Das Chaos Computer Buch - Monoskop
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<strong>Das</strong> <strong>Chaos</strong> <strong>Computer</strong> <strong>Buch</strong><br />
Die Zeitgenossen der Pharaonen stellten sich den Tod vor als Reise in<br />
ein «Land im Westen», in dem wie in der diesseitigen Welt auch<br />
gearbeitet werden mußte. Da die alten Agypter praktisch veranlagt<br />
waren, wurden die Uschebtis als Stellvertreter angefertigt, die mit<br />
magischen Mitteln zu handhaben waren und bei Bedarf für den<br />
Grabherrn die anfallende Arbeit verrichteten. Nach meinem Wissen<br />
erscheint hier zum erstenmal in der Menschheitsgeschichte die Idee<br />
des Roboters.<br />
Da ich in der Zwischenzeit angefangen hatte, die altägyptische Schrift<br />
zu lernen, richtete ich mein Interesse auf die Eintragungen an der<br />
Vorderseite der Figur. Wer sich einmal mit Programmiersprachen wie<br />
C oder APL befaßt hat, dem bereiten Hieroglyphen keine größeren<br />
Probleme mehr. Mein Usche-Bit ist mit einem Kapitel aus dem<br />
Totenbuch beschriftet, dem «Aufruf der magischen Puppen». Den<br />
Vergleich mit einem Roboter hatte ich noch als einfache Analogie<br />
abgetan. Von der Übersetzung des « Aufrufs», der nicht nur in der<br />
peniblen Reihung der Anweisungen einem modernen<br />
Automatenprogramm gleichkommt, war ich frappiert:<br />
Magische Puppe, hör mich an!<br />
Bin ich gerufen,<br />
Bin ich verurteilt, die Arbeit auszuführen,<br />
Welche im Jenseits die Toten verrichten,<br />
Wisse denn Du, oh magische Puppe,<br />
Da du die Werkzeuge hast;<br />
In deiner Not gehorche dem Toten!<br />
Wisse, du bist an meiner Statt<br />
Von den Duat-Hütern verurteilt:<br />
Zu besäen die Felder,<br />
Zufüllen mit Wasser die Kanäle,<br />
Den Sand herüber zu schaffen<br />
von Osten nach Westen . . .<br />
Am Ende erwidert die magische Puppe:<br />
Hier bin ich und horche deinen Befehlen<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Chaos</strong> <strong>Computer</strong> <strong>Buch</strong><br />
Heute heißt das «dialogorientierte Benutzerführung», und es steht bloß<br />
etwas prosaischer ein Betriebssystem-Prompt am Bildschirm, oder<br />
schlicht READY.<br />
Mir war aufgefallen, daß die meisten Programmierer, mit denen ich<br />
mich in der Zwischenzeit angefreundet hatte, sehr ähnliche Lebensund<br />
Arbeitsgewohnheiten zu haben schienen wie ich, der Schriftsteller.<br />
«Hacker werden von einem intensiven Bedürfnis gedrängt, ihr<br />
Medium zu beherrschen, perfekt zu beherrschen», schreibt Sherry<br />
Turkle. «In dieser Hinsicht gleichen sie dem Konzertpianisten oder<br />
dem Bildhauer, der von seinem Material besessen ist. Auch Hacker<br />
werden von ihrem Medium (heimgesucht>. Sie liefern sich ihm aus<br />
und betrachten es als das Komplizierteste, das Plastischste, das am<br />
schwersten Faßbare, als größte Herausforderung ihres Lebens. » Bei<br />
Vergleichen zwischen «literarischen» Sprachen und<br />
Programmiersprachen - beides artifizielle Konstrukte - machte ich<br />
weitere bemerkenswerte Beobachtungen.<br />
Programmiersprachen weisen Übereinstimmungen mit archaischen<br />
Jargons auf, die ich statt als «literarische» vielleicht genauer als<br />
«poetische» oder «zeremonielle» Sprachen bezeichnen sollte. Eine<br />
zeremonielle Sprache, wie etwa das Pathos, «funktioniert» nur unter<br />
bestimmten Bedingungen oder in spezifischen Situationen, etwa wenn<br />
Sprecher und Zuhörer in feierlicher Stimmung sind, andernfalls wirkt<br />
Pathos lächerlich. Bei den Kennzeichen der archaischen Jargons, die<br />
denen der Programmiersprachen ähneln, handelt es sich zum Teil um<br />
Merkmale vor-literarischer Sprachen, von denen manche noch heute<br />
ausschließlich mündlich überliefert werden.<br />
Die Tatsache, daß programmgesteuerte <strong>Computer</strong> gegenwärtig<br />
weltumspannende technische, wirtschaftliche oder militärische<br />
Komplexe bilden, täuscht leicht darüber hinweg, wie schlicht oder<br />
vorsintflutlich die Mittel und Methoden zum Teil sind, die ihnen<br />
zugrunde liegen. «Die meisten gegenwärtig verfügbaren<br />
<strong>Computer</strong>programme», so Joseph Weizenbaum, «vor allem die<br />
umfangreichsten und wichtigsten unter ihnen, sind nicht ausreichend<br />
theoretisch fundiert. Sie sind heuristisch, und zwar nicht unbedingt in<br />
dem Sinne, daß sie sich in ihrem Inneren heuristischer Methoden<br />
bedienen, sondern daß ihre Bauweise Faustregeln folgt, Strategemen,<br />
die unter den<br />
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