Berlin Mitte 4. Tag - Institut für Raumgestaltung
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<strong>Berlin</strong> Babylon<br />
<strong>Berlin</strong> Babylon erzählt von der Melancholie einer Stadt, die ihre zerstörte Struktur mit aller Macht zurückgewinnen, die Schatten<br />
der Vergangenheit überwinden will. Was soll Bestand haben? Was wird abgerissen, was neu gebaut? Aus allen Himmelsrichtungen<br />
nähert sich die Kamera der Stadt, taucht ein in die Straßenschluchten, verweilt in den Hinterhöfen, schwingt sich über gigantische<br />
Neubauten. Wo eben noch geheimnisvolle Leere war, herrscht rastloser Baubetrieb. Wo gerade noch Gebäude standen,<br />
gähnt neue Leere. Dann ragen auch hier die Kräne in den Himmel.<br />
Wir erleben die Protagonisten des Umbaus: prominente Architekten wie Axel Schultes, Renzo Piano, Josef P. Kleihues und Rem<br />
Koolhaas. Bauherren, Politiker, Stadtplaner und Arbeiter. Anstelle von Interviews und Statements zeigen Körpersprache, Mimik<br />
und Fragmente von Gesprächen die Protagonisten bei ihrer Arbeit, in ihrem sozialen Raum, auf Baustellen und Richtfesten;<br />
das komplexe Gefüge der Hierarchie, die Konzepte, den Widerstreit, die Suche. Aus ungewöhnlichen Blickwinkeln, in genau<br />
beobachteten Szenen des Planens und Bauens, in spektakulären Aufnahmen zeigt <strong>Berlin</strong> Babylon die Kontraste einer Stadt im<br />
Umbau, zwischen der Angst vor der Leere und der Vollendungssucht. Ein Film über die hoffnungslose Bauwut, die in den Himmel<br />
wächst und seltsam flach und mittelmäßig bleibt, über die verführerische Faszination und prosaische Brutalität des Bauens.<br />
„Drei Blickwinkel haben mich interessiert. Zuerst die Faszination des schlagartigen Übergangs von einem baulichen Zustand der<br />
Stadt in einen anderen. Dabei war das Alte wie das Neue mit der Atmosphäre des schnellen Übergangs aufgeladen: das Alte,<br />
gerade noch Unberührte, oft Verfallene, erschreckend Offene und Leere: das Neue, die zahllosen Baustellen, die mir wie Speicher<br />
utopischer Versprechungen erschienen, solange die Bauten noch entstanden. Der Film versucht diese überschnelle Epoche zu<br />
verlangsamen.<br />
Zum zweiten erstaunte mich der babylonische Charakter der ganzen <strong>Berlin</strong>er Unternehmung. Es scheint eine Zivilisationsfabel<br />
seit Babylon zu sein, daß zu jeder Zeit Bauherren, Baumeister und Bauleute bereit stehen, eine als leer empfundene Innenstadt<br />
sofort mit Bauwerken jeder Dimension zu füllen. Die Angst vor der Leere steigerte das rationale Geschäftsgebaren der Immobilienbranche<br />
in <strong>Berlin</strong> zu rastloser Tätigkeit. Im Film stehen die Worte und Physiognomien der Männer des Stadt-Marketings<br />
und des eiligen Zugriffs – Architekten und Investoren, Politiker und Beamte – dem Leben der Männer gegenüber, die ihre Hände<br />
gebrauchen und die Dauer und Mühe des Erstellens erfahren, den Bauarbeitern.<br />
Drittens gibt es in dem alt-neuen <strong>Berlin</strong> eine Präsenz der deutschen Geschichte in erstaunlichen Überschichtungen, eine empfindliche<br />
Aura, die auch ungeliebte Epochen, wie die Nazizeit oder die DDR einschließt, eine Aura, die als völlig unbrauchbar gilt<br />
und deshalb dem ordnenden Zugriff der Stadtplanung unterliegt. Man muß sich beeilen, die Stadt noch ungeschminkt zu erleben,<br />
bevor sie ganz geliftet ist – und zugebaut.“<br />
Hubertus Siegert über <strong>Berlin</strong> Babylon