Lach- statt Liebeskunst - Dresdner Akzente
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8 <strong>Dresdner</strong> Nachrichten/Donnerstag, 15. Oktober 2009<br />
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der Menschheit.<br />
Erlebtes und Erdachtes speichern<br />
sie auf ihren Seiten. Oft hängen<br />
Erinnerungen an einem Buch.<br />
Wie oft hat man es in die Hände<br />
genommen, darin gelesen oder<br />
nur darin geblättert und irgendwann<br />
ist es “krank”. Die Seiten<br />
lösen sich, die Buchdecke trennt<br />
sich vom Rücken - ein trauriger<br />
Zustand. Dann ist die Hilfe vom<br />
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Die verheerenden Folgen fehlender Liebe<br />
„Bis ans Limit“ ist ein verstörend guter Monolog zur Alkoholprävention<br />
Sie unterscheiden sich nur in<br />
einem einzigen Buchstaben.<br />
Das sollte ein Hinweis, es kann<br />
eine Warnung sein. Sucht und<br />
Suche, zwei Wörter, die ihre<br />
Verwandtschaft buchstäblich<br />
preisgeben. Nicht im eigentlichen,<br />
sehr viel mehr im übertragenen<br />
Sinne. Und so erzählt<br />
das Stück „Bis ans Limit“ der<br />
Landesbühnen Sachsen von<br />
der Suche eines Mädchens, die<br />
für sie zur Sucht und damit ein<br />
verheerender Kreislauf gegen<br />
das Vergessen der Welt geworden<br />
ist. Bei dieser Suche, das<br />
ist schon zu Beginn klar, ist das<br />
Finden eine verteufelte Sache.<br />
Man hat nur eine Chance: gefunden<br />
zu werden.<br />
Von Thessa Wolf<br />
„Eltern beknackt oder peinlich,<br />
Schule öde“, presst sie ihre Stimme<br />
in das Klassenzimmer. Saskia steht<br />
zwischen Tafel, Lehrertisch und<br />
ihrer Klasse. Sie ist die Neue, stellt<br />
sich vor. Die Vorstellung wird zur<br />
Reise in die Vergangenheit. Saskia,<br />
oder wie sie später zugibt, eigentlich<br />
Friderike, nimmt die Klasse,<br />
also die Zuschauer, in ihre Seelenwelt<br />
mit. Das ist nicht nur beklemmend<br />
intim, es ist auch schrecklich<br />
und traurig – vor allem, weil von<br />
Karoline Bischoff so gut inszeniert<br />
und von Dörte Dreger so eindringlich<br />
gespielt.<br />
Die Vorlage für das als „Klassenzimmerstück“<br />
konzipierte<br />
Schauspiel lieferte die <strong>Dresdner</strong><br />
Autorin Caren Pfeil. Sie hat aus<br />
dem gleichnamigen Jugendbuch<br />
von Elisabeth Zöller und Brigitte<br />
Kolloch einen Monolog gemacht.<br />
Einen Monolog, der anfangs wie<br />
eine Anklage wirkt und später<br />
zur Entblößung gesellschaftlicher<br />
Oberfl ächlichkeiten wird.<br />
Dabei hat Friderike doch die<br />
besten Voraussetzungen. Hat sie<br />
das wirklich? Sie ist das Kind vermögender<br />
Eltern: „Wunschkind,<br />
Einzelkind, Trennungskind.“ Eines<br />
Tages steht die Mutter in der Tür,<br />
in der Hand zwei gepackte Koffer.<br />
„Ich halte es hier nicht mehr aus“,<br />
sagt sie, und die Tochter wundert<br />
sich: „Warum? Sie ist doch sowieso<br />
nie da.“ Immerhin: Alkohol ist<br />
meist im Haus. „Du trinkst, Mädchen“,<br />
stellt der Vater fest. Ja, sie<br />
trinkt. Und fi ndet Freunde, die<br />
dieses Gefühl, den Rausch des Vergessens,<br />
die alkoholische Aufwertung<br />
des Selbst, genauso schätzen<br />
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wie sie. Alles scheint möglich mit<br />
den richtigen Umdrehungen – bis<br />
zum nächsten Morgen. „Neben<br />
meinem Bett stehen ein roter Plastikeimer<br />
und eine Wasserfl asche.<br />
In die Schule geh ich erst zur dritten<br />
Stunde.“<br />
Selten erzählt Friderike nüchtern,<br />
meist jault sie, schreit, tobt<br />
oder die Stimme bricht, wird heiser<br />
oder rissig, etwa wenn sie sagt:<br />
„Ich schäme mich so.“ Dörte Dre-<br />
■ Echt stark gespielt ...<br />
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ger spielt das so intensiv, dass man<br />
nach vorn gehen, sie in den Arm<br />
nehmen und trösten möchte.<br />
Das Mädchen trinkt ohne nachzudenken,<br />
damit sie nicht mehr<br />
nachdenken muss, weiß nicht<br />
mehr, ob Tag oder Nacht ist. „Ich<br />
schlafe, kotze, schlafe, kotze.“<br />
Sie trifft die Clique, lädt sie nach<br />
Hause ein, als der Vater weg ist,<br />
schmeißt Partys, klaut, landet in<br />
der Beratungsstelle und so weiter.<br />
Erst als sie mit 2,3 Promille im Blut<br />
selbst beklaut und verprügelt im<br />
Krankenhaus erwacht, beschließt<br />
sie: „Ich mach ’ne Therapie“.<br />
Happy End also? Noch lange<br />
nicht, und ob es überhaupt eines<br />
gibt, bleibt ungewiss. „Sie war ein<br />
halbes Jahr auf Entzug und muss<br />
die Klasse wiederholen“, erzählt<br />
Claudia Bernhard, die ein Freiwilliges<br />
Soziales Jahr an den Landesbühnen<br />
Sachsen macht. Zusammen<br />
mit Theaterpädagogin Ina<br />
Steinel kümmert sie sich darum,<br />
dass Schulen von dem Angebot des<br />
Klassenzimmertheaters erfahren<br />
und dies auch buchen. 50 Minuten<br />
dauert das Stück, etwas länger als<br />
eine Unterrichtsstunde. „Wir hatten<br />
Pädagogen gefragt, ob Bedarf<br />
für dieses Thema besteht“, erzählt<br />
Bernhard. „Die Antwort war ein<br />
mehrfaches Ja.“<br />
Der Entzug also. „Der Entzug<br />
ist die Hölle.“ Das Spiegelbild eine<br />
Zumutung. Kein Alkohol, Kontaktsperre<br />
nach draußen. Und jetzt<br />
geht es: kotzen, zittern, schwitzen.<br />
Medikamente. „Endlich kann ich<br />
schlafen.“ Sie sei so leer, sagt das<br />
Mädchen. „Das Schwerste ist, zu<br />
sagen, was man braucht, sich Hilfe<br />
zu holen. Das habe ich nie gelernt.“<br />
Also: Einzelgespräche, Gruppengespräche,<br />
Elterngespräche. Ja,<br />
sie hat tatsächlich die trennenden<br />
Eltern am Tisch vereint, wenn<br />
auch nur für kurze Zeit. Die Suche<br />
ohne Alkohol ist ungleich schwerer<br />
als die mit ihm. „Wofür bin ich<br />
eigentlich? Und wogegen?“ Ihr<br />
Opa habe immer gesagt, dass jeder<br />
Mensch große dunkle Säle habe,<br />
in die er manchmal hineinmüsste.<br />
Friderike ist ganz tief drin im<br />
Dunkel. Ganz langsam nur wird es<br />
heller. „Ich muss den ganz normalen<br />
Alltag wieder lernen.“ Ob sie<br />
es schafft?<br />
„Bis ans Limit“, für Schulen zu<br />
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Ehrlich gesagt, hatte ich nicht so Lust auf Theater. Es war ja auch nur ’ne kleine Bühne. Als ich dann<br />
noch las, dass nur eine Schauspielerin das Ganze macht, wäre ich am liebsten wieder gegangen. Vorträge,<br />
was man machen darf und was nicht, fi nde ich ziemlich langweilig. Aber das Mädchen hat dann<br />
so echt gespielt, als würde sie wirklich trinken und wär echt verzweifelt. Ich kenn das ja nicht selbst<br />
mit Alkohol und Drogen und so. Und meine Freunde auch nicht. Man hört nur immer, wenn andere<br />
von jemandem sagen: Der versinkt im Alkohol. Vorstellen konnte ich mir das nicht. Aber jetzt verstehe<br />
ich es ein bisschen besser. Echt abschreckend ist das. Die hat das echt gut rübergebracht. Die Zeit im<br />
Theater verging übelst schnell, und es war überhaupt nicht langweilig, sondern ziemlich cool.<br />
Lydia Wolf, 13 Jahre, 8. Klasse<br />
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