Allgemeine Psychologie
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Fachbereich 5: Studienfach <strong>Psychologie</strong><br />
<strong>Allgemeine</strong> <strong>Psychologie</strong><br />
Themenbereich 2: Emotion<br />
Referat zum Thema Nervenkitzel<br />
Rosemarie Büssing<br />
Ina Kamp<br />
1
REFERAT ZUM THEMA NERVENKITZEL................................................................ 4<br />
THEORETISCHER TEIL ............................................................................................ 4<br />
1.Verschiedene Erregungsarten........................................................................................................................... 4<br />
2 .Die Zonen und der Gefährliche Grat .............................................................................................................. 5<br />
3. Die Rahmen ....................................................................................................................................................... 6<br />
4. Dominanz ......................................................................................................................................................... 10<br />
ANWENDUNGSTEIL ............................................................................................... 11<br />
1. Den Kitzel suchen............................................................................................................................................ 11<br />
Quellen der Erregung ....................................................................................................................................... 11<br />
Angeregt sein.................................................................................................................................................... 11<br />
Kognitive Synergie (zusammenwirken) ........................................................................................................... 12<br />
Die Herausforderung suchen ............................................................................................................................ 13<br />
Nutzen und Mißbrauch von Erregung .............................................................................................................. 14<br />
2. Das Feuer schüren........................................................................................................................................... 15<br />
Verschiedene Erregungsquellen miteinander kombinieren .............................................................................. 15<br />
Die sexuelle Erregung steigern......................................................................................................................... 15<br />
3. Der irreführende Rahmen.............................................................................................................................. 16<br />
Falsche Zuversicht............................................................................................................................................ 16<br />
Wenn der Rahmen fehlt oder beschädigt ist..................................................................................................... 17<br />
4. Andere mit hineinziehen................................................................................................................................. 17<br />
Die unsoziale Flucht vor Langeweile ............................................................................................................... 17<br />
Verbrecherischer Nervenkitzel......................................................................................................................... 18<br />
Kriminalität als Freizeitbeschäftigung und Unterhaltung................................................................................. 18<br />
5. Der Glanz des Krieges .................................................................................................................................... 20<br />
Krieg als Zuschauersport.................................................................................................................................. 20<br />
Krieg spielen .................................................................................................................................................... 20<br />
Krieg und Erotik............................................................................................................................................... 21<br />
6. Evolution – biologisch, gesellschaftlich und persönlich betrachtet............................................................. 21<br />
Forschung und biologisches Überleben............................................................................................................ 21<br />
Riskante Erfahrungen und gesellschaftliche Evolution.................................................................................... 22<br />
Der Negativismus und die gesellschaftliche Veränderung............................................................................... 22<br />
Individuelle Entwicklung: unbegrenzte Möglichkeiten und Sackgassen ......................................................... 22<br />
Kreativität und Verbrechen .............................................................................................................................. 23<br />
Aufregung im Zeitalter der Langeweile ........................................................................................................... 23<br />
Literaturverzeichnis............................................................................................................................................ 24<br />
Anhang................................................................................................................................................................. 25<br />
2
Wir stehen am Rande eines Abgrunds.<br />
Wir starren in die tiefe, uns wird elend und schwindelig.<br />
Unsere erste Regung ist, zurückweichen vor der Gefahr.<br />
Unerklärlicherweise bleiben wir stehen.<br />
Der Kobold der Perversion von Edgar Allan Poe<br />
Zurückzukehren (nach Vietnam) ist nichts Besonderes,<br />
aber man weiß nicht, was auf einen zukommt.<br />
Es ist, als ob man die Gratwanderung wieder aufnimmt.<br />
Ein gutes Gefühl.<br />
Tim Page, Kriegsfotograf in Vietnam<br />
3
Referat zum Thema Nervenkitzel<br />
Theoretischer Teil<br />
Im Folgenden beziehen wir uns auf das Buch „Im Rausch der Gefahr“ von Michael Apter.<br />
Das Referat ist von der Struktur her weitgehend an sein Buch angelehnt. Apter stellt seine<br />
Theorie zum Verhalten von Menschen in Bezug auf Nervenkitzel nicht auf Grund von<br />
empirischen Untersuchungen, sondern anhand eigener Erfahrungen und Quellen wie<br />
Zeitungsberichte und Fernsehen auf. Er nimmt für sich nicht in Anspruch, exakt<br />
wissenschaftlich gearbeitet zu haben. Sein Buch ist nicht als Fachbuch gedacht, sondern an<br />
„den interessierten Leser“ gerichtet. Zuerst stellen wir seine Theorie dar, dann wird diese<br />
Theorie auf verschiedene Situationen und Themen, wie zum Beispiel Krieg und<br />
Vergewaltigung, angewendet.<br />
1.Verschiedene Erregungsarten<br />
Man muß zwischen „guter“ Erregung (Aufregung) und „schlechter“ Erregung (Angst)<br />
unterscheiden. Rein physiologisch gesehen sind die Abläufe für beide Erregungsformen im<br />
Körper gleich. Die Symptome sind unter anderem rascherer Herzschlag, tieferes Atmen,<br />
schwitzen und ein trockener Mund. Dies geschieht, weil im autonomen Nervensystem das<br />
sympathische System dem parasympathischen System gegenüber dominiert. Der Unterschied<br />
zwischen positiver und negativer Erregung muß sich also nicht auf der physiologischen,<br />
sondern auf der psychischen Ebene befinden.<br />
Wie gegensätzlich sich die Intensität der beiden unterschiedlichen Erregungsarten auf das<br />
Wohlbefinden des Menschen auswirken, zeigt Abbildung 1. Während bei der Angst eine<br />
starke Erregung als extrem unangenehm empfunden wird, wird stärkere Aufregung als<br />
angenehm empfunden. Welche der beiden Erregungsarten in einer bestimmten Situation<br />
empfunden wird, hängt von der betroffenen Person ab. So können zum Beispiel die Minuten<br />
vor einem öffentlichen Auftritt sowohl in euphorischer Aufregung als auch in panischer Angst<br />
verbracht werden.<br />
Nicht nur bei extrem starker, auch bei extrem schwacher Erregung muß man zwischen<br />
positiver und negativer Erregung, also Entspannung und Langeweile, unterscheiden. Den<br />
4
Verlauf der jeweiligen Erregungslinie zeigt Abbildung 2. In Abbildung 3 kann man eine<br />
Kombination der beiden Systeme sehen. Das Gegenteil von Entspannung ist Angst und das<br />
Gegenteil von Langeweile ist Aufregung. Die Gegensatzpaare befinden sich jeweils auf einer<br />
Geraden. Diese Graphik zeigt alle Möglichkeiten, Erregung zu erleben. Der Verlauf der<br />
Geraden bezeichnet entweder die Suche nach Aufregung einer Person, oder die Vermeidung<br />
von Angst. In unserem Alltag springen wir von Zustand zu Zustand. Dabei kann man auch<br />
zum Beispiel direkt von Aufregung zu Angst springen, z.B. bei einer schnellen Autofahrt, die<br />
eigentlich als angenehm empfunden wird, bis ein unerwartetes Hindernis auftaucht, wobei die<br />
Erregung in Angst umschlägt. Man kann sagen, je intensiver die positive Erregung vor dem<br />
Umschwung war, desto intensiver ist nachher auch die negative Erregung. Ob man nun Angst,<br />
Aufregung, Entspannung oder Langeweile empfindet, hängt immer von der subjektiven<br />
Einschätzung der Situation durch die betroffene Person ab.<br />
2 .Die Zonen und der Gefährliche Grat<br />
Der Begriff „Gefahr“ wird im Folgenden als Hinweis auf ein Risiko verwendet, nicht als<br />
tatsächlich eingetretene negative Konsequenzen. Eine weitere notwendige Begriffsdefinition<br />
wird für „Trauma“ verwendet, der im Weiteren die Folgen des Risikos bezeichnet, die<br />
eintreten, wenn die Dinge tatsächlich schief laufen. Für alle Handlungen gibt es drei Zonen,<br />
Sicherheit, Gefahr und Trauma. Dies ist auch auf Abbildung 4 zu sehen. Wenn ich mich mit<br />
meinem Wagen auf gerader Strecke an die Geschwindigkeitsbegrenzung halte, befinde ich<br />
mich normalerweise in der Sicherheitszone. Fange ich an, riskant zu fahren, begebe ich mich<br />
in die Gefahrenzone, baue ich tatsächlich einen Unfall, bin ich in der Traumazone.<br />
Die Traumazone kann unterschiedliche Auswirkungen haben, vom Tod bis zu einem<br />
kleineren Streit. Sie ist immer auf die betroffene Person bezogen.<br />
Zwischen Gefahr- und Traumazone verläuft der „Gefährliche Grat“, der die beiden Bereiche<br />
voneinander trennt. Jede Person nimmt den Abstand, den sie zum gefährlichen Grat hat,<br />
subjektiv wahr. Dieser wahrgenommene Abstand zwischen dem gefährlichen Grat und dem<br />
Standort der Person wird als „Sicherheitsgrenze“ bezeichnet. Dabei ist es unwichtig, ob die<br />
Person sich in der Sicherheitszone oder der Gefahrenzone befindet.<br />
5
Dieses gesamte Modell beruht auf der Subjektivität der Betroffenen Person, es ist egal, ob sie<br />
sich wirklich in Gefahr befindet, sobald sie sich in Gefahr fühlt, befindet sie sich in der<br />
Gefahrenzone.<br />
3. Die Rahmen<br />
In Abbildung 4 sieht man den „schützenden Rahmen“, der parallel zum Gefährlichen Grat<br />
verläuft. Dieser Rahmen ist nicht immer vorhanden, aber wenn er vorhanden ist, bedeutet das,<br />
das die handelnde Person nicht das Gefühl hat, in Gefahr zu geraten, den Gefährlichen Grat zu<br />
überschreiten und in die Traumazone zu gelangen. Dieser Rahmen kann Vertrauen in die<br />
eigenen Fähigkeiten oder die Fähigkeiten anderer Personen oder technische Hilfsmittel sein.<br />
Ist der Rahmen vorhanden, wird die Erregung als angenehm, also als Aufregung erlebt, fehlt<br />
der Rahmen, befindet sich die Person in einem Zustand der Angstvermeidung, die<br />
(potentielle) Erregung wird also als negativ erlebt. Der Rahmen bestimmt also, auf welcher<br />
der Geraden aus Abbildung 3 man sich befindet. Auf der Suche nach Aufregung, versucht<br />
man, sich möglichst an den Gefährlichen Grat anzunähern, bei der Angstvermeidung,<br />
versucht man, sich möglichst von ihm zu entfernen. (Abbildung 5)<br />
Diese Situation kann man sich an Hand eines einfachen Beispiels deutlich machen. Man<br />
betrachtet einen Löwen im Käfig, dabei spürt man eine angenehme Aufregung. Wäre der<br />
Käfig, also der schützende Rahmen nicht vorhanden, schlüge das Gefühl in Angst um, fehlte<br />
der Löwe, also die Gefahr, den Gefährlichen Grat zu übertreten, wäre der Käfig langweilig.<br />
Sowohl Gefahr also auch Schutz sind für das Gefühl der Aufregung notwendig.<br />
Sowohl die Angstvermeidung, als auch die Suche nach Aufregung sind mit positiven als auch<br />
negativen Emotionen verbunden, da die Suche nach Aufregung zu Langeweile und die<br />
Angstvermeidung zu Entspannung werden kann. Die Suche nach Aufregung ist nicht gleich<br />
Aufregung und die Angstvermeidung nicht gleich Angst. Es geht hierbei nicht um das, was<br />
die Person tatsächlich erlebt, sondern um das, was sie sich wünscht.<br />
Ob die Aufregung in Angst umschlägt, weil der schützende Rahmen fällt, hängt von dem<br />
Vertrauen in die eigenen Fertigkeiten ab. Wenn das Vertrauen groß ist, fällt der Rahmen erst<br />
sehr spät, das heißt, die handelnde Person kann viel länger viel stärkere positive Erregung<br />
erleben als Personen, die nicht so stark ihren Fähigkeiten trauen. Dies ist z.B. bei<br />
Extremsportlern, wie z.B. Bergsteigern, die Solo (alleine und ohne Hilfsmittel) klettern, der<br />
Fall.<br />
6
In Abbildung 6 sieht man den zeitlichen Verlauf einer Handlung, bei der der Handelnde<br />
immer wieder zwischen Aufregung und Angst hin- und herschwankt, weil er den schützenden<br />
Rahmen überschreitet. Bei B wird sogar der gefährliche Grat überschritten, das heißt, es<br />
kommt zum Trauma.<br />
Es gibt drei Arten von schützenden Rahmen: den „Vertrauensrahmen“, den<br />
„Sicherheitsrahmen“ und den „Abstandsrahmen“.<br />
Bisher wurde immer vom Vertrauensrahmen ausgegangen, also das Vertrauen in die eigenen<br />
Fähigkeiten, technische Hilfsmittel und ähnliches, dass einen vor dem Überschreiten des<br />
Gefährlichen Grates schützt.<br />
Die anderen beiden Rahmen unterscheiden sich vom Vertrauensrahmen dadurch, dass sie nur<br />
funktionieren, wenn die betroffene Person sich im Sicherheitszonenrahmen befindet, sie also<br />
nicht in Gefahr läuft, mit Traumata oder mit Gefahr konfrontiert zu werden (siehe Abbildung<br />
7). Befindet man sich ohne den Sicherheitszonenrahmen in der Sicherheitszone, befindet man<br />
sich im Zustand der Angstvermeidung, es besteht also immer noch die Gefahr, in die<br />
Gefahrenzone zu geraten. Ist der Sicherheitszonenrahmen vorhanden, befinden wir uns auf<br />
der Geraden zwischen Langeweile und Aufregung (Abbildung 3), also auf der Suche nach<br />
Aufregung. Die Suche nach Aufregung ist also nicht von der Zone abhängig, sondern von der<br />
Existenz eines schützenden Rahmens. Die Sicherheitszone kann sowohl ein bestimmter Ort,<br />
z.B. die eigene Wohnung, als auch eine bestimmte Handlung, z.B. Spazierengehen sein. Es<br />
kann alles sein, was für einen psychologisch die Gefahren der „realen Welt“ aussperrt.<br />
Ein Beispiel für eine gesellschaftlich abgesicherte Sicherheitszone sind die meisten Sportarten<br />
und die Areale, in denen sie ausgeübt werden, z.B. Fußballfelder und Tennisplätze. Dadurch,<br />
dass man sich während des Spiels an die Regeln des Spiels hält, und nicht an die der normalen<br />
Welt, werden deren Gefahren ausgeklammert, oder zumindest zweitrangig. Sportarten wie<br />
Klettern oder Rafting gehören nicht in diese Kategorie, weil man sich hierbei reellen<br />
Gefahren aussetzt. Weitere dieser institutionalisierten Orte sind Jahrmärkte und ähnliche Orte<br />
des sozialen Lebens.<br />
Dadurch, dass die Regeln des Spiels in den Mittelpunkt gerückt werden, kann man auf der<br />
Suche nach Aufregung sein, und extreme Erregung erfahren, ohne sich in den<br />
Gefahrenbereich zu begeben. Wird man sich der realen Risiken der Sportart bewusst, fällt der<br />
Rahmen, und die Suche nach Aufregung ist nicht mehr möglich, man begibt sich automatisch<br />
in den Zustand der Angstvermeidung. Wenn davon, wie man spielt, die reale Existenz<br />
7
abhängt, wie zum Beispiel bei Profisportlern, existiert der Rahmen ebenfalls nicht, weil das<br />
Spiel Konsequenzen in der realen Welt hat.<br />
Auch Sexualität findet meistens in der Sicherheitszone mit einem Sicherheitsrahmen statt.<br />
Ohne diesen Rahmen befänden sich die Personen im Zustand der Angstvermeidung, und nicht<br />
auf der Suche nach Aufregung, was dem Sex an sich wohl eher abträglich wäre.<br />
Im allgemeinen kann man sagen, handelt eine Person ernsthaft, also mit dem Gedanken an die<br />
Konsequenzen in der realen Welt, kann kein Sicherheitsrahmen existieren, sie befindet sich<br />
also im Zustand der Angstvermeidung, handelt sie spielerisch, existiert der Rahmen, sie kann<br />
sich also auf die Suche nach Aufregung begeben. Manche Menschen handeln ihr Leben lang<br />
spielerisch, andere vorwiegend ernsthaft.<br />
Die dritte Art von Rahmen ist der Abstandsrahmen. Ist dieser vorhanden, befindet sich die<br />
Person nicht mehr in einer der Zonen, sie agiert nicht mehr direkt mit ihrer Umwelt, sondern<br />
nimmt eine Beobachterposition ein. Wenn der Vertrauensrahmen für Risikosportarten und der<br />
Sicherheitsrahmen für normale Sportarten gilt, gilt der Abstandsrahmen für die<br />
Beobachterposition. Die Abstandszone ist in Abbildung 8 graphisch dargestellt. Die Position,<br />
die man einnimmt, während man sich in dieser Position befindet, kann ohne das Existieren<br />
des Rahmens nicht eingenommen werden. Es gibt drei Möglichkeiten, diesen Abstand zu<br />
erreichen: Substitution, Imagination und Retrospektion.<br />
Substitution bedeutet, dass man eine andere Person, mit der man sich identifiziert, für sich<br />
handeln lässt, und dadurch Erregung erlangen kann. Dies ist zum Beispiel bei Filmen,<br />
Büchern und Sportereignissen der Fall. Wie beim Vertrauensrahmen fühlt man sich hier<br />
gleichzeitig bedroht und sicher.<br />
Beim Imaginieren begibt man sich nur in seine Phantasiewelt und interagiert nicht mehr mit<br />
der realen Welt.<br />
Bei der Retrospektion agiert man ebenfalls nicht mit der realen Welt, sondern erinnert sich an<br />
Situationen zurück, die man früher reell erlebt hat. Die vergangenen eigenen Emotionen<br />
werden noch einmal erlebt. Hierbei lösen vorher als negativ empfundene Ereignisse stärkere<br />
Erregung aus als positive.<br />
Diese drei Arten können oft nicht exakt voneinander getrennt werden und treten häufig<br />
zusammen auf.<br />
Die Emotionen, die man innerhalb dieses Rahmens erlebt, sind keine wirklichen Emotionen,<br />
sondern „Ersatzemotionen“. Wären sie wirkliche Emotionen, würde beim Erleben der<br />
negativen Emotionen mit hoher Wahrscheinlichkeit der Rahmen zerbrechen, was einen<br />
wieder in einen Zustand der Angstvermeidung bringen würde. Bei Vorhandensein der<br />
8
Rahmen kommt es also nicht zu einer Suche nach Aufregung, sondern zu einer Suche nach<br />
allgemeinen, auch negativen Emotionen, die ebenfalls als positiv erlebt werden. Bei<br />
Vorhandensein des Rahmens wird daher im Folgenden von der Suche nach Erregung bzw. der<br />
Vermeidung von Erregung gesprochen, Angstvermeidung und Suche nach Aufregung werden<br />
nur noch in Situationen ohne schützenden Rahmen verwendet.<br />
Tabelle zur Übersicht.<br />
SCHÜTZENDE RAHMEN BESCHREIBUNG<br />
Vertrauen Das Individuum vertraut darauf, daß es – trotz<br />
Wahrnehmung einer unmittelbaren Gefahr –<br />
ein Trauma vermeiden wird<br />
Sicherheitszone Das Individuum hat das Gefühl, daß keine<br />
unmittelbare Gefahr oder Möglichkeit, in<br />
Gefahr zu geraten, besteht.<br />
Abstand<br />
Substitution Ein anderer Mensch wird als gefährdet<br />
betrachtet.<br />
Imagination Die Gefahr wird als imaginäre gesehen.<br />
Retrospektion Die Gefahr liegt laut subjektiver<br />
Wahrnehmung in der Vergangenheit<br />
9
4. Dominanz<br />
Zwischen diesen vier Zuständen wechselt man während seines Alltags häufig hin und her.<br />
Verschiedene Menschen präferieren verschiedene Erregungszustände, so fühlen sich einige<br />
mit einem niedrigen Erregungsniveau gut, andere wollen eher ein hohes. Diese Präferenz wird<br />
als „Dominanz“ bezeichnet. Also dominiert entweder die Suche nach Erregung oder die<br />
Vermeidung von Erregung. Um seinen eigenen Typ zu erkennen, hat Apter zwei Fragen<br />
gestellt (Tabelle1). Zur Beantwortung der Fragen soll man seine allgemeine Tendenz<br />
einschätzen. Diese Fragen wurden in einer Untersuchung einer repräsentativen Stichprobe von<br />
4000 Personen vorgelegt, wobei 72% antworteten. Das Durchschnittsergebnis für Frage 1 lag<br />
bei 3,61 , das Durchschnittsergebnis für Frage 2 bei 3,97. Anhand dieser Durchschnittswerte<br />
kann man seine eigenen Antworten vergleichen. Bei anderen Fragen der Untersuchung lag der<br />
Durchschnittswert der Befragten nicht so nahe am realen Durchschnittswert. Um die<br />
Dominanz zu erschließen, subtrahiert man die Punkte der zweiten Frage von den Punkten der<br />
ersten Frage. Der durchschnittliche Dominanzwert liegt bei -0,36, das individuelle Ergebnis<br />
muß als Richtungswert gesehen werden, da hier nur ganze Zahlen auftreten können. Ist die<br />
Zahl positiv, sucht man tendenziell eher Erregung, ist die Zahl negativ, vermeidet man sie<br />
eher. Je größer die Differenz, desto extremer die Zustände. Dieser „Test“ ist nur eine grobe<br />
Einteilung und nicht umfassend. Bei den Ergebnissen dieser und anderer Untersuchungen gab<br />
es keinen großen Unterschied zwischen den Geschlechtern.<br />
Wie eine Person sich in einer spezifischen Situation verhält, hängt nicht nur von der<br />
Dominanz, sondern auch von vielen anderen Faktoren, z.B. den Umständen, oder<br />
vergangenen Situationen (Lernen und „entscheidende Erfahrungen“) ab. Außerdem scheint es<br />
biologische Unterschiede zwischen den beiden Dominanztypen zu geben (Svebak)<br />
Wie oft versuchen Sie, nie selten manchmal Oft Sehr<br />
oft<br />
immer<br />
1. aufregende Dinge zu tun ? 1 2 3 4 5 6<br />
2. auf Nummer Sicher zu gehen? 1 2 3 4 5 6<br />
10
1. Den Kitzel suchen<br />
Quellen der Erregung<br />
Anwendungsteil<br />
Um die anregenden Erfahrungen genießen zu können benötigen wir den schützenden<br />
Rahmen, da sein Vorhanden sein „gut“, sein Fehlen hingegen „schlechte“ Erregung auslöst.<br />
Es gibt erstaunlich viele Dinge von denen sich Menschen „angetörnt“ fühlen, von Zigaretten<br />
bis zu Heroin, von Orchestermusik bis zum Orgasmus. Diese verschiedenen Situationen und<br />
Aktivitäten berühren viele Aspekte, womit nicht gesagt werden soll, dass Aufregung allein<br />
wichtigster Bestandteil vieler lustvoller Erfahrung ist. Andere psychologische Vorteile<br />
können manchmal viel wichtiger sein – wie z.B. Macht und Kontrolle.<br />
Es gibt zwei Hauptkategorien von Stimulationen, die bei unseren Erfahrungen überwiegen.<br />
Die erste umfaßt alle die Erregungsquellen, die den verschiedenen Umgebungen entspringen,<br />
in denen wir uns im Laufe unseres Lebens befinden oder die wir aufsuchen. In diesem Fall<br />
sind wir relativ passiv, wir öffnen uns nur für die Anreize. Die zweite beruht auf unser<br />
Handeln in den verschiedenen Umgebungen, vor allem mit unserem Austausch mit anderen<br />
Menschen. In diesem Fall sind wir eher aktiv, da wir tatkräftig verschiedene Strategien<br />
verfolgen.<br />
Angeregt sein<br />
Die erste Hauptkategorie betrifft die sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften der Welt, z.B.<br />
Farben, Gerüche, Formen, Geschmäcker und Geräusche, die zusammen mit der Bedeutung,<br />
die wir ihnen beimessen, den Stoff für unsere bewußten Erfahrungen weben. Wenn jemand<br />
sensibel genug ist, kann er diese sinnliche Erfahrung jedem Aspekt unserer Welt abgewinnen,<br />
der uns im Laufe unseres Alltags begegnet. So können leuchtende Farben und laute<br />
rhythmische Geräusche (z.B. Rockkonzerte) uns in eine erregende Stimmung bringen.<br />
Die generelle Eigenschaft von Stimuli besteht darin, dass sie nicht nur selbst sinnlich erregend<br />
sind, sondern auch als Signal für Lust oder Schmerz benutzt werden, z.B. das Geräusch des<br />
11
Bohrers, das wir im Wartezimmer des Zahnarztes hören. All das kann ausschlaggebend dafür<br />
sein, ob unser Sicherheitsrahmen auf- oder abgebaut wird und damit auch, ob wir uns im<br />
Zustand der Suche nach Erregung oder der Erregungsvermeidung befinden.<br />
Es gibt relativ abstrakte Eigenschaften, die mit der Struktur der Situation zusammenhängen,<br />
die auf uns zukommt. Ein zweideutiger, vager Schatten auf der nächtlichen Straße ist<br />
sicherlich anregender als der schattenwerfende Gegenstand bei Tageslicht. Ein besonders<br />
wichtiger struktureller Aspekt von Situationen betrifft das Überraschende oder Neue. Ein<br />
Beispiel, das wir alle kennen, sind plötzlich laute Geräusche. Darüber hinaus kann alles<br />
erregend sein, was wir nicht erwartet haben: das Zusammenprallen mit der eigenen Tochter in<br />
der Stadt, die wir in der Schule glaubten.<br />
Kognitive Synergie (zusammenwirken)<br />
Zu einer kognitiven Synergie kommt es, wenn wir etwas – zum Beispiel einen Menschen oder<br />
einen leblosen Gegenstand – entweder gleichzeitig oder schnell hintereinander völlig konträr<br />
wahrnehmen. So kann ein Mann der Frauenkleider trägt, eine kognitive Synergie auslösen,<br />
denn wir können in ihm Mann und Frau zugleich sehen. Auch Dinge, die sich rasch<br />
verwandeln, nehmen wir synergetisch wahr, z.B. ein Zauberstock der zu einem Schal wird.<br />
Wegen ihrer erregenden Eigenschaft besteht im Zustand der Erregungsvermeidung eine<br />
tendenzielle Abneigung gegen kognitive Synergien. Sie werden in diesem Zustand mit<br />
Begriffen wie „Zweideutigkeit“ oder „Widerspruch“ in Verbindung gebracht. Im Zustand der<br />
Erregung hingegen werden sie aktiv verfolgt oder hergestellt. Kinder können daher so leicht<br />
in eine Phantasiewelt eintauchen, weil sie die Doppeldeutigkeit sehen können; der Heuhaufen<br />
ist ein Haus, die Pappschachtel ein Auto.<br />
12
Die Herausforderung suchen<br />
In der zweiten Hauptkategorie geht es um die Erregung durch verschiedenen Formen von<br />
Handeln.<br />
Die erste Strategie ist das Erforschen. Im Wesentlichen ist das Erforschen selbst und nicht<br />
der zu erforschende Inhalt eine Erregungsquelle. Es geht darum, auf etwas Neues zu stoßen,<br />
die Tatsache, etwas zu tun, das niemals zuvor getan wurde, die Begegnung mit dem<br />
Unbekannten, wie z.B. der Forscher, der auf der Karte bislang nicht verzeichnetes Gebiet im<br />
Dschungel betritt. Beim Forschen geht es auch um die Annäherung an einen gefährlichen Grat<br />
– womit sowohl intellektuelle als auch körperliche Risiken gemeint sind.<br />
Die zweite Form von aktiver Strategie ist die Konfrontation mit Frustrationen verschiedenster<br />
Art, die uns aufwühlen, damit wir das frustrierende Hindernis überwinden. Im Zustand der<br />
Erregungsvermeidung verursachen solche Frustrationen Gereiztheit und Besorgnis, aber im<br />
Zustand der Suche nach Erregung haben sie einen positiven Effekt. Das Individuum muß das<br />
Rätsel und die Herausforderungen als lösbar betrachten, sonst kann der gewünschte Effekt<br />
von Erregungsverstärkung umschlagen in Verzweiflung und Frustration. Ein Beispiel für<br />
positive Frustration ist ein Wissenschaftler, der in seinen Daten etwas faszinierend<br />
Ungewöhnliches entdeckt oder ein Künstler, der vor einer technischen Schwierigkeit steht, die<br />
gelöst werden muß, damit er den gewünschten Effekt erzielt. Und die Frustration in<br />
Verbindung mit lustvollen Erwartungen kommt im Leben ständig und in allen möglichen<br />
Formen vor: wenn wir ein Geschenk auspacken oder beim sexuellen Vorspiel.<br />
Das Gegenteil von Frustration – der Moment des Gelingens, in dem wir ein Ziel trotz unserer<br />
Frustration erreichen – kann ebenfalls eine Welle von freudiger Erregung auslösen. Trotzdem<br />
gibt es eine Form des „Gelingens“, die sehr speziell ist und damit als 3. Strategie zählt. Es<br />
geht um die Überwindung (oder zumindest die scheinbare Überwindung) unserer<br />
grundlegenden physischen Begrenzungen. Wie z.B. Spiele zur Überwindung der Schwerkraft<br />
(Trampolinspringen oder Schaukeln) oder Sportarten wie Fliegen oder Fallschirmspringen.<br />
Auch die Überbrückung von Grenzen im Kontakt zu Menschen und Dingen - wie z.B. beim<br />
Golfspielen - gehören dazu.<br />
Die vierte Strategie ist der Negativismus, d.h. der Wunsch, das Gegenteil von dem zu tun, was<br />
in einer bestimmten Situation erforderlich ist oder erwartet wird. Wer ist nicht schon bei Rot<br />
über die Ampel gelaufen, hat im Halteverbot geparkt oder hat einen Streit um des Streitens<br />
willen angefangen.<br />
13
All diese Strategien haben gemeinsam, dass sich das Individuum freiwillig in Probleme,<br />
Schwierigkeiten oder Herausforderungen verwickelt, mit dem Ziel, die Natur, Menschen oder<br />
Dinge herauszufordern und ändern zu wollen.<br />
Menschen, die ein ruhiges Leben führen wollen, werden diese aktiven Strategien meiden.<br />
Nutzen und Mißbrauch von Erregung<br />
Die Menschen bei der Suche nach Erregung auf Herausforderungen aus, weil sie durch den<br />
Versuch, diese zu bewältigen, erregt werden. Dieses Wissen macht viele menschliche<br />
Verhaltensweisen und Einstellungen verständlicher. Geschäftsleute wie Aristoteles Onassis<br />
haben wegen des Erfolges und des Nervenkitzels immer wieder ihr Vermögen aufs Spiel<br />
gesetzt. Dies zeigt, dass freiwilliges Eingehen von Risiken und Gefahren – das Balancieren<br />
auf dem gefährlichen Grat – eine weitere „aktive“ Strategie.<br />
Die Einnahme von Aufputschmitteln auf „Eigene Faust“ kann extrem wirksam sein -<br />
zumindest auf kurze Sicht gesehen. Aber selbst diese Form von Erregung muß in einem<br />
schützenden Rahmen erlebt werden, um sie genießen zu können. So hat der Süchtige die<br />
Kontrolle darüber wann und wo er sich die Droge verabreicht<br />
14
2. Das Feuer schüren<br />
Verschiedene Erregungsquellen miteinander kombinieren<br />
Erregung ist additiv. Eine erste Emotion überträgt sich auf eine Zweite und wird so intensiver.<br />
Eine Kombination von Erregungswellen erfolgt z. B. im Schwimmbad. Kaltes Wasser<br />
kontrastiert mit Sonnenwärme, die Stille unter Wasser mit dem Geräuschpegel im<br />
Schwimmbad. Hinzu kommt eine gewisse Gefahr durch die Nutzung von Sprungtürmen.<br />
Die sexuelle Erregung steigern<br />
Eine Form zur Steigerung der sexuellen Erregung ist der Negativismus. Die Verletzung von<br />
Regeln oder Moralvorstellungen erhöht die sexuelle Erregung. Ein solcher „Kitzel stellt sich<br />
bei einigen Personen z. B. ein bei:<br />
� Sex mit den Partnern ihrer besten Freunde<br />
� Sex mit Minderjährigen o. ä.<br />
Eine andere Strategie besteht darin, sich Risiken und Gefahren auszusetzen. Hierzu zählt u. a.<br />
Liebe an öffentlichen Plätzen oder der Verzicht auf Kondome bei Verkehr mit Prostituierten<br />
trotz der Übertragungsgefahr tödlicher Krankheiten. Doch auch diese Menschen benötigen<br />
den schützenden Rahmen zum Beispiel in Form der Überzeugung „mir passiert das nicht“.<br />
Sex und Gewalt sind von jeher miteinander verknüpft. Es überrascht daher nicht, dass sich die<br />
Film- und Pornoindustrie dessen bedient. Auch wird in ganz „normalen“ Beziehungen die<br />
sexuelle Lust häufig dadurch gesteigert „das man so tut als ob“.<br />
15
3. Der irreführende Rahmen<br />
Falsche Zuversicht<br />
Manche Menschen wähnen sich in der Sicherheitszone obwohl sie sich in der Gefahrenzone<br />
befinden. Sie stürzen sich die Niagarafälle mit selbst gebauten Apparaten hinunter und<br />
kommen meistens ums Leben. Gewohnheiten ohne sofort sichtbare gesundheitliche Folgen, z.<br />
B. Rauchen und Trinken, werden praktiziert im Glauben, im Sicherheitszonenrahmen zu<br />
agieren.<br />
Auch der Vertrauensrahmen kann in manchen Situation zum Vertrauensstrick werden. Dazu<br />
ein Beispiel von einem Jugendlichen, der mit seinen drei Freunden nachts im Auto auf eine<br />
Kreuzung zusteuerte und mit seinen Freunden wettete, dass er mit voller Geschwindigkeit<br />
ohne Schwierigkeiten über die Kreuzung gelangen würde. Er irrte sich, seine beiden Mitfahrer<br />
auf dem Rücksitz wurden getötet.<br />
Der Sicherheitsrahmen und der Vertrauensrahmen nimmt unrealistische Ausmaße an durch<br />
das Vorhanden sein von Zuschauern. Ein Grund hierfür kann die Bewunderung der Zuschauer<br />
sein, bzw. die Hoffnung des Handelnden auf Bewunderung.<br />
Ein weiterer Grund kann die Identifikation des Opfer mit den Zuschauern sein. Es entsteht<br />
eine Art Abstandsrahmen aus zweiter Hand.<br />
Der dritte schützende Rahmen ist der Abstandsrahmen, ein Beispiel dafür ist die Substitution.<br />
Menschen fühlen sich in gewissen Situationen als Zuschauer, obwohl sie in Wirklichkeit<br />
Teilnehmer sind. Sie freuen sich auf ein bestimmtes Ereignis, das im Grunde eine reale<br />
Bedrohung darstellt. Hierzu ein Beispiel: Im Gebiet des Rio Grande (zwischen den USA und<br />
Mexiko) drohte 1954 eine Hochwasserkatastrophe. Die Menschen feierten am Abend, als die<br />
Fluten immer reißender wurden, ein Fest statt sich in Sicherheit zu bringen. Das Ergebnis war<br />
der Tod vieler Menschen. Dieses Beispiel zeigt, dass die Menschen trotz der bedrohlichen<br />
Situation keine Angst hatten, sondern sie verspürten eine enorme Aufregung.<br />
16
Wenn der Rahmen fehlt oder beschädigt ist<br />
Viele Menschen sind nicht auf der Suche nach Aufregung sondern versuchen, diese zu<br />
vermeiden.<br />
Sie sehen nicht existierende Gefahren und Bedrohungen. Es fällt ihnen schwer ,diese<br />
Erfahrungen mit einem schützenden Rahmen zu versehen. Sie haben eher das Gefühl, sich auf<br />
einer gefährlichen Gratwanderung zu befinden.<br />
Menschen, die unter verschiedenen unrealistischen Ängsten leiden wie „chronische<br />
Angstzustände,“ „akute Angst“ oder „Phobien“, erleben die Welt nicht in einem schützenden<br />
Rahmen. Wenn andere Aufregung empfinden (z. B. Auslandsreisen) bekommen sie Angst.<br />
Manche Personen entwickeln als Antwort auf erlebte traumatische Ereignisse eine sog.<br />
posttraumatische Stressstörung“, Symptome wie Wutausbrüche oder Alpträume. Sie haben<br />
festgestellt, dass die Verleugnung des Erlebten keinen Schutz bringt. Die Wahrheit ist, dass<br />
Krankheit, Schmerzen, Leid und Tod uns jederzeit treffen kann und wir dagegen machtlos<br />
sind.<br />
4. Andere mit hineinziehen<br />
Die unsoziale Flucht vor Langeweile<br />
Manche Menschen verschaffen sich Aufregung auf kosten anderer, ihr Nervenkitzel besteht<br />
darin, andere Menschen Leiden oder Gefahren auszusetzen. „Ein Bahnwärter, dem langweilig<br />
war, arrangierte Zugunfälle.“ Ein weiteres Beispiel ist Vandalismus. Die Aufregung beruht<br />
auf dem Risiko, erwischt zu werden oder aber dem Negativismus, dem Bewusstsein, andere<br />
zu ärgern. Für den Vandalen ist, wenn auch nur vorübergehend, die ganze Welt ein<br />
Abenteuerspielplatz mit Sicherheitszone. Sie betrachten ihr Verhalten oft als Spiel oder als<br />
Möglichkeit, der ohnmächtigen Langeweile zu entkommen.<br />
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Verbrecherischer Nervenkitzel<br />
Bei vielen Arten von Verbrechen sind die Täter von der Suche nach Aufregung getrieben.<br />
Ladendiebstahl wird häufig nicht aus Geldnot begangen sondern wegen des Nervenkitzels.<br />
Bei der Vergewaltigung von Frauen – ein weitaus schwerwiegendere Straftat – spielt<br />
offensichtlich die sexuelle Erregung eine bedeutende Rolle. Im trivialen Sinne beinhaltet auch<br />
dieses Verbrechen die Suche nach Aufregung. Des weiteren geht es um die Befriedigung ganz<br />
verschiedener Bedürfnisse wie Machtausübung, Rache an Frauen oder auch Bestätigung der<br />
eigenen Männlichkeit. Allen Vergewaltigern gemein ist der ungewöhnlich starke<br />
Drang nach Erregung. Ist diese wieder abgeklungen, muß der ganze Ablauf wiederholt<br />
werden und es kommt es zu Überfallserien.<br />
Für Mord gib es verschiedene psychologische Gründe. Die meisten Morde werden im Zustand<br />
der Erregungsvermeidung begangen, statt Angst wird starke Aufregung empfunden. Es gibt<br />
allerdings schwer gestörte Menschen, die Töten als lustvoll und aufregend empfinden: der<br />
psychopathische Mörder. Der Psychopath verbringt die meiste Zeit seines Lebens auf der<br />
Suche nach besonders starker Erregung. Um dorthin zu gelangen, sind ihm vor allem<br />
gewalttätige und gefährliche Mittel recht. Es hat den Anschein, dass dieser Mensch sich<br />
immer im schützenden Rahmen befindet und so die ganze Welt als seinen Spielplatz<br />
betrachtet. Für ihn zählt lediglich der Nervenkitzel. Die dafür benötigten Menschen sind<br />
lediglich Mitte zum Zweck. Selbst das eigene Schicksal ist unrelevant. Diese Menschen töten<br />
aus reinem Vergnügen.<br />
Kriminalität als Freizeitbeschäftigung und Unterhaltung<br />
Bei der Ausführung eines Verbrechens ist die Verbindung von Aufregung und dem<br />
schützenden Rahmen ganz wesentlich.<br />
Es ist noch nicht geklärt, warum manche Menschen ihren „Kick“ durch kriminelle Taten<br />
bekommen und andere nicht. Es wurde festgestellt, dass ökonomische Bedürfnisse immer<br />
weiter in den Hintergrund treten. Der amerikanischer Psychologe Stanton Samenow kam zu<br />
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dem Ergebnis, dass Gewalttäter nicht nur passive Opfer der Gesellschaft sind, sondern<br />
vielmehr aus freien Stücken gegen die Gesellschaft rebellieren, andere Menschen<br />
manipulieren und die Aufregung illegaler Aktivitäten der Eintönigkeit einer regelmäßigen<br />
Arbeit vorziehen. Immer jüngere Menschen betreiben Gewalt als Sport, in Amerika nimmt die<br />
Zahl der inhaftierten jugendlichen Mörder ständig zu. Viele dieser Morde wurden ohne<br />
erkennbares Motiv begangen wie u. a. das folgende typische Beispiel zeigt:<br />
Eine Bande Jugendlicher zwischen 14 und 17 Jahren überfielen und vergewaltigten im<br />
Central Park eine junge Joggerin. Als Begründung für die Tat gab ein Täter an: „Wir hatten<br />
sonst nichts zu tun.“<br />
Menschen genießen Gewalt; dies ist kein Geheimnis. In der einen oder anderen Form ist dies<br />
jedem von uns bekannt. Die Medien liefern täglich Anschauungsmaterial wie z.B.<br />
Horrorfilme, Interviews und Bilder über Bürgerkriege, Bombenanschläge, Mord, Unfälle und<br />
andere Katastrophen. Aber im Gegensatz zum Psychopathen wird von der Allgemeinheit<br />
Gewalt nicht tatsächlich praktiziert.<br />
19
5. Der Glanz des Krieges<br />
Krieg als Zuschauersport<br />
Menschen weisen eine natürliche Tendenz auf, Dinge, die sie im Augenblick am meisten<br />
ängstigen, in Unterhaltung umzuwandeln. Krieg ist prädestiniert für Aufregung. Durch das<br />
Fernsehen kann Krieg wirken wie ein unterhaltsames Fußballspiel. Jeder Sender hat z.B. für<br />
Kriegssendungen seine eigene Erkennungsmelodie. Früher mussten die Zuschauer mit Pferd<br />
und Wagen zu den Schlachtfeldern des Krieges eilen, heute schaltet man lediglich das<br />
Fernsehgerät ein und der „Spaß“ beginnt.<br />
Krieg spielen<br />
Die Erregung im Abstandsrahmen können wir auch, wenn genügend Zeit verstrichen ist, über<br />
die Erinnerung erleben. Menschen, die Schreckliches im Krieg erlebt haben, können nach<br />
vielen Jahren ihre Erinnerung an gefährlichen Erlebnissen genießen. Es kommt nicht selten<br />
vor, dass sie bei ihren Erzählungen regelrecht in Erinnerungen schwelgen.<br />
Das Kriegsspiel übt eine enorme Faszination auf Kinder und Erwachsene aus.<br />
Bei den, von kommerziellen Organisationen veranstalteten „War Games“, bekämpfen sich<br />
zwei Mannschaften mit Waffen, die mit Farbkugeln geladen sind.<br />
Durch solche Spiele haben sich die Spieler vom Abstandsrahmen zum Sicherheitsrahmen<br />
bewegt, denn auch wenn sie nur spielen findet dieses in einer realen Welt statt und beruht auf<br />
konkrete Handlungen.<br />
Im Falle eines realen Kampfes kann die Erregung um ein vieles größer sein – vorausgesetzt er<br />
wird in einem Sicherheitsrahmen erlebt, der vom Typ des Vertrauensrahmens ist. Das heißt,<br />
die Gefahr ist real, aber das Individuum empfindet keine echte Bedrohung. Der<br />
Vertrauensrahmen ist so groß, dass genügend Vertrauen vorhanden ist, in sich selbst und in<br />
andere. Manche Soldaten berichten über den Krieg als das größte Ereignis ihres Lebens.<br />
Viele sprechen von einem Rausch, der weder mit Alkohol noch mit Drogen vergleichbar ist.<br />
20
Krieg und Erotik<br />
Für Menschen sind Gefahr, Gewalt und Sex offensichtlich die mächtigsten und intensivsten<br />
Formen von Emotionalität. Werden auf einem der Gebiete Erfahrungen gemacht, werden<br />
diese schnell mit den anderen beiden verglichen. Die Sexualität ist wohl die höchste Form<br />
von Erregung, die ein Mensch in einem schützenden Rahmen erleben kann. So ist es nur<br />
natürlich dass eine andere erregende Aktivität, wie der Kampf, der in einem schützenden<br />
Rahmen erlebt wird, mit sexuellen Erlebnissen beschrieben wird. In der Theorie von Michael<br />
Apter geht es darum, verschiedene Erregungsquellen miteinander zu kombinieren, um so die<br />
Erregung insgesamt zu verstärken. Alle Erregungsquellen werden gleich bewertet.<br />
6. Evolution – biologisch, gesellschaftlich und persönlich betrachtet<br />
Forschung und biologisches Überleben<br />
Aus evolutionärer Sicht birgt die Suche nach starker Erregung den Vorteil, dass das<br />
Überleben der Gruppe gesichert wird – Erregung dient somit letzten Endes der Arterhaltung.<br />
Für die Gruppe ist es wichtig, dass einige ihrer Mitglieder bereit und auch begierig darauf<br />
sind, Neues zu erkunden wie z.B. das suchen flacher Stellen zum Überqueren eines<br />
unbekannten Flusses.<br />
21
Riskante Erfahrungen und gesellschaftliche Evolution<br />
Die Suche nach Erregung und die damit verbundenen Risiken, die eine Gesellschaft bereit ist,<br />
einzugehen, sichert ihr nicht nur das Überleben sondern kann auch zu Wohlstand und<br />
Wachstum beitragen. Die ersten Flugversuche des Menschen endeten tödlich; langfristig<br />
brachte jedoch jedes Experiment Fortschritte – Fliegen ist heute normaler Alltag.<br />
Zu sehen ist auch hier, dass der gefährliche Grat als Wendepunkt der sich entwickelnden<br />
Gesellschaft betrachtet werden kann.<br />
Der Negativismus und die gesellschaftliche Veränderung<br />
Der Negativismus in seiner gewaltlosen Form trägt dazu bei, dass gesellschaftliche Werte,<br />
Ideale und Tabus hinterfragt werden. Dieses ist wichtig, da sich die Gesellschaft den<br />
wechselnden Bedingungen und Umständen anpassen und weiterentwickeln soll. Es geht also<br />
um die Erforschung dessen, was über das Normale oder Erlaubte in einer Gesellschaft hinaus<br />
geht.<br />
Individuelle Entwicklung: unbegrenzte Möglichkeiten und Sackgassen<br />
Die Vorteile der individuellen, psychologischen Suche nach intensiver Erregung besteht<br />
darin, dass es der Selbstentwicklung dient. Für ein heranwachsendes Kind ist die Erkundung<br />
der Umgebung ebenso wichtig wie das Erkennen der eigenen Fähigkeiten.<br />
Das Erforschen bleibt auch im Erwachsenenalter eine wichtige Eigenschaft der<br />
Weiterentwicklung.<br />
Wenn sich Menschen einem Problem stellen, welches nicht den schützenden Rahmen sprengt,<br />
aber doch groß genug ist, um starke Erregung auszulösen, befinden sie sich in einem „Flow –<br />
Zustand“. Das Individuum ist ganz in seinem Tun vertieft ist und verliert so jedes Zeit- und<br />
Ich- Gefühl.<br />
22
Das Gegenteil des „Flow- Zustandes“ ist die Sackgassenstrategie, auch nutzlose Strategie<br />
genannt. Hier sucht sich das Individuum eine Erregungsquelle, die weder dem Erlernen noch<br />
dem Verbessern einer Fähigkeit dient. Das Einnehmen von Drogen führt z. B. zu nichts, der<br />
Süchtige braucht immer stärkere Drogen um die gleiche Wirkung zu erzielen.<br />
Kreativität und Verbrechen<br />
Künstler wie z.B. Schriftsteller sind besonders anfällig für Langeweile doch haben sie die<br />
Fähigkeit, diese in Kreativität umzuwandeln. Menschen, die schnell gelangweilt sind diese<br />
Fähigkeit besitzen, neigen zu vandalistischem Verhalten und Rowdytum.<br />
Aufregung im Zeitalter der Langeweile<br />
Da die Gesellschaft für immer mehr Sicherheit sorgt z.B. beim Auto fahren, trägt sie - wenn<br />
auch unwissend - dazu bei, dass Menschen immer größere Risiken eingehen. Früher waren es<br />
Krieg oder das Erforschen neuer Kontinente, welches den jungen Männern Aufregung<br />
bescherte. Eine Parallele der heutigen Zeit hierzu ist z. B. die Erforschung des Weltraums –<br />
allerdings benötigt man dafür eine qualifiziertere Ausbildung.<br />
23
Literaturverzeichnis<br />
MICHAEL APTER (1994): Im Rausch der Gefahr: Warum immer mehr Menschen den<br />
Nervenkitzel suchen. Kösel-Verlag, München<br />
24
Anhang<br />
Abbildung 1<br />
Angenehm<br />
Unangenehm<br />
Abbildung 2<br />
Angenehm<br />
Unangenehm<br />
25<br />
zunehmende<br />
Aufregung<br />
zunehmende<br />
Angst<br />
Schwache starke<br />
Erregung Erregung<br />
zunehmende<br />
Entspannung<br />
zunehmende<br />
Langeweile<br />
Schwache mäßige<br />
Erregung Erregung
Abbildung 3<br />
Angenehm<br />
Unangenehm<br />
Entspannung Aufregung<br />
A D<br />
C B<br />
Langweile Angst<br />
Schwache Erregung starke Erregung<br />
26
Abbildung 4<br />
Traumazone<br />
Gefährlicher Grat<br />
------------------------------------------------------------------------<br />
Schützender Rahmen<br />
Abbildung 5<br />
Gefahrenzone<br />
Sicherheitszone<br />
----------------------------------------------------------------------------- stärker<br />
Suche nach Vermeidung<br />
Aufregung von Angst<br />
27<br />
Erregung<br />
schwächer
Abbildung 6<br />
Angst<br />
Aufregung A<br />
Traum azone<br />
Gefahrenzone<br />
( Zeit<br />
)<br />
28<br />
B<br />
schützender<br />
Rahm en
Abbildung 7<br />
Abbildung 8<br />
Traumazone<br />
Gefahrenzone<br />
Sicherheitszone<br />
29<br />
Traum azone<br />
Gefahrenzone<br />
Sicherheitszone