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Hase Hase - Gotter, Lutz

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Fernsehen<br />

Das Grundprinzip von Zauberern besteht darin, die Aufmerksamkeit<br />

auf etwas anderes zu lenken als auf das, was sie gerade tun. Die<br />

symbolische Aktion des Fernsehens besteht darin, die Aufmerksamkeit<br />

auf Dinge zu lenken, die alle Welt interessieren. Omnibus-Meldungen<br />

sind solche, die, wie es heißt, niemanden schockieren dürfen,<br />

bei denen es um nichts geht, die nicht spalten, die Konsens herstellen,<br />

die alle interessieren, aber so, dass sie nichts Wichtiges berühren. Die<br />

»Vermischte Meldung« stellt jenen Grundbaustein der Nachrichten<br />

dar, der sehr wichtig, weil für alle von Interesse ist, ohne zu irgendwelchen<br />

Konsequenzen Anlass zu geben, und der Zeit beansprucht,<br />

Zeit, die dazu verwendet werden könnte, über andere Dinge zu sprechen.<br />

Zeit aber ist im Fernsehen ein äußerst knappes Gut. Und wenn<br />

wertvolle Minuten verschleudert werden, um derart Unwichtiges zu<br />

sagen, so deswegen, weil diese unwichtigen Dinge in Wirklichkeit<br />

sehr wichtig sind, und zwar insofern, als sie Wichtiges verbergen.<br />

Das Fernsehen hat eine Art faktisches Monopol bei der Bildung der<br />

Hirne eines Großteils der Menschen. Legt das Fernsehen den Akzent<br />

auf die »Vermischten Meldungen«, so füllt es die Zeit mit Leere, mit<br />

nichts oder fast nichts, und klammert relevante Informationen aus,<br />

über die der Staatsbürger zur Wahrnehmung seiner demokratischen<br />

Rechte verfügen sollte.<br />

Das Fernsehen verlangt die Dramatisierung, und zwar im doppelten<br />

Sinn: Es setzt ein Ereignis in Bilder um, und es übertreibt seine<br />

Bedeutung, seinen Stellenwert, seinen dramatischen, tragischen<br />

Charakter.<br />

Die »Gemeinplätze«, die im alltäglichen Gespräch eine enorme Rolle<br />

spielen, haben den Vorteil, dass jedermann sie aufnimmt und augenblicklich<br />

versteht: Aufgrund ihrer Banalität sind sie dem Sender wie<br />

dem Empfänger gemeinsam. Im Gegensatz dazu ist Denken von<br />

vornherein subversiv: Es muss damit beginnen, die Gemeinplätze<br />

zu demontieren.<br />

Pierre Bourdieu<br />

Familie<br />

Durch ihr pures Vorhandensein vernetzen Kinder eine Vielzahl<br />

vormals einander fremder Menschen. Kinder sind, anders als in<br />

vergangenen Jahrhunderten, nicht als billige Arbeitskräfte einsetzbar<br />

und haben deshalb auch keine direkte ökonomische Funktion<br />

mehr. Aber ihr gesellschaftlicher »Wert« wird in den nächsten Jahren<br />

sprunghaft steigen, nicht nur, weil sie als unter Zwanzigjährige<br />

dann einer faktisch halbierten Bevölkerungsgruppe angehören (von<br />

1 , Millionen reduziert sich ihr Anteil auf , Millionen oder noch<br />

weniger), sondern weil sie in einer schrumpfenden Gesellschaft eine<br />

unersetzliche Größe darstellen.<br />

Fast siebzig Prozent der Mütter mit mehr als drei Kindern berichten,<br />

dass ihre Umwelt ihnen unterstelle, sie könnten ihren Kindern<br />

nicht genügend Liebe geben. Außerdem müsste ihr Haus verwahrlost<br />

sein, die Kinder seien ungewollt auf die Welt gekommen, die<br />

Mutter müsse dumm oder katholisch, auf alle Fälle völlig unehrgeizig,<br />

ständig krank und höchstwahrscheinlich ungepflegt sein.<br />

Besorgnis über die Bedrohung der Familien und die Schrumpfung<br />

der Bevölkerung ist nicht, wie vielfach behauptet, die konservative<br />

Sehnsucht nach der heilen Zeit der Familie. 1 4 diagnostizierte der<br />

sozialistische Historiker Harry Braverman, was unzählige andere<br />

auch empfanden: »Die Bevölkerung verlässt sich nicht mehr auf soziale<br />

Organisationsformen in Gestalt von Familie, Freunden, Nachbarn,<br />

Gemeinschaft, Älteren und Kindern, sondern bedient sich des<br />

Markts nicht nur für Nahrung, Kleidung und Wohnung, sondern<br />

auch für Erholung, Unterhaltung, Sicherheit, für die Betreuung der<br />

Jungen, der Alten, der Kranken, der Behinderten. Bald werden nicht<br />

nur die Material- und Dienstleistungsbedürfnisse der Gesellschaft<br />

durch den Markt bestimmt sein, sondern auch alle emotionalen Erscheinungsformen<br />

des Lebenszyklus.«<br />

Das wirkliche Erbe, das wir hinterlassen können, ist die Einsicht,<br />

dass das, was Familien füreinander tun, für alle getan ist.<br />

Frank Schirrmacher<br />

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