Psychologie und Sprache - aware – Magazin für Psychologie
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sind die interindividuellen Unterschiede dennoch<br />
über verschiedene Kontexte hinweg stabil (Ireland<br />
& Pennebaker, 2010). Die Verwendung von<br />
Funktionswörtern korreliert mit unterschiedlichen<br />
psychologischen Faktoren <strong>und</strong> ihre Erforschung<br />
gibt Einblick in die Denkweise eines Menschen.<br />
Die unbeabsichtigte Nachahmung des Sprachstils<br />
einer anderen Person geht mit der Übernahme ihrer<br />
Denkweise einher (Ireland & Pennebaker,<br />
2010). LSM kann deshalb Ereignisse vorhersagen,<br />
die reziproke Verständigung voraussetzen,<br />
wie beispielsweise Gruppenkohäsion (Gonzales<br />
et al, 2010) oder den Erfolg bei Geiselverhandlungen<br />
(Taylor & Thomas, 2008).<br />
Dass der eigene Sprachstil durch die <strong>Sprache</strong>, der<br />
man ausgesetzt ist, mitbestimmt wird, kann auch<br />
unerwünschte Folgen haben. So beeinflusst was<br />
wir lesen unsere Schreibweise, weil wir ungewollt<br />
<strong>und</strong> unbemerkt den Sprachstil gelesener Texte<br />
übernehmen (Ireland & Pennebaker, 2010). Unter<br />
«Kryptomnesie» oder auch «versehentliches Plagiat»<br />
versteht man das Phänomen, irrtümlicherweise<br />
Ideen, die von jemand anderem oder von<br />
einem selbst zu einem früheren Zeitpunkt hervorgebracht<br />
wurden, als neu <strong>und</strong> eigen wahrzunehmen.<br />
So kommt es, dass Menschen Sachen schreiben,<br />
deren Urherber zu sein sie überzeugt sind <strong>–</strong> in<br />
Wirklichkeit handelt es sich nur um eine Erinnerung<br />
an etwas, das sie einst gelesen haben (Brown<br />
& Halliday, 1991). Ein berühmter Fall von Kryptomnesie,<br />
der von C. G. Jung entdeckt <strong>und</strong> beschrieben<br />
wurde, betrifft eine Passage aus<br />
Nietzsches Also sprach Zarathustra, die einer Geschichte<br />
entstammt, die Nietzsche als Jugendlicher<br />
gelesen hatte (Taylor, 1965). Da man LSM<br />
nicht bewusst kontrollieren kann, lässt sich auch<br />
Kryptomnesie bewusst nicht verhindern (Ireland<br />
& Pennebaker).<br />
In einer Studie von Ireland <strong>und</strong> Kollegen (2011)<br />
waren die Personen mit hohem LSM-Wert in<br />
einem ersten Speed-Dating Gespräch eher daran<br />
interessiert, sich näher kennenzulernen, als Speed-<br />
Dating Paare, die ihren Sprachstil nicht synchronisierten.<br />
Gleicht man die Art <strong>und</strong> Weise, wie man<br />
spricht, am Gesprächspartner an, erleichtert dies<br />
die Verständigung. Es liegt nahe, dass wir gewillt<br />
sind, Menschen zu verstehen, zu denen wir uns<br />
angezogen fühlen, <strong>und</strong> deshalb ihren Sprachstil<br />
stärker übernehmen. In einer zweiten Studie<br />
konnten die Autoren zeigen, dass sich mittels<br />
LSM auch die Beziehungsstabilität von Liebespaaren<br />
vorhersagen lässt. Paare mit überdurchschnittlich<br />
stark synchronisiertem Gebrauch von<br />
Funktionswörtern waren mit grösserer Wahrscheinlichkeit<br />
nach drei Monaten noch zusammen,<br />
als Paare mit tieferen LSM-Werten.<br />
Auch Veränderungen der Beziehungsqualität<br />
widerspiegeln sich im LSM-Mass. Das Ehepaar<br />
Elizabeth Barrett <strong>und</strong> Robert Browning, beides<br />
bekannte Dichter des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, weist in<br />
seinem Briefwechsel zu denen Zeiten hohe<br />
LSM Werte auf, als beide glücklich waren <strong>und</strong><br />
sich in ähnlichem Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Gefühlszustand<br />
befanden. In disharmonischen <strong>und</strong><br />
schwierigen Zeiten war ihr Sprachgebrauch<br />
deutlich weniger synchronisiert (Ireland & Pennebaker,<br />
2010). Dass sich auch die psychische<br />
<strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitliche Verfassung auf LSM auswirken,<br />
zeigt, dass es wie die meisten sozialpsychologischen<br />
Phänomene sowohl durch personenbezogene<br />
als auch situationsbezogene<br />
Faktoren beeinflusst wird (Ireland & Pennebaker,<br />
2010).<br />
Zwei Personen, die sich gegenseitig Aufmerksamkeit<br />
schenken <strong>und</strong> gewillt sind, den ande-<br />
PSYCHOLOGIE IM ALLTAG<br />
HS12<strong>aware</strong> 37<br />
ren zu verstehen, werden unabsichtlich ihre<br />
Sprechweise aneinander anpassen (Ireland &<br />
Pennebaker, 2010). Die ähnliche Verwendung<br />
von Funktionswörtern hilft zur Herstellung einer<br />
gemeinsamen Verständnisbasis, wodurch<br />
es einfacher wird, die Denkweise des anderen<br />
zu übernehmen, was wiederum begünstigt,<br />
dass man sich mag. Umgekehrt schlägt sich<br />
gegenseitiges Mögen <strong>und</strong> Verstehen in der<br />
<strong>Sprache</strong> nieder, die man verwendet, <strong>und</strong> kann<br />
durch den veränderten Gebrauch von Funktionswörtern<br />
erfasst werden. Der unbewussten<br />
verbalen Anpassung am Gegenüber kommen<br />
also die gleichen sozialen Funktionen zu, wie<br />
der nonverbalen, <strong>und</strong> im Wesentlichen widerspiegelt<br />
Language Style Matching interpersonelle<br />
Harmonie.<br />
Zum Weiterlesen<br />
Ireland, M. E., Slatcher, R. B., Eastwick, P.<br />
W., Scissors, L. E., Finkel, E. J. & Pennebaker,<br />
J. W. (2011). Language Style Matching Predicts<br />
Relationship Initiation and Stability.<br />
Psychological Science, 22(1), 39<strong>–</strong>44.<br />
Taylor, F. K. (1965). Cryptomnesia and Plagiarism.<br />
British Journal of Psychiatry, 111,<br />
1111<strong>–</strong>1118.<br />
Bildquelle: Laura Basso