Download - Evonik Industries
Download - Evonik Industries
Download - Evonik Industries
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
elements40<br />
Quarterly Science Newsletter Ausgabe 3|2012<br />
INNOVATIONSMANAGEMENT<br />
Die Weisheit der Menge nutzen<br />
WISSENSMANAGEMENT<br />
Social Media: Wissen teilen
2 INhAlT<br />
6<br />
14<br />
26<br />
elements40 Ausgabe 3|2012<br />
TITElMOTIV<br />
Das Vernetzen von Wissen ist ein Schwerpunkt dieser Ausgabe.<br />
N E W S<br />
4 Joint Venture zur Extrusion von PLEXIGLAS® in Südafrika gegründet<br />
4 Investition in Futtermittelaminosäure L-Lysin in Brasilien und Russland<br />
5 ThreAMINO®-Kapazität in Europa wird erweitert<br />
5 KOWIND-Projekt: Längeres Leben für Windenergieanlagen<br />
DESIGNING WITh POlYMERS<br />
6 Organisch modifizierte Siloxane: Verbesserter Brandschutz<br />
NEWS<br />
13 Forschen für den Klimaschutz<br />
WISSENSMANAGEMENT<br />
14 Social Media: Wissen teilen<br />
INNOVATIONSMANAGEMENT<br />
18 Wie sich mit Open Innovation und Crowdsourcing Wert<br />
schaffen lässt: Die Weisheit der Menge nutzen<br />
KATAlYSE<br />
22 Neues Kompetenzzentrum Oxidationskatalyse:<br />
Gemeinsam Zukunftspotenziale heben<br />
NEWS<br />
25 Verbundprojekt LionGrid erforscht Einbindung dezentraler<br />
Speicher in das Energiesystem der Zukunft<br />
DESIGNING WITh POlYMERS<br />
26 Neue Beleuchtungskonzepte auf PMMA-Basis:<br />
Bei Licht besehen<br />
NEWS<br />
30 Neuer PA12-Strang soll bis 2014 in Singapur gebaut werden<br />
30 Kolloquium im S2B Bio: Biotechnologie in China<br />
31 Grundstein für neue Isophoronanlagen in Schanghai gelegt<br />
31 Impressum
Offen sein<br />
Haben Sie auf der Suche nach Informationen schon mal per E-Mail eine Frage an<br />
einen Verteiler von zehn Kollegen geschickt? Dann wissen Sie, was passiert: Die<br />
meisten registrieren die E-Mail, einige lesen sie auch, aber nur wenige antworten.<br />
Kommunikation findet auf diesem Weg kaum statt. Der Soziologe Niklas Luhmann<br />
hat das in seiner allgemeinen Systemtheorie – vereinfacht gesagt – so formuliert:<br />
Kommunikation beginnt nicht mit dem Senden einer Nachricht, sondern erst mit<br />
dem Lesen.<br />
Und genau das ist die Stärke von Social-Media-Plattformen: der schnelle, themen<br />
orientierte Austausch zwischen Sendern und Empfängern. Deshalb erproben<br />
wir seit einem knappen Jahr in einigen Bereichen das Wissensmanagement über<br />
eine interne Social-Media-Plattform. Unsere bisherige Erfahrung zeigt, dass sich<br />
Wissen damit sehr schnell verbreitet. Das macht Social Media für die Forschung<br />
interessant, weil dieser zusätzliche Kommunikationsweg neue Innovationskanäle<br />
öffnen kann: Er führt das kreative Wissen vieler Menschen sehr unkompliziert<br />
zusammen, regt Diskussionen an und kann so neue Ideen für neue Technologien<br />
und Produkte hervorrufen.<br />
Das gilt natürlich nicht nur für die Vernetzung internen Wissens, sondern auch<br />
für Open Innovation, für die stärkere Einbeziehung externer Kompetenzen in den<br />
Innovationsprozess. In Zeiten, in denen die Innovationszyklen immer kürzer werden<br />
und Innovation immer häufiger an den Schnittstellen der Disziplinen stattfindet,<br />
wird die Öffnung nach außen immer wichtiger. Wir haben deshalb eine Open Innovation<br />
Fair veranstaltet, um gemeinsam mit anderen Unternehmen und Dienstleistern<br />
aktuelle Themen und Ansätze rund um Open Innovation zu beleuchten und das<br />
Wissen dazu im Konzern zu verbreitern. Web-2.0-Anwendungen spielen dabei eine<br />
wichtige Rolle – Stichwort Open Ideation und Crowdsourcing – und wir wollen in<br />
den kommenden Monaten in Pilotprojekten erproben, welche Anwen dun gen unsere<br />
Bedürfnisse als Spezialchemieunternehmen am besten erfüllen.<br />
Neue Kommunikations- und Innovationskanäle zu öffnen heißt aber nicht, die<br />
klassischen zu vernachlässigen. So haben wir ein neues Kompetenzzentrum mit<br />
dem Namen GOcat – Green Oxidation Catalysis – gestartet. Die dort beschäftigten<br />
15 Mitarbeiter bündeln internes und externes Wissen, um katalytische Oxidationsverfahren<br />
zu verbessern und Ideen für neue Oxidationsprodukte und -verfahren<br />
umzusetzen; die enge Zusammenarbeit mit den Geschäftsbereichen, der Verfahrenstechnik<br />
und den auf den jeweiligen Forschungsgebieten führenden Hochschulen<br />
ist dabei ein fester Bestandteil.<br />
Doch ob Zusammenarbeit im Labor oder im Web 2.0 – letztlich geht es darum,<br />
möglichst viele Forschungsprojekte mit einer Innovation abzuschließen. Und das<br />
gelingt am besten denjenigen Unternehmen, die offen sind – für strategische<br />
Partnerschaften mit Universitäten und Geschäftspartnern, für die neuen Möglichkeiten,<br />
die das Web 2.0 im Innovationsprozess bietet und für Innovation. Wer<br />
alle seine Möglichkeiten konsequent nutzt, wird auch langfristig innovativ sein.<br />
Und genau das haben wir vor.<br />
Patrik Wohlhauser<br />
Mitglied des Vorstandes der<br />
<strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> AG<br />
EDITORIAl 3<br />
elements40 Ausgabe 3|2012
4 NEWS<br />
Joint Venture zur Extrusion von PLEXIGLAS® in Südafrika gegründet<br />
Zum 1. Mai hat <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> gemeinsam<br />
mit dem südafrikanischen Kunststoffverarbeiter<br />
Ampaglas Plastics Group das Joint<br />
Venture <strong>Evonik</strong> Acrylics Africa (EAA) zur<br />
Extrusion von PLEXIGLAS® Halbzeugen ge -<br />
gründet. Sitz der neuen Gesellschaft ist das<br />
südafrikanische Elandsfontein, Johannesburg.<br />
„Mit Ampaglas konnten wir den größten<br />
Hersteller von extrudierten Kunststoffen im<br />
südlichen Afrika als Partner gewinnen“,<br />
sagte Gregor Hetzke, Leiter des Geschäfts-<br />
Das Joint Venture <strong>Evonik</strong><br />
Acrylics Africa wird extrudiertes<br />
PLEXIGLAS® herstellen<br />
elements40 Ausgabe 3|2012<br />
be reichs Performance Polymers von <strong>Evonik</strong>.<br />
„So wollen wir unsere gute Marktposition in<br />
attraktiven Wachstumsregionen durch lokale<br />
Produktion weiter ausbauen.“<br />
Ziel des Joint Ventures, an dem <strong>Evonik</strong><br />
51 Prozent hält, ist die Herstellung von hochwertigen<br />
PLEXIGLAS® Platten und deren<br />
Vertrieb insbesondere in den wachsenden<br />
Märkten des afrikanischen Kontinents. Die<br />
Schwerpunkte liegen hierbei auf den Marktsegmenten<br />
Bau und Architektur und den<br />
design orientierten Segmenten Lighting<br />
Technologies sowie Möbel-, Messe- und<br />
Ladenbau.<br />
„In dem neuen Unternehmen sind die<br />
Vorteile aus beiden Muttergesellschaften<br />
vereint: die Herstellung von innovativen<br />
Produkten nach internationalem, hochwertigem<br />
Qualitätsstandard, gepaart mit hoher<br />
Flexibilität und kurzen Reaktionszeiten durch<br />
die Produktion vor Ort“, sagte Michael<br />
Träx ler, Leiter des Geschäftsgebiets Acrylic<br />
Poly mers von <strong>Evonik</strong>. Die kontinuierliche<br />
Roh stoff versorgung stellt <strong>Evonik</strong> durch seine<br />
Form masse-Produktionsstandorte in Deutschland,<br />
China und den USA sicher.<br />
Auch Barry du Toit, CEO der Ampaglas<br />
Plastics Group, begrüßte das Joint Venture.<br />
„<strong>Evonik</strong> Acrylics Africa wird die Messlatte für<br />
extrudierte Acrylprodukte in Südafrika deutlich<br />
höher legen. Das Resultat werden qualitativ<br />
hochwertige Endprodukte in unseren<br />
Zielmärkten sein“, bekräftigte er. Und er<br />
ergänzte: „Durch die EAA wollen wir in<br />
der Lage sein, den steigenden Bedarf in den<br />
für uns wichtigen Marktsegmenten schnell<br />
und umfassend zu bedienen.“<br />
Investition in Futtermittelaminosäure L-Lysin in Brasilien und Russland<br />
<strong>Evonik</strong> wird neue Anlagen zur biotechnologischen<br />
Produktion des Futtermitteladditivs<br />
Biolys® (L-Lysin-Quelle) in den Wachstumsmärkten<br />
Südamerika und Osteuropa errichten.<br />
Am US-Standort Blair (Nebraska) wird<br />
die Fertig stellung der Anlagenerweiterung<br />
für das dritte Quartal 2012 erwartet. Das<br />
gesamte Inves titionsvolumen umfasst rund<br />
350 Mil lionen €.<br />
<strong>Evonik</strong> wird in Brasilien und gemeinsam<br />
mit Partnern in Russland neue Kapazitäten<br />
für Biolys® von fast 200.000 Tonnen pro Jahr<br />
erstellen. In Russland, in Volgodonsk in der<br />
Rostow-Region, wird <strong>Evonik</strong> über das Joint<br />
Venture OOO DonBioTech ab 2014 rund<br />
100.000 Tonnen Biolys® pro Jahr produzieren.<br />
Im brasilianischen Castro, Bundesstaat<br />
Para ná, errichtet <strong>Evonik</strong> am Standort des<br />
US-amerikanischen Unternehmens Cargill<br />
eine Anlage, die ebenfalls 2014 in Betrieb<br />
gehen soll. Der Vorteil beider Standorte liegt<br />
in der sehr guten Verfügbarkeit der jeweiligen<br />
Rohstoffe: In Russland wird Wei zen<br />
aus der Rostow-Region eingesetzt, in Brasi<br />
lien Mais.<br />
Beide neuen Anlagen werden durch die<br />
Megatrends Gesundheit und Ernährung<br />
gestützt. Die Weltbevölkerung nimmt zu –<br />
und mit ihr der Bedarf an Fleisch, Fisch, Milch<br />
und Eiern. Die Futtermittelproduktion setzt<br />
deshalb verstärkt auf Aminosäuren als<br />
Fut ter mittelergänzung.<br />
Aminosäuren für die Tierernährung – insbesondere<br />
MetAMINO® (DL-Methionin) –<br />
sind ein Kerngeschäft von <strong>Evonik</strong>, das derzeit<br />
kräftig ausgebaut wird. Mit der neuen Me thioninanlage,<br />
die zurzeit in Singapur errichtet<br />
wird und die bisher größte Che mieinvestition<br />
von <strong>Evonik</strong> markiert, will sich der Konzern<br />
seine führende Stellung im Markt bei dieser<br />
Aminosäure sichern. Für TrypAmino®<br />
(L-Tryp tophan) wurden in Europa bereits<br />
zusätzliche Kapazitäten aufgebaut, jüngst<br />
beschlossen wurde der Ausbau des Thre-<br />
AMINO®-Standortes Agroferm (L-Threonin).<br />
Biolys®, das <strong>Evonik</strong> biotechnologisch aus<br />
nachwachsenden Rohstoffen herstellt, gilt<br />
weltweit als höchst effiziente L-Lysin-Quelle<br />
in Tierfutter, mit der sich die Kosten sowohl<br />
in der Futtermittelproduktion als auch in der<br />
Tierzucht nachhaltig senken lassen. Davon<br />
profitiert auch die Umwelt: <strong>Evonik</strong> hat in<br />
einer vom TÜV Rheinland zertifizierten Ökobilanz<br />
nachgewiesen, dass die Eiweißversorgung<br />
über das Tierfutter durch die Ergänzung<br />
von unter anderem Biolys® ein besonders<br />
umweltschonendes Konzept darstellt,<br />
Tiere bedarfsgerecht und gesund zu er nähren.
ThreAMINO®-Kapazität in Europa wird erweitert<br />
<strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> will die Produktionskapazität für<br />
ThreAMINO® (L-Threonin) bei <strong>Evonik</strong> Agroferm Zrt.,<br />
einer hundertprozentigen Toch tergesellschaft des<br />
Konzerns in Kaba (Un garn), ausbauen. Sie soll um 10.000<br />
Tonnen auf 30.000 Tonnen L-Threonin (Feed Grade<br />
98,5 Prozent) pro Jahr steigen, wobei die zusätzliche<br />
Kapa zität im dritten Quartal 2013 in Betrieb gehen soll.<br />
Mit den zusätzlichen Mengen will <strong>Evonik</strong> den wachsenden<br />
Bedarf decken.<br />
„Diese Erweiterung macht unsere Anlage in Ungarn<br />
zu einer World-Scale-Anlage mit modernster Technik.<br />
Unser Ziel ist, dass alle Investitionsprojekte zu signifikanten<br />
Leis tungs steigerungen sowohl beim Prozess als<br />
auch bei der Produktform führen. Damit können wir die<br />
steigenden Anforderungen und Erwartungen unserer<br />
Kunden erfüllen“, er läutert Dr. Walter Pfefferle, Leiter<br />
des Ge schäftsgebiets Bioproducts von <strong>Evonik</strong>.<br />
L-Threonin, das <strong>Evonik</strong> unter dem Mar ken namen Thre-<br />
AMINO® vertreibt, ist eine essenzielle Aminosäure, die<br />
der Körper nicht selbst herstellen kann. Die Tiere müssen<br />
sie mit dem Futter aufnehmen. Ein optimaler L-Threo ningehalt<br />
verbessert Fut teraufnahme, Gewichtszuwachs und<br />
Nähr wert des Futters. Dagegen sinkt die Stick stoff ausschei<br />
dung, weil der Roh pro tein gehalt des Futters entsprechend<br />
dem Nähr stoff be darf der Tiere ausbalanciert wird.<br />
KOWIND-Projekt: Längeres Leben für Windenergieanlagen<br />
In Zeiten knapper werdender Ressourcen<br />
sind erneuerbare Energien ein Zukunftsthema.<br />
In gut zehn Jahren sollen Windräder<br />
etwa 70 Prozent des „grünen Stroms“ produzieren.<br />
Immer mehr Offshore-Windenergieanlagen<br />
werden in der Nord- und Ostsee<br />
geplant. Rauer Wind und stürmische See<br />
stellen besondere Anforderungen an die<br />
Materialien.<br />
Unter der Koordination von <strong>Evonik</strong> arbeiten<br />
Experten im KOWIND-Projekt an innovativen<br />
Lösungen, um die Lebensdauer der Stahlkonstruktionen<br />
zu verlängern, die Windkraftanlagen<br />
im Meeresboden verankern. Im<br />
Mittelpunkt des vom Bundes ministerium für<br />
Bildung und Forschung unterstützten Projekts<br />
steht das Know-how des Geschäftsbereichs<br />
Performance Polymers mit seinen Beschichtungstechnologien.<br />
Ziel des dreijährigen KOWIND-Projekts<br />
ist die Entwicklung einer neuar tigen Technologie<br />
zum Korrosionsschutz an Offshore-<br />
Windenergieanlagen. Durch den Einsatz<br />
neuer Materialien sollen pro Wind rad mehrere<br />
Tonnen Material eingespart und die<br />
Wartungskosten deutlich gesenkt werden.<br />
„Unsere neue Korrosionsschutztechnologie<br />
verspricht sehr guten Schutz der Stahlkonstruktion,<br />
auch unter den extremen Belastungen<br />
durch Seewasser, Sonnenlicht und<br />
mechanische Einflüsse im Offshore-Einsatz“,<br />
sagt Jan Berger, Innovation Manager Large<br />
Pipe Projects. Für die Beschichtungen sollen<br />
im Rahmen des Projekts thermoplastische<br />
Umhüllungsmaterialien, neuartige duroplastische<br />
Nach umhüllungssysteme sowie<br />
Pulver beschichtungssysteme entwickelt<br />
Im KOWIND-Projekt arbeiten<br />
Experten an inno vativen Lösungen,<br />
um die Lebensdauer der Stahlkonstruktionen<br />
zu verlängern,<br />
die Wind kraftanlagen im Meeresboden<br />
verankern<br />
NEWS<br />
Die <strong>Evonik</strong> Agroferm<br />
Zrt. in Kaba (Ungarn)<br />
werden. Der Geschäftsbereich Performance<br />
Poly mers produziert für das Projekt Umhüllungssysteme<br />
auf Basis von PA12, das aufgrund<br />
seiner geringen Wasseraufnahme, hervorragenden<br />
mecha nischen Eigenschaften<br />
und sehr guten Barriereeigenschaften die<br />
bevorzugte Polymerklasse darstellt.<br />
„Die Idee für die Weiterentwicklung<br />
bereits bestehender Technologie ist in<br />
enger Zusammenarbeit mit der Firma Salzgitter<br />
Mannesmann Line Pipe GmbH entstanden“,<br />
sagt Markus Hartmann, Senior Business<br />
Manager Energy Supply bei Performance<br />
Polymers. In kürzester Zeit wurden andere<br />
Projektpartner ins Boot geholt. Anfang Mai<br />
haben die acht Partner aus Industrie und<br />
Forschung mit ersten Projektarbeiten begonnen.<br />
Denn die Windkraft boomt, die weiteren<br />
Wachstumsaussichten sind vielversprechend.<br />
In Norddeutschland könnte die Windenergie<br />
gar zur Schlüsselindustrie werden.<br />
Gefördert wird das KOWIND-Projekt<br />
vom Bundesministerium für Bildung und<br />
Forschung im Rahmen der Hightechstrategie<br />
2020. Damit werden Projekte unterstützt, die<br />
einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten. Mit<br />
ihrer Hilfe soll Deutschland zum Vorreiter bei<br />
der Lösung globaler Herausforderungen wie<br />
Klimawandel, demographische Entwicklung,<br />
Krankheits be kämpfung, Welternährung und<br />
Siche rung fossiler Rohstoff- und Energiequellen<br />
werden. <strong>Evonik</strong> ist mit mehr als 40<br />
laufenden Forschungsprojekten an dieser<br />
Initiative beteiligt.<br />
5<br />
elements40 Ausgabe 3|2012
6 DESIGNING WITh POlYMERS<br />
elements40 Ausgabe 3|2012<br />
Organisch modifizierte Siloxane<br />
Verbesserter Brandschutz<br />
Flammgeschützte Kunststoffe können Leben retten, weil sie das Ausbreiten<br />
eines Brandes verzögern – so gewinnt die Feuerwehr wertvolle Zeit zum<br />
Löschen. Doch erst mit dem richtigen Verarbeitungshilfsmittel für<br />
die Herstellung der flammgeschützten Compounds entfalten<br />
Flammschutzmittel auf Basis von Metallhydroxiden ihre volle<br />
Wirkung. Gemeinsam mit Partnern hat <strong>Evonik</strong> entsprechende<br />
Formulierungen entwickelt und ihre Wirksamkeit mit<br />
standardkonformen Tests belegt.<br />
[ text Kathrin Lehmann ]
Brand ist nicht gleich Brand. Auch wenn es zunächst<br />
ungewöhnlich klingen mag, gibt es hoch problematische<br />
und weniger problematische Brände.<br />
Hoch problematisch – besonders in Gebäuden – sind<br />
Feuer, die sich über die elektrischen Installationen<br />
ausbreiten. Sie verlagern die Brandherde in Räume,<br />
die durch eine Betonwand oder -decke eigentlich<br />
noch gut geschützt wären. Hoch problematisch sind<br />
auch Feuer, die schnell voranschreiten und bei denen<br />
sich womöglich zusätzlich schädliche Gase bilden.<br />
Um Brände zu vermeiden und zu verzögern, kommen<br />
Flammschutzmittel in einer Vielzahl von Produkten<br />
zum Einsatz – in Kunststoffen, Textilien,<br />
Holzwerkstoffen, Farben, Elektronik und Elektrotechnik.<br />
Entsprechende Normen schreiben fest,<br />
welche Schutzwirkung die Industrie für welche Anwendung<br />
erreichen muss (siehe auch Kasten „Flammschutzklassen“).<br />
Aufgrund weltweit steigender Sicherheitsstandards<br />
sowie einer zunehmenden Verwendung brennbarer<br />
Materialien gewinnt der Markt für Flammschutzmittel<br />
mehr und mehr an Bedeutung. Laut einer<br />
Studie des Marktforschungsinstituts Ceresana erreichte<br />
er zuletzt eine Größe von 1,9 Milliarden €.<br />
Flammschutzmittel müssen exakt auf die spezifischen<br />
Anwendungen abgestimmt sein, was nur in enger<br />
Zusammenarbeit von Herstellern, Verarbeitern und<br />
Nutzern der Endprodukte möglich ist. 333<br />
Rauchentwicklung im<br />
Brandfall behindert die<br />
Flucht von Menschen,<br />
die sich im Gebäude aufhalten,<br />
und die Arbeit<br />
der Feuerwehr. Je länger<br />
die Ausbreitung eines<br />
Brands verzögert wird<br />
und je weniger Rauch<br />
sich bildet, desto mehr<br />
Zeit bleibt den Menschen,<br />
aus Gebäuden zu<br />
flie hen, und der Feuerwehr,<br />
bei frühem Ein treffen<br />
Personen- und Sachschäden<br />
gering zu halten.<br />
Flammgeschützte Kunststoffe<br />
spielen dabei eine<br />
wesentliche Rolle, weil<br />
sie zum Bei spiel verhindern,<br />
dass der Brand sich<br />
durch Kabelschächte<br />
(rechts), die üblicherweise<br />
das ganze Haus<br />
durchziehen, ausbreitet<br />
DESIGNING WITh POlYMERS<br />
Abb. 1, 2 und 3 zeigen ein Ethylvinylacetatcompound mit einem Gehalt von 65% Magnesiumhydroxid<br />
(Mg(OH) 2). Abb. 1 und 2: Als Verarbeitungshilfe bei der Herstellung flammgeschützter<br />
Compounds durch Extrusion von Polymer und Flammschutzmittel erhöhen TEGOMER®-<br />
Additive den MFI (Melt Flow Index) der Mischung bzw. erniedrigen ihre Mooney-Viskosität.<br />
Dadurch sinken der Druck im Extruderkopf und das resultierende Dreh moment (Abb. 3).<br />
Als Folge steigt der Durchsatz, während Stromverbrauch und Wartungs kosten abnehmen<br />
Abbildung 1. Schmelzindex (MFI)<br />
Ohne Additiv 1,0% Additiv 2,0% Additiv<br />
MFI bei 190 °C/10 kg [g/10 min]<br />
7,0<br />
7,0 7,0<br />
6,5<br />
6,0<br />
5,5<br />
5,0<br />
4,5<br />
4,0<br />
Abbildung 2. Mooney-Viskosität<br />
Ohne Additiv 2% TEGOPREN® 5885 2% TEGOMER® V-Si 4042<br />
Mooney-Einheiten [MU] 190 °C<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
1 2 3 4<br />
5<br />
Zeit [min]<br />
Abbildung 3. Druck im Extruderkopf (links) und Drehmoment (rechts)<br />
Ohne Additiv 1,0% Additiv 2,0% Additiv<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
5,0<br />
Ohne<br />
Additiv<br />
Ohne Vergleich -<br />
Additiv bares<br />
Additiv<br />
6,5 6,5<br />
Vergleichbares<br />
Additiv<br />
Druck im Extruderkopf [bar] Drehmoment [A%]<br />
TEGOMER®<br />
V-Si4042<br />
(flüssig)<br />
TEGOMER®<br />
FR 100<br />
(fest)<br />
TEGOMER®<br />
V-Si 4042 (flüssig)<br />
Ohne Vergleich -<br />
Additiv bares<br />
Additiv<br />
6,8 7,0<br />
TEGOMER®<br />
FR 100 (fest)<br />
TEGOMER®<br />
V-Si4042<br />
(flüssig)<br />
TEGOMER®<br />
FR 100<br />
(fest)<br />
7<br />
elements40 Ausgabe 3|2012
8 DESIGNING WITh POlYMERS<br />
elements40 Ausgabe 3|2012<br />
333 In Kabelisolierungen bringen die Hersteller<br />
die Flammschutzmittel während der Extrusion ein.<br />
Allerdings erschweren Flammschutzmittel die Kunststoffverarbeitung;<br />
zudem sind sie für die Maschinen<br />
der Compoundeure teilweise hochkorrosiv oder<br />
abrasiv. Bereits seit einem knappen Jahrzehnt liefert<br />
<strong>Evonik</strong> daher den Kabelcompoundeuren unter dem<br />
Markennamen TEGOMER® Additive auf Basis von<br />
organisch modifizierten Siloxanen (OMS), die als Verarbeitungshilfen<br />
im Extrusionsprozess dienen. Sie<br />
senken erwiesenermaßen den Stromverbrauch und<br />
den Druck im Extruderkopf, weil sie wie eine Art<br />
inneres Schmiermittel wirken (Abb. 1, 2 und 3), also<br />
die Visko sität des Compounds verbessern. Damit<br />
sorgen sie für weni ger Abrieb und senken die Wartungskosten.<br />
Doch in den Additiven steckt mit Blick auf die<br />
Flammschutzwirkung von Metallhydroxiden noch<br />
sehr viel mehr Potenzial. Im Rahmen von strategischen<br />
Allianzen hat <strong>Evonik</strong> systematisch untersucht,<br />
wie sich die Wirkung dieser Flammschutzmittel<br />
durch die Additive weiter optimieren lässt und<br />
nicht nur der Prozess zur Herstellung der Compounds<br />
verbessert werden kann.<br />
Metallhydroxide sind das<br />
Flammschutzmittel der Wahl<br />
Metallhydroxide gehören zu den weltweit am häufigsten<br />
eingesetzten Flammschutzmitteln. Sie erzeugen<br />
bei einem Brand weder schädliche Gase noch<br />
Rußpartikel. Verwendet wird vor allem Aluminiumhydroxid<br />
(Al(OH) 3 bzw. ATH für Aluminiumtrihydrat),<br />
aber auch Magnesiumhydroxid (Mg(OH) 2 bzw.<br />
MDH für Magnesiumdihydrat). Kommt es zu einem<br />
Brand, spalten die Metallhydroxide aufgrund des<br />
Wärmeeintrags Wasser ab; dieses verdampft und<br />
kühlt dadurch das Material. Das verzögert die Ausbreitung<br />
des Feuers, ohne dass schädliche Gase entstehen.<br />
Damit Metallhydroxide die gewünschte Wirkung<br />
zeigen, müssen sie allerdings in hohen Anteilen von<br />
mehr als 60 Prozent dem brennbaren Polymer beigemischt<br />
werden. ATH hat für die Kunststoffverarbeitung<br />
zudem den Nachteil, dass es das Wasser<br />
bereits bei Temperaturen um 190 °C abspaltet – der<br />
Im neuen Plastics-Technikum in Essen, das im Februar<br />
2012 offiziell eingeweiht wurde, verfügt <strong>Evonik</strong><br />
über alle Einrichtun gen, die man benötigt, um<br />
Kunststoffe kratzfest oder brandgeschützt ausrüsten<br />
zu können. Dazu gehören unter anderem ein<br />
Compoundier technikum, ein Verarbeitungstechnikum<br />
und eine Anlage für Versuche gemäß den Vorgaben<br />
des Flammschutzstandards UL94 (unten)
für die Extrusion relevante Schmelzpunkt des Polymers<br />
liegt in manchen Fällen relativ nah an diesem<br />
Wert, etwa bei EVA (Ethylvinylacetat) und PE (Polyethylen).<br />
MDH spaltet Wasser dagegen erst jenseits<br />
der 300 °C ab, so dass es sogar in PP (Polypropylen)<br />
und PA (Polyamid) Verwendung findet.<br />
<strong>Evonik</strong> arbeitet bei Flammschutzmitteln seit mehreren<br />
Jahren strategisch unter anderem mit Nabaltec,<br />
einem Spezialisten für die ATH-Herstellung, zusammen.<br />
Im vergangenen Jahr wurde ein vom Land Nordrhein-Westfalen<br />
gefördertes Forschungsprojekt zu<br />
Flammschutzmitteln in Kabelisolierungen genehmigt,<br />
an dem neben <strong>Evonik</strong> auch der Compoundierer und<br />
Kabelhersteller Nexans und der Magnesiumhydroxidhersteller<br />
Penoles beteiligt sind. Nexans verfügt über<br />
Testeinrichtungen, mit denen nicht nur der Flammschutz<br />
in Compounds getestet werden kann, sondern<br />
sogar ganze Kabelbündel beflammt werden können.<br />
Solche Kabelbündel sind zum Beispiel in den Kabelbäumen<br />
von Fahrzeugen zu finden, besonders aber<br />
in Schächten von Gebäuden. Auch <strong>Evonik</strong> hat in der<br />
Zwischenzeit Versuchseinrichtungen aufgebaut: Im<br />
neuen Plastics-Technikum in Essen steht inzwischen<br />
eine standardkonforme Anlage, mit der sich Tests gemäß<br />
den Vorgaben des Flammschutzstandards UL94<br />
anhand von dort hergestellten Compounds auf Doppelschnecken<br />
extrudern durchführen lassen.<br />
Zusammen mit der Firma Nabaltec testete <strong>Evonik</strong><br />
verschiedene Formulierungen mit ATH, denen<br />
die organisch modifizierten Siloxane beigemischt<br />
wurden. Gemeinsam haben die Unternehmen auch<br />
neue ATH-Formulierungen entwickelt und getestet,<br />
die dank der Additive beim Extrudieren eine bessere<br />
Dispergierung im Polymer erlauben. Hierzu müssen<br />
die Additive in der richtigen Weise an die ATH-<br />
Partikel angelagert werden, wozu es grundsätzlich<br />
zwei Möglichkeiten gibt: entweder die Nachbehandlung<br />
des ATH mit den OMS oder aber der Einsatz der<br />
OMS während der Compoundierung zur In-situ-<br />
Hydrophobierung der Metallhydroxide. Die aus den<br />
Formulierungsversuchen und Testreihen resultierenden<br />
Ergebnisse sind bei beiden Ansätzen überzeugend.<br />
Um als Flammschutzmittel zu wirken, muss ATH<br />
einem Polymer für gewöhnlich in einem Anteil von<br />
63 bis 65 Prozent beigemischt werden – nur dann lässt<br />
sich die strengste Flammschutzklasse erreichen,<br />
nämlich UL94 mit der V-0-Kategorie. Dank der<br />
Additive von <strong>Evonik</strong> ist ein geringerer Prozentsatz<br />
an ATH als bisher erforderlich, um dieselbe Wirkung<br />
zu erzielen. Je nach angestrebter Flammschutzklasse<br />
sind es 59 bis 61 Prozent. Diese Werte ließen sich mit<br />
Tests an Geräten belegen, wie sie auch bei der Kategorisierung<br />
von Materialien nach Flammschutzklassen<br />
Verwendung finden. 333<br />
FlAMMSchuTzKlASSEN<br />
Der UL94-Test<br />
DESIGNING WITh POlYMERS<br />
Für die Klassifizierung von Flammschutzmitteln und deren<br />
Ver wendung in Polymercompounds, zum Beispiel Kabel isola tionen,<br />
haben sich verschiedene Verfahren etabliert. Prüflabore<br />
setzen bei den UL94-Tests definierte Probenmate rialien offenen<br />
Flammen aus. Leistung und Wirkdauer der Flammen sind dabei<br />
ebenfalls festgelegt.<br />
Es gibt verschiedene Stufen, die ein flammgeschütztes Compound<br />
eines Kunststoffs bei den UL94-Tests erreichen kann,<br />
zum Beispiel:<br />
V-2: Verlöschen einer vertikal eingespannten Probe innerhalb<br />
von 30 Sekunden<br />
V-1: wie V-2, zusätzlich darf kein geschmolzener Kunststoff<br />
abtropfen<br />
V-0: wie V-1, zusätzlich muss die Flamme innerhalb von zehn<br />
Sekunden verlöschen<br />
9<br />
elements40 Ausgabe 3|2012
10 DESIGNING WITh POlYMERS<br />
Positiver Nebeneffekt der Additive von <strong>Evonik</strong>: Es bilden sich<br />
keine Verwindungen im Kabelstrang, die das Einziehen von<br />
Kabeln über längere Distanzen, beispielsweise in Hochhäusern,<br />
erschweren. Auch die erforderliche kontinuierliche Bedruckung<br />
des Kabels wird nicht negativ beeinflusst, wie dies mit anderen<br />
Additiven, etwa billigen Siliconölen, passiert<br />
Um Flammschutzklassen besser:<br />
Kunststoffisolierungen<br />
mit Additiven von <strong>Evonik</strong><br />
Der Compoundeur bekommt durch die organisch modifizierten<br />
Siloxane eine um zwei bis vier Prozent<br />
größere Formulierungsfreiheit, was ein deutlicher<br />
Zugewinn ist. Die vorliegenden Messdaten (Abb. 4<br />
und 5) zeigen, dass es Compoundeuren durch die<br />
Additive möglich wird, mit ihren Kunststoffisolierungen<br />
ein bis zwei Flammschutzklassen besser zu<br />
werden – ein unschätzbarer Vorteil in einem Markt,<br />
in dem die Standards in den vergangenen Jahren immer<br />
strenger geworden sind.<br />
Mehr noch: Durch die Additive von <strong>Evonik</strong> schneidet<br />
die Kombination von Flammschutzmittel und<br />
Polymer auch bei allen anderen Parametern besser<br />
ab als ein reines ATH-Polymer-Gemisch. Denn das<br />
Additiv sorgt dafür, dass das Metallhydroxid besser<br />
in der Schmelzmasse dispergiert wird. So lässt sich<br />
durch die größere Formulierungsfreiheit zum Beispiel<br />
der Weißbruch der Kabelisolierung beim Biegen<br />
deutlich verringern. Es kommt außerdem nicht zu<br />
Verwindungen im Kabelstrang, dem sogenannten<br />
Winding, was gerade beim Einziehen von Kabeln<br />
über längere Distanzen wie in Kabelschächten von<br />
mehrstöckigen Gebäuden von Bedeutung ist. Da rüber<br />
hinaus lässt sich die Wasserabsorption reduzieren,<br />
wodurch die Isolation im Sinne von reduzierter Leitfähigkeit<br />
verbessert wird.<br />
Mit Blick auf die Flammschutzwirkung sorgen die<br />
Additive auch für eine bessere sogenannte Charbildung,<br />
worunter man eine Verkrustung der Oberfläche<br />
des abgebrannten Materials versteht. Das ist<br />
eine wichtige Eigenschaft: Durch diese Verkrustung<br />
werden die bei einem Brand vorhandene Hitze 333<br />
elements40 Ausgabe 3|2012<br />
Mit der Anlage für Versuche ent sprechend<br />
dem Flammschutz stan dard<br />
UL94 werden Com pound formulie rungen<br />
geprüft. EVA, das mit 65 Prozent<br />
MDH oder ATH flammgeschützt ist<br />
und TEGOMER®-Additive als Verarbei<br />
tungsmittel enthält, entwickelt im<br />
Vergleich zu flammgeschütztem EVA<br />
ohne TEGOMER® im gleichen Zeitraum<br />
weniger Hitze (Abb. 4) und<br />
setzt weniger Rauch frei (Abb. 5).<br />
Die Feuer wehr gewinnt so Zeit zum<br />
Löschen des Brandes und Menschen<br />
erhalten mehr Zeit für die Flucht<br />
Abbildung 4. Wärmefreisetzungsrate EVA 19, 65 wt.-%<br />
ATH ohne Additiv ATH mit 2% TEGOMER® V-Si 4042 compoundiert<br />
MDH ohne Additiv MDH mit 2% TEGOMER® V-Si 4042 compoundiert<br />
Wärmefreisetzungsrate [kW/m 2 ]<br />
350<br />
300<br />
250<br />
200<br />
150<br />
100<br />
50<br />
0 50 100 150 200 250 300 350 400 450 500 550 600<br />
Zeit [s]<br />
Abbildung 5. Rauchfreisetzungsrate EVA 19, 65 wt.-%<br />
ATH ohne Additiv ATH mit 2% TEGOMER® V-Si 4042 compoundiert<br />
MDH ohne Additiv MDH mit 2% TEGOMER® V-Si 4042 compoundiert<br />
Rauchfreisetzungsrate [m²/s m²]<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
0<br />
0<br />
50 100 150 200 250 300 350 400 450 500 550 600<br />
Zeit [s]
Cone-Kalorimeter-Test an EVA, das mit 65 Prozent MDH flammgeschützt<br />
ist. Die TEGOMER® enthaltende Variante (rechts) sorgt für eine signifikante<br />
Charbildung. Dadurch wird das Fortschreiten des Brandes bis zum Kurz -<br />
s chluss des Kabels verzögert, die Hitzeentwicklung und das Austreten von<br />
Gasen setzen später ein oder fallen deutlich geringer aus. Darüber hinaus<br />
DESIGNING WITh POlYMERS<br />
Ohne Additiv, LOI = 36 Mit 2% TEGOMER® V-Si 4042 compoundiert, LOI = 43<br />
Zersetzung von flammgeschütztem EVA mit MDH (links) und ATH (rechts)<br />
ohne (oben) und mit TEGOMER® (unten) bei 400 °C. TEGOMER® sorgt für<br />
eine Verkieselung des Materials – es entsteht ein Gerüst, das für mechanische<br />
Stabilität sorgt und das Fortschreiten des Brandes verzögert<br />
65% MDH 65% ATH<br />
Ohne Additiv<br />
Mit 2% TEGOMER® V-Si 4042 compoundiert<br />
beträgt der LOI (Low Oxygen Index) des Compounds mit TEGOMER® 43,<br />
während der LOI der Variante ohne TEGOMER® bei nur 36 liegt. Der erhöhte<br />
LOI ist eine weitere Kennzahl, die verdeutlicht, dass das Compound mit<br />
TEGOMER® eine schlechtere Brennbarkeit aufweist, dass also der Flammschutz<br />
verbessert ist gegenüber der Formulierung ohne das Additiv<br />
Ohne Additiv<br />
Mit 2% TEGOMER® V-Si 4042 compoundiert<br />
11<br />
elements40 Ausgabe 3|2012
12 DESIGNING WITh POlYMERS<br />
ORGANISch MODIFIzIERTE SIlOxANE<br />
Anwendungsvielfalt<br />
Additive auf der Basis von organisch modifizierten Siloxanen spielen<br />
in der Industrie in vielen Anwendungen eine Rolle. Bei spiele sind<br />
in der Kosmetik, in Lackformulierungen und bei der Herstellung<br />
von PU-Schäumen zu finden. Bei dieser Art von Siloxanen handelt<br />
es sich um chemische Verbindungen, die neben Dimethylsiloxy-<br />
Einheiten auch unterschiedliche organische Reste enthalten. Beispiele<br />
für solche Reste sind Alkyl-, Polyester-, Acrylat-, Hydroxyalkyl-<br />
und Aminoalkylreste. Organisch modi fizierte Siloxane können<br />
linear (mit den organischen Resten an den beiden Enden),<br />
Vielfalt: Über die organischen Reste<br />
und die Architektur lassen sich die<br />
Eigenschaften von organisch modifizierten<br />
Siloxanen gezielt einstellen.<br />
Zum Beispiel kann so gesteuert werden,<br />
ob die Siloxane sich homogen<br />
in einem Polymer (unten links) oder<br />
nur an der Oberfläche verteilen R = Alkyl, Polyester, Acrylat, Epoxy, Hydroxyalkyl, Aminoalkyl…<br />
333 und auch direktes Feuer länger davon abgehalten,<br />
schnell in die inneren Kabelschichten vorzudringen.<br />
Auch das gibt mehr Spielraum für Flucht- und<br />
Löschzeiten und verlängert die Zeit, bis durch Abbrennen<br />
der Isolation ein Kurzschluss im Gebäude<br />
zusätzliche Probleme verursacht, also Menschen<br />
beispielsweise in einem Fahrstuhl eingeschlossen<br />
werden.<br />
Der Grund für die hohe mechanische Stabilität des<br />
Materials aus dem ATH-Polymer-Gemisch ist in den<br />
Additiven zu finden: Im Brandfall bilden sie Oxide<br />
wie SiO2 , H2O und CO2 , also nicht brennbare Feststoffe<br />
und Gase. Durch das entstehende SiO2 kommt<br />
es zu einer Verkieselung, und da die Additive als feine<br />
Tröpfchen im gesamten Kabelmantel verteilt sind,<br />
bleibt ein Gerüst stehen, das die Stabilität der Asche<br />
gewährleistet.<br />
Angesichts der vielen Vorteile, die die organisch<br />
modifizierten Siloxane für Flammschutzmittel haben,<br />
sind die Tests von <strong>Evonik</strong> und seinen Partnern auf<br />
großes Interesse bei Kabelherstellern gestoßen:<br />
elements40 Ausgabe 3|2012<br />
kammartig (organische Reste rechtwinklig zur Kette des Siloxans)<br />
oder als eine Mischform der beiden Varianten aufgebaut sein.<br />
Die gewünschten Eigenschaften der Mole küle lassen sich durch<br />
diese vielfältigen Möglichkeiten ähnlich wie in einem Baukasten<br />
durch unterschiedliche Kombinationen erreichen. <strong>Evonik</strong> besitzt<br />
umfangreiches Know-how in der Aus legung des chemischen<br />
Verhaltens der organisch modifizierten Siloxane. Die Produkte<br />
werden unter den Markennamen TEGOMER® und TEGOPREN®<br />
zusammengefasst.<br />
A Organisch modifizierte Siloxane<br />
B<br />
Polymerphase<br />
Flamm schutzmittel auf Basis von Metallhydroxiden<br />
bekommen dank der Additive eine bessere Qualität,<br />
die ihre Einsatzfähigkeit erleichtert oder sogar<br />
erweitert. Damit werden neue Anwendungen möglich,<br />
in denen zum Beispiel MDH für Polypropylen in<br />
Spritzgussanwendungen eine verbesserte Fließfähigkeit<br />
verlangt. Sie wird durch die organisch<br />
modifizierten Siloxane gewährleistet.<br />
777<br />
Kammförmig<br />
Linear<br />
Kombiniert<br />
Kathrin lehmann leitet im Geschäfts bereich Con -<br />
su mer Specialties von <strong>Evonik</strong> die Anwendungstechnik<br />
und Entwick lung von Additiven für Kunststoff- und<br />
Polymerapplikationen in dem neuen Plastics-Technikum<br />
in Essen. Sie studierte Synthesechemie an der Humboldt-Universität<br />
zu Berlin. Nach fünfjähriger Tätigkeit<br />
in der Anwendungs technik eines Pigment herstellers<br />
wechselte sie 1999 zu <strong>Evonik</strong>. Hier war sie für die<br />
Entwicklung von Netz- und Disper gieradditiven für<br />
Lackanwendungen verantwortlich, bis sie im April<br />
2005 ihre aktuelle Aufgabe übernahm.<br />
+49 201 173-2824, kathrin.lehmann@evonik.com
Forschen für den Klimaschutz<br />
Wie lassen sich die CO 2 -Emissionen senken?<br />
Und wie könnte aus dem von Natur aus reaktionsträgen<br />
Treibhausgas ein nützlicher<br />
Synthesebaustein für den Chemiker werden?<br />
Antworten darauf soll die Fördermaßnahme<br />
„Technologien für Nachhaltigkeit und Klimaschutz<br />
– Chemische Prozesse und stoffliche<br />
Nutzung von CO 2 “ des Bundesministeriums<br />
für Bildung und Forschung (BMBF) liefern.<br />
Wie diese Antworten aussehen könnten, hat<br />
das BMBF auf der ACHEMA 2012 vorgestellt.<br />
Ganz vorn dabei: <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong>. <strong>Evonik</strong><br />
ist mit acht Projekten an der Förder initiative<br />
beteiligt und kooperiert dabei mit 32 Partnern.<br />
Das BMBF unterstützt die acht Forschungsprojekte,<br />
die über einen Zeitraum<br />
von drei Jahren laufen und mit einem Budget<br />
von insgesamt 22,3 Millionen € ausgestattet<br />
sind. <strong>Evonik</strong> investiert 7,4 Millionen € in die<br />
Forschungsarbeiten, die eine Verringerung<br />
des CO 2 -Ausstoßes durch effizientere Prozesse,<br />
durch energetische Nutzung von Abwärme<br />
und durch stoffliche Verwertung von<br />
CO 2 anstreben.<br />
Im Rahmen der Ausstellungsgruppe<br />
„Forschung und Entwicklung“ präsentierte<br />
<strong>Evonik</strong> den Besuchern des BMBF-Standes<br />
Exponate rund um den Förderschwerpunkt.<br />
Vorträge und eine Diskussionsrunde rundeten<br />
das Programm ab.<br />
<strong>Evonik</strong> ist an folgenden Forschungs projekten<br />
beteiligt:<br />
OPhINA – Organophile Nanofiltration<br />
für energieeffiziente Prozesse<br />
Das Projekt will CO 2 -Emissionen mindern,<br />
indem es energieintensive, thermische Trennver<br />
fahren zumindest teilweise durch die<br />
orga nophile Nanofiltration (Organic Sol vent<br />
Nanofiltration, OSN) ersetzt, die deutlich<br />
weniger Energie benötigt. Hier für wollen die<br />
Projektpartner eine Techno logie ent wickeln,<br />
die es ermöglicht, Mem bran module für die<br />
OSN reproduzierbar und qualitäts sicher herzustellen<br />
(BMBF-FKZ 01RC1001).<br />
SIT – Nutzung niederkalorischer<br />
indus trieller Abwärme mit Sorptionswärmepumpensystemen<br />
mittels<br />
ionischer Flüs sigkeiten und thermochemischer<br />
Speicher<br />
Im Rahmen des SIT-Projekts arbeitet <strong>Evonik</strong><br />
mit Partnern an thermochemischen Wärmespeichern,<br />
die im Vergleich zu Wasser speichern<br />
eine bis zu achtfach höhere Energiedichte<br />
aufweisen. Sie könnten in Chemieanlagen<br />
eingesetzt werden, um Wärme aus<br />
Forschung für Nachhaltige<br />
Entwicklungen<br />
Präsentation auf dem BMBF-Stand der ACHEMA.<br />
Links: Dr. Beate Kleinwächter von der <strong>Evonik</strong>eigenen<br />
Innovationsagentur, die die Forscher unter<br />
anderem beim wissenschaftlichen und kaufmännischen<br />
Projektmanagement unterstützt; Mitte:<br />
Dennis Krämer (DECHEMA e.V., Forschungsförderung<br />
und Tagungen); rechts: Dr. Tatjana Kiesow<br />
(Projektträger im Deutschen Zentrum für Luft- und<br />
Raumfahrt e.V., Umwelt, Kultur, Nachhaltigkeit)<br />
Abkühlvorgängen zu gewinnen, die dann<br />
zum Aufheizen eines anderen Prozesses<br />
genutzt wird. Außerdem wollen die Projektpartner<br />
neue Arbeitsmedien auf Basis ionischer<br />
Flüssigkeiten für die Absorp tionswärme<br />
pumpe entwickeln (BMBF-FKZ<br />
01RC1002).<br />
EFFIcO 2 – Neue Absorbenzien zur<br />
effizienteren cO 2 -Abtrennung<br />
Neue Absorptionsmittel, die das CO 2 aus<br />
Industriegasen und Abgasen aufnehmen,<br />
sollen den Energiebedarf bei der CO 2 -<br />
Abtren nung deutlich reduzieren. Die jetzt<br />
entwickelten Substanzen werden derzeit<br />
unter realen Bedingungen in einer neun<br />
Meter hohen Versuchsanlage eines Heizkraftwerks<br />
getestet. Um den Prozess opti mal<br />
verfolgen zu können, besteht die gesamte<br />
Anlage aus Glas (BMBF-FKZ 01RC1003).<br />
VAlERY – Energieeffiziente Synthese<br />
von aliphatischen Aldehyden aus Alkanen<br />
und Kohlendioxid: Valeraldehyd aus<br />
n-Butan und cO 2<br />
Die Projektpartner streben an, bei der<br />
Hydroformylierung von Olefinen zu Aldehyden<br />
das bisher gebräuchliche Kohlenmonoxid<br />
durch Kohlendioxid zu ersetzen.<br />
Außerdem sollen die Olefine durch Dehydrie<br />
rung von Alkanen bereitgestellt werden.<br />
Beispielreaktion ist die Umsetzung von<br />
n-Butan und CO 2 zu Valeraldehyd (BMBF-<br />
FKZ 01RC1011).<br />
NEWS<br />
!nnovA 2 – Innovative Apparate- und<br />
Anlagenkonzepte zur Steigerung<br />
der Energieeffizienz von Produktionsprozessen<br />
Eine optimale Wärmeintegration leistet einen<br />
wesentlichen Beitrag zur besseren Energieeffizienz<br />
von industriellen Prozessen. Ziele<br />
des Verbundprojekts sind die Bewertung und<br />
Optimierung innovativer Apparate zur<br />
Wärmeintegration sowie die Bereitstellung<br />
experimentell abgesicherter Dimensio nierungsgrundlagen<br />
für diese Apparate (BMBF-<br />
FKZ 01RC1013).<br />
Multi-Phase – Erhöhung der Energieeffizienz<br />
und Reduzierung von Treib hausgasemissionen<br />
durch Multiskalenmodellierung<br />
von Mehrphasenreaktoren<br />
Mit diesem Vorhaben sollen die CO 2 -Emissionen<br />
in der chemischen Produktion durch<br />
Optimierung von Mehrphasen reaktoren<br />
signifikant gemindert werden. Dazu will<br />
das Konsortium verlässliche skalenunabhängige<br />
Rechenmodelle sowie Messtechniken<br />
und -apparate entwickeln und im industriellen<br />
Maßstab validieren (BMBF-FKZ<br />
01RC1102).<br />
cOOBAF – cO 2 -basierte Acetonfermentation<br />
Am Ende dieses Projekts soll ein Fermen -<br />
ta tionsprozess zur biotechnologischen Produk<br />
tion von Aceton stehen. Dafür sollen<br />
industrielle Abgasströme genutzt werden, die<br />
neben CO 2 auch Kohlenmonoxid (CO) und<br />
Wasserstoff (H 2 ) beinhalten. Mit der mikrobiellen<br />
Acetonherstellung aus CO 2 -haltigen<br />
Abgasströmen wollen die Projektpartner<br />
somit eine nachhaltige Alternative zur petrochemischen<br />
Produktionsroute bereitstellen<br />
(BMBF-FKZ 01RC1105).<br />
hY-SIlP – Entwicklung von neuartigen,<br />
ressourcenschonenden hydroformylierungstechnologien<br />
unter Einsatz von<br />
SIlP-Katalysatoren<br />
Das Projekt hat das Ziel, Alkene deutlich<br />
energieeffizienter zu hydroformylieren.<br />
Dazu sollen neuartige Technologien entwickelt<br />
werden, die SILP-Katalysatoren<br />
(Sup ported Ionic Liquid Phase) nutzen. Bei<br />
der SILP-Katalysatortechnologie handelt es<br />
sich um ein innovatives Konzept zur Immobilisierung<br />
homogener Katalysatoren, das<br />
die traditionellen Vorteile der homogenen<br />
und heterogenen Katalyse verbindet<br />
(BMBF-FKZ 01RC1107).<br />
13<br />
elements40 Ausgabe 3|2012
14 WISSENSMANAGEMENT<br />
elements40 Ausgabe 3|2012<br />
Social Media<br />
Wissen teilen<br />
Sie bloggen und twittern, diskutieren über aktuelle Projekte und tragen mit guten<br />
Vorschlägen zur Lösung so manchen Problems eines Kollegen bei: Seit Frühherbst<br />
2011 nutzen Mitarbeiter der IT und der Finance Community sowie des Bereichs<br />
Site Services von <strong>Evonik</strong> eine unternehmensinterne Social-Media-Plattform als<br />
zusätzliches Kommunikationsinstrument – ein erfolgreiches Pilotprojekt, das zahlreiche<br />
Mitarbeiter bereitwillig angenommen haben, um ihr Wissen zu teilen. Doch<br />
was ändert sich im Unternehmen, wenn sich den Mitarbeitern neben Telefon und<br />
E-Mail ein völlig neuer Kommunikationskanal öffnet? Der Bereich IT Applications<br />
Services von <strong>Evonik</strong> hat in einer Masterarbeit an der Hochschule Darmstadt im<br />
Arbeitskreis von Prof. Dr. Christoph Wentzel untersuchen lassen, welche Chancen,<br />
Herausforderungen und Möglichkeiten der Einsatz von Social Media als Wissensmanagementlösung<br />
bei <strong>Evonik</strong> bietet.<br />
[ text Florian Daners, Rainer Gimbel ]<br />
E-Mail ist für die Kommunikation unwichtig – was<br />
aus heutiger Sicht völlig weltfremd klingt, war Ende<br />
der 1960er Jahre gar kein so abwegiger Gedanke. So<br />
vertrat zum Beispiel Lawrence Roberts, einer der<br />
Mitentwickler des Internetvorläufers ARPANET,<br />
damals die Ansicht, dass E-Mail kein wichtiger<br />
Beweggrund für den Aufbau eines Netzwerks aus<br />
wissenschaftlichen Rechnern sei. Mit Blick auf die<br />
berufliche Nutzung der Mail gab es in späteren Jahren<br />
Diskussionen darüber, ob diese Kommuni kationsform<br />
angesichts der Risiken eventuell nur intern verwendet<br />
werden sollte und welche Probleme beim Knowhow-Schutz<br />
einem Unternehmen ent stehen könnten,<br />
wenn jeder Mitarbeiter an jede beliebige Person in<br />
der Welt Mails verschicken kann.<br />
Gut 40 Jahre später wurden laut einer Hochrechnung<br />
des IT-Marktforschungsunternehmens Radicati<br />
Group aus dem Jahr 2010 jeden Tag rund 294 Milliarden<br />
E-Mails verschickt. Selbst wenn es sich dabei<br />
Schätzungen zufolge in rund 95 Prozent aller Fälle<br />
um Spam handelte, wären das noch immer fast 15 Milliarden<br />
Mails pro Tag.<br />
Die jüngste Marktforschung der Radicati Group<br />
zeigt aber noch eine weitere Entwicklung auf: Zwar<br />
werde die Zahl der E-Mail-Konten in der Welt von<br />
3,3 Milliarden in diesem Jahr auf 4,3 Milliarden in vier<br />
Jahren wachsen, so das IT-Marktforschungs unternehmen,<br />
aber dieses relativ gemächliche Wachstum<br />
steht in keinem Verhältnis zu dem bei Social- Media-<br />
Damals wie heute<br />
herrscht Skepsis gegenüber<br />
neuen Medien<br />
Konten: Ihre Zahl soll von 2,7 Milliarden in diesem<br />
Jahr auf mehr als 4,3 Milliarden bis 2016 steigen, so<br />
die Prognose. Social Media hätten damit innerhalb<br />
weniger Jahre der E-Mail den Rang ab gelaufen.<br />
Genauso wie der E-Mail in ihren Anfängen Skepsis<br />
entgegenschlug, geht es heute den Social Media.<br />
Vor allem ihr interner Einsatz auf dedizierten IT-<br />
Plattformen im Unternehmen, um die Mitarbeiter und<br />
ihr Fachwissen stärker miteinander zu vernetzen,<br />
steht noch ganz am Anfang. Bereits Ende 2006 hatte<br />
das IT-Beratungsunternehmen Gartner jedoch die<br />
Prognose gewagt, dass Social Software für Unter-
nehmen die Arbeitsplatztechnologie sein werde, die<br />
in diesem Jahrzehnt den größten Erfolg verzeichnen<br />
werde. Mit Social Software, so Gartner weiter,<br />
könnten Unternehmen ihren Mitarbeitern helfen,<br />
andere Personen mit ähnlichen Interessen, Kenntnissen,<br />
Hintergründen und Erfahrungen zu finden – ein<br />
entscheidender Punkt mit Blick auf Wissensmanagement<br />
und Innovation. Vor diesem Hintergrund<br />
erprobt auch die <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> AG den Einsatz<br />
von Social Media im Rahmen von Pilotprojekten in<br />
der IT und der Finance Community sowie im Bereich<br />
Site Services des Unternehmens. Sie liefen im Frühherbst<br />
des Jahres 2011 an.<br />
Die eingesetzte Social-Media-Plattform „IBM Connections“<br />
bietet sämtliche Funktionen, die von einer<br />
solchen Software zu erwarten sind. Die Mitarbeiter<br />
können Profile ihrer Tätigkeit und Qualifikationen<br />
anlegen, eigene Blogs (Nachrichten) oder Microblogs<br />
(Kurznachrichten) schreiben, in Diskussionsforen<br />
mitwirken oder Wikis (kollaborativ erarbeitete Nachschlagewerke,<br />
Dokumentationen) anlegen. Sie können<br />
über die Social-Media-Plattform anderen Nutzern<br />
auch Dokumente zur Verfügung stellen. Über die<br />
Suche nach bestimmten Inhalten können Kollegen direkt<br />
die Beiträge anderer Kollegen lesen und sich mit<br />
ihnen vernetzen. So entsteht ein unternehmens weites<br />
Mitarbeiternetzwerk. Communitys können von<br />
jedem Mitarbeiter gegründet werden und lassen sich<br />
offen, nur mit Zugang auf Einladung oder ganz<br />
Social Media sind<br />
dynamischer als typische<br />
Wissensdatenbanken<br />
geschlossen anlegen. Zu bedienen ist die Web2.0-<br />
Plattform über den Browser, es muss keine zusätzliche<br />
Software installiert werden.<br />
Gemeinsam ist diesen Kommunikationsmitteln,<br />
dass sie den Austausch mit anderen Nutzern, also in<br />
diesem Fall Kollegen, begünstigen. Als die Idee des<br />
Wissensmanagements in den 1990er Jahren und um<br />
die Jahrtausendwende immer stärker in den Unternehmen<br />
Einzug hielt, waren Datenbanken und<br />
Portale die typischen Technologien, in denen die Mitarbeiter<br />
ihr Wissen verfügbar machen sollten. Dieser<br />
sehr strukturierte Ansatz funktionierte in der 333<br />
WISSENSMANAGEMENT<br />
Die Illustration zeigt die<br />
Tag Cloud, die aus dem<br />
Text der Masterarbeit<br />
über Chancen und Herausforderungen<br />
von<br />
Social Media bei <strong>Evonik</strong><br />
erzeugt wurde. Die Tag<br />
Cloud bildet Schlüsselbegriffe<br />
der Arbeit entsprechend<br />
ihrer Wich tigkeit<br />
in unterschiedlichen<br />
Größen ab – und sie<br />
zeigt, dass Social Media<br />
im Unternehmen kein<br />
IT-Thema, sondern ein<br />
Kommunikationsthema<br />
sind<br />
15<br />
elements40 Ausgabe 3|2012
16 WISSENSMANAGEMENT<br />
elements40 Ausgabe 3|2012<br />
333 Praxis allerdings nur für spezielle Situationen.<br />
Denn je offener die Stoßrichtung einer Fragestellung<br />
ist und je stärker das erforderliche Fachwissen aus<br />
unterschiedlichen Bereichen stammt, desto schwieriger<br />
wird es, vorhandenes Wissen in sozusagen<br />
voraus eilend aufbereiteter Form vorzuhalten. Social<br />
Media sind da deutlich dynamischer.<br />
Anstatt sich vorab Gedanken zu machen, welche<br />
Fragestellung für einen Kollegen irgendwann in der<br />
Zukunft von Interesse sein könnte, kommuniziert der<br />
Mitarbeiter ganz konkret aus seiner momentanen<br />
Situation heraus: an welchen Problemen und Fragestellungen<br />
er derzeit tüftelt, welche überraschenden<br />
Erkenntnisse er – wo auch immer – gewonnen hat<br />
oder für welche aktuelle Frage er eine Antwort sucht.<br />
Bezogen auf die Zusammenarbeit in einem Projekt<br />
kann das zum Beispiel heißen, dass die Mitarbeiter<br />
in einem Wiki den Projektfortschritt dokumentieren,<br />
ohne formale Kriterien erfüllen zu müssen. Alle<br />
Beteiligten können zum Wiki beisteuern, was sie für<br />
wichtig halten – und so wiederum unter den Beteiligten<br />
Diskussionen auslösen, bei denen es um sehr<br />
kontextspezifische Fragen geht. Auch nach Projektende<br />
ist der Wiki weiterhin einsehbar.<br />
Den Social Media liegt die Annahme zugrunde,<br />
dass jeder Mensch kommunizieren will. Bereits der<br />
Soziologe Niklas Luhmann hat im vergangenen Jahrhundert<br />
jedoch in seiner allgemeinen Systemtheorie<br />
darauf hingewiesen, dass – vereinfacht dargestellt –<br />
Kommunikation erst mit dem Lesen beginnt, nicht<br />
mit dem Senden der Nachricht. Wer schon mal eine<br />
E-Mail an einen Verteiler von zehn Kollegen verschickt<br />
hat, weiß, was Luhmann meinte: Nur ein Teil<br />
der Empfänger hat die Mail wahrgenommen, ein noch<br />
geringerer Teil hat sie gelesen und die wenigsten antworten.<br />
Kommunikation beginnt mit<br />
dem Lesen einer Nachricht –<br />
nicht mit dem Senden<br />
Eine Social-Media-Plattform kann helfen, die Bereitschaft<br />
für das Lesen zu steigern. Denn die Nutzer der<br />
Plattform machen sich gegenseitig auf Beiträge<br />
Dritter aufmerksam, die möglicherweise interessant<br />
sind. Das kann rasch dazu führen, dass ein Nutzer der<br />
Plattform auf Kollegen stößt, die ähnliche Themen<br />
bearbeiten, wovon er bislang aber nicht wusste, weil<br />
sie in einem anderen Geschäftsbereich tätig sind.<br />
Dass die Mitarbeiter eines Unternehmens sich<br />
gegenseitig auf interessante Themen hinweisen, kann<br />
natürlich auch per Telefon, E-Mail oder im direkten<br />
Gespräch erfolgen. Grundsätzlich gilt jedoch: Je mehr<br />
Kommunikationskanäle zur Verfügung stehen, desto<br />
wahrscheinlicher wird kommuniziert. Und da sich<br />
mit Social-Media-Plattformen innerhalb kürzester<br />
Zeit sehr viele Kollegen sehr einfach erreichen lassen,<br />
verteilen sich interessante und wichtige Beiträge<br />
durch das Netzwerk quasi selbständig. Dabei zeigt<br />
die Erfahrung, dass die Kommunikation nicht mit dem<br />
Browser endet, sondern auch „offline“ weitergeht.<br />
Die Nutzung einer Social-Media-Plattform verändert<br />
die Arbeitsweise der Mitarbeiter. An die Stelle<br />
von Mails mit langen Verteilerlisten rücken zum Beispiel<br />
Postings in Foren – die Mitarbeiter werden deshalb<br />
stärker darüber nachdenken müssen, welcher<br />
Kommunikationskanal sich für die jeweilige Situation<br />
am besten eignet. In der Phase der Einführung der<br />
Plattform kann das zu einem Mehraufwand führen,<br />
Social Media verändern<br />
die Arbeitsweise<br />
weil ja noch nicht alle Kollegen die Social Media<br />
nutzen und daher auch der klassische Weg über den<br />
Mailverteiler beschritten werden muss. Es gibt aber<br />
bereits Erfahrungen in verschiedenen Unternehmen,<br />
dass die Nutzung von Social Media das klassische<br />
Mailaufkommen spürbar verringert.<br />
Dabei geht es jedoch nicht darum, einen Kommunikationskanal<br />
durch einen anderen zu ersetzen, sondern<br />
darum, den passenden Kommunikationskanal<br />
für die jeweilige Aufgabe zu nutzen. Das Beispiel<br />
Intranet verdeutlicht das: Per Intranet lassen sich<br />
konzernweit sehr gut Informationen verbreiten, bei<br />
denen es nicht auf die bidirektionale Kommunikation<br />
ankommt. Die Stärke von Social-Media-Plattformen<br />
ist dagegen der Austausch zwischen Sendern und<br />
Empfängern. Für die konzernweite Information (ohne<br />
Feedbackbedarf) eignen sich andere Kanäle unter<br />
Umständen besser, weil Social-Media-Plattformen per<br />
definitionem unstrukturiert sind und in eine Vielzahl<br />
von kommunizierenden Communitys zerfallen.<br />
In gewisser Weise müssen Mitarbeiter also den Umgang<br />
mit Social-Media-Plattformen lernen – wobei<br />
man nicht vergessen sollte, dass die ins Berufs leben<br />
nachrückende Generation Social Media bereits intensiv<br />
in ihrem Privatleben nutzt. Die Zahl derer, die<br />
solche Werkzeuge in einem Unternehmen verwenden<br />
werden – und deren Nutzungsmöglichkeit auch<br />
erwarten –, wird also rasch ansteigen.<br />
Im Rahmen des Pilotprojekts hat sich für die Einführung<br />
der Plattform das Konzept der Evangelisten<br />
bewährt, um die Aufmerksamkeit und Bereitschaft<br />
bei den potenziellen Nutzern zu erhöhen. Denn bei<br />
keinem der Pilotprojekte wurden die Mitarbeiter der<br />
betroffenen Bereiche zur Nutzung der Social-Media-<br />
Plattform verpflichtet – alles erfolgte auf freiwilliger<br />
Basis. Umso erfreulicher waren die rasch zu nehmenden<br />
Nutzerzahlen.
Was ein Evangelist macht, lässt sich sehr gut anhand<br />
des früheren Apple-Chefs Steve Jobs verdeut lichen:<br />
Die Idee des Smartphones geisterte schon ungefähr<br />
ein Jahrzehnt durch die IT-Fachpresse, bevor es tatsächlich<br />
jemand schaffte, sowohl ein technisch ausgereiftes<br />
Produkt zu entwickeln als auch die erforderliche<br />
Aufmerksamkeit bei den Verbrauchern zu<br />
erzeugen. Nur das Verbreiten, Kommunizieren und<br />
Streuen dieser Visionen erzeugt eine so große Dynamik.<br />
Daher brauchen Social-Media-Plattformen<br />
Evangelisten, die mit Visionen und viel Kommunikation<br />
die Idee, den Mehrwert und die Botschaft in<br />
den Konzern hineintragen.<br />
Dagegen scheitert bei Social Media das in der<br />
Informationstechnologie beliebte Konzept des Power<br />
Users, das ansonsten bei der Einführung einer neuen<br />
Software häufig zum Erfolg führt. Dabei werden<br />
Schlüsselnutzer aus den Fachbereichen intensiv in<br />
einer Software geschult. Sie fungieren dann als<br />
Ansprechpartner für den IT-Bereich, um feststellen<br />
zu können, wie gut die Geschäftsprozesse von der<br />
Software unterstützt werden. Gleichzeitig dienen die<br />
Power User bei einfachen technischen Fragen als<br />
erster Ansprechpartner für die Kollegen des Fachbereichs<br />
und bringen so – neben Schulungen – das<br />
Wissen über die Bedienung der Software zu den<br />
Anwendern. Gerade weil das Konzept auf der –<br />
berechtigten – Annahme beruht, dass jeder Mitarbeiter<br />
des Fach bereichs mit der Software arbeiten<br />
will oder muss, greift es jedoch nicht bei Social<br />
Media. Ihnen liegt ja gerade die Idee der Freiwilligkeit<br />
zugrunde.<br />
Social Media führen zu<br />
einem Kulturwandel<br />
Eine Social-Media-Plattform ist nicht nur ein<br />
weiteres Tool neben vielen anderen. Social Media<br />
verändern vielmehr zwangsläufig die Kultur eines<br />
Unternehmens. Wie es zu einem solchen Kulturwandel<br />
kommt, lässt sich exemplarisch illustrieren.<br />
Beispiel Meetings: Die Erfahrung zeigt, dass Besprechungen<br />
häufig in der Zusammensetzung stattfinden,<br />
die der organisatorische Rahmen vorgibt; Social Media<br />
dagegen brechen diese starren Grenzen auf, weil<br />
sich Communitys themengesteuert bilden. Beispiel<br />
Blog zur Ideation, also Ideenfindung: Jeder Nutzer<br />
hat eine Stimme – egal, ob gewöhnlicher Mitarbeiter<br />
oder Vorgesetzter. Beispiel Hierarchien und Organisationsstrukturen:<br />
Auf Social-Media-Plattformen wird<br />
die Abbildung von Hierarchien nur bedingt unterstützt.<br />
Die Strukturierung erfolgt in der Regel<br />
themen- oder projektbezogen.<br />
Dies ermöglicht ein optimales Speichern von Wissen.<br />
Der Mitarbeiter bestimmt für ein Problem eine<br />
jeweils angepasste Struktur. Das Pilotprojekt zeigte,<br />
dass diese Selbstorganisation tatsächlich funktioniert.<br />
Anders als beim klassischen Wissensmanagement<br />
wird das Mitarbeiterwissen bei der Kommuni kation<br />
innerhalb der Communitys quasi als Nebenprodukt<br />
gespeichert. Die Einführung einer solchen Plattform<br />
muss demnach unter anderem Kommunikation und<br />
Selbstorganisation fördern. Eine Top-down-Vorgabe<br />
schränkt solche Prozesse ein. Diese Sicht teilt auch<br />
Jochen Gintzel, Chief Information Officer von <strong>Evonik</strong>:<br />
Es sei wichtig, „loslassen“ zu können, um der Bildung<br />
von Strukturen einen angemessenen Freiraum zusichern<br />
zu können. Im Pilotbetrieb zeigte sich, dass<br />
solche Strategien, verbunden mit einem Changemanagement,<br />
erfolgreicher waren als Top-down-<br />
Ansätze. Dies führt zudem unweigerlich zu mehr<br />
Selbstbestimmung der Mitarbeiter, die an dieser Stelle<br />
auch eingefordert wird.<br />
Das eigentlich Spannende – und aus Unternehmenssicht<br />
Herausfordernde – ist, dass niemand genau<br />
weiß, wie sich die Kultur dadurch letztlich verändern<br />
wird. Gleichzeitig bietet das aber auch eine Chance<br />
für den Mitarbeiter, Kultur aktiv mitzugestalten, eben<br />
weil beim Nutzer die Initiative liegt. Aber angesichts<br />
der gewaltigen Vorteile eines verbesserten Wissensmanagements<br />
und effizienter Kommu ni kation sollten<br />
Unternehmen bereit sein, diese Unwägbarkeiten in<br />
einem begleiteten Prozess in Kauf zu nehmen. 777<br />
WISSENSMANAGEMENT<br />
„Evangelisten“ erhöhen die<br />
Akzeptanz von Social Media<br />
Florian Daners arbeitet seit dem 1. Juli 2012 im Bereich<br />
IT Applications Services von <strong>Evonik</strong> im Colla boration-<br />
Team der Abteilung Technology. Er studierte Informatik<br />
an der Hochschule Darmstadt und erforschte in seiner<br />
Masterarbeit unter Anleitung von Prof. Dr. Christoph<br />
Wentzel „Chancen, Herausforde rungen und Möglichkeiten<br />
des Einsatzes von Social Media als Instrument<br />
für Wissensmanagement bei <strong>Evonik</strong>“.<br />
+49 69 218-5683, florian.daners@evonik.com<br />
Rainer Gimbel begann 1995 bei der damaligen<br />
Degussa in Frankfurt am Main. Lange Zeit beschäftigte<br />
er sich mit dem Thema SAP im Umfeld des Purchaseto-Pay-Prozesses.<br />
Dabei arbeitete er in unterschiedlichen<br />
Positionen und an verschiedenen Standorten für<br />
die Bereiche Procurement und IT Applications Services.<br />
Seit kurzem ist er in Essen im Bereich <strong>Evonik</strong> Corporate<br />
IT für das Thema IT-Kommunikation und soziale<br />
Netze verantwortlich. Eine der größten Herausforderungen<br />
sind dabei der konzernweite Roll-out der Plattform<br />
IBM Connections und der damit verbundene<br />
kulturelle Wandel.<br />
+49 201 177-2070, rainer.gimbel@evonik.com<br />
17<br />
elements40 Ausgabe 3|2012
18 INNOVATIONSMANAGEMENT<br />
elements40 Ausgabe 3|2012<br />
Wie sich mit Open Innovation und Crowdsourcing Wert schaffen lässt<br />
Die Weisheit der Menge nutzen<br />
Als Spezialchemieunternehmen lebt <strong>Evonik</strong> von Innovationen. Mit Open Innovation,<br />
Open Ideation und Crowdsourcingansätzen versucht das Unter nehmen, seine<br />
Innovationspro zesse weiter voranzutreiben. Pilotprojekte sollen wichtige Erkenntnisse<br />
liefern, wie sich internes und externes Wissen bei der Erschließung neuer<br />
Geschäftsfelder nutzen lässt.<br />
[ text Dr. Georg Oenbrink ]<br />
nEuE WEgE dEr Innovation haben die Teilnehmer<br />
einer Veranstaltung beschritten, die <strong>Evonik</strong> vor einigen<br />
Wochen ausrichtete. Die <strong>Evonik</strong> Open Inno vation Fair<br />
brachte rund 180 Mitarbeiter des Unternehmens mit<br />
externen Experten für Open Innovation, Open Ideation,<br />
Crowdsourcing und für die Nutzung von Social-<br />
Media-Applikationen in Kontakt. Fachvorträge von<br />
Vertretern von Industrieunternehmen wie IBM, 3M,<br />
LG, Altana, Beiersdorf und Schott zeigten den Teilnehmern,<br />
wie sich Open Innovation in die Innovationsprozesse<br />
integrieren lässt. Flankiert wurde die<br />
zweitägige Veranstaltung von einer Inhousemesse,<br />
auf der Dienstleister über einschlägige Angebote informierten.<br />
Mit der Konferenz hat der Bereich Inno-<br />
Hinter Open Innovation steckt die Annahme, dass sich zu nahezu jedem<br />
Thema auch außerhalb eines Unternehmens Experten finden, die<br />
mit ihrer Kreativität zu neuen Ideen und Problemlösungen beitragen<br />
können. Immer mehr Unternehmen öffnen deshalb<br />
ihren Innovationsprozess – sie beziehen bisher unerschlossene<br />
Kompetenzen außerhalb klassischer<br />
Institutionen ein, um Innovations potenzial und<br />
-effizienz zu steigern. Das Internet spielt<br />
dabei als Kommunikationsplattform<br />
eine wichtige Rolle.<br />
vation Networks & Communications, der zu Corporate<br />
Innovation Strategy & Management gehört,<br />
innerhalb des Konzerns das Wissen darüber erweitert,<br />
was inzwischen mit Open Innovation alles möglich<br />
ist.<br />
Schon lange arbeitet <strong>Evonik</strong> mit Hochschulen,<br />
Kunden, Lieferanten und anderen Partnern zusammen,<br />
um neue Produkte und Technologien zu ent wickeln.<br />
Doch für den nächsten Sprung im Innova tionsma -<br />
na gement reicht das nicht mehr aus. Statt dessen sind<br />
komplett neue Ansätze im Innovationsmanagement<br />
und eine weitere Öffnung nach außen erforderlich –<br />
nur so ist es möglich, Innovationen nicht nur marktgetrieben<br />
von Kundenseite zu denken, sondern auch
zu diskutieren, welche neuen Märkte sich möglicherweise<br />
entwickeln, die ein zusätzliches Wachstum bei<br />
Umsatz und Rendite versprechen. Zwei wichtige Argumente<br />
sprechen dafür, dass dies nur mit Open Innovation<br />
möglich ist.<br />
Zum einen werden gerade für einen Spezialchemieanbieter<br />
wie <strong>Evonik</strong> die Produktlebenszyklen<br />
in vielen Märkten immer kürzer. Zwar wird es immer<br />
Geschäftsfelder geben, in denen Produkte 20, 30 oder<br />
50 Jahre lang dank geschickter Weiterentwicklung<br />
eine ungebrochen hohe Nachfrage verzeichnen. Die<br />
Erfahrung lehrt jedoch, dass das in entstehenden<br />
Märkten eher nicht mehr der Fall sein wird. Ein gutes<br />
Beispiel ist die Displaytech nologie, ein gigantischer<br />
Wachstumsmarkt. Hier stehen die Marktteilnehmer<br />
vor der Frage, wie sie Produkt lebenszyklen von einem<br />
halben oder einem Jahr möglichst effizient und<br />
erfolgreich begleiten können. Das funktioniert nur,<br />
wenn sich die Unternehmen Kompetenzen von außen<br />
ins Haus holen: Unter suchungen belegen, dass Unternehmen,<br />
die Open Inno va tion in Forschung und<br />
Entwicklung zulassen, hier wesentlich erfolgreicher<br />
sind – sie schneiden um bis zu 70 Pro zent besser ab<br />
als Unternehmen, die sich nicht öffnen.<br />
Der zweite Grund, der für Open Innovation spricht:<br />
Innovationen entstehen heute nicht mehr nur innerhalb<br />
von Branchen oder Disziplinen, sondern eher<br />
übergreifend an den Schnittstellen von Indus trien<br />
und Segmenten. Um beim Beispiel der Displaytechnologie<br />
zu bleiben: Weder die Chemiebranche noch<br />
die Elektronikindustrie sind allein in der Lage, die<br />
Probleme bei der Entwicklung neuer Displaytechnologien<br />
zu lösen. Daher müssen sie ihre Kompetenzen<br />
bündeln – in einem Prozess der Open Innovation.<br />
Open Ideation: eine zusätzliche<br />
Quelle für gute Ideen<br />
<strong>Evonik</strong> erscheint riesig, gemessen an den Erfahrungen<br />
und dem Wissen, das in den Köpfen der Mitarbeiter<br />
angesammelt ist. Doch die 33.000 Mitarbeiter<br />
repräsentieren nur einen Bruchteil der Weltbevölkerung,<br />
so dass die Welt außerhalb des Unternehmens<br />
zusätzlich einen enormen Wissensspeicher bietet.<br />
Daher ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass auch<br />
„da draußen“ – in einem anderen Geschäftsbereich,<br />
in einem anderen Unternehmen, in einem anderen<br />
Land – jemand gute Ideen hat. Oder zugespitzt formuliert:<br />
99,9 Prozent aller Experten arbeiten nicht<br />
im eigenen Unternehmen.<br />
Das Schlagwort Open Ideation fasst diese Er kenntnis<br />
in einen neuen Ansatz für das Innovationsmanagement:<br />
Im Rahmen einer geeigneten Community können<br />
deren Mitglieder Ideen generieren, diskutieren<br />
und bewerten. Das kreative Potenzial dieser Gemeinschaft<br />
kann so neue Lösungs ansätze für Fragen- und<br />
Problemstellungen liefern.<br />
Die Spanne der Möglichkeiten, wie sich Open<br />
Ideation in einem Unternehmen umsetzen lässt, ist<br />
dabei groß. Dem rein internen Ansatz liegt die<br />
Annahme zugrunde, dass das Wissen der Mitarbeiter<br />
in mehr oder weniger miteinander vernetzten<br />
„Silos“ vorliegt: So kann es passieren, dass ein<br />
Fachmann für ein bestimmtes Problem nur wenige<br />
hundert Meter entfernt in einem anderen Büro sitzt,<br />
die Abteilung, in der das Problem auftritt, aber<br />
nichts von diesem Fachmann weiß. Die Idee der<br />
Open Ideation ist es, das Problem auf einer geeigneten<br />
Online-Plattform – etwa im Intranet – allen<br />
Mitarbeitern zur Kenntnis zu geben, so dass auch<br />
der bislang unbekannte Fachmann von nebenan sein<br />
spezifisches Wissen einbringen kann.<br />
Kreative Lösungen gesucht:<br />
der Ideation Jam<br />
Dies kann konkret in einem sogenannten Ideation Jam<br />
erfolgen. Es handelt sich dabei um einen interaktiven<br />
Online-Ideenwettbewerb, an dem sich die Mitarbeiter<br />
eines Unternehmens beteiligen können. Bei einem<br />
Ideation Jam werden eine oder mehrere Fragestellungen<br />
für einen sehr begrenzten Zeitraum ins<br />
Intranet gestellt, und die Mitarbeiter können Lösungsvorschläge<br />
machen. Das kann ein Problem bei<br />
einer Produktionsanlage sein, aber auch eine weit in<br />
die Zukunft gerichtete Frage zur Markteinschätzung.<br />
Der IT-Konzern IBM zum Beispiel verwendet Ideation<br />
Jams auch, wenn er eine neue Unternehmensstrategie<br />
ausarbeitet. So kann er bestimmte Einschätzungen<br />
des Managements nochmals hinterfragen und<br />
sich ein Bild davon machen, wie die Akzeptanz in der<br />
Belegschaft ist.<br />
Wie die Erfahrung gezeigt hat, müssen Ideation<br />
Jams gewissen Regeln folgen, damit sie den er- 333<br />
INNOVATIONSMANAGEMENT<br />
Patrik Wohlhauser,<br />
Mitglied des<br />
Vorstandes der<br />
<strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> AG<br />
19<br />
elements40 Ausgabe 3|2012
20 INNOVATIONSMANAGEMENT<br />
Die <strong>Evonik</strong> Open<br />
Innovation Fair brachte<br />
rund 180 Mitarbeiter<br />
mit externen Experten<br />
für Open Innovation,<br />
Open Ideation, Crowdsourcing<br />
und Social<br />
Media in Kontakt<br />
elements40 Ausgabe 3|2012<br />
333 hofften Nutzen erbringen. An oberster Stelle<br />
steht die Unterstützung des Top-Managements, da<br />
der Ansatz nur so die nötige Aufmerksamkeit erhält.<br />
Des Weiteren muss jemand den Jam verantwortlich<br />
vorbereiten, denn in dieser Phase steckt der größte<br />
Aufwand – sowohl in kommunikativer Hinsicht als<br />
auch mit Blick auf die genaue Fragestellung. Diese ist<br />
nämlich ebenfalls maßgeblich für den Erfolg: Einerseits<br />
darf die Frage nicht so eng gefasst sein, dass sie<br />
wenig hilfreiche Antworten provoziert, gleichzeitig<br />
muss sie spezifisch genug sein. Dienstleister für Open<br />
Ideation verweisen immer wieder darauf, dass sie<br />
sehr viel Zeit in die Formulierung der Fragen an eine<br />
Community investieren, während die spätere Ausund<br />
Bewertung der eingegangenen Antworten vergleichsweise<br />
rasch vonstattengeht.<br />
Ist die Frage für einen Ideation Jam formuliert,<br />
bleibt sie üblicherweise nur ein bis zwei Tage online,<br />
weil erfahrungsgemäß in dieser Zeitspanne die interessantesten<br />
Antworten eingehen. Im Anschluss<br />
daran sichten Moderatoren die Antworten und fragen<br />
bei den Einreichern nach, ob sie die jeweilige<br />
Antwort richtig interpretiert haben. Dies dauert<br />
typischerweise zwei bis drei Tage. Über eine ähn liche<br />
Zeitspanne läuft anschließend online eine Diskussion<br />
unter den Teilnehmern darüber, welches die besten<br />
Ideen sind. Summa summarum liegen die Ergebnisse<br />
eines Ideation Jams also bereits etwa eine Woche<br />
nach seinem Start vor.<br />
Solche intranetbasierten Ideenwettbewerbe lassen<br />
sich natürlich auch über die Grenzen eines Unternehmens<br />
hinaus durchführen. Hierfür bieten sich<br />
entsprechende Plattformen und Dienstleister an, die<br />
bereits geeignete Communitys aufgebaut haben. Wer<br />
allerdings hofft, auf die eingestellten Fragen fertige<br />
Antworten zu bekommen, wird enttäuscht sein –<br />
typischerweise diskutiert eine Community ein Problem<br />
intensiv und entwickelt daraus Ideen, wie es<br />
gelöst werden könnte. Letztlich liefern die eingestellten<br />
Fragen also Ideen von außen, die wiederum<br />
intern im Unternehmen Ideen für künftige Produkte<br />
oder Innovationen erzeugen können.<br />
Zwischen internem und externem Ansatz sind<br />
sämtliche Varianten der Open Ideation machbar:<br />
geschlossene Communitys zum Beispiel, oder Experten<br />
– häufig Pensionäre, die einst in der Industrie<br />
arbeiteten – liefern in Gesprächen ihre Sicht<br />
der Dinge.<br />
Online-Communitys teilen<br />
ihr Wissen gerne<br />
Die Bereitschaft, in Communitys mitzumachen, ist<br />
erstaunlich hoch. Ein schillerndes Beispiel liefert<br />
Lego, dessen Produktserie Lego Technik von den Ideen<br />
der Kunden lebt: Viele Modellpackungen gehen auf<br />
die Anregung von Kunden zurück. Die Kunden tun<br />
dies nicht für Geld, sondern allein wegen der Anerkennung.<br />
Unternehmen wie Lego profitieren dabei von der<br />
emotionalen Komponente, mit der viele B2C-Produkte<br />
behaftet sind. Diese fehlt zwar bei den meisten<br />
B2B-Produkten, aber erfolgreiche Open-Ideation-<br />
Projekte im B2B-Umfeld zeigen, dass das Prinzip<br />
übertragbar ist. Der Geschäftsbereich Advanced<br />
Intermediates von <strong>Evonik</strong> hat dies in einem Pilotprojekt<br />
bereits bestätigen können: Er nutzte verschiedene<br />
Communitys – vom technischen Laien bis zum<br />
Experten war alles dabei –, um Ideen für Anwendungen<br />
von Wasserstoffperoxid zu bekommen, die die<br />
Wirtschaft bislang nicht oder nur eingeschränkt als<br />
Markt identifiziert hat. Das resultierende Ideenportfolio<br />
hat <strong>Evonik</strong> inzwischen intensiver analysiert und<br />
drei Anwendungsideen eingehender bewertet, von<br />
denen eine nun im Rahmen eines umfassenderen Projekts<br />
bearbeitet werden soll.
Open Innovation lässt sich auch unter dem Netzwerkgedanken<br />
betrachten: Letztlich geht es in Netzwerken<br />
darum, das kreative Wissen möglichst vieler<br />
Menschen möglichst unkompliziert zusammenzuführen,<br />
Diskussionen anzuregen und so neue Ideen für<br />
innovative Technologien oder Produkte zu erzeugen.<br />
Moderne informationstechnische Lösungen können<br />
diese Vernetzung unterstützen, sogar beflügeln. Mit<br />
(internen) sozialen Medien können Unternehmen<br />
zeit- und kostenintensive Treffen im Rahmen von<br />
Netzwerken zwar nicht ersetzen, aber für Kontinuität<br />
zwischen den eher seltenen persönlichen Treffen<br />
sorgen.<br />
Wer mit Online-Communitys<br />
privat gute Erfahrungen macht,<br />
nutzt sie auch beruflich<br />
Manche Unternehmen lassen es bewusst zu, dass<br />
solche internen sozialen Medien sich völlig unreguliert<br />
entwickeln: Wollen Mitarbeiter eine Diskussionsgruppe<br />
zu einem Hobby aufziehen, ist ihnen das<br />
erlaubt, auch wenn das Thema nichts mit der täglichen<br />
Arbeit zu tun hat. Hintergedanke: Wer die Erfahrung<br />
macht, dass die Plattform ihm weiterhilft und<br />
ihn auf gute Ideen bringt, wird sie auch für berufliche<br />
Dinge nutzen. Ein gut laufendes Forum Angeln kann<br />
so ein Türöffner zur Teilnahme am Forum Prozessintensivierung<br />
oder am Forum Katalyse sein. Auf diesem<br />
Wege bilden sich durch Eigeninitiative lebende<br />
Netzwerke, wie sie sich „von oben“ nie organisieren<br />
ließen.<br />
Für die Generation Y, die mit Internet, sozialen<br />
Medien und mobilen Geräten aufgewachsen ist, bekommen<br />
die Themen Open Ideation, Crowdsourcing<br />
und Social Media im Innovationsmanagement auch<br />
noch einen personalwirtschaftlichen Aspekt: Die<br />
nachrückende Generation, die Kollegen von morgen,<br />
wird wie selbstverständlich derartige Instrumente<br />
der Vernetzung in ihren Berufsalltag übernehmen,<br />
weil sie sie aus dem Privatleben gewohnt ist. Diese<br />
Generation wird Unter nehmen, die diese Elemente<br />
aktiv nutzen, womöglich sogar bei der Arbeitsplatzwahl<br />
bevorzugen. Ein wichtiges Argument vor dem<br />
Hintergrund des „war of talents“.<br />
<strong>Evonik</strong> wird von Dritten als innovativ wahrgenommen.<br />
Dazu tragen nicht nur der kontinuierliche<br />
Strom an neuen Produkten und Verfahren bei,<br />
sondern auch neue Forschungskonzepte wie die Projekthäuser<br />
und die Science-to-Business Center sowie<br />
die enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Kunden<br />
und Hochschulpartnern. Um Innovationsfähigkeit<br />
und Innovationseffizienz weiter zu steigern, erscheint<br />
es angesichts des steigenden Innovationsdrucks nur<br />
logisch, die Außenwelt stärker miteinzubeziehen. Ein<br />
erster Schritt dahin war die <strong>Evonik</strong> Open Innovation<br />
Fair 2012. Sie sollte unter den Mitarbeitern das Bewusstsein<br />
dafür schaffen, wie sich Open Innovation<br />
und Open Ideation für die eigenen Innovationsprozesse<br />
nutzen lassen. Das ist gelungen – selbst im<br />
Nachhinein hat die Veranstaltung noch großes Interesse<br />
innerhalb des Unternehmens geweckt.<br />
Im nächsten Schritt wird <strong>Evonik</strong> mit Open Ideation<br />
in den kommenden Wochen konkrete Erfahrungen<br />
sammeln. Mit geeigneten Dienstleistern hat der<br />
Bereich Innovation Networks & Communications<br />
Verträge über Pilotversuche abgeschlossen, bei denen<br />
Geschäftsbereiche und Geschäftsgebiete die neuen<br />
Möglichkeiten für eigene Innovationsprojekte nutzen<br />
können – die Kosten übernimmt der Bereich Corporate<br />
Innovation Strategy & Management. Alle<br />
Erkenntnisse aus diesen Projekten wird Innovation<br />
Networks & Communications im Konzern kommunizieren,<br />
so dass die gesamte Organisation lernen<br />
kann, wie sich Open Innovation zum Nutzen von<br />
<strong>Evonik</strong> weiterentwickeln lässt. 777<br />
INNOVATIONSMANAGEMENT<br />
Dr. Georg Oenbrink leitet seit Anfang 2010 innerhalb<br />
des Bereichs Corporate Innovation Strategy &<br />
Management (CI) die Abteilung Innovation Networks<br />
& Communications; diese identifiziert unter anderem<br />
systematisch externe Kompetenzen für <strong>Evonik</strong>, entwickelt<br />
die Instrumente für Open Innovation methodisch<br />
weiter und passt sie an die Bedürfnisse des Konzerns<br />
an. Nach Studium der Chemie und Promotion an<br />
der Universität Bremen startete Georg Oenbrink seine<br />
berufliche Laufbahn 1987 in der Anwendungs technik<br />
Thermoplaste bei Dynamit Nobel. 1989 wechselte er<br />
zur ehemaligen Hüls AG und war dort zunächst für das<br />
weltweite Produktmanagement der Hochleis tungskunststoffe<br />
TROGAMID® und DYFLOR® verantwortlich.<br />
Ab 1996 leitete er F&E des früheren Geschäftsgebiets<br />
Hochleistungskunststoffe und ab 1998 F&E<br />
des heutigen Geschäftsgebiets High Performance<br />
Polymers. 2002 übernahm er die Verantwortung für<br />
das Innovationsmanagement von High Performance<br />
Polymers, bis er 2010 zu CI wechselte.<br />
+49 201 177-4323, georg.oenbrink@evonik.com<br />
21<br />
elements40 Ausgabe 3|2012
22 KATAlYSE<br />
Neues Kompetenzzentrum Oxidationskatalyse<br />
Gemeinsam Zukunftspotenziale heben<br />
In dem neugeschaffenen Kompetenzzentrum GOcat – Green Oxidation Catalysis – hat <strong>Evonik</strong><br />
Anfang Februar dieses Jahres die Forschung und Entwicklung in Sachen Oxidationskatalyse<br />
konzen triert. Dazu wurden Know-how und Kräfte aller sechs Geschäftsbereiche unter Leitung<br />
des Fachbereichs Verfahrenstechnik & Engineering gebündelt. Ein Novum, das der Bedeutung<br />
von Oxidationsprodukten und -verfahren für <strong>Evonik</strong> Rechnung trägt.<br />
[ text Dr. Horst-Werner Zanthoff, Dr. Dorit Wolf, Dr. Holger Wiederhold, Dennis Frühling ]<br />
das lEBEn ist ohne Oxidationsprozesse nicht denkbar. Sauerstoffaufnahme<br />
und oxidative Stoffwechselprozesse sind die<br />
Basis menschlicher Existenz. Und auch in der chemischen Industrie<br />
spielt die Oxidation eine zentrale Rolle. Ob Futtermittel,<br />
Kunststoff oder Kosmetikprodukt – in vielen dieser chemischen<br />
Produkte spielt ein Oxidationsschritt im Herstellungsverfahren<br />
eine entscheidende Rolle. Die meiste Wertschöpfung in der<br />
Chemie entsteht durch Oxidationsreaktionen.<br />
Bei <strong>Evonik</strong> kommen jährlich rund 600.000 Tonnen Produkte<br />
während ihrer Herstellung mit Oxidationstechnologie in Berührung,<br />
unter anderem in den Bereichen Futtermitteladditive,<br />
Hochleistungspolymere und Superabsorber. <strong>Evonik</strong> vertreibt<br />
jedoch nicht nur oxidierte Produkte, sondern ebenso erfolgreich<br />
Außer auf eigene Labore kann GOcat<br />
auf Einrichtungen der Geschäfts bereiche<br />
und der Verfahrenstechnik<br />
zurückgreifen – zum Beispiel auf die<br />
Technika der Fluidverfahrenstechnik<br />
und des Geschäftsbereichs Health &<br />
Nutrition sowie auf die Labore des<br />
Geschäftsgebiets Catalysts in Hanau<br />
elements40 Ausgabe 3|2012<br />
Oxidationsmittel wie Wasserstoffperoxid sowie die notwen digen<br />
Oxidationskatalysatoren. Der Fachbereich Verfahrenstechnik &<br />
Engineering unterstützt dabei die Geschäftsbereiche mit technischer<br />
Fachexpertise in der Prozessentwicklung, in der kontinuierlichen<br />
Prozessverbesserung und im Management im<br />
internationalen Anlagenbau.<br />
Daher verfügen alle Bereiche über Know-how und Ressourcen<br />
in Sachen Oxidation, und entsprechend groß ist das Interesse<br />
an der Optimierung von Katalysatoren und Verfahrensabläufen<br />
sowie an der Entwicklung neuer, ressourcenschonender<br />
und umweltverträglicher Oxidationsprodukte und -verfahren.<br />
Da lag die Frage nahe, wie diese Ziele durch Bündelung der<br />
Aktivitäten effizienter und schneller erreicht werden könnten.
Die Initiative dazu kam von den Geschäftsbereichen, die zwar<br />
gute Ideen und Projekte in der Schublade hatten, vieles aber mit<br />
den eigenen Ressourcen nicht stemmen konnten. So wurde ein<br />
kleines Team beauftragt, die Projekte und ihre Potenziale zu<br />
bewerten. Das Ergebnis war eindeutig. Alles sprach dafür, Knowhow<br />
und Kräfte in Sachen Oxidation zu bündeln, um gemeinsam<br />
auch kostenintensive und zeitaufwändige Zukunftsprojekte<br />
angehen zu können, wie zum Beispiel das Thema Oxidation von<br />
Alkanen. Bisher gibt es kaum technische Lösungen, diese gesättigten<br />
Kohlenwasserstoffe, die in Erdöl und Erdgas vorhanden<br />
sind, wertschöpfend zu verwerten. Sie werden oft einfach zur<br />
Energienutzung verbrannt.<br />
Effizienz- und Wachstumspotenziale heben<br />
So wurde das Kompetenzzentrum GOcat – Green Oxidation<br />
Catalysis – geschaffen, das Anfang Februar 2012 an den Start<br />
ging. Dort finden seitdem die geschäftsbereichsübergreifende<br />
Forschung und Entwicklung von <strong>Evonik</strong> im Bereich Oxidationskatalyse<br />
statt. Es geht darum, Effizienz- und Wachstumspotenziale<br />
zu realisieren und die Innovationskraft von <strong>Evonik</strong> mit umweltfreundlichen<br />
Technologien zu stärken.<br />
GOcat nutzt dazu effizient die vorhandenen Ressourcen des<br />
Konzerns. Die Mitarbeiter greifen überwiegend auf bestehendes<br />
Unternehmensequipment an den Standorten Marl und Hanau<br />
zurück. Trotzdem ist GOcat keine virtuelle Einrichtung, sondern<br />
verfügt über eigene Mitarbeiter und Labore. Die Keimzelle bilden<br />
die Abteilung Reaktionstechnik der Verfahrenstechnik sowie<br />
die Forschungsabteilung des Geschäftsgebiets Catalysts. Ein<br />
Team von 15 Mitarbeitern arbeitet in Vollzeit für das neue Kompetenzzentrum.<br />
Sieben der 15 Stellen wurden neu geschaffen.<br />
KATAlYSE<br />
Darüber hinaus werden in Marl und Hanau Laborkapazitäten der<br />
Verfahrenstechnik für GOcat nach neuestem Stand der Technik<br />
umgerüstet. Insbesondere die Automatisierung verschiedenster<br />
Laboranlagen und Arbeitsschritte wird vorangetrieben. So können<br />
beispielsweise in den GOcat-Laboren in Marl Entwicklungsarbeiten<br />
mit Hochdurchsatztechnologien durchgeführt werden.<br />
Weiterführende Arbeiten zur Optimierung der Prozessbedingungen<br />
und zum Scale-up bis hin zum Betrieb einer Pilotanlage<br />
können dagegen in den Laboren der Verfahrenstechnik oder in<br />
den Geschäftsbereichen direkt erfolgen.<br />
Die GOcat-Mitarbeiter aus dem Geschäftsgebiet Catalysts<br />
oder ausgewählten Geschäftsbereichen erstellen die notwen -<br />
di gen Katalysatorbibliotheken. Diese werden projektübergreifend<br />
eingesetzt, sofern in den betreffenden Projekten Analogien<br />
hinsichtlich der Prozessabläufe und Reaktionsführungen bestehen.<br />
Auf diese Weise lassen sich das Know-how und die Ressourcen<br />
der Katalysatorherstellung wesentlich effizienter nutzen.<br />
Analytische Methoden zur strukturel len Charakterisierung<br />
von Katalysatoren werden gebündelt und so eine projektübergreifende<br />
Wissensbasis geschaffen. Neu ist auch die zeitliche<br />
Ausrichtung des Kompetenzzentrums. Anders als die be kannten<br />
Projekt häuser von <strong>Evonik</strong> ist GOcat zeitlich nicht befristet.<br />
Konkret soll GOcat in der Anfangsphase der Forschungs- und<br />
Entwicklungsprojekte tätig werden: in der Bewertung neuer<br />
Ideen und in der frühen Entwicklung von Katalysatoren und der<br />
dazugehörigen Reaktortechnologien. Die Prozessentwicklung<br />
erfolgt dann in den Geschäftsbereichen und in der Verfahrenstechnik.<br />
Um die enge Anbindung an die Geschäftsbereiche zu<br />
gewährleisten, hat jedes GOcat-Projekt zwei Projektleiter: einen<br />
Mitarbeiter des Kompetenzzentrums und einen Vertreter des<br />
Geschäftsbereichs. 333<br />
Aufgabenteilung: Während das Kom petenzzentrum GOcat seinen Schwerpunkt<br />
auf die Exploration neuer Ideen und die Entwicklung der Katalysatoren<br />
und Reaktoren legt, entwickeln die Geschäftsbereiche und der Fachbereich<br />
Verfah renstechnik & Engi neering die entsprechenden kataly tischen Prozesse<br />
Kompetenzzentrum GOcat<br />
Design<br />
Idee 1 Exploration Katalysator Reaktor<br />
Screening<br />
Prozessentwicklung 2<br />
1 Corporate Innovation Strategy & Management, Geschäftsbereiche, Verfahrenstechnik<br />
2 Geschäftsbereiche, Verfahrenstechnik<br />
7<br />
7<br />
23<br />
elements40 Ausgabe 3|2012
24 KATAlYSE<br />
333 Bereits im Gründungsjahr 2012 wird im Kompetenzzentrum<br />
GOcat eine Vielzahl von Projekten angegangen. Um größtmögliche<br />
Synergien zu erzielen, wurden die Projekte in drei Themenclustern<br />
mit jeweils einem verantwortlichen Leiter zusammengefasst:<br />
in Ally lische Oxidation, in Peroxidoxidation und in<br />
Exploration/Support. Im Cluster Allylische Oxidation finden sich<br />
Projekte wie die Optimierung bestehender Gasphasen-Oxidationsprozesse<br />
von <strong>Evonik</strong>. Ziel ist hier, durch innovative Katalysatoren<br />
und Trägermaterialien, zum Beispiel keramische<br />
Schwämme, Selektivitäten und Prozessstabilität zu verbessern.<br />
In diesem Cluster entwickelt GOcat aber auch neue Verfahren,<br />
mit denen die Rohstoffbasis für bestehende Produkte verbreitert<br />
bzw. die Wertschöpfung aus etablierten Rohstoffen erhöht<br />
werden soll.<br />
Bei der Peroxidoxidation geht es um Anwendungen unter<br />
milden Reaktionsbedingungen wie die Epoxidation mit H2O2 .<br />
Mit der Entwicklung der Prozesstechnologie zur Herstellung<br />
von Propylenoxid mit Hilfe von Wasserstoffperoxid (HPPO-<br />
Verfahren) hat <strong>Evonik</strong> bereits ein herausragendes Beispiel<br />
seiner Innovationskraft in diesem Bereich geliefert und ist das<br />
einzige Unternehmen weltweit, das die HPPO-Technologie, den<br />
dafür erforderlichen Katalysator sowie den Ausgangsstoff aus<br />
einer Hand liefern kann.<br />
Der Exploration/Support-Cluster beinhaltet die Projekte mit<br />
dem entferntesten Zeithorizont. Auch die Methodenentwicklung<br />
ist hier angesiedelt. Neben der Bündelung und Vernetzung<br />
internen Know-hows wird sich GOcat hier insbesondere auch<br />
externe Wissensquellen erschließen. Die Explorationsprojekte<br />
werden deshalb größtenteils in Kooperation mit führenden Wissenschaftlern<br />
an Hochschulen in aller Welt durchgeführt, zum<br />
Beispiel mit der Universität Dalian (China) in Sachen Epoxidation,<br />
mit der Universität Tokio (Japan) in Sachen Alkanoxidation, mit<br />
der Universität Stuttgart bei der Aldehydoxidation und mit der<br />
Universität Erlangen bei der Reaktormodellierung für stark exotherme<br />
Reaktionen. Darüber hinaus sind für den Explora tionscluster<br />
Technologiescouts unterwegs, die Ausschau nach neuen<br />
Ideen und auch potenziellen Kooperationspartnern halten.<br />
Abgestufte Förderstruktur<br />
GOcat steht ein Budget von sechs Millionen € pro Jahr zur<br />
Verfügung. Es wird zu zwei Dritteln von den Geschäfts bereichen<br />
und zu einem Drittel vom Konzern über den Bereich Corporate<br />
Innovation Strategy & Management aufgebracht.<br />
Projektbezogen stellt sich die Finanzierung jedoch sehr<br />
unterschiedlich dar. Eine abgestufte Förderstruktur stellt sicher,<br />
dass jeder Beteiligte nur für die Leistungen zahlt, die ihm zugutekommen.<br />
So werden operative Projekte wie etwa die Optimierung<br />
bestehender Verfahren komplett von den zuständigen<br />
Geschäftsbereichen finanziert. Entwicklungsprojekte erhalten<br />
33 Prozent Förderung durch Corporate, Explorationsprojekte<br />
66 Prozent und Projekte mit besonders hohem Risiko, zu denen<br />
auch die Hochschulkooperationen gehören, 100 Prozent. Die<br />
Zuordnung der Projekte zu den Förderquoten erfolgt in Anlehnung<br />
an die in den Geschäftsbereichen etablierten Idea-to-Profit-Prozesse.<br />
Inzwischen sind 13 Projekte gestartet. Für Projektnachschub<br />
sorgen die Leiter der Cluster und die sechs Geschäftsbereiche.<br />
Ist ein geschäftsbereichsübergreifendes Projekt beendet und soll<br />
ein Anschlussprojekt folgen, entscheidet der Lenkungsausschuss<br />
elements40 Ausgabe 3|2012<br />
von GOcat. Ihm gehören neben dem Chief Innovation Officer<br />
von <strong>Evonik</strong>, Dr. Peter Nagler, und dem Leiter des <strong>Evonik</strong>-eigenen<br />
Kompetenznetzwerks (Area of Competence, AoC) Catalytic Processes,<br />
Prof. Dr. Stefan Buchholz, die sieben weiteren Mitglieder<br />
des AoC Catalytic Processes an. Für die operativen Projekte ist<br />
ein projektspezifischer Lenkungsausschuss unter der Leitung<br />
des jeweiligen Geschäftsbereichs zuständig.<br />
GOcat ist langfristig angelegt: Es soll internes und externes<br />
Wissen im Bereich Oxidationskatalyse verknüpfen, zusätzliches<br />
Know-how erzeugen und so gezielt die strategischen Wachstumsfelder<br />
von <strong>Evonik</strong> durch neue Oxidationsprodukte und -verfahren<br />
stärken. Und der Start ist gelungen: Erste Meilensteine<br />
in der Prozessentwicklungskette konnten erfolgreich umgesetzt<br />
werden und wurden in die nächste Projektphase zu einer baldigen<br />
Umsetzung in die Technik überführt. 777<br />
Dr. horst-Werner zanthoff leitet das neue Kom petenzzentrum<br />
GOcat. Zanthoff studierte Chemie an<br />
der Ruhr-Universität Bochum, wo er 1991 promoviert<br />
wurde und sich 1999, nach Forschungsaufenthalten<br />
an der Universität Compiègne und am Institut de<br />
Recherches sur la Catalyse (CNRS) in Lyon (Frankreich),<br />
im Bereich Technische Chemie habilitierte.<br />
Im Jahr 2000 startete er seine industrielle Karriere bei<br />
<strong>Evonik</strong> in der Abteilung Reaktionstechnik des Bereichs<br />
Ver fahrenstechnik & Engineering. Nach einem Aufent<br />
halt im Projekthaus Katalyse war er ab 2004 in der<br />
Verfah renstechnik verantwortlich für das High-Throughput-Screening<br />
und Arbeitsgebietsbetreuer für den<br />
Bereich C4-Chemie. Seit 1999 hat Zanthoff außerdem<br />
einen Lehrauftrag an der Ruhr-Universität Bochum.<br />
+49 2365 49-19322, horst-werner.zanthoff@evonik.com<br />
Dr. Dorit Wolf leitet im neuen Kompetenzzentrum<br />
GOcat den Cluster Allyloxidation. Dorit Wolf studierte<br />
Chemie an der Universität Leipzig und wurde dort 1991<br />
promoviert. Sie habilitierte an der Ruhr-Universität<br />
Bochum und hat die Lehrbefugnis für das Fach Tech nische<br />
Chemie. 1997 übernahm sie die Leitung der Arbeitsgruppe<br />
Reaktionstechnik am Institut für Ange wandte<br />
Chemie Berlin Adlershof e.V. 2001 wechselte sie zu<br />
<strong>Evonik</strong> in das Projekthaus Katalyse. Seit 2004 ist sie<br />
Forschungsgruppenleiterin im Geschäftsgebiet Catalysts.<br />
+49 6181 59-8746, dorit.wolf@evonik.com<br />
Dr. holger Wiederhold leitet die experimentellen<br />
Arbeiten in Hanau und den Cluster Epoxida tio nen. Nach<br />
seinem Studium der Chemie an der TU Darm stadt und<br />
der Promotion im Fach Technische Chemie im Jahr<br />
2006 stieg er in die Verfahrenstechnik der dama ligen<br />
Degussa ein und betreute dort verschiedene Pro jekte<br />
zur Entwicklung katalytischer Verfahren. Mit dem<br />
Beginn des Kompetenzzentrums wechselte er in den<br />
Bereich Advanced Intermediates und wird von dort<br />
dem Kompetenzzentrum voll zur Verfügung gestellt.<br />
+49 6181 59-5423, holger.wiederhold@evonik.com<br />
Dennis Frühling leitet die experimentellen Arbeiten<br />
in Marl. Er studierte Chemie an der Universität Duisburg-Essen<br />
mit einem Abschluss im Jahr 2007 im<br />
Bereich Technische Katalyse. Nach seinem Einstieg in<br />
den Bereich Verfahrenstechnik von <strong>Evonik</strong> leitete er<br />
Pro jekte zur High-Throughput-Testung von Katalysatoren.<br />
+49 2365 49-6656, dennis.fruehling@evonik.com
Verbundprojekt LionGrid erforscht Einbindung dezentraler<br />
Speicher in das Energiesystem der Zukunft<br />
Mit dem Umbau der Energieversorgung hin<br />
zu immer mehr dezentraler Stromerzeugung<br />
wächst die Einspeisung dezentral erzeugter<br />
Energien in das Niederspannungsnetz kontinuierlich<br />
an. Neue, leistungsfähige Batteriesysteme<br />
auf Lithium-Ionen-Basis können vor<br />
diesem Hintergrund helfen, Netzengpässe zu<br />
vermeiden und so den Ausbau der erneuerbaren<br />
Energien voranzutreiben.<br />
Im Verbundprojekt LionGrid erforschen<br />
energis, <strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong>, Hager Group,<br />
SMA Solar Technology und VOLTARIS die<br />
netzphysikalische Einbindung dezentraler<br />
Energieerzeuger mit Hilfe von Lithium-<br />
Ionen-Batteriespeichern und ihre Vorteile<br />
für Endverbraucher, Hersteller, Energie versorger<br />
und Netzbetreiber. <strong>Evonik</strong> ist dabei<br />
Kon sor tialführer. Das Projekt ist auf 36<br />
Monate inklusive eines zwölfmonatigen<br />
Feld tests angelegt. Im Unterauftrag wird das<br />
Projekt von dem Institut Power Engineering<br />
Saar der Hochschule für Technik und Wirtschaft<br />
des Saarlandes sowie von STEAG-<br />
Power Saar, Li-Tec Battery und robotron<br />
mitbearbeitet.<br />
Effizientere Energienutzung<br />
Ein wesentlicher Vorteil des LionGrid-<br />
Ansatzes ist die Erhöhung der Effizienz der<br />
Energie nutzung, da durch lokale Ein- und<br />
Ausspei sung der Selbstverbrauch erhöht und<br />
Ener gie flüsse von Fotovoltaikanlagen in das<br />
Netz und wieder zurück in den Haushalt<br />
vermieden werden. Durch lokale Speichermög<br />
lichkeiten für die überschüssige Energie<br />
können unzulässig hohe Netzspannungen<br />
und damit Abschaltungen der dezentralen<br />
Ener gie einspeiser vermieden werden, was zu<br />
einer weiteren Verbesserung der Netz -<br />
ein bin dung erneuerbarer Energien führt. In<br />
vielen Fällen kann damit auf einen teuren<br />
Netzaus bau verzichtet werden.<br />
Die sinnvolle Einbindung von Speichern<br />
ermöglicht ein effizientes Management von<br />
Lastprofilen und Verteilnetzen, individuelle<br />
Tarife, die Speicher berücksichtigen, eine<br />
Beschaffungsoptimierung auch von Regel-<br />
und Ausgleichsenergie sowie eine Steigerung<br />
des Selbstverbrauchs nach dem Erneuerbare-<br />
Energien-Gesetz (EEG).<br />
Die im LionGrid-Projekt erarbeiteten<br />
Kon zepte für die Einbindung dezentraler<br />
Speicher in das Energiesystem der Zukunft<br />
sollen ein gezieltes Energiebeschaffungs- und<br />
Last management und damit die größtmög-<br />
Mit dem Projekt LionGrid soll die Netzeinbindung<br />
erneuerbarer Energien verbessert werden<br />
liche Flexibilität für die Einbindung fluk tu -<br />
ierender Erzeuger und Verbraucher ermöglichen.<br />
Das System besteht aus im Netz<br />
ver teilten, stationären Batteriespeichern,<br />
die – vergleichbar mit den heute im Elek troenergie<br />
versorgungs netz eingesetzten technischen<br />
Systemen – plan- und einsetzbar<br />
sind. Davon profitieren Endverbraucher,<br />
Energie versorger, Netz be trei ber, Hersteller<br />
und das Elektrohandwerk gleichermaßen.<br />
Eine sichere und zuverlässige Einbindung<br />
erneuerbarer Energien steht dabei ebenso im<br />
Fokus wie der transparente Energiebezug<br />
durch den Endverbraucher. Dieser erhält zu -<br />
dem die Möglichkeit, dank der vom Energieversorger<br />
zukünftig angebotenen tageszeitabhängigen<br />
und lastvariablen Strom tarife<br />
Stromkosten einzusparen. Die Flexi bi lität des<br />
Verbraucherverhaltens und die hohe Ver sorgungssicherheit<br />
werden dabei nicht beeinträchtigt.<br />
Ein weiterer Vorteil: Die im Rah men<br />
des LionGrid-Projekts realisierten dezentralen<br />
Batteriespeicher können auch durch Einbin<br />
dung von Gebäudeautomation zu einem<br />
Demand-Side-Management-System ausgebaut<br />
werden.<br />
Energieversorger werden in die Lage versetzt,<br />
zusätzliche tageszeitabhängige und<br />
lastvariable Tarife anzubieten und durch neue<br />
Tarifmodelle neue Kunden zu gewinnen.<br />
NEWS<br />
Netz betreiber können Netzengpässe reduzieren<br />
und vorhandene Betriebsmittel bestmöglich<br />
ausnutzen. So können Netzaus -<br />
bau kosten vermieden werden.<br />
Flexible und kostengünstige<br />
Energiebeschaffung<br />
Durch die Nut zung der neu vorhandenen<br />
Speicher kapa zitäten ergeben sich für Energieversorger<br />
neue Möglichkeiten, Energie<br />
flexibel und kostengünstig zu beschaffen.<br />
Darüber hinaus ist anzunehmen, dass sich<br />
über die Verteilung stationärer Kleinspeicher<br />
die zukünftig erforderliche Speicherkapazität<br />
für Netzrege lungs aufgaben deutlich schneller<br />
realisieren lässt als mit Batterien in<br />
Elektroautos, deren Verfügbarkeit weniger<br />
planbar ist, weil die Fahrzeuge möglicherweise<br />
immer wieder an ganz unterschiedlichen<br />
Stellen ans Netz an ge schlossen<br />
werden.<br />
Für die Hersteller von Elektroinstallations-<br />
und Kommunikationsgeräten sowie Batterie-<br />
und Wechselrichtersystemen ergeben sich<br />
Marktchancen für neue Geräte und Technologien<br />
für das Energiesystem der Zukunft.<br />
Gleichzeitig bieten diese neuen Produkte und<br />
Systeme ein Potenzial für das Elektro handwerk,<br />
neue Lösungen im Bereich Energiemanagement<br />
anzubieten.<br />
25<br />
elements40 Ausgabe 3|2012
26 DESIGNING WITh POlYMERS<br />
elements40 Ausgabe 3|2012<br />
Neue Beleuchtungskonzepte auf PMMA-Basis<br />
Bei Licht besehen<br />
Mit geführtem Sonnenlicht lassen sich innovative Beleuchtungskonzepte verwirklichen.<br />
Die Start-up-Firma BavarianOptics hat dazu das marktreife System Sollektor®<br />
entwickelt. Bei der Skalierung der optischen Komponenten für eine kostengünstige<br />
Lösung bringt <strong>Evonik</strong> die eigene Materialexpertise ein, die das Unternehmen bei<br />
transparenten Kunststoffen besitzt.<br />
[ text Alexander Kist, Peter Battenhausen ]
stroM und WärME aus der Sonnenstrahlung sind<br />
zwei wichtige Säulen, um den künftigen Energiebedarf<br />
der Weltbevölkerung zu decken. Bei beiden<br />
Arten der Energiegewinnung steht die Wandlung im<br />
Vordergrund: Licht zu Strom beziehungsweise Licht<br />
zu Wärme. BavarianOptics aus dem fränkischen<br />
Nürnberg leitet dagegen direkt das Licht der Sonne<br />
dorthin, wo es benötigt wird. Über eine Sammeloptik<br />
des sogenannten Sollektor®-Systems koppelt das Unternehmen<br />
Sonnenlicht in lange optische Fasern ein,<br />
um Räume zu erhellen. Eine Regelelektronik mit Motorsteuerung<br />
führt die Sammeloptik des Sollektor®-<br />
Systems dazu der Sonne nach, so dass immer die maximal<br />
mögliche Lichtintensität am Ende der optischen<br />
Fasern ankommt. Optik, Nachführung und Mechanik<br />
des Sollektor® sind patentiert.<br />
Die Optik besteht aus rund 900 jeweils rund drei<br />
Zentimeter dicken Linsenblöcken, die auf einer rechteckigen<br />
Fläche von 0,25 Quadratmetern angeordnet<br />
sind. Im Brennpunkt, am hinteren Ende eines jeden<br />
Linsenblocks, ist jeweils ein Lichtleiter eingeklebt.<br />
Die Herstellung der Optik aus PMMA (Polymethylmethacrylat)<br />
erfolgt in einem Spritzgießverfahren<br />
mit PLEXIGLAS® Formmassen; bei den Lichtleitern<br />
handelt es sich um polymere optische Fasern (POF),<br />
die ebenfalls aus PMMA bestehen. Der Kern der POF<br />
ist von einem dünnen Mantel aus fluoriertem PMMA<br />
umhüllt. Fluoriertes PMMA hat einen etwas geringeren<br />
Brechungsindex als reines PMMA, weshalb das<br />
einfallende Licht im Faserkern total reflektiert und<br />
dadurch geleitet wird.<br />
PMMA bringt einige Eigenschaften mit, die dem<br />
Sollektor® entgegenkommen: Seine Transmission ist<br />
höher als die von Mineralglas, und es absorbiert im<br />
infraroten und ultravioletten Spektralbereich. Darüber<br />
hinaus ist es alterungs- und witterungsbeständig.<br />
Es hat sich daher als ideales Material für den<br />
Sollektor® erwiesen, was sich sowohl in Tests an<br />
PMMA bei <strong>Evonik</strong> als auch an der Georg-Simon-<br />
Ohm-Hochschule für angewandte Wissenschaften in<br />
Nürnberg bestätigt hat. BavarianOptics ist als Ausgründung<br />
aus dem POF-Anwendungszentrum der<br />
Fachhochschule hervorgegangen.<br />
Jede Einzellinse des Sollektor® hat eine Lichtsammelfläche<br />
von 17,5 mal 17,5 Quadratmillimeter. Um die<br />
Sonnenstrahlen im richtigen Winkel in die optischen<br />
Fasern einzukoppeln, muss die Linse auf ein halbes<br />
Grad genau der Sonne nachgeführt werden – ein halbes<br />
Grad entspricht dem scheinbaren Durchmesser<br />
der Sonnenscheibe am Himmel. Diese Anforderung<br />
ergibt sich aus der numerischen Apertur der Lichtleitfaser:<br />
Sonnenstrahlen werden nur dann total reflektiert,<br />
wenn sie aus einem Winkel bereich auf die<br />
Faser fallen, der kleiner als der Winkel ist, dem die<br />
numerische Apertur entspricht. Mit anderen 333<br />
Optik<br />
Lichtleiter<br />
Der Sollektor® wird auf dem<br />
Gebäudedach installiert<br />
und leitet das Sonnenlicht an<br />
den gewünschten Ort. Die<br />
Lichtleitkabel können ähnlich<br />
wie Stromkabel in Leer rohren,<br />
Zwi schen decken ode r<br />
an Gebäudefassaden verlegt<br />
werden<br />
Außeninstallation:<br />
1 lichtsammelnde Einheit<br />
2 Lichtleitkabel<br />
3 Montagevorrichtung<br />
4 Dachführung<br />
Rauminstallation:<br />
5 Lichtleitkabel<br />
6 Leuchtenkörper<br />
5<br />
4<br />
Lichteintritt<br />
(Sonne)<br />
6<br />
DESIGNING WITh POlYMERS<br />
2<br />
Lichtaustritt<br />
(Beleuchtung)<br />
1<br />
27<br />
elements40 Ausgabe 3|2012<br />
3
28 DESIGNING WITh POlYMERS<br />
333 Worten: Nur dann lässt sich das Sonnenlicht mit<br />
minimalen Verlusten durch die Faser transportieren.<br />
Am Ende der Faser tritt das Sonnenlicht dann unter<br />
einem Winkel von 60 Grad gegen Luft aus. Die sonnenzugewandte<br />
Seite der Sollektor®-Linsen ist asphärisch<br />
ausgeführt, um die optischen Abbildungsfehler<br />
zu minimieren. Sie würden sonst ebenfalls die letztlich<br />
zur Verfügung stehende Lichtmenge reduzieren.<br />
Bei einer Licht sammelnden Fläche von einem viertel<br />
Mit einem Sollektor® erzeugter Lichtstrom. Bis zu 70 Prozent<br />
des Sonnenlichts werden an den gewünschten Ort geleitet<br />
Faserlänge Lichtstrom Anzahl Halogenstrahler 50 W<br />
5 Meter 17.000 Lumen 25<br />
20 Meter 11.000 Lumen 16<br />
Quadratmeter und 20 Metern optischer Faser erzeugt<br />
ein Sollektor® einen Lichtstrom von maximal 17.000<br />
Lumen. Dies entspricht 25 Halogenlampen à 50 Watt.<br />
Gemäß den DIN-Normen lassen sich damit 20 Quadratmeter<br />
Arbeitsfläche, 50 Quadratmeter in Besprechungsräumen<br />
oder mehr als 80 Quadratmeter in<br />
Lager räumen adäquat ausleuchten. Anders ausgedrückt:<br />
Während mit einem Sollektor® zwischen 50<br />
und 70 Prozent des einfallenden Sonnenlichts genutzt<br />
werden können, wandelt eine Fotovoltaikanlage, deren<br />
Strom dann herkömmliche Leuchtmittel speist,<br />
nur ein Prozent des Sonnenlichts in nutzbares Licht<br />
um – und das, obwohl die Solarmodule fast 30 Mal so<br />
viel Fläche auf einem Dach belegen wie ein Sollektor®.<br />
Doch der Sollektor® setzt Sonnenlicht nicht nur<br />
mit einem höheren Wirkungsgrad in nutzbares Licht<br />
um, sondern unterbindet durch die spektralen Eigenschaften<br />
des PMMA auch den Eintrag von Ultraviolett-<br />
und Infrarotstrahlung in Räume. Im Hinblick auf<br />
UV-Licht kann das zum Beispiel für Museen interessant<br />
sein, die Kunstwerke vor dem Ausbleichen<br />
schüt zen müssen. Die fehlende Infrarotstrahlung im<br />
nutzbaren Licht des Sollektor® ist wiederum für<br />
Gewerbe- und Büroimmobilien interessant, wo die<br />
Planer Wärmeeinträge aufwändig durch eine Klimatisierung<br />
der Räume verringern müssen.<br />
Dass es natürliches Sonnenlicht einfach nutzbar<br />
macht, ist eine weitere Stärke des Sollektor®-Systems.<br />
In den vergangenen Jahren haben sich verschiedene<br />
Hersteller mit der Frage befasst, wie sich eine künstliche<br />
Innenbeleuchtung stärker an die natürlichen<br />
Gegebenheiten eines Sonnentages anpassen lassen.<br />
Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass<br />
die Testpersonen das Arbeiten bei natürlichen Lichtverhältnissen<br />
am angenehmsten empfinden. Dies<br />
bezieht sich sowohl auf die Farbqualität des Lichts als<br />
auch auf dessen tageszeitlichen Gang.<br />
Einige Leuchtmittelhersteller forschen zum Beispiel<br />
an aufwändigen Regelsystemen, mit denen sich<br />
Farbtemperatur und Farbwiedergabe von Leuchtmitteln<br />
möglichst nah an die natürlichen Lichtverhältnisse<br />
eines Tages anpassen lassen sollen. Ein Bedarf<br />
elements40 Ausgabe 3|2012<br />
DIE BAVARIANOPTIcS GMBh<br />
Spezialist für Faseroptik<br />
Die BavarianOptics GmbH mit Sitz in Nürnberg entwickelt<br />
kundenspezifische optische Lösungen. Die Produkt palette reicht<br />
von der optischen Simulation über den Bau von Prototypen und<br />
Demonstratoren bis zur Entwicklung der Elek tro nik. Zudem<br />
bietet das Unternehmen eine große Bandbreite an optischen<br />
Messungen gemäß DIN-, IEC-, EN- und ISO-Stan dards an.<br />
BavarianOptics ist im Frühjahr 2010 aus dem POF-Anwendungszentrum<br />
der Georg-Simon-Ohm-Hochschule für angewandte<br />
Wissenschaften in Nürnberg aus gegründet worden.<br />
Fotovoltaikanlagen, die Sonnenlicht in Strom umgewandeln, haben nur eine<br />
Lichtausbeute von weniger als 1 Prozent. Mit dem Sollektor® können hingegen<br />
Wirkungsgrade von bis zu 70 Prozent erreicht werden<br />
Stromerzeugung<br />
Übertragung<br />
und<br />
Transformation<br />
Herkömmliches<br />
Leuchtmittel<br />
Fotovoltaik Sollektor®<br />
1 %<br />
(künstliches Licht)<br />
70–50 %<br />
(Sonnenlicht)<br />
Der spektrale Vergleich des Lichts von Energiesparlampen und LEDs, des<br />
Sonnenlichts und des durch den Sollektor® weitergeleiteten Lichts zeigt, dass<br />
Letzteres natürlichem Tageslicht am nächsten kommt<br />
LED Energiesparlampe Sonne Sollektor®<br />
Lichtkonzentration<br />
Flexible Lichtleitung<br />
(8 Lichtleitkabel)<br />
Lichtaustritt<br />
400 450 500 550 600 650 700 750 800<br />
Wellenlänge [nm]
existiert also – und der Sollektor® liefert diese Vorzüge<br />
sozusagen frei Haus. Situationen, in denen es<br />
besonders auf Verhältnisse ankommt, die möglichst<br />
mit dem Tageslicht vergleichbar sind, sind zum Beispiel<br />
in Museen oder in Kaufhäusern anzutreffen: zur<br />
brillanten Farbwiedergabe von Exponaten beziehungsweise<br />
um den Farbton eines Kleidungsstücks<br />
schon in der Umkleidekabine eindeutig erkennen zu<br />
können.<br />
Die Georg-Simon-Ohm-Hochschule und Bavarian-<br />
Optics haben im Jahr 2011 mit Unterstützung von<br />
Osram einen Demonstrator aufgebaut, der einen<br />
Sollektor® mit LEDs kombiniert. Gesteuert über Sensoren<br />
lässt sich der LED-Lichtanteil entsprechend der<br />
Tageszeit und dem Bewölkungsgrad variieren. Selbst<br />
die spektrale Zusammensetzung des natürlichen<br />
Lichts, die sich im Tagesgang verändert, ließe sich<br />
durch die Beimischung von LED-Licht mit entsprechender<br />
Wellenlänge kompensieren.<br />
Maßgeblich entscheidend für den wirtschaftlichen<br />
Erfolg des Sollektor®-Systems ist seine Amortisierung,<br />
da die Investitionen zunächst höher als bei<br />
klassischer Beleuchtungstechnik sind und der Sollektor®<br />
– mit Blick auf bewölkte Tage – natürlich immer<br />
nur einen Teil des Lichtbedarfs decken kann. In<br />
Deutschland beträgt die maximale Sonnenscheindauer<br />
pro Jahr etwa 1.700 Stunden. Bezogen auf die<br />
aktuellen Energiepreise ließen sich bei der Raumbeleuchtung<br />
mit einem Sollektor® etwa 450 € jährlich<br />
einsparen.<br />
Licht ohne Wärme<br />
Die Situation wird natürlich in südlichen Gefilden<br />
noch günstiger: Kalifornien erreicht etwa 3.500 Stunden<br />
Sonnenscheindauer im Jahr, Saudi-Arabien 4.000.<br />
In solchen Ländern treiben die Architekten teils einen<br />
großen Aufwand, um direktes Sonnenlicht aus Gebäuden<br />
zu verbannen, damit diese sich nicht unnötig<br />
erwärmen. Sonst würde ja wiederum der Energieaufwand<br />
für die Klimatisierung steigen. Der Sollektor®<br />
liefert da einen interessanten Ansatz: Licht ohne<br />
Wärme und ohne zusätzlichen CO 2 -Ausstoß.<br />
Derzeit konzentriert sich BavarianOptics auf den<br />
Aufbau von Referenzinstallationen. Die Planung für<br />
eine Installation am Forschungszentrum für erneuerbare<br />
Energien in Neumarkt ist bereits weit fortgeschritten.<br />
Ähnlich sieht es mit Installationen in zwei<br />
Museen aus. Im Rahmen des internationalen Architektur-<br />
und Energietechnikwettbewerbs Solar Decathlon<br />
Europe 2012 wird das Team ECOLAR der<br />
Hochschule Konstanz ein Sollektor®-System in ihr<br />
energieeffizientes Wohngebäude integrieren.<br />
Im „Bürogebäude Z3“ der Ed. Züblin AG an deren<br />
Hauptsitz in Stuttgart werden im Forschungsvorhaben<br />
REG II Praxistauglichkeit und Effizienz des<br />
Sollektor®-Systems bewertet. Das Bundesministerium<br />
für Wirtschaft und Technologie unterstützt die Errichtung<br />
des Z3 im Rahmen der Förderinitiative Energieoptimiertes<br />
Bauen (EnOB) und fördert auch die<br />
DESIGNING WITh POlYMERS<br />
Hochschule für Technik Stuttgart, die unter anderem<br />
die Effizienz des Bürogebäudes bewertet.<br />
Neben der Raumbeleuchtung gibt es auch industrielle<br />
Anwendungsszenarien für den Sollektor®. Ein<br />
Beispiel sind Fotobioreaktoren für die nachhaltige<br />
Erzeugung von Energie. Die Algen in solchen Reaktoren<br />
benötigen für die Erzeugung verschiedenster<br />
Stoffe für die Pharma-, Kosmetik- oder Futtermittelindustrie<br />
Kohlendioxid und Licht, das so zugeführt<br />
werden muss, dass es die Reaktorbehälter möglichst<br />
gut ausleuchtet. Sollektor®-Systeme könnten hier eine<br />
interessante Lichtquelle sein, die zudem Licht aus<br />
erneuerbaren Energien liefert. Natürlich wäre die<br />
technische Auslegung solcher Systeme nicht mit Sollektoren<br />
für die Raumbeleuchtung zu vergleichen.<br />
Die erforderlichen Lichtsammelflächen für solche<br />
Anlagen, für deren Realisierung es in verschiedenen<br />
Ländern konkrete Pläne gibt, lägen in der Dimension<br />
von mehreren tausend Quadratmetern.<br />
Unabhängig von der Art der Anwendung arbeitet<br />
BavarianOptics derzeit intensiv daran, die Fertigung<br />
des Sollektor®-Systems zu skalieren. Bislang ist noch<br />
vieles Handarbeit und die Verfahren sind kaum auf<br />
größere Stückzahlen übertragbar. Ein wichtiger<br />
Schritt wird zum Beispiel die Fertigung der Sammeloptik<br />
aus einem Stück anstelle der vielen einzelnen<br />
Linsenblöcke sein. <strong>Evonik</strong> unterstützt die Start-up-<br />
Firma bei diesem Technologiesprung, der maßgeblich<br />
für den wirtschaftlichen Erfolg sein wird. Das<br />
Chemieunternehmen kann dabei auf seine jahrzehntelange<br />
Erfahrung mit dem Marken-PMMA<br />
PLEXIGLAS® zurückgreifen – für die fertigungstechnische<br />
Umsetzung, Produktentwicklung und Strategie<br />
ist natürlich weiterhin BavarianOptics verantwortlich.<br />
<strong>Evonik</strong> versteht sich dabei als Technologiepartner<br />
für eine Anwendung, die in die langfristige<br />
Strategie des Chemiekonzerns passt. 777<br />
Alexander Kist ist seit März 2010<br />
Geschäftsführer der BavarianOptics<br />
GmbH. Zuvor absolvierte der 30-Jährige<br />
einen Diplomstudiengang in Feinwerk-<br />
und Mikrotechnik sowie einen Masterstudiengang<br />
in Systems Engineering<br />
an der Georg-Simon-Ohm-Hochschule<br />
Nürnberg.<br />
+49 151 4024 6499,<br />
alexander.kist@bavarianoptics.de<br />
Peter Battenhausen beschäftigt sich<br />
als Business Development Manager im<br />
Geschäftsgebiet Acrylic Polymers von<br />
<strong>Evonik</strong> schwerpunktmäßig mit solaren<br />
Anwendungen für PLEXIGLAS®.<br />
+49 6151 18-4519,<br />
peter.battenhausen@evonik.com<br />
29<br />
elements40 Ausgabe 3|2012
30 NEWS<br />
Neuer PA12-Strang soll bis 2014 in Singapur gebaut werden<br />
Nach erster Ankündigung im Dezember 2011<br />
befindet sich nun die Basisplanung für den<br />
Bau einer 20.000-Tonnen-Anlage zur Produktion<br />
des Spezialkunststoffs Polyamid 12<br />
(PA12) in Asien in der Endphase. Vorbehaltlich<br />
der Zustimmung der Gremien soll die neue<br />
An lage in Singapur errichtet und 2014 fertig<br />
gestellt werden. Neben der bestehenden<br />
Anlage in Europa soll diese zweite Produktionsstätte<br />
für PA12 in Singapur die Verfügbarkeit<br />
und Liefersicherheit des Produkts<br />
elements40 Ausgabe 3|2012<br />
deutlich erhöhen. Zusätzlich rückt <strong>Evonik</strong> so<br />
noch näher an die Kunden in den stark wachsenden<br />
Märkten in Asien.<br />
Nach dem Brand einer Anlage zur Herstel<br />
lung von CDT, einem Vorprodukt von<br />
PA12, im Chemiepark Marl Ende März 2012<br />
treibt <strong>Evonik</strong> unverändert die Pläne zum Bau<br />
der PA12-Anlage in Singapur voran. Gregor<br />
Hetzke, Leiter des Geschäftsbereichs Performance<br />
Polymers bei <strong>Evonik</strong>, bekräftigt:<br />
„Mit dem beabsichtigten deutlichen Kapazi-<br />
Kolloquium im S2B Bio: Biotechnologie in China<br />
Die Biotechnologie in China stand im Mit telpunkt<br />
eines biologischen Kolloquiums des<br />
Science-to-Business-(S2B-)Centers Biotechnologie<br />
der Creavis, der strategischen Forschungs-<br />
und Entwick lungseinheit von <strong>Evonik</strong>.<br />
Zu Gast war Prof. Rolf Schmid, Gründer und<br />
Geschäftsführer des Bera tungsunternehmens<br />
Bio4Business in Stuttgart und Honorarprofessor<br />
an der Nan jing University of Technology<br />
in China. Er refe rierte über Produkte,<br />
Stakeholder und Trends innerhalb der<br />
Biotechnologie in China. Am dritten Kolloquium<br />
des S2B Bio in diesem Jahr nahmen<br />
über 50 Besucher teil.<br />
„China steckt gewaltige Ressourcen in<br />
seine Forschung. Sie haben hervorragend<br />
ausgebildete Wissenschaftler, und die Regierung<br />
investiert hohe Fördermittel in die Biotech<br />
nologie. China befindet sich auf einem<br />
schnellen Wachstumskurs und wird schon<br />
bald zu den ganz großen Global Players im<br />
Bereich der Biotechnologie gehören“, so<br />
Schmid.<br />
In den hochentwickelten Küstenprovinzen<br />
im Osten des Landes bietet China Tau senden<br />
von Firmen und For schungs einrich tungen<br />
eine hervorragende Plattform für industrielle<br />
Forschungsaktivitäten. Chinas Ziel<br />
ist es, die Grundlagenförderung zu stärken<br />
und die Forschungsergebnisse interdisziplinär<br />
in praktische Projekte zu übertragen.<br />
Chinas Bioteccluster sind meist bei etablierten<br />
For schungsinstituten, Hochschulen<br />
und High techparks angesiedelt – und diese<br />
sind teilweise oder vollständig in staatlichem<br />
Besitz. Die Forschungsergebnisse<br />
fließen schnell in kommerzielle Nutzungen<br />
ein, insbesondere in den Medizinsektor zur<br />
Herstellung von Arz neimitteln, Impfstoffen<br />
und Antibiotika.<br />
Neben dem Einsatz im Gesundheitswesen<br />
ist die Landwirtschaft das zweite große<br />
Forschungsgebiet. Das Volk mit rund 1,3 Milliarden<br />
Menschen verfügt über immer weniger<br />
Anbaufläche und ist auf Produk tionssteigerungen<br />
in der Landwirtschaft ange-<br />
täts ausbau wollen wir unsere führende Position<br />
bei Polyamid 12 langfristig absichern.“<br />
PA12 wird in innovativen und hochwertigen<br />
Produkten im Automobilbereich, in Elektrik<br />
und Elektronik, für Haushaltsgeräte, bei<br />
Sportartikeln sowie in der Industrie eingesetzt.<br />
Darüber hinaus hat <strong>Evonik</strong> gemeinsam<br />
mit Kunden auf Basis von PA12 neue An -<br />
wendungen für die Öl- und Gasförderung<br />
sowie die Solarindustrie entwickelt. <strong>Evonik</strong><br />
vermarktet PA12 als Konstruktionswerkstoff<br />
unter dem Markennamen VESTAMID® und<br />
als Beschichtungspulver unter dem Namen<br />
VESTOSINT®.<br />
Die beschädigte CDT-Anlage in Marl wird<br />
derzeit repariert und voraussichtlich im vierten<br />
Quartal 2012 wieder in Betrieb gehen.<br />
Damit steht nachfolgend die gesamte PA12-<br />
Kapazität von <strong>Evonik</strong> wieder zur Verfügung.<br />
Stahlrohre für hydraulische Bremssysteme in<br />
PKW und leichten Nutzfahrzeugen erhalten zum<br />
besseren Korrosionsschutz eine 0,15 Millimeter<br />
dicke Extrusionsbeschichtung aus Polyamid 12 von<br />
<strong>Evonik</strong>. Diese muss gut auf dem Metall haften,<br />
hohe Kälteschlagzähigkeit gegen Steinschlag sowie<br />
gute Chemikalienbeständigkeit gegen Streusalz<br />
und Salzsprühnebel besitzen<br />
wiesen. Weitere Forschungs schwer punkte<br />
sind Energiepflanzen, die zum Beispiel für die<br />
Bioethanolherstellung benötigt werden,<br />
sowie die Herstellung von Bioethylen, Biobutanol<br />
und Biodiesel und der Einsatz von<br />
Mikroalgen. Darüber hinaus ist die Entwicklung<br />
von Protein tech nologien auf dem Vormarsch,<br />
und auch das Thema Umwelt sanierung<br />
gewinnt immer mehr an Bedeutung.<br />
Rolf Schmid baute in den 1970er Jahren<br />
die biotechnologische Forschung bei Henkel<br />
& Cie. in Düsseldorf auf und arbeitete später<br />
als Bereichsleiter für Enzymtechnologie<br />
und Naturstoffchemie bei der Gesellschaft<br />
für Biotechnologische Forschung. Zuletzt<br />
hatte er das Direktorat des Instituts für<br />
Technische Biochemie an der Universität<br />
Stuttgart inne.<br />
Im Rahmen des alle zwei Monate stattfindenden<br />
biologischen Kolloquiums des S2B<br />
Bio berichten prominente Hochschulvertreter<br />
über Trends und Entwicklungen in der weißen<br />
Biotechnologie.
Grundstein für neue Isophoronanlagen in Schanghai gelegt<br />
<strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> hat im Juni 2012 den<br />
Grundstein für die neuen Isophoron- und<br />
Isophorondiaminanlagen im Shanghai Chemical<br />
Industry Park (SCIP) gelegt. Das Unternehmen<br />
investiert mehr als 100 Mil lionen €<br />
in die Anlagen, die nach einer voraussichtlich<br />
zweijährigen Bauzeit im ersten Quartal 2014<br />
in Betrieb gehen sollen. Die Produkte aus den<br />
neuen Anlagen mit einer Jahreskapazität von<br />
50.000 Tonnen sollen vorrangig den lokalen<br />
Märkten in China und der Region Asien/<br />
Pazifik zur Verfügung stehen.<br />
Zusätzlich richtet <strong>Evonik</strong> ein technisches<br />
Servicecenter am Standort Xinzhuang in<br />
Schanghai ein. Es wird hochmoderne Labore<br />
für die Anwendungstechnik beinhalten, um<br />
Impressum<br />
herausgeber<br />
<strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong> AG<br />
Corporate Innovation<br />
Strategy & Management<br />
Rellinghauser Straße 1–11<br />
45128 Essen<br />
Wissenschaftlicher Beirat<br />
Dr. Felix Müller<br />
Corporate Innovation<br />
Strategy & Management<br />
felix.mueller@evonik.com<br />
für die Isophoronchemie Produktanwendungen<br />
zu entwickeln und technologische<br />
Serviceleistungen für Kunden in der Region<br />
anzubieten.<br />
Mit den neuen Produktionsanlagen und<br />
dem geplanten technischen Servicecenter<br />
setzt <strong>Evonik</strong> seine Serie von Investitionen in<br />
China fort. Seit den späten 1970er Jahren<br />
stellt das Unternehmen Produkte der Spezialchemie<br />
in der Region Greater China (Festland<br />
China, Hongkong und Taiwan) her.<br />
„Mit den neuen Anlagen zur Herstellung<br />
von Isophoron und Isophorondiamin wollen<br />
wir die aktuellen Kapazitäten erweitern,<br />
unsere Position konsequent stärken und dazu<br />
beitragen, mit unseren Produkten die Farben-<br />
Redaktion<br />
Dr. Karin Aßmann (verantwortlich)<br />
Annette Locher<br />
<strong>Evonik</strong> Services GmbH<br />
Konzernredaktion<br />
karin.assmann@evonik.com<br />
annette.locher@evonik.com<br />
Redaktionelle Mitarbeit<br />
Michael Vogel<br />
Fotos<br />
<strong>Evonik</strong> <strong>Industries</strong><br />
Uwe Feuerbach<br />
Carsten Paul<br />
Frank Preuß<br />
Stefan Wildhirt<br />
Fotolia.com/ag visuell (Titel, S.18)<br />
Shutterstock/FotograFFF (S. 2,9)<br />
Fotolia.com/bloomua (S. 2)<br />
iStockphoto/fpm (S. 2, 26)<br />
Getty Images/Tonywestphoto (S. 5)<br />
Fotolia.com/Simon Kraus (S. 25)<br />
NEWS<br />
und Lackindustrie sowie die Bau-, Klebstoff-<br />
und Compositemärkte in Asien zu beflügeln“,<br />
so Dr. Ulrich Küsthardt, Leiter des Geschäftsbereichs<br />
Coatings & Additives.<br />
Isophoron, Isophorondiamin, Isophor ondi<br />
isocyanat und deren Derivate werden als<br />
wichtige Bestandteile zum Beispiel für die<br />
Herstellung von Industriefußböden, Kunstleder<br />
oder La cken und Farben sowie im<br />
Wachstums bereich leistungsfähiger Verbundwerkstoffe<br />
– unter anderem für Windkraftanlagen<br />
– und in der chemischen Synthese<br />
eingesetzt. <strong>Evonik</strong> produziert derzeit Produkte<br />
der Iso phoron chemie in Herne und<br />
Marl, in Mobile (Alabama, USA) und Antwer<br />
pen (Belgien.)<br />
Dr. Dahai Yu (links), Mitglied des<br />
Vorstandes von <strong>Evonik</strong>, und Li<br />
Yongwu, Vorsitzender der China<br />
Petroleum and Chemical Industry<br />
Federation, bei der Grundsteinlegung<br />
Gestaltung<br />
Michael Stahl, München<br />
Druck<br />
Laupenmühlen Druck<br />
GmbH & Co. KG, Bochum<br />
Nachdruck nur mit<br />
Genehmigung der Redaktion<br />
31<br />
elements40 Ausgabe 3|2012
Großer Partner – große Vorteile: Wir sind einer der<br />
größten! Mit unseren weltweiten Geschäften rund um<br />
das Kerngeschäft Pharma sind wir so breit aufgestellt,<br />
dass wir Ihnen maximale Sicherheit bieten können:<br />
finanzielle Stabilität, vorausschauende Planung, Verlässlichkeit<br />
und die unendlichen Möglichkeiten eines welt-<br />
umspannenden Netzwerkes. Mit dieser Sicherheit im<br />
Rücken können Sie in Ruhe neue Ideen voranbringen.<br />
Noch mehr gute Gründe für eine stabile Partnerschaft<br />
mit uns finden Sie unter www.evonik.com/pharma.<br />
Mit einem großen Partner bringen<br />
Sie große Ideen leichter nach vorne.<br />
We love your problems.