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Kälte aus der Steckdose - Forschen-Entdecken

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08 Gen<strong>der</strong>-Medizin <strong>Forschen</strong> & <strong>Entdecken</strong><br />

„Es gibt eine<br />

Reihe von<br />

Krankheiten,<br />

die ungleich<br />

unter den<br />

Geschlechtern<br />

verteilt sind<br />

und an<strong>der</strong>e<br />

Verläufe<br />

zeigen.“<br />

Anita Rie<strong>der</strong>,<br />

Sozialmedizinerin<br />

Frauen<br />

in <strong>der</strong><br />

Forschung<br />

siehe Seite 22–23<br />

▼ ja die gesamte Biochemie, die Umwelteinflüsse und<br />

Medikamente im Stoffwechsel verarbeitet. Und warum<br />

ist das so? Legato formuliert es drastisch: „Die Medizin<br />

wurde bisher so betrieben, als ob allein die Brüste, die Gebärmutter<br />

und die Eierstöcke einer Frau spezifisch weiblich<br />

seien – und als ob ihr Herz, ihr Gehirn und je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Teil ihres Körpers identisch wären mit denen des<br />

Mannes.“ In den meisten Fällen sei das „schlicht auf die<br />

Art <strong>der</strong> medizinischen Ausbildung zurückzuführen.“<br />

Legato weiß, wovon sie spricht: Sie ist eine Pionierin auf<br />

dem neuen Gebiet <strong>der</strong> so genannten Gen<strong>der</strong>-Medizin, die<br />

sämtliche geschlechtsspezifischen Aspekte in den Bereichen<br />

Prävention, Diagnose und Therapie zu erforschen<br />

beginnt. Sie hat einen Stein ins Rollen gebracht, indem sie<br />

die ungleiche Behandlung von Männern und Frauen<br />

öffentlich machte und Bücher darüber schrieb. Sie hat die<br />

Auswirkungen <strong>der</strong> ungleichen Karrierechancen von<br />

Ärztinnen und Ärzten analysiert. Sie hat viel dazu beigetragen,<br />

dass heute ernsthaft über die biologischen Unterschiede<br />

von Frauen und Männern diskutiert werden kann<br />

– ein Diskurs, <strong>der</strong> sich bisher schnell in Klischees erschöpfte.<br />

Gen<strong>der</strong>-Medizin, betont Legato, müsse „streng<br />

vom Feminismus getrennt werden“. Sie hat das auch heuer<br />

im Mai in Wien gesagt, beim 1. Internationalen Gen<strong>der</strong>-Symposium<br />

an <strong>der</strong> Medizinischen Universität Wien.<br />

Fe<strong>der</strong>führend dabei war auch die Wiener Kardiologin<br />

Jeanette Strametz-Juranek. Wenn die Ärztin durch die<br />

langen Gänge <strong>der</strong> Kleinstadt AKH zu ihrer Station eilt, ist<br />

sie von Gen<strong>der</strong>-Aspekten verschiedenster Art umgeben.<br />

Medizin-Studentinnen huschen an ihr vorbei; sie bilden<br />

mit 55 Prozent die Mehrheit <strong>der</strong> Studierenden, aber ganz<br />

oben auf <strong>der</strong> Karriereleiter werden die meisten nie ankommen.<br />

Zu einer Professur bringen es nur sechs Prozent.<br />

Stand: Jänner 2004. Klar, das soll sich än<strong>der</strong>n. So<br />

genanntes Gen<strong>der</strong>-Mainstreaming hat mittlerweile an <strong>der</strong><br />

MedUni Wien sogar eine Stabsstelle erhalten, die Verbes-<br />

serungen <strong>aus</strong>arbeiten soll. Gen<strong>der</strong>-Forschung steht auch<br />

auf dem Lehrplan. Und eine Gen<strong>der</strong>-Professur soll es<br />

auch bald geben. „Aber es ist noch viel zu tun“, sagt<br />

Strametz-Juranek.<br />

In den vielen Stationen und Ambulanzen des AKH<br />

müssen immer noch Medikamente verschrieben und<br />

Therapien angewandt werden, über <strong>der</strong>en unterschiedliche<br />

Wirkungen und Nebenwirkungen auf Männer und<br />

Frauen erstaunlich wenig bekannt ist. Selbst Klassiker<br />

<strong>der</strong> Pharmazeutik sind davon betroffen. Welche zum<br />

Beispiel? Die Kardiologin Strametz-Juranek sagt schnell<br />

und knapp: „Acetylsalicylsäure“. Und nach einer kurzen<br />

P<strong>aus</strong>e fügt sie hinzu: „Wer hätte das gedacht?“ Die Ärztin<br />

spricht über nichts an<strong>der</strong>es als Aspirin, milliardenfach<br />

erprobt bei grippalen Infekten, aber auch in <strong>der</strong> Prävention<br />

von Schlaganfällen und Herzinfarkten. Eine neue<br />

US-Studie brachte nun ernüchternde Ergebnisse: Aspirin<br />

hat offenbar wenig präventive Wirkung auf infarktgefährdete<br />

Frauen.<br />

Was wird noch alles entdeckt werden? Ein weites Feld <strong>der</strong><br />

Forschung eröffnet sich jedenfalls, die Gen<strong>der</strong>-Medizin<br />

stecke noch in den Kin<strong>der</strong>schuhen, sagt Strametz-Juranek,<br />

„da wird sicher auch in Österreich noch viel erforscht<br />

werden.“ Die Sozialmedizinerin Anita Rie<strong>der</strong>, Autorin<br />

<strong>der</strong> ersten umfassenden Gen<strong>der</strong>-Übersicht in deutscher<br />

Sprache (siehe Buchtipps), ortet eine regelrechte<br />

„Goldgräberstimmung“. Und in ihrem Buch „Warum<br />

Frauen gesün<strong>der</strong> leben & Männer früher sterben“ listet<br />

die Wiener Psychiaterin Gabriele Fischer eine ganze Reihe<br />

von Erkrankungen auf, die, wie sie sagt, „ungleich unter<br />

den Geschlechtern verteilt sind o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Verläufe<br />

zeigen“: Asthma, Diabetes, Multiple Sklerose, Rheuma,<br />

Migräne und Depression. „Das erfor<strong>der</strong>t auch spezifische<br />

Zugänge in Diagnose und Therapie“, sagt Fischer in ihrem<br />

Büro in den AKH-Kliniken am Südgarten. Doch die<br />

erschöpfen sich immer noch häufig in Stereotypen: „Frau-

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