Das Chaos Computer Buch - Monoskop
Das Chaos Computer Buch - Monoskop
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<strong>Das</strong> <strong>Chaos</strong> <strong>Computer</strong> <strong>Buch</strong><br />
von, dass alles in Echtzeit geschieht, und morgens leuchtet dann das<br />
fertige Bild auf meinem Schreibtisch, oder eine traumhafte, kleine<br />
Animations-Sequenz wartet, wie von einer Fee in den Speicher gezaubert,<br />
auf Abruf.<br />
Trotz aller Zaubereien waren auf meinen Törns ins Land der Daten<br />
der Normal-Raum und die Normal-Zeit als blinde Passagiere immer<br />
mit dabei, ob ich nun in den Berechnungen alle Nachkommastellen als<br />
Ballast abschnitt und nur noch mit stromlinienförmigen Integerzahlen<br />
voraneilte oder mir eine Festplatte anschaffte, die fette Datenladungen<br />
in Nullkommaganzwenig in den elektronischen Laderaum fitschte. Ich<br />
kenne einen Programmierer, der als Namen für Programme, die er<br />
gerade entwickelt, stets nur einen einzigen <strong>Buch</strong>staben verwendet, um<br />
sich zeitraubendes Tippen zu ersparen; Batches, Makros und<br />
Routine-Bibliotheken verhelfen zu weiteren Einsparungen. Die<br />
Beschleunigung beim <strong>Computer</strong>n wird dann tatsächlich manchmal<br />
körperlich. So erlebte ich den Blutsturz des Oberschallpiloten bei<br />
wilden Abflügen nach dem Durchstoßen einer Art von<br />
Sinn-Schallmauer, wenn ich nach langen Anstrengungen einen Algorithmus<br />
endlich zu Ende gebracht hatte und, mit einem Gefühl von<br />
Hitze im Fleisch, weitere ein, zwei Stunden codierte Bremsspuren zog<br />
und hirnlos vor mich hin programmierte, ohne dass da noch irgendein<br />
Problem gewesen wäre.<br />
Der bemerkenswerteste Zeit-Effekt beim Programmieren ist mir<br />
aber, wahrscheinlich weil er so offensichtlich ist, erst nach zwei Jahren<br />
deutlich geworden: dass nämlich das Programmieren die extremste<br />
Form von Zeitlupe und Langsamkeit darstellt, die man sich denken<br />
kann. Zahllose Rechenschritte, die der <strong>Computer</strong> oft sekundenschnell<br />
bewältigt, müssen in tage- und wochenlanger Fleißarbeit- bei professioneller<br />
Software geht es um viele Mann-Jahre -Zeile für Zeile präzis<br />
beschrieben und kommentiert werden. Es gibt Schleifen-Anweisungen,<br />
durch die man sich endlose Wiederholungen sparen kann, trotzdem<br />
aber bleiben die Tage und Nächte, in denen der Programmierer<br />
stundenlang daran tüftelt, einen Prozess um ein paar Mikrosekunden<br />
schneller ablaufen zu lassen, und nicht bemerkt, wie das Raum-<br />
Zeitkontinuum, siehe Einstein, um ihn herum schelmisch schlackert.<br />
Seite 120<br />
Kurs-Peilungen<br />
Die Legende vom Blick<br />
<strong>Das</strong> <strong>Chaos</strong> <strong>Computer</strong> <strong>Buch</strong><br />
«Im 20. Jahrhundert befinden sich die von Sinneswahrnehmungen<br />
bestimmten Werte und Ideen wieder im Niedergang. »<br />
Seite 121<br />
Fritjof Capra<br />
Da eine meiner Lieblingsregionen am Kontinent der Daten die <strong>Computer</strong>grafik<br />
geworden ist, komme ich noch einmal auf den Blick zurück,<br />
der dem Körper vorausläuft. In vielen Sprachen ist bis zum heutigen<br />
Tag die Auffassung des steinzeitlichen Jägers lebendig<br />
geblieben, derzufolge Sehen und Handeln eins waren. Die Sprache<br />
erzählt immer noch die Legende vom Blick, dem Seh-Speer, den das<br />
Auge «wirft». Mag es die altägyptische Auge-Hieroglyphe sein, die<br />
für «handeln», «tun» steht (nicht zu verwechseln mit dem<br />
«Udjat-Auge» des Horusfalken), oder das deutsche «Ereignis»,<br />
hergeleitet von einer älteren Form, nach der etwas sich «eräugnet» -die<br />
Suggestion geht dahin, dass das Ich es ist, das mit seinem Blick in die<br />
Welt hinausstochert und Wahrnehmungen aufscheucht oder geschehen<br />
lässt.<br />
Nun haben Physik und Medizin diesen Verlauf durch die Feststellung<br />
umgekehrt, dass vielmehr etwas ins Auge geworfen wird,<br />
nämlich das Licht, an Oberflächen reflektiert, das in der Netzhaut<br />
chemo-elektrische Signale auslöst. Oder wie Steven Spielberg sagen<br />
würde: <strong>Das</strong> Imperium blickt zurück. Die Signale laufen ins Gehirn und<br />
werden dort als Eindrucksfeld interpretiert und durch das Herauslösen<br />
von Gestalten dem Bewusstsein als Erscheinungen zugänglich<br />
gemacht. Diese naturwissenschaftliche Einsicht ist zwar der Vernunft<br />
zugänglich, der Intuition aber ist sie ungeliebt geblieben, handelt es<br />
sich dabei doch um eine Defensive - den Rückzug aus dem<br />
jahrtausendelang aktiv durchdrungenen, blickdurchworfenen Weiten<br />
Raum in die engen Fjorde der Hirnwindungen, an deren Ufern der<br />
Geist hockt und sich Anblicke aus den Wellen des Lichts angelt.<br />
Vor dem <strong>Computer</strong> wurde mir aus einem unerklärlich aufsteigenden<br />
Wohlempfinden nach einiger Zeit einsichtig, dass eine andere Wissenschaft<br />
die Legende vom Blick doch wieder in ihre Rechte gesetzt<br />
hat: die Mathematik. Um das zu erläutern, will ich ein wenig ausholen.