Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –<br />
Fernsehen<br />
Das Grundprinzip von Zauberern besteht darin, die Aufmerksamkeit<br />
auf etwas anderes zu lenken als auf das, was sie gerade tun. Die<br />
symbolische Aktion des Fernsehens besteht darin, die Aufmerksamkeit<br />
auf Dinge zu lenken, die alle Welt interessieren. Omnibus-Meldungen<br />
sind solche, die, wie es heißt, niemanden schockieren dürfen,<br />
bei denen es um nichts geht, die nicht spalten, die Konsens herstellen,<br />
die alle interessieren, aber so, dass sie nichts Wichtiges berühren. Die<br />
»Vermischte Meldung« stellt jenen Grundbaustein der Nachrichten<br />
dar, der sehr wichtig, weil für alle von Interesse ist, ohne zu irgendwelchen<br />
Konsequenzen Anlass zu geben, und der Zeit beansprucht,<br />
Zeit, die dazu verwendet werden könnte, über andere Dinge zu sprechen.<br />
Zeit aber ist im Fernsehen ein äußerst knappes Gut. Und wenn<br />
wertvolle Minuten verschleudert werden, um derart Unwichtiges zu<br />
sagen, so deswegen, weil diese unwichtigen Dinge in Wirklichkeit<br />
sehr wichtig sind, und zwar insofern, als sie Wichtiges verbergen.<br />
Das Fernsehen hat eine Art faktisches Monopol bei der Bildung der<br />
Hirne eines Großteils der Menschen. Legt das Fernsehen den Akzent<br />
auf die »Vermischten Meldungen«, so füllt es die Zeit mit Leere, mit<br />
nichts oder fast nichts, und klammert relevante Informationen aus,<br />
über die der Staatsbürger zur Wahrnehmung seiner demokratischen<br />
Rechte verfügen sollte.<br />
Das Fernsehen verlangt die Dramatisierung, und zwar im doppelten<br />
Sinn: Es setzt ein Ereignis in Bilder um, und es übertreibt seine<br />
Bedeutung, seinen Stellenwert, seinen dramatischen, tragischen<br />
Charakter.<br />
Die »Gemeinplätze«, die im alltäglichen Gespräch eine enorme Rolle<br />
spielen, haben den Vorteil, dass jedermann sie aufnimmt und augenblicklich<br />
versteht: Aufgrund ihrer Banalität sind sie dem Sender wie<br />
dem Empfänger gemeinsam. Im Gegensatz dazu ist Denken von<br />
vornherein subversiv: Es muss damit beginnen, die Gemeinplätze<br />
zu demontieren.<br />
Pierre Bourdieu<br />
Familie<br />
Durch ihr pures Vorhandensein vernetzen Kinder eine Vielzahl<br />
vormals einander fremder Menschen. Kinder sind, anders als in<br />
vergangenen Jahrhunderten, nicht als billige Arbeitskräfte einsetzbar<br />
und haben deshalb auch keine direkte ökonomische Funktion<br />
mehr. Aber ihr gesellschaftlicher »Wert« wird in den nächsten Jahren<br />
sprunghaft steigen, nicht nur, weil sie als unter Zwanzigjährige<br />
dann einer faktisch halbierten Bevölkerungsgruppe angehören (von<br />
1 , Millionen reduziert sich ihr Anteil auf , Millionen oder noch<br />
weniger), sondern weil sie in einer schrumpfenden Gesellschaft eine<br />
unersetzliche Größe darstellen.<br />
Fast siebzig Prozent der Mütter mit mehr als drei Kindern berichten,<br />
dass ihre Umwelt ihnen unterstelle, sie könnten ihren Kindern<br />
nicht genügend Liebe geben. Außerdem müsste ihr Haus verwahrlost<br />
sein, die Kinder seien ungewollt auf die Welt gekommen, die<br />
Mutter müsse dumm oder katholisch, auf alle Fälle völlig unehrgeizig,<br />
ständig krank und höchstwahrscheinlich ungepflegt sein.<br />
Besorgnis über die Bedrohung der Familien und die Schrumpfung<br />
der Bevölkerung ist nicht, wie vielfach behauptet, die konservative<br />
Sehnsucht nach der heilen Zeit der Familie. 1 4 diagnostizierte der<br />
sozialistische Historiker Harry Braverman, was unzählige andere<br />
auch empfanden: »Die Bevölkerung verlässt sich nicht mehr auf soziale<br />
Organisationsformen in Gestalt von Familie, Freunden, Nachbarn,<br />
Gemeinschaft, Älteren und Kindern, sondern bedient sich des<br />
Markts nicht nur für Nahrung, Kleidung und Wohnung, sondern<br />
auch für Erholung, Unterhaltung, Sicherheit, für die Betreuung der<br />
Jungen, der Alten, der Kranken, der Behinderten. Bald werden nicht<br />
nur die Material- und Dienstleistungsbedürfnisse der Gesellschaft<br />
durch den Markt bestimmt sein, sondern auch alle emotionalen Erscheinungsformen<br />
des Lebenszyklus.«<br />
Das wirkliche Erbe, das wir hinterlassen können, ist die Einsicht,<br />
dass das, was Familien füreinander tun, für alle getan ist.<br />
Frank Schirrmacher<br />
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –<br />
1<br />
1