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Sommertanzwoche Bregenz - Deutscher Berufsverband für ...

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BALLETT INTERN<br />

Herausgeber: <strong>Deutscher</strong> <strong>Berufsverband</strong> <strong>für</strong> Tanzpädagogik e. V. – Heft 67/28. Jahrgang – Nr. 1/Feb. 2005<br />

<strong>Sommertanzwoche</strong> <strong>Bregenz</strong><br />

Impressionen 2004<br />

Monaco Dance Forum • The aDvANCE Project • Internationaler Tanzaustausch Ruhr •<br />

10. Internationale <strong>Sommertanzwoche</strong> <strong>Bregenz</strong> 2005 • Tanzstiftung Birgit Keil • Duisburger<br />

Musikpreis <strong>für</strong> Hans van Manen • Zum Tode von Uwe Scholz • Tanz und Medizin •


Liebe Leser<br />

der (zugegebenermaßen oft zitierte) Satz Gustav Mahlers<br />

passt einfach: Tradition ist die Weitergabe des Feuers,<br />

nicht die Anbetung der Asche. Der Spagat zwischen<br />

dem Vermitteln tradierter Werte auf der einen und dem<br />

Erfinden ständig neuer Bewegungsideen auf der anderen<br />

Seite ist tanzpädagogischer Alltag. Auch in größeren<br />

Zusammenhängen will diese Balance gefunden werden,<br />

an der Lola Rogge Schule beispielsweise, wenn<br />

es darum geht, welches andere Fach oder welche Art<br />

der (zusätzlichen) Qualifikation heutzutage notwendig<br />

geworden ist. Christiane Meyer-Rogge-Turner, Schulleiterin<br />

und Tochter Lola Rogges, beginnt in diesem Jahr ein<br />

neues Fortbildungsprojekt: T-an-S, Tanz an Schulen, über<br />

das wir noch berichten werden.<br />

Auch der diesjährige Deutsche Tanzpreis signalisiert<br />

einen neuen Abschnitt: Die etablierte Auszeichnung<br />

bleibt, aber Nachwuchstalente werden erstmalig durch<br />

den dotierten Tanzpreis Zukunft ermutigt. Wir sehen uns<br />

in Essen.<br />

Dagmar Fischer<br />

BALLETT INTERN<br />

ist die Mitgliederzeitschrift des Deutschen <strong>Berufsverband</strong>es <strong>für</strong> Tanzpädagogik e. V. (DBfT) und<br />

liegt der Zeitschrift »tanzjournal« fünf Mal als Supplement bei. Beide Zeitschriften gehen den<br />

Mitgliedern des Verbandes kostenlos zu. Nichtmitglieder können BALLETT INTERN abonnieren:<br />

Deutschland € 5,00, europäisches Ausland € 7,00 je Ausgabe.<br />

Herausgeber:<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Berufsverband</strong><br />

<strong>für</strong> Tanzpädagogik e. V.,<br />

Hollestraße 1, D-45127 Essen<br />

Tel.: 0201 – 22 88 83<br />

Fax: 0201 – 22 64 44<br />

www.DBfT.de<br />

www.ballett-intern.de<br />

Bankverbindung:<br />

DBfT, Nationalbank Essen,<br />

Konto 111627, BLZ 360 200 30<br />

Titelbild: Das Titelbild zeigt Impressionen<br />

von der tänzerischen Arbeit bei der<br />

9. Internationalen <strong>Sommertanzwoche</strong><br />

<strong>Bregenz</strong> 2004.<br />

(Fotos: Jürgen Schultz, Freital)<br />

BALLETT INTERN<br />

Heft 1/2005<br />

Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1<br />

Zum Tode von Uwe Scholz<br />

Trauerrede von Klaus Geitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2<br />

Monaco Dance Forum<br />

von Edith M . Wolf Perez . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />

The aDvANCE Project, Declaration of Monaco . . . . . . . . . . . . 6<br />

3. Internationaler Tanzaustausch Ruhr<br />

PACT Zollverein/Choreographisches Zentrum NRW<br />

von Irmela Kästner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />

2005 – Ein Jubiläum in <strong>Bregenz</strong><br />

10. Internationale <strong>Sommertanzwoche</strong><br />

von Egbert Strolka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />

»Die große Dürre« – Ess-Störungen im Tanz, Teil 2:<br />

Verschiedene Arten von Ess-Störungen<br />

von Eileen M . Wanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />

Sorgen Sie vor: Die Künstlersozialabgabe<br />

von Andri Jürgensen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12<br />

Die Gala 2004 der Birgit-Keil-Stiftung<br />

Im Netzwerk zwischen Karlsruhe, Mannheim und Ludwigsburg<br />

von Horst Koegler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />

Wo das Medium Tanz die Botschaft ist<br />

Zur Verleihung des Duisburger Musikpreises 2004<br />

an den Choreographen Hans van Manen<br />

von Horst Koegler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15<br />

Tanzend ins nächste Jahrtausend<br />

Christiane Meyer-Rogge-Turner wird 60<br />

von Dagmar Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17<br />

Ein junger 80-Jähriger<br />

Bob Curtis – tanzender, malender Cosmopolit<br />

von Dagmar Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />

»Daphne-Preis« an Polina Semionowa<br />

von Jenny J . Veldhuis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19<br />

Seminar: Hawaiianischer Tanz<br />

von Dagmar Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />

Bücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />

Redaktion dieser Ausgabe:<br />

Ulrich Roehm (verantwortlich), Dagmar Fischer (defischerhh@t-online.de)<br />

Autoren dieser Ausgabe: Dagmar Fischer (Hamburg), Klaus Geitel (Berlin), Andri Jürgensen (Kiel),<br />

Irmela Kästner (Hamburg), Horst Koegler (Stuttgart), Ulrich Roehm (Essen), Egbert Strolka (Frankfurt),<br />

Jenny J. Veldhuis (Amsterdam), Eileen Wanke (Bremen/Berlin), Edith M. Wolf Perez (Wien)<br />

Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des<br />

Herausgebers wider . Der Nachdruck, auch auszugsweise, ist ohne ausdrückliche Genehmigung<br />

der Redaktion nicht gestattet . Für unverlangt eingesandte Manuskripte und <strong>für</strong> Terminangaben<br />

wird keine Gewähr übernommen . Die Redaktion behält sich das Recht vor, Leserbriefe zu kürzen .<br />

Manuskripte gehen in das Eigentum der Redaktion über .<br />

Druck: Ulenspiegel GmbH, Besengaßl 4, D-82346 Andechs<br />

Satz und Gestaltung: Klartext Medienwerkstatt GmbH, 45329 Essen,<br />

Heßlerstr. 37 – www.klartext-medienwerkstatt.de<br />

+49(0)201 – 86206-60 (Frank Münschke)<br />

Anzeigen und Beilagen: Gültige Preisliste: 1/02<br />

Nächste Ausgabe:<br />

Heft 2/2005 erscheint Anfang April 2005<br />

Redaktionsschluss: 9. März 2005<br />

Anzeigenschluss: 16. März 2005<br />

Annahmeschluss Beilagen: 23. März 2005<br />

Ballett Intern 1/2005 1


Zum Tode vom Uwe Scholz<br />

Trauerrede von Klaus Geitel<br />

»Wen die Götter lieben«, hat eine Zeitung ihren Nachruf auf<br />

Uwe Scholz überschrieben. »Wen die Götter lieben, der stirbt<br />

jung«. Ach, das Sprichwort lügt.<br />

Gewiss – Uwe Scholz ist tragischerweise jung gestorben. Die<br />

Götter jedoch, aber auch jene, die sich irrigerweise <strong>für</strong> Götter<br />

halten und hielten, haben ihn nicht geliebt. Im Gegenteil. Sie<br />

haben ihn nur zu oft gedemütigt, angezweifelt, gelähmt, fallen<br />

lassen, sein grandioses Talent verkannt.<br />

Im Nachhinein nimmt sich sogar seine erschreckende Solo-<br />

Version von Strawinskys »Sacre du printemps« wie ein beklemmender<br />

Ausschnitt aus einer choreografierten Autobiografie aus.<br />

Manchmal führt der Weg großer Künstler eben nicht in die lorbeerumkränzte<br />

Einsamkeit, sondern in nichts als tief in die Ausweglosigkeit.<br />

Diesen Weg hat das Schicksal<br />

Uwe Scholz offenbar vorgezeichnet<br />

und ihn unrettbar entlang gestoßen.<br />

Wie weit er sich selbst und vor allem,<br />

warum er sich partiell selbst zu Grunde<br />

gerichtet hat, darüber schweigt<br />

des Sängers Traurigkeit. Uwe hat die<br />

Wahrheit wohl ins Grab mitgenommen.<br />

Die Zeit der wechselseitigen Anklagen<br />

ist vorbei, jetzt regiert nur noch<br />

Klage.<br />

Ich kenne Uwe Scholz von seinen<br />

Anfängen als hoffnungsvoller Choreograf<br />

in Stuttgart, wo ihm die spürsinnige<br />

Marcia Haydée auf vielfache<br />

Anregung durch Fritz Höver und mit<br />

liebevoller Unterstützung von allen Seiten<br />

die Chance gab, sich als Choreograf<br />

zu erproben. Sofort wurde deutlich,<br />

welch ganz besonderes Talent<br />

Uwe Scholz offenkundig eingeboren<br />

war. Man wies von Anfang mit dem<br />

Zeigefinger nachdrücklich auf ihn.<br />

Vielleicht sogar zu sehr und zu eilig.<br />

Vielleicht legte man zu früh den<br />

Schnellgang ein, oder Uwe Scholz<br />

rang ihn sich selber ab, die steigenden<br />

Ansprüche, auch die an sich selbst, zu erfüllen. Ich erinnere mich<br />

mit Trauer, wie er damals bei mir zu Haus auf dem Teppich saß<br />

und meinem Fernseher die Videoaufzeichnungen seiner Ballette<br />

einfütterte, um sie meinem Freund Rudolf Nurejew zu zeigen.<br />

Nurejew leitete damals das Ballett der Opéra de Paris.<br />

Rudolf nahm sich Zeit. Er sah sich alles gründlich und aufmerksam<br />

an. Dann aber tat er den Ausspruch, der Uwes künstlerisches<br />

Leben möglicherweise von Grund auf umkrempelte. Er<br />

sagte freundlich und durchaus anerkennend: »Die Posen sehe ich<br />

schon. Aber wo sind die Schritte?«<br />

Ein kluger Satz! Er wies Scholz geradezu auf die künftigen,<br />

großen sinfonischen Ballette hin, mit denen Scholz aus schöp-<br />

(Foto: Archiv)<br />

ferisch durchaus eigener Kraft künstlerisch Furore zu machen<br />

verstand. Er begann einzig mir Schritten, weit ausgesponnene<br />

Poeme zu dichten. Stärker und immer stärker gingen die Schritte<br />

seiner Choreografien seinen Vorlagen auf den kostbaren musikalischen<br />

Leim. Sie hafteten. Sie bildeten einen Zusammenhalt,<br />

den man auch Zusammenklang hätte nennen können. In ihren<br />

feinsten Momenten könnte man im jungen Uwe Scholz einen<br />

echtblütigen deutschen Erben des großen George Balanchine<br />

sehen.<br />

Scholz konnte, als einer der Wenigen, <strong>für</strong> große Ensembles<br />

choreografieren. Er wusste um die Schönheit des klassischen<br />

Tanzes. Er vertraute ihr und stellte sie leuchtend aus. Und einleuchtend<br />

noch dazu. Man hätte sie mit Augen, Herz und Hirn<br />

nachrechnen können.<br />

Nun ist es ja eine spezielle Kunst, nicht nur tänzerisches Gewühl<br />

hervor zu bringen, sondern choreografische Linien zu ziehen.<br />

Ich erinnere mich, dass mir vor vielen, vielen Jahren Maurice<br />

Béjart einmal gestand, er habe gegen seine choreografische<br />

Kurzatmigkeit ausdauernd ankämpfen müssen. Nach ein paar<br />

Schritten wäre es immer schon mit seiner baumeisterlichen Imagination<br />

am Ende gewesen.<br />

Er habe daraufhin begonnen, tagtäglich Ballettunterricht zu<br />

geben und dabei seine Erfindungskraft,<br />

die Straffheit und Endlosigkeit der Linienführung<br />

zu erproben und zu trainieren.<br />

Etwas Ähnliches dürfte wohl auch<br />

Uwe Scholz gelungen sein. In seinen<br />

größten Momenten schien er mit seinen<br />

Schritten in der Endlosigkeit großer<br />

handlungsloser Romane zu blättern,<br />

in Dichtungen <strong>für</strong> bewegte Körper auf<br />

schier unermüdlichen Füssen. Er wurde<br />

der Uwe Scholz, den wir heute betrauern.<br />

Er blieb ein zarter, empfindsamer<br />

Mensch, nicht geschaffen, ins Räderwerk<br />

organisatorischer Auseinandersetzungen<br />

zu geraten und sie auch noch<br />

mit heiler Haut zu bestehen. Er war wie<br />

eine Kerze, die sich an beiden Enden<br />

gleichzeitig wie von selber entzündet<br />

und unaufhaltsam, aber spektakulär<br />

niederbrennt. So war Uwes Leben.<br />

Dennoch – mit dem Schein dieser Kerze,<br />

gegossen aus seiner eigenen Existenz,<br />

überstrahlte er die Ballettwelt mit<br />

einem im wahrsten Sinne des Wortes<br />

unverwechselbar eigenen Licht.<br />

Udo Zimmermann sah es leuchten.<br />

Er half Uwe Scholz, er zwang ihn nach den demütigenden Züricher<br />

Katastrophen, durch sein energisches Vertrauen hier in<br />

Leipzig endlich auf den richtigen Weg. Aber dann zog es Zimmermann<br />

nach Berlin. Scholz weigerte sich, seine wundervolle<br />

Compagnie zu verlassen. Die Arbeit an der Schule aufzugeben.<br />

Er litt. Er trank. Er ruinierte seine sowieso zarte Gesundheit. Er<br />

war nicht mit seinem choreografischen, wie manche heucheln, er<br />

war mit seinem Lebens-Latein am Ende. Er sank ins Grab.<br />

An dem stehen wir nun wie verwaist. Wir denken an ihn voller<br />

Herzlichkeit. Wir applaudieren ihm nicht länger, wie wir es oft<br />

und oft voller Dankbarkeit und Bewunderung taten. Wir winken<br />

ihm nach voller Schmerz. Schlaf dich aus, Uwe. Mach’s gut! n<br />

2 Ballett Intern 1/2005


(Fotos: Lois Greenfeld)<br />

Monaco<br />

Dance Forum<br />

Von Edith M. Wolf Perez<br />

Zum dritten Mal versammelte sich<br />

die internationale Tanzwelt vom<br />

14. bis 18. Dezember beim Monaco<br />

Dance Forum. Anziehungspunkte<br />

waren dabei sowohl die<br />

First Job Auditions, die Tanz- und<br />

Technologie-Workshops und Installationen,<br />

die Showcases und Aufführungen, Konferenzen sowie<br />

die Gala zur Verleihung der Nijinsky Awards, eine begehrte<br />

Auszeichnung in der Tanzwelt.<br />

In den weitläufigen Räumlichkeiten des Grimaldi-Forums versucht<br />

das Monaco Dance Forum seit seiner ersten Ausgabe im<br />

Jahr 2000 den Spagat zwischen traditionellen und avantgardistischen<br />

Formen des Tanzes, zwischen der Ästhetik der Bühnenkunst<br />

und der Computertechnologie. Durch ein derart breit angelegtes<br />

Spektrum bleibt der Gesamteindruck zwangsläufig verwässert,<br />

was keineswegs bedeutet, dass sich in den spezifischen Veranstaltungen<br />

nicht substanzielle Wissensgründe auftaten.<br />

The aDvANCE Project<br />

Einen prominenten Platz im Programm des Monaco Dance Forum<br />

nahm die Konferenz unter dem Titel »aDvANCE Project« ein, die<br />

von der Organization for the Transition of Professional Dancers<br />

(IOTPD) veranstaltet wurde. Über 100 Teilnehmer diskutierten<br />

drei Tage lang über Möglichkeiten, den Karrierewechsel <strong>für</strong> Bühnentänzer<br />

zu erleichtern – ein immanentes Problem des kurzen<br />

Tänzerberufs. Seit 1993 setzt sich die IOTPD auf internationaler<br />

Ebene mit dieser Problematik auseinander und propagiert die erfolgreiche<br />

Arbeit der vier Serviceorganisationen <strong>für</strong> die Umschulung<br />

von Tänzern in den Niederlanden, Großbritannien, Kanada<br />

und in den USA.<br />

Im Mittelpunkt des Treffens in Monaco stand die Forschungsarbeit<br />

von William Baumol, Joan Jeffri und David Throsby: »Making<br />

Changes: Facilitating The Transition Of Dancers To Post-Performing<br />

Careers« (Veränderungen machen: Den Übergang von<br />

Tänzern nach der Bühnenkarriere erleichtern – 2004). Erstmals<br />

gibt es damit eine statistische Grundlage über die sozio-ökonomischen<br />

Charakteristika von Tanz in elf Ländern (Australien, Kanada,<br />

England, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Japan, Mexiko,<br />

Niederlande, Schweiz und USA).<br />

Statistische Daten sind <strong>für</strong> die Durchsetzbarkeit von sozialen<br />

Einrichtungen <strong>für</strong> Tänzer unabdingbar. Diese Methodologie bie-<br />

tet nun ein Modell <strong>für</strong> die Datensammlung in anderen Ländern,<br />

die im Rahmen der Studie nicht erfasst wurden.<br />

Die Erhebungen der nationalen »Tanzindustrien« umfasst Daten<br />

zu Ausbildung, Förderungen der öffentlichen Hand und von<br />

privaten Quellen, zur Anzahl von beschäftigten und arbeitslosen<br />

Tänzern, von Tanzcompagnien und Institutionen, die mit Tanz zu<br />

tun haben, zu Größe und Charakteristik des Publikums sowie zu<br />

institutionellen Strukturen und Methoden <strong>für</strong> die Unterstützung von<br />

Tänzern (Sozialhilfe, Pension etc.)<br />

Bei den Tanzformen war das Untersuchungsspektrum breit<br />

angelegt, von klassischem Tanz (Ballett), über Modernen/Zeitgenössischen<br />

Tanz, Volkstanz, Musical und kommerziellen Tanz<br />

bis hin zur Kategorie »andere«, in die etwa Tanz <strong>für</strong> Film und<br />

Fernsehen, Modeschauen etc. fallen. Bei der Definition »professionell«,<br />

die in jedem Land unterschiedlich gefüllt wird und bei<br />

Künstlern nicht unbedingt an den Verdienst durch diesen Beruf<br />

gekoppelt ist, haben die Autoren eine pragmatische Lösung<br />

gefunden und eine Mischung aus Faktoren herangezogen wie<br />

Ausbildung, Ernsthaftigkeit bei der Ausübung der künstlerischen<br />

Karriere, Standard, Einkommen und Zeitaufwand <strong>für</strong> die künstlerische<br />

Arbeit.<br />

Zur Frage des Karrierewechsels gab es in den USA, in der<br />

Schweiz und in Australien darüber hinaus extensive Erhebungen,<br />

die teils widersprüchliche Ergebnisse brachten:<br />

– Tänzer haben im Schnitt eine höhere Schulbildung als der<br />

Bevölkerungsdurchschnitt.<br />

– Die Erwartungshaltung von aktiven Tänzern über die Länge ihrer<br />

Bühnenkarriere stimmt nicht mit der Realität überein. Aktive<br />

Tänzer gaben an, dass sie tanzen wollen bis sie 40 Jahre und<br />

älter sind, ehemalige Tänzer gaben aber bereits im Alter von<br />

Anfang bis Mitte 30 auf.<br />

– 93 bis 98 Prozent der Tänzer in den drei Ländern gaben<br />

an, sich der Probleme beim Karrierewechsel bewusst zu sein,<br />

aber viele ehemalige Tänzer fühlten sich darauf schlecht vorbereitet.<br />

– Die Mehrheit der aktiven Tänzer will weiterhin im Tanzbereich<br />

tätig sein. Tatsächlich unterrichten viele der ehemaligen Tänzer,<br />

aber nur vier Prozent von ihnen sind zufrieden im pädagogischen<br />

Bereich.<br />

– Von den ehemaligen Tänzern, die sich an die Umschulungszentren<br />

<strong>für</strong> Tänzer gewandt haben, bleiben nur 10 bis 15 Prozent<br />

im Tanzbereich. Die überwältigende Mehrheit wechselt<br />

also in andere Berufsbereiche.<br />

– Obwohl spezifische Umschulungsprogramme von Tänzern begrüßt<br />

werden (in allen drei Ländern gibt es eigene Programme<br />

und Institutionen), hat die Mehrheit der ehemaligen Tänzer<br />

den Umstieg auf eine andere Karriere geschafft, ohne diese<br />

Institutionen in Anspruch zu nehmen.<br />

Ballett Intern 1/2005 3


In den letzten zehn Jahren hat sich die Einstellung in Ballettcompagnien<br />

geändert, die nun vielfach Möglichkeiten bereit stellen,<br />

um Tänzer bereits während ihrer Bühnenkarriere umschulen zu<br />

können. In der Studie sind alle Institutionen aufgelistet, die aktive<br />

Unterstützung beim Karrierewechsel bieten, darunter Compagnien<br />

wie das Alvin Ailey American Dance Theater, das American<br />

Ballet Theatre, das Royal Ballet London. Die Autoren haben die<br />

Hilfsmaßnahmen beim Karrierewechsel von Tänzern evaluiert<br />

und eine Reihe von Empfehlungen <strong>für</strong> Umsetzung, Finanzierung,<br />

Ausbildung und Beratung formuliert.<br />

Daran anschließend entwarf Mindy N. Levine einen Aktionsplan<br />

<strong>für</strong> den reibungsloseren Berufswechsel von Tänzern in sechs<br />

Schritten <strong>für</strong> Ausbildungsstätten, Compagnien und Gewerkschaften,<br />

<strong>für</strong> spezielle Umschulungszentren, <strong>für</strong> Förderer, staatliche<br />

und politische Einrichtungen. (»Beyond Performance. Building A<br />

Better Future For Dancers And The Art Of Dance – Über die Performance<br />

hinaus. Eine bessere Zukunft <strong>für</strong> Tänzer und die Kunst<br />

des Tanzes bauen«).<br />

Levine sprach vom »Roten Schuhe-Syndrom«: »Wir leben glücklicherweise<br />

nicht in der Welt von ›Die Roten Schuhe‹, aber wir<br />

leben auch nicht NICHT in der Welt von ›Die Roten Schuhe‹«,<br />

sagte sie. Zwar sprechen immer mehr Compagnien das Problem<br />

des Karrierewechsels schon während der aktiven Tänzerlaufbahn<br />

an, doch nun müssten sich auch die Ausbildungsstätten der Problematik<br />

stellen und ihre Einstellung zum Tänzerberuf adaptieren.<br />

Eine weitere vordringliche Aufgabe bestehe darin, die Sozialprogramme,<br />

die in den einzelnen Ländern vorhanden sind, an die<br />

Bedürfnisse der Tänzer anzupassen, sagte Levine.<br />

Die beiden Publikationen (erhältlich über www.iotpd.org) gaben<br />

reichlich Stoff <strong>für</strong> Diskussionen. Dabei bestätigte sich, dass<br />

die Voraussetzungen in den einzelnen Ländern so unterschiedlich<br />

sind, dass das Problem des Karrierewechsels in jedem Land unterschiedlich<br />

angegangen werden muss.<br />

So hat Jean Christophe Maillot, Leiter der Les Ballets de Monte<br />

Carlo, eine eigene informelle Regelung gefunden: Tänzer, die<br />

aufhören wollen, werden nicht mehr <strong>für</strong> neue Rollen eingeteilt.<br />

Während der Probenzeit <strong>für</strong> neue Stücke haben sie so Zeit, sich<br />

in anderen Berufsfeldern umzusehen. Bisher konnten 17 Tänzer<br />

erfolgreich umschulen.<br />

Immer wieder wurde betont, dass Tänzer <strong>für</strong> den heutigen Arbeitsmarkt<br />

bestens gerüstet seien und der Kompetenztransfer von<br />

Disziplin, Kreativität, Flexibilität und Ausdauer in anderen Berufen<br />

sehr nützlich sei. Dennoch ist eine akademische Qualifikation<br />

während der Tanzausbildung eine wichtige Voraussetzung <strong>für</strong><br />

die weitere berufliche Laufbahn. Wie sich in Fallstudien immer<br />

wieder zeigt, ist sie aber auch essenziell <strong>für</strong> den künstlerischen<br />

Prozess. Obwohl zeitgenössische Tänzer tendenziell besser ausgebildet<br />

sind als ihre Kollegen vom klassischen Ballett, erschwert<br />

ihr Status als »Freie« eine formale Umschulungshilfe.<br />

Viele Themen wurden in den dreitägigen Diskussionen angerissen,<br />

und es ist dem Pragmatismus des Gründers der IOTPD,<br />

Philippe Braunschweig zu verdanken, dass die dreitägige Konferenz<br />

mit einem konkreten Ergebnis, einer Resolution, abschloss<br />

(siehe Seite 6).<br />

Apropos: Im Januar ist zu diesem Thema ein Buch erschienen,<br />

das belegt, wie vielseitig die berufliche Neuorientierung von professionellen<br />

Tänzern ist: Maja Langsdorff, »Ballett – und dann?<br />

Lebensbilder von Tänzern, die nicht mehr tanzen« mit Fallstudien<br />

zu 26 Einzelschicksalen von ehemaligen Tänzern in Deutschland<br />

und in der Schweiz.<br />

First Job Audition<br />

An zwei Tagen fanden die First Job Auditions statt, bei denen<br />

über 120 Tänzer nach einer Vorauswahl zugelassen wurden.<br />

Direktoren verschiedener Compagnien evaluierten die Eleven,<br />

20 von ihnen erhielten ein Stipendium, um eine Compagnie zu<br />

besuchen. Bemerkenswert: Zehn davon kamen von Ausbildungsstätten<br />

aus Spanien, aus dem Real Conservatorio Profesional de<br />

Danza Madrid und vom Maria d’Avila Studio aus Zaragosa.<br />

Unter den Teilnehmern herrschte jedoch teilweise Enttäuschung<br />

vor. Zu wenige Direktoren großer Compagnien waren<br />

vor Ort, das Hauptgewicht wurde auf zeitgenössischen Tanz gelegt,<br />

monierten sie. Doch die angehenden Ballett-Tänzer haben<br />

weit größere Ambitionen.<br />

Etwa Avetik Karapetyan, ein Schüler der Heinz-Bosl Ballett<br />

Akademie München. Er hat nach der Audition in Monaco eine<br />

Einladung zum Royal Swedish Ballet in der Tasche. Sein Traum<br />

ist es jedoch, in München oder Berlin zu tanzen. Die Direktoren<br />

der großen Ballettcompagnien seien an langen Auditions nicht<br />

interessiert, meint die Direktorin der Heinz-Bosl Ballett Akademie<br />

Konstanze Vernon. Außerdem haben sie es nicht nötig, extra<br />

nach Monaco zu kommen: Wenn sie einen Vortanztermin ausschreiben,<br />

kommen ohnehin alle angereist.<br />

Die »Mutter Oberin« Konstanze Vernon mit ihren Schützlingen in Monaco: (v.l.)<br />

Andrea Bena, Keigo Fakuda, Konstanze Vernon, Sayo Yoshida, Marta Pellizzari,<br />

Hayley Macri, Michele Seydoux, Avetik Karapetyan (Foto: Ulrich Ro-<br />

Dass in diesem Jahr nicht so viele Direktoren kamen, wie man<br />

erhofft hatte, geben auch Karl Burnett und Christine Anthony zu,<br />

die die Auswahl der Audition-Teilnehmer getroffen hatten. Es wäre<br />

die falsche Zeit, so kurz vor Weihnachten, da seien die Ballettcompagnien<br />

doch meist mit ihrem Nußknacker beschäftigt.<br />

Zwei Aufführungen vom Feinsten<br />

Die spektakulären Tanzfotos von Lois Greenfield geben Anlass zu<br />

Spekulationen: Sind hier nicht doch Studiotricks oder Fotomontagen<br />

im Spiel? (Photoshop-Bearbeitungen waren auszuschließen,<br />

denn die Bilder von Lois Greenfield sind bereits aus einer Zeit<br />

bekannt, in der die Software noch nicht einmal erfunden war). In<br />

»Held« (Gehalten) mit dem Australian Dance Theatre kann man<br />

der Meisterin der Tanzfotografie nun bei der Arbeit zuschauen.<br />

Sie ist mit ihrer Kamera live auf der Bühne, und Sekunden später<br />

erscheinen die Fotos auf Displays. Nix mit Schwindeln. Diese<br />

Frau trifft (fast) immer den entscheidenden Moment zwischen<br />

Höhenflug und freiem Fall. Im Laufe des Stücks spielt sie auch<br />

mit einem Makro-Objektiv und hält Körperdetails fest, an anderer<br />

4 Ballett Intern 1/2005<br />

ehm)


Stelle entstehen in Mehrfachüberblendungen fotografische Bewegungsabläufe.<br />

Die Choreografie von Garry Stewart und den<br />

Tänzern des Australian Dance Theatre passt perfekt zu Greenfields<br />

Ästhetik. Der Tanz ist akrobatisch, vehement, risikofreudig.<br />

Die Tänzer fliegen durch die Luft, um von der Kamera eingefangen<br />

zu werden. Der Bewegungsstil erinnert an Edouard Locks<br />

Lalala Human Steps der späten 1980er Jahre, und der erweist<br />

sich auch heute noch als unvermindert sexy.<br />

Kastagnetten, Batones, Fächer, ausgezeichneter Flamencotanz<br />

und großartige Musiker – mit dieser Mischung kreiert<br />

María Pagés einen heutigen Flamenco, der sich an den Wurzeln<br />

der Tablaos orientiert. María Pagés begann ihre Karriere<br />

in der Compagnie von Antonio Gades und gründete 1990 ihre<br />

eigene Compagnie, mit der sie weltweit auf Tournee war. 1995<br />

trat sie in der Riverdance Show auf, mit Carlos Saura arbeitete<br />

sie in den Filmen »Carmen«, »El Amor Brujo« und »Flamenco«.<br />

Ihre vielfältige Bühnen- und Filmerfahrungen prägten ihre Ästhetik<br />

nachhaltig. In »Canciones antes de una Guerra« experimentiert<br />

sie mit Elementen aus Modernem und Jazztanz, mit Musik von<br />

Louis Armstrong und John Lennon und mit einer eigenwilligen Bühnenaufteilung<br />

<strong>für</strong> Musiker und Tänzer. »Flamenco Republic« nennt<br />

Pagés ihre Mischung gefühlsbetonter Flamencogesänge über die<br />

Freude, das Leben, die Sehnsucht und die Traurigkeit, die mit<br />

Ironie, Humor, viel Temperament und Eleganz über die Rampe<br />

kommen. In dieser Choreographie greift sie auf die eingangs erwähnten<br />

traditionellen Flamencotechniken zurück, die man heute<br />

nur noch selten auf der Bühne sieht.<br />

Der Nijinsky-Award<br />

Der Abschluss, die Gala am 18. Dezember, präsentierte sich in<br />

Glanz und Glamour: Karl Lagerfeld, Modeschöpfer und Fotograf<br />

– eine Ausstellung seiner Portraits von Tanzpersönlichkeiten gab<br />

es im Foyer des Grimaldi-Forums zu bewundern – eröffnete, die<br />

Schauspielerin Charlotte Rampling führte durch das Programm,<br />

und die Preise wurden unter anderem von Prinz Albert und Prinzessin<br />

Caroline von Hannover überreicht.<br />

Und doch bleibt am Ende des Tages von den à la Hollywood<br />

präsentierten Nijinsky Awards ein fahler Nachgeschmack. Zwei<br />

Empfänger der diesjährigen Nijinsky-Awards waren nicht anwesend<br />

und schickten Vertreter, um den Preis entgegenzunehmen:<br />

Nicolas Le Riche vom Ballett der Pariser Oper (Bester männlicher<br />

Tänzer) und William Forsythe (Beste Choreografie <strong>für</strong> »Decreation«).<br />

Waren Sie wirklich verhindert oder ist (ihnen) diese Auszeichnung<br />

nicht so wichtig? Dankbar nahmen hingegen Alina<br />

Cojocaru vom Royal Ballet (Beste Tänzerin) und Shen Wei, künstlerischer<br />

Leiter der Shen Wei Dance Arts (Bester Nachwuchschoreograf)<br />

ihre Preise entgegen.<br />

Natürlich wurde auch bei diesem Anlass des 100. Geburtstags<br />

von George Balanchine gedacht, in Form eines Videos mit<br />

einem bisher unveröffentlichten Interview. Suzanne Farrell, Muse<br />

und Ehefrau von George Balanchine, hielt eine Gedenkrede, die<br />

sich durch Würde und Emotionalität auszeichnete.<br />

Doch welcher Schelm hat die Veranstalter wohl geritten, als<br />

sie ausgerechnet nach der Balanchine-Ehrung Richard Move en<br />

travestie als Martha Graham auf die Bühne holten? Dieser einzige<br />

Live Act während der Award-Zeremonie war einfach geschmacklos<br />

und verfehlte seinen Witz – den er in Night Clubs<br />

angeblich hat – völlig.<br />

Schließlich beendete ein Ausschnitt aus der neuen Produktion<br />

von Les Ballets de Monte Carlo den Abend. (Die Premie-<br />

Eine der faszinierenden Fotografien von Karl Lagerfeld: Prinzessin Caroline,<br />

Maurice Béjart und Jeanne Moreau. (Foto: Ulrich Roehm)<br />

re fand einige Tage später, am 26. Dezember 2004, statt.)<br />

»In Memoriam« ist Sidi Larbi Cherkaouis erste Arbeit <strong>für</strong> ein<br />

klassisches Ensemble, und er nützt dessen Kunstfertigkeiten mit<br />

großem Respekt und Einfühlungsvermögen. Zur Live-Musik der<br />

korsischen polyphonen Männergesangsgruppe A Filetta schafft<br />

der 28-jährige Choreograph berührende und eindringliche Bilder<br />

über das Erinnern, die thematisch von einem Video im Bühnenhintergrund<br />

unterstützt werden. Ein interessanter Einblick in<br />

diese neue Etappe eines der begabtesten Tanzschöpfer unserer<br />

Tage. Und auch eine Bestätigung <strong>für</strong> den Wert des Nijinsky-<br />

Awards, der im Jahr 2002 an Cherkaoui als Besten Nachwuchschoreographen<br />

ging. Er hat ihm die Türen der Welt des<br />

Balletts weit geöffnet. n<br />

George Balanchine<br />

und<br />

Suzanne Farell<br />

in einem gemeinsamen<br />

Film<br />

(Foto vom Film:<br />

Ulrich Roehm)<br />

Ballett Intern 1/2005 5


The aDvANCE Project<br />

Declaration of Monaco<br />

vom 18. Dezember 2004<br />

»In jeder Kultur und zu jeder Zeit haben die Menschen<br />

getanzt – um zu feiern, zu trauern, zur Unterhaltung, um<br />

aufzuklären, zur Bestätigung von Geist und Körper und<br />

um Momente transzendentaler Schönheit und Verwandlung<br />

zu schaffen . Temporal und flüchtig kommuniziert der<br />

Tanz wesentliche Mitteilungen, die über Sprachen und<br />

kulturelle Grenzen hinweg mitschwingen . Über Worte hinausreichend<br />

verkörpert der Tanz eindringliche Botschaften<br />

über zentrale Dramen des menschlichen Lebens – seien<br />

sie spirituell, intellektuell, ästhetisch oder politisch …«<br />

»Karrierewechsel ist unvermeidlich und daher ein integraler<br />

Aspekt im Leben des Tänzers .«<br />

Aus: Mindy N. Levine, Beyond Performance: Building A<br />

Better Future For Dancers And The Art Of Dance (2004)<br />

In den letzten zehn Jahren hat das Bewusstsein über die vielfältigen<br />

Dimensionen von Karrierewechsel international zugenommen.<br />

Zum Wachstum und zur Entwicklung<br />

der vier formal anerkannten Programme zum<br />

Berufswechsel, die zwischen 1973 und 1986<br />

in Großbritannien, Kanada, in den USA und<br />

in den Niederlanden organisiert wurden, entstanden<br />

in einer Reihe von Ländern Initiativen,<br />

in denen Verbesserungen der Umstände von<br />

Tänzern und Themen zum Karrierewechsel angesprochen<br />

wurden.<br />

Große Herausforderungen bleiben bestehen.<br />

Das aDvANCE Project wurde ins Leben gerufen, um internationale<br />

Forschungsstudien und begleitende Dokumente, die sich<br />

<strong>für</strong> den Karrierewechsel einsetzen, in Auftrag zu geben. Im Zuge<br />

dieses Prozesses kamen folgende Beobachtungen zutage:<br />

»Wir kennen keinen anderen Beruf, der solch extensives<br />

Training verlangt und als kulturellen Beitrag eine solche<br />

Wertschätzung erfährt und so schlecht bezahlt ist …«<br />

»Langfristig erfordert die Vitalität der Tanzausübung selbst<br />

die Aufmerksamkeit des Wohlfahrtsstaates und von denen,<br />

die damit befasst sind …«<br />

»Die Unzulänglichkeit von Unterstützung beim Wechsel<br />

stellt nicht nur eine bedeutende Herausforderung <strong>für</strong> den<br />

individuellen Tänzer dar, sondern führt zu sozialen Kosten<br />

in der Form von verschwendetem Humankapital .«<br />

Aus: William Baumol, Joan Jeffri und David Throsby, Making<br />

Changes: Facilitating The Transition Of Dancers To<br />

Post-Performing Careers (2004).<br />

Teilnehmer aus 15 Ländern sind vom 16. bis 18. Dezember<br />

2004 in Monaco zusammengekommen, um oben erwähnte Dokumente<br />

zu reflektieren und darüber zu diskutieren. Die Teilnehmer<br />

nahmen die Ergebnisse und Empfehlungen dieser Studien an<br />

und haben sich auf folgende Punkte geeinigt:<br />

Assistenz beim Karrierewechsel ist ein Schlüsselindikator <strong>für</strong> die<br />

Wertschätzung der Tanzkunst und von professionellen Tänzern in<br />

bestimmten Gesellschaften.<br />

Tänzer, Tanzschulen und Ausbilder, Tanzcompagnien und deren<br />

Stab, Gewerkschaften, andere Tanzorganisationen, Regierungen<br />

und ihre Institutionen, Finanziers und Förderer, Publikum und die<br />

gesamte Gesellschaft tragen Verantwortung bei den Herausforderungen<br />

des Karrierewechsels.<br />

Der professionelle Tänzer verfügt über hochentwickelte transferierbare<br />

Fähigkeiten, die <strong>für</strong> den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft<br />

im Allgemeinen großen Wert haben.<br />

Daher kamen die Teilnehmer zu folgenden Beschlüssen:<br />

– Zusammenarbeit, um Methoden <strong>für</strong> Dienstleistungen zum Karrierewechsel<br />

zu entwickeln, die von Tänzern gefordert werden<br />

und <strong>für</strong> die jeweiligen Umstände in der Gemeinschaft und <strong>für</strong><br />

alle professionellen Tänzer geeignet sind, und einander auf internationaler<br />

Ebene bei diesen Bemühungen zu unterstützen.<br />

– Informationen zu sammeln (etwa Beispiele von best practice,<br />

spezielle Modellprogramme, Forschung und andere Mittel)<br />

und über die International Organization for the Transition of<br />

Professional Dancers und ihre Homepage www.iotpd.org zugänglich<br />

zu machen.<br />

– Lösungen beim Karrierewechsel durch existierende Beziehungen<br />

und neue Partner innerhalb und außerhalb der Tanzgemeinschaft<br />

zu propagieren.<br />

– Empfehlungen auszusprechen:<br />

Für die Anerkennung, dass Tänzer einen<br />

gleichwertigen Status wie andere Berufsgruppen<br />

genießen, einschließlich Entschädigungen<br />

und anderer Arbeitsbedingungen und -voraussetzungen<br />

Für die Anerkennung, dass Tänzer karrierespezifische<br />

Interessen haben, die zielgerichtete<br />

Lösungen erfordern.<br />

Für die notwendige finanzielle Unterstützung<br />

und Anerkennung, dass die Investition in die<br />

Umschulung von Tänzern ein ethischer Imperativ<br />

und Teil der Kosten <strong>für</strong> die Förderung des Tanzes ist und<br />

den Tänzern und der Gesellschaft langfristig Vorteile bringt.<br />

– Sich 2006 im Rahmen des 20. Geburtstags des holländischen<br />

Umschulungsprogramms wieder zu treffen.<br />

Auf dem Podium der Konferenz »The aDvANCE Project« (v.l.): Philippe Braunschweig,<br />

Harvey Lichtenstein und Paul Bronkhorst. (Foto: Ulrich Roehm)<br />

6 Ballett Intern 1/2005


3. Internationaler<br />

Tanzaustausch Ruhr<br />

PACT Zollverein /<br />

Choreographisches Zentrum NRW in Essen<br />

Von Irmela Kästner<br />

Die Debatte um die Zukunft des Tanzes spaltete beim 3. Internationalen<br />

Tanzaustausch Ruhr – zumindest scheinbar – die Gemüter.<br />

Wie viel Selbstreflexion und theoretischen Überbau gegenüber<br />

wie viel und welcher Technik braucht eine Ausbildung<br />

zum zeitgenössischen Tänzer? Das fragten sich Schulleiter und<br />

Dozenten zwar nicht zum ersten Mal. Angesichts der Vielzahl<br />

an konzeptuellen Tanzproduktionen auf heutigen Bühnen, die<br />

mehr oder weniger auf das Tanzen verzichten, entbrannten die<br />

Diskussionen unter dem Lehrpersonal um das Ausmaß an solider<br />

technischer Grundlage allerdings diesmal um so heftiger.<br />

(Foto: Thomas Mayer)<br />

Stefan Hilterhaus und sein Team von PACT Zollverein hatten<br />

vom 3. bis 10. Dezember 2004 zum dritten Mal renommierte<br />

europäische Ausbildungsinstitute <strong>für</strong> zeitgenössischen Tanz<br />

nach Essen ins Choreographische Zentrum eingeladen. Neben<br />

der London Contemporary Dance School, der Tanzabteilung<br />

der Hochschule <strong>für</strong> Musik und Darstellende Kunst Frankfurt, der<br />

Folkwang Hochschule Essen, den Performing Art Research and<br />

Training Studios Brüssel (P.A.R.T.S.) und der Rotterdamse Dansacademie<br />

waren erstmalig das Laban Center aus London, die<br />

Tanzabteilung der Pädagogischen Hochschule Tallinn und die<br />

Kulturakademie Viljandi (beide Estland) zu Gast. Am Ende der<br />

erneut anregenden Woche hatte man den trennenden Dualismus<br />

jedoch überwunden, entwickelte in Kleingruppen Visionen von<br />

idealen Ausbildungsstätten, die eher auf einem Kontinuum anzuordnen<br />

sind: Eine Schule <strong>für</strong> den Allroundtänzer, die vor dem 20.<br />

Lebensjahr abgeschlossen ist. Und eine Ausbildung, die auf der<br />

Basis selbständiger Projektarbeit später einsetzt und mehr Theorie<br />

beinhaltet. Anregungen hatten Vorträge zu Kritik und Relevanz im<br />

zeitgenössischen Tanz (Gabriele Wittmann) und Theater (Florian<br />

Malzacher), eine Einführung in die Montessori-Pädagogik und<br />

die Vorstellung des Studiengangs <strong>für</strong> angewandte Theaterwissenschaft<br />

in Gießen gegeben.<br />

Die Dozentenseminare sind jedoch nur die eine Seite des im<br />

biennalen Rhythmus stattfindenden Tanzaustausches. Im Zentrum<br />

stehen die Studenten, acht bis zehn hatte jede Schule zur Teilnahme<br />

ausgewählt. Alle stehen kurz vor Abschluss ihrer Ausbildung,<br />

auf dem Sprung ins Berufsleben. Nach den offiziellen Aufführungsabenden<br />

mit Stücken aus dem Repertoire der einzelnen<br />

Schulen, kreiert bzw. einstudiert von Ex-Schülern oder Gastchoreographen,<br />

steht eine intensive Trainings- und Workshopwoche<br />

<strong>für</strong> sie auf dem Programm. Geleitet werden die Workshops von<br />

Tänzern und Choreographen, die mit ihrer Arbeit die jüngeren<br />

Entwicklungen im zeitgenössischen Tanz miterlebt oder gar geprägt<br />

haben: Nik Haffner (ehemals Ballett Frankfurt), Inaki Azpillaga<br />

(ehemals Wim Vandekeybus), Oleg Soulimenko, Frans<br />

Poelstra/Robert Steijn. Die Konzentration auf die Wahrnehmung<br />

mit allen Sinnen und auf verschiedene Arten von Präsenz auf<br />

der Bühne waren Thema in den Workshops. Viele Studenten,<br />

wie sich in Gesprächen herausstellte, sammelten hier ganz neue<br />

Erfahrungen.<br />

Im Studentenplenum zeigte sich, wie verantwortlich und engagiert<br />

sich die Studenten mit ihrer Ausbildung auseinandersetzen.<br />

Gesundheit ist ein wichtiges Thema. Und sich nicht abzuschotten<br />

vor der Welt draußen, selbst wenn das täglich zu<br />

bewältigende Pensum groß ist und die Energie kaum<br />

ausreicht. Die Diskussion drehte sich um die Relevanz<br />

von Tanz in der heutigen Zeit. Studenten aus Estland<br />

erzählen von einem Workshop, in dem sie sich einen<br />

ganzen Tag verkleidet unter die Obdachlosen in ihrer<br />

Stadt begeben haben – eine intensives Erlebnis,<br />

das später choreographisch verarbeitet wurde. Überhaupt<br />

ist die Bedeutung und kulturelle Kraft von Tanz<br />

in dem EU-Neuzugang Estland (wie auch in anderen<br />

Ländern Osteuropas) eine besondere. Der zeitgenössische<br />

Tanz (das, was man in Westeuropa darunter<br />

versteht) ist zwar jung, die Ausbildungen in Tallinn<br />

und Viljandi gibt es erst seit 1995, doch existiert eine<br />

weitverbreitete lebendige Tradition im Volkstanz, mit<br />

einem jährlichen Festival, das im vergangenen Sommer<br />

9.000 aktive (Laien)-Tänzer zählte.<br />

Seit dem Jahr 2000, in dem der Tanzaustausch<br />

zum ersten Mal stattfand, kann die Veranstaltung<br />

schon auf ihre eigene Geschichte zurückblicken. Hat sich seither<br />

etwas an den Schulen geändert, interessiert natürlich? Womöglich<br />

gar angeregt durch die Veranstaltung selbst? Contact Improvisation<br />

und andere Release-Techniken werden mittlerweile an<br />

fast allen Schulen unterrichtet, damals gab es das nur in Frankfurt<br />

bei Prof. Dieter Heitkamp. Und die Studenten sind selbstbewusster<br />

geworden. An der Folkwang Hochschule haben sie sich, wie<br />

ein Student erzählt, vor kurzem den Pilates-Unterricht erstritten. n<br />

Ballett Intern 1/2005 7


2005 –<br />

Ein Jubiläum in <strong>Bregenz</strong><br />

Von Egbert Strolka<br />

Nicht nur, dass der Deutsche <strong>Berufsverband</strong> <strong>für</strong> Tanzpädagogik<br />

sein bemerkenswertes 30-jähriges Jubiläum 2005 feiert, auch<br />

die Internationale <strong>Sommertanzwoche</strong> <strong>Bregenz</strong> wird ihre 10-jährige<br />

Wiederholung in diesem Jahr begehen können.<br />

<strong>Bregenz</strong>er <strong>Sommertanzwoche</strong> – das war ursprünglich ein Angebot<br />

der Royal Academy of Dance <strong>für</strong> ihre Mitglieder, doch<br />

2002 zog sich die RAD von ihrem sommerlichen Angebot<br />

zurück. Ein Vakuum hätte entstehen können <strong>für</strong> all jene jungen<br />

Tanzschüler, die auch noch in den Ferien das tun möchten, was<br />

sie vermutlich in ihrem Leben am liebsten tun. Aber »<strong>Bregenz</strong>«,<br />

das waren damals schon seit sieben Jahren sehr erfolgreiche<br />

<strong>Sommertanzwoche</strong>n unter der Leitung von Ulrich Roehm und der<br />

Mitarbeit der erfahrenen Pädagogin Ursula Neuhaus. Was lag<br />

näher, als die Erfahrung der beiden ab 2003 mit dem DBfT als<br />

Veranstalter in <strong>Bregenz</strong> fortzusetzen. Ja, es gehörte Mut dazu,<br />

aber die sofortige enorme Akzeptanz bei den Lernwilligen war<br />

<strong>für</strong> die Veranstalter Ansporn und Verpflichtung zugleich, weiter zu<br />

machen und mit den gemachten Erfahrungen wertvolle pädagogische<br />

Arbeit zu leisten.<br />

<strong>Bregenz</strong> ist ein Glücksfall: Großzügige Unterrichtshallen und<br />

-räume in ausreichender Zahl, passende Unterkunftsmöglichkeiten<br />

<strong>für</strong> jede Altersgruppe; ein eingespieltes Team von Betreuern, die<br />

auch die Freizeit (vor allem der jüngeren Teilnehmer) zu gestalten<br />

verstehen sowie eine Verpflegung, die sich auf die Bedürfnisse<br />

der jugendlichen Schwerarbeiter einlässt. Wo sonst gibt es das<br />

alles? Die Stadt befindet sich im Festspielfieber und hat sich mit<br />

Eifer und Ehrgeiz schick gemacht, wehende Fahnen und eine<br />

illustre Touristenmenge tragen zur Gesamtstimmung bei. Aber<br />

der beeindruckende »Geist von <strong>Bregenz</strong>«, der <strong>für</strong> die Arbeit<br />

am und im und mit dem Tanz hier so bestimmend ist, weht aus<br />

den eigenen Reihen: Mit den günstigen Voraussetzungen vor Ort<br />

und dem wunderbar miteinander harmonierenden TEAM kommt<br />

eine Arbeitsatmosphäre zustande, die <strong>für</strong> die jungen Menschen<br />

unvergesslich bleiben wird.<br />

Last but not least: Wenn vom TEAM die Rede ist, dann stehen<br />

natürlich die wunderbaren Pädagogen an erster Stelle, die Ulrich<br />

Roehm verpflichtet hat. Ob die Tanzschüler alle Tänzer werden<br />

sollen, wollen oder können, spielt bei den Lehrenden keine Rolle;<br />

sie geben die Wahrheiten einer Profession weiter, ohne Ansehen<br />

der Person und lehren damit Gesetzmäßigkeiten des Lebens<br />

durch das Medium des Tanzes. Bewundernswert, wie sie das<br />

alle taten und was in nur einer Woche erreicht wurde. n<br />

Abschlussveranstaltung der Internationalen <strong>Sommertanzwoche</strong> <strong>Bregenz</strong> 2004 (Foto: Jürgen Schultz, Freital)<br />

8 Ballett Intern 1/2005


+<br />

»Die große Dürre«<br />

Ess-Störungen im Tanz, Teil 2:<br />

Verschiedene Arten von Ess-Störungen<br />

Von Eileen M. Wanke<br />

Das körperliche Ideal hat sich nicht nur im Allgemeinen, sondern<br />

auch im Tanz in den letzten Jahrzehnten stark verändert; es hat<br />

sich weit vom Bild eines normalgewichtigen Menschen entfernt.<br />

Das gesellschaftlich propagierte, heute gültige Schlankheitsideal<br />

steht <strong>für</strong> einen Teil der zunehmend verunsicherten Bevölkerung synonym<br />

<strong>für</strong> Erfolg, Wertschätzung, Attraktivität und Ausstrahlung.<br />

Die Folge ist eine signifikante Zunahme von Ess-Störungen, die<br />

sowohl in der Allgemeinbevölkerung als auch im Sport beobachtet<br />

werden können.<br />

Die Anforderungen an die körperliche Leistungsfähigkeit sind<br />

gestiegen und die Situation auf dem Arbeitsmarkt <strong>für</strong> Tänzerinnen<br />

– insbesondere im letzten Jahrzehnt – hat sich deutlich verschlechtert,<br />

gleichzeitig ist zu beobachten, dass Ess-Störungen im Sport<br />

und auch im Tanz mit dem Ziel, die eigene Leistungsfähigkeit zu<br />

maximieren und die Chancen in der Berufsausübung zu erhöhen,<br />

an Häufigkeit zugenommen haben und möglicherweise inzwischen<br />

genauso dazu gehören wie das tägliche Training.<br />

Für alle Essgestörten ist charakteristisch, dass sie sich übermäßig<br />

mit dem eigenen Gewicht und der Nahrungsaufnahme beschäftigen.<br />

Die Kontrolle über Nahrungsaufnahme und Gewicht<br />

nimmt auf dem Weg zum individuellen Idealbild und als erhoffte<br />

Problemlösung einen überdimensionalen Stellenwert ein.<br />

Welche Formen von Ess-Störungen gibt es?<br />

Es existieren zwei Klassifikationssysteme:<br />

1. die in Deutschland gebräuchliche »International Classification<br />

of Diseases« (ICD-10), nach der in der Regel die Einteilung<br />

von Erkrankungen erfolgt.<br />

2. das im angloamerikanischen Raum gebräuchliche Klassifikationssystem<br />

»Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders«<br />

von 1994 (DSM IV) der amerikanischen psychiatrischen<br />

Gesellschaft (American Psychiatric Association).<br />

Innerhalb dieser beiden national und international gebräuchlichen<br />

Systeme existieren sowohl sprachliche als auch inhaltliche<br />

Unterschiede, was die Zuordnung einer Ess-Störung nicht leicht<br />

macht. Hinzu kommen die fließenden Übergänge von gesellschaftlich<br />

und leistungssportlich noch akzeptiertem oder – mit<br />

dem Ziel der Leistungsoptimierung – gar angestrebtem Verhalten<br />

zu einer Ess-Störung. Gerade in Sportarten, in denen das körperliche<br />

Idealbild mitbestimmend <strong>für</strong> Erfolg und berufliche Karriere<br />

ist, kann man dies häufig beobachten. Außerdem kann ein<br />

Wechsel zwischen den einzelnen Formen der Ess-Störungen die<br />

eindeutige Zuordnung erschweren.<br />

Nach der in Deutschland gebräuchlichen ICD-10-Einteilung<br />

werden folgende Ess-Störungen unterschieden:<br />

A) Anorexia nervosa<br />

B) Bulimia nervosa<br />

C) Ess-Attacken und Erbrechen bei anderen psychischen Störungen<br />

(z. B. »Binge Eating Disorder«)<br />

D) sonstige sowie nicht näher bezeichnete Ess-Störungen (atypische<br />

Ess-Störungen)<br />

Darüber hinaus existiert eine – im Gegensatz zur Anorexia und<br />

Bulimia nervosa nicht den psychiatrischen Erkrankungen zugeordnete<br />

– Ess-Störung, die lediglich bei Sportlern auftritt und bisher<br />

nicht als eigenständige Erkrankung in den Klassifikationssystemen<br />

Berücksichtigung findet:<br />

E) die Anorexia athletica.<br />

Bei den Krankheitsbildern der Anorexia nervosa und Bulimia<br />

nervosa sind so genannte Subtypen im Sinne von Untergruppen<br />

vorhanden, die eine weitere Differenzierung erlauben. Dazu gehört<br />

beispielsweise das Vorhandensein aktiver Maßnahmen zur<br />

weiteren Gewichtsreduktion, wie Erbrechen, Abführmittel oder<br />

extensive sportliche Aktivität.<br />

Grundsätzlich müssen <strong>für</strong> die eindeutige Diagnosestellung<br />

alle, jeweils zum Krankheitsbild genannten Kriterien erfüllt sein.<br />

Ist ein Merkmal nicht vorhanden, erfolgt die Einordnung zu einer<br />

Untergruppe oder zu den atypischen Ess-Störungen.<br />

A) Anorexia nervosa (»Magersucht«)<br />

Wörtlich übersetzt bedeutet Anorexie »Appetitverlust oder Appetitverminderung«.<br />

Dies führt zu der irreführenden Annahme, dass<br />

der Appetit und nicht das Ess-Verhalten gestört sei. Im Vordergrund<br />

der Erkrankung steht der starke Gewichtsverlust, der über<br />

eine stark verminderte Nahrungsaufnahme und Methoden, wie<br />

selbst induziertes Erbrechen, der Gebrauch von Abführmitteln<br />

oder Entwässerungsmitteln, Appetitzüglern und/oder exzessive<br />

körperliche Aktivität erreicht wird. Die tatsächliche Kalorienaufnahme<br />

entspricht bei weitem nicht dem täglichen individuellen<br />

Bedarf. 50% der Erkrankten vermindern ihre Nahrungszufuhr<br />

stark (sind rein restriktiv), die andere Hälfte zeigt zusätzlich bulimische<br />

Symptome (siehe unten).<br />

Folgende Kriterien führen zur Diagnosestellung einer Anorexia<br />

nervosa (nach ICD-10)<br />

1. Body Mass Index (BMI) ≤ 17,5kg/m² oder weniger<br />

Der BMI beschreibt das Verhältnis von Körpergewicht zu Körpergröße<br />

und steht in engem Zusammenhang mit der Menge<br />

des körperlichen Fettgewebes. Er dient der Orientierung <strong>für</strong><br />

das Sollgewicht eines Erwachsenen und hat sich – bei entsprechender<br />

Berücksichtigung des Alters – auch zur Bestimmung<br />

von Ess-Störungen, Übergewicht und Untergewicht im<br />

Kindes- und Jugendalter international durchgesetzt.<br />

Er wird nach folgender Formel berechnet:<br />

Gewicht in Kilogramm (kg) / Körpergröße (m) 2 .<br />

Der Normwert beträgt 18,5–24,9. Liegen die Werte zwischen<br />

25 und 30, handelt es sich um ein Übergewicht, Werte über<br />

30 deuten auf ein starkes Übergewicht (Adipositas) hin.<br />

Ballett Intern 1/2005 9


BMI-Werte unter 18,5 liefern einen Hinweis auf ein Untergewicht,<br />

von einem kritischen Untergewicht ist auszugehen,<br />

wenn der BMI kleiner als 16 ist.<br />

2. Selbst herbeigeführter Gewichtsverlust<br />

Das niedrige Körpergewicht bei der Magersucht wird in erster<br />

Linie durch Hungern und eine Nahrungsverweigerung erreicht<br />

und gehalten. Es besteht eine extreme Angst vor einer Gewichtszunahme.<br />

Daher wird der Zustand eines niedrigen Körpergewichts<br />

auch durch weitere Maßnahmen herbeigeführt.<br />

Dazu gehören extreme sportliche Aktivitäten, der Gebrauch<br />

von Appetitzüglern oder Abführ- und Entwässerungsmitteln.<br />

3. Endokrine Störung auf der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden<br />

Achse<br />

Hier sind Hormonstörungen, die nicht zuletzt zu einem Ausbleiben<br />

der Menstruationsblutung (Amenorrhoe) führen, zu<br />

beobachten. Außerdem finden sich Veränderungen bei den<br />

Schilddrüsenhormonen, Wachstums- und Stresshormonen<br />

(Cortisolspiegel). Bei männlichen Betroffenen kann sich der<br />

massive Gewichtsverlust als Folge einer chronischen Mangelernährung<br />

in Form eines Libido- oder Potenzverlustes darstellen.<br />

4. Körperschemastörung<br />

Dabei handelt es sich um eine krankhaft verzerrte Selbstwahrnehmung<br />

des eigenen Körpers. Die eigene Körperform wird<br />

trotz einer extremen Schlankheit oder gar Ausgezehrtheit (Kachexie)<br />

als viel zu dick empfunden. Eine Krankheitseinsicht<br />

besteht oftmals nicht.<br />

5. Verzögerung der pubertären Entwicklungsschritte bei Auftreten<br />

vor Beginn der Pubertät<br />

Die Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale ist<br />

ebenso verzögert wie das Auftreten der ersten Menstruationsblutung<br />

als Folge der massiven Mangelernährung.<br />

Gerne beschäftigen sich die Betroffenen mit der Nahrungszubereitung:<br />

sie sammeln Kochrezepte, lesen Kochbücher und<br />

bereiten Mahlzeiten, bestehend aus mehreren Gängen, <strong>für</strong><br />

andere zu. Sie selber nehmen aktiv nicht am Essen teil. Dieses<br />

kann sich auf das soziale Leben störend auswirken und zu<br />

einem Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben führen.<br />

B) Bulimia nervosa (»Ess-Brechsucht«)<br />

Der Begriff bedeutet sinngemäß »Ochsenhunger«. Im Gegensatz<br />

zur Magersucht, <strong>für</strong> die eine ausgesprochen restriktive Nahrungsaufnahme<br />

typisch ist, sind bei der Bulimia nervosa Heißhungerattacken<br />

mit anschließendem Erbrechen kennzeichnend. Bei vordergründiger<br />

und andauernder Beschäftigung mit Essen besteht<br />

eine krankhafte Angst vor einer Gewichtszunahme. Häufig findet<br />

sich eine Anorexia nervosa in der Vergangenheit. Die Bulimie<br />

kann in Zusammenhang mit einer Magersucht, bei normalem<br />

Körpergewicht sowie bei starkem Übergewicht (BMI > 30) auftreten.<br />

Zu den Kriterien einer Bulimia nervosa gehören:<br />

1. Ess-Attacken, bei denen sehr große Mengen Nahrung in<br />

kurzer Zeit aufgenommen werden<br />

Diese Ess-Attacken finden häufig heimlich statt. Die Nahrung<br />

wird kaum gekaut. In kürzester Zeit werden große Mengen<br />

an Kilokalorien aufgenommen. Pro Anfall können das zwischen<br />

3.000 und 5.000 kcal sein. Oftmals handelt es sich<br />

um schlecht verdauliche, schwer im Magen liegende Nahrungsmittel,<br />

wie beispielsweise fettreiche, frittierte Nahrung,<br />

um ein Erbrechen zu erleichtern. Der Verzehr großer Mengen<br />

von Nahrungsmitteln kann auch finanzielle Probleme nach<br />

sich ziehen.<br />

2. Versuch, dem dick machenden Effekt durch kompensatorische<br />

Verhaltensweisen entgegen zu steuern<br />

Dazu gehören der Gebrauch von Abführ- und Entwässerungsmitteln<br />

sowie vor allem das selbst herbeigeführte Erbrechen.<br />

Aus dem Missbrauch von Medikamenten kann sich eine geistige<br />

und körperliche Abhängigkeit entwickeln.<br />

3. Krankhafte Furcht vor einer Gewichtszunahme<br />

Diese Angst vor einer Gewichtszunahme beherrscht das Denken<br />

und Fühlen der Betroffenen. Um eine Zunahme und damit<br />

verbundene Schuldgefühle zu mindern, werden kompensatorische<br />

Maßnahmen ergriffen. Daneben sind auch Diäten und<br />

wiederholte Fastenkuren typisch <strong>für</strong> die Erkrankten.<br />

Ess-Protokoll einer an Bulimie erkrankten Tänzerin über zwei<br />

Tage:<br />

20. Januar<br />

2:00 Uhr: 2 Äpfel, 1 Tasse Kakao<br />

9:00 Uhr: 1 Kaffee, 1 Apfel mit Honig, 2 Clementinen und<br />

1 Duplo – gekotzt<br />

12:00 Uhr: 1 halbe Scheibe Brot mit 2 Scheiben Käse,<br />

1 Clementine, 0,2 l Cola light, 1 Tasse Tee<br />

13:00 Uhr: 1 Clementine, 1 halber Apfel<br />

14:00 Uhr: 250 g Salat mit Soße, 1 Tasse Kaffee, 1 Keks,<br />

1 Glas Wein, 2 Gläser Saft<br />

18:00 Uhr: 1 Apfel, 3 Clementinen, 1 Tasse Milchkaffee<br />

20:00 Uhr: Vorstellung<br />

23:00 Uhr: 1 Glas Wein, 1 Apfel, 1 kleines Schälchen<br />

Pudding, 1 Stück Kuchen – gekotzt<br />

21. Januar<br />

9:00 Uhr: 1 Milchkaffee, 2 Clementinen, 1 Apfel mit Honig,<br />

1 Tl. Molkepulver<br />

11:45 Uhr: 2 Clementinen, 1 Apfel, 1 Tasse Kakao,<br />

100 ml Milch<br />

13:45 Uhr: 300 ml Apfelschorle, 2 Clementinen, 1 halbe<br />

Scheibe Brot mit 2 Scheiben Käse und Salat,<br />

1 Tasse Kakao<br />

16:30 Uhr: 1 Glas Saft, 1 Tasse Tee<br />

17:30 Uhr: 1 Tasse Kakao<br />

21:00 Uhr: 200 g Brokkoli, 1 halbe Scheibe Brot,<br />

3 Clementinen, 100 g Vanille Mousse, 1 Tasse<br />

Tee, 100 ml Milch – gekotzt.<br />

C) Binge Eating Disorder (Ess-Sucht)<br />

Dieses Krankheitsbild lässt sich nach ICD-10 – zumindest in einer<br />

Ausprägungsform – den »Ess-Attacken bei anderen psychischen<br />

Störungen« zuordnen. Weiterhin findet sich die Binge Eating Disorder<br />

schon in den Forschungskriterien des DSM IV.<br />

Die Binge Eating Disorder ist gekennzeichnet durch einen Kontrollverlust,<br />

verbunden mit wiederholten Heißhungerattacken und<br />

einer daraus resultierenden Aufnahme großer Nahrungsmengen<br />

wie bei einer Bulimia nervosa. Diese erfolgt an wenigstens zwei<br />

Tagen der Woche über mindestens sechs Monate trotz fehlenden<br />

Hungergefühls. Das Resultat ist ein mehr oder minder stark<br />

ausgeprägtes Übergewicht mit den damit verbunden typischen<br />

kurz- und mittelfristigen Komplikationen.<br />

Außerdem müssen <strong>für</strong> die Diagnosestellung wenigstens drei<br />

der folgenden Punkte zutreffen:<br />

10 Ballett Intern 1/2005


– besonders schnelles Essen<br />

– essen bis ein unangenehmes Völlegefühl einsetzt<br />

– essen, ohne hungrig zu sein<br />

– alleine essen<br />

– nach der Ess-Attacke entstehen Schuldgefühle und Depressionen<br />

– die Ess-Attacken werden als belastend empfunden.<br />

D) Atypische Ess-Störungen<br />

Da die Betroffenen nicht immer alle genannten Kriterien einer<br />

definierten Ess-Störung erfüllen, dennoch aber ein stark gestörtes<br />

Ess-Verhalten aufweisen, wie z. B. alle Kriterien einer Anorexie<br />

bis auf den signifikanten Gewichtsverlust oder eine Amenorrhoe,<br />

ist die Zuordnung erheblich erschwert. Diese Patientengruppe<br />

wird den atypischen, sonstigen und nicht näher beschriebenen<br />

Ess-Störungen zugeordnet (nach DSM IV, so genannte EDNOS<br />

= Eating Disorders Non Otherwise Specified). Dazu gehören<br />

nach der ICD-10 Klassifikation auch die atypische Anorexie und<br />

die atypische Bulimie. Weiterhin werden der psychogene Appetitverlust,<br />

das Fasten bei Übergewicht, das Kauen und Ausspucken<br />

großer Nahrungsmengen sowie das Pica-Syndrom bei<br />

Erwachsenen dazu gezählt, hier dienen unverdauliche Dinge,<br />

wie beispielsweise Gips, Insekten, Haare, Styropor oder Asche<br />

als Nahrung.<br />

E) Anorexia athletica<br />

(Foto: Lea Fischer)<br />

Der Sport oder besser Bewegungsdrang ist zwar ein charakteristisches<br />

Merkmal der an Ess-Störungen Erkrankten. Im Sport und<br />

damit auch im Tanz findet sich aber eine darüber hinausgehende<br />

Sonderform: die Anorexia athletica.<br />

Die Gewichtsreduktion steht zwar, wie bei der Bulimia nervosa<br />

oder Anorexia nervosa im Vordergrund, die in der Folge<br />

sowohl zu einem Untergewicht als auch in Einzelfällen zum Tod<br />

führen kann. Dennoch geschieht diese Gewichtsreduktion – zumindest<br />

am Anfang – kontrolliert und mit dem alleinigen Ziel, die<br />

sportliche Leistung oder die Chancen auf dem Tanz- Arbeitsmarkt<br />

zu optimieren. Dieses unterscheidet sie von den primär psychiatrischen<br />

Erkrankungen Magersucht und Ess-Brechsucht. Jedoch sind<br />

auch hier bei Missachtung des gesunden Verhältnisses zwischen<br />

Körpergewicht und sportlicher Leistung sowohl eine Leistungsmin-<br />

derung als auch gesundheitliche Störungen in der Folge häufig.<br />

Sehr lange kann dabei die eigene Leistungsfähigkeit trotz eines<br />

geringen Gewichts bei bestehender Ess-Störung erhalten werden.<br />

Die Kriterien zur Einteilung der Anorexia athletica sind nicht<br />

einheitlich. Es finden sich einerseits absolute Kriterien. Dazu gehören:<br />

1. die vorherrschend übertriebene Angst, fettleibig zu werden<br />

2. das Streben nach einer maximalen sportlichen Leistungsfähigkeit.<br />

Die betroffenen Sportler weisen keine organischen<br />

Erkrankungen oder andere Störungen auf, die den Gewichtsverlust<br />

erklären könnten<br />

3. die tägliche Kalorienaufnahme als Folge einer aktiven Nahrungsverweigerung<br />

liegt bei weniger als 1.200 kcal/Tag.<br />

Andererseits existieren relative Kriterien. Dazu gehören:<br />

1. die Nutzung von abführenden Methoden<br />

2. Heißhungerattacken<br />

3. eine zwanghafte körperliche Betätigung<br />

4. bei entsprechend frühem Erkrankungsbeginn tritt die Pubertät<br />

verspätet ein<br />

5. bei Beginn nach der Menarche kann es zu Zyklusstörungen<br />

kommen<br />

6. es besteht eine ausgeprägte Körperschemastörung.<br />

Im Unterschied zur Anorexia nervosa normalisiert sich in der Regel<br />

das Körpergewicht nach Abschluss der sportlichen Karriere<br />

automatisch. Bei entsprechender Veranlagung ist jederzeit ein<br />

Kontrollverlust und ein damit verbundener, fließender Übergang<br />

in eine definierte Ess-Störung möglich.<br />

Ess-Störungen sowie die Sonderform, die Anorexia athletica,<br />

kommen vor allem in Sportarten vor, in denen neben der sportlich-technischen<br />

Leistung auch ein körperliches Idealbild gefordert<br />

wird. Hierzu gehören neben dem Tanz folgende Disziplinen:<br />

– ästhetische Sportarten, z. B. Eis- und Rollkunstlauf, Turnen,<br />

rhythmische Sportgymnastik, Wasserspringen, Synchronschwimmen.<br />

Bei einer eingeschränkt objektiven Bewertung,<br />

oftmals aus technischem und künstlerischem Wert bestehend,<br />

stellt das geforderte körperliche Idealbild ein wichtiges Kriterium<br />

<strong>für</strong> einen sportlichen oder beruflichen Erfolg dar.<br />

– Gewichtsklasse-Sportarten, z. B. Ringen, Rudern, Gewichtheben,<br />

Boxen, Kampfsport, Pferderennsport. Hier besteht die<br />

Vorstellung, in einer niedrigeren Gewichtsklasse eher erfolgreich<br />

sein zu können.<br />

– Ausdauersportarten, z. B. Laufen, Biathlon, Radrennen. Die<br />

Optimierung des Gewichts und der Körperzusammensetzung<br />

führen zu einer Verbesserung der Leistungsfähigkeit im Grenzbereich.<br />

– Technische Sportarten: z. B. Ski alpin, Reiten, Segeln, Fallschirmspringen,<br />

Leichtathletik, Skispringen.<br />

– Ball-Sportarten: z. B. Badminton, Fußball, Tennis, Unterwasserrugby,<br />

Volleyball.<br />

In den nächsten Ausgaben:<br />

Wie sehen die körperlichen Folgen von Ess-Störungen aus, und<br />

wer ist in welchem Maße betroffen? Gibt es auch Ess-Störungen<br />

im Tanz, in welchem Tanzstil am ehesten und in welcher<br />

Ausprägung? Wo sind die Ursachen zu suchen und was kann<br />

man therapeutisch tun? Nicht zuletzt soll auch die Frage geklärt<br />

werden, wie man das Auftreten von Ess-Störungen vermindern<br />

oder vermeiden kann. n<br />

Ballett Intern 1/2005 11


Sorgen Sie vor:<br />

Die Künstlersozialabgabe<br />

Von Andri Jürgensen<br />

Die Künstlersozialabgabe ist <strong>für</strong> Unternehmen ein Schreckgespenst.<br />

Denn auf Honorare an freie Künstler und Publizisten – und<br />

dazu können auch Tanzpädagogen gehören – sind 5,8 % an<br />

die KSK zu zahlen – zusätzlich! Jeder Inhaber einer Ballettschule<br />

sollte sich deshalb fragen: Bin auch ich abgabepflichtig? Und<br />

worauf muss ich die Künstlersozialabgabe zahlen?<br />

Vorsorge lohnt sich, denn das Erwachen kann böse sein: Findet<br />

die Künstlersozialkasse (KSK) ein abgabepflichtiges Unternehmen,<br />

das sich noch nicht bei ihr gemeldet hat, erhebt sie die<br />

Künstlersozialabgabe rückwirkend <strong>für</strong> die letzten fünf Jahre. Die<br />

Rückforderungen können dabei durchaus fünfstellige Euro-Beträge<br />

erreichen. Es hilft deshalb nur, sich rechtzeitig zu informieren.<br />

Alles Wichtige finden Sie hier:<br />

Das System der Künstlersozialversicherung<br />

Selbständige Künstler und Publizisten sind nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz<br />

(KSVG) pflichtversichert in der gesetzlichen<br />

Renten- und Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung.<br />

Sie erhalten von der KSK einen Zuschuss von 50<br />

% zu den monatlichen Versicherungsbeiträgen. Das KSVG wurde<br />

geschaffen, um über diesen Weg die meist schlechte soziale Absicherung<br />

und Vorsorge freischaffender Künstler und Publizisten<br />

zu verbessern. Finanziert werden die Zuschüsse zu 40 % durch<br />

den Bund und zu 60 % durch die Künstlersozialabgabe. Diese<br />

Abgabe müssen alle Unternehmen zahlen, die regelmäßig Honorare<br />

an selbständige Künstler und Publizisten vergeben.<br />

Ballettschulen – auch sie müssen<br />

die Künstlersozialabgabe leisten<br />

Abgabepflichtig sind nach § 24 KSVG alle Unternehmen, die<br />

typischerweise die Werke und Leistungen freier Künstler oder<br />

Publizisten verwerten oder die an sie sonst regelmäßig Aufträge<br />

vergeben. Dazu gehören beispielsweise Bühnen, Verlage,<br />

Filmproduktionsfirmen, Radiosender und Museen, aber auch<br />

Ballettschulen als Ausbildungseinrichtungen (§ 24 Abs. 1 Nr.<br />

9 KSVG). Die Höhe des Umsatzes ist <strong>für</strong> die Frage der Abgabepflicht<br />

irrelevant, ebenso andere Unternehmensdaten wie die<br />

Zahl der freien Mitarbeiter.<br />

Worauf ist die Abgabe zu leisten?<br />

Die Künstlersozialabgabe ist nach § 25 KSVG auf alle Honorare<br />

zu leisten, die ein Unternehmen an freie Künstler oder Publizisten<br />

zahlt. Bei den Ballettschulen fallen regelmäßig zwei Bereiche<br />

hierunter: Aufträge an Grafiker oder Werbeagenturen <strong>für</strong> die<br />

eigene Werbung und die Beschäftigung von freien Mitarbeitern<br />

als Lehrkräfte.<br />

Das Entwickeln und Gestalten von Werbematerialien wie Broschüren<br />

oder Werbeflyern ist zumeist eine künstlerische Arbeit.<br />

Auf das hier<strong>für</strong> der Agentur oder dem Grafikbüro gezahlte Honorar<br />

ist daher die Künstlersozialabgabe die KSK zu leisten.<br />

Gleiches gilt <strong>für</strong> Tanzpädagogen, soweit sie künstlerischen<br />

Tanz unterrichten. Nicht jeder Tanz ist aber künstlerisch im Sinne<br />

des KSVG. Standardtänze wie Walzer, Foxtrott oder rhythmi-<br />

sche Gymnastik zählen nicht dazu. Künstlerisch sind dagegen<br />

mit einem ausreichenden Spielraum <strong>für</strong> die individuelle, eigenschöpferische<br />

Ausgestaltung: Afrodance, Ballett, Bauchtanz,<br />

Flamenco oder Jazztanz. Problematisch ist die Einordnung des<br />

Tango, denn die KSK sah hierin bislang stets einen Standardtanz<br />

ohne eigenschöpferischen Spielraum. Ein Gerichtsurteil hat nun<br />

aber festgestellt, dass der argentinische Tango sehr wohl einen<br />

künstlerischen Spielraum bietet. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig<br />

und wird vermutlich auch noch das Bundessozialgericht<br />

beschäftigen.<br />

Was ist »Entgelt« im Sinne des KSVG?<br />

Zum abgabepflichtigen Entgelt im Sinne des § 25 KSVG gehört<br />

alles, was das Unternehmen aufwendet, um die künstlerische<br />

oder publizistische Leistung nutzen zu können. Dazu gehören<br />

natürlich an erster Stelle Honorare, aber auch erstattete Auslagen<br />

wie Telefon- oder Portokosten. Nicht zur Bemessungsgrundlage<br />

<strong>für</strong> die Abgabe zählen dagegen Reise- und Fahrtkosten in den<br />

steuerlichen Freigrenzen.<br />

Die Höhe der Künstlersozialabgabe<br />

Die Höhe der Künstlersozialabgabe richtet sich nach zwei Faktoren:<br />

(1) der sogenannten Bemessungsgrundlage, also der Summe<br />

aller an freie Künstler und Publizisten gezahlten Entgelte (dazu<br />

der Absatz zuvor), und (2) dem Vom-Hundert-Satz der Künstlersozialabgabe.<br />

Der Vom-Hundert-Satz wird <strong>für</strong> jedes Kalenderjahr<br />

neu festgelegt und den gemeldeten Unternehmen von der KSK<br />

mitgeteilt. Für das Jahr 2005 wurde der Vom-Hundert-Satz festgelegt<br />

auf 5,8 %. Für jedes Honorar, das an einen selbständigen<br />

Künstler oder Publizisten 2005 gezahlt wird, sind also zusätzlich<br />

5,8 % an die KSK zu leisten. Zusätzlich heißt: Die Abgabe darf<br />

nicht vom Honorar des Künstlers einbehalten werden, der Unternehmer<br />

muss sie alleine tragen!<br />

Ein Beispiel<br />

Eine Ballettschule beschäftigt drei freie Ballettlehrer und hat eine<br />

Werbebroschüre in Auftrag gegeben. Den Ballettlehrern werden<br />

insgesamt 10.000 € gezahlt, die Gestaltung der Broschüre kostet<br />

500 € (die Druckkosten selbst zählen nicht zur Bemessungsgrundlage,<br />

soweit sie in der Rechnung gesondert ausgewiesen<br />

werden). Die Gesamtsumme im Jahr 2005 beläuft sich dann<br />

auf 10.500 €. Bei einem Abgabesatz von 5,8 % errechnet sich<br />

somit eine Abgabeschuld von 10.500 € x 5,8 % = 609 €, die<br />

an die KSK zu leisten sind.<br />

Sparen bei den Rechnungen<br />

Die Künstlersozialabgabe ist nicht auf alle Bestandteile des Honorars<br />

zu zahlen: Abgabefrei sind beispielsweise Reise- und<br />

Übernachtungskosten (innerhalb der steuerlichen Freigrenzen),<br />

Entgelte an Verwertungsgesellschaften und steuerfreie Aufwandsentschädigungen.<br />

Ob gleiches auch <strong>für</strong> durchlaufende Posten<br />

gilt, ist noch nicht gerichtlich geklärt. Damit Sie als Verwerter<br />

bei der Abgabe sparen können, müssen die rechnungsstellenden<br />

Künstler also die oben genannten Posten in den Rechnungen<br />

gesondert ausweisen. Statt beispielsweise pauschal ein Entgelt<br />

von 5.000 € in Rechnung zu stellen, sollten die ggf. enthaltenen<br />

Reisekosten extra ausgewiesen werden. Sie zahlen die Abgabe<br />

dann nur noch auf diese, etwas kleinere Restsumme.<br />

12 Ballett Intern 1/2005


GmbH-Geschäftsführer in der Zwickmühle<br />

Der Künstlersozialabgabe unterliegen nicht nur die Honorare an<br />

die Kreativen selbst. Auch das Gehalt eines GmbH-Geschäftsführers<br />

unterliegt der Abgabepflicht. Voraussetzung ist, dass der<br />

Geschäftsführer <strong>für</strong> die GmbH (1) als Selbständiger und (2) im<br />

Sinne des KSVG überwiegend »künstlerisch« oder »publizistisch«<br />

tätig wird – mit der Folge, dass auf ein Jahresgehalt von<br />

30.000 € <strong>für</strong> 2005 zusätzlich eine Künstlersozialabgabe von<br />

1.740 € fällig wird. Doch damit nicht genug: Selbständige Geschäftsführer,<br />

die überwiegend künstlerisch oder publizistisch arbeiten,<br />

sind gemäß § 1 KSVG auch noch versicherungspflichtig<br />

und müssen Pflichtbeiträge <strong>für</strong> die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung<br />

leisten. Allerdings lässt sich durch die richtige Vertragsgestaltung<br />

die Abgabepflicht mindern und teilweise sogar<br />

ganz ausschließen!<br />

Nachforderung <strong>für</strong> 5 Jahre<br />

Die KSK ist täglich auf der Suche nach abgabepflichtigen Unternehmen,<br />

in Branchenverzeichnissen und anderen Quellen. Wird<br />

die KSK auf diese Weise fündig, kommen auf das jeweilige Unternehmen<br />

einige Kosten zu: Die Künstlersozialabgabe ist dann<br />

nämlich rückwirkend <strong>für</strong> die letzten fünf Kalenderjahre zu erstatten.<br />

Die Abgabe kann sich durchaus zu einer hohen fünfstelligen<br />

Summe addieren – <strong>für</strong> manche Unternehmen zu viel …<br />

Das Verfahren vor der KSK<br />

Zunächst müssen sich abgabepflichtige Unternehmen bei der<br />

KSK melden, damit diese die Abgabepflicht prüfen und dann<br />

mit einem Bescheid verbindlich feststellen kann. Anschließend<br />

muss das gemeldete Unternehmen gem. § 27 KSVG bis zum<br />

31.3. eines Jahres die Summe der im Vorjahr an selbständige<br />

Künstler und Publizisten gezahlten Entgelte melden. Aus dieser<br />

Summe ergibt sich die Höhe der Künstlersozialabgabe, die <strong>für</strong><br />

das Vorjahr zu leisten ist. Außerdem muss das Unternehmen monatliche<br />

Vorauszahlungen an die KSK leisten. Nach Ablauf eines<br />

Kalenderjahres werden dann die monatlichen Vorauszahlungen<br />

des Jahres und die Abgabeschuld <strong>für</strong> das gleiche Jahr saldiert<br />

– mit der Folge einer Nachzahlungspflicht des Unternehmens<br />

oder einem Rückforderungsanspruch gegen die KSK.<br />

Fazit und weitere Informationen<br />

Ballettschulen sollten wissen, was mit der Künstlersozialabgabe<br />

auf sie zukommen kann – damit der Kontakt mit der KSK nicht<br />

zum finanziellen Desaster wird! Informationen zur Künstlersozialversicherung<br />

und -abgabe finden Sie im Internet unter www.<br />

kunstrecht.de. Dort können Sie auch einen »Basic-Kurs« im PDF-<br />

Format zu allen relevanten Fragen der Künstlersozialabgabe herunterladen.<br />

n<br />

Der Autor dieses Beitrags ist spezialisiert auf das Recht der Künstlersozialversicherung:<br />

Andri Jürgensen, Rechtsanwalt, Herderstraße<br />

8-10, 24116 Kiel, Tel.: (0431) 6 96 75 01, anwalt@kunstrecht.de<br />

Er veranstaltet Seminare zur Künstlersozialabgabe, die nächsten<br />

Termine: 7.2.2005 Berlin, 14.2. München, 25.2. Köln, 7.3. Hamburg,<br />

14.3. Frankfurt/M. Die Kosten belaufen sich auf 290 €.<br />

Nähere Informationen unter www .kunstrecht .de .<br />

Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie im »Praxishandbuch<br />

Künstlersozialabgabe« von Andri Jürgensen, Verlag<br />

Kunst Medien Recht, Preis 45 €.<br />

Folkwang Tanz > Zeitgenössische Tanzausbildung | Choreographie | Tanzpädagogik |<br />

Tanzschrift > Choreographen 2004 _Kuo Chu Wu | Stephan Brinkmann | Pina Bausch<br />

> Vorschau 2005 _Tanzabend > Premiere 17. Juni 2005 > Choreographen _José Limón<br />

| Nobert Steinwarz > Aufnahmeprüfung _04. – 07. Juli 2005 | Anmeldeschluss<br />

_01. April 2005<br />

FolkwangHochschule<br />

www.folkwang-hochschule.de<br />

Ballett Intern 1/2005 13


Die Gala 2004 der<br />

Tanzstiftung Birgit Keil<br />

Im Netzwerk zwischen Karlsruhe,<br />

Mannheim und Ludwigsburg<br />

Von Horst Koegler<br />

Hat sie wirklich vor ein paar Wochen bereits ihren sechzigsten<br />

Geburtstag gefeiert? Ist sie nicht doch erst neun, beziehungsweise<br />

fünf, gar erst zwei Jahre alt? Das kommt auf die Perspektive<br />

an! In Wirklichkeit scheint sie alterslos zu sein, Birgit Keil, die<br />

sich immer wieder etwas Neues einfallen lässt – sozusagen eine<br />

permanente Uplifterin ihrer selbst: Ex-Ballerina, Akademie-Professorin,<br />

Stiftungspräsidentin, Ballettdirektorin, Gala-Hostess … Und<br />

was kommt als nächstes? Wundern sollte es mich nicht, fungierte<br />

sie in naher Zukunft auch noch als Gastgeberin eines von ihr<br />

ins Leben gerufenen jährlichen Ludwigsburger, beziehungsweise<br />

Karlsruher Ballett-Balls!<br />

Mit der jetzt zum fünften Mal veranstalteten Ballett-Gala der<br />

Tanzstiftung, die seit neun Jahren ihren Namen trägt, hat Birgit<br />

Keil es geschafft, ihr Unternehmen als ein Ludwigsburger Gesellschaftsevent<br />

zu etablieren. So viel Prominenz sah man kaum<br />

je bei einem Ballettabend im Forum am Schlosspark! Und so<br />

präsentierte sie diesmal gleich zu Beginn an der Seite ihres<br />

langjährigen Förderers und Mentors Lothar Späth ihre jüngste<br />

Überraschung: ihre Kollaboration mit der Stuttgarter John-Cranko-<br />

Schule (die sie ja auch schon vorher als Stipendiatenspenderin<br />

unterstützt hat). Da staunten auch wissenskundige hiesige Ballettfreunde<br />

nicht schlecht, als der Vorhang aufging und Kohorte um<br />

Kohorte junge Tänzerinnen in Hans van Manens »Unisono« über<br />

die Bühne defilierten – so dass man schon bald sich beim Zählen<br />

verhedderte und hinterher las, dass es an die sechzig waren, die<br />

da, von den Württembergischen Philharmonikern unter der Leitung<br />

von Davor Krnjak animiert, ihr Begrüßungsritual absolvierten<br />

(sozusagen die sechzig Kerzen auf ihrer Geburtstagstorte).<br />

Und dann ging es Schlag auf Schlag – wobei auch wieder die<br />

beiden von ihr entdeckten Nachwuchschoreographen zum Zuge<br />

kamen: Thiago Bordin, inzwischen Neumeiers umschwärmter Romeo<br />

in Hamburg, und Terence Kohler, den sie wohlweislich <strong>für</strong><br />

ihre Karlsruher Kompanie mit Beschlag belegt hat. Und wieder<br />

bewährte sich ihr appetitstimulierender Mix aus Nachwuchstänzern<br />

und Stars aus Mannheim und Karlsruhe, aus Südamerika<br />

und Australien, aus Wien (Simone Noja vom Staatsopernballett),<br />

Berlin (Beatrice Knop und Raimondo Rebeck, die in Roland Petits<br />

»Lustmord« frei nach Wedekind einen Hochspannungs-Pas-dedeux<br />

höchstkarätiger Berliner Dramatik geradezu explosionsartig<br />

über die Bretter jagten) und London (Agnes Oaks und Thomas<br />

Edur, die in Wayne McGregors »2 Human« das Kunststück vollbrachten,<br />

sich als rotzfreche Punks von Johann Sebastian Bachs<br />

Gnaden zu outen). Und auch Ben van Cauwenbergh aus Wiesbaden<br />

war als Choreograph wieder vertreten, Stuttgarts Lieblings-<br />

ja, wie soll man ihn nennen »Lieblingsballettier«, seit Eric<br />

Gauthier hier sein Solo »Les Bourgeois« getanzt hat, und in dessen<br />

Edith-Piaf-inspiriertem »Je ne regrette rien« die Brasilianerin<br />

Daniela Severian an diesem Abend Furore machte.<br />

Für den Schlussknüller sorgte dann Kohler mit seinem »Intermezzo<br />

for 20« zu einem Schostakowitsch-Medley, wie es<br />

ja auch schon Christian Spuck in seiner Monstertragödie (und<br />

Neumeier in seiner »Möwe«) so elektrisierend choreographiert<br />

hat. n<br />

14 Ballett Intern 1/2005


Wo das Medium Tanz<br />

die Botschaft ist<br />

Zur Verleihung des Duisburger Musikpreises<br />

2004 an den Choreographen Hans van Manen<br />

Von Horst Koegler<br />

Dreiunddreißig Jahre sind vergangen, seit der damals knapp<br />

vierzigjährige Hans van Manen als Choreograph sein Debüt in<br />

Deutschland gegeben hat. Das war in Düsseldorf beim Ballett<br />

der Deutschen Oper am Rhein, <strong>für</strong> das er »Keep Going« zu Musik<br />

von Luciano Berio choreographiert hat – eine seiner wenigen<br />

Arbeiten, die <strong>für</strong> eine nicht-holländische Kompanie entstanden<br />

sind. Seither gehört er hierzulande zu den am häufigsten vertretenen<br />

Gastchoreographen – außer in Düsseldorf-Duisburg auch in<br />

Köln, Berlin, Stuttgart, München, Essen, Karlsruhe, Mönchengladbach<br />

und wer weiß wo sonst noch – und natürlich auch gleich<br />

nebenan, in Basel und Zürich, in Wien und in Graz. Er selbst hat<br />

sich einmal »eine deutsche Entdeckung« genannt – und in der<br />

Tat gibt es Gründe zu behaupten, dass sein Weltruhm nicht von<br />

Amsterdam oder Den Haag, sondern von hier ausgegangen ist<br />

(ähnlich wie übrigens auch im Fall von Maurice Béjart, der seinen<br />

entscheidenden internationalen Durchbruch 1957 bei den<br />

Berliner Festwochen hatte).<br />

Gérard Lemaitre, Hans van Manen und Sabine Kupferberg (Foto: Jorge Faustus)<br />

Inzwischen gehört van Manen zu den weltweit prominentesten<br />

Choreographen – und als ich jetzt sein Leben und seine<br />

Karriere noch einmal resümiert habe, habe ich es bald aufgegeben,<br />

seine Preise und Auszeichnungen zu zählen, die er in<br />

Holland und im Ausland erhalten hat – bei uns ja bereits 1993<br />

auch den Deutschen Tanzpreis und fünf Jahre später nach vielen<br />

anderen Ehrungen in Edinburgh den Tanzpreis des Kritikerzirkels,<br />

der einen besonders hübschen Namen trägt – nämlich den eines<br />

Archangel – womit er sich jetzt also zur Elite-Fraternität der<br />

Erzengel rechnen kann.<br />

Was die Preise angeht, so dürfte er wohl froh darüber sein,<br />

dass sie nicht wie im Sport mit Pokalen verbunden sind. Man versuche<br />

nur einmal, sich vorzustellen, dass er in seiner Wohnung<br />

eine Vitrine hat mit all den Silberpokalen, die ihm im Laufe der<br />

Zeit verliehen worden wären. Aber damit wären wohl auch die<br />

Fantasiebegabtesten überfordert – eine Kollektion dieser Hässlichkeits-<br />

und Kitschobjekte in seiner so ganz mit moderner Kunst<br />

eingerichteten Wohnung, die in ihrer Klarheit ein so getreuer<br />

Reflex seiner Choreographien ist – das passt einfach nicht zueinander!<br />

Dagegen passt ausgezeichnet zu ihm, dass sein jüngster, heute<br />

verliehener Preis ein Musikpreis ist – womit er sich einreiht in<br />

eine Phalanx, zu der bisher unter anderen so eminente Künstlerkollegen<br />

wie Wolfgang Rihm, Hans Werner Henze, Beat Furrer,<br />

Jürg Baur und Frank Peter Zimmermann gehören. Mit seinen Preisen<br />

sind inzwischen so viele Laudationes auf Hans van Manen<br />

gehalten worden, dass sie alle zusammen eine stattliche Anthologie<br />

ergeben würden, und die könnte ich mir weit eher vorstellen<br />

als eine Vitrine mit lauter Pokalen. Die mir aber auch ein bißchen<br />

Angst macht. Denn was soll man noch über ihn sagen, nach all<br />

diesen Lobreden und den beiden grossen Büchern über ihn von<br />

Jochen Schmidt und Eva van Schayk, was noch nicht gesagt<br />

worden ist? Immerhin ist da noch diese Nische, die sein Verhältnis<br />

zur Musik betrifft – und es ist eben dieses innige, ja existenzielle<br />

Verhältnis Hans van Manens zur Musik, das mich jedesmal<br />

von Neuem beglückt, wenn ich eins seiner Ballette sehe.<br />

Wie bei van Manen – wenn ich mich denn einmal an seine<br />

Seite stellen darf –, so ist auch mein Verhältnis zum Ballett<br />

wesentlich durch die Musik bestimmt, und die größten Glücksmomente<br />

meines Lebens ereigneten sich immer beim Erlebnis<br />

einer vollkommenen Symbiose von Musik und Choreographie.<br />

Weswegen ich auch immer Höllenqualen ausstehe, wenn ich mit<br />

unmusikalischen Choreographien konfrontiert werde. Was heute,<br />

bei dem nonchalanten Umgang so vieler Choreographen mit<br />

Musik, leider allzu oft der Fall ist. Nie indessen<br />

bei van Manen – davor bewahrt ihn sein enormer<br />

Respekt vor dem musikalischsten aller Choreographen,<br />

nämlich George Balanchine.<br />

Und so war es auch ein musikalischer Verbindungsmann,<br />

bei dem wir uns zuerst begegnet<br />

sind, damals, um die Mitte der sechziger Jahre,<br />

als ich von meiner ersten Amerika-Reise zurückgekehrt<br />

war (die meinem Freund und Kollegen<br />

Gerhard Brunner die Chance gab, mich bei der<br />

»Stuttgarter Zeitung« zu vertreten und so als erster<br />

deutschsprachiger Kritiker über van Manen zu<br />

schreiben – was mich noch heute wurmt).<br />

Zusammengeführt hat uns Manfred Gräter<br />

in Köln, Musikredakteur beim Westdeutschen<br />

Rundfunk, der dann Musikchef des Dritten Programms<br />

in Köln wurde. Gräter wurde nicht nur<br />

van Manens engster musikalischer Berater, sondern<br />

hat auch als Produzent mehrere seiner frühesten Fernsehaufzeichnungen<br />

betreut, darunter 1967 auch das legendäre »Ballett<br />

an einem Tag« – jenes abenteuerliche Unternehmen, bei dem<br />

an einem Februarmorgen im Studio des Nederlands Dans Theaters<br />

in Den Haag die Proben zu einem neuen Ballett mit der<br />

Musik von Simon and Garfunkel, den Rolling Stones und The<br />

Birds begannen, das dann am Abend des gleichen Tages unter<br />

dem Titel »Ready Made« im Königlichen Theater zur Uraufführung<br />

gelangte – Nummer 19 in seinem Werkkatalog. Es war der<br />

leider bereits 1989 verstorbene Gräter, der van Manen mit einer<br />

ganzen Reihe von Kompositionen bekannt gemacht hat, die er<br />

dann choreographiert hat – darunter auch eins seiner berühmtesten<br />

Ballette, »Adagio Hammerklavier« zu der höchst individuellen<br />

Einspielung von Christoph Eschenbach.<br />

Gräter wurde aber nicht nur sozusagen zum musikalischen<br />

Privatsekretär van Manens, sondern auch zu einem wirklichen<br />

Freund. Wie ja van Manen überhaupt über die Gabe verfügt,<br />

lebenslange Freundschaften zu stiften und zu pflegen – man<br />

Ballett Intern 1/2005 15


denke nur an Jean-Paul Vroom und seine Frau Ankie, an Gérard<br />

Lemaitre, Benno Premsela, Henk van Dijk und Keso Dekker sowie<br />

Gert Weigelt – nicht zu vergessen, Tänzerinnen und Tänzer wie<br />

Alexandra Radius, Mia Venema und Hans Ebbelaar – um nur ein<br />

paar zu nennen.<br />

Kann man van Manen seiner genuinen Musikalität wegen<br />

als legitimen Erben Balanchines bezeichnen? Ich wüsste jedenfalls<br />

keinen Kollegen seiner Generation zu nennen, der<br />

Balanchine so nahe steht. Wobei es allerdings einen entscheidenden<br />

Unterschied gibt. Balanchines musikalischer Gott hieß<br />

trotz seines ausgesprochen partnerschaftlich-kreativen Dialogs<br />

mit Strawinsky eindeutig Tschaikowsky – und wenn Balanchine<br />

die Mittel gehabt hätte, hätte er wohl mit Tschaikowskys<br />

»Dornröschen« sein Lebenswerk gekrönt. Van Manen indessen<br />

als Choreograph von Tschaikowskys »Dornröschen«? Sich das<br />

vorzustellen reicht meine an sich sehr lebhafte Fantasie nicht<br />

aus! Fast hat es den Anschein, dass Tschaikowsky der einzige<br />

Bei der Verleihung des Deutschen Tanzpreises 1993 trifft Preisträger Hans van Manen auf den Preisträger<br />

des Jahres 1992 Horst Koegler. (Foto: Charles Tandy)<br />

große Komponist von Ballettmusik ist (zu denen ich Adam,<br />

Schneitzhoeffer, Lövenskjold, Drigo und Minkus denn doch<br />

nicht rechnen möchte), um den van Manen zumindest bisher<br />

einen großen Bogen gemacht hat (eine eher parodistische<br />

Episode in seinem »Black Cake« nicht gerechnet). Was nicht<br />

heißt, dass <strong>für</strong> van Manen die Musik der Romantik generell<br />

mit einer Sperre belegt ist – siehe seine sehr schönen Ballette<br />

zu Musik von Schubert und Schumann über Mendelssohn bis<br />

zu Saint-Saëns. Wobei ich gerne zugebe, dass mich seine so<br />

ausgesprochen musiksüffigen Ballette zu Mendelssohns »Oktett«<br />

und zu dessen »Liedern ohne Worte« seinerzeit geradezu<br />

süchtig gemacht haben.<br />

Für einen Choreographen verfügt van Manen über einen ungewöhnlich<br />

katholischen musikalischen Geschmack – das Wort<br />

katholisch in seiner von den Engländern als »catholic« gern <strong>für</strong><br />

allumfassend, vielseitig, universell gebrauchten Bedeutung. Vergeblich<br />

würde man versuchen, seine Wahl von Komponisten auf<br />

einen Nenner zu bringen. Wie wäre das bei Mozart und Beethoven,<br />

bei Strawinsky, Prokofjew, Ravel, Bartók, Satie, Hindemith,<br />

Messiaen, Berio, Cage, Stockhausen und Piazzolla auch<br />

möglich – nicht zu reden von seinen gelegentlich unternommenen<br />

Exkursionen auf dem Gebiet der Pop-Musik!<br />

Dabei überrascht er immer wieder auch erfahrene Musikliebhaber<br />

durch seine Entdeckung von Kompositionen, von deren<br />

Existenz sie bisher kaum eine Ahnung hatten. Etwa von Saint-<br />

Saëns´ Septett <strong>für</strong> sein witziges »Septet extra« oder von Grazyna<br />

Bacewicz <strong>für</strong> seine »Five Short Stories«. Für die vielleicht<br />

größte Überraschung sorgte er indessen, als er sich entschloss,<br />

Beethovens »Große Fuge« mit der anschließenden Cavatina (aus<br />

Beethovens Opus 130) zu choreographieren – <strong>für</strong> Beethoven-<br />

Verehrer ein ungeheuer waghalsiges Unternehmen, das zu einem<br />

seiner größten Erfolge wurde und zusammen mit seinem<br />

»Adagio Hammerklavier« zu seinen am häufigsten von anderen<br />

Compagnien übernommenen Balletten zählt.<br />

Eins meiner Lieblingsballette von van Manen sind seine<br />

»Squares« zu Musik von Erik Satie – eben ihrer Klarheit und<br />

strukturellen Transparenz wegen. Wie er ja sich selbst einmal<br />

in einem Gespräch mit Clive Barnes charakterisiert<br />

hat: »Ich will, dass meine Arbeit klar<br />

und logisch ist – das ist es auch, was sie<br />

so mathematisch erscheinen lässt. Ich bin ein<br />

konstruktivistischer Denker.«<br />

Ein konstruktivistischer Denker: das ist er<br />

vielleicht am reinsten in den »Squares«, die<br />

nicht nur mich, sondern auch andere Kollegen<br />

dazu veranlasst haben, einen choreographischen<br />

Geistesbruder seines Landsmannes<br />

Mondrian in ihm zu sehen. In denen eine<br />

ähnliche Kühle und Abstraktion herrschen –<br />

wenn man denn bei Werken der Tanzkunst,<br />

die ja immerhin von lebenden Körpern ausgeführt<br />

werden, überhaupt von Abstraktion<br />

sprechen kann.<br />

Die gleichwohl von einer geheimen Dramatik<br />

erfüllt und mit schwelender Sinnlichkeit<br />

aufgeladen scheinen. Und auf diese Weise<br />

Geschichten erzählen, die sich nicht in Worte<br />

fassen lassen. Die man in Analogie zu<br />

Mendelssohns »Liedern ohne Worte« – nein,<br />

nicht als »Choreographien ohne Tanz« zu<br />

bezeichnen versucht ist, das gewiss ganz<br />

und gar nicht, da sie ja geradezu vor lauter<br />

Tanz zu bersten scheinen –, sondern als getanzte Stories ohne<br />

Handlung. Eher wird man sagen können, dass in seinen Balletten<br />

– und er wagt es wirklich noch, sie so zu nennen – das Medium<br />

Tanz die Botschaft ist.<br />

Im Erzählen solcher Geschichten hat es van Manen zu einer<br />

vergleichslosen Meisterschaft gebracht – indem er die Geschichten<br />

tanzen lässt, die ihm die Musik erzählt, Geschichten, die<br />

sich nicht auf dem Papier artikulieren, sondern in der tänzerischen<br />

Bewegung im Raum. Es sind musikalische Geschichten,<br />

erhört mit dem Ohr eines Choreographen und von ihm mit den<br />

Mitteln seiner Profession in jenen anderen künstlerischen Aggregatzustand<br />

versetzt, den wir Tanz nennen – als Ergebnis einer<br />

Metamorphose.<br />

Hans van Manen also als ein choreographischer Ovid der<br />

Musik? Ihn so gewissermaßen zwischen Ovid und Mondrian auf<br />

der kulturhistorischen Landkarte zu positionieren, als einen Vertreter<br />

Terpsichores an der Schwelle zweier Jahrhunderte, erscheint<br />

mir als ausreichender Grund, ihm nach seinen zahlreichen Preisen<br />

auch diesen speziell musikalisch konnotierten Duisburger Musikpreis<br />

zu verleihen! n<br />

16 Ballett Intern 1/2005


Tanzend ins<br />

nächste Jahrtausend<br />

Die Pädagogin, Schulleiterin und<br />

Choreographin Christiane Meyer-Rogge-Turner<br />

(von aller Welt „Mütze“ genannt) wird 60 Jahre<br />

Von Dagmar Fischer<br />

1944 stand die hochschwangere Lola Rogge auf einem Hamburger<br />

Bahnsteig, um sie herum fielen Bomben, sie war auf dem<br />

Weg aus der brennenden Stadt. Sie schickte ein Gebet, ein<br />

Versprechen gen Himmel: »Wenn ich dieses Inferno mit meinem<br />

Kind lebend überstehe, werde ich eine Choreographie zum<br />

Dank machen!«<br />

(Foto: Stefan Malzkorn)<br />

Mutter und Kind haben es überstanden, am 1. Dezember<br />

1944 brachte die bekannte Hamburger Tänzerin und Choreographin<br />

ihre Tochter Christiane zur Welt, die Dankes-Choreographie<br />

entstand 1950 unter dem Titel »Vita Nostra«.<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte die Laban-Schülerin<br />

Lola Rogge auch ihre 1927 gegründete Schule weiterführen, in<br />

der sie Tänzer und Tanzpädagogen ausbildete und viele Laien<br />

unterrichtete. Zum 50. Schuljubiläum 1977 gab sie die Schulleitung<br />

an ihre Tochter Christiane ab.<br />

Schule und Wohnung der Familie Meyer-Rogge waren Jahrzehnte<br />

lang im selben Haus, in der Tesdorpfstr. 13, einer Hamburger<br />

Stadtvilla. Insofern wuchsen alle vier Kinder von Lola und<br />

Hans Meyer-Rogge im musischen Umfeld auf, zumal der Vater<br />

als künstlerischer Berater und kaufmännischer Direktor in die<br />

Schule involviert war.<br />

Nach dem Abitur studierte Christiane zunächst in Tübingen<br />

Philosophie – von Tanz wollte sie wenig wissen. Zwar legte sie,<br />

auf der tänzerischen Ausbildung ihrer Kindheit aufbauend, Anfang<br />

der 1970er Jahre die Tanzpädagogenprüfung sowie die<br />

Kammertanzprüfung ab, doch zwischen 1973 und 1975 verließ<br />

sie erneut die Schule <strong>für</strong> ein Studium in Zürich und Berlin.<br />

Mitte der 1970er Jahre kehrte sie nach Hamburg und an die<br />

Schule ihrer Mutter zurück, im selben Jahr starb ihr Vater. Sie<br />

übernahm Unterrichtsstunden, die Organisation von Schulaufführungen<br />

und schließlich auch die Leitung.<br />

Die tanzpädagogische Ausbildung passte sie den veränderten<br />

Anforderungen nach und nach an: Jazztanz kommt als neues<br />

Fach hinzu, Folklore löst den Nationaltanz ab, und die theoretischen<br />

Fächer werden um Pädagogik und Methodik ergänzt.<br />

Dem von ihr unterrichteten Fach »Improvisation und Gestaltung«<br />

räumt sie einen größeren Stellenwert innerhalb der dreijährigen<br />

Ausbildung ein.<br />

Seit 1985 zeigen die Absolventen der Lola Rogge Schule<br />

alljährlich ihre Abschlusschoreographien der Öffentlichkeit in unterschiedlichen<br />

Theatern Hamburgs. Choreographien und Inszenierungen<br />

von Christiane Meyer-Rogge-Turner (seit 1979 mit dem<br />

britischen Journalisten Peter Turner verheiratet) sind regelmäßig<br />

auf Hamburger Bühnen und vor allem an alternativen Spielorten<br />

zu sehen, das 75-jährige Bestehen der Schule wurde 2002 mit<br />

einer großen Open-Air Vorstellung begangen.<br />

Am 1. Dezember 2004 »feierte« Christiane Meyer-Rogge-Turner<br />

ihren 60. Geburtstag – im Hamburger Wahrzeichen, der<br />

St. Michaelis Kirche. Als Auftragswerk zeigte sie innerhalb eines<br />

Konzertsabends einen Dunkel- und Lichttanz zu Sätzen aus Edvard<br />

Griegs »Aus Holbergs Zeit«, getanzt von Schülern, Lehrern<br />

und Absolventen der Lola Rogge Schule.<br />

War es zu Zeiten des Ausdruckstanzes vor allem die »Tänzerische<br />

Gymnastik«, die Hamburger Bürger in die Lola Rogge Schule<br />

lockte, so gehört heute aus New York importierter HipHop<br />

ebenso zum Angebot wie das Pilates-Training.<br />

Veränderungen wird es auch in Zukunft geben: Drei Jahre<br />

lang war die Lola Rogge Schule Trägerin des von der Hamburger<br />

Schulbehörde und der EU geförderten Pilotprojekts »Year<br />

of Performance«, der einjährigen Zusatzqualifikation im Bereich<br />

Tanz und Schauspiel; YOP wird ab 2005 mit neuem Träger unter<br />

gleicher Leitung in Hamburg fortgeführt. Aber das nächste Projekt<br />

der Lola Rogge Schule ist bereits in Planung: »T-an-S«, Tanz an<br />

Schulen, ist eine berufsbegleitende Weiterbildung und wird in<br />

diesem Jahr starten. n<br />

Christiane Meyer-Rogge-Turner, Hamburg, im August 2002:<br />

»Wir dürfen nicht vergessen, dass wir in ein völlig neues Jahrtausend<br />

gehen, vor allem im Hinblick auf das zukünftige Europa<br />

. Wir sollten jetzt einen gemeinsamen Nenner finden in der<br />

Laientanzpädagogik, <strong>für</strong> die Ausbildung<br />

ebenso wie <strong>für</strong> die Anwendung im Laientanzbereich<br />

. Es geht auch darum,<br />

dass wir Formen finden, wie wir unsere<br />

Arbeit aus den verschiedenen europäischen<br />

Staaten gegenseitig anerkennen<br />

können . Der Nenner kann ja großzügig<br />

sein, aber es müssen ähnliche Kriterien<br />

berücksichtigt werden . Nichts sollte zentralistisch<br />

festgelegt werden, aber man<br />

müsste sicher sein können, dass bestimm-<br />

(Foto: Cathy Santos)<br />

te Grundlagen übereinstimmen .«<br />

Ballett Intern 1/2005 17


Ein junger 80-Jähriger<br />

Bob Curtis – tanzender, malender Cosmopolit<br />

Von Dagmar Fischer<br />

Mississippi 1925, ein Haus ohne Adresse, »in the middle of<br />

nowhere«, bewohnt von einer kinderreichen, schwarzen Bauernfam<br />

ilie. Hier wird am 1. September Robert Curtis geboren, dessen<br />

Leben der Tanz bestimmen soll – obwohl 1925 in Mississippi<br />

niemand wusste, was Tanz eigentlich ist.<br />

Ein älterer Bruder macht sich irgendwann auf nach San Francisco<br />

– das bedeutete eine Anlaufstelle in der Stadt, einer anderen<br />

Welt. Dorthin folgt ihm der 17-jährige Robert, genannt Bob,<br />

im Jahr 1943; doch es ist Krieg, drei Jahre Kriegsdienst bei der<br />

Marine in Alaska müssen zunächst absolviert werden.<br />

Zurück in »Frisco«, beginnt Bob 1946 Bildende Kunst an der<br />

San Francisco State University zu studieren, die Malerei fasziniert<br />

ihn. Mehr aus Neugier, und weil man ihn ständig fragt, ob er<br />

denn Tänzer sei, nimmt er Unterricht an der San Francisco Ballet<br />

School. Allerdings nur einmal pro Woche, zusammen mit vielen<br />

Ex-Soldaten, die das Training eher als eine Art Rehabilitation ansehen.<br />

Kurze Zeit später bietet der Schuldirektor ihm an, täglich<br />

zu trainieren, aber nicht zusätzlich bezahlen zu müssen! Bob<br />

sieht sich eigentlich als »not a natural talent«, nimmt das Angebot<br />

aber trotzdem an.<br />

1947 macht das Sadler’s Wells Ballet auf Welttournee in San<br />

Francisco Halt, hochgewachsene Männer <strong>für</strong> Statistenrollen in<br />

Swan Lake, Sleeping Beauty und Cinderella werden gesucht –<br />

Bob Curtis ist einer von ihnen. Gemeinsam mit Margot Fonteyn,<br />

Robert Helpman, Moira Shearer und Frederick Ashton „steht“<br />

er auf der Bühne und feiert Partys nach den Vorstellungen; er<br />

bekommt zwei Dollar pro Tag.<br />

Als Tänzer wird Bob Curtis dann 1949 von der »Salt Lake City<br />

University Operette Company« engagiert, Hoffmanns Erzählungen<br />

und Die Lustige Witwe in Open Air Aufführungen bestimmen<br />

seinen Alltag.<br />

Auf Vermittlung seines Lehrers Lew Christenson erhält Curtis<br />

noch im gleichen Jahr ein Stipendium an Balanchines »American<br />

Ballet School« in New York. Obwohl der emigrierte Russe<br />

Vorbehalte gegen Farbige im Klassischen Tanz hatte (»classical<br />

dancers should not be darker than a pealed apple«), kam Curtis<br />

in den Genuss, von jenen berühmten Lehrern unterrichtet zu<br />

werden, die aus Russland in die USA geflohen waren. Einmal<br />

in New York, nahm er ebenfalls Unterricht an der Metropolitan<br />

Ballet School, bei Martha Graham sowie an der Primitive Ethnic<br />

Dance School.<br />

Als schwarzer Tänzer sollte man mehr über »Black Dance«<br />

wissen, dachte er sich, und so schloss sich Bob Curtis 1949 auch<br />

Katherine Dunham an, tanzte in ihrer »Experimental Group« und<br />

erhielt von ihr ein weiteres Stipendium. Voraussetzung da<strong>für</strong> war,<br />

als Gegenleistung bestimmte Jobs zu übernehmen; da der Rest<br />

des Tages jedoch mit den Unterrichtsstunden an all’ den anderen<br />

Schulen ausgefüllt war, blieb Curtis nur die Möglichkeit, einem<br />

Ballettlehrer am Wochenende zu assistieren – so sammelte Bob<br />

Curtis seine ersten Erfahrungen im Unterrichten.<br />

Katherine Dunham begleitete er auch nach Haiti, Mexiko und<br />

Kuba, wo sie den ursprünglichen afrikanischen Tanz, auch inner-<br />

halb von Voodoo Zeremonien, erforschte. Doch letzten Endes<br />

war sie mehr an der Religion, Curtis aber an den unterschiedlichen<br />

Tänzen interessiert. 1952 schloss er sich der »José Limon<br />

Dance Company« an, um nicht »the sense of a professional dancer«<br />

zu verlieren.<br />

Diese hoffnungsvolle Laufbahn wurde 1954 durch einen Autounfall<br />

jäh unterbrochen, nach dem zunächst unklar war, ob er je<br />

wieder gehen können würde.<br />

Er konnte, und er ging, nicht wieder zurück zu Limon, sondern<br />

nach Europa.<br />

1955 trainierte er im berühmten Wacker Studio in Paris, nahm<br />

an einer Audition von Roland Petit teil, bestand – und lehnte dankend<br />

ab! Sein Ziel damals war ein nicht näher zu bestimmendes<br />

»Dolce Vita« in Italien. Es folgte eine Zeit der Shows, der Tingelei<br />

durch Hotels und Nachtclubs zwischen Monte Carlo und Portugal,<br />

in der das »Manhattan Trio« mit dem großen, dunkelhäutigen<br />

Mann und zwei blonden Mädchen äußerst erfolgreich unterwegs<br />

war. Bis der Gedanke kam, »it’s really going nowhere«,<br />

und sich Bob Curtis in Rom niederließ. Er arbeitete <strong>für</strong>s Fernsehen,<br />

in der Modebranche, wirkte in Filmen und Musicals mit.<br />

Schließlich wurde er (doch noch) Italiens Modern Dance Pionier:<br />

1968 gründete er zusammen mit Elsa Piperno die erste<br />

zeitgenössische Company in Italien, 1972 eröffneten beide die<br />

dazugehörige Schule in Rom. Als ein persönlicher Konflikt die<br />

Zusammenarbeit der beiden und sowohl die Schule als auch die<br />

Company zerstörte, ging Bob Curtis wieder nach New York, um<br />

an der Schule von Arthur Mitchell zu unterrichten, der Direktor<br />

des »Dance Theatre of Harlem« geworden war. Aber dort hielt er<br />

es nur zwei Jahre aus, »I couldn’t relate to New York anymore«.<br />

Zurück in Rom 1977, verkaufte er viele private Dinge von Wert,<br />

um noch einmal vor vorne anzufangen: Die »Compagnia Afro<br />

Danza« wurde gegründet, und mit finanzieller Unterstützung der<br />

italienischen Regierung bestand sie 18 erfolgreiche Jahre lang.<br />

Auf Italien folgte bislang nur noch Österreich und eine erstaunliche,<br />

neue Karriere als Pädagoge. Bob Curtis unterrichtete ab<br />

1994 am Bruckner Konservatorium in Linz, seit 1999 an der Ballettschule<br />

der Wiener Oper und an vielen weiteren kaum noch<br />

zu zählenden Institutionen, Schulen und auf Festivals in Europa,<br />

den USA und Russland.<br />

Seit 1994 lebt Bob Curtis in Wien, das er als angenehme<br />

Stadt <strong>für</strong> »elder people« empfindet. Älter? Bob Curtis ist der<br />

18 Ballett Intern 1/2005<br />

(Foto: Alberto Muciaccia)


jüngste 80-Jährige, den man sich vorstellen kann. Wenn man<br />

ihn tanzen sieht, bekommt man eine Ahnung, wie Tanz in den<br />

Anfängen, am Ursprung der Menschheit, vielleicht ausgesehen<br />

haben könnte: Beseelt, streng, schlicht, in sich ruhend.<br />

Bob Curtis nennt seinen Unterricht »Afro Contemporary« – nur<br />

auf den ersten Blick ein Gegensatzpaar, bei dem Afro in die Vergangenheit<br />

weist, das Zeitgenössische im Heute angekommen<br />

ist. Was er vermittelt, ist so etwas wie die Grundlagentechnik<br />

aller Tanzstile, die Basis <strong>für</strong> einen Körper, der sich differenziert<br />

bewegen will.<br />

In seinem außergewöhnlichen Leben hat Bob Curtis eine<br />

Menge sehr unterschiedlicher Erfahrungen gemacht. Je mehr sich<br />

angesammelt hat, je mehr er lernte, desto einfacher, schlichter,<br />

existenzieller wird sein Tanz, so scheint es. Von allem überflüssigem<br />

Blendwerk befreit, ist er bei den »Basics« angelangt.<br />

Jugendliche, die im Alter seine Urenkel sein könnten, reagieren<br />

mitunter leicht irritiert auf seine Erscheinung: Er ist kein Entertainer,<br />

macht keinen Wirbel um seine Person, spricht freundlich und<br />

direkt mit seinen Schülern, aber entlarvt gewollte Künstlichkeit<br />

unmittelbar als lächerliche Fassade. Das sind <strong>für</strong> Einige durchaus<br />

ungewohnte Qualitäten – im Vergleich zum medienpräsenten<br />

Umfeld, in dem Jugendliche heute oft aufwachsen. Doch wenn<br />

es darum geht, zukünftige Künstler zu unterweisen, ist sein Anspruch<br />

hoch: »Artists are special people, and if you’re not saying<br />

something special, you’re not an artist.« Auch zur viel diskutierten<br />

Notwendigkeit von mehr oder weniger Technik im Tanz hat er<br />

eine klare Haltung: Jeder Tänzer muss über so viel Technik verfügen,<br />

dass er sie vergessen kann, »when you got it techniqually<br />

right, you go beyond, to be free«.<br />

Bob Curtis wird in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag feiern<br />

können. Er hat sein Unterrichtspensum reduziert, um sich seiner<br />

anderen Leidenschaft wieder mehr widmen zu können, der Malerei.<br />

Zurückgehen, neu beginnen – das müssten, wenn man<br />

seinen abenteuerlichen Lebensweg anschaut, vertraute Größen<br />

sein. Doch der Maler Bob Curtis geht im Grunde zurück zu der<br />

Zeit vor dem Tanz, als er sich als Student der Malerei an der<br />

Universität San Francisco einschrieb. Es scheint, die Zeit ist reif <strong>für</strong><br />

die nächste Phase: das Leben als Bildender Künstler. n<br />

Anm .: Alle durch Anführungszeichen »gekennzeichneten Textstellen«<br />

sind Zitate von Bob Curtis, die bewusst im englischen Original<br />

belassen wurde .<br />

(Foto: Lea Fischer)<br />

»Daphne-Preis« an<br />

Polina Semionova<br />

Von Jenny J. Veldhuis<br />

Nach einer wunderschönen Vorstellung von »Die Bayadère« in<br />

der Berliner Staatsoper am 10. Januar 2005 erhielt Polina Semionova<br />

den »Daphne-Preis«. Die 20-jährige Tänzerin wurde 2002<br />

direkt nach ihrer Ausbildung an der Moskauer Bolschoi Ballett-<br />

Schule als Erste Solistin von Vladimir Malakhov <strong>für</strong> das heutige<br />

Staatsballett Berlin engagiert und tanzte bislang schon bedeutende<br />

Rollen. Nicht nur Intendant Vladimir Malakhov wurde auf<br />

Nach der Verleihung des »Daphne-Preises« gibt Polina Semionowa strahlend<br />

Autogramme. (Foto: gezett.de)<br />

ihre außerordentliche<br />

Begabung aufmerksam,<br />

auch das Berliner<br />

Publikum und die<br />

Theatergemeinde Berlin/Brandenburgerkannten,<br />

dass da eine<br />

besondere Tänzerin<br />

in die Hauptstadt gekommen<br />

war.<br />

Seit 1976 wird der<br />

»Daphne-Preis« in unregelmäßiger<br />

Folge von<br />

der Theatergemeinde<br />

Berlin e.V. <strong>für</strong> herausragende<br />

künstlerische<br />

Leistungen vergeben.<br />

Der Verein zählt heute<br />

15.000 Mitglieder.<br />

Seit der Gründung ermöglicht<br />

der Vorstand<br />

nicht nur günstige The-<br />

Der Weltstar Vladimir Malakhov ist Polina Semionowas<br />

Partner am Staatsballett in Berlin.<br />

Ballett Intern 1/2005 19<br />

(Foto: Staatstheater Berlin)


aterbesuche, sondern arbeitet auch im Bereich Nachwuchsförderung.<br />

Preisträger waren in der Vergangenheit z.B. Heribert Sasse<br />

(1976), Rainer Behrend (1979), Sabine Sinjen (1989), Michael<br />

Rissmann (1998) und Gun-Brit Barkmin (2002). Der Preis besteht<br />

aus einer von dem Bildhauer Karl-Heinz Krause geschaffenen<br />

Skulptur.<br />

Bis 2002 entschied der Vorsitzende der Theatergemeinde<br />

über die Preisträger, seither wird auch das Publikum miteinbezogen;<br />

Leser der Berliner Tageszeitung »Der Tagespiegel« nominierten<br />

ebenfalls den Preisträger – in diesem Jahr mit großer<br />

Mehrheit Polina Semionova.<br />

»Die Bayadére« in Berlin ist eine stilgetreue Version des Balletts,<br />

sehr musikalisch getanzt und anschaulich erzählt. Man hätte<br />

sich kaum einen besseren Rahmen <strong>für</strong> die Ehrung wünschen können:<br />

Vor der märchenhaften Kulisse im ausverkauften Opernhaus<br />

nahm Polina Semionova den Preis entgegen. Die Tänzerin zeigte<br />

mit ihren Worten des Dankes, dass sie nicht nur mit dem Körper,<br />

sondern auch verbal ihre Gefühle ausdrücken kann. n<br />

Hawaiianischer Tanz<br />

Ihre Anhängerschaft wächst und nach jedem Seminar werden<br />

es einige mehr. In Hamburg fand am 6. und 7. sowie am 14.<br />

November erneut ein Kurs »Hawaiianischer Tanz« mit der charismatischen<br />

Dozentin Kaleiula Kaneao statt, die Tänze aus ihrer<br />

Heimat vermittelt. Begleitet von ihrem Mann und drei ihrer Kinder,<br />

brachte sie einmal mehr Südsee-Atmospähre nach Norddeutschland.<br />

Eine strahlende Kaleiula<br />

und ihre singende Stimme,<br />

ein einfaches Instrument,<br />

das ganz regelmäßig auf<br />

den Boden gestampft und<br />

geschlagen wird – mehr<br />

braucht es nicht, um die<br />

Teilnehmer in die passende<br />

Stimmung zu versetzen.<br />

Raumrichtungen, Schrittkombinationen<br />

und fließende<br />

Armbewegungen sowie<br />

die weichen, binnenkörperlichen<br />

Bewegungen sind nicht wirklich komplex, aber benötigen<br />

in ihrer Kleinteiligkeit eine enorme Präzision. Eine Gemüsepflanze,<br />

Kalo genannt, der Kartoffel nicht unähnlich, ist <strong>für</strong> die Ernährung<br />

der Inselbewohner von großer Bedeutung. Grund genug,<br />

ihr und dem lebensspendenden Süßwasser Lied und Tanz zu<br />

widmen, bei dem die Tanzenden Bewegungen des fließenden<br />

Wassers und des herabfallenden Wasserfalls nachahmen. Aber<br />

auch die schlichte Schönheit einer Blume, ihr Duft, sind Anlass <strong>für</strong><br />

ein weiteres Tanzlied. Kein Ding in der Natur scheint zu gering,<br />

als dass man nicht seine schlichte Schönheit besingen und »betanzen«<br />

könnte. In dieser erdverbundenen Selbstverständlichkeit<br />

wurzelt die Kultur der Hawaiianer. Hamburg war eine Station auf<br />

einer Tournee, die Kaleiula und ihre Gruppe auch in andere Teile<br />

Deutschlands führte.<br />

Dagmar Fischer<br />

Wenn Mädchen und (zum Glück ja<br />

auch einige) Jungen erst einmal Blut<br />

geleckt haben, also vom Tanzvirus<br />

infiziert wurden und regelmäßig Unterricht<br />

nehmen, interessieren sich<br />

viele von ihnen auch bald <strong>für</strong> »Ballettgeschichten«.<br />

Unter diesem Titel<br />

ist ein gar nicht mal neues, aber<br />

in seiner Art einzigartiges Buch<br />

erschienen, das einerseits reichlich<br />

Bildmaterial zeigt, um die Fantasie<br />

anzuregen, andererseits angemessen<br />

und maßvoll Textpassagen<br />

einbaut, um Leseanfänger nicht zu verschrecken. Nachschlagen<br />

kann man zum Beispiel die gängigsten französischen Worte jenes<br />

Vokabulars, das die Tanzpädagogin sicher hin und wieder<br />

benutzt – oder wer weiß schon auf Anhieb, was eine Batterie<br />

Suche gut eingeführtes<br />

Ballett-/Tanzstudio<br />

im Raum Hamburg/Lübeck zur Übernahme.<br />

Antworten an den Deutschen <strong>Berufsverband</strong> <strong>für</strong> Tanzpädagogik,<br />

Hollestraße 1, 45127 Essen unter Chiffré: 2005-01-01<br />

AUFNAHMEPRÜFUNG 2005<br />

Hochschule <strong>für</strong> Musik und Darstellende Kunst Frankfurt<br />

SAMSTAG 12. MÄRZ<br />

SAMSTAG 07. MAI<br />

.<br />

jeweils 13 Uhr .<br />

Ausbildungsbereich Zeitgenössischer<br />

und Klassischen Tanz .<br />

Berufsqualifi zierende Ausbildung mit<br />

Diplom zur Bühnentänzerin und zum Bühnentänzer .<br />

Kooperation mit The Forsythe Company<br />

Honorarprofessor William Forsythe .<br />

Masterclasses und Projektarbeit mit internationalen GastdozentInnen und<br />

GastchoreographInnen<br />

Anmeldung<br />

Studiensekretariat<br />

Eschersheimer Landstr. 29-39<br />

60322 Frankfurt<br />

Telefon 069 154 007 330/331<br />

Information<br />

069 154 007 146<br />

www.hfmdk-frankfurt.de<br />

zukt-fb3@hfmdk-frankfurt.de<br />

20 Ballett Intern 1/2005


im Ballett bedeutet? Aber vor allen Dingen kann man (Ballett-)<br />

Geschichten lesen: Wie wird wohl das bekannte Märchen von<br />

»Dornröschen« getanzt? Und wer sind eigentlich diese Wilis, die<br />

in »Giselle« auftauchen? Dass »Coppélia« von einer Puppe handelt,<br />

ist vielleicht bekannt, aber tanzt diese Rolle denn trotzdem<br />

ein Mensch? Und auch zu den beiden Klassikern »Schwanensee«<br />

und »Der Nussknacker« werden Fragen beantwortet, die<br />

vor oder nach dem Besuch einer solchen Aufführung bei jungen<br />

Zuschauern auftauchen könnten. Diese fünf bekannten Ballette<br />

bieten Anlass genug, die Grundlagen dieser Bühnenkunst zu erläutern,<br />

anschaulich und kindgerecht, zwar mit Vereinfachungen,<br />

aber ohne unangemessene Anbiederung. Reizvoll dabei ist die<br />

Kombination aus gezeichneten Illustrationen und Fotos bzw. alten<br />

Abbildungen, die berühmte Tänzerinnen in den jeweils besprochenen<br />

Rollen zeigen: Carlotta Grisi schwebt als Giselle über<br />

den Friedhof, Sylvie Guillem wird als Odette in perfekter Arabesque<br />

abgebildet, und Anna Pawlowa ist natürlich als (sterbender)<br />

Schwan zu sehen. Dagmar Fischer<br />

Barbara Newman, Gill Tomblin: »Das illustrierte Buch der Ballettgeschichten«<br />

mit Musik-CD, Carl Ueberreuter Verlag, Wien<br />

1998, 64 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 3-8000-1503-X<br />

Shakespeare, Goethe – nichts <strong>für</strong><br />

Kinder? Und ob. »Weltliteratur<br />

<strong>für</strong> Kinder« heißt eine Reihe des<br />

Berliner Kindermann Verlags, die<br />

große Worte aus langen, anspruchsvollen<br />

Werken auf ein<br />

überschaubares und leicht verständliches<br />

Maß bringt und dabei<br />

sogar Original-Töne als Zitate<br />

einfügt, wenn’s gerade passt.<br />

Diese sind durch kursive Schrift<br />

als O-Text gekennzeichnet, ansonsten<br />

werden die Geschichten<br />

von Faust oder Romeo und Julia<br />

einfach nacherzählt, in einer heutigen,<br />

doch dem Werk angemessenen<br />

differenzierten Sprache. Fantasievolle Illustrationen helfen<br />

zusätzlich, sich ein Bild von Gretchen oder dem Treiben in Verona<br />

zu machen. Nach dem (Vor)Lesen der unglücklichen Liebesgeschichte<br />

aus der italienischen Renaissance sind beispielsweise<br />

schon Achtjährige bestens vorbereitet, sei es auf ein Ballett oder<br />

eine Schauspiel-Inszenierung. Angeregt wurde Barbara Kindermann<br />

zu dieser Reihe durch das Interesse ihres eigenen Sohnes<br />

an solcher Literatur, aber natürlich kann man Grundschulkindern<br />

weder »Wilhelm Tell« noch »Den Götz von Berlichingen« in die<br />

Hand drücken oder vorlesen. Damit aber die Neugier gestillt<br />

werden könne, schrieb sie einen Goethe-Klassiker kurzerhand<br />

um. Mit diesem Erstling hatte sie so viel Erfolg, dass eine ganze<br />

Reihe aus dieser Idee entstand – inzwischen nicht mehr nur nach<br />

den Vorlieben der eigenen Familienmitglieder! Für jedes Buch<br />

sucht sie sich renommierte Illustratoren, und die liebevoll ausgestatteten<br />

Bände füllen offensichtlich ein große (Markt-)Lücke. Es<br />

soll sogar Erwachsene geben, die sich durch die Lektüre dieser<br />

großformatigen Bilderbücher dem Weltliteratur-Erbe nähern …<br />

was kann einer Buchreihe Besseres passieren, als weit über die<br />

Zielgruppe hinaus zu wirken. Dagmar Fischer<br />

Weltliteratur <strong>für</strong> Kinder – neu erzählt von Barbara Kindermann,<br />

Kindermann Verlag Berlin 2004, z. B. »Romeo und Julia«, »Der<br />

Götz von Berlichingen« u.a.m., je 15,50 Euro<br />

Zwanzig Jahre Ballettsommer Bozen:<br />

Was 1985 bescheiden begann,<br />

hat sich im Lauf der Jahre zu<br />

einer international angesehenen<br />

Veranstaltung der Tanzszene entwickelt:<br />

Der Ballettsommer Bozen<br />

/ Bolzano Danza bietet neben niveauvollen<br />

Abendveranstaltungen<br />

auch ein attraktives Kursangebot<br />

und zieht dadurch viele Tanzbegeisterte<br />

an. Diese Festschrift<br />

zeichnet die Entwicklung der Veranstaltung<br />

nach und ortet deren<br />

Stellenwert im lokalen und internationalen Kontext. Renommierte<br />

Tanzcompagnien, Choreographen, Dozenten und Musiker haben<br />

beim Ballettsommer mitgewirkt; sie alle werden in einer umfassenden<br />

Chronik erfasst. Zahlreiche großformatige, stimmungsvolle<br />

Bilder veranschaulichen die Höhepunkte der vergangenen<br />

20 Jahre. Sie zeigen die Vielfalt des Angebots und geben einen<br />

Einblick in die unverwechselbare Atmosphäre, die während des<br />

Ballettsommers herrscht.<br />

Tanz in Bozen / Bolzano Danza 20 Jahre,1985–2004, hrsg .<br />

von der Autonomen Provinz Bozen, Südtirol, 128 S., Großformat,<br />

großzügig mit farbigen und Duotone-Bildern illustriert, Folio-Verlag<br />

2004, 20,00 Euro<br />

Was wird eigentlich aus Balletttänzern,<br />

wenn sie endgültig von<br />

der Bühne abgehen, wenn der<br />

letzte Vorhang <strong>für</strong> sie fällt? Tanzende<br />

führen ein Leben im Rampenlicht.<br />

Sie geben viel, wenn<br />

nicht alles, auf den Brettern, die<br />

ihnen tatsächlich die Welt bedeuten.<br />

Im Ballett sind Beruf und<br />

Berufung eines; Leidenschaft und<br />

Leiden liegen oft nahe beieinander.<br />

Für die meisten Tanzenden ist<br />

mit dreißig, fünfunddreißig Jahren<br />

die Uhr abgelaufen. Sie verschwinden<br />

aus dem Blickfeld. Man sieht und hört nichts mehr von<br />

ihnen – sie sind wie vom Erdboden verschluckt.<br />

Dieses Buch geht ihren Schicksalen nach. Maja Landsdorff<br />

hat ehemalige Tänzer interviewt und ihre Lebenswege nachgezeichnet,<br />

vom ersten Ballettschritt bis zum Leben nach dem Tanz.<br />

Die Lebensbilder zeigen, was sie geprägt, was sie bewegt, was<br />

sie beeinflusst hat. Und die Porträts lassen keinen Zweifel daran,<br />

dass Tanzende besondere Menschen sind – auch wenn sie nicht<br />

mehr tanzen. Denn zum Tänzer kann man nicht werden; zum<br />

Tänzer wird man geboren.<br />

Maja Langsdorff: Ballett – und dann? Lebensbilder von Tänzern,<br />

die nicht mehr tanzen. 290 S., broschiert, 19,80 Euro<br />

Ballett Intern 1/2005 21


U4<br />

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