und so, die da waren, und die ersten Leute. Und das hat mich schon<br />

interessiert, und habe mir das ernsthaft überlegt, dort etwas zu machen. Das andere Thema<br />

wäre gewesen, Wohnumfeldverbesserung in irgend<strong>einer</strong> tristen Hochhaus-Plattenbau-<br />

Siedlung. Und das Dritte waren halt frei werdende Kasernen. Und so bin ich dann zu SUSI<br />

gekommen, weil es war ja der Fall der Mauer 89, und 90 habe ich mich dann nach einem<br />

Diplomthema umgeguckt und habe mich dann im Sommer 90 dann halt fürs Vauban<br />

entschieden, also die Rezivilisierung militärischer Anlagen am Beispiel der Vauban-Kaserne<br />

in Freiburg-Süd, und hab dann eben auch das SUSI-Konzept <strong>mit</strong>entwickelt und bin da auf<br />

Leute im Asta gestoßen, Asta, die sich auch <strong>mit</strong> dem Thema Wohnraum beschäftigt haben,<br />

hatte aber damals schon, eben weil ich jetzt über Wagenplatz in erster Linie einfach auch<br />

schon Kontakte geknüpft, dann zum Krähenwinkel in Lehen, also ein Wagenplatz, der da<br />

entstanden ist, der ist dann auch gerade dann dort entstanden. Und einige Leute von dort<br />

stehen dann heute auch hier oder noch hier. Es waren noch mehr von denen, die dort waren.<br />

Und andere sind halt zur Ölmühle gegangen von dort aus, wieder andere sind sonst wohin. (2)<br />

Ich hab damals meinen Wagen auf das Gelände hier gezogen, also der erste Wagen auf dem<br />

SUSI-Gelände, und habe den hier auf dem Platz, in den Zwischenraum gestellt, das war<br />

früher so ein schwarzer Ascheplatz, einfach auch um ein Zeichen zu setzen, weil das auch<br />

wichtig war, gerade im Projekt SUSI, dass im Projekt ein Wagenplatz ist, ein Wagenbereich.<br />

Es wurde dann städtebaulich eingearbeitet in einen Plan, und hieß dann irgendwie Freiraum<br />

für experimentelles Wohnen auf Rädern. So war das dann schon mal von Anfang an immer<br />

bei dem Gesamtprojekt <strong>mit</strong> drin, also Teil <strong>einer</strong> Idee wie man die Kaserne umnutzen kann.


➣ 6.2.9<br />

Gerade, wenn so ein Stadtteil völlig neu entsteht, also eigentlich die Chance ist, sowas auch<br />

stadtnah zu integrieren. Weil wenn erst mal Wohnbebauung da ist, und man muss das<br />

nachträglich machen, dann wird es halt schwierig. Es ist gut, es von vorneherein irgendwo,<br />

bevor die Nachbarschaft da ist, das zu ermöglichen. Ja, und vor dem Hintergrund habe ich<br />

mich damals auch schon umgekuckt, Christiania im speziellen, wohnen in Güterwaggons, und<br />

solche Dinge. Der besondere Reiz war eben dann auch das <strong>mit</strong> den Holzwägen, ohne eigenen<br />

Motor, Zirkuswägen, Bauwägen. Letztendlich hat sich das dann ja hier auch entwickelt auf<br />

dem Wagenplatz. Da war am Anfang so eine ganz kleine Wagengruppe, und rundherum am<br />

Wagenplatz gibt's auch die sogenannte Wagen-WG, das war also dann eine WG, die hatte als<br />

einziges den Ausgang zum Wagenplatz, zu dem auserwählten Zwischenraum, und<br />

ursprünglich war dann auch nur die Hälfte vom Platz geplant, weil man musste es erstmal im<br />

Projekt durchsetzen, weil dann ja schon auch von Anfang an dann, wo wir die Häuser quasi<br />

hatten oder inne hatten, gab es noch eine Zeit, da waren wir hier drin und hatten noch keinen<br />

Vertrag. Da war das mehr oder weniger halt wild, also illegal im Haus, quasi Besetzung. Und<br />

auch in der Zeit ging es ja schon los, also irgendwie <strong>mit</strong> der Orientierung der Leute hier,<br />

Sondierung, was passiert hier, und was kann hier stattfinden. Und dann kann ich mich noch<br />

dran erinnern, dass es ziemlich heiß herging um das Thema, ob es hier einen Wagenplatz<br />

geben kann oder nicht und wie groß der sein darf, denn es gab einen Interessenkonflikt<br />

zwischen Bewohner, die sich eher Gärten vorgestellt haben und da mehr Freiraum für ihre<br />

gärtnerischen und sonstigen Vorstellungen, Verwirklichungen und für Kinder und für Tiere<br />

und so, und eben die Wagenleute. Und dann gab's erst mal einen kleinen Platz. Wie's aber<br />

auch so ist, die Erfahrung zeigt sich auch, der Wagenplatz hat sich dann auch im SUSI quasi<br />

immer wieder vergrößert, die Nachfrage war einfach riesengroß. Es kam hinzu, dass dann<br />

auch immer mehr, also wir hatten ja auch noch Wagenplätze auf dem gesamten Areal. Es<br />

waren ja 38 Hektar Brachland ungefähr. Viele uneinsehbare Winkel, Hinterhöfe sind<br />

entstanden durch Wellblechhallen, die da waren und irgendwelche Backsteingebäude <strong>mit</strong><br />

Werkstätten, war halt ein richtiger Abenteuerspielplatz für jung und alt, groß und klein, und<br />

da sind verschiedenste experimentelle Wohnformen entstanden, unter anderem auch zwei,<br />

drei verschiedene Wagenplätze. Es gab die Wagenwiese und dann eben mehr <strong>mit</strong> so<br />

Wohnwägen etwas und dann nochmals einen anderen Wagenplatz, da ist dann einiges<br />

entstanden und die mussten aber so nach und nach dann auch weg immer, je mehr sich eben<br />

die Entwicklungsmaßnahme da eingefressen hat, umso mehr Platz ist dann eben flöten<br />

gegangen und irgendwann mussten sie weg. Und dann wurde auch der Druck auf SUSI<br />

größer, also dass hier Leute dann angeklopft haben und geguckt haben, dass sie hier drin<br />

stehen können. Andere Leute von hier haben angefangen, sich zu entscheiden, doch nimmer<br />

im Zimmer zu wohnen und haben von hier aus eigentlich erst das Wagenleben entdeckt, ohne<br />

dass sie jemals herumgefahren wären, sind einfach nur aus dem Haus raus in den Wagen rein.<br />

Das ist jetzt ein Großteil von denen, die hier wohnen, sind eigentlich eher - also die Wägen<br />

sind eigentlich nie groß herumgefahren, also vielleicht mal von dort drüben hier her, aber<br />

mehr nicht.<br />

F: Könnte man da prozentual sagen, wie viele sozusagen aus der Haustüre in den Wagen<br />

reingegangen sind?<br />

B: Jetzt muss ich gerade mal überlegen, wer und wer nicht. Also dann würde ich sagen, ich<br />

nenn zwar keine Namen, aber im Prinzip würde ich sagen, sind es auf dem Platz da unten<br />

eigentlich nur zwei.<br />

F: Von insgesamt sechs?<br />

173


➣ 6.2.9<br />

B: Von dem Wagenplatz hier zwischen den Häusern, also du meinst nicht vorne die<br />

Blechhalle natürlich, das würde in Summen gehen,<br />

F: Also insgesamt, die von Wohnungen in den Wagen sind.<br />

B: Ich sage jetzt gerade das Umgekehrte, die quasi von der Straße oder von Wagenplätzen in<br />

die WG ziehen, um das Missverständnis gleich zu klären, also das sind nur zwei.<br />

F: Wie viele Leute wohnen unten insgesamt?<br />

B: Zwei Männer. Alle anderen sind wirklich aus den Häusern raus, haben sich irgendwo<br />

anders das als preisgünstigere oder als - vielleicht nicht gleich in erster Linie wegen dem<br />

preisgünstigeren, sondern in erster Linie einfach ein Obdach hoch, aber dann eben doch auch<br />

noch die Komponente, dass es halt auch günstig ist, und dann hat man niedrigere<br />

Lebenshaltungskosten und ist dann auch nicht gezwungen, entsprechend viel Geld<br />

heranzuschaffen, sondern kann auf kl<strong>einer</strong>er Flamme leben.<br />

F: Zwei von wie vielen?<br />

B: Nur von zwölf oder zehn, oder maximal 20 %, die wirklich on the road und so. Aber die<br />

anderen, die eben eher unterwegs waren, die sind auch teilweise weg, also die von draußen,<br />

vom Wagenplatz kamen, die sind auch eher weggegangen. Da gab's dann auch ganz viele<br />

Konflikte auf dem Platz, das war einfach auch so. Angefangen über verschiedene (3)<br />

Einstellungen zum Wagenleben, persönliche Sachen halt, die sich entwickelt haben. Das war<br />

einfach nicht so leicht. Ich würde jetzt mal sagen, die Leute, die jetzt auch wirklich diesen<br />

Solidaritätsgedanken zu anderen Wagenplätzen haben, zu Tübingen und so, so Leute, die<br />

eben dann auch zu den Wagentreffen gehen und die <strong>mit</strong>organisiert haben, die Wagentreffen,<br />

die bundesweit herumwandern, die Leute sind bis auf einen gar nimmer da. Bei den anderen<br />

habe ich da nie etwas <strong>mit</strong>gekriegt, dass die jetzt jemals engagiert wären. Schon Solidarität<br />

gezeigt haben zu Schattenparkern, in der Zeit natürlich, was aber jetzt auch nicht diese<br />

Wagengeschichte, da gab's ja andere in Freiburg, und die stehen jetzt inzwischen nicht mehr<br />

hier. Das sind aber auch Leute, die können zwischen den Häusern auch gar nicht so gut - die<br />

brauchen so mehr das Wildere, das Freiere, oder vielleicht auch noch mehr - ein Naturstil<br />

braucht auch Platzwechsel usw., also braucht man eigentlich auch Räder. Aber die da unten,<br />

da könnte man locker die Räder abmontieren, es ist halt praktisch, um mal zu rangieren, aber<br />

dass die mal fahren, da träumen sie vielleicht davon teilweise, dass man mal eine Fahrt macht<br />

<strong>mit</strong> den Kindern <strong>mit</strong> dem Traktor an den Bodensee. Aber die sind jetzt kein fahrendes Volk.<br />

F: Ist da ein Fundament drunter unter den einzelnen Wägen, was betoniert ist?<br />

B: Das Fundament ist quasi, wenn der Reifen platt ist und langsam zerbröselt (lacht) und dann<br />

wirkt das praktisch wie ein Fundament. Oder es wird aufgebockt, dann ist eine Terrasse<br />

drangebaut, dann ist <strong>mit</strong>einander verbunden, dann müsstest du erst mal schrauben. Aber<br />

richtige Fundamente haben die nicht. Das wollten wir jetzt auch nicht. Es gibt hier ein paar<br />

Hütten, also Leute haben hier Hütten oder Vorräume angebaut, die Fundamente haben. So<br />

kleine Fundamente, die sind ja aufliegende Bauten eigentlich, locker-leicht dahin gesetzt.<br />

F: Es gibt diesen Gemeinschaftsbadraum.<br />

B: Der ist an das Haus drangebaut, das gehört eigentlich zum Haus. Das ist halt ein richtiges<br />

Zimmermannskonstruktions-Badhäuschen, was die Leute gemeinsam unter Mithilfe auch<br />

174


➣ 6.2.9<br />

teilweise von SUSI-Baugruppen gebaut haben. Da<strong>mit</strong> sie eben die Sanitärversorgung haben.<br />

Dass man nicht auf Anschluss an Wohnungen (2) drauf angewiesen ist. Wie gesagt, es gab<br />

auch die Wagen-WG, das hat sich aber dann aber begeben, dass ein paar Leute, die eben hier<br />

von Anfang an waren, dass die dann wieder gegangen sind, gerade eine Frau <strong>mit</strong> mehreren<br />

Kindern und dann noch eine Frau <strong>mit</strong> Kind, Uri und verschiedene. Die sind dann halt auch<br />

gegangen und so<strong>mit</strong> hat sich das dann geändert <strong>mit</strong> der Besetzung in der Wagen-WG. Ich<br />

glaube, jetzt gehen da nur noch zwei Leute hin vom Wagenplatz. Die anderen haben entweder<br />

andere WGs oder nutzen halt wirklich dieses Badhäuschen und Toilette und so etwas.<br />

F: Die einzelnen Wägen, haben die Strom, Wasser, Abwasser?<br />

B: Die haben Stromanschluss. Da gibt's halt so einen Verteilerkasten, der extra <strong>mit</strong> Zähler für<br />

den Wagenplatz ist, das haben die sich da hinbauen lassen, und da können sie Strom<br />

bekommen und sonst heizen sie, und dann gibt's da die Vorschrift nur <strong>mit</strong> trockenem Holz,<br />

keine Kohle und auch keine Elektroheizungen, weil dass das Stromnetz überbelasten würde.<br />

Das wäre einfach, wenn alle Stormheizung hätten, dann würde das wahrscheinlich im Kasten<br />

die Sicherung raushauen. Und es ist auch allgemein bei SUSI <strong>mit</strong> den Ansprüchen von<br />

energiesparmäßig dann halt auch nicht passend, wenn man da <strong>mit</strong> Elektroheizung<br />

herummacht. Wenn jetzt jemand mal krank ist und braucht es in der Zeit, es ist bitterkalt, man<br />

heizt am Morgen kurz an, und wenn man spät nachts zurückkommt, da sagt ja kein Mensch<br />

was. Aber halt nicht als Grundversorgung. Wahrscheinlich hat jeder seine Notheizung<br />

irgendwo, was ja auch nachvollziehbar ist. Wenn man krank ist, ist man auf so etwas<br />

angewiesen. Wasser holen sie sich in den Wagen <strong>mit</strong> Kanistern oder ähnlichem, dass sie da<br />

kochen können. (2) Früher gab's noch einen Wagenrat, den gibt's jetzt so nimmer. Man<br />

kommt jetzt nur noch zusammen, wenn etwas Dringendes anliegt. Ansonsten hat sich das<br />

ziemlich verlaufen im Lauf der Jahre. Es war mal intensiver anfangs, als es darum ging, den<br />

Platz einzurichten, die Plätze zu verteilen. Ich denke, es spielt jetzt nur noch eine Rolle, wenn<br />

jemand Neues kommt, wenn jemand gegangen ist oder wenn jemand gehen soll, dann tritt der<br />

Wagenrat zusammen, oder wenn eine große Aktion entsteht.<br />

F: Ansonsten, die Grundsachen sind dann geregelt, die hat man festgelegt über die Jahre<br />

hinweg.<br />

B: Und viele Plätze gibt's ja nicht mehr. Wer erst hier mal einen Platz hat, das hat sich auch<br />

erwiesen, der bleibt eigentlich auch recht lang. Da gibt's noch einen Gästewagen, oder dass<br />

jemand seinen Wagen mal vermietet an andere. (3) Ein paar Leute haben auch Kinder im<br />

Wagen, gut die Hälfte, die andere Hälfte nicht.<br />

F: Am Anfang gab's noch Interessensgruppen, zwischen denen man ver<strong>mit</strong>teln musste. Zum<br />

einen die Anwohner, die, die im Haus sind, und die städtischer Seite. Was kann man da jetzt<br />

sagen?<br />

B: Das war auch eine Riesenaktion, eine Gratwanderung, weil es ja auch vom Baurechtlichen<br />

her nicht vorgesehen war, es bleibt eben eine Grauzone. Es hat sich eben etabliert hier. Wir<br />

haben das nie verschwiegen, sondern offensiv vertreten von SUSI aus, dass es diesen<br />

Wagenplatz gibt, eigenverantwortlich natürlich. SUSI übernimmt natürlich nicht die<br />

Verantwortung, was die Leute da machen. Es hat sich halt so entwickelt. Der Freiraum war<br />

da. Und jetzt existiert der Wagenplatz und wir haben gute Erfahrungen da<strong>mit</strong> gemacht. Die<br />

Leute müssen anteilig ihre Unkosten und ihren Verbrauch bezahlen. Ein ganz normales<br />

Wohnverhältnis.<br />

175


F: Ist es dann ein Pachtvertrag für die ganze Fläche?<br />

➣ 6.2.9<br />

B: Es ist im Prinzip einzeln und gar nicht schriftlich geregelt. Dafür gibt's auch keine<br />

Grundlage. Es geht darum, dass das, was verbraucht wird, irgendwo bezahlt wird, und dass es<br />

einen Aufwand macht, dadurch entsteht. Die machen ja auch Müll wie jeder, und so müssen<br />

sie auch einen Anteil an Müllgebühren bezahlen, einen Anteil der Fläche und Erbbauzins,<br />

wobei dass das Geringste ist. Versicherungsmäßig, das wird halt einfach umgelegt zu diesen<br />

Nebenkostensachen, die ja auch wir dann haben, dass das dann auch für die Mieter okay ist<br />

und sie nicht das Gefühl haben, sie zahlen für andere <strong>mit</strong>, zumal da ja nicht gerade die reichen<br />

Leute wohnen, die es sich gerade so aus dem Ärmel schütteln, sondern (1) dass das irgendwie<br />

gerecht läuft. Und das bezahlen die.<br />

F: Wie hoch sind dann die Nebenkosten ungefähr?<br />

B: Es müssen auch alle im SUSI Mitglied sein natürlich, ganz normal ihre Muskelhypothek,<br />

also Eigenleistung einbringen und so weiter. Es kommt darauf an, ob jemand einen Wagen<br />

hat oder zwei und ob er das Badhäuschen benutzt oder nicht. Da gibt es so verschiedene. Ich<br />

würde mal sagen, so ca. für einen normalen Wagen <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> Person dürfte bei 80 - 90 Euro<br />

liegen.<br />

F: Und der Fixkostenanteil vom Land her, also die Grundfläche, die Liegenschaft sozusagen?<br />

B: Also vom Grund, das weiß ich auswendig auch nicht. Ich meine, wie groß die Fläche<br />

genau ist, da müsste ich nochmals nachschlagen, aber inzwischen haben wir bestimmt, was<br />

sie nutzen, vielleicht sind es 900 Quadratmeter der ganze Platz. Es kommt darauf an, von wo<br />

nach wo man misst. Es ist auch immer auch die Tendenz, dass man am Platz immer noch<br />

etwas da dran baut und irgendwann der ganze Zwischenraum. Es war mal klar, dass es da<br />

einen Abstandsstreifen gibt zwischen den Häusern. Und plötzlich ist da wieder was. K<strong>einer</strong><br />

hat danach gefragt und dann gibt's wieder keinen Antrag. Das ist ja okay. Aber das ist schon<br />

so diese Expansionstendenz. So ein Haus hat eine Grundfläche von 50 mal 16,66 m, das sind<br />

ja 800 nochwas. Die Häuser sind 50 Meter lang, 16,70 breit. Es ist die Frage, von wo nach wo<br />

man misst, also von daher sind das bestimmt 1000 Quadratmeter, was die haben und das ist ja<br />

dann im Prinzip 1/15 von der Gesamtfläche. Und pro qm bezahlen wir, bezogen auf 400 DM<br />

pro qm, heute umgerechnet auf 200 Euro ungefähr, 1 % Erbbauzins pro Jahr, ermäßigter<br />

Erbbauzins.<br />

F: An die Stadt?<br />

B: Nein, an den Bund, also Bundesrepublik Deutschland, also an die Oberfinanzdirektion,<br />

Bundesvermögensabteilung, Bundesvermögensamt. Mit denen haben wir zu tun, <strong>mit</strong> denen<br />

haben wir einen Erbbaurechtsvertrag. Wobei man das so direkt gar nicht sagen kann. Also wir<br />

legen es jetzt nicht so um, also den Erbbauzins bezahlt eigentlich SUSI, und die Bewohner<br />

bezahlen ja eine Pauschale, so dass sie eben etwas dazu beitragen.<br />

F: Sollen wir uns beeilen <strong>mit</strong> den Fragen?<br />

B: Ja, genau. Wo sind wir stehen geblieben? Beim Platz?<br />

F: Ja, die Kosten, 80 Euro dann umgelegt.<br />

176


➣ 6.2.9<br />

B: Ja, pro Wagen ungefähr. Also es verdoppelt sich jetzt nicht einfach, die Kosten. Weil was<br />

ist, wenn jemand dann einen zweiten Wagen hat, für ein Kind oder Kinder, und dann kommt<br />

halt etwas oben drauf. Also wenn du diese Preise genau haben willst, dann kannst du sicher<br />

auch mal im Büro nachfragen/recherchieren beim Christoph, der hat so eine Liste, was das<br />

genau kostet. Also das kannst du dann über das Büro auch rauskriegen, was da bezahlt wird.<br />

F: Vielleicht kurz zur Geschichte noch: Also, es ging 92 an den Bund über und die Stadt hat<br />

dann für 20 Mio. die ganze Fläche abgekauft?<br />

B: Ja, also 40 Mio. DM damals ca.<br />

F: Exklusive das SUSI?<br />

B: SUSI-und Studentenwerkgelände, Studi-Dorfgelände. Den Rest entwickeln eben die Stadt,<br />

die Kommune über die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme. Für das Ganze gab's einen<br />

städtebaulichen Ideenwettbewerb. Da hat man schon versucht, dass da eben auch ein Freiraum<br />

für experimentelles Wohnen berücksichtigt wird, speziell für Wagenplätze und so. Das haben<br />

sie aber nicht berücksichtigt, und so wie sie eben auch den Abriss aller restlichen Gebäude<br />

eigentlich gefordert haben, also komplett das zu überplanen.<br />

F: Ist es bei euch jetzt als experimentelle Wohnfläche ausgewiesen? Das Stück dazwischen?<br />

B: Nein, das hat sich quasi so etabliert, eingebürgert, wie man es nennen mag. Wie gesagt,<br />

wir sind da offensiv rangegangen von Anfang an. Einen Wagenplatz gibt's. Da war auch<br />

schon einmal der Baubürgermeister auf dem Platz, als er frisch im Amt war damals, der jetzt<br />

schon wieder Ende des Jahres hier uns verlässt in Freiburg. Kurz nach seinem Amtsantritt ist<br />

er <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> Architektenjury, die hatten irgend etwas gesucht auf dem Gelände, wo<br />

ausgezeichnet worden ist, da sind sie halt zufällig hier über den Wagenplatz spaziert und sind<br />

auch ins Gespräch gekommen <strong>mit</strong> Wagenplatz-Bewohnern, haben sich auch bei einem<br />

vorgestellt. Ja, übrigens, ich bin der neue Baubürgermeister. Und da kam aber auch nie etwas,<br />

also auch vorher schon nicht. Wir haben immer wieder mal das zu spüren bekommen vom<br />

Bauordnungsamt, dass die nachgebohrt haben, aber wir mussten dann auch mal angeben, wie<br />

viele Wägen da sind, und einen Lageplan machen der Wägen. So etwas haben wir dann schon<br />

auch vom Projekt bringen müssen. Aber letztendlich dulden die das. Ich meine, baurechtlich<br />

bleibt es natürlich eine Grauzone. Es geht eben letztendlich bei solchen Sachen um die<br />

Hygiene und so, das können wir nachweisen, das ist kein Problem. Das andere ist<br />

Brandschutz und solche Dinge.<br />

F: Was gibt es da zu beachten beim Brandschutz? Die Befeuerung von den Öfen?<br />

B: Das weiß ich jetzt gar nicht für einen Wagenplatz. Das müssten die halt dann auch<br />

festlegen. Sie wollten es immer mal machen, aber haben sich dann auch nicht mehr gemeldet<br />

und haben es ja auch nie gemacht so richtig. Die Leute gucken halt selber im eigenen<br />

Interesse, dass es gut läuft und halten auch ein bisschen Abstand zu den Nachbarn, zumindest<br />

teilweise. Es ist nicht überall, aber die meisten stehen ja da für sich. Und wie gesagt, beim<br />

Heizen da gibt es die Regel, dass es eben <strong>mit</strong> trockenem Holz, nicht <strong>mit</strong> Kohle und möglichst<br />

keine Elektroöfen, wobei ja die von der Sicherheit wahrscheinlich okay wären, aber eben der<br />

Stromverbrauch. Theoretisch könnte man auch <strong>mit</strong> Gas heizen, <strong>mit</strong> so Technik, die man auch<br />

im Wohnmobil hat. Das wäre auch noch eine Möglichkeit, die ja durchaus mal kommen<br />

könnte, wenn sich halt Anwohner zu sehr aufregen wegen irgendwelcher Emissionen oder so.<br />

177


➣ 6.2.9<br />

F: Die Fragen sind jetzt thematisch nicht ganz so zusammenhängend. Die Vauban-<br />

Wagenburg ist eigentlich nicht in der Presse, gar nicht, wenn man so die letzten Badische<br />

Zeitung-Artikel der letzten 5 Jahre nimmt, die habe ich mal durchgeschaut im Archiv. Das ist<br />

eigentlich kaum ein Thema.<br />

B: Es war neulich mal ein Thema als positives Beispiel, wie es auch sein kann. Als es um die<br />

Schattenparker ging, da habe ich mal jemand von der BZ hierher geholt und dann <strong>mit</strong><br />

Wagenleuten in Kontakt gebracht, da gab es dann einen ausführlicheren Artikel. Die haben<br />

sich dann eben auch <strong>mit</strong> Wagenleuten unterhalten. Aber ansonsten wenig. Das hat einfach<br />

auch den Grund, also ein Foto kommt immer mal irgendwo rein, in irgend<strong>einer</strong> Form. Aber<br />

man hat jetzt auch nicht den Bedarf gehabt, von hier aus etwas zu machen. (Telefongespräch)<br />

Es macht ja jetzt keinen Sinn, einen Wagenplatz, den es gibt, irgendwie stark ins Zentrum zu<br />

stellen. Letztendlich gibt es auch noch zu wenige Wagenplätze. Es kommt dann eher wieder<br />

von der Politik oder von der Stadtverwaltung, nach dem Motto, wenn dann die Forderung<br />

wieder ist nach einem neuen Platz oder dass etwas bleiben kann, wo eben noch nicht so<br />

etabliert ist. Dann heißt es ja immer: Es gibt ja schon die und die Wagenplätze. Und da wollen<br />

wir uns jetzt nicht gerade immer vorne dranstellen, dass wir dann als Alibi benutzt werden,<br />

was für tolle Wagenplätze es hier in Freiburg gibt. Erstens muss man den auch total<br />

erkämpfen auf eine Art, überhaupt das gesamte Gelände, das Projekt und so, und da ist eben<br />

quasi der Wagenplatz dann <strong>mit</strong> draus entstanden, was aber ja ein Stück weit auch angekündigt<br />

und klar war. Und von daher, dass die Stadt sich dann da<strong>mit</strong> rühmt, das wollen wir nicht, als<br />

Alibifunktion herhalten. Es braucht auch immer mehr Plätze, und deswegen halten wir uns da<br />

eigentlich auch ziemlich zurück. Und die Leute haben jetzt auch nicht das Bedürfnis oder den<br />

Drang, sich in den Mittelpunkt zu stellen. Es kommen immer noch genug Gäste in den<br />

Vauban, einfach Reisegruppen, die da Besichtigungen/Führungen bekommen. Die gucken da<br />

dann auch immer und fotografieren und so kommt es in die ganze Welt, bis nach Japan. Also<br />

von daher läuft da genug Öffentlichkeitsarbeit. Da ist die Frage, ob der Parameter dabei die<br />

BZ ist, aber das ist natürlich kommunalpolitisch ein Parameter, ganz klar, ein Maßstab.<br />

F: Verkauft die Stadt gezielt das positive Image dieser Wagenburg?<br />

B: Ja, schon, klar, durchaus. Und wenn es dann eben darum geht, dann heißt es schnell, Ja, da<br />

gibt's ja schon Plätze. Da sind sie schnell bei, Eselswinkel, Ölmühle und SUSI, wir müssen<br />

dann als Alibifunktion herhalten, wenn es darum geht zu begründen, warum man nicht noch<br />

einen Wagenplatz zulässt.<br />

F: Eine nachhaltige Form des Wohnens?<br />

B: Das ist sehr umstritten. Gerade die Grünen haben am Anfang ja manchmal Probleme <strong>mit</strong><br />

Wagenplätzen und so, nach dem Motto: Wenn die dann irgendwo im Wald sind oder auf <strong>einer</strong><br />

Lichtung oder in Gebieten, wo eigentlich gar nicht gebaut werden darf, oder so etwas. Dann<br />

kommt hinzu, dass man nur eine relativ geringe Verdichtung herausholt städtebaulich. Aber<br />

diese zwei Argumente haben wir im Laufe der Jahre geschafft zu entkräften, so dass die<br />

einsichtig sind, und sich auch die Grünen da letztendlich für die Wagenplätze schon auch<br />

einsetzen oder eingesetzt haben. Aber es hat auch gedauert. Es war nicht gleich<br />

selbstverständlich. Es wird nichts versiegelt, kaum Resourcen werden verbraucht, es ist nur<br />

eine temporäre, vorübergehende Sache und es ist vor allem auch eine Wohnform. Dass es<br />

eben das Recht geben soll, dass man eben auch so wohnt, und dann musste man auch<br />

klarmachen, dass immer nur ein verschwindend geringer Teil der Leute sind, die so wohnen<br />

oder leben wollen. Und dass es da eher um Toleranz geht. Dass es das halt auch geben kann.<br />

Es sagt ja jetzt niemand, dass alle in einem Wagen wohnen sollen, sondern es geht einfach<br />

178


➣ 6.2.9<br />

darum, dass es das auch gibt, und seien es nun irgendwelche Leute, die beruflich auf Reisen<br />

angewiesen sind, und es da halt auch passt, ob es jetzt im Wohnmobil ist oder <strong>mit</strong> dem<br />

Zirkuswagen, das sei mal dahin gestellt. Leute, die ein einfaches Leben leben wollen und die<br />

sonst nicht die Möglichkeit hätten, dass sie sich das erfüllen können, und dass es auch seine<br />

Berechtigung hat.<br />

F: Ein Argument von Seiten der Stadt ist immer, dass, wenn man einen Platz ausweist, dass es<br />

dann zu einem unendlichen Zuzug kommen wird.<br />

B: Ja, gut. Ich denke, wenn es mal genug Plätze gäbe und verteilt, dann wäre das nicht so das<br />

Problem. Natürlich, es kommt hinzu, dass Freiburg klimatisch sicherlich auch noch einmal<br />

atmosphärisch ganz nett ist, also dass dadurch ein gewisser Zuzug einfach gegeben ist, wo<br />

dann vielleicht auch gerade noch mal Leute das Wagenleben anzieht, das mag sein, dass das<br />

<strong>mit</strong> eine Rolle spielt. Und wenn es drumherum nicht möglich ist in den anderen Gemeinden,<br />

wenn die dicht machen, klar, dann gibt es halt so diesen Oaseneffekt, eine Oase in der Wüste,<br />

und das wird eben angesteuert. Das ist klar. Andererseits Freiburg, wie der Name schon sagt,<br />

hat da auch eben dieses Image gern, und von daher muss da schon noch ein bisschen mehr<br />

drin sein.<br />

F: Du hast gerade so das Umfeld angesprochen: Tübingen hat, meine ich, eine recht ähnliche<br />

Situation gehabt, ein Kasernengelände. Da ist es irgendwie anders abgelaufen. Lag es nur am<br />

Wald?<br />

B: Kuntabunt und Bambule und so, die da am Rande waren, da waren ja auch schon<br />

Wagentreffen, dann kennt man sich auch teilweise. Gut, da ist schon eine andere Situation,<br />

sicher. Da war man erst mal auch aufgeschlossener demgegenüber. Aber da gibt es ja auch<br />

eine lange Geschichte, da musste man ja auch drum kämpfen letztendlich, weil da kamen<br />

glaube ich auch noch Entwicklungsmaßnahmen, die Kaserne war jedenfalls auch eine<br />

Konversionsfläche.<br />

F: Aber es hat sich ein städtischer Wagenplatz entwickelt, und hier in Freiburg nicht.<br />

B: Ja, schon. Die Stadt lässt ja hier quasi das Rieselfeld und den Eselswinkel als städtischen<br />

Wagenplatz laufen oder als so eine Art.<br />

F: Wenn man die jetzt vergleichen würde, Biohum hat zum erstellen Zweihunderttausend<br />

Euro gekostet, die Demonstrationszüge von Schattenparkern haben ein bisschen mehr als eine<br />

Million Euro gekostet. Was ist das für eine Relation zu dem Projekt hier?<br />

B: Es hat hier jetzt die Stadt gar nichts gekostet, im Gegenteil. Die Stadt hat Geld bekommen<br />

dafür, dass es SUSI gibt. SUSI hat keinen Pfennig von der Stadt, keinen Cent, im Gegenteil,<br />

man beteiligt sich an der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme noch zusätzlich, bezahlt in<br />

den Gesamttopf ein, wie jeder Investor ein Stück weit auch, für Erschließungsmaßnahmen,<br />

die außerhalb vom Gelände passieren. Fakt ist, dass man das hier alles erkämpfen musste,<br />

dass man die Förder<strong>mit</strong>tel, die wir haben, von Land und Bund haben, und dass man auch da<br />

eigentlich, bis auf die studentischen Zuschüsse, nichts in Anspruch nimmt. Die Darlehen im<br />

sozialen Wohnungsbau zahlen wir auch zurück. Dann haben wir überhaupt ganz wenig<br />

Subventionen, Förder<strong>mit</strong>tel und Förderdarlehen in Anspruch genommen, nur die Hälfte<br />

gegenüber dem studentischen Bettplatz beim Studentenwerken, und auch nur die Hälfte pro<br />

Quadratmeterr an zinsverbilligten Darlehen im sozialen Wohnungsbau gegenüber anderen.<br />

Also wir sind eigentlich das Vorzeigeprojekt schlechthin dahingehend und haben zusätzlich<br />

179


➣ 6.2.9<br />

dann auch noch eine Toleranz und Bereitschaft und den Willen, dass der Wagenplatz hier sein<br />

kann, den die Stadt quasi so zusätzlich zur Befriedung und kulturellen Bereicherung noch<br />

dazubekommen hat. Mal gerade so nebenbei. Und das können wir, denke ich, auch ganz<br />

selbstbewusst sagen. Weil stolz sind wir ja nicht. (lacht)<br />

F: (lacht) Rassismus oder Sexismus, ist das eher weniger ein Thema in so einem Gebiet, das<br />

ja <strong>mit</strong> ein gewisser Integrations ...<br />

B: Wenn da irgendwie eine Punker-WG <strong>mit</strong> ehemals obdachlose Jugendliche von der Straße<br />

<strong>mit</strong> <strong>einer</strong> Frauen/Lesben-WG zusammenkommt in der Nachbarschaft, da gab es schon<br />

Reibungspunkte, wo Sachen aufeinanderkamen. Aber ich denke, das wird überall erfasst. Das<br />

gibt es halt, Auseinandersetzungen kann es mal geben. Weil du jetzt gezielt eben Sexismus<br />

oder etwas angesprochen hast, da gab es dann schon mal etwas, dass die Punks ziemlich im<br />

Sprachgebrauch dann ziemlich ordinär waren und (3) da gab es dann schon Probleme. Und<br />

letztendlich sind die dann auch hier gegangen oder ausgezogen aus dem Projekt. Aber nicht<br />

nur deswegen, auch noch, weil da viele Sachen waren, von Sachbeschädigung oder<br />

Ruhestörung, Beleidigung, Mietrückstände. Alles zusammen hat eben dazu geführt, dass ein<br />

Großteil dieser Punks, die wir mal hatten, weggezogen sind. Zwei sind noch da. Aber nicht<br />

auf dem Wagenplatz, weil (lacht) (2) und die zahlen auch ihre Mietschulden zurück oder<br />

haben sie inzwischen fast. Einer hat es komplett zurückbezahlt, da hat es zwar lange gedauert,<br />

aber es hat auch funktioniert. Und <strong>einer</strong> lebt jetzt in <strong>einer</strong> Wohnung, hat sich integriert. Man<br />

kann ja niemanden integrieren, er hat sich selbst eben integriert.<br />

F: Kann man da vielleicht eine Wagenburg sozusagen als Integrations, als Zwischenschritt<br />

auch ansehen für Leute, die Platte machen, die draußen auf der Straße sind, und dann<br />

sozusagen der Übergang in ein so genanntes normales Wohnhaus?<br />

B: Ich denke, das kann man nie verallgem<strong>einer</strong>n. Das ist eine Möglichkeit, die es geben kann,<br />

aber ich würde eher sagen, dass so jemand eher gerne von der Brücke weg in so einen Wagen<br />

und dann da auch bleiben. Das würde ich mal von der Mehrheit sagen. Vielleicht gibt es ja<br />

dann auch irgendwann wieder, dass es doch <strong>mit</strong> einem Haus oder so. (2) Das kommt aber<br />

drauf an, was sie da für Möglichkeiten bekommen. Das ist so individuell, die persönlichen<br />

Schicksale, das ist so vielfältig. Das hängt ja auch da<strong>mit</strong> zusammen: Hat jemand riesige<br />

Probleme psychischer Art oder Drogenabhängigkeit oder so etwas oder sonst irgendetwas.<br />

Oder ist es einfach ein Abenteurertyp, der das einfach nicht haben kann, im Haus zu sein, dass<br />

so etwas eine Rolle spielt, dass man einfach raus will, draußen sein will. Das denke ich, sind<br />

so unterschiedliche Beweggründe. Bis hin zum wirklich Reisenden, der herumreisen will. Um<br />

die geht's ja. Klar, Schattenparker sind ja mobiler, die fahren eher <strong>mit</strong> dem Wohnmobil herum<br />

heutzutage, und die anderen sind eher so, dass sie ihren Wagen ein paar Meter weit bewegen<br />

wollen und dann wieder da bleiben wollen.<br />

F: In der öffentlichen Meinung gibt's ja noch so ein bisschen die Tendenz, dass es sich um ein<br />

kriminelles Milieu handelt. Bei der Ölmühle gibt es polizeiliche Akten über die Anfangszeit.<br />

Was kann man da sagen aus der eigenen Erfahrung heraus? Stimmt dieses Vorurteil?<br />

B: Ich denke, es kommt eigentlich daher, dass man erst mal so das übliche (3) Misstrauen<br />

gegenüber dem Unbekannten, Fremden, Andersartigen hat. Das spielt da sicher eine Rolle,<br />

und das ist bei der Polizei und beim Verfassungsschutz und überall bei denen auch extrem<br />

ausgeprägt, und dann tun sie sich da auf irgendwelche harmlosen Leute, weil die so anders<br />

sind, konzentrieren. Also das halte ich für link, abwegig. Also irgendjemand, der aus der Sicht<br />

eine Gefahr sein könnte, sitzt jetzt nicht irgendwo im Wagen, das ist viel zu auffällig. Das ist<br />

180


➣ 6.2.9<br />

eher ein Ablenkungsmanöver und auch ein bisschen Hetze und Kampagne. Das geht für mich<br />

schon auch ein Stück weit in Richtung Rassismus gegen das Andersartige. Ich meine, das ist<br />

ja in dem Fall nicht gegen die Abstämmigkeit von irgendeinem Völkerstamm oder so. Aber<br />

einfach nur eben jemand, der so lebt, der wird erst einmal als (2) Störung betrachtet, vielleicht<br />

auch als Gefahr. Das kriminell schon gar nicht. Ich würde eher sagen, es sind oft Leute, die<br />

eher friedvoll sind, die ihren Einklang <strong>mit</strong> der Natur, die ihre Ruhe haben wollen eigentlich,<br />

die einfach leben wollen, die auch nicht irgendwie materiell die Idee kämen, sich mordsmäßig<br />

zu bereichern, sondern denen ist das einfach auch gar nicht so wichtig, jetzt mal ganz<br />

verallgem<strong>einer</strong>t. Natürlich wird es da auch Ausnahmen geben, aber tendenziell mal im<br />

Vergleich zur Allgemeingesellschaft, würde ich eher sagen, völlig harmlos, was das angeht.<br />

F: Ich glaube, wir kommen dann schon zu den Abschlussfragen.<br />

B: Also vielleicht ein gewisser Ungehorsam, der sich entwickelt, wenn Leute einfach immer<br />

wieder verjagt werden und so und einfach, dass einem das zuviel wird, und dass man dann<br />

auch eher wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht, und aus dem Kalkül<br />

heraus. Ich meine, dass es auch schon einen gewissen Mut auch erfordert, bei manchen halt,<br />

dass sie den Schritt halt tun in den Wagen, also auch gegenüber ihren Eltern oder sonstigen<br />

Leuten, das einfach zu machen, das einfach zu leben, da braucht man schon eine gewisse<br />

Courage. Ja, sich überhaupt zu trauen, draußen zu sein nachts, und irgendwie so sein Leben<br />

zu meistern und das teilweise ohne Recht an einem Grundstück, wo man stehen darf und<br />

einfach herumziehen, das erfordert schon einen gewissen Mut und so. Von daher auch<br />

vielleicht dann so ein bisschen die Einstellung, dass man sich nicht gleich alles gefallen lässt,<br />

wenn da irgendwelche Ordnungshüter über Gebühr irgendwo dann aufspielen, anstatt dann<br />

irgendwie den tatsächlichen Verbrechern oder sonst wo hinterherzugehen und sich dann <strong>mit</strong><br />

so etwas die Zeit vertreiben.<br />

F: Wie siehst du die Entwicklung in der Stadt Freiburg?<br />

B: Ich denke, jetzt die Schattenparker haben es ganz gut thematisiert, auch wenn da noch<br />

sicherlich einiges, was jetzt so Öffentlichkeitsarbeit, die Außenwirkung angeht, vielleicht<br />

auch schief gegangen ist. Das lag aber teilweise nicht nur an ihnen selber, das sind<br />

irgendwelche anderen Leute, die da <strong>mit</strong>gemacht haben. Und traurig ist halt, dass die BZ,<br />

Polizei und Stadtverwaltung teilweise genau dann so etwas nutzen und ausspielen und da<br />

Stimmung gemacht wird. Und es wird eben auch auf die Spitze getrieben. Man ist einfach zu<br />

weit gegangen. Ich denke, man schießt da teilweise wirklich <strong>mit</strong> Kanonen auf Spatzen. Die<br />

Verhältnismäßigkeit ist völlig verloren gegangen bei diesen Einsätzen. Krass, also das war<br />

schon enttäuschend. Und andererseits vielleicht auch ein Lehrstück. Andererseits weil das so<br />

war, hat es doch wieder auch eine Sensibilität geschaffen hat. Aber alle Plätze, die man da<br />

irgendwo gezeigt hat, man war ja da auch konstruktiv, und aus irgendwelchen Gründen ist das<br />

nicht gegangen, oder selbst wenn es dann Privatleute waren, die da etwas bereitstellen<br />

wollten, wurde eben auf die Druck ausgeübt in irgend<strong>einer</strong> Form, dass die dann auch wieder<br />

einen Rückzieher gemacht haben. (3) Teilweise, könnte ich mir auch vorstellen, dass man<br />

Flächen nimmt, die jetzt quasi nicht im Flächennutzungsplan drin sind als Bauflächen, oder<br />

im Gitter drin sind, oder erstmal die nächsten Jahre nicht rankommen, wo es selber keinen<br />

Bebauungsplan gibt, dass man da auch guckt, ob es nicht die eine oder andere Fläche gibt, die<br />

da geeignet wäre. Das sind auch solche Flächen, die man in <strong>einer</strong> Entwicklung irgendwo in<br />

einem Gewerbegebiet oder sonst wo, wo es halt für manche Wagenleute, die wollen jetzt<br />

nicht unbedingt naturnah, sondern eher stadtnah wohnen. Die brauchen eher wieder eine<br />

andere Fläche, andere Umgebung. Das kann man alles auch gar nicht über einen Kamm<br />

scheren. Also ich wünsche mir einfach da mehr Toleranz und dass man nicht immer die<br />

181


➣ 6.3.1<br />

Ängste schürt bei Leuten durch Vorurteile, dass man da auch irgendwie cool bleibt und man<br />

sieht, das wird immer nur ein Teil der Bevölkerung machen. Es sind mehr jüngere Leute,<br />

natürlich auch nicht nur, aber letztendlich ist es ein verschwindend kl<strong>einer</strong> Teil in der<br />

Bevölkerung. Ich denke auch, die Toleranz kann zu <strong>einer</strong> gewissen Befriedung irgendwo<br />

beitragen. Die Leute wollen einfach nur ihr Leben leben können. Und es ist darüber hinaus<br />

auch eine Bereicherung. Wenn man solche Plätze hat und solche Nischen, dann kann sich<br />

eben auch eine andere Kultur ansiedeln. Früher gab es Gaukler und reisende Händler und<br />

sonst etwas, die haben die Nachrichten <strong>mit</strong>gebracht von Ort zu Ort und haben dann irgendwo<br />

auch kulturell etwas hereingebracht. Ein Stück weit sehe ich es heute auch noch so, vielleicht<br />

einwenig sesshafter. Es sind Leute, die einfach leben wollen und kleine Brötchen backen und<br />

oft wenig konsumieren und bei der ganzen Wirtschaftswachstumsgeschichte sich nicht<br />

beteiligen wollen. (2) Freiburg, glaube ich, war ja mal eine Stadt, wo alle Zugang hatten - so<br />

habe ich es irgendwie in Erinnerung vom Heimatkundeuntericht (lacht), dass die Menschen<br />

ursprünglich in den Stadtmauern von Freiburg sicher waren oder sein konnten. Da gab es<br />

zumindest mal irgendwann so eine Zeit.<br />

F: Schönes Schlusswort.<br />

6.3 Umfeld-Transkriptionen<br />

6.3.1 Frau Beule (Journalistin der Badischen Zeitung)<br />

F: Worin unterscheidet sich denn die Berichterstattung von Wagenburg-Kultur zu einem<br />

anderen Thema? Unterscheidet sich das?<br />

B: Also eigentlich würde ich erstmal sagen, unterscheidet sich's gar nicht von der<br />

Herangehensweise, weil man eigentlich genauso an so ein Thema rangeht wie an jedes andere<br />

eigentlich auch, und es wird von einem Lokaljournalisten auch verlangt, dass man sich im<br />

Grund in jedes Thema so einarbeiten kann. (2) Bei diesem ganzen Thema Schattenparker war<br />

natürlich das Problem, dass das natürlich politisch hoch brisant war. Dementsprechend wird's<br />

natürlich immer schwierig. Oder dann wird die Berichterstattung immer (2) kritischer beäugt,<br />

würd' ich sagen, als wenn es ein Thema ist, was nur wenige Leute interessiert. Man ist dann<br />

von beiden Seiten unter Beschuss und hat dann auch das Gefühl, man kann's auch niemandem<br />

wirklich recht machen. Es ist dann so: Die eine Seite meckert, und die andere Seite meckert,<br />

und jeder fühlt sich schlecht dargestellt oder falsch dargestellt.<br />

F: Mit zwei Seiten meinen Sie die Schattenparker und die Stadt.<br />

B: Genau, ja.<br />

F: Die Stadtverwaltung oder eben die Regierung.<br />

B: Ich weiß nicht, ob da sonst noch jemand drinhängt. Ich denk also schon primär natürlich an<br />

diese beiden Seiten, die ja auch so gegeneinander (2) oder die einfach unterschiedliche<br />

Interessen haben und insofern (2) jeder sagt dann: "Aber der andere ist zu gut dargestellt. Der<br />

kriegt zuviel Raum in der Zeitung.“ Oder: „Das wird zu positiv dargestellt und es war gar<br />

nicht so." Und die andere Seite sagt's genau andersherum. Und im Grunde steht man so als<br />

Journalist dazwischen. Und (3) was das Thema Wagenburg schwierig gemacht hat, war<br />

vielleicht, dass die einfach aufgrund ihrer basisdemokratischen Struktur keinen Sprecher<br />

182


➣ 6.3.1<br />

haben, der nach außen tritt und für sie spricht, das gilt halt gegenüber der Stadtverwaltung,<br />

gegenüber der Polizei, gilt aber genauso gegenüber der Presse. (3) Und dementsprechend<br />

wechseln sie halt immer wieder die Ansprechpartner, man weiß nie, <strong>mit</strong> wem man's zu tun<br />

hat. Man weiß nicht (2), kann man sich jetzt auf die Aussagen verlassen, weil's immer wieder<br />

neue Leute sind. Oder es gab halt einfach ein paar, die ich <strong>mit</strong> der Zeit kannte, und wo ich<br />

auch wusste, wenn die etwas sagen, dann ist es auch einigermaßen wasserdicht. Es gab aber<br />

auch andere, wo ich das nicht wusste oder wo ich dann auch erlebt hab, dass es nicht so ist.<br />

Das ist natürlich schwieriger, wenn man da immer wieder neue Leute hat, und dann weiß man<br />

noch nicht mal, wen man da am Telefon hat. Die wollen ja auch die Namen dann nicht sagen,<br />

weil sie angeblich, oder das ist so immer dann die Begründung, Angst haben vor der Polizei<br />

oder wie auch immer, obwohl sie ja im Grunde ja sowieso die meisten der Polizei bekannt<br />

sind, kann man ja sagen. Insofern ist das ein bisschen schwierig nachvollziehbar.<br />

F: Also Schwierigkeiten, einen Ansprechpartner zu finden in der Szene?<br />

B: Ja, genau. Oder gar nicht unbedingt Schwierigkeiten, einen Ansprechpartner zu finden,<br />

sondern keinen kontinuierlichen zu haben. Also die waren schon auskunftsbereit, das auf<br />

jeden Fall, aber wollten eben nicht immer nur einen, nicht immer nur den gleichen<br />

Ansprechpartner nach außen geben. Und sie wollten eben auch keine Namen von sich in der<br />

Zeitung stehen haben oder viele nicht, also die meisten nicht. Am Anfang gar nicht, und dann<br />

hat sich's noch ein bisschen geändert. Und (3) das ist dann auch immer schwierig (2), oder<br />

was ich auch immer nicht so ganz verstanden habe, weil ja eigentlich an sich immer der<br />

Gegenseite, jetzt der Stadtverwaltung oder auch der Polizei, vorgeworfen wird, dass sie<br />

immer sofort kriminalisiert werden und gesagt wird; Okay, das ist ja alles ganz schlimm, was<br />

ihr da macht." Aber im Grunde, wenn man dann noch nicht mal bereit ist, <strong>mit</strong> seinem Namen<br />

in der Zeitung zu stehen, verstärkt das ja dieses Bild; So, wir machen etwas ganz Böses da<br />

und das ist alles ganz illegal." Anstatt zu sagen; Ich heiß jetzt soundso und sage das, die<br />

wohnen hier, das ist nichts Illegales, und wir tun auch nichts Böses und nichts Verbotenes. Ja,<br />

das macht es auf der Seite schwierig, (5)<br />

F: Wie ist dann der Informationsfluss von der anderen Seite, von der städtischen Seite?<br />

B: Das läuft da ganz offiziell. Die haben da ihre Pressestelle und (3) da ruft man an und dann<br />

kennt man ja auch die Ansprechpartner (3). Also das kann man jetzt nicht wirklich<br />

vergleichen. Das eine ist eben eine professionelle Pressestelle und das andere ist dann eine<br />

normale Gruppe. Das hat jetzt auch nichts <strong>mit</strong> Wagenburg oder sonst etwas zu tun. Das ist<br />

natürlich immer, wenn man so einen Verein oder was hat, ist das nicht das Gleiche, wie wenn<br />

man jetzt eine professionelle Pressestelle hat.<br />

F: Hat man da das Gefühl, dass man ausreichend <strong>mit</strong> Informationen versorgt wird von<br />

städtischer Seite?<br />

B: Natürlich will die Stadt vielleicht auch nicht immer alle Informationen sofort sagen. Zum<br />

Teil laufen da noch Verhandlungen oder so, dann können sie auch manche Sachen aus den<br />

Gründen nicht sagen. Aber im Großen und Ganzen haben die auch eine Auskunftspflicht,<br />

zumindest in vielen Bereichen und müssen dann ja auch Auskunft geben, wenn die Presse<br />

dort anruft. Nun noch einmal zu den Wagenburglern zurück: Die waren ja auch immer sehr -<br />

hatten immer so ein großes Bedürfnis: "Ja, wir wollen jetzt, dass die Zeitungen über uns<br />

berichten“ und haben auch immer viele Presse<strong>mit</strong>teilungen geschickt und so, waren dann aber<br />

auf der anderen Seite eben, wenn man dann kam und was wissen wollte, manche schon eher<br />

ganz abweisend, aber auch wie gesagt dann dieses Problem, dass sie keine Namen nennen<br />

wollten. Und das passt eben alles nicht so ganz zusammen. (10)<br />

183


F: Also ist es dann schwierig, das Thema zu versachlichen, wenn man zwischen den zwei<br />

Gegenspielern ver<strong>mit</strong>teln muss? Also dann eine sachliche und klare Linie reinzubringen.<br />

➣ 6.3.1<br />

B: Ich meine, das war natürlich schon ein sehr emotionales Thema, aber ich würde jetzt nicht<br />

sagen, dass es anders ist bei so einem Wagenburg-Thema als bei jedem anderen politisch<br />

brisanten Thema. Das hat man sehr häufig, dass man einfach (1) die Stadt halt <strong>mit</strong> ihrer<br />

Position oder Regierungspräsidium oder sonst wen, und auf der anderen Seite eben den<br />

Verein oder wen auch immer, die ein ganz anderes Interesse haben und (2) dann hat man<br />

immer diese Konflikte dazwischen und muss dann immer sehen, dass man beide Seiten<br />

gleichmäßig darstellt. Aber je brisanter das Ganze wird, hab ich halt den Eindruck, das sich<br />

halt immer mehr beide Seiten schlecht dargestellt fühlen oder immer gesagt wird: "Ja, die<br />

andere Seite kriegt viel mehr Raum als wir." Und die andere Seite sagt genau das Gleiche.<br />

F: Aber als Journalist arbeitet man ja unabhängig, oder? Das ist doch irgendwo so ein Codex,<br />

dass man dann sagt (2) ich lass mich nicht vereinnahmen von <strong>einer</strong> Partei?<br />

B: Ja, so sollte es ja sein, dass man versucht, beide Seiten darzustellen, und zwar neutral<br />

darzustellen. Also dass man jeweils die Positionen gegenüberstellt, das Ganze nicht wertet<br />

und (2) einfach sagt, die wollen das oder das ist deren Position, und die anderen wollen eben<br />

das und die haben die Position. Und bitte, lieber Leser, dann guck halt, was du davon hältst.<br />

F: Werte ist ein interessantes Stichwort, weil ich hab mir die Frage gestellt: Handelt es sich<br />

bei dem Ganzen um einen Wertekonflikt oder um einen Interessenskonflikt? Was ist da Ihre<br />

persönliche Meinung?<br />

B: Was meinen Sie jetzt <strong>mit</strong> Wertekonflikt?<br />

F: Also Werte in Bezug auf die ganze Lebensform, die Werte, die da repräsentiert werden.<br />

Und Interessenskonflikt so der Platz, also die Fläche.<br />

B: Dazu möchte ich nichts sagen.<br />

F: (5) Was ist denn der häufigste Schreibanlass bei der Thematik?<br />

B: Im Grunde: Solange man von denen nichts hört und nichts sieht, sind die natürlich auch<br />

nicht groß Thema in der Zeitung. Das hatte mich auch verwundert. Ich hatte auch mal in<br />

anderen Städten nachgefragt, wie die so <strong>mit</strong> Wagenburgen umgehen, dass dort auch die<br />

Stadtverwaltung und zum Teil auch die anderen Zeitungen gesagt haben: "Wagenburgen?<br />

Was ist das denn? Da haben wir ja noch nie was davon gehört." Obwohl die auch einen<br />

Wagenburg-Platz hatten, zum Teil auch <strong>mit</strong> vielen Leuten drauf. Die hatten aber gar keine<br />

Probleme da<strong>mit</strong> und deswegen war das überhaupt kein Thema für die und deswegen kannten<br />

die das überhaupt nicht oder mussten erst mal stark in ihrem Gedächtnis kramen, sich mal<br />

wieder dran erinnern, dass sie sowas auch noch hatten. Also insofern, klar, solange da kein<br />

aktueller Anlass ist, geht sowas dann eher unter, oder wird vielleicht mal alle paar Jahre, ach,<br />

da haben wir ja noch so einen Wagenburg-Platz. Was machen die denn da eigentlich (2) so als<br />

kuriose Wohnform. Wobei man aber sagen muss, dass andere Themen ja ähnlich behandelt<br />

werden. Also es gibt ja ganz, ganz viele Themen in der Stadt, die nur zum Thema werden,<br />

wenn irgend etwas Aktuelles passiert, weil man kann ja gar nicht über diese Wohnform oder<br />

über jedes andere Thema oder was weiß ich alle drei Monate berichten. Also dafür ist ja der<br />

Platz in der Zeitung gar nicht da. Und in dem Fall war der aktuelle Anlass, die mussten halt<br />

von dem Platz runter in St. Georgen. So fing's ja an. Und dann gab's noch diese<br />

184


➣ 6.3.1<br />

Gerichtsverhandlung. Es war ja über Wochen oder Monate hohes politisches Thema und<br />

dementsprechend wurde auch häufig drüber berichtet.<br />

F: Also der politische Konflikt als primärer Schreibanlass.<br />

B: In dem Fall schon. Ja.<br />

F: (3) Was gibt's zu den Bildern zu sagen? Also die Bebilderung von dem Artikel? Ist da<br />

irgend etwas zu beachten, wenn man da als Journalist Bilder macht?<br />

B: Also erstmal muss ich sagen, dass ich selber keine Bilder gemacht habe, sondern dass das<br />

immer noch mal ein Fotograf selber macht. (3) Inwiefern man da Bilder, ähm ich denk es ist<br />

von der Bebilderung jetzt nicht ein anderes Problem als bei jedem anderen Artikel auch.<br />

F: Muss denn um Erlaubnis gefragt werden, ob sie abgebildet werden dürfen?<br />

B: Das kommt immer so ein bisschen auf den Kontext drauf an. Aber dafür bin ich zu wenig<br />

Fotojournalistin, als dass ich das jetzt im Detail weiß. Also wenn man jetzt zum Beispiel ein<br />

Portraitfoto macht von <strong>einer</strong> einzelnen Person, dann muss auf jeden Fall die Person da<br />

einverstanden sein. Wenn man jetzt z. B. aber ein großes Ereignis fotografiert, wie auch zum<br />

Beispiel eine Demo, da muss man dann nicht jeden einzelnen fragen. Also und dazwischen<br />

gibt's dann nochmal irgendwelche Unterregelungen, die ich jetzt aber nicht im Detail kenne.<br />

F: Okay. (3) Ja, ich hab die Bebilderung mal gezählt. Das waren bei 83 Artikeln gab's 31<br />

Bilder, die dazu gemacht worden sind.<br />

B: Ehrlich? So wenig?<br />

F: Ist das wenig?<br />

B: Da die BZ einen fest vorgeschriebenen Bildanteil pro Seite hat, wundert mich das jetzt.<br />

Wobei man vielleicht auch da jetzt auch immer so das Problem hatte, dass die Bilder immer<br />

ähnlich sind. Also entweder hat man eine Demo, okay, aber jetzt bei den anderen<br />

Geschichten, ja dieser Wagenburg-Platz und so, das sieht dann natürlich irgendwann immer<br />

gleich aus oder die Leute sehen immer gleich aus und dann ist es natürlich auch blöd, wenn<br />

man immer ein ähnliches Bild hat.<br />

F: Was noch ein bisschen auffällig war, dass von den ganzen 31 oder 32 Bildern zwei aus<br />

einem Wagen innendrin waren. Alle anderen Bilder waren eigentlich sozusagen<br />

Außenaufnahmen, wie Sie gesagt haben, Demonstrationszug oder so.<br />

B: Ja, aber ich meine, das ist natürlich (4), weiß ich nicht. Man lässt ja auch nicht jeden sofort<br />

in seine Wohnung rein, insofern ist das ja auch klar, dass die vielleicht nicht jeden in den<br />

Wagen reinlassen und da Bilder machen lassen, weil's ja auch nicht um das Innenleben von<br />

dem Wagen geht in dem Fall oder in dem Bericht, sondern es geht ja eher um den ganzen<br />

Platz. Und dann nimmt man natürlich auch ein Bild, was den ganzen Platz repräsentiert und<br />

nicht, was das Innere des Wagens repräsentiert, würde ich jetzt mal sagen.<br />

F: Ist es schwierig, sich <strong>mit</strong> Literatur zu versorgen, um das Phänomen zu erklären?<br />

B: Also erstmal muss man ja sagen, dass Lokaljournalisten generell sehr wenig <strong>mit</strong> Literatur<br />

arbeiten, also zumindest so <strong>mit</strong> Büchern jetzt an sich. Also es ist ja nicht so wie bei <strong>einer</strong><br />

wissenschaftlichen Arbeit, dass man sich vorher zehn Bücher besorgt und dann die erstmal<br />

185


➣ 6.3.1<br />

alle durcharbeitet, und dann 10 Wochen später den Artikel schreibt. Das geht ja im normalen<br />

Tagesgeschäft gar nicht. Sondern es passiert irgendwas, in dem Fall dann halt die Besetzung<br />

der Wagenburgler von dem Platz XY, und dann hat man keine Zeit, sich erst noch großartig<br />

da einzulesen, sondern dann geht die ganze Aktion dann vielleicht bis abends um 8 und bis<br />

um 9, und um 10 muss dann der Text fertig sein, und da ist natürlich der Zeitdruck viel zu<br />

groß, als sich da groß einzuarbeiten. Ansonsten macht man viel Internetrecherche, da gibt's<br />

dann schon ein paar Sachen zum Thema, aber richtig viel dann auch nicht. Vor allem halt<br />

nichts Neutrales. Also da gibt's dann einfach die verschiedenen Wagenburg-Gruppen in<br />

Deutschland oder so, die dann Internetseiten haben, dann gibt's da diese eine Diplomarbeit,<br />

die ich ja auch mal gelesen habe, aber ansonsten (2) so Hintergrundwissen Wagenburgler<br />

bekommt man dann einfach durch die Personen vor Ort, <strong>mit</strong> denen man sich unterhält, aber<br />

nicht unbedingt durch Literatur.<br />

F: Sehr spärlich.<br />

B: Ja, ich hab wie gesagt halt da gar keinen Überblick da drüber, weil ich mich nicht<br />

wissenschaftlich <strong>mit</strong> dem Thema beschäftige, sondern eben journalistisch, und das ist dann<br />

eine andere Herangehensweise.<br />

F: Ja, vielleicht ein bisschen allgem<strong>einer</strong> - ich weiß nicht, ob Sie da etwas dazu sagen können:<br />

Die mediale Berichterstattung über dieses Phänomen, wie kann man die bewerten so im<br />

Allgemeinen?<br />

B: Da habe ich keine Ahnung von.<br />

F: Stehen Ihnen bei der Redaktion genügend raumbezogene Daten zur Verfügung, über die<br />

Stadt?<br />

B: Raumbezogene Daten? Also Sie meinen zum Beispiel wie viele Plätze gibt es in der Stadt?<br />

F: Also welche Plätze würden in Frage kommen? Bebauungspläne und solche Sachen.<br />

B: In der Redaktion nun eher nicht. Wenn ich eine Anfrage habe, dann wende ich mich<br />

eigentlich direkt an das Presseamt der Stadt persönlich und frag dann nach, zum Beispiel, wie<br />

viele Flächen von der und der Sorte gibt's in der Stadt und dann krieg ich eben diese Antwort<br />

vom Presseamt. Es ist aber nicht so, dass ich mich da selber <strong>mit</strong> dem Flächennutzungsplan<br />

hinsetze und die durchzähle oder so. (2) Insofern verlässt man sich dann natürlich auch auf<br />

die Aussagen der Stadt. Es ist eher seltener, dass man selber mal <strong>mit</strong> Plänen oder so hantiert.<br />

F: Haben Sie noch ein paar abschließende Gedanken zu dem Themenbereich?<br />

B: Nein.<br />

F: Werden die Themen verteilt, oder ist es ein morgendlicher runder Tisch, und man sagt; Ja,<br />

ich mach das wieder. Ich kenne mich da aus. Oder werden die Themen zugeteilt von der<br />

Redaktion?<br />

B: Es ist eigentlich schon so, dass wenn man erst mal in einem Thema drin ist, so wie ich<br />

auch, dass dann natürlich, wenn wieder was ist, die mich ansprechen, ob ich das auch mache<br />

und sonst haben die halt auch ihre Redaktionskonferenzen, wo ich dann nicht daran teilnehme<br />

als Freie, aber wo die dann auch natürlich über die aktuellen Themen sprechen und dann eben<br />

entsprechend aufteilen, auch untereinander dann, unter den Redakteuren. (3) Aber wie gesagt,<br />

ich würde jetzt gar nicht so einen großartigen Unterschied machen, so was ist anders bei<br />

186


➣ 6.3.2<br />

Wagenburg-Berichterstattung wie bei all den anderen. Das kann man überhaupt nicht sagen.<br />

Außer wie gesagt, dieses - was es sicherlich in der Form kaum gibt <strong>mit</strong> - diesen<br />

Ansprechpartnern und so, dass das eher problematisch ist. Aber ansonsten unterscheidet sich<br />

das nicht von anderen Themen oder von der Herangehensweise, dass das anders wäre. Das ist<br />

alles immer gleich im Grunde.<br />

F: Da es politisch ist, bekommt man von allen Seiten mal eine auf den Deckel.<br />

B: Ja, aber wie gesagt, das ist bei anderen politischen Sachen auch so (2).<br />

6.3.2 Herr Maier (Leiter des Amtes für Liegenschaften und Wohnungswesen)<br />

F: Was zeichnet die Wohnungssituation in Freiburg aus?<br />

M: Es gibt ja klare Vorgaben. Freiburg ist ja eine Stadt, wo wir in der Regel einen<br />

permanenten Zuzug haben. Und dann muss man auch mal entscheiden, wollen wir<br />

Wohnungsknappheit haben, sprich steigende Mieten. (2) Das erreicht man indem man für die<br />

Nachziehenden keine Wohnungen baut. Dann wird das Wohnungsgut knapp. Knappes Gut<br />

verteuert sich. Oder baut man Wohnungen, das ist der Beste Mieterschutz, einfach<br />

Wohnungen zu bauen, dann bleibt das Wohnungsangebot gemessen an der Bevölkerung<br />

gleich und der Mietspiegel stabilisiert sich. Dies haben wir getan in den beiden Bereichen<br />

Rieselfeld und Vauban. Die haben in den letzten Jahren maßgeblich dazu beigetragen, dass<br />

die Mieten nicht stiegen.<br />

F: Juristisch gesehen verwalten sie unbewegliches Gut, dennoch haben sie es auch <strong>mit</strong> <strong>einer</strong><br />

mobilen Wohnform zu tun. Wie kommt das?<br />

M: Ja, die im-mobilen Grundstücke und die Wagenburgler die immer dann mobil werden,<br />

wenn der Sommer kommt. Und zwar ziehen sie dann aus dem kalten Deutschland, nämlich<br />

von Berlin und Hamburg nach Süden Richtung Freiburg, weil das so ein schönes<br />

mediterranes Flair hat. Da fühlen sich dann alle sehr wohl. Wir könnten unbegrenzt für<br />

Wagenburgen Flächen ausweisen. Wir hätten jede Menge Abnehmer, aber die Stadt ist auch<br />

nur begrenzt aufnahmefähig für eine ganz bestimmt Schicht Menschen, die für die Stadt, für<br />

die Infrastruktur der Stadt nichts bereit stellt. Diese Gruppe nimmt nur in Anspruch. Sie<br />

kommt und fordert. Ich sags jetzt ein bisschen hart, wir sind jetzt hier und fordern jetzt von<br />

den Bürgern der Stadt Freiburg eine Fläche auf der wir uns aufhalten können. Dann können<br />

wir unsere Kinder bei euch in den Kindergarten geben. Aber selbst tragen sie zum<br />

Gemeinwohl nichts bei. Und da ist die Stadt Freiburg nicht gewillt einen grenzenlosen Zuzug<br />

zu zulassen. Der Gemeinderat hat beschlossen es gibt einen Wagenplatz am Eselswinkel. Der<br />

wird jetzt noch etwas vergrößert, aber dabei wird es jetzt auch bleiben. 6:33 (3) Bei den<br />

Wagenburgler muss man auch unterschieden. Es gibt da im Sommer eine große Schicht<br />

darunter, die ist häufig im Sommer unterwegs, die machen einfach nur Urlaub. Es ist natürlich<br />

preiswerter auf irgend ner Wiese zu stehen wo k<strong>einer</strong> Geld will von mir, als wenn ich hier<br />

sozusagen auf einem eingerichteten Campingplatz gehe <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> eingerichtete Infrastruktur.<br />

Da muss ich halt pro Abend pro Nacht 20 Euro bezahlen oder 30 oder 15. Ich weiß es nicht<br />

(2) und während man den Anspruch hat seitens der Wagenburg, vielleicht 25 Euro für ein<br />

ganzes Fahrzeug pro Monat zu bezahlen, wenn man das Grundstück von der Kommune in<br />

beschlag nimmt, am besten besetzt. 7:19


F: Der Schattenparkerplatz kostet 1000 Euro pro Monat?<br />

➣ 6.3.2<br />

M:Ja, das entspricht 4% aus dem halben Grundstückswert. Ja, man hat das also nicht auf die<br />

wagen herunter gebrochen, sondern man hat das großzügig gesehen (2) man will ja nicht<br />

überteuern. Das sind 4% aus dem halben Grundstückswert den sie da bezahlen. Das ist pro<br />

Wagen 10 Euro.<br />

F: Grundstückswert ist gleich Verkaufswert?<br />

M: Den Verkaufswert, das ist ja Gewerbegebiet wo die da draufstehen und wenn sie das als<br />

gewerbliche Fläche nehmen, die bei 100 Euro liegen, oder (3) je nachdem wenn sich ein<br />

Unternehmen wie Möbelbraun oder IKEA auch 200Euro. Aber im Moment stehen da so viele<br />

Wägen darauf rum. Also 10 Euro pro Monat sind sehr moderat und überschaubar. Das sind<br />

drei Packungen Zigaretten.<br />

F: Wagenburgen als eine Art günstiger sozialer Wohnungsbau?<br />

M: (2) wenn sie Wohnraum (1) das ist ja (1) Ich habe in zwei drei Wägen hinein geschaut. Es<br />

gibt da unterschiedlichste Ausprägungen. (2) Wenn man so leben will, also <strong>mit</strong> meinen<br />

Hygienevorstellungen wäre das nicht zu vereinbaren. Also man muss wirklich (2) wie soll ich<br />

sagen, fast neandertalmäßig leben wollen, zurück zur Natur, wie im achtzehnten Jahrhundert<br />

ohne Toilette ohne fließend Wasser. Ja also, viel zu wenig Hygiene. Und die ganzen Gerüche<br />

die dann entstehen.<br />

F: (2) Oder Wagenburgleben als eine ökologische und nachhaltige Wohnform?<br />

M: Nicht unproblematisch. Das sind in der Regel ausrangierte Baufahrzeuge oder ausrangierte<br />

LKWs und zum Teil sind die nicht im besten Zustand. Da versickert schon mal der eine oder<br />

andere Liter Öl ins Grundwasser. (2) Man muss jedoch sagen, das letzte Grundstück das sie<br />

[die Schattenparker] geräumt haben war in ordentlichem Zustand.<br />

F: Sie meinen in der Haid?<br />

M: Das Haid Gelände, das haben sie relativ ordentlich hinterlassen. Nicht so wie ich mir<br />

meine Wohnung vorstelle, wenn ich sie vom Mieter zurückbekomme, aber für deren<br />

Maßstäbe wars ordentlich.<br />

F: Bei meinen Recherchen bin ich auf den Paragraphen Bauen im Außenbereich gestoßen? In<br />

wie fern betrifft er die Wagenburgthematik.<br />

M: Ja, die Wagenburgmenschen die wollen ja, (2) sie sehen irgendwo eine Wiese und sagen<br />

sich, prima Standort. Morgens Sonne, Abend Sonne und das Fahrzeug auch in der Nähe und<br />

wollen darauf stehen. Aber wir haben ja gesetzliche Vorschriften, die das gemeinschaftliche<br />

Zusammenleben regeln und dazu gehört auch, dass man in bestimmten Bereichen bauen darf<br />

und in bestimmten nicht, sei es wegen Lärmschutz, Naturschutz, Biotopschutz oder was weiß<br />

ich. Und es ist immer sehr schwer dieser Gruppe zu ver<strong>mit</strong>teln, dass man sich im<br />

Außenbereich befindet, wo man auch nicht so Lager hinstellen darf. Da gibt es Konflikte.<br />

F: Handelt es sich dann um ein Gebäude im juristischen Sinn?<br />

188


➣ 6.3.2<br />

M: Eine bauliche Einrichtung ist da nicht erlaubt. Wenn wir sie erlauben würden, hätte das für<br />

uns zur Folge oder auch für die Gemeinde, das sie dann auch die Einrichtungen beschaffen<br />

müssten. Dann hat der Nutzer diesen Anspruch. Aber wenn es als Baufläche ausgewiesen<br />

würde, dann muss die Kommune für den Anschluss sorgen. Das kann eine Kommune im<br />

Außenbereich aber gar nicht leisten, schon gar nicht für diese Klientel, die diese Investition<br />

nicht in irgend<strong>einer</strong> Form zurückzahlen kann.<br />

F: Man könnte aber eine Fläche doch auch als Experimentelles Wohnen ausweisen?<br />

M: Das ist die Krücke zu der die Verwaltung greift um jetzt so eine Wagenburg<br />

vorübergehend auf <strong>einer</strong> Fläche auf der es nicht erlaubt ist, normalerweise, zu zulassen.<br />

F: Die Anschlüsse werden hier nicht benötigt?<br />

M: Nein, die werden nicht benötigt (2) aber das geht nicht lange.<br />

F: Experimentelles Wohnen am Waldrand wäre schon möglich?<br />

M: Ja, aber dann kommt die Frage der Verunreinigung, Müllentsorgung, und so weiter. Man<br />

kann auch nicht überall gerade einen Campingplatz einrichten. (2) Es ist schon einwenig<br />

dreist in Frankreich oder in Deutschland irgendwo einen Wagen anzuspannen, viele kommen<br />

ja auch aus dem Ausland und hierher zu kommen, nach Freiburg zu kommen und zu fordern.<br />

Die Erfahrung in Freiburg hat gezeigt, die Wagenburgler sie beschlagnahmen widerrechtlich<br />

eine private oder öffentliche Fläche und beanspruchen. Aber es geht ja noch weiter, es geht ja<br />

über die Wagenburg hinaus (2). Es geht ja weiter, dass ein Großteil dieser Klientel dann auch<br />

noch andere Leistungen will (1) Sozialleistungen. (2) Aber es gibt immer wieder<br />

Randgruppen, die sagen in eurer Kasse ist für uns auch noch was. Aber man darf den Bürger<br />

nicht vergessen, der bezahlt das alles. Also kurz um, der bezahlt den Urlaub von den Berliner.<br />

Der spannt seinen Wagen dort an und kommt hierher. Das bezahlt der Bürger.<br />

F: Es gibt doch aber auch eine andere Klientel als die des Urlaubers. Menschen die hier<br />

wohnen, arbeiten, studieren.<br />

M: Ja, aber sie ziehen <strong>mit</strong> ihrem Wagen ja rum. Sie bleiben ja mobil. (1) Ein modernes<br />

Zigeunerleben nur unter erschwerten Bedingungen. Es gab und gibt viele Zu und Abgänge.<br />

Das ist einfach so. Und da sind die Urlauber, die sich darunter verstecken. Also wir hatten als<br />

wir diesen Platz am Eselswinkel [Schattenparkerplätze] zur Verfügung gestellt hatten es am<br />

Schluss <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> anderen Mannschaft zu tun. Die hat sich verändert im Laufe der Zeit. Das<br />

war jetzt kein einhundert Prozent fester Rahmen, das man gesagt hat, das sind jetzt dreißig<br />

Leute die bleiben immer zusammen, sondern es gab immer so ein Schwund von zehn. Zehn<br />

sind weg zehn sind gekommen. Da gab es immer zu und Abzüge<br />

F: Eine Frage hätte ich noch. Die Stadtgeschichte von Tübingen und Freiburg weist<br />

verblüffende Ähnlichkeit auf, was die Rezivilisierung eines ehemaligen Kaserne anbetrifft.<br />

Wie sehen sie das Quartier Vauban im Zusammenhang <strong>mit</strong> den Wagenburgen?<br />

M: Die Fläche wird verkauft. Der Wohnungsbau läuft an in der Vauban nach Jahren der<br />

Besetzung. Und nun sollen sie [die Wagenbewohenr] am Besten wieder dahin wo sie<br />

hergekommen sind. Die müssen ja irgendwo hergekommen sein. (2) Die sind ja nicht<br />

entstandne einfach so. Die sind ja von einem Ort A nach einem Ort B gegangen. Dann hat<br />

man sie aufgefordert geht wieder nach A, denn Platz B ist uns.<br />

189


F: Es entstand dann doch eine Wagenburg auf dem privaten SUSI Gelände?<br />

➣ 6.3.3<br />

M: Da hat die Stadt auch nichts dagegen, das hat sie immer gesagt. Wenn Private sich bereit<br />

finden eine Wagenburg auf ihrem Grundstück oder Gelände haben zu wollen und die<br />

Nachbarschaft wird durch nicht belästigt, also Nachts laute Musik, Lärm vom Wagen, das<br />

man Hunde frei laufen lässt. Die eine Gefahr für Kinder und Erwachsene sind, die alles<br />

verkoten und was weiß ich nicht alles. Also wenn man das alles irgendwie in geordnete<br />

Verhältnisse bekommt, dann wird dies durchaus von der Stadt Freiburg (3), aber sie selber<br />

haben keine weiteren Flächen auszuweisen.<br />

F: Haben sie noch ein paar abschließende Worte zu diesem Thema?<br />

M: Wenn ich ein Auto einen Tag im Halteverbotstehen lasse, dann habe ich einen Strafzettel.<br />

Da ist die Stadt konsequent. Wenn ich bei rot über die Ampel fahre habe ich einen Strafzettel.<br />

Wenn ich einen Bauwagen nehme und stelle den ins Halteverbot dann fehlt diese Konsequenz<br />

(1) oder hat gefehlt. Ich denke es stet einem Gemeinwesen gut an, dass sie all gleich<br />

behandelt.<br />

F: Vielen Dank.<br />

6.3.3 Herr Schröder-Klings (Leiter des Stadtplanungsamtes PRISE)<br />

F: Vielleicht am Anfang zwei drei allgemeine Frage, die die Geographem immer sehr<br />

interessieren. (2) Ist Wirtschaftswachstum noch an Flächenwachstum gebunden?<br />

S: (4) Jein, es gibt natürlich noch bestimmte Bereiche in denen wir noch zusätzliche Flächen<br />

brauchen. Das ist insbesondere im Logistikbereich. Sonst haben wir eher den Punk das<br />

eigentlich die, im Produktionsbereich, der in Freiburg sowieso nur sehr schwach vertreten ist.<br />

Wir haben einundachtzig Prozent der Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich, das da eher<br />

auf weniger Fläche mehr produziert wird. Weil die flächenaufwendigen Produktionen<br />

eigentlich nicht mehr in Deutschland, zum Teil auch schon nicht mehr in Europa, sondern in<br />

Ostasien oder in anderen Ländern stattfinden. (2) Wir brauchen zum Teil im<br />

Dienstleistungsbereich mehr Flächen, aber insgesamt, das sehen sie am neuen<br />

Flächennutzungsplan ist eigentlich der Bedarf an neuen Flächen im Außenbereich deutlich<br />

rückläufig. Das ist auch unser erklärtes politisches Ziel, hier in diesem FNP durch ein<br />

Vorrang der Innenentwicklung vor <strong>einer</strong> Außenentwicklung, die Flächeninanspruchnahme im<br />

Außenbereich so weit wie möglich zu verringern.<br />

F: Ein Schlagwort bei den Geographen ist noch der demographische Wandel. Schlägt er sich<br />

im FNP nieder?<br />

S: In gewissem Umfang schon, weil der Hauptgrund warum wir im Wohnungsbau überhaupt<br />

noch neu Flächen brauchen, in dem weiterhin wachsenden Wohnflächenverbrauch pro Person<br />

liegt und der liegt nicht unwesentlich daran das wir immer älter werden, die<br />

Einpersonenhaushalte immer größer werden und die älteren Leute wenn sie dann nur noch zu<br />

Zweit oder eben sogar allein leben, häufig –solange sie nicht Pflegefälle werden – nicht bereit<br />

sind ihre großzügigen üppigen Wohnraum aufzugeben. Insoweit spielt der demographische<br />

Wandel schon eine Rolle, das die Entwicklung die eigentlich die jungen Leute angeht


➣ 6.3.3<br />

weitgehend abgeschlossen ist. Wir hatten früher zusätzlichen Wohnflächenverbrauch, weil<br />

eben die jungen Leute früher von zu Hause auszogen und ihren eigenen Haushalt bildeten,<br />

aber ich glaube wir haben zur Zeit in Freiburg 54% Singelhaushalte, das ist kaum noch<br />

steigerbar. Das ist ein sehr hoher Anteil, auch im Vergleich zu andern Kommunen. Es ist<br />

vorallendingen die immer älter werden Gesellschaft, das wir doch leider immer noch neue<br />

Wohnungen, Wohnbauflächen brauchen. (1)<br />

F: Wie registriert man die Wagenburgen im Flächennutzungsplan? Um nun zu dieser<br />

speziellen Thematik überzuleiten.<br />

S: Wir haben darauf reagiert aufgrund von Anregungen während der Offenlage der<br />

Planentwurfs, [steht auf und zeigt auf den FNP] an diesem Standort eine Sonderbaufläche für<br />

Experimentelles Wohnen eingerichtet haben. Das bedeutet dort kann diese Sonderform des<br />

Wohnens auch durch einen entsprechenden Bebauungsplan dauerhaft planungsrechtlich<br />

gesichert werden.<br />

F: Das wäre jetzt der städtische Platz Eselswinkel.<br />

S: Ja. Es gibt ja einen zweiten Standort, Biohum, der ist befristet geduldet bis 2011. Der liegt<br />

aber im Landschaftsschutzgebiet und kann deshalb dort nicht dauerhaft dargestellt werden.<br />

F: Und wird nicht umgeschrieben in Experimentelles Wohnen?<br />

S: Nein, nein, das können wir auch nicht machen. Wir können eine Baufläche im FNP nur<br />

dort darstellen wo wir kein Landschaftsschutzgebiet haben. Die von der Naturschutzbehörde,<br />

in diesem Fall das Regierungspräsidium, weil es ein gemarkungsübergreifendes<br />

Landschaftsschutzgebiet ist, ist vorrangig vor dem FNP, wir dürfen im FNP keine Baufläche<br />

darstellen, wenn irgendwas als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen ist.<br />

F: Unterschieden sich denn die zwei städtischen Standorte im rechtlichen Status?<br />

S: Ja, der eine ist eben ein vorübergehend geduldeter praktisch. Der andere war es bisher<br />

auch, jetzt durch den Flächenutzungsplan und die darauf dann demnächst durchzuführende<br />

verbindliche Bauleitplanung. Es ist schon jetzt ein Bebauungsplan, der das jetzt schon so<br />

halbwegs absichert. Es gibt dort einen, aber er scheint mir etwas unsauber zu sein. Wir<br />

werden das künftig dann auch im Bebauungsplan, auf dieser neuen Grundlage<br />

Flächennutzungsplan, auch sauber absichern. Also rechtlich sauber absichern.<br />

F: Im Eselswinkel gibt es eine Pacht oder besser gesagt die einzelnen Bewohner haben<br />

Nutzungsverträge. Verbessert sich der rechtliche Status durch das Ausweißen <strong>einer</strong> Fläche als<br />

Experimentelles Wohnen?<br />

S: Nein, man muss die öffentlich rechtliche und die zivilrechtliche Seite von einander<br />

unterscheiden. Das was sie eben angesprochen haben <strong>mit</strong> dem Nutzungsverhältnis ist die<br />

zivilrechtliche Ebene. Die öffentlich rechtliche Ebene der Baulandplanung ist die Grundlage<br />

dafür das man das andere legal machen kann. Das ist die vorrangige Geschichte, aber solange<br />

ihren zivilrechtlichen Vertrag haben, dürfen die das nutzen. Von da her. Man kann allenfalls<br />

sagen, wenn der zivilrechtliche Vertrag gegen öffentliche Vorschriften verstoßen würde, dann<br />

wäre das vielleicht ein Kündigungsgrund. Aber; der Sache nach hat sich das nicht verbessert<br />

dadurch. Es ist eben nur planungstechnisch sauber, bisher war das so ne Grauzone.<br />

191


F: Und weiter südlich vom Eselswinkel wurden jetzt noch zwei weitere Plätze ausgewiesen<br />

➣ 6.3.3<br />

S: Nicht ausgewiesen, aber jetzt als Übergangslösung für fünf Jahre, um die andere<br />

Problematik da zu lösen. Wie es da<strong>mit</strong> dann in fünf Jahren weitergeht, das wird man sehen.<br />

Es gibt also nur einen legalen dauerhaften Standort, das ist der Eselswinkel alt. Das Andere,<br />

die nennen das ja Himmelfall und Ponyhof. Die beiden Standorte sind jetzt ne<br />

Zwischenlösung für fünf Jahre.<br />

F: Und befindet sich gerade auf ausgewiesener Gewerbegebietsfläche?<br />

S: Zur Zeit ist es gerade teilweise noch Sonderbaufläche Forschung, da sollte mal ein<br />

Frauenhoferinstitut hin das ist jetzt an nem anderen Standort und wir sind gerade dabei in<br />

<strong>einer</strong> ersten FNP Änderung, das zu ner gewerblichen Baufläche zu machen, weil wir das in<br />

fünf Jahren wenn die Frist abgelaufen ist, da sind auch noch auf dem Gelände Segelflieger<br />

und Flugsportvereine neben dran deren Pachtverträge auch 2010 2011 auslaufen. Und dann<br />

soll es insgesamt, das sind insgesamt zweieinhalb Hektar, als Gewerbefläche vermarktet<br />

werden. Die Strabag geht ja auch raus, vorn dran ist die Farbe noch <strong>mit</strong> ihrer Holzgeschichte,<br />

auch das ist eine befristete Geschichte. Also das soll dann insgesamt in (2) fünf Jahren oder in<br />

vier Jahren, ist ja nun schon ein halbes Jahr rum, als Gewerbefläche auf den Markt kommen.<br />

Wir haben ja nur noch sehr wenige Gewerbeflächen und (2) da ist das eine sehr gute;<br />

Möglichkeit.<br />

F: Für das Gewerbe ist es höchstwahrscheinlich auch eine potenzielle Fläche zwischen der<br />

Herman Mitsch Straße und dem Flughafen, nahe an der Autobahn.<br />

S: Ja, das auch. Und auf der anderen Seite, das Stand heute auch in der Zeitung. Direkt östlich<br />

angrenzend wo zur Zeit noch der alte Schießplatz ist, da kommt ja jetzt bis 2009 ein<br />

Möbelhaus hin.<br />

F: Da haben wir dann eine Möbelmeile. Dreistück hintereinander.<br />

S: Ja, ja. Das ist ne Möbelmeile. Also das was da noch fehlt, nämlich das gehobene Sortiment,<br />

das kommt jetzt als drittes hinzu. So das sie bei IKEA anfangen, dann zu Möbelbraun, dann<br />

zu XXX Lutz heißt die Kette; die da hinkommen wird. (1) Da hat der Gemeinderat am<br />

Dienstag grundsätzlich zugestimmt.<br />

F: Die IKEA Fläche, ich war bei Herr Maier von Wohnungswesen einmal, diese Fläche war<br />

bei ungefähr zwölf Komma Fünf Millionen und die Möbelbraunfläche noch einmal etwa<br />

genau so viel, was die Stadt als Einnahme hatte. Die Restfläche, liegt die ungefähr noch<br />

einmal bei der Summe der Beiden, also bei vierundzwanzig fünfundzwanzig Millionen Euro?<br />

S: (2) Nö, also nicht. Der Punkt ist, das was da jetzt noch in diesem Bereich wo die<br />

Wagenburgen sind und Strabag und so weiter da ist, das sind ungefähr [Klopfen an der Tü]<br />

Rechnen sie mal Gewerbefläche kostet dort 120 Euro, dieses Grundstück hat einen Wert von<br />

3 Millionen Euro und das gehört auch nur teilweise der Stadt.<br />

F: Das Strabaggelände?<br />

S: Nein, die ganzen zweieinhalb Hektar, die dort sind. Inklusive dieser Fläche. Das<br />

Strabaggelände gehört der Stiftung und die Restfläche gehört allerdings der Stadt. So dass wir<br />

dann da so ungefähr zwei Millionen Euro einnehmen können. Und die andere Fläche, wo das<br />

192


➣ 6.3.3<br />

Möbelhaus hinkommt, die gehört dem Bund. Die erwerben die vom Bund. Und das ist sind<br />

auch, wenn ich das richtig sehe 5 Millionen Euro was da bezahlt wird. Es ist kein relevanter<br />

Beitrag für die Sanierung der städtischen Finanzen.<br />

F: Dieser Schießplatz ging dann wahrscheins auch 92 an den Bund über, als die französische<br />

Garnison abgezogen ist.<br />

S: Ja, wir haben die südliche Fläche schon erworben für Park and Ride und dann werden nun<br />

auch Stellplätze für die Messe angelegt, das Möbelhaus macht nur den nördlichen Teil.<br />

F: Die freigeräumte Fläche?<br />

S: Ja, die gehört der Stadt schon. Da werden Messeparkplätze draus. Und im südlichen Teil<br />

ist auch mal die Straßenbahnwendeschleife vorgesehen, wenn die Stadtbahn dort mal<br />

hinführt.<br />

F: Es gibt noch bauliche Rest auf dem Schießstand, habe ich gesehen.<br />

S: Ja, die werden jetzt gerade, da sind noch Altlasten drauf, und diese Gebäude, die werden<br />

jetzt im Frühjahr, Januar saniert, also weggemacht.<br />

F: Also ein ähnliche Altlastsanierung wie im Quartier Vauban, nachdem die Arme abgezogen<br />

ist.<br />

S: Ja, genau.<br />

F: Blei oder was gibt es da für Stoffe. Schießrückstande?<br />

S: Ja, so was. Ich kenn mich da technisch im Detail nicht aus.<br />

F: (2) Sind Bauwagenplätze ein Baustein im Setzkasten der Stadtplanung? Was man bedenkt<br />

bei Verdichtung, Flächennachverdichtung? Oder Nachhaltigkeit vielleicht auch?<br />

S: Eigentlich nicht. Es ist das Gegenteil davon. Wir geben für die Bauwagen. (1) Wir haben<br />

eine sehr geringe Baudichte auf dieser Fläche, deshalb sind uns auch Wohnbauflächen dafür<br />

zu schade, weil wir so wenige Leute normalerweise nicht mehr auf solchen Grundstücken<br />

haben. Natürlich wenn sie Einfamilienhäuser bauen, aber die bauen wir ja praktisch nicht<br />

mehr. Wir haben ansonsten eine höhere Bewohnerzahldichte für 5000 Quadratmeter als 50<br />

Leute. Von da her ist es aus m<strong>einer</strong> Sicht keine nachhaltige Entwicklung, sondern eine<br />

Wohnform und innerhalb unserer Rahmenbedingungen, auch als liberale Kommune halt<br />

akzeptieren und auch Raum ihnen geben, aber es ist eigentlich kein wirklicher Baustein im<br />

Sinne <strong>einer</strong> nachhaltigen Siedlungsentwicklung. Eher das Gegenteil ist der Fall, okay die<br />

Ökologie ist so einigermaßen da, aber, wenn man diese Wagenburgen nach den Maßstäben<br />

die sonst Bauherren die selbst bauen, was Ver- und Entsorgung anbelangt messen würde,<br />

dann entspricht das nicht dem heutigen Standard. Von Energiegeschichten an, wenn sie <strong>mit</strong><br />

Niedrigenergie machen, das ist dort alles nicht eingehalten. Aber man muss da<strong>mit</strong> leben und<br />

auch Alternativen einen Raum lassen, ob sich das auf Dauer hält, das wird die Zukunft zeigen,<br />

aber es ist nichts was wir von uns aus, weil es eine besonders nachhaltige Wohnform wäre,<br />

fördern und unterstützen. Wir akzeptieren das und geben dem auch Raum, weil das politisch<br />

auch so gewollt ist, aber es ist nichts an dem das Herz eines Planer hängt. (1) Es ist weder<br />

städtebaulich attraktiv, noch ist es ne ökologisch Wohnform, noch ist es eine flächensparende.<br />

193


➣ 6.3.3<br />

F: Wobei, zur Ökologie hatten wir bei uns am Institut ein Berechnung gemacht <strong>mit</strong> dem<br />

sogenanten ökologischen Fußabdruck, der dann die Gesamtfläche berechnet die für einen<br />

Lebensstil zur Verfügung stehen muss. Und dann kamen wir auf eine Zahle unter 3 Hektar,<br />

was hingegen bei einem Durchschnitt für eine Mitteleuropäer bei 4,5 Hektar liegt.<br />

S: Ja, natürlich, wenn sie die Vergangenheit sehen. Aber wir bauen heute verdichtet. Kucken<br />

sie sich die Vauban an, kucken sie sich Messplatz oder andere Dinge an, da kriegen sie auf<br />

der Fläche wesentlich mehr Bewohner unter als so, also von dem her ist das keine<br />

flächensparende Bauweise. Also ich hab das jetzt nicht im Detail nachgerechnet. Macht auch<br />

wenig Sinn, weil sich der Vergleich oder die Frage nicht stellt, wir haben ja jetzt auch<br />

Baugebiete in Herden oder in Zähringen oder in der Wiehre, die Leute lassen wir ja da auch<br />

leben, da machen wir ja jetzt auch nicht noch ne zweites Gebäude drauf. So ne.<br />

F: Vielleicht noch zwei Fragen. Die lokale Agenda 21, wie schlägt die sich direkt nieder im<br />

Flächennutzungsplan?<br />

S: Es sind eigentlich zwei wesentliche Punkte, die wir aus der Charta von Orlborg und auch<br />

aus Rio als Grundlage genommen haben. Einmal ist das die erweiterte Bürgerbeteiligung, also<br />

die Einbeziehung der Bürger in die Aufstellung der Planung. Und der Zweite Punkt ist schon<br />

der sparsame Flächenverbrauch, der dort drin steht. Der OB hat ja auch vor drei Wochen, jetzt<br />

die Orlborg Com<strong>mit</strong>ments unterschrieben und dort geht es ja auch gerade darum, um<br />

flächensparendes Bauen. Innenentwicklung vor der Außenentwicklung, um das mal in<br />

Kurzform zu sagen. Und das hat im Flächennutzungsplan eine ausdrückliche Rolle gespielt.<br />

Ich kann ihnen das auch ausdrücklich zeigen [geht weg] da hat die Lokalagend eine Rolle<br />

gespielt [blättert] hier ist es auf der Seite 24. Leitziele. UN Konferenz, Lokale Agenda 24.<br />

F: Vielen Dank. Vielleicht um noch einmal kurz zurück zukommen auf das Experimentelle<br />

Wohnen. Zur Ausweisung <strong>einer</strong> solchen Fläche, was wären da die rechtlichen Schritte, die im<br />

voraus laufen müssten?<br />

S: Ja, der erste Schritt, ist das wir eine solche Fläche im Flächennutzungsplan darstellen. Wir<br />

haben darüber diskutiert ob wir das nun Sonderbaufläche Wagenburg nennen, aber wir haben<br />

dann dafür entschieden, weil es intern auch Kritik hervor gerufen hat, dass als experimentelles<br />

Wohnen zu bezeichnen, weil dies eigentlich eine neutralere Bezeichnung ist, die (2)<br />

Wagenburg hat doch im Volksmund eher nicht unbedingt nur positiven Beigeschmack bei<br />

manchen und wir haben deshalb bewusst versucht eine neutralere Formulierung zu finden.<br />

Die auch dann <strong>einer</strong> Weiterentwicklung Raum lässt und dann doch nicht die momentane<br />

Wohnform dort festschreibt. Es kann aber jedoch kein normales Wohnen sein, weil wir eben<br />

drumrum gewerbliche Nutzung haben und das normale Wohnen verträgt sich, was<br />

Emissionen angeht, und so weiter, nicht <strong>mit</strong> angrenzenden Gewerbebetrieben. Vom Verkehr<br />

her, insbesondere vom Lärm her.<br />

F: Aber ist das Ausweisen in einem Flächenutzungsplan nicht das Ende, von einem längeren<br />

Prozess?<br />

S: Nein, das ist eigentlich der Anfang. Der zweite Schritt ist immer dann ne verbindliche<br />

Bauleitplanung, also über einen Bebauungsplan dort auch das Ganze öffentlich rechtlich<br />

abzusichern. Vom Planungsprozess her sind das eigentlich die beiden Schritte.<br />

194


➣ 6.3.3<br />

F: Wo ich jetzt in der Geschichte einwenig nachgeforscht hatte. Hatte ich das Gefühl, dass es<br />

in der Vauban diese starke Ansammlung von Wägen gab, in diesem Raumvakuum, jeder<br />

konnte da hinein ziehen. Und dann sozusagen als Reaktion der Stadt die Ausweisung eines<br />

Platzes. Also das es weniger agieren ist, als vielmehr reagieren.<br />

S: Das ist schon durchaus richtig, wobei sich ja Auslöser für den konkreten Standort den wir<br />

jetzt haben, nämlich Himmelfall und Ponyhof, ist nämlich der gewesen in St. Georgen <strong>mit</strong> der<br />

Wagenburg, die sich eigentlich ja nicht nur aus Vauban speist, sondern auch bundesweit auch<br />

immer Resonanz gefunden hat und sich immer mehr auch ausgeweitet hat. Die Stadt ist<br />

letztlich da zu spät eingeschritten und dann ist ja durch meine Ver<strong>mit</strong>tlung der Standort dort<br />

an der Munzingerstrasse als Zwischenlösung gekommen. Und, dann, haben wir das jetzt als<br />

weitere Zwischenlösung, aber Längerfristig, um da jetzt auch Planungssicherheit für alle<br />

Beteiligten zu geben. Wir überlegen uns schon intern, wie es da in fünf Jahren weitergeht, wir<br />

machen da jetzt nicht fünf Jahre die Augen zu. Aber das ist natürlich noch ganz in den<br />

Anfängen, da kann ich ihnen verständlicherweise über die Überlegungen, die auch politisch<br />

noch nicht abgesegnet sind, etwas im Detail sagen.<br />

F: Eine grobe Prognose für die Zukunft des Phänomens im Stadtbild?<br />

S: Ich persönlich gehe mal davon aus, das diese Lebensform, wenn auch <strong>mit</strong> wechselnden<br />

Personen, weil die Leute ja auch dann oft heraus wachsen. In sofern gibt es ja eigentlich auch<br />

zwei Arten von Wagenburgen, das ist eigentlich auch der Unterschied zwischen Eselswinkel<br />

Alt und Biohum <strong>einer</strong>seits und der Wagenburg Himmelfall und Ponyhof. Die ersten beiden<br />

sind halt doch eher Leute, gesellschaftliche Aussenseiter, die durch Alkohol und Drogen,<br />

kaum noch normal wohnfähig sind, und wo sich eine Gesellschaft wirklich überlegen muss,<br />

solche Leute wirklich, mal überspitz formuliert dahin vegetieren und zu tote kommen zu<br />

lassen. Also für mich sind das eigentlich erschreckende Beispiele die eines Sozialstaats nur<br />

begrenzt würdig sind. Während die andere eine bewusst gewählte Wohnform ist aus Gründen<br />

der Kommunikation, teilweise auch aus Gründen der Finanzen, aber von Leuten die eigentlich<br />

in der Ausbildung oder bei Eintritt ins Berufsleben sind. Von da her sind das für mich zwei<br />

unterschiedliche Phänomene, die in Freiburg unter der selben Unterschrift laufen. Von da her<br />

ist, nachdem ich mir die beiden Standorte angeschaut habe, vor allen Dingen Biohum und<br />

Eselswinkel, der ja eigentlich als das gedacht war, was wir jetzt in Ponyhof und Himmelfall<br />

gemacht haben, er hat sich nur anders entwickelt, ist mir auch klar das die Leute aus der<br />

Munzingerstrasse, beziehungsweise aus St. Georgen, nicht zu den Eselswinkel Alt Leuten<br />

wollten. Also, für mich ist das sehr bedrückend gewesen. Jetzt sieht Eselswinkel Alt ja<br />

einigermaßen aus. Das ist Folge des Besuchs den ich da <strong>mit</strong> der Frau Ravenbuchmann<br />

gemacht habe. Es sah ja katastrophal aus wirklich, wie auf <strong>einer</strong> großen Müllhalde. Und wenn<br />

man die Leute da (2) es ist wirklich bejammernswert. Während ich bei denen den Eindruck<br />

habe, das die zwar alternativ leben, aber durchaus in die Gesellschaft integrierbar sind,<br />

während ich das bei den anderen nicht mehr sehe. Das ist also eine Verabschiedung von<br />

unserer Gesellschaft, von Leuten, die es eben nicht gepackt haben und eben jetzt <strong>mit</strong> Drogen<br />

und Alkohlo zu Ende gehen. Das ist also eine ganz schlimme Entwicklung. Von da her muss<br />

man auch die Alternativen die man da andenkt zweigleisig angehen, ob es von Dauer sinnvoll<br />

ist, diese Art des dahinvegetierens in Wagenburgen, für Leute, die eigentlich kaum noch<br />

Wohnfähig sind, die ja überwiegend eigentlich <strong>einer</strong> therapeutischen Behandlung bedürften,<br />

ob das Zukunft hat da habe ich meine Zweifel. Während ich dieses experimentelle Wohnen,<br />

eigentlich eher als Standortalternative, für die Leute die wie die Leute jetzt auf Ponyhof oder<br />

Himmelfall. Da machen das nicht für ihr Leben lang bis zu ihrem Tode, sondern die machen<br />

das als Einstieg, ich will nicht sagen in ein bürgerliches Leben, aber eben doch in eine etwas<br />

195


➣ 6.3.4<br />

normalere Wohnform. Ich würde einmal die Prognose wagen, das doch 80 oder 90 Prozent<br />

später einmal, in Anführungszeichen, in <strong>einer</strong> normalen Wohnung irgendwo wohnen werden,<br />

das ist nur meine Erwartung meine Prognose. Deswegen ist da ne Perspektive. Wie man da<br />

<strong>mit</strong> Alkohol- und Drogenabhängigen längerfristig umgeht und auch ob diese<br />

Zwischenwohnform in den Wohnwagen von denen die, ich bin ja auch achtundsechziger<br />

Generation, aus Protest in der Jugend da sich ne Alternative suchen wollen um sich bewusst<br />

abgrenzen zu wollen, ob sich das auf Dauer hält, das weiß ich nicht, ob die dann alle den<br />

Marsch durch die Institutionen antreten, wie ich das oder andere gemacht haben (lacht) das<br />

wird sich zeigen.<br />

F: Wird man dann diesem Teilaspekt an Wagenburgen eine Chance geben hier in Freiburg?<br />

S: Im Prinzip ja. Also sagen wir so, so lange sich das einigermaßen sozialverträglich gestalten<br />

lässt, wir einen Standort haben, wo wir nicht <strong>mit</strong> Anwohnern Probleme haben, weil ja gerade<br />

die Hunde zum Teil dann und natürlich wird da mal gefeiert, haben wir als junge Leute ja<br />

auch mal gemacht, solange sich das an nem Standort konzentrieren lässt, wo es ohne größere<br />

Nachbarschaftskonflikte funktioniert, werden wir das in Freiburg machen. Wir haben das in<br />

Vauban ja auch.<br />

F: Auf privater Ebene eben.<br />

S: Ja, natürlich klar. Das ist klar. Wir haben jetzt in diesem Eselwinkel Alt, jetzt ein Standort<br />

dafür ausgewiesen, den Eselwinkel Neu, würde ich jetzt mal sagen, als vorübergehende<br />

Lösung, den werden wir sicherlich nicht auf Dauer dort zur Verfügung stellen. Aber da muss<br />

jetzt erst mal ne Beruhigung rein und Konzepte finde, wo dann für ne dauerhafte Lösung der<br />

Standort ist, da denke ich durchaus einmal drüber nach, da denken auch andere in der<br />

Verwaltung darüber nach, aber dieser Diskus ääh, Denkprozess hat erst begonnen und das<br />

wird dann eine politische Entscheidung zur gegeben Zeit brauchen, aber man muss auch<br />

ehrlicherweise einmal sagen, wir haben 2009 Kommunalwahl und 2010 OB Wahl, vorher<br />

wird es da keine Entscheidung geben. Aber danach wird es eine geben.<br />

F: Vielen herzlichen Dank für das Gespräch.<br />

6.3.4 Herr Siegel (Projektgruppe Rieselfeld)<br />

F: Ist die Biohum-Thematik für Sie von Anfang an aufgetreten, als es an die ersten<br />

Planungsschritte ging?<br />

S: Ja (2), es ist natürlich in der politischen Diskussion schon Gegenstand gewesen, (2) als<br />

der Gemeinderat beschlossen hat dort einen neuen Stadtteil auszuweisen, war klar gewesen,<br />

das diese Situation, un<strong>mit</strong>telbar, (1) an der un<strong>mit</strong>telbaren Nahtstelle zwischen zum Freigebiet<br />

gelöst werden müsste.<br />

F: Was gab dann die Initialzündung diese Wagenburggruppe zu erhalten?<br />

S: In diesem Bereich war es einfach Ergebnis <strong>einer</strong> politischen Diskussion. Für uns wäre es<br />

sicher besser gewesen. Oder. Wenn man einen Standort suchen muss, dann die, die etwas<br />

weiter weg sind, um einfach unseren Freibereich, denn man darf auch nicht vergessen ein


➣ 6.3.4<br />

Stadtteil <strong>mit</strong> 10000 bis 12000 Einwohnern braucht im Umfeld, vor allem wenn er eine hohe<br />

urbane Qualität hat, ein hohe urbane Dichte hat, braucht im Umfeld Freizeit-,<br />

Erholungsbereiche, die letztlich auch für die Leute im Stadtteil auch die Möglichkeit geben<br />

sich im Freien, sei es nun im Waldbereich, im Landschaftsschutzbereich sich zu bewegen und<br />

jede Wagenburg stellt natürlich eine Einschränkung dar. Und die große Sorge waren vor<br />

allem auch die Hunde gewesen die frei gelaufen sind.<br />

F: (2) Überlegungen die Wagenburg in das Projekt zu integrieren gab es nie?<br />

S: Gab es nie, weil wir die Fläche gar nicht gehabt hätten, einmal. Und (2) man muss<br />

natürlich einwenig weiter ausholen, Vorgabe war a gewesen das man die Fehler früherer<br />

Stadtteilgründungen, sofern man da von Fehlern sprechen kann, nicht wiederholen soll, man<br />

sollte aus den Fehlern lernen. Und <strong>einer</strong> der Punkte war ja gewesen, das nicht nur im<br />

Rieselfeld oder in Freiburg sondern in vielen Teilen in Deutschland, die öffentliche<br />

Infrastruktur oftmals sehr spät nachgerüstet worden ist. Und in Freiburg hat man sich dann<br />

entschieden die Infrastruktur bedarfsgerecht von Anfang an zu bauen. Dies hieß vor Einzug<br />

der ersten Leute sind schon die öffentlichen Gebäude auch in bau gegangen, das heißt es ist<br />

<strong>mit</strong> einem hohen finanziellen Risiko verbunden. Man hat gewusst, einmal ist die Lage im<br />

Westen der Stadt nicht die Optimale, weil der Freiburger Osten ein andere Qualität von Image<br />

hat als andere Stadtteile – ob nun berechtigt oder nicht, sei einmal dahin gestellt – deshalb hat<br />

man gesagt, wenn man in diesem Teil etwas macht, dann braucht man auch im Zuge der<br />

hohen Verdichtung, dann muss die Infrastruktur kommen, dann müssen die Flächen aber auch<br />

so ausgenutzt werden, dass der Stadtteil sich selbst Finanzieren kann. Dazu muss man sagen,<br />

das ist nicht ganz unerheblich, wie hier immer wieder unterschiedliche Überlegungen hier<br />

sind. Wir zahlen aus dem Projekt Rieselfeld nur die Investitionskosten, die ganzen<br />

Folgekosten für schulen Kindergärten, Feuerwehr, Stadtteiltreff werden alle aus dem<br />

normalen Haushalt beglichen. Das ist ein großer Unterschied, der leider viel zu oft unter den<br />

Tisch fällt, aber für die Beurteilung der finanziellen Situation natürlich wesentlich und ganz<br />

entscheidend ist. Und um dieses Risiko zu minimieren, war klar gewesen wir müssen<br />

versuchen im Stadtteil selber, zumal die Vorgabe fünfzig Prozent sozialer Wohnungsbau auch<br />

schon eine gewisse Belastung darstellte hat, was Image anbelangt, was Bodenpreise<br />

anbelangt. Weil ja leider völlige Fehlinterpretationen, allein das jemand im sozialen<br />

Wohnungsbau wohnt. Das ist ja nicht un<strong>mit</strong>telbar <strong>mit</strong> negativen Dingen verbunden, aber es<br />

wird oft so interpretiert. Und wir wussten wenn wir entsprechende Grundstückspreise<br />

verlangen müssen um die Investition zu bezahlen, dann muss das Image des Stadtteils auch<br />

eine gewisse Bedeutung haben. Und wir müssen uns im ... im Gefüge der vielen Freiburger<br />

Stadtteile, <strong>mit</strong> den vielen Angeboten an Bauflächen, im Osten im Westen im Norden, müssen<br />

wir konkurrieren, und am Anfang war ne starke Stimmung gegen das Rieselfeld dagewesen.<br />

Es ist uns aber bald gelungen das zu korrigieren, das hat aber auch zur Konsequenz gehabt,<br />

das man die Bereiche, die eigentlich einen wesentlichen Einfluss aufs Image haben gelöst<br />

werden mussten.<br />

F: Also Wagenburg in engem Zusammenhang <strong>mit</strong> dem Image des neuen Wohnviertels?<br />

S: Ja, natürlich. Wenn sie die Leute die im Rieselfeld spazieren gegangen sind nehmen, das<br />

waren vor allem über lange Jahre hinweg nach der Verrieselung, war das der Auslauf der<br />

Leute aus Weingarten und Binsengrün, dann war da noch ne Kompostieranlage des<br />

Gartenamts. Und wenn sie da mal gewesen sind und es sind ihnen 20 Hunde um die Ecke<br />

gekommen und sie wussten nicht ist da jemand da der die alle 20 im Griff hat, dann war da<br />

auch schon ne Situation die einfach auch nicht akzeptiert werden konnte.<br />

197


➣ 6.3.4<br />

F: Finanzielle Aspekte hatten sie auch gerade angesprochen. ... Die Umlegung der Wagenburg<br />

wurde aus einem Treuhandkonto bezahlt?<br />

S: Wurde aus einem Treuhandkonto bezahlt.<br />

F: Und (2) war es eine kostengünstige Lösung bei dieser Wagenburg?<br />

S: Ja kostengünstig war sie nicht. (2) Kostengünstig war sie nicht. Aber es war klar gewesen,<br />

wenn die Wagenburg nicht mehr un<strong>mit</strong>telbar am Stadtrand ist. Zumal wir ja, ... es ist ja nicht<br />

weit vom Stadtteil weg verlegt worden, muss man dazu sagen ...und, wir hatten immer aller<br />

gehofft das sich die Situation <strong>mit</strong> den Hunden bereinigt. Es ist ja ein Zaun um das Gelände<br />

gezogen worden <strong>mit</strong> <strong>einer</strong> Türe und Gott sei Dank muss ich auch sagen, haben alle die<br />

Spielregel eingehalten, das es auch ein vernünftiges Nebeneinander geben kann, ohne das es<br />

jetzt Belästigungen gäbe die uns zu Ohren gekommen wären. Also ich hab seit vielen Jahren<br />

nichts negatives über die Wagenburg mehr gehört. Und ich glaube die Wagenburgler wussten<br />

in dem Moment wo da einmal was passiert, ohne jetzt da die Pferde scheu zu machen , das da<br />

eine Situation un<strong>mit</strong>telbar gelöst werden muss. Weil man da einfach keine Gefahren für<br />

Kinder oder so in kaufen nehmen kann. Uns war nicht klar, aber wir sind im Nachhinein froh,<br />

das sich das so entwickelt hat. Und es gibt auch einen intensiven Betreuerkreis aus der Stadt,<br />

die letztlich auch <strong>mit</strong> daraufhin gewirkt haben akzeptable Spielregeln für beide Seiten zu<br />

finden.<br />

F: Man hat eine Lösung <strong>mit</strong> einem hohen Zaun gefunden. Ist da<strong>mit</strong> die Hundeproblematik<br />

gebannt?<br />

S: Ja, bis jetzt soweit mir bekannt ist ... vielleicht weiß ich nicht alles, aber das hat auch<br />

funktioniert bis jetzt.<br />

F: Wie sehen sie die Zukunft der Wohnform?<br />

S: Schwierig;. Es wir immer weniger Möglichkeiten geben. Ich kann es nur von der Presse<br />

her verfolgen. Wenn man jetzt einen Platz für 50 Leute ausweist, weiß man ja nicht ob man<br />

verschiedene Personenkreise zusammenführen kann. Und wenn man für jede kleien Gruppe,<br />

<strong>mit</strong> diesem riesigen Aufwand einen eigenen Standort finden muss, dann wird auch die<br />

politische Bereitschaft begrenzt sein. Also ich glaube nicht, das es unendlich viel Kleine Teile<br />

gibt.<br />

F: Liegt ihnen noch was am Herzen zu diesem Thema?<br />

S: Ich bin froh (2) das es so gekommen ist. Das es keine erkennbaren Probleme gibt. Das war<br />

glaube ich für beide Seiten wichtig gewesen. Die Rieselfeldbewohner hatten die Sorge, es<br />

sind ja auch damals Personen von Hunden gebissen worden. Das hat sich völlig beruhigt.<br />

Dass ist, glaube ich, insgesamt wichtige. Únd im Endeffekt steht für mich die Bewohner und<br />

die Lebens und Wohnqualität und die Aufenthaltsqualität für Kinder, zu der die<br />

Streifbereiche, wie der Wald und die Wiesen ums Rieselfeld genauso dazu gehören, stehen<br />

für mich eindeutig im Vordergrund.<br />

F: Vielen herzlichen Dank.<br />

198


6.3.5 Herr Würthemberger (Abteilungsleiter des Sozial- und Jugendamt)<br />

➣ 6.3.5<br />

F: Mit welchen städtischen Behörden arbeiten Sie denn eng zusammen? Wo liegt da die<br />

Koordination?<br />

W: Die Koordination liegt im Regelfall bei mir, also bei Sozial- und Jugendamt. Wir arbeiten<br />

insbesondere <strong>mit</strong> den technischen Ämtern zusammen, Hochbauverwaltung, wenn’s um<br />

Gebäude etc. geht. Wir arbeiten <strong>mit</strong> dem Gartenamt zusammen, wenn’s um<br />

Spielplatzeinrichtungen geht. Wir arbeiten <strong>mit</strong> der Kämmerei zusammen, wenn’s um<br />

finanzielle Auswirkungen und Darstellungen geht. Wir arbeiten insbesondere <strong>mit</strong> allen<br />

Organisationen, die’s in Freiburg sin, insbesondere die Vereine der Wohlfahrtspflege, die im<br />

Flüchtlingsbereich tätig sin, in der Wohnungslosenhilfe, in anderen Einrichtungen. Also<br />

unsere Zusammenarbeit geht praktisch quer durch die gesamte Stadtverwaltung, intern und<br />

extern ebenso, freien Trägern.<br />

F: Wie hängen die Wagenburgen <strong>mit</strong> ihrem Amt zusammen?<br />

W: Wir haben in Freiburg zwei Wagenburgen. Wir haben eine Wagenburg, des ist die<br />

älteschte, die in der Opfingerstraße 190 ist, wenn Sie von Weingarten Richtung Opfingen<br />

rausfahrn auf der rechten Seite. Und wir haben dann eine zweite Wagenburg eingerichtet in<br />

der Hermann-Mitsch-Straße, des ist am Flugplatzgelände dort unten. Des sind zwei<br />

Einrichtungen, die der Gemeinderat genehmigt hat. Die betreiben wir als öffentliche<br />

Einrichtung. Da gibt es ’ne entsprechende Satzung dazu, die die Rechte und Pflichten der<br />

Bewohnerun der Verwaltung regeln und es ist jetzt eine dritte Wagenburg dazugekomme, die<br />

aber nicht in der Verwaltung des Sozial- und Jugendamtes steht, des sind die so genannten<br />

Schattenparker, des haben Sie ja aus der Presse <strong>mit</strong>gekriegt. Da<strong>mit</strong> haben wir nichts zu tun,<br />

außer dass sie jetzt in räumlicher Nachbarschaft zu unsrer Wagenburg am Flugplatz ist.<br />

F: Tauchen diese Wagenburgen in der Statistik separat auf bei Ihnen.<br />

W: Ja, die werden gesondert erfasst bei mir – wie jedes Wohnheim erfasst isch. Wir haben in<br />

der, im Eselswinkel, also Hermann-Mitsch-Straße ham wir vierundzwanzig Parzellen, die <strong>mit</strong><br />

Strom versorgt sind und sieben Parzellen ohne Strom. Im Moment ist der Platz nit voll belegt,<br />

des resultiert daraus, dass wir Plätze frei gehalten ham im Eselswinkel im Zusammenhang <strong>mit</strong><br />

den Schattenparkern. (2) Und die andere Situation, dass die Sanitäreinrichtungen in dem,<br />

dieser Wagenburg sich in nem Zustand befindet, die einen Zuzug – nicht mehr vertretbar<br />

erscheinen lassen. Also entweder müsse wir ’ne Geld in die Hand nehmen, um die<br />

Sanitäranlagen auf Stand zu bringen oder wir können keinen weiteren Zuzug zulassen. Die<br />

Verhandlungen laufen im Moment <strong>mit</strong> der Kämmerei, man wird sehen, was dabei rauskommt.<br />

F: Wodurch unterscheiden sich die zwei denn?<br />

W: Ja, des ist, des ist sehr schwierig, die Personenkreise, die Probleme der Menschen im<br />

Eselswinkel unterscheiden sich gravierend von den Problemen der Menschen, die im Biohum<br />

sin. Des sind zwei Personenkreise, die zwar <strong>mit</strong>, ab und zu <strong>mit</strong>einander kommunizieren, aber<br />

nicht zueinander passen.<br />

199


F: Warum?<br />

➣ 6.3.5<br />

W: Sagen wir mal bei einem Teil der Bewohner reduz- oder sin die hauptsächlichen Probleme<br />

im Bereich Alkoholkonsum zu sehen, bei anderen geht’s schon in den Bereich der weichen<br />

oder etwas härteren Drogen.<br />

F: Wie sieht dann die Betreuungsform da aus, oder kann man von Betreuungsform überhaupt<br />

reden?<br />

W: Also, meine, also im technischen Bereich, also Hausmeisterdienste sind wir regelmäßig<br />

präsent vor Ort. In beiden Einrichtungen, Sozialbetreuung, Biohum ist ’n Sozialarbeiter, der<br />

dort auch regelmäßig vor Ort ist und sich umkuckt, des im Eselswinkel ham wir keine<br />

regelmäßige Präsenz bei der Sozialarbeit. Sagen wir mal ’n Teil der Funktion übernimmt dort<br />

die Mitglieder, die im Beirat sind.<br />

F: Wie groß, wie groß muss man sich das vorstellen diesen Beirat<br />

W: Der Beirat sind glaub ich fünf oder sechs Personen, da sin<br />

F: ehrenamtlich?<br />

W: Da sind zwei, isch mein Sachgebietsleiter isch da drin, dann ’n Mitarbeiter vom Dezernat<br />

Drei von Herrn Bürgermeischter von Kirchbach und dann sin’s glaub ich drei oder vier<br />

Ehrenamtliche.<br />

F: Also dann gibt’s schon, also könnt man sagen, Unterschiede zwischen diesem Biohum und<br />

zwischen dem Eselswinkel<br />

W: Ja.<br />

F: und weil ich hab mich, bei m<strong>einer</strong> Recherche bin ich jetzt eigentlich insgesamt auf fünf<br />

Wagenburgen gestoßen in ganz Freiburg. Also zum einen noch die Ölmühle, was natürlich-<br />

W: Des isch ne Private<br />

F: Das is privat.<br />

W: die entzieht sich völlig unserer Kennt-, ich weiß dass es die gibt, aber die isch privat, die<br />

funktioniert seit vielen Jahren,<br />

F: Ja.<br />

W: isch ganz in den Anfangjahren, des weiß ich, von Bürgergesprächen in St. Georgen etwas<br />

kritisiert worden oder skeptisch beobachtet worden, aber seit Jahren kein Thema mehr.<br />

F: Im Vauban auf dem Susi-Gelände?<br />

200


➣ 6.3.5<br />

W: Haben wir auch keinen Kontakt, des isch ei-, au auf Privatgelände, isch dort akzeptiert<br />

von Susi aus, dann es insofern brauchen wir nicht vor Ort tätig werden.<br />

F: Ja.<br />

W: Als Sozialverwaltung.<br />

F: Ja. Und die Erweiterungsfläche am Eselswinkel, man kann’s ja als eine Fläche sehen<br />

oder als zwei sehen-<br />

W: Nee, es sind zwei völlig getrennte.<br />

F: eigentlich drei sogar, wenn man<br />

W: Ja, in Richtung Esels- also der Eselswinkel alt isch ’ne klassische Wagenburg, die de<br />

gen-, die für ’n bestimmtes, für ’ne bestimmte Personengruppe, die in den Anfängen<br />

ursprünglich mal auf’m Vauban-Areal angesiedelt war. Die dort im Zuge der Bebauung<br />

weichen musste, dann ham wir’n Ausweichquartier gehabt für etwa ein Jahr, eineinhalb Jahre,<br />

wo wir die Wagenburg unterbringen konnten bis der Eselswinkel hergerichtet war, dass er<br />

belegt werden konnte und des isch ’n ganz homogener Personenkreis dort. Die neue<br />

Wagenburg, da isch ne klare politische Entscheidung getroffen worden, dieser Platz isch für<br />

experimentelles Wohnen ausgewiesen worden, <strong>mit</strong>ausgewiesen worden und da liegt die<br />

Zuständigkeit beim Amt für Liegenschaften und Wohnungswesen, die <strong>mit</strong> den einzelnen<br />

Bewohnern entsprechende Mi-, Pachtverträge abgeschlossen haben (2) und da kommt auch<br />

Verwaltung nicht rein, da besteht k<strong>einer</strong>lei, k<strong>einer</strong>lei Berührungspunkte sozusagen.<br />

F: Wurde auch nicht gewünscht?<br />

W: Wurde auch nicht gewünscht, also des isch höflich gsagt, es wurde in allen Gesprächen<br />

strikt abgelehnt.<br />

F: Ja. Hätte das Amt für Jugend und Soziales Interesse dran gehabt?<br />

W: Sagen wir mal so, wenn es, wenn, also wenn es geordnete Strukturen hätte geben<br />

können, hätten wir die Aufgabe <strong>mit</strong> übernommen, des isch kein Zweifel aber, des war ’n, wär<br />

’n Angebot der Stadt gewesen, wir ham ja auch angeboten, dass von den Schattenparkern<br />

freiwillig jemand auf den Eselswinkel ziehen kann. Des Angebot isch nicht angenommen<br />

worden, (2) man will sich, sagen wir mal, den Regeln der Verwaltung auf so’nem Platz nicht<br />

unterziehen und ’ne öffentliche Einrichtung hat, bringt des zwangsläufig <strong>mit</strong> sich, dass ’n<br />

bestimmtes Regelwerk erstellt werden muss. Des fängt an von Gebühren die oder<br />

Nutzungsentgelten, die festgelegt werden, die bezahlt werden müssen, es gibt Regeln, die des<br />

Zusammenleben regeln müssen, es gibt Vorschriften, wie man sich auf dem Platz letztendlich<br />

verhaltet, dann sin wir für die Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung aller Bewohner<br />

zuständig, das heißt, wir müssen dafür sorgen, dass jeder Bewohner dort unbeeinträchtigt<br />

leben kann in den, in dem Rahmen, den er sich eben selber gesetzt hat und des sin ’ne ganze<br />

Reihe von Spielregeln, die es gibt und die müssen von den Bewohnern akzeptiert und<br />

201


➣ 6.3.5<br />

eingehalten werden und über Neuaufnahmen im Esels-, im Eselswinkel entscheidet der<br />

Beirat, dem auch dann immer von Bewohnervertretern angehören.<br />

F: Hat es sich bewährt, so’n Platz?<br />

W: Sagen wir mal so, es hat sich insofern bewährt, indem der Zustand der Illegalität, in dem<br />

die Wagenburgen vorher waren, aufgehoben wurde.<br />

F: Was ändert sich dadurch?<br />

W: Wenn jemand sich in ’ne illegale Wagenburg oder wenn ’n Wohnwagen abgemeldet<br />

irgendwo im öffentlichen Verkehrsraum steht, dann isch des zumindest mal ’ne<br />

Ordnungswidrigkeit und da kann die Polizei eingreifen und sagen, dieser Zustand muss<br />

beendet werden. Vom Eselswinkel wird niemand vertrieben, außer er verstößt so gravierend<br />

gegen des Regelwerk, dass ’n weiterer Verbleib auf dem Platz nicht akzeptiert werden kann<br />

und dann müssen wir im Zweifel zwangsräumen. (2) Ob die Wohnform Bestand haben wird<br />

auf viele Jahre hinaus, mag ich, vermag ich nit zu beurteuilen, oder ob irgendwann mal ’n<br />

neuer Trend aufkommt.<br />

W: Ja oder die Bewohner älter oder kränker werden und den Zustand dort nimmer aushalten,<br />

denn wenn Sie jetzt in der Winterzeit dort rausgehen, es isch kein erstrebenswerter Zustand,<br />

also für mich wär’s kein erstrebenswerter Zustand dort innem zugigen Wohnwagen zu leben,<br />

der nur schlecht oder notdürftig zu beheizen isch. Aber es isch ’ne Lebensform, die bewusst<br />

gewählt wurde und die akzeptieren wir so.<br />

F: Also ham die Leute kategorisch sozusagen ’n Wohnheim, was es von der Stadt ja au gibt,<br />

abgelehnt?<br />

W: Es, es wär kein Angebot für die Leute, dass sie annehmen könnten oder würden.<br />

F: Es gibt ja grade so ’ne aktuell geführte Armutsdebatte, kann man sehen wie man möchte. Is<br />

das ’ne Armutserscheinung für ’ne Stadt, wenn ’ne Wagenburg entsteht?<br />

W: Nein. Also das würd’ ich glatt verneinen, weil wenn man jetzt die Schattenparker, ich<br />

kenn zwar die Infrastruktur im Detail net, aber ich weiß, da finden sich völlig unterschiedliche<br />

Menschen zusammen, die diese Wohnform bewusst leben, die man aber <strong>mit</strong> Sicherheit nit als<br />

arm bezeichnen kann.<br />

F: Stichwort Meldeadresse, was glaub ich oftmals ’n Problem ist bei Leuten, die im Wagen<br />

leben?<br />

W: Wir ham die Anschrift, des eine isch die Hermann-Mitsch-Straße 21b, des isch der<br />

Eselswinkel, des isch die Postanschrift und wir ham die Opfinger Straße 190, des isch die<br />

dortige Postanschrift und für die neuen, die neuen Wagenburg dort unten müssten ebenfalls<br />

die Postanschrift entsprechend der Hausnummer sein, die weiß ich aber net.<br />

[Es klopft, die Tür geht auf ]<br />

202


➣ 6.3.5<br />

F: Die Meldeadresse spielt ja auch noch ’ne Rolle bei Familien, die es dann eventuell auf so<br />

’nem Platz gibt?<br />

W: Ham wir weder im Eselswinkel, noch im Biohum. Wir ham ab und zu mal ’ne<br />

Lebensgemeinschaft dort, aber Familien und auch Familien <strong>mit</strong> Kindern ham wir an beiden<br />

Standorten nicht.<br />

F: Ah okey, dann unterscheidet sich des doch gravierend zu der Vauban.<br />

W: Richtig.<br />

F: Oder zur Ölmühle.<br />

W: Ja.<br />

F: Oder zu den Schattenparkern.<br />

W: Richtig.<br />

F: Wie sieht’s da aus, wenn jemand ein Kind hat? Mit Anspruch auf Kindergartenplatz oder<br />

solche Sachen?<br />

W: Die sind gemeldet, ich denk’, die können dort, mir sind keine Probleme bekannt, dass es<br />

da, dass sie nicht in die Schule gehen können oder nicht den Kindergarten besuchen können.<br />

Das Problem bei <strong>einer</strong> illegalen Wagenburg, wo Familien oder All<strong>einer</strong>ziehende <strong>mit</strong> Kind,<br />

Kindern unterwegs sind, isch natürlich, wenn die von einem Platz zum anderen vertrieben<br />

werden, vielleicht net im monatlichen Rhythmus, aber in regelmäßig wiederkehrendem<br />

Rhythmus, dass in der Regel dann immer ’n Schulwechsel da<strong>mit</strong> verbunden isch, des wird –<br />

so was würde sich nachteilig für Kinder beispielsweise sich auswirken. Insofern isch die<br />

jetzige Regelung <strong>mit</strong> einem Standort, der über einige Jahre zugesichert isch für die Menschen<br />

’ne zusätzliche nit nur Sicherheit, aber au für die Kinder, die dann in die entsprechenden<br />

Schulen und Einrichtungen gehen können.<br />

F: Könnte man Kinder auf Schulen und in den Kindergarten schicken, wenn keine<br />

Meldeadresse in Freiburg vorliegt?<br />

W: Bin ich jetzt im Moment überfragt, müsst’ ich <strong>mit</strong> dem Jugendamt abklären, weiß ich net.<br />

Aber mir isch die Fragestellung im Zusammenhang <strong>mit</strong> ’ner Wagenburg so net<br />

untergekommen.<br />

F: Wenn jemand das Bedürfnis hat ein Kind in die Grundschule zu schicken zum Beispiel?<br />

W: Also sie kann ja nur auf Privatgelände sein, wo der Aufenthalt gestattet isch, dann wäre<br />

dort die entsprechende Postanschrift oder die Anschrift dort. Wenn jemand jetzt auf’m<br />

Parkplatz irgendwo in der Stadt steht, wär spätestens am nächsten Tag die Vollzugspolizei<br />

vor Ort un wenn Kinder da wär’n, würde au des von Seiten der Polizei ge- denk ich, des<br />

Jugendamt informiert, aber der Zustand illegal würde nicht so toleriert werden.<br />

203


➣ 6.3.5<br />

F: Mhm. Und die in St. Georgen so ’ne Art Übergangslösung, was die letzten zwei Jahre in<br />

Freiburg gemacht worden is, da da war ja, ich weiß nich, gab’s da ne Meldeadresse?<br />

W: Des war, des war auf’m de-des war des Gebiet auf der Haid, des Privatgelände war und<br />

von den Eigentümern für ’ne bestimmte Zeit den Schattenparkern gegen ’ne entsprechende<br />

Mietzahlung zur Verfügung gestellt wurde und dann war des legal, des war ja au von der<br />

Stadt der Platz vorgeschlagen worden und legalisiert. So die ham sich dort legal auf-gehalten<br />

und nicht irgendwie toleriert oder geduldet, sondern des war vertraglich geregelt.<br />

F: Mhm und die Station davor, wo sin die Schattenparker<br />

W: Da war’n sie in St. Georgen waren, da war der Standort, i sag’s amal nicht erlaubt.<br />

I: Mhm.<br />

W: Die Politik hat ihn toleriert und ich denk, die ham die Anschrift angegeben von der Straße<br />

dort.<br />

F: Hatten Sie dann Leute, die sozusagen am Radweg gemeldet waren?<br />

W: Bei uns in der Sozialhilfegewährung isch mir im Moment nichts bekannt.<br />

F: Mhm. (4 Sek. Pause) Waldkindergärten in Bauwägen gibt es noch hab ich entdeckt in<br />

Freiburg.<br />

W: Ja, aber da sind Sie bei mir an der falschen Adresse, da müssten Sie sich an meine<br />

Kollegen beim Jugendamt wenden. Wobei ich die Idee faszinierend find, und was ich weiß<br />

aus Untersuchungen, dass die Kinder die in Waldkindergä-, die regelmäßig Waldkindergärten<br />

besuchen zusätzliche- zusätzliches soziales Verhalten lernen und auch von der Gesundheit her<br />

in der Regel gesünder und stabiler sind, widerstandsfähiger sin als vielleicht vergleichbare<br />

Kinder.<br />

F: Ja, Sie ham’s grad angesprochen, so gesundheitliche Aspekte, also die Kinder härten ab ’n<br />

bisschen,<br />

W: Das macht rustikal, wenn man im Wald ist.<br />

F: Wie sieht’s auf den Erwachsenen-Wagenplätzen aus?<br />

W: Da würd’ ich sagen, dass die Menschen – ich-man kann jetzt nit sagen, ob die regelmäßig<br />

zum Arzt oder sonscht irgendswo hingehn, aber sie sin, denk ich, alle – gesundheitlich stark<br />

gefährdet und belastet. Das weiß ich einfach, wenn ich mal auf’m Platz bin, gut dann<br />

kommen die verschiedenen (Formen), natürlich Alkohol dazu oder Drogen-konsum, des isch<br />

au nit grad gesundheitsfördernd, aber ich denk, wenn Bedarf isch, kommen die Leute, wenn<br />

sie bei uns im Hilfebezug stehen, stellen wir auch ’nen Krankenschein aus, so dass die<br />

medizinische Versorgung gewährleischtet isch.<br />

204


F: Hat das was <strong>mit</strong> der Wohnform konkret zu tun?<br />

➣ 6.3.5<br />

W: Sagen wir mal so, also ich bin grad letztes Jahr von Herbscht bis ins Frühjahr relativ<br />

häufig auf’m Platz gewesen und ich hab teilweise erbärmlich gefroren oder hatte nasse Füße<br />

hinterher, wenn plötzlich Schnee g’legen isch oder sonscht irgendwas und dann auch innem<br />

zugigen Wohnwagen, der net richtig geheizt werden kann, sagen wir mal so, wenn Sie mich<br />

fragen würden, ob ich – ’s <strong>mit</strong> einem Wort – charakterisieren sollte, dann würd’ ich sagen,<br />

s’isch teilweise sehr erbärmlich wie die Menschen dort leben.<br />

F: Was fehlt?<br />

W: Es isch ’ne Lebensform, die frei gewählt wurde, die net vorgegeben wurde, und manche<br />

Menschen ham sich ganz bewusst aus eigenem Willen für diese Lebensform entschieden und<br />

nehmen die Risiken <strong>mit</strong> in Kauf.<br />

F: (4) Ich weiß nicht, ob Sie jetzt der richtige Ansprechpartner dafür sind, aber bei der<br />

Ver<strong>mit</strong>tlung von Arbeit oder von Jobs, entstehen da Problematiken, wenn die Leute die<br />

Meldeadresse inner Wagenburg haben?<br />

W: Isch mir nicht bekannt. Denn dort isch net die Vorschrift, also jetzt bei dem Bezug von<br />

Arbeitslosengeld II beispielsweise, isch nit die Vorschrift, dass man ’ne feschte Wohnung<br />

ham muss oder sonscht irgendswo, man braucht net ma – da isch die Verfügbarkeit ’ne Regel<br />

un die die Feststellung, dass jemand sich im erwerbsfähigen Alter sich befindet, des sin die<br />

Zugangsvoraussetzungen um Leischtungen nach ’m (Alt) II zu bekommen. Und wenn unsere<br />

Bewohner diese Voraussetzungen erfüllen, dann kriege sie ihre Leischtungen von der<br />

Arbeitsverwaltung.<br />

F: Also ’n Telefonkabel geht in beide Wagenburgen rein.<br />

W: Ja, nee wenn die Be- also wir sin keine Telefon-, Fest-stationen da, aber die Bewohner<br />

verfügen zumindescht größtenteils über Handys.<br />

F: (3) Kriminalitätsstatistiken?<br />

W: Führen wir nicht.<br />

F: Führen Sie nicht.<br />

W: Aber ich weiß aus meinen regelmäßigen Kontakten <strong>mit</strong> der Polizei, dass es im Umfeld un<br />

des isch ’ne ganz klare Aussage, dass es im Umfeld unserer Einrichtungen keine besonderen<br />

Auffälligkeiten, was Kriminalität angeht gegenüber anderen Stadtteilen.<br />

F: Seit Bestehen?<br />

W: Seit bestehen un wir war-sin ja regelmäßig <strong>mit</strong> der Polizei im Gespräch, um möglichst<br />

präventiv, des sin – tätig werden zu können oder zumindescht sehr zeitnah handeln zu könne,<br />

finden regelmäßig Abstimmungsgespräche statt und ich weiß aus den Rückmeldungen, dass<br />

205


➣ 6.3.5<br />

also da au die Polizei sehr genaue Aufzeichnungen geführt hat und das isch keine einzige<br />

drunter, die sagt: im Umkreis von dem oder dem Wohnheim isch die Kriminalitätsrate<br />

besonders hoch oder sonscht irgendswo. Oder auch der Faktor von Ruhestörungen oder so –<br />

simmer-, bewegen wir uns auf durchschnittlichem Level.<br />

F: Das ist ja oftmals so’n Faktor, der auch so in den öffentlichen Medien angeführt wird, dass<br />

’ne Steigerung der Kriminalität da is oder die Lärmbelästigung.<br />

W: Kann ich – also Kriminalität kann ich bewusst verneinen, Lärmbelästigung, des isch au<br />

’ne Frage der individuellen Toleranz.<br />

F: Die Vermüllung und die streunenden Hunde?<br />

W: Ja gut, des isch, des isch, also auf unseren Plätzen sorgen wir soweit wir das können <strong>mit</strong><br />

den Bewohnern dazu, dass ’n, ja ’n Grad – des Zustandes erreicht wird, wo wir sagen können,<br />

da geht auf jeden Fall vom Platz und vom Zustand des Platzes und von den Einrichtungen<br />

keine Gefährdung für die Bewohner und Bewohnerinnen aus. Da achten wir sehr genau, und<br />

das gilt für die ganzen Wohnheime, da arbeiten wir <strong>mit</strong> dem städtischen Betriebsarzt<br />

zusammen, der <strong>mit</strong> dem mir regelmäßig Austausch ham, weil unsere Mitarbeiter und<br />

Mitarbeiterinnen aufgrund der Situation besonderen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt sin,<br />

darüber wissen die Mitarbeiter Bescheid, sie ham aber jeder Mitarbeiter die Möglichkeit, sich<br />

bei Fragestellungen oder so, beratend an den Betriebsarzt zu wenden, der gegebenenfalls auch<br />

bestimmte Impfungen vorschlägt, auch die Impfungen selber vornimmt, wenn man des dort<br />

machen will und die und des überwacht und wir arbeiten sehr eng <strong>mit</strong> dem Arbeitsschutz der<br />

Stadt Freiburg zusammen, die uns auch <strong>mit</strong>unter recht klare Vorgaben machen, wie wir das<br />

ein oder andere, welches Putz<strong>mit</strong>tel wir bei dem Boden benutzen dürfen, welche Handtücher<br />

zur Verfügung stehen müssen. Welche Desinfektions<strong>mit</strong>tel vorgegeben sin, dass wir<br />

Hygienepläne aufstellen müssen in den Wohnheimen und und und.<br />

F: Fassettenreich! [lacht]<br />

W: Ja, [schmunzelnd] des isch in der Tat nicht immer ganz einfach in der Praxis umzusetzen.<br />

I: Mhm. Ja, ich glaub, ich hab noch zwei, drei abschließende Fragen.<br />

W: Ja. (3)<br />

I: So aus geografischer Sicht, bemerk’ ich, dass die Wagenburgen eigentlich immer am<br />

Stadtrand entstehen.<br />

W: Des isch anfürsich für mich ’ne zwangsläufige Folge. In Kernbereichen sind<br />

beschtenfalls – öffentliche Anlagen zu finden, wenn Sie Freiburg nehmen, wär des der<br />

Stadtgarten, aber im Stadtgarten kann ich mir net vorstellen, dass ma dort ’ne Wagenburg<br />

tolerieren würde, ansonschten müssen die Leute eben oder weichen die Leute eben<br />

zwangsläufig irgendswo aus und ich denk, <strong>mit</strong>ten inner Stadt inner Wagenburg zu leben, ich<br />

weiß net, denn – aus den Meldungen, die ich hab, will ma doch, sagen wir mal, ’nen engeren<br />

Kontakt zur Natur ham und des erfüllt ’n Platz wie in der, jetzt in der Bissierstraße, wo ’n<br />

Platz ausgewiesen isch für Wohnmobile oder so, des erfüllt die, da sin die Voraussetzungen<br />

206


➣ 6.3.5<br />

net erfüllt. Also des isch – meine Au-Auffassung und ich glaub aus dem Grund siedeln sich<br />

solche Wagenburgen au immer irgendwo an der Peripherie an. (2) In Freiburg könnt’ ich mir<br />

in der Innenstadt überhaupt kein Platz vorstellen, wo man des – wo man – der zur Verfügung<br />

stehen würde, sei’s ’n privater oder ’n öffentlicher Platz.<br />

F: Ja, in der Vauban, entstand ja <strong>einer</strong>, aber gut, das is privat.<br />

W: Des isch Privatgelände und dort war relativ viel Platz, es war, da war ja bis 1992 die<br />

französischen Militärstreitkräfte, da waren ja riesige – Wohngebäude gestanden, riesige<br />

Lagerhallen, riesige Flächen und ’n Teil wurde ja instandgesetzt wie bei Susi und auch dem<br />

Gelände hatten sich auch dann Wagen-, (zwei) Wagenburgen angesammelt und irgendwo isch<br />

über die räumliche Nähe dort isch des akzeptiert worden. (3) Als die Stadt Freiburg das<br />

Gelände Vauban von den französischen Militärstreitkräften übernommen hat, war klar, dass<br />

bis zur Nutzung dieses Geländes, bis alle baurechtlichen Planungen und was ’n – viel Zeit<br />

vergehen würde. Und um des Gelände von – Besetzungen frei zu halten, wurde des Gelände<br />

anfangs oder war eingezäunt und es war au ’n Wachdienst da. Aber nach relativ kurzer Zeit<br />

hat man festgestellt, dass der Wachdienst ’ne Menge Geld koschtet, zwar des Gelände<br />

freihält, des isch okey, aber ’ne Menge Geld koschtet und dann hat ma gesagt, des Geld spart<br />

ma ein und hat Zwischennutzungen zugelassen. Zwischennutzungen beispielsweise – des<br />

Gehörlosenzentrum hat sich dort einquartiert und so gab’s verschiedene Dinge, die in<br />

vertraglich bestimmte Gebäude, Gebäudeteile für ’ne bestimmte Dauer zur Nutzung<br />

bekommen ham und da<strong>mit</strong> war das Gelände frei zugänglich und es war ’n wunderschönes<br />

Gelände <strong>mit</strong> schönen Baumalleen und und und – ja – und des stand da und dann ham sich die<br />

ersten Wagen dort angesammelt und diese Wagen mussten dann immer im Zuge des<br />

Baufortschrittes immer mehr zusammen (warn) bis damals ’n Restbestand da war und der<br />

musste und die Leute mussten auch weg und das war dann der Einstieg in den Eselswinkel, in<br />

den die Leute an Fasnacht 1994, 1995, ich weiß es gar nicht mehr genau, müsst ich<br />

nachkucken, dann vom Vauban-Areal auf einen Platz in der Tullastraße umgesiedelt wurden,<br />

der provisorisch hergerichtet wurde, wo au Sani-, Wasser, Strom vorhanden war, aber des war<br />

klar des isch nur für die Dauer von eineinhalb Jahren und in dieser Zeit wurde dann der<br />

Eselswinkel hergerichtet.<br />

F: Wie kam man auf das Grundstück?<br />

W: Des war, ja gut, es gibt ja städtische Fachgremien und da sitzt man zusammen und<br />

baldofert aus, wo’s Möglichkeiten gibt. Dann hat man sich 20, 30 Standorte angekuckt und<br />

gsagt, okey, des scheidet aus, des scheidet aus und dann bleibt der ein oder andere. Des war ’n<br />

ehemaliges Fuhrparkgelände der Stadt, des dafür, für den Zweck nimmer benötigt wurde. Ne<br />

Bebauung hat sich au net un<strong>mit</strong>telbar angschlossen, so dass ma gsagt hat, okey, des Gelände<br />

isch da, die Infrastruktur isch praktisch vor Ort und dann hat ma sich für den Platz<br />

entschieden. Und des andere war dann – die weiteren Gespräche (ausrechnen), dass man auf’n<br />

städtisches Gelände gehen musste, des war klar und da kam man so auf den Eselswinkel.<br />

F: Abschließenden Fragen. Welche Vorteile hat diese Wohnform für ’ne Stadt? Oder auch<br />

Nachteile.<br />

W: Ich denke, wenn die Rahmenbedingungen geschaffen sind, spricht des für die Toleranz<br />

<strong>einer</strong> Bürgerschaft und der Politik, so was zuzulassen. Es ist ’ne andere Wohnform, die<br />

207


➣ 6.3.6<br />

gewählt wird. Die kann man verhindern auf öffentlichem Gelände, auf privatem Gelände nur<br />

beschränkt, wenn gegen Naturschutzbestimmungen oder so – ich denke die Zulassung von<br />

Wagenburgen zeugt für ein hohes Maß an Toleranz der Politik und der Bürgerschaft, auch<br />

solche Dinge zuzulassen.<br />

F: Wie sehen Sie die Zukunft in Freiburg für diese Wohnform?<br />

W: Ich gehe, ich gehe nicht davon aus, dass es weitere, dass die Stadt weitere Wagenburgen<br />

auf städtischem Gelände zulassen würde, auf Privatgelände wird sie’s in der Regel net<br />

verhindern können. Wie sich des, ob sich des dauerhaft als Wohnform etabliert, weiß ich<br />

nicht, ich weiß aber – als ich als Schüler noch in England war, dort ganze, ja wie soll man<br />

sagen, fascht kleine Dörfer, Siedlungen gegeben hat <strong>mit</strong> riesigen Wohnwagen, die allerdings<br />

dort fescht aufgestellt waren, die an d’ Kanalisation an d’ Elektrizität angeschlossen warn,<br />

wo’s Straßennamen gab, wo kleine Vorgärtle davor waren. Dort isch ja vielleicht der Grund,<br />

dass ma dem Arbeitsplatz sehr flexibel folgen muss und wenn solche Anlagen angelegt sind,<br />

isch des ’ne gut-, ’ne Möglichkeit, die ma nit von vornherein ausschließen kann. Aber des hat<br />

<strong>mit</strong> ’ner Wagenburg in dem Sinn nix zu tun, des war ’ne Kleinstadtsiedlung so ungefähr, nur<br />

eben in riesigen Wohnwagen. Aber <strong>mit</strong> Hausnummer versehen und ich weiß, ich war damals<br />

ganz fasziniert davon.<br />

F: Wollen Sie abschließend noch ’n Wort loswerden was Ihnen am Herzen liegt?<br />

W: Ja, was mir natürlich am Herzen liegt, dass diese Toleranz, die ich vorhin mehrfach<br />

angesprochen hab, dass die wieder etwas stärker insgesamt in der Gesellschaft wird und zwar<br />

gegen, net nur gegen Wagenburgen, sondern insgesamt. Das liegt vielleicht an an unserer<br />

Zeit, dass jeder in der Regel sehr beruflich angespannt isch, familiär angespannt isch, seine<br />

Ruhe haben will und wenn ’n Blatt im Herbst von Baum fällt des als Störung empfindet.<br />

6.3.6 Herr Zinnkann (Polizeihauptkommissar a.D.)<br />

F: Als Polizeibeamte hat man wohl einen besonderen Bezug zur Wagenburgthematik?<br />

Z: Ja, aus dem dienstlichen Bereich heraus natürlich. Von der polizeilichen Aufgabe her. (2)<br />

Bei mir begann das in den siebziger Jahren, da gabs vereinzelt schon einmal einen Bauwagen,<br />

der sich irgendwo etabliert hat, aber dann auch wieder verschwand. Damals war die Masse,<br />

diese Massierung, noch nicht so stark wie heute. Man hat darauf nicht so sehr geachtet. Das<br />

Hauptaugenmerk ging damals mehr auf die ethnische Minderheit, sprich die Zigeuner, denn<br />

die hatten sich hier auch angesiedelt nach dem Krieg. (2) Meist traf man sie an am Stadtrand<br />

an. Anfänglich, später dann, Mitte der Achziger, Anfang der Neuziger hat man dann weniger<br />

von ihnen gehört. Im Revier Nord-Bereich waren dann mehrere Bauwägen angesiedelt am<br />

Flughafen. Mich ging das dort jedoch nicht an, weil ich nicht zuständig war für dieses Revier.<br />

Als dann aber 1992 die Franzosen abrückten aus Freiburg, aus dem Vauban Gelände, dann<br />

kamen da die Leute vom Flughafen her und es bildete sich die erste Wagenburg in der<br />

Vauban.<br />

F: Was stand in den Berichten drin die sie anfertigen musste über das Vauban Gelände?<br />

208


➣ 6.3.6<br />

Z: Wenn ich auf dem Platz gewesen bin und habe da Unregelmäßigkeiten festgestellt, dann<br />

habe ich auch ein Vorkommnis darüber geschrieben. Wenn also zum Beispiel neue Leute auf<br />

dem Platz gekommen sind, die wurden dann kontrolliert (2) auf menschlicher Basis. Zum Teil<br />

kannte ich die dann auch schon, dadurch war es einfach. Anhand der Kennzeichen habe ich<br />

dann die Halter festgestellt. Ich wollte die Menschen, die auch jetzt schon in <strong>einer</strong><br />

schwierigen Situation waren, jetzt auch nicht noch von behördlicher Seite zu arg pissacken<br />

und (2) wie soll ich sagen (1) demoralisieren. Sie waren mir alle an und für sich herzlich<br />

willkommen dort. Man hatte sie dann eben auch unter Kontrolle. Man wusste wo die Leute<br />

eben auch sind, das sie nicht im Wald wild kampieren oder auf der Straße herumstehen. Heute<br />

mal in der Dortusstraße, morgen in der Kaiser-Josefstrasse, mal hier, mal dort. Das ist ja auch<br />

keine gute Sache. Da ist es schon besser wenn man einen Platz hat, von dem man weiß, dass<br />

er voraussichtlich die nächsten paar Jahre nicht bebaut wird. Und, ich habe dann auch immer<br />

in den Vorkommnissen, dann rein geschrieben, wie dann eben die Entwicklung auf dem<br />

Gelände ist, was sich tut und Straftaten vor allen Dingen die sich ereignet haben.<br />

F: Gab es da ein Mährung im Vergleich zu anderen Stadtviertel?<br />

Z: Nein, gar nicht. Also wir hatten ganz wenige Straftaten. Als die Wagenburg dort<br />

eingezogen ist auf diesem riesigen Gelände, da hatten schon die Stadträte von Freiburg<br />

gemeint; jetzt, gibt es Zoff dort draußen, jetzt kommt mehr oder weniger so ne<br />

multikulturelles Irgendwas. Es kommen sozial schwache Leute dort hin, die selbst <strong>mit</strong> sich<br />

nicht im reinen sind, die <strong>mit</strong> andern Krach bekommen, die stehlen, die klauen, die dort <strong>mit</strong><br />

Fahrzeugen handeln, die <strong>mit</strong> Rauschgift handeln, (2) aber, diese Leute die eben in den<br />

Wagenburgen waren, die hatten ihre eigene Lebensvorstellung gehabt. Und es waren auch<br />

zum Teil, Leute zwischen 30 und 50 Jahren, junge Leute gab es damals noch relativ wenige,<br />

es gab zwar welche aber es waren weniger. Und die haben in ihrem Leben schon soviel erlebt,<br />

das sie gar kein Interesse daran hatten irgendwie polizeilich zu stark aufzufallen. (2) Aber,<br />

Vorkommnisse wurden natürlich gefertigt, wenn zum Beispiel Cannabis gefunden wurde oder<br />

wenn, interessant war auch immer wenn man mir gemeldet hat; da, hat wieder jemand ein<br />

Schrottauto abgestellt. Etwas, das allerdings nicht zu den Wagenburgen gehörte. Also es gab<br />

auch noch Nebenerscheinungen die von polizeilicher Seite aus bearbeitet werden mussten.<br />

Verstoß gegen Abfallbeseitigungsgesetz. Also immer wenn da einmal wieder größere Haufen<br />

Abfall lagen, dann wurde von den Leuten dort behauptet; Das waren die Wagenburgler. Es<br />

hat sich nur dann herauskristallisiert, das es gar nicht die Wagenburgler waren, sondern Leute<br />

aus der Stadt, die ihren ganzen Mist rein gefahren haben in die Vauban Kaserne und haben es<br />

dort hingeschmissen, dann musste sich immer wieder die Stadt um die Entsorgung kümmern.<br />

Wenn sie dann am Ende von zwei drei Jahren 100 Schrottfahrzeuge haben, das geht ins Geld.<br />

Und immer waren die Wagenburgler <strong>mit</strong> unter Verdacht und dabei waren die noch sauberer<br />

wie manch ein Bürger in der Stadt. (4)<br />

Z: Schwieriges Thema, gell (lachen). Ich sagte es ihnen ja, das ist schwierig etwas über<br />

Wagenburgen zu schreiben. Das ist ein Komplex.<br />

F: (lachen) Was war Ihre spezielle Aufgabe Herr Zinnkann?<br />

F: Ja, Herr Metzger war ja Revierführer. Ich war derjenige der den Bezirksdienst geleitet hatte<br />

und hatte auch 12 Leute unter mir. Und habe auch gesagt ich mach das. Ihr braucht euch<br />

darum nicht zu kümmern. Ich mach das. Und es ist besser wenn das ein Polizist gezielt macht,<br />

dann verliert der die Übersicht nicht. Er ist informiert über alles und hat Personen und<br />

Ortskenntnisse. Ansonsten ist es nicht möglich dazu ein Urteil abzugeben. (2) Und, am Ende<br />

209


➣ 6.3.6<br />

eines Jahre, das muss so 95 gewesen sein, da wurden Herr Metzger und ich eingeladen zu<br />

einem Ausschuss des Gemeinderates um ein Referat zu halten über die Ansammlungen,<br />

wieviele Wagenburgen sich dort befänden. Wie die Leute sich verhalten. Wie die Kriminalität<br />

ist. Wie die Stimmunng ist. Und so weiter Und, da haben die also erst einmal gestaunt als ich<br />

denen erzählte, dass Kriminialität gleich Null ist, das also die Menschen im Vauban Gelände<br />

sich anständig verhalten und auch keinen Anlass geben für polizeiliche Razzien, (2) <strong>mit</strong><br />

Polizeiüberfälle, wie die Wägler gerne sagen in ihren Kreisen. Nein. Es war wirklich nichts.<br />

F: Kam es denn in der ganzen Zeit nie dazu?<br />

Z: Nein, es kam nie dazu. Es kam überhaupt nicht dazu. Es kam in der Bezirksammelstelle für<br />

Asylanten zweimal zu <strong>einer</strong> Durchsuchungen <strong>mit</strong> dem SEK [Sondereinsatzkommando] weil<br />

von dort aus Straftaten begangen wurden im Sinne vom BTM [Beteubungs<strong>mit</strong>telgesetz]. Da<br />

ging es morgens schon früh los. Es wurde abgeriegelt. Da<strong>mit</strong> hatten die Wagenburgler aber<br />

nichts zu tun. Die hatten mir zum Teil sogar gesagt; Zinnkann pass auf, da unten wird <strong>mit</strong><br />

Rauschgift gehandelt. Das ist natürlich auch ein Ansatz gewesen da vermehrt aufzupassen.<br />

Das hat eben auch dazu geführt, dass die Leute beobachtet wurden, man hat sie verfolgt, und<br />

dann wusste man wer <strong>mit</strong> wem und wie was übergeben wurde. Und es wurde viel übergeben<br />

auf der Kaserne durch die Zäune. Aber die Wagenburgler hatten sich an diesen Aktionen oder<br />

Handel <strong>mit</strong> Rauschgift nicht beteiligt.<br />

F: Kam es zu Räumungen auf dem Gelände?<br />

Z: Ja, es kam zu Räumungen, nachdem feststand das gebaut wurde. Und dann kam für die<br />

Wagenburgler, die wussten zwar, dass, sie wurden auch ein paar Mal von der Stadt<br />

aufgefordert das Gelände zu verlassen. Aber das die nicht gehen, das war vorrausehbar. Und<br />

wenn sie einmal dort monatelang dort stehen und geduldet werden, dann haben die sozusagen<br />

auch ein Wohnrecht da drauf wo sie sind. Da kann man die dann nicht mehr so ohne weiteres<br />

raus schmeißen, so im Zuge von Gefahr im Verzug oder sonst so was. Das geht ja gar nicht.<br />

Das ist unmöglich. Das kann man nicht. Dann hat man eben versucht einen Kompromiss zu<br />

schließen indem man einen anderen Platz anbietet. Plätze die jedoch meist abgelehnt wurden<br />

von den 120 Leuten die dort waren, so kam die Stadt nicht umhin eine Räumungsklage<br />

einzureichen.<br />

F: Würden sie sagen es gibt den typischen Wagenburgbewohner?<br />

Z: (3) Mittlerweile würde ich schon sagen, der typische Wagenburgbewohner, das ist ein<br />

Mensch der sich an diese Wohnart gewöhnen kann und der die Vorteile merkt, die es hat sich<br />

einen eigenen Bereich aufzubauen, wo er sein Herrschaftsbereich hat. Wo es niemanden mehr<br />

gibt der ihm was sagen kann, wie zum Beispiel in einem großen Wohnhaus. (2) Es ist bei<br />

manchen natürlich auch ein finanzieller Aspekt, das darf man nicht vergessen. Wenn ich 364<br />

Euro im Monat hab oder mir jeden Tag meine 9 Euro abhole. Wie kann ich da ne Miete<br />

bezahlen? Dann mich verköstigen? Das geht ja gar nicht. Das ist rein theoretisch nicht<br />

möglich. Und die haben dann eben eine Form des Wohnens und des Lebens herausgesucht<br />

und probiert. (2) Es gibt viele Arme Leute, die in den Alkohol und an das Rauschgift<br />

verfallen, und dann auf der Straße landen, wo sie sich was suchen, eben dann diesen Schutz in<br />

Wagenburgen. Die sagen sich, ha, da hol ich mir nen Bauwagen bei nem Unternehmer, ich<br />

sag, gib mir mal des alte Ding das da steht und dann geh ich da hin und dann wohn ich da<br />

drin, dann bau ich mir den aus <strong>mit</strong> Sperrmüll. (2) Die sind bemüht ihre Lebensart in positivem<br />

210


➣ 6.3.6<br />

Sinne zu gestalten und die werden vermutlich auch nicht mehr in eine Wohnung ziehen<br />

wollen, weil die wissen, das ist ein toller Vorteil hier.<br />

F: Wie liese sich die Thematik in Bezug auf Politik und Polizei entschärfen?<br />

Z: Es liegt, glaube ich, in der ganzen Geschichte einfach nur da dran, dass es am Platz fehlt.<br />

Es gibt die Möglichkeit sie zu dulden auf privaten Plätzen und da sind Leute angesprochen,<br />

Grundstücksbesitzer hier im Umland von Freiburg. Dann wäre dies alles kein Problem.<br />

F: Was man ab und an hört in verschiedenen Wagenburgen ist eine gewisse Vorsicht<br />

gegenüber V-Männern die eingeschleust werden.<br />

Z: Nein, das ist ne Einbildung von denen. Das ist ne Einbildung von denen. Die haben doch<br />

gar keinen Grund da V Männer reinzuschicken, weshalb denn, da muss ja ne Straftat<br />

vorliegen. Selbst bei den Punks muss man keine V Männer reinsetzen. (2) Glauben sie das ja<br />

nicht. In dem Moment wo sie unglaubwürdig werden da drin, da merken die das.<br />

F: Liegt ihnen noch was am Herzen zu diesem Thema?<br />

Z: Ich denke das die Mehrheit der Bevölkerung momentan nichts gegen diese Wagenburgen<br />

haben die hier existent sind. Diese Wagenburgbewohner leben schon sei (2) sagen wir 15 bis<br />

20 Jahre hier in Freiburg, entweder damals auf der Straße oder auf der Platte und dann haben<br />

sie sich ein bisschen etabliert, sesshaft machen wollen durch den Kauf von Bauwägen und<br />

wollten da<strong>mit</strong> zeigen das sie auch irgendwo integriert sein möchten, nur eben nicht auf der<br />

Basis eines Hauses, sondern in einem Bauwagen oder in einem Wohnwagen. Und der Bürger<br />

der dann so etwas sieht der kuckt dann ganz genau hin, weil das einfach einwenig ungewohnt<br />

ist für ihn. Da frag ich mich, was stört einen denn daran? Weil die jetzt da so leben? Weil die<br />

jetzt da so dastehen? Schaut man drei Meter recht stehen da auch LKWs oder abgeschottete<br />

PKWs oder abgeschottete Häuser. Die gleiche Situation. Nur das stört weil’s eben ne andere<br />

Lebensart ne andere Lebensqualität ist. Und das muss man, denk ich, jedem Menschen<br />

überlassen, je nach seinem Geldbeutel und wie er einfach sein Leben und auch seine Zukunft<br />

auch sieht. (3) Das ganze sprengt jetzt vielleicht ihr Zeitbudget, aber gehen sie mal in der<br />

Notunterkunft, das gehört auch dazu, wo die Heilsarmee die Leute betreut, nur eben nicht die<br />

Leute die in Wohnwägen oder in Bauwägen wohnen sondern in Zimmern. Und dort betreut<br />

werden. Das sind Leute die kommen stark psychisch anghaucht angeschlagen dort an, die<br />

sind das heute noch, und wenn die zehn zwanzig Jahre dort drinne wohnen, das begleitet die,<br />

ihre Zeit in der sie so down waren, es, (2), und, wollen das ablegen. Ich kenn so viele die ich<br />

vor 15 Jahren gesehen hab, die sind noch genua so heute in der Psyche, genau so<br />

angeschlagen, genau so stark angeschlagen, weil sie sich bevormundet fühlen. Sie wollen<br />

gerne selbständig sein und sind es nicht. Sie holen ihr Taschengeld ab und werden versorgt,<br />

gepflegt und betruet und so weiter. Und in einem Bauwagen oder einem Wohnwagen da<br />

helfen sie sich gegenseitig, zum Teil, wenn sie merken, bei dem ist Hopfen und Malz verloren<br />

dann lassen sie ihn auch liegen, nur wenn es ums letzte Pünktchen geht, dann sind sie auch da<br />

und helfen auch dem. (2) Es ist also ne schwierige Situation, man darf nicht nur die<br />

Wagenburgen sehen, man muss auch die Notunterkünfte sehen was da für ein Elend herrscht.<br />

Es ist manchmal grauenhaft was man da sieht. Gehen sie doch mal morgens zur Pflasterstube.<br />

Da gibt es Frühstück für die Leute die platte machen. Da sollte doch mal jeder hin. (5)<br />

F: Ich glaub, dass wäre es jetzt <strong>mit</strong> meinen Fragen. Herzlichen Dank.<br />

211


BADISCHE ZEITUNG 28.JUNI.2007<br />

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