Ernst Wiechert - Der Totenwolf -> Kapitel 10 - ernst wiechert im internet
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<strong>Kapitel</strong> <strong>10</strong><br />
"Mir ist", flüsterte Hilde, "als trinke ich Gottes Blut ... so mag wohl das<br />
Abendmahl sein für den, dessen Seele glaubt ..."<br />
"Trinke!" antwortete er. "Die alten Götter gehen um ... erfülle deine Seele ...<br />
und später, sitze hier, so oft du kannst. Mir ist, als werden die Sterne hindurchschauen<br />
durch dich bis in seine geschlossenen Augen ... ich bin in<br />
einem fallenden Hause geboren, und davon sind meine Augen dunkel geworden."<br />
Als der Schatten der Hütte sie bedeckte, standen sie auf und gingen Hand in<br />
Hand über das Moor. Sie fragte nicht, wohin er sie führe. Ihr Haupt lag an<br />
seiner Schulter, und ihre Augen blickten zu den Sternen empor, als liege der<br />
Tod schon hinter ihnen und als wurden sie in dem Dunkel des Waldes, dem<br />
sie sich näherten, die silberne Straße finden, die zur Ewigkeit führe.<br />
Sie kamen am grauen Hause vorbei und erschauerten <strong>im</strong> Schatten der Wipfel,<br />
der sie verschlang. Äste streiften ihre Wangen, und sie lächelten matt<br />
und traumhaft, als ein schwerer Fichtenzweig sich in Hildens Haar verfing<br />
und ihre Flechten löste. Dann standen sie auf dem Heidenhügel und blickten<br />
auf die verwitterte Asche des Sonnwendfeuers, um das sie hier einstmals<br />
gesessen hatten. Das silberne Tier ging leise über die Kronen, auf denen das<br />
Mondlicht lag.<br />
"Hörst du, wie die Jahre rauschen?" sagte Wolf und hielt den Atem an.<br />
"Laß sein", flüsterte sie zurück. "Was sind mir die Jahre ... Kinder waren wir<br />
einst, an kindischer Flamme. Nun brennt sie durch meine Seele ... sieh das<br />
Moor, wie es leuchtet ... du Lieber du, wie groß wird mein Leben ..."<br />
Im Schatten der Wacholderbüsche versanken ihre Gestalten. Schräges Licht<br />
fiel auf ihre bleichen Züge. Die Sonnenwärme des vergangenen Tages sank<br />
aus den Zweigen auf sie nieder, mischte sich mit dem kühlen Hauch des Grases<br />
und der Erde und ließ ihre sch<strong>im</strong>mernden Glieder erschauern. Bewußtsein<br />
des Opfers, dämpfte das Glühen ihres Blutes, dessen Rauschen ihr wild<br />
und weithin vernehmbar die Nacht zu erfüllen schien, deren Sterne in<br />
schweigender Zeugenschaft auf sie herniederblickten.<br />
Noch war es gleichsam, als knieten sie, unbewegte Vermittler eines göttlichen<br />
Gedankens, einer körperlosen Idee, einander gegenüber am Rande<br />
eines tiefen Quells und schauten zu der Schale hinunter, die, außerhalb ihrer<br />
<strong>Ernst</strong> <strong>Wiechert</strong> - <strong>Der</strong> <strong>Totenwolf</strong><br />
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