Sinnstiftung und Bedeutungsverschiebung - Universität Hamburg
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22 / 23 kiss<br />
Cathérine Lehnerer / Jeanne Faust<br />
Stück gedreht werden müssen, noch dass sie in der Reihenfolge gedreht<br />
werden müssen, die später im Film zu sehen sein wird.<br />
Die zweite Gr<strong>und</strong>einheit behandelt das filmische Mittel Licht. Die Schüler<br />
erhalten ein Arbeitsblatt zu verschiedenen Beleuchtungssituationen, das<br />
ihnen bei den folgenden Aufgaben helfen soll. [M2] Eine Versuchsperson<br />
setzt sich auf einen Stuhl, der von drei Leuchten umgeben ist. Zuerst wird<br />
die Standardbeleuchtung vorgeführt <strong>und</strong> mit der Kamera gefilmt. Die<br />
Kamera ist mit dem Projektor verb<strong>und</strong>en, so dass das Bild in Echtzeit<br />
übertragen wird. Dann versuchen die Schüler, verschiedene Stimmungen<br />
zu erzeugen <strong>und</strong> den filmischen Charakter der Versuchsperson anhand<br />
der Lichtsituation zu verändern. Sie erlernen die Setzung von Führungslicht,<br />
Aufhelllicht <strong>und</strong> Kante.<br />
Wir sehen uns Fotobeispiele an, die mit Standardbeleuchtung, High-Key<br />
<strong>und</strong> Low-Key-Beleuchtungen inszeniert wurden. Die Schüler erkennen<br />
dadurch, inwiefern Licht die Gr<strong>und</strong>stimmung beeinflusst, wichtige Dinge<br />
hervorhebt <strong>und</strong> die Eindrücke des Zuschauers bezüglich der Charaktere<br />
manipuliert. Anschließend wird mit verschiedenfarbigen Folien die Wirkung<br />
von unterschiedlichen Farben ausprobiert. Als Beispiel für die Verwendung<br />
von Farben wird das Musikvideo zu Lola rennt gezeigt. [V6] Wir diskutieren,<br />
was die rote Farbgebung über die Beziehung der beiden Darsteller zueinander<br />
aussagen könnte.<br />
Die dritte Gr<strong>und</strong>einheit Ton wird durch einen Ausschnitt aus dem Film<br />
Die fabelhafte Welt der Amelié (Jean-Pierre Jeunet) [V7] eingeführt. Die<br />
Szene wird zuerst ohne <strong>und</strong> dann mit Ton gezeigt, um die Bedeutung<br />
von Filmmusik <strong>und</strong> Filmgeräuschen zu verdeutlichen.<br />
Im Anschluss daran hören die Schüler die Aufzeichnung<br />
der Radiosendung CinemaInConcert aus der<br />
Reihe Nahaufnahme (Bayern 2). 6 [M3] Die Sendung<br />
über das Filmmusikfestival in München besteht aus<br />
einem allgemeinen Vortrag über Filmmusik <strong>und</strong> deren<br />
Bedeutung im Film, vier Interviews mit Regisseuren<br />
<strong>und</strong> einem Beitrag eines Filmmusikproduzenten.<br />
Viele Schüler der Klasse spielen ein Instrument,<br />
einige von ihnen sind sehr talentierte Musiker, Sänger<br />
<strong>und</strong> Tänzer, die gerade für ein Musical proben.<br />
Diese Talente sollen in die Filme einfließen, weshalb<br />
ich sie ermutige, ihre besonderen Fähigkeiten in<br />
die Drehbuchplanung einzubeziehen.<br />
In einem weiteren Schritt werden zwei Filmausschnitte<br />
aus den Filmen Stranger than Paradise <strong>und</strong><br />
Permanent Vacation von Jim Jarmusch gezeigt.<br />
[V8, V9] Die Musik hält in beiden Ausschnitten die<br />
Szene zusammen, in der jeweils eine Beziehung<br />
zwischen einem Mann <strong>und</strong> einer Frau dargestellt<br />
wird. Beide Szenen beginnen damit, dass ein<br />
Protagonist Musik einschaltet, tanzt <strong>und</strong> am Ende<br />
wieder ausschaltet. Beide Ausschnitte sind mit einer<br />
statischen Kamera in einer Halbtotale gefilmt. Hier<br />
wird auf die Arbeiten von Jeanne Faust hingewiesen,<br />
deren Filme ebenfalls mit dieser Einstellung gedreht<br />
wurden.<br />
Anwendung des Gelernten<br />
Ein eigener Film<br />
In der letzten Phase des Projektes drehen die Schüler einen eigenen Film.<br />
Sie überlegen sich, worum es in dem Film gehen soll, welche Wirkungen<br />
sie erzielen möchten <strong>und</strong> auf welche Weise sie ihre Ideen umsetzen werden.<br />
Eine Gruppe dreht ihren Film am letzten Schultag. Sie baut ein Auto aus<br />
Pappkartons <strong>und</strong> entleiht die nötigen Requisiten aus dem schuleigenen<br />
Theaterf<strong>und</strong>us. Die anstehenden Aufgaben werden nach Interessen<br />
verteilt. Ein Schüler <strong>und</strong> eine Schülerin möchten gerne die Kameraarbeit<br />
übernehmen. Ich lasse ihnen dabei freie Hand <strong>und</strong> stehe lediglich beratend<br />
zur Seite. Sie bestimmen Kameraeinstellungen <strong>und</strong> den Einsatz von<br />
Kamerafahrten selbst, wobei auch die Ideen der anderen Gruppenmitglieder<br />
mit einbezogen werden. Den Einsatz von Licht <strong>und</strong> Ton besprechen<br />
wir ebenfalls in der Gruppe. Die Schüler erkennen, wie mühsam <strong>und</strong><br />
zeitaufwändig bereits die Produktion eines Kurzfilms ist. Durch die arbeitsteiligen<br />
Aufgaben sind sie darauf angewiesen, sich untereinander zu<br />
verständigen, gemeinsame Lösungen zu finden <strong>und</strong> Kompromisse einzugehen.<br />
Zudem lernen sie, sich selbst <strong>und</strong> den anderen in ihrer spezifischen<br />
Tätigkeit zu vertrauen.<br />
Mit der zweiten Gruppe treffe ich mich in den Schulferien. Wir diskutieren<br />
<strong>und</strong> planen den Film über das Online-Portal SchülerVZ. Der zweite<br />
Kurzfilm sollte in einem Café spielen. Glücklicherweise erklärten sich die<br />
Betreiber eines Schwabacher Cafés bereit, uns dieses tagsüber zu überlassen.<br />
7 Bei diesem Dreh war wieder Kameramann Philip Matousek dabei,<br />
so dass wir uns auf den Inhalt konzentrieren konnten. Die Schüler stellten –<br />
ähnlich wie in Balmohrea – eine Handlung aus verschiedenen Kameraperspektiven<br />
dar. Der erste Teil zeigt eine typische Café-Situation: Ein junges<br />
Mädchen sitzt an einem Tisch <strong>und</strong> trinkt Kaffee. [B6] Weitere Gäste<br />
kommen hinzu <strong>und</strong> der Kellner bedient sie. Der zweite Teil zeigt die gleiche<br />
Situation aus dem Nebenzimmer über einen Spiegel beobachtet. Der<br />
dritte Teil zeigt den Kellner, der mit einem Mädchen<br />
ein Musikstück [B7] probt, <strong>und</strong> einen Jungen,<br />
der die Situation durch einen Spiegel hindurch beobachtet.<br />
Hier kommen zu den Kameraperspektiven<br />
noch die Betrachterperspektiven hinzu, die wir auch<br />
im Unterricht besprochen hatten. Die Verwendung<br />
der statischen Kamera in Kombination mit einer<br />
Halbtotalen ist ebenfalls von Jeanne Fausts Filmen<br />
inspiriert. Die Gestaltung des Sets <strong>und</strong> die Kameraästhetik<br />
sind an dem Film Coffee and Cigarettes<br />
[V10] von Jim Jarmusch orientiert. Die Schüler<br />
sprechen damit das filmische Vorwissen des Zuschauers<br />
an.<br />
Für die Umsetzung traf ich mich mit jeweils einer<br />
Gruppe für einen ganzen Tag. Die Dreharbeiten<br />
dauerten bis zu acht St<strong>und</strong>en. Im alltäglichen Schulbetrieb<br />
ist es meist nicht möglich, einen solchen<br />
Aufwand für einen Film zu betreiben. Ein solches<br />
filmpraktisches Vorhaben lässt sich zum Beispiel<br />
in eine Projektwoche integrieren oder man schließt<br />
den Filmdreh etappenweise an die Gr<strong>und</strong>einheiten<br />
an, um die erlangten Erkenntnisse sofort nach dem<br />
Vorführen der jeweiligen filmtechnischen Gr<strong>und</strong>lagen<br />
zu erproben. Die selbsttätige Filmproduktion war<br />
meines Erachtens sehr wichtig für die Schüler, weil<br />
sich im aktiven Umgang mit den Wirkungen des<br />
Films das Gelernte festigen konnte. Zudem stärkt das<br />
selbstständige Herstellen eines Films das Vertrauen<br />
in die eigene Handlungskompetenz.<br />
Wichtig war die praktische Auseinandersetzung mit<br />
den filmtechnischen Mitteln. In diesem künstlerischen<br />
Prozess konnten die Schüler die für sie neue<br />
Form der Videokunst reflektieren <strong>und</strong> eigene Erfahrungen<br />
mit dieser Kunstform machen. Die Schüler<br />
haben einen ersten Schritt zu einer umfassenderen<br />
Wahrnehmung von Filmwirkungen <strong>und</strong> Wirklichkeitskonstruktionen<br />
gemacht. Im besten Fall wird das<br />
Hinterfragen der eigenen Sehgewohnheiten zum<br />
festen Bestandteil ihres zukünftigen Umgangs mit<br />
dem Medium Film.<br />
6 Sendung vom 02.07.2009, s. unter: www.ardmediathek.<br />
de/ard/servlet/content/2654470.<br />
7 Ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal herzlich<br />
beim gastfre<strong>und</strong>lichen Metro-Team bedanken.