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Hase Hase - Gotter, Lutz

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Widerstand<br />

Aus ein Gespräch mit der indischen Schriftstellerin und Aktivistin<br />

Arundhati Roy<br />

Arundhati Roy: Ich will mich ein wenig zurückziehen aus der<br />

Öffentlichkeit. Schon seit zehn Jahren führe ich all diese Kämpfe…<br />

ZEIT: …gegen den Narmada-Staudamm, die globale Marktliberalisierung,<br />

den Irak-Krieg…<br />

Roy: Wie die Welt in alle ruhigen Räume meines Lebens vorgedrungen<br />

ist, das hat auch schmerzliche persönliche Verluste bedeutet.<br />

Ich war zudem ständig unterwegs oder vergraben in Studien,<br />

Statistiken, Gerichtsakten. Man ist ja zu äußerster Genauigkeit gezwungen,<br />

wenn man sich mit den Mächtigen anlegt. Bei jedem Text<br />

habe ich wie auf Kohlen gesessen aus Angst vor sachlichen Fehlern.<br />

Jetzt ist es an der Zeit, mich aus dem Fakten-Gefängnis zu befreien.<br />

Es gibt eine Wahrheit jenseits der Statistiken und Daten. Nach ihr<br />

will ich suchen. (…)<br />

ZEIT: Den 11. September 2001 haben Sie – was unter dem Eindruck<br />

der Ereignisse damals viele provoziert hat – als Reaktion auf amerikanische<br />

Gewalt analysiert. Was dachten Sie, als Sie fünf Jahre<br />

später von den vereitelten Terroranschlägen in London und auch in<br />

Deutschland hörten?<br />

Roy: Mich friert. Die Welt ist im Krieg, und das Leiden kann wahllos<br />

jeden erwischen; kein noch so großes Maß an Sicherheit und<br />

Überwachung wird uns mehr schützen. (…)<br />

ZEIT: Aber wie politisch ist tatsächlich dieser Terrorismus – und<br />

wie sehr kriminelle Vereinigung?<br />

Roy: Wenn wir den Terrorismus von seinen politischen und historischen<br />

Wurzeln trennen, wird uns die Gewalt verschlingen. In<br />

einem Konflikt, ob zwischen Ländern, Religionen oder auch nur<br />

Freunden oder Ehepartnern, kann man es sich immer leicht machen,<br />

indem man den anderen für durchgedreht oder monströs erklärt<br />

– weil man sich dann selbst nicht mehr infrage stellen muss.<br />

Dabei wissen wir, dass legitime Regierungen mit so genannten legitimen<br />

Bomben Verbrechen weit größeren Ausmaßes begangen haben<br />

als die Terroristen. Und wir waren sehr erfolglos bei dem Versuch,<br />

sie davon abzuhalten. (…)<br />

ZEIT: Beim Sardar-Sarovar-Stausee am Narmada-Fluss haben Sie<br />

über viele Jahre die Widerstandsbewegung unterstützt. Trotz eines<br />

Hungerstreiks und Protesten in diesem Frühjahr wird jetzt weitergebaut.<br />

Roy: Ja, den Kampf haben wir verloren. Bei der Entschädigung der<br />

Menschen, die dort leben, wurde nicht einmal der Grundsatz »Land<br />

für Land« eingehalten. (…) Am Ende müssen diese armseligen Landlosen,<br />

die alles verloren haben, ihre Kultur, ihre Tradition, ihre ganze<br />

Lebensweise, unter den Brücken leben, und ihre Kinder betteln an<br />

den Ampeln. Anders als in Südamerika fügen sie sich weitgehend in<br />

dieses Schicksal. Die indische Mischung aus Neoliberalismus und<br />

Feudalismus ist besonders grauenvoll. (…)<br />

ZEIT: Die Bauern sind aber auch schon vor der Liberalisierung der<br />

Märkte in die Städte geflohen. Ist Ihre Beschwörung der Subsistenz-<br />

Landwirtschaft nicht doch anachronistisch?<br />

Roy: Ich bin die Letzte, die in der traditionellen Lebensweise verhaftet<br />

wäre. Wir sind es doch, die Internationalismus und globalen<br />

Austausch wollen – auch der Ideen für Entwicklung. Wir sollten nur<br />

nicht wie die gängigen Ökonomen den Fehler machen, solche Fragen<br />

mit einer einzigen, feststehenden Vorstellung zu beantworten. In den<br />

verschiedenen Ökosystemen müssen ganz unterschiedliche Lösungen<br />

gefunden werden. Was immer geplant wird, hat eine Alternative;<br />

jede politische Entscheidung hätte anders gefällt werden können.<br />

Am Ende ist sie eine Funktion der Machtstrukturen. Das Problem in<br />

Indien ist, dass die verarmten indischen Bauern keinen Einfluss haben.<br />

Es ist höchste Zeit, dass sich eine ernsthafte Opposition aufbaut.<br />

ZEIT: Auf wen setzen Sie? Auf Nichtregierungsorganisationen?<br />

Roy: Sie haben in Europa eine andere Rolle als in Entwicklungsländern.<br />

Besonders in Konfliktregionen können sie meist nur arbeiten,<br />

wenn die Regierung sie toleriert. So werden sie zu mächtigen Verhandlungskünstlern,<br />

eine Klasse von Interpreten, aus dem Widerstand<br />

ist am Ende der Dampf raus, und alles endet in Wohltätigkeit<br />

und Entmündigung. Nein – ich habe im Moment keine Antwort.<br />

Auch das ist einer der Gründe für meinen Rückzug. Ich möchte zum<br />

Beispiel verstehen, warum wir beim Narmada-Staudamm gescheitert<br />

sind; warum nach all den Demonstrationen, Hungerstreiks,<br />

Gerichtsverfahren der gewaltlose Widerstand genauso brutal beantwortet<br />

wurde wie anderswo Gewalt. Haben wir zu sehr auf den<br />

Rechtsstaat vertraut? (…)<br />

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