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Psychologie und Sprache - aware – Magazin für Psychologie

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<strong>aware</strong> HS12<br />

FELDER DER PSYCHOLOGIE<br />

Über den Einfluss der <strong>Sprache</strong> auf das Denken<br />

Welchen Einfluss hat <strong>Sprache</strong> auf unser<br />

Denken? Viele Vertreterinnen <strong>und</strong> Vertreter<br />

der <strong>Psychologie</strong>, Linguistik <strong>und</strong> Philosophie<br />

haben sich schon mit dieser Frage beschäftigt<br />

<strong>und</strong> sich dabei auf vielfältige linguistische<br />

Unterschiede bezogen. Neuere<br />

Erkenntnisse bestätigen, dass <strong>Sprache</strong><br />

unser Denken beeinflussen kann. Forschende<br />

stellen fest, dass dieser Einfluss<br />

begrenzt ist <strong>und</strong> vieles noch unklar bleibt.<br />

Von Manuel Merkofer<br />

Die ausserordentliche Rolle der <strong>Sprache</strong> <strong>für</strong><br />

die Menschheit ist unbestritten. In diesem Zusammenhang<br />

wird oft betont, wie wichtig<br />

<strong>Sprache</strong> als Medium ist, über welches wir<br />

Informationen austauschen können. Zu<br />

beachten ist aber auch, dass man eine ausserordentliche<br />

sprachliche Vielfalt vorfindet: Dialekte<br />

<strong>und</strong> tote <strong>Sprache</strong>n ausgenommen, soll<br />

es heute über 5‘000 <strong>Sprache</strong>n geben (Störig,<br />

2006; Swoyer, 2003). Einerseits fällt auf, wie<br />

stark sich diese unterscheiden können, wenn<br />

man versucht ohne Vorkenntnisse eine andere<br />

<strong>Sprache</strong> zu verstehen. Nicht nur die Wörter<br />

sind neu, auch Grammatik <strong>und</strong> Satzstellung<br />

müssen erst gelernt werden. Sogar die Wortarten<br />

können nicht immer einfach nur übernommen<br />

werden. Andererseits muss es einige Gemeinsamkeiten<br />

aller <strong>Sprache</strong>n geben,<br />

schliesslich ist jedes Kind in der Lage, eine<br />

beliebige davon perfekt zu erlernen. Chomsky<br />

(1965, 1968) postuliert, dass diese Übereinstimmungen<br />

Abbild einer universellen Disposition<br />

sind, welche uns diesen Lernvorgang<br />

ermöglicht <strong>und</strong> ein Produkt des Evolutionsprozesses<br />

ist (Störig, 2006).<br />

Doch welche Folgen haben diese Unterschiede?<br />

Bei dieser Frage steht nicht der Informationsaustausch,<br />

bei dem <strong>Sprache</strong> als Vehikel fungiert,<br />

im Vordergr<strong>und</strong>, vielmehr muss geklärt<br />

werden, welchen Einfluss die Struktur einer<br />

<strong>Sprache</strong> hat. Schon <strong>für</strong> Wilhelm von Humboldt<br />

war <strong>Sprache</strong> kein blosses «System von Zeichen»<br />

sondern «die äusserliche Erscheinung<br />

des Geistes der Völker» (vgl. Störig, 2006).<br />

Im Gegensatz zu Humboldt sieht Samuel Johnson<br />

keinen Zusammenhang zwischen <strong>Sprache</strong><br />

<strong>und</strong> Denken, wenn er feststellt, dass <strong>Sprache</strong><br />

nicht mehr als die «Kleidung der Gedanken» ist.<br />

Wie Bloom <strong>und</strong> Keil (2001) darlegen, gibt es<br />

auch heute prominente Gegner der These, dass<br />

<strong>Sprache</strong> sich auf das Denken auswirkt (Bloom &<br />

Keil, 2001; Pinker, 1994).<br />

Durch die Arbeiten von Sapir (1929) <strong>und</strong> Whorf<br />

(1956) wurde diese Frage im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert erneut<br />

aufgeworfen. Unter dem Einfluss linguistischer<br />

Forschung, welche unter anderem feststellte,<br />

dass es oft keine adäquate Übersetzung<br />

eines Wortes gibt, etablierte sich die Sichtweise,<br />

dass grosse Unterschiede zwischen <strong>Sprache</strong>n<br />

dazu führen, dass auch die Denkweise verschiedener<br />

Sprachgruppen stark divergiert.<br />

«Der Mensch ist nur Mensch durch<br />

<strong>Sprache</strong>; um aber die <strong>Sprache</strong> zu<br />

erfinden, müsste er schon Mensch<br />

sein.» <strong>–</strong> Wilhelm von Humboldt<br />

Diese Unterschiede im Denken sollen auch dazu<br />

führen, dass die Welt unterschiedlich wahrgenommen<br />

wird (Sapir, 1929, zit. nach Swoyer,<br />

2003). Whorf (1956) stellt fest, dass Begriffe<br />

welche Raum <strong>und</strong> Zeit in unserem Sinn beschreiben<br />

in der <strong>Sprache</strong> der Hopi fehlen. Bloom <strong>und</strong><br />

Keil (2001) kritisieren, dass mit dieser Feststellung<br />

sprachlicher Unterschiede tatsächlich bewiesen<br />

wird, dass auch Unterschiede im Denken<br />

vorhanden sind. Auch viele spätere Beiträge,<br />

welche die Sapir-Whorf-Hypothese zu stützen<br />

scheinen, müssen sich diesen Vorwurf gefallen<br />

lassen (Bloom & Keil, 2001; Swoyer, 2003). In<br />

modernen Experimenten werden deshalb Denkprozesse<br />

oft über nichtsprachliche Aufgaben erfasst.<br />

Davon sollen nun mehrere genannt werden:<br />

Farben werden in diversen <strong>Sprache</strong>n teilweise<br />

unterschiedlich klassifiziert. So werden im Russischen<br />

hellere <strong>und</strong> dunklere Blautöne zwingend<br />

auseinandergehalten. Statt von der Farbe Blau zu<br />

sprechen, verwendet man somit entweder goluboy<br />

(голубой) oder siniy (синий). Es ist folglich<br />

nicht möglich diese Facetten einer einzigen Farbe<br />

«blau» unterzuordnen. Winawer, Witthoft,<br />

Frank, Wu, Wade <strong>und</strong> Boroditsky (2007) untersuchten<br />

russischsprechende <strong>und</strong> englischsprechende<br />

Testpersonen in ihrer Fähigkeit zwei<br />

Blautöne zu unterscheiden. Dabei zeigte sich,<br />

dass russischsprechende Personen die Farben<br />

schneller unterscheiden konnten, da sie in ihrer<br />

<strong>Sprache</strong> unterschiedlich kategorisiert werden. In<br />

einem Nachfolgeexperiment sollten die Probanden<br />

zusätzlich Zahlenreihen im Kopf behalten.<br />

Der vorherige Zusammenhang war nicht mehr<br />

feststellbar. Die Autoren erklären dies damit,<br />

dass mit der Denkaufgabe der Zugang zu sprachlichen<br />

Repräsentationen behindert wurde. Daraus<br />

kann man schliessen, dass <strong>Sprache</strong> selbst<br />

Wahrnehmungssysteme beeinflussen kann (Winawer<br />

et al., 2007).<br />

Sind Informationen uneindeutig, schwierig oder<br />

die Inhalte abstrakt, neigen wir dazu, metaphorische<br />

Bezeichnungen zu verwenden (Boroditsky,<br />

1999). So kommen zur Beschreibung von Zeitaspekten<br />

typischerweise räumliche Metaphern<br />

zum Zuge (z. B. «Die Zeit läuft davon»), da die-<br />

In einem anderen Kontext wird diskutiert,<br />

inwiefern <strong>Sprache</strong> mit der Form sozialer<br />

Systeme zusammenhängt. So werden nach<br />

Judith Butler (1990, zit. nach Giddens,<br />

2009, S. 95) Geschlechterrollen durch den<br />

gesellschaftlichen Diskurs geprägt <strong>und</strong> immer<br />

wieder neu geschaffen. «Geschlecht»<br />

ist <strong>für</strong> Butler somit keine feste Kategorie.<br />

Nach der französischen <strong>und</strong> russischen Revolution<br />

wurde nicht nur die Gesellschaftsform,<br />

sondern auch die <strong>Sprache</strong> verändert:<br />

Das Siezen wurde abgeschafft, da dieses<br />

Klassen- <strong>und</strong> Machtdenken fördere (Bloom<br />

& Keil, 2001). Slobin (1996, zit. nach Bloom<br />

& Keil, 2001, S. 355) bemängelt, dass eine<br />

solche Unterscheidung bei jeder Unterhaltung<br />

zu einer Klassifizierung des Gegenübers<br />

zwingt. So wurde vorgeschrieben, dass<br />

nur noch tu respektive ty (ты) verwendet<br />

werden sollte. Daher richtete sich Robbespierre<br />

selbst an grössere Gruppen mit tu.

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