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Psychologie und Sprache - aware – Magazin für Psychologie

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32 <strong>aware</strong> HS12 FELDER DER PSYCHOLOGIE<br />

The talking cure?<br />

Die Situation von Patientinnen <strong>und</strong> Patienten mit Hörschädigungen<br />

«Die Stimme am Ohr verrät relativ schnell,<br />

in welcher Verfassung sich der anrufende<br />

Mensch befindet. Ist er wütend oder traurig,<br />

verzweifelt oder angsterfüllt, resigniert<br />

oder gar lebensmüde?» Dieses Zitat von<br />

Sophie, einer Mitarbeiterin der Dargebotenen<br />

Hand, zeigt, wie viel Information in der<br />

gesprochenen <strong>Sprache</strong> neben dem semantischen<br />

Inhalt enthalten ist <strong>–</strong> doch wie<br />

gestaltet sich die Kommunikation, wenn<br />

diese Anhaltspunkte entfallen?<br />

Von Josefine Biskup<br />

Psychotherapie ist in vielerlei Hinsicht auf die<br />

mündliche Sprachvermittlung ausgelegt. Die<br />

Haupttätigkeit von Therapierenden <strong>und</strong> deren<br />

Klientel ist die Verbalisierung intrapsychischen<br />

Geschehens. Insbesondere die Psychoanalyse<br />

stützt sich auf die verändernde Kraft des sprachlichen<br />

Austauschs. Das therapeutische Setting<br />

<strong>und</strong> das Aussprechen freier Assoziationen ermöglichen<br />

die gemeinsame Rekonstruktion <strong>und</strong><br />

Reflexion von Empfindungen, Situationen <strong>und</strong><br />

Beziehungen eines Patienten. Die gesprochene<br />

<strong>Sprache</strong> bildet somit einen wichtigen Zugang in<br />

die innere Welt des Analysanden. Die Assoziation<br />

Schweizer Psychotherapeutinnen <strong>und</strong> Psychotherapeuten<br />

(ASP) beispielsweise, betont in<br />

ihrer Definition von Psychotherapie die Wichtigkeit<br />

der therapeutischen Beziehung <strong>–</strong> aufgebaut<br />

wird diese hauptsächlich durch Gespräche.<br />

Wie aber funktioniert Psychotherapie bei Menschen,<br />

die Sprachklänge nicht produzieren <strong>und</strong>/<br />

oder nicht wahrnehmen können?<br />

Spezifische Belastungen <strong>und</strong> höhere<br />

Vulnerabilität<br />

Die Frühförderung von Kindern mit Hörbeeinträchtigung<br />

<strong>und</strong> deren Eltern ist ein weites biologisch-medizinisches<br />

wie auch pädagogisch-psychologisches<br />

Forschungsfeld. Der Grad der<br />

Einschränkung <strong>und</strong> die damit einhergehenden<br />

Belastungen variieren von leichtgradiger<br />

Schwerhörigkeit über Resthörigkeit bis zu absoluter<br />

Taubheit. Das Hörvermögen wird <strong>für</strong> das<br />

einzelne Ohr bestimmt, wobei nicht allein die<br />

Dezibelwerte eines Tonaudiogramms massgeblich<br />

sind, sondern auch das Wortverstehen im<br />

Hauptsprachfrequenzbereich. Zur Diagnostik<br />

wird vor allem der Freiburger Sprachverständlichkeitstest<br />

(Zahlen- <strong>und</strong> Einsilbertest) eingesetzt<br />

(Buschermöhle, 2011). Neben den Einschränkungen,<br />

die eine Hörminderung <strong>für</strong> den<br />

Betroffenen darstellen kann, wird generell die<br />

Situation der Eltern eines hörgeschädigten Kindes<br />

als besondere Schwierigkeit angesehen, wie<br />

Regina Leven (2003) in der Publikation Gehörlose<br />

<strong>und</strong> Schwerhörige Menschen mit psychischen<br />

Störungen beschreibt. Da die ersten Worte<br />

ausblieben, trete bei den Eltern nach der Lallphase<br />

eine Verunsicherung gegenüber dem verstummenden<br />

Kind auf (Seifert, 1970). Besonders hörenden<br />

Eltern falle es schwer, mit den<br />

emotionalen Belastungen wie Angst, Schuldgefühl<br />

<strong>und</strong> Trauer, umzugehen (Schlesinger, 1972).<br />

Die Probleme in der familiären Kommunikation<br />

können im ungünstigsten Fall bei den betroffenen<br />

Kindern zu einer kommunikationsvermeidenden<br />

Haltung oder gar zu einer ängstlich-vermeidenden<br />

Persönlichkeitsstörung führen. Die<br />

von Leven zitierte Studie von Kammerer (1988)<br />

zeigt deutliche Unterschiede in der familiären<br />

Wahrnehmung von Kommunikationserfolg. Eltern<br />

neigen dazu, ihre Kinder zu überschätzen,<br />

während diese ihre Sende- <strong>und</strong> Empfangsmöglichkeiten<br />

gegenüber Hörenden als realistisch<br />

negativ einschätzen, was von ihnen jedoch mit<br />

zunehmendem Alter als gleichgültig erlebt wird.<br />

Trauer <strong>und</strong> Wut sind vor allem bei jüngeren Kindern<br />

festzustellen (Leven, 2003).<br />

Hilfsangebote bei Hör- <strong>und</strong> Sprachstörungen<br />

Zur Unterstützung von Eltern mit Kindern, die<br />

von Hörschädigung betroffen sind, bietet in Zürich<br />

das Zentrum <strong>für</strong> Gehör <strong>und</strong> <strong>Sprache</strong> (ZGSZ)<br />

eine psychologische Fachstelle APD (Audiopädagogische<br />

Dienst) mit Erstberatungsangebot <strong>und</strong><br />

weiteren Leistungen an. Ein besonderer Fokus<br />

liegt zudem auf der Vermittlung von <strong>Sprache</strong> im<br />

Sinne einer natürlichen Lautsprache, früher<br />

Schriftsprache <strong>und</strong> lautsprachbegleitenden Gebärden<br />

(LBG) durch Kurse <strong>für</strong> Eltern <strong>und</strong> Kinder.<br />

Logopädische Beratung <strong>und</strong> Therapie, deren<br />

Fokus auf dem <strong>Sprache</strong>rwerb <strong>und</strong> dem Vermeiden<br />

von Verständnisschwierigkeiten liegt, ist<br />

ein Aspekt der psychologisch-pädagogischen<br />

Arbeit. Ein weiteres Feld ist die psychologische<br />

Beratung <strong>und</strong> Psychotherapie <strong>für</strong> Personen mit<br />

Hörschädigung. Die Vermutung, dass vor allem<br />

erworbene Schwerhörigkeit oder Ertaubung<br />

Deaf culture im Netz<br />

Die World Federation of the Deaf (WFD)<br />

vertritt als NGO ungefähr 70 Millionen<br />

Menschen weltweit, davon etwa 80 Prozent<br />

in Entwicklungsländern, wo die Rechte<br />

<strong>und</strong> Anliegen von Betroffenen oftmals<br />

kaum berücksichtigt werden. Im akademischen<br />

Bereich bildet Deaf Academics eine<br />

Plattform mit jährlichen Kongressen <strong>und</strong><br />

mit der Englisch/Gebärdensprachlich-bilingualen<br />

Gallaudet University in Washington<br />

DC besteht seit 1864 eine einzigartige Institution,<br />

die BA- <strong>und</strong> MA-Kurse in diversen<br />

Feldern anbietet. Neben Akademikern in<br />

vielen Bereichen existieren selbstverständlich<br />

auch Psychotherapeuten, die von Hörminderungen<br />

betroffen sind <strong>und</strong> somit beste<br />

Kenntnis <strong>und</strong> Erfahrung in<br />

Gebärdensprachlicher Therapie haben. Die<br />

Für eine bessere Verständigung mit medizinisch-therapeutischem<br />

Personal setzen sich<br />

im deutschsprachigen Raum beispielsweise<br />

der Deutsche Gehörlosen-B<strong>und</strong> e.V., wie<br />

auch der Deutsche Schwerhörigenb<strong>und</strong><br />

e.V., ein. In der Schweiz existiert mit dem<br />

Schweizerischen Gehörlosenb<strong>und</strong> (SGB-<br />

FSS) eine eigenständige Organisation. Daneben<br />

zeugen Seiten wie taubenschlag.de,<br />

deafbase.de oder swissdeaf.ch (pro-audito.<br />

ch <strong>für</strong> Menschen mit Hörproblemen) von<br />

einer lebendigen Szene, die durch entsprechende<br />

Öffentlichkeitsarbeit, wie beispielsweise<br />

die Aktion des Netzwerks der Gehörlosen<br />

Stadtverbände e.V. «Wir können alles,<br />

nur nicht hören», oder deafslam.ch als gebärdensprachliche<br />

Variante des poetryslam,<br />

auch in der hörenden Welt zunehmend<br />

wahrgenommen wird.

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