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2 Die Besonderheiten der Bekleidungswirtschaft

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2 <strong>Die</strong> <strong>Beson<strong>der</strong>heiten</strong> <strong>der</strong> <strong>Bekleidungswirtschaft</strong> 53<br />

2 <strong>Die</strong> <strong>Beson<strong>der</strong>heiten</strong> <strong>der</strong> <strong>Bekleidungswirtschaft</strong><br />

Sowohl die Bekleidungsindustrie als auch <strong>der</strong> Handel lassen sich durch eine<br />

Reihe von <strong>Beson<strong>der</strong>heiten</strong> charakterisieren, die sich in Verbindung mit den<br />

Produkten dieser Branche ergeben (vgl. Breitkopf, 1999, S. 167-173). <strong>Die</strong>se<br />

<strong>Beson<strong>der</strong>heiten</strong> führen dazu, dass sich Handelsmanagement in <strong>der</strong> Textilwirtschaft<br />

von dem an<strong>der</strong>er Branchen grundlegend unterscheidet.<br />

2.1 Bekleidung als modisches und komplexes Produkt<br />

Das Phänomen „Mode“ wird über die letzten Jahre auf unterschiedlichste Art<br />

und Weise definiert (vgl. Jackson/Shaw, 2001, S. 2 ff.). Es hat seinen Ursprung<br />

bereits Anfang des letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts (vgl. Brosche, 1994, S. 11-23). Mode<br />

ist Ausdruck eines Zeitgeistes, <strong>der</strong> eine Vielzahl von Lebensbereichen gleichzeitig<br />

berührt (vgl. Saviolo/Testa, 2002, S. 3-9; Seidel, 1991, S. 166). <strong>Die</strong> Mode<br />

unterliegt einem ständigen „Wandel peripherer Verhaltensformen, die durch<br />

willkürliche Vorbildsetzung ohne wesentliche Beeinflussung sozialer Strukturen<br />

erfolgt und sich auf größere Bevölkerungsteile erstreckt“ (Wiswede, 1974,<br />

Sp. 1974). Abweichend zum „Stil“ bzw. „Geschmack“ ist Mode durch Kurzlebigkeit<br />

und Beständigkeit <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung sowie ihre zwingende Ausbreitung<br />

gekennzeichnet. Mode ist als ein Prozess zu bezeichnen, <strong>der</strong> innerhalb eines<br />

festgelegten (sehr kurzfristigen) Zeitraums Gruppen von Menschen erfasst<br />

(vgl. Pesch, 1973, S. 4).<br />

Aus den Eigenschaften <strong>der</strong> Mode ergeben sich für die <strong>Bekleidungswirtschaft</strong><br />

zwei beson<strong>der</strong>e Schwierigkeiten: Mit dem Wechsel von Mode unterliegt Bekleidung<br />

zugleich einer Dynamik, die sich durch immer kürzere zeitliche Abstände<br />

zwischen wechselnden Modetrends erhöht. Ein Resultat dieser Dynamik ist<br />

die starke Verkürzung <strong>der</strong> Produktlebenszyklen des Produktes „Bekleidung“ in<br />

den letzten Jahren. Durch den fortwährenden Wandel besteht für die <strong>Bekleidungswirtschaft</strong><br />

ein Mo<strong>der</strong>isiko. <strong>Die</strong>ses Risiko besteht vor allem darin, dass<br />

das vom Bekleidungshersteller produzierte und angebotene neue Produkt<br />

„nicht in Mode kommt“ (vgl. Brosche, 1994, S. 65). Aber auch für den weniger<br />

stark involvierten Konsumenten erwächst aus <strong>der</strong> Schnelllebigkeit <strong>der</strong> Mode<br />

ein Problem: Der schnelle Wechsel und die Parallelität verschiedener Mo<strong>der</strong>ichtungen<br />

nebeneinan<strong>der</strong> lösen bei ihm einen erhöhten Orientierungsbedarf<br />

aus (vgl. Saviolo/Testa, 2002, S. 9-12).


54<br />

A Rahmenbedingungen und institutionelle Erscheinungsformen<br />

Eine weitere Beson<strong>der</strong>heit <strong>der</strong> Bekleidung ergibt sich aus den Funktionen, die<br />

Bekleidung aus Konsumentensicht erfüllt. Neben <strong>der</strong> Scham- und Schutzfunktion<br />

erfüllt Bekleidung auch eine Schmuckfunktion: Mode dient dem Menschen<br />

dazu, einerseits seine Individualität darzustellen und an<strong>der</strong>erseits auch Gruppenzugehörigkeit<br />

auszudrücken. „Mode entfaltet sich im Spannungsfeld von<br />

Selbstdarstellung und Gruppenzugehörigkeit, von persönlicher Identität und<br />

Konformität mit äußeren Zwängen“ (Nerdinger/von Rosenstiel, 1991). Auch<br />

heute besitzt das Sprichwort „Klei<strong>der</strong> machen Leute“ noch seine Gültigkeit. Mittels<br />

Kleidung lassen sich Einstellungen demonstrieren und Zugehörigkeit zu<br />

bestimmten Gruppen signalisieren. Innerhalb <strong>der</strong> einzelnen Gruppen ist ein<br />

starkes Anpassungsverhalten zu beobachten, es herrscht ein hohes Maß an<br />

Konformität bei grundlegenden Trends. Individualität innerhalb von Gruppen<br />

kommt oft lediglich in Details zum Ausdruck. Gleichzeitig dient die Kleidung als<br />

Mittel zur individuellen Abhebung und Abgrenzung von Gruppen und Personen,<br />

mit denen man nicht in Verbindung gebracht werden will.<br />

<strong>Die</strong> beson<strong>der</strong>e Auffälligkeit <strong>der</strong> Kleidung resultiert aus dem Umstand, dass die<br />

Verwendung öffentlich stattfindet. Häufig findet die Einordnung einer Person<br />

anhand ihrer Bekleidung statt. Mangels alternativer Kriterien zieht man Schlüsse<br />

von <strong>der</strong> Kleidung auf soziodemografische Merkmale und persönliche Eigenschaften<br />

einer Person. Kleidung besitzt aufgrund dieser Beachtung, die ihr zuteil<br />

wird, einen hohen Prestigewert (vgl. Brüne, 1989). Aus dieser sozialen<br />

Auffälligkeit resultiert das hohe, vom Konsumenten wahrgenommene Kaufrisiko,<br />

das die möglichen sozialen Folgen des Kaufes wi<strong>der</strong>spiegelt. Der Käufer<br />

empfindet Angst und Unsicherheit aufgrund <strong>der</strong> möglichen sozialen Folgen seiner<br />

Entscheidung.<br />

Darüber hinaus ist Bekleidung ein sehr komplexes Produkt. <strong>Die</strong>se Komplexität<br />

lässt sich insbeson<strong>der</strong>e aus den Differenzierungskriterien und dem Variantenreichtum<br />

ableiten. <strong>Die</strong> Merkmale zur Differenzierung von Bekleidung beziehen<br />

sich auf die jeweilige Zielgruppe (Geschlecht, Alter usw.), den Genre- und Modegrad<br />

sowie die Modeausrichtung (business, casual, elegant usw.) (vgl. Saviolo/<br />

Testa, 2002, S. 139 ff.; Fuchslocher, 1994, S. 181). Der größte Teil <strong>der</strong> Bekleidung<br />

wird als Konfektionsmode 14 von Unternehmungen angeboten, die in relativ<br />

großen Stückzahlen unabhängige Kollektionen produzieren. Menge, Qualität<br />

14 Hiervon unterscheidet sich die Mode <strong>der</strong> Haute Couture (Unikate zu extrem hohen Preisen) und<br />

Designer-Mode von selbständigen Designern (z. B. Wolfgang Joop, Donna Karan, Giorgio Armani,<br />

Donatella Versace), die zu sehr hohen Preisen weltweit angeboten wird.


2 <strong>Die</strong> <strong>Beson<strong>der</strong>heiten</strong> <strong>der</strong> <strong>Bekleidungswirtschaft</strong> 55<br />

und Preislage <strong>der</strong> Bekleidung richten sich nach dem gewählten Genre 15 . Der<br />

Genregrad stellt aufgrund dessen ein relativ objektives Beurteilungskriterium<br />

dar. Demgegenüber spielt <strong>der</strong> Modegrad für die Bewertung <strong>der</strong> vom Kunden<br />

subjektiv empfundenen modischen Komponente eine zentrale Rolle. Gleichzeitig<br />

kann <strong>der</strong> Modegrad zur Operationalisierung <strong>der</strong> dynamischen Komponente<br />

herangezogen werden. Bekleidung lässt sich danach differenzieren in:<br />

Hochmodische Bekleidung, mit <strong>der</strong> eine konsequente Ausrichtung an<br />

herrschenden, sehr kurzfristigen Modetrends verfolgt wird. Der (psychologische)<br />

Produktlebenszyklus dieser Produkte ist so kurz (z. T. sogar nur wenige<br />

Wochen), dass eine Wie<strong>der</strong>beschaffung in <strong>der</strong> Regel nicht möglich ist. Da<br />

<strong>der</strong> Zeitpunkt <strong>der</strong> Produkteinführung entscheidend ist, ist das Mo<strong>der</strong>isiko<br />

hochmodischer Ware sehr groß.<br />

Modische Bekleidungsware, die sich an kurz- bis mittelfristigen Trendzyklen<br />

orientiert. Bei Einhaltung von Grundtrends bezieht sich die Innovation in<br />

<strong>der</strong> Regel nur auf bestimmte Aspekte (z.B. Variation <strong>der</strong> Farbe, Schnittän<strong>der</strong>ung<br />

beim Kragen, Wechsel des Oberstoffmaterials). <strong>Die</strong> (psychologische)<br />

Lebensdauer <strong>der</strong> Produkte ist zwar kurz, aber deutlich länger als bei hochmodischer<br />

Bekleidung. Entsprechend ist die Wie<strong>der</strong>beschaffbarkeit dieser<br />

Produkte eher möglich und das Risiko, die Ware nicht absetzen zu können,<br />

geringer.<br />

Modisch neutrale Bekleidung (Basics) zeichnet sich durch einen geringen<br />

Neuheitsgrad und einen vergleichsweise langen (physischen) Produktlebenszyklus<br />

aus. Produkte wie Jeans, T-Shirts o<strong>der</strong> <strong>der</strong> klassische dunkelblaue<br />

Hosenanzug sind typische Basics. Sie können auch noch nach Jahren<br />

in ihrer ursprünglichen Gestaltung gekauft werden, wodurch sich das Absatzrisiko<br />

wesentlich verringert.<br />

Sieht man von wenigen hoch spezialisierten Nischenanbietern ab, produziert<br />

die Mehrzahl <strong>der</strong> Unternehmungen Bekleidung unterschiedlicher Genre- und<br />

Modegrade. Fertigt eine Unternehmung daneben noch Bekleidungsware unterschiedlicher<br />

Sparten, ist die Produktstruktur durch eine hohe Anzahl unterschiedlicher<br />

Produktvarianten charakterisiert. <strong>Die</strong>ser Variantenreichtum ist u.a.<br />

darauf zurückzuführen, dass sich die Gestaltung jedes Bekleidungsteils auf die<br />

interdependenten Variablen Form, Farbe, Faser und Design (vgl. Hermanns,<br />

15 In <strong>der</strong> Bekleidungsindustrie ist „Genre“ ein handelsüblicher Ausdruck für die qualitative Einstufung<br />

von Bekleidungsteilen unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Elemente Oberstoff, Formgestaltung, Passform,<br />

Ausstattung und Verarbeitung, vgl. Schierbaum, 1993, S. 153.


56<br />

A Rahmenbedingungen und institutionelle Erscheinungsformen<br />

1999, S. 16) bezieht. Da jedes Merkmal wie<strong>der</strong>um eine Vielzahl von Merkmalsausprägungen<br />

besitzt, ergibt sich insgesamt eine extrem hohe potenzielle Variantenanzahl.<br />

Unter Berücksichtigung <strong>der</strong> verschiedenen Größenschlüssel kann<br />

eine Kollektion <strong>der</strong> klassischen HAKA somit zwischen 50.000 und 1,5 Mio. Modell-/Stoff-/Größenkombinationen<br />

umfassen.<br />

2.2 Saisonzyklen von Bekleidungsprodukten<br />

Saisonalität ist ein weiteres charakteristisches Merkmal <strong>der</strong> <strong>Bekleidungswirtschaft</strong>.<br />

Allgemein werden unter saisonalen Schwankungen kurzfristige Bewegungen<br />

im Wirtschaftsablauf mit einer konstanten Zyklusdauer verstanden (vgl.<br />

Saviolo/Testa, 2002, S. 10 ff.). Bei langfristiger Betrachtung kehren diese Zyklen<br />

mehr o<strong>der</strong> min<strong>der</strong> regelmäßig wie<strong>der</strong> (vgl. Brunner, 1962, S. 2). <strong>Die</strong> saisonalen<br />

Zyklen von Bekleidung beruhen im Wesentlichen auf natürlichen (Jahreszeit,<br />

Klima) und institutionellen (terminlich fixierte Faktoren wie Ferien, Messen,<br />

Schlussverkäufe usw.) Einflussfaktoren (vgl. Siegmann, 1986, S. 155 ff.).<br />

<strong>Die</strong> Faktoren Mode und Saison sind interdependent. Ein Modewechsel geht<br />

häufig mit dem Übergang von einer Saison zur nächsten einher. Gleichzeitig<br />

können innerhalb einer Saison auch unterschiedliche Moden überlappen (z. B.<br />

bei hochmodischer Bekleidung) und umgekehrt eine bestimmte Mode (z. B. Basics)<br />

mehrere Saisons „überleben“.<br />

Bezüglich <strong>der</strong> Saison ist ein unterschiedliches Verständnis von Bekleidungsindustrie<br />

und -handel zu unterscheiden. Geht man vom traditionellen Saisonverlauf<br />

aus, gibt es in <strong>der</strong> Regel eine Frühjahr-Sommer- und eine Herbst-Winter-<br />

Kollektion 16 , die dem Endkonsumenten jeweils von Februar bis Juli bzw. von<br />

August bis Januar (Saison des Handels) angeboten werden. <strong>Die</strong> Saison umfasst<br />

den Zeitraum des Absatzes eines Bekleidungsprodukts am Point-of-Sale<br />

(sechs Monate). Demgegenüber bezieht sich die Saison eines Bekleidungsherstellers<br />

auf die Zeit von <strong>der</strong> Kollektionserstellung bis zur letzten Auslieferung an<br />

den Handel, unter Umständen sogar bis zum letzten Zahlungseingang. <strong>Die</strong>ser<br />

Zeitraum kann bis zu 15 Monate umfassen (vgl. Seidel, 1991, S. 168).<br />

Aus <strong>der</strong> sich seit Jahren abzeichnenden Tendenz zur erhöhten Innovationstätigkeit<br />

<strong>der</strong> Unternehmungen resultiert die Aufsplittung <strong>der</strong> traditionellen Sommer-<br />

16 Unter einer Kollektion wird die Zusammenfassung aller Formen für einen bestimmten mode-, saison-,<br />

verkaufs-, und konsumabhängigen Anlass verstanden. Vgl. Schierbaum, 1993, S. 210.


2 <strong>Die</strong> <strong>Beson<strong>der</strong>heiten</strong> <strong>der</strong> <strong>Bekleidungswirtschaft</strong> 57<br />

und Wintersaison in mehrere Liefertermine mit jeweils unterschiedlichen Kollektionsthemen.<br />

Mittlerweile werden nicht selten bis zu 12 Kollektionen pro Jahr von<br />

einem Hersteller angeboten. Mit <strong>der</strong> Präsentation mehrerer unterjähriger Kollektionen<br />

am Markt soll seitens <strong>der</strong> Bekleidungsindustrie eine bessere Kundenorientierung<br />

erreicht werden. Dabei richten sich die For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Konsumenten<br />

vor allem an häufigere Wechsel des Bekleidungsangebots innerhalb einer Saison.Von<br />

den Bekleidungsherstellern wird damit eine verstärkte Kreativität und erhöhte<br />

Flexibilität verlangt. <strong>Die</strong> Kollektionsentwicklung wird zu einer permanenten<br />

Aufgabe, die innerhalb kürzerer Zeit mehr Output leisten muss.<br />

2.3 <strong>Die</strong> Wertkette von Bekleidungsunternehmungen<br />

Durch den saisonalen Zyklus wird die Ablauforganisation von Bekleidungsunternehmungen<br />

stark beeinflusst. Zur Darstellung <strong>der</strong> Funktionen und Abläufe in<br />

<strong>der</strong> Bekleidungsindustrie bietet sich <strong>der</strong> Wertkettenansatz von Porter an (vgl.<br />

Porter, 2000). Obwohl dieser Ansatz auf <strong>der</strong> traditionell funktionalen Sichtweise<br />

von Unternehmungen aufbaut, wird mit dem Denken in Wertketten ein erster<br />

Schritt in Richtung Prozessbetrachtung vollzogen (vgl. Abbildung A-6).<br />

Unterstützende<br />

Aktivitäten<br />

Personalmanagement<br />

Marketing/Controlling<br />

Finanzierungsmanagement<br />

Logistik<br />

Design/<br />

Produkt-<br />

Entwicklung<br />

Vertrieb Einkauf Produktion Versand<br />

Primäre Aktivitäten<br />

Abbildung A-6: Wertschöpfungskette eines Bekleidungsherstellers<br />

Quelle: Breitkopf, 1999, S. 171<br />

Gewinnspanne<br />

Gewinnspanne


58<br />

A Rahmenbedingungen und institutionelle Erscheinungsformen<br />

Als primäre wertschöpfende Aktivitäten einer Bekleidungsunternehmung lassen<br />

sich Design/Produktentwicklung, Vertrieb, Einkauf, Produktion und Versand<br />

identifizieren. Für die Entwicklung, Herstellung und den Absatz eines Bekleidungsproduktes<br />

müssen sie einmal durchlaufen werden. Dabei lassen sich<br />

für jede Primäraktivität ein Leistungsin- und -output definieren. <strong>Die</strong> Aktivitäten<br />

<strong>der</strong> Wertschöpfungskette stellen Teil- bzw. Hauptprozesse des Gesamtprozesses<br />

einer Bekleidungsunternehmung dar (zu Prozessdefinitionen vgl. Zentes/<br />

Swoboda/Morschett, 2004, S. 220 ff.; Becker/Vossen, 1996, S. 19; Davenport,<br />

1993, S. 5; Gaitanides, 2007, S. 55 ff.; Hammer/Champy, 1996, S. 52; Osterloh/<br />

Frost, 2006, S. 33).<br />

Zu den unterstützenden Aktivitäten werden in <strong>der</strong> Bekleidungsindustrie die Aufgaben<br />

Logistik (Informations- und Transportlogistik), Marketing und Controlling,<br />

Personal- und Finanzierungsmanagement gezählt.<br />

<strong>Die</strong> erste Phase <strong>der</strong> in Abbildung A-6 dargestellten Wertschöpfungskette stellt<br />

das Design bzw. die Produktentwicklung dar. Für die meisten Bekleidungshersteller<br />

17 ist diese Phase zentral für den Unternehmungserfolg. Als Hauptleistungsträger<br />

ist das Design mit <strong>der</strong> Forschung & Entwicklung an<strong>der</strong>er Industrieunternehmungen<br />

zu vergleichen. <strong>Die</strong> Produktentwicklung beginnt mit <strong>der</strong><br />

Ideengenerierung und endet mit <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong> Ideen in Verkaufsmuster.<br />

Als Inspiration für das eigene Angebot verwenden vertikale, hochmodische Anbieter<br />

in den letzten Jahren Kollektionen von Designermarken, so dass vom<br />

neuen Geschäftsmodell „Piraten“ gesprochen werden kann (vgl. Jahrbuch <strong>der</strong><br />

deutschen Textil- und Modeindustrie, 2006, S. 6 ff.). Innerhalb eines Zeitraums<br />

von vier bis sechs Monaten werden Informationen über neue Produktideen <strong>der</strong><br />

Vorstufen bzw. Zulieferer und über zukünftige Trends (Leistungsinput) gewonnen.<br />

<strong>Die</strong>se werden anschließend in Zeichnungen umgesetzt, zu Prototypen<br />

entwickelt und als Musterteile gefertigt. <strong>Die</strong> Zusammenstellung <strong>der</strong> Musterteile<br />

zu einer vollständigen Musterkollektion stellt den Leistungsoutput dieser Tätigkeiten<br />

dar.<br />

Der Bekleidungshersteller legt dem Handel die Verkaufsmuster einer Kollektion<br />

ca. vier bis acht Monate vor Auslieferung vor. Je nach Anzahl <strong>der</strong> jährlichen<br />

Kollektionen bestehen unterschiedliche Zeiträume, in denen <strong>der</strong> Handel seine<br />

17 <strong>Die</strong> Ausnahme bilden einerseits sog. „Piraten“, welche sich auf die Sammlung vielversprechen<strong>der</strong><br />

Modeideen und -themen spezialisiert haben, die sie dann in Niedriglohnlän<strong>der</strong>n fertigen lassen. <strong>Die</strong>se<br />

Unternehmungen verfügen we<strong>der</strong> über eine eigene Designabteilung noch eine eigene Fertigung,<br />

vgl. DGM, 1996, S. 59.


2 <strong>Die</strong> <strong>Beson<strong>der</strong>heiten</strong> <strong>der</strong> <strong>Bekleidungswirtschaft</strong> 59<br />

Or<strong>der</strong> tätigen kann. Für viele Handelskunden ist die Hauptor<strong>der</strong>zeit während<br />

<strong>der</strong> Bekleidungsmessen im Januar und April bzw. August und November. Daneben<br />

stellen Showrooms und Modezentren wichtige Or<strong>der</strong>zentren dar. Mit<br />

Großkunden werden üblicherweise private Vorlagetermine zur Präsentation <strong>der</strong><br />

aktuellen Kollektion vereinbart. Eventuelle Modellän<strong>der</strong>ungen können so ungestört<br />

vereinbart werden. Als Folge <strong>der</strong> schnell wechselnden Modetrends werden<br />

zunehmend auch während <strong>der</strong> Saison Bekleidungsartikel über Außendienst<br />

o<strong>der</strong> Modezentren 18 verkauft.<br />

<strong>Die</strong> Verkaufsphase <strong>der</strong> Bekleidungsware an den Bekleidungshandel erfolgt direkt<br />

nach <strong>der</strong> Kollektionsentwicklung. Erst nach Auftragseingang durch den<br />

Handel wird ein vertraglich festgelegtes Volumen gefertigt, das zu einem bestimmten<br />

Termin an den Kunden geliefert wird. <strong>Die</strong> Nachfrage des Handels wird<br />

somit im Wesentlichen als Auftragsproduktion bedient. <strong>Die</strong> Form <strong>der</strong> Auftragsproduktion<br />

ist häufig im Investitionsgüterbereich (z. B. Anlagengeschäft)<br />

anzutreffen und zeichnet sich durch eine kundenindividuelle Fertigung, nach<br />

Art und Umfang <strong>der</strong> im Akquisitionsprozess festgelegten Leistungen, aus. Der<br />

Vermarktungsprozess liegt daher vor dem Fertigungsprozess (vgl. Backhaus,<br />

2007, S. 307). Demgegenüber ist die Produktion von Lagerware aufgrund des damit<br />

verbundenen höheren Risikos nur selten. Als Leistungsoutput <strong>der</strong> Verkaufstätigkeiten<br />

lässt sich aufgrund dessen <strong>der</strong> Produktionsauftrag identifizieren.<br />

Als Teil des Beschaffungsvorgangs 19 bezieht sich <strong>der</strong> Einkauf auf die Beschaffung<br />

<strong>der</strong> zur Produktion benötigten Vormaterialien und den Zukauf von Handelsware.<br />

20 <strong>Die</strong> Beschaffungsdauer des Rohmaterials beträgt von <strong>der</strong> Bestellung bis<br />

zum Eingang ca. zwei bis drei Monate. <strong>Die</strong> Material- und Zutatendisposition beginnt<br />

bereits in <strong>der</strong> Phase <strong>der</strong> Kollektionsentwicklung, spätestens jedoch während<br />

<strong>der</strong> Verkaufsphase. Verbindliche Ober- und Futtermaterialdispositionen<br />

18 In den sog. Modezentren werden sowohl von den selbständigen Handelsvertretern als auch von<br />

den Unternehmungen selbst „Showrooms“ eingerichtet. Dort kann <strong>der</strong> Handelskunde die Bekleidungsware<br />

ungestört und ganzjährig begutachten. Der Vorteil dieser Vertriebsform liegt insbeson<strong>der</strong>e<br />

darin, dass <strong>der</strong> Handelskunde nicht aus <strong>der</strong> gesamten Kollektion auswählen muss, da <strong>der</strong><br />

Handelsvertreter die Kollektion für ihn (vor)selektiert hat.<br />

19 <strong>Die</strong> Beschaffung wird allgemein als Summe <strong>der</strong> Tätigkeiten bezeichnet, die darauf gerichtet sind, <strong>der</strong><br />

Unternehmung die Produktionsfaktoren zur Verfügung zu stellen, über die es selber nicht verfügt, vgl.<br />

Hammann/Lohrberg, 1985, S. 5. Mit diesem weit gefassten Begriffsverständnis werden auch die Produktionsfaktoren<br />

„Personal“, „Kapital“, „Maschinen“ usw. in den Beschaffungsvorgang einbezogen. In<br />

<strong>der</strong> Bekleidungsindustrie wird <strong>der</strong> Beschaffungsvorgang oft auf die Fertigware bezogen, die im Rahmen<br />

<strong>der</strong> Passiven Lohnveredlung bzw. eigener Produktionsstätten im Ausland gefertigt wird.<br />

20 Handelsware dient <strong>der</strong> Komplettierung des herstellereigenen Angebots (z. B. Tücher, Kappen, aber<br />

auch T-Shirts usw.). Man lässt sie insbeson<strong>der</strong>e aus Kosten-, Know-how- und Kapazitätsgründen<br />

durch fremde Unternehmungen herstellen. Vgl. Häussermann, 1991, S. 518.


60<br />

A Rahmenbedingungen und institutionelle Erscheinungsformen<br />

können erst mit dem Kundenauftrag (Leistungsinput) getätigt werden. Das Rohmaterial<br />

wird bis zum Verbrauch bei <strong>der</strong> jeweiligen in- o<strong>der</strong> ausländischen Unternehmung<br />

gelagert. Der Leistungsoutput des Einkaufs liegt in <strong>der</strong> rechtzeitigen<br />

Bereitstellung <strong>der</strong> zur Produktion benötigten Rohmaterialien.<br />

Der Produktionsprozess umfasst die Tätigkeiten des Zuschnitts, des Nähens<br />

und <strong>der</strong> Aufbereitung von Bekleidungsteilen. Hierbei handelt es sich um spezielle<br />

Bügelvorgänge (z.B. für das Anlegen von Bügelfalten o<strong>der</strong> das Ausbügeln<br />

von Kanten und Schultern an Sakkos), die den Herstellungsprozess vollenden.<br />

Leistungsinput dieses Prozesses sind einerseits die Produktionsmuster inkl.<br />

Schnittlagenbil<strong>der</strong> und an<strong>der</strong>erseits die benötigten Rohmaterialien (Stoffe, Garne,<br />

Knöpfe usw.). Da <strong>der</strong> gesamte Produktionsvorgang sehr arbeitsintensiv ist,<br />

sind nicht nur die Hersteller von Produkten unterer und mittleren Genres gezwungen,<br />

die Lohnkosten durch die Ausnutzung weltweiter Kostendifferenzen<br />

zu senken. Neben <strong>der</strong> Gründung ausländischer Tochtergesellschaften und ausländischer<br />

Kapitalbeteiligungen (z.B. Joint Ventures) werden hierzu vor allem<br />

die Möglichkeiten <strong>der</strong> Passiven Lohnveredlung genutzt. Von den inländischen<br />

Bekleidungsunternehmungen werden die zu produzierende Stückzahl, <strong>der</strong><br />

Preis, <strong>der</strong> Liefertermin und die spezifizierte Qualität exakt vorgegeben. Nach erfolgter<br />

Fertigstellung und Kommissionierung wird die verkaufsfähige Ware (Leistungsoutput)<br />

wie<strong>der</strong> zum inländischen Auftraggeber geliefert. Da die Produktionskapazitäten<br />

z.T. bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt reserviert werden<br />

müssen, stellt insbeson<strong>der</strong>e die sehr kurzfristige Warenbeschaffung (Einkauf und<br />

Produktion) hohe Ansprüche an die Flexibilität <strong>der</strong> Unternehmungen.<br />

Im Rahmen <strong>der</strong> Ausgangslogistik wird die Bekleidungsware für die Lieferung<br />

an den Kunden vorbereitet. Ihr kommt insbeson<strong>der</strong>e die Aufgabe <strong>der</strong> Verteilung<br />

und Komplettierung <strong>der</strong> verkaufsfähigen Ware (Leistungsinput) zu. Hierzu erstrecken<br />

sich die Aufgaben <strong>der</strong> Ausgangslogistik insbeson<strong>der</strong>e auf die Bereiche<br />

Qualitätswesen, Lagerhaltung und Verpackung (vgl. Pfohl, 1996, S. 92 ff. u.<br />

S. 141 ff.) sowie die Kommissionierung <strong>der</strong> Ware (z. B. Wareneingang und -kontrolle,<br />

Einlagern, Umpacken, Kommissionierung <strong>der</strong> Kundenaufträge, Verpacken<br />

und Warenausgang). Durch den Bekleidungshersteller können in dieser<br />

Phase letztmalig Verän<strong>der</strong>ungen und Maßnahmen an dem Produkt vorgenommen<br />

werden, bevor es die Unternehmung endgültig verlässt. Leistungsoutput<br />

ist damit die kundenbezogene Zusammenstellung verkaufs- und versandfertiger<br />

Bekleidungsteile. <strong>Die</strong>se Prozesse werden bei großen Herstellern in <strong>der</strong> Regel<br />

durch Logistikdienstleister erledigt.


2 <strong>Die</strong> <strong>Beson<strong>der</strong>heiten</strong> <strong>der</strong> <strong>Bekleidungswirtschaft</strong> 61<br />

2.4 Konsumtrends und neuere Marktentwicklungen<br />

Im Folgenden sollen zum Verständnis <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Herausfor<strong>der</strong>ungen in<br />

dieser Branche einige <strong>der</strong> wichtigsten Entwicklungen und Trends skizziert werden,<br />

auf die im Verlauf dieses Buches noch näher eingegangen wird:<br />

Teleshopping<br />

Im Jahr 2007 war die deutsche Sparte des internationalen Teleshopping-Anbieters<br />

QVC mit einem Umsatz von 634 Mio. € <strong>der</strong> Marktführer in Deutschland (vgl.<br />

Abbildung A-7). Insgesamt befindet sich dieser Vertriebsweg auf dem Vormarsch;<br />

die vier großen Anbieter haben in 2005 erstmals insgesamt mehr als<br />

1 Mrd. € umgesetzt. Weitere Teleshopping-Anbieter stehen in <strong>der</strong> Startposition,<br />

jedoch ist aufgrund <strong>der</strong> relativen Knappheit <strong>der</strong> analogen Kabelfrequenzen erst<br />

bei <strong>der</strong> weiteren Verbreitung <strong>der</strong> Digitalisierung des Fernsehempfangs mit dem<br />

flächendeckenden Eintritt neuer Akteure zu rechnen (vgl. BTE, 2006, S. 32 f.).<br />

Umsatz in<br />

Mio. €<br />

700<br />

600<br />

500<br />

400<br />

300<br />

200<br />

100<br />

0<br />

634<br />

315<br />

QVC Deutschland HSE24<br />

Sen<strong>der</strong><br />

1-2-3 TV<br />

Abbildung A-7: Umsatz <strong>der</strong> größten Teleshopping-Anbieter<br />

Quelle: BTE, 2008, S. 31<br />

Technisierung<br />

<strong>Die</strong> richtige Ware am richtigen Ort zur richtigen Zeit anzubieten, ist ohne optimierte<br />

Prozesse nicht zu erreichen. Mehr denn je hängt <strong>der</strong> Erfolg in <strong>der</strong> Modeund<br />

Textilbranche von effizienter Logistik und IT ab. Flexibilität wird dabei immer<br />

wichtiger. So hat sich zum einen das Flugzeug zu einem wichtigen Transport-<br />

77


62<br />

A Rahmenbedingungen und institutionelle Erscheinungsformen<br />

mittel für die Modebranche entwickelt. Aber zum an<strong>der</strong>en wird auch vermehrt<br />

auf <strong>Die</strong>nstleistungen <strong>der</strong> Textillogistiker zurückgegriffen. Maßgeschnei<strong>der</strong>te Lösungen<br />

sind gefragt. <strong>Die</strong> Logistik-Experten sollen mit ihrem Know-how Hilfe<br />

leisten, wenn es um das Process-Reengineering, also ein Umgestalten <strong>der</strong><br />

Prozesse in den logistischen Abläufen, geht. <strong>Die</strong> großen Player in diesem Bereich<br />

sind Meyer&Meyer, Thiel Fashion Lifestyle und Fiege. Logistik wird vereinzelt<br />

sogar zur Kernkompetenz (vgl. TW, 2006, Nr. 14, S. 45 ff.). Fiege ist beispielsweise<br />

regional für die komplette Shop-Logistik von Esprit zuständig.<br />

E-Commerce<br />

Für die <strong>Bekleidungswirtschaft</strong> bieten sich durch das Internet sowohl neue Möglichkeiten<br />

des Vertriebs als auch Informations- und Kommunikationsquellen. <strong>Die</strong><br />

Preisentwicklung im Hardwarebereich hat zu einer fundamental verän<strong>der</strong>ten<br />

Technologieverfügbarkeit geführt. <strong>Die</strong> Anzahl <strong>der</strong> Haushalte, die mit einem PC<br />

und Internetzugang ausgestattet sind, erhöht sich von Jahr zu Jahr (vgl. Abbildung<br />

A-8). War im Jahr 2000 lediglich knapp die Hälfte aller deutschen Haushalte mit<br />

einem PC ausgestattet, lag dieser Anteil nur sieben Jahre später bereits bei über<br />

70%. <strong>Die</strong> Verbreitung von Internetzugängen hat sich im gleichen Zeitraum sogar<br />

von nur 16,4% im Jahr 2000 auf 64,9% im Jahr 2007 mehr als verdreifacht. So<br />

gaben 2007 13% <strong>der</strong> Gesamtbevölkerung an, gerne Bekleidung im Internet zu<br />

kaufen. 2001 sagten dies nur 4%. Jedoch fanden es 2007 18% aller Deutschen<br />

spannend, sich im Internet über Modetrends zu informieren (vgl. Spiegel, 2007).<br />

Anteil in<br />

Prozent<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

Haushalte mit PC<br />

Haushalte mit<br />

Internetzugang<br />

0<br />

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007<br />

Abbildung A-8: Verbreitung von PCs und Internetzugang in Privathaushalten<br />

Quelle: Statistisches Bundesamt, 2008<br />

Jahr

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