Jetzt und Hier - Vorarlberg
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Verlagspostamt 6922 Wolfurt<br />
Erscheinungsort Bregenz, P.b.b.<br />
Nr. 02Z031538<br />
vorum<br />
Forum für Raumplanung <strong>und</strong> Regionalentwicklung in <strong>Vorarlberg</strong> Nr. 3/2012 14. Jahrgang<br />
<strong>Jetzt</strong> <strong>und</strong> <strong>Hier</strong><br />
IMPRESSUM: Medieninhaber <strong>und</strong> Herausgeber: Amt der <strong>Vorarlberg</strong>er Landesregierung, Abt. Raumplanung <strong>und</strong> Baurecht, 6900 Bregenz, www.vorarlberg.at/gemeindeentwicklung Erscheinungsweise: viermal jährlich Auflage: 8.500 Stück Für den Inhalt verantwortlich:<br />
Dr. Wilfried Bertsch Projektleitung: Heiko Moosbrugger; heiko.moosbrugger@vorarlberg.at Redaktionsleitung: Mag. Martina Pfeifer Steiner E-Mail: pfeifer.steiner@aon.at; www.pfeifersteiner.com Redaktionsteam: Dr. Wilfried Bertsch, Dr. Sabine<br />
Miessgang, Mag. Stefan Obkircher, Ing. Christoph Türtscher Lektorat: Mag. Ulrike Delclos Kneissl, Klagenfurt Cover: Langenegg Foto: Peter Swozilek Gestaltung: Bertolini LDT, Bregenz Druck: Thurnher, Rankweil. Die Redaktion ersucht diejenigen Urheber,<br />
Rechtsnachfolger <strong>und</strong> Werknutzungsberechtigten, die nicht kontaktiert werden konnten, im Falle des fehlenden Einverständnisses zur Vervielfältigung, Veröffentlichung <strong>und</strong> Verwertung von Werkabbildungen bzw. Fotografien im Rahmen dieser Publikation um<br />
Kontaktaufnahme. Offenlegung gemäß § 52 Mediengesetz ist auf www.vorarlberg.at/gemeindeentwicklung veröffentlicht. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben ausschließlich die Meinung des Autors wieder, die sich nicht mit der des Herausgebers oder der<br />
Redaktion decken muss. Sinngemäße textliche Überarbeitungen behält sich die Redaktion vor. Zugunsten der Lesbarkeit wird, wenn von den Autorinnen <strong>und</strong> Autoren nicht anders vorgesehen, von geschlechtsspe zifischen Endungen abgesehen. Ein kostenloses <strong>und</strong><br />
jederzeit kündbares Abonnement der Zeitschrift vorum kann angefordert werden bei: E-Mail: raumplanung@vorarlberg.at; Tel. +43 (0) 5574/511-27105
in diesem vorum<br />
Der Europäische Dorferneuerungspreis ist 2012 ,Der Zukunft auf der Spur‘. In Langenegg,<br />
Siegergemeinde 2010, findet anlässlich der Preisverleihung ein zweitägiges Fest statt.<br />
Gemeindeentwicklung gehört zweifellos zu den Hauptthemen einer Raumplanungsstelle,<br />
deshalb nimmt vorum die Schwerpunkte auf, die in drei Fachforen anlässlich dieser Ver -<br />
anstaltung zur Diskussion stehen. Es ist gelungen, hochkarätige AutorInnen zu den Themen<br />
Demo grafischer Wandel, Gemeinwohl, Res sourcen <strong>und</strong> lokales Wirtschaften zu gewinnen.<br />
Wir schauen uns weiters am Marktplatz ,Europa erleben‘ um, was speziell <strong>Vorarlberg</strong> zu<br />
bieten hat <strong>und</strong> suchen Inspiration r<strong>und</strong> um den Dorfer neue rungs preis in den Geschichten<br />
der Gemeinden. Als Abschluss steht ein Manifest zur Baukultur. Damit hoffen wir, unserer<br />
interessierten Leserschaft wieder ,raumerweiternden‘ Lesestoff anzubieten.<br />
Martina Pfeifer Steiner<br />
für das vorum Redaktionsteam<br />
Zukunftsfähige Lebensräume<br />
In <strong>Vorarlberg</strong> wurden frühzeitig nachhaltige<br />
Entwicklungen thematisiert <strong>und</strong> zu zentralen<br />
Leitideen formuliert. So fördert das Land<br />
<strong>Vorarlberg</strong> schon seit über zwanzig Jahren kommunale<br />
<strong>und</strong> regionale Entwicklungskonzepte, die<br />
sich in partizipativen Planungsprozessen mit<br />
Fragen zukunftsfähiger Gestaltung von Lebens -<br />
räumen auseinandersetzen. Pioniergeist wurde<br />
mit der Gründung des Büros für Zukunftsfragen<br />
im Jahre 1999 bewiesen. Am Beispiel der landes -<br />
weiten Initiative „Lebenswert-leben“ zeigt sich eindrücklich,<br />
wie diese innovative Denkfabrik zu<br />
Ideen anregt <strong>und</strong> Impulse setzt. Das Büro für<br />
Zukunftsfragen versteht sich weiters als vernetz -<br />
tes Kompetenzzentrum, welches Ent wick lungs -<br />
prozesse vor Ort professionell be gleitet <strong>und</strong> eine<br />
wichtige Vermittlerfunktion zwischen Bevölke -<br />
rung, Politik, Verwaltung <strong>und</strong> Wirtschafts -<br />
treibenden übernimmt.<br />
Langenegg ist eine Lebenswert-leben-Pilot -<br />
gemeinde: Ein ehrenamtliches Kernteam setzt sich<br />
insbesondere für die Stärkung des Sozialkapitals<br />
ein, indem Orte <strong>und</strong> Anlässe geschaffen werden,<br />
um soziale Beziehungen aufzubauen <strong>und</strong> zu pflegen.<br />
So wird beispielsweise bei Parzellenfesten<br />
unter dem Motto „Hallo Nachbar“ oder beim<br />
Geschenkemarkt das Gemeinwesen gestärkt.<br />
Wie Langenegg bewiesen viele andere Gemeinden<br />
in <strong>Vorarlberg</strong> Weitblick, als sie frühzeitig die<br />
gezielte Ansiedelung von Geschäften <strong>und</strong> Ge werbe -<br />
betrieben im Ort forcierten <strong>und</strong> sich erfolgreich<br />
um eine breite Bewusstseinsbildung im Hinblick<br />
auf die Wichtigkeit funktionierender Nah -<br />
versorgung für das Dorfleben bemühten.<br />
Langenegg sei in diesem Zusammenhang mit der<br />
gelungenen Revitalisierung eines denkmal ge -<br />
schützten Bauern hauses im Ortzentrum in ein florierendes<br />
Geschäftshaus genannt. Dies war die<br />
Initial zündung für einen städtebaulichen Wett -<br />
bewerb zur Zentrumsentwicklung, bei dem<br />
Entscheidungen ausgewogen nach öko nomischen,<br />
ökologischen, sozialen <strong>und</strong> ästhetischen Kriterien<br />
getroffen wurden.<br />
2 vorum 3/2012<br />
DER ZUKUNFT AUF DER SPUR<br />
21. bis 22. September 2012<br />
Europäische Veranstaltung in <strong>Vorarlberg</strong> mit<br />
Verleihung ,Europäischer Dorferneuerungspreis 2012‘<br />
Fachforum ,Der Zukunft auf der Spur‘<br />
Marktplatz ,Europa erleben‘<br />
Die regionale Wertschöpfung durch kleine <strong>und</strong><br />
mittlere Betriebe in den Bereichen Handwerk,<br />
Gewerbe, Tourismus, Gastronomie sowie Land -<br />
wirtschaft trägt maßgeblich zu ausgeglichenen<br />
Finanz haushalten bei <strong>und</strong> sichert die Hand lungs -<br />
fähigkeit von Gemeinden <strong>und</strong> Regi onen.<br />
Qualifizierte Fachkräfte vor Ort werden zu einer<br />
immer wertvolleren Ressource. Auch in diesem<br />
Zusammenhang wird deutlich, dass besonders<br />
Investitionen in die Bildung <strong>und</strong> in die junge<br />
Generation den Weg in eine erfolgreiche Zukunft<br />
weisen.<br />
Eindrucksvoll zeigt die <strong>Vorarlberg</strong>er Gemeinde<br />
Zwischenwasser auf, wie durch selbstorganisiertes<br />
Engagement neue Entfaltungsmöglichkeiten ent -<br />
stehen: Beispielsweise war dort die Errichtung<br />
einer architektonisch ansprechenden Kapelle in<br />
Lehm bauweise nur möglich, weil viele Bürge r -<br />
innen <strong>und</strong> Bürger beim Planungsprozess <strong>und</strong> beim<br />
Bau tatkräftig mitanpackten. So wurden im Sinne<br />
des Subsidaritätsprinzips die Ressourcen vor Ort<br />
konsequent <strong>und</strong> ökologisch genutzt. Dass die<br />
Gemeinde Zwischenwasser zudem europa- <strong>und</strong><br />
weltoffen ist, wird etwa an deren Unterstützung<br />
für die Global Marshall Plan Initiative deutlich, die<br />
sich für eine Weltwirtschaft im Einklang mit<br />
Umwelt, Gesellschaft <strong>und</strong> Kultur einsetzt.<br />
Langenegg <strong>und</strong> Zwischenwasser stehen exempla -<br />
risch für ländliche Gemeinden, die zu Gunsten des<br />
Gemeinwohls mit Überblick <strong>und</strong> Weitsicht zukunftsfähige<br />
Lösungen entwickeln <strong>und</strong> umsetzen.<br />
Im Rahmen der Verleihung des Europäischen<br />
Dorf erneuerungspreises sowie des Fachforums<br />
,Der Zukunft auf der Spur‘ dürfen wir von vielen<br />
weiteren Gemeinden erfahren, auf welchen<br />
Wegen sie der Verantwortung gegenüber unseren<br />
Kindern <strong>und</strong> Kindeskindern ge recht werden <strong>und</strong><br />
gleich zeitig attraktive Lebens räume für das <strong>Hier</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Jetzt</strong> gestalten.<br />
Mag. Markus Wallner<br />
Landeshauptmann<br />
Foto: Land <strong>Vorarlberg</strong><br />
Unsere Zukunft hat eine Geschichte. Sie heißt Gegenwart.<br />
Die Zukunft unserer Lebenswelt, dörflich wie städtisch, hängt von unserer Bereitschaft ab, sie hier <strong>und</strong> heute gemeinsam zu schaffen.<br />
Bigger better faster more! Dieser Titel eines<br />
Albums der Rockband 4 Non Blondes aus dem Jahr<br />
1992 umschreibt die immer noch vorherrschende<br />
Intensität <strong>und</strong> Richtung gesellschaftlichen Wan -<br />
dels: Alles Wachstum. Mit dem gesell schaftlichen<br />
Wandel verändert sich auch, wiewohl langsam,<br />
das räumliche Gefüge, das wir hervorbringen <strong>und</strong><br />
das uns hervorbringt. Die Menschen verlassen die<br />
Dörfer <strong>und</strong> streben den Zentren zu. Ob Krise oder<br />
Konjunktur, diese Bewegung vollzieht sich in<br />
blinder Beharrlichkeit.<br />
Daher werden uns folgende Phänomene auf jeden<br />
Fall in den nächsten 30 Jahren beschäftigen: Die<br />
Gesellschaft altert, <strong>und</strong> der Anteil der erwerbsfähigen<br />
Bevölkerung nimmt ab. Die Bevölkerung<br />
nimmt in den Ballungsgebieten zu, während sich<br />
ländlich-periphere Gebiete weiter entleeren. Der<br />
Ressourcenverbrauch steigt, die Preise auch. Die<br />
globalen Beziehungen intensivieren sich auf allen<br />
Ebenen. Mobilität, erzwungen oder freiwillig, wird<br />
strukturprägend, während sich ein neuer, erbitter -<br />
ter Wettbewerb um Besitz <strong>und</strong> Nutzung knapper<br />
werdenden Landes abzeichnet.<br />
Slow burn<br />
Wir kennen das Bild vom Teich, der lange Zeit<br />
Nährstoffe aufnimmt, ohne sich sichtbar zu verändern.<br />
Doch eines Tages kippt das Gewässer <strong>und</strong><br />
wird zu einer trüben Suppe. Alles wieder in einen<br />
ges<strong>und</strong>en Zustand zu bringen, dauert lange <strong>und</strong><br />
kostet.<br />
Viele Variablen, von denen die Stabilität ökologischer<br />
oder sozialer Systeme abhängt, zeigen so ein<br />
Verhalten. Im Gegensatz zu Schocks wie Kata -<br />
strophen oder Unfällen, die langfristig auch heilsame<br />
Wirkung haben können, spricht man hier<br />
von „slow burn“. Diese langsam <strong>und</strong> unbemerkt<br />
dahinschwelenden Krisen treffen uns unvorbereitet,<br />
„Mehr als die Ver -<br />
gangenheit interessiert<br />
mich die Zukunft, denn<br />
in ihr gedenke ich zu<br />
leben.“ Albert Einstein<br />
wenn sie schließlich akut werden. Die Rückkehr<br />
zum Vorkrisenzustand ist oft nicht mehr möglich,<br />
nicht zuletzt wegen des höchst mensch lichen<br />
Phänomens, dass manche Interes sens gruppen<br />
lieber untergehen, als sich neuen Gegebenheiten<br />
anzupassen.<br />
Die unerschütterliche Richtung <strong>und</strong> Be schleu -<br />
nigung des Wandels geben also Anlass zur Sorge,<br />
dass wir nicht alle Variablen, auf deren Konstanz<br />
wir setzen, unter Kontrolle haben. Wir kennen<br />
Gewinnerin des Europäischen Dorferneuerungspreises 2012: Gemeinde Vals in Graubünden<br />
zwar die Variablen, aber nicht die Schwellen, bei<br />
deren Überschreitung das System kippt. Wie viele<br />
junge Erwachsene, besonders Frauen, müssen aus<br />
einer Talschaft abwandern, bis diese ihre<br />
Regenerationsfähigkeit einbüßt? Wie viele<br />
Betriebe müssen ihre Pforten schließen, bis auch<br />
die Gemeinde pleite geht? Wie hoch müssen<br />
Treibstoffpreise steigen, ehe die Pendlerhaushalte<br />
sich veranlasst sehen, endgültig wegzuziehen?<br />
Wie viele Einwanderer kann ein soziales Gefüge<br />
aufnehmen, ohne sich dem interkulturellen<br />
Dialog zu stellen <strong>und</strong> sich gemeinsam neu zu<br />
definieren?<br />
Zum einen: Wir wissen es nicht. Zum anderen:<br />
Österreichs Regionen befinden sich in der glücklichen<br />
Lage, noch keine dieser kritischen<br />
Schwellen überschritten zu haben. Daher haben<br />
wir sowohl die Chance als auch die Verpflichtung,<br />
die Zukunft in die Gegenwart hereinzuholen,<br />
anstatt blind auf sie zuzurasen.<br />
Regionale Resilienz<br />
Wir verstehen unter regionaler Resilienz die<br />
Fähigkeit einer Region, ihre lebenswichtigen<br />
Strukturen <strong>und</strong> Funktionen auch in Zeiten schwerer<br />
Krisen nicht nur zu erhalten, sondern durch selbst<br />
bestimmten Wandel langfristig zu stärken. Die<br />
Resilienz zentrumsferner ländlicher Gebiete zu<br />
fördern <strong>und</strong> zu sichern, ist eine politische<br />
Steuerungsaufgabe. Das heißt, sie muss politisch<br />
gewollt sein. In Österreich herrscht der politische<br />
Konsens, die Funktionsfähigkeit aller ländlichen<br />
Räume aufrechtzuerhalten - aus guten Gründen.<br />
Die Resilienzforschung gibt uns brauchbare<br />
Hinweise, wie wir diese Aufgabe meistern können:<br />
Die Interventionen müssen (i) auf mehreren<br />
Ebenen erfolgen, wobei die Menschen <strong>und</strong><br />
Institutionen in der betreffenden Region die<br />
Hauptrolle spielen, (ii) Vielfalt fördern, <strong>und</strong> (iii)<br />
geeignete Instrumente der Beobachtung, des<br />
Dialogs <strong>und</strong> der Reflexion einbeziehen.<br />
Die 4schaften<br />
Foto: Henry Pierre Schulz 1986<br />
Eine Beratergruppe um Leo Baumfeld 1 hat für den<br />
„Marktplatz der Generationen“ im Auftrag des<br />
Bayerischen Sozialministeriums das „4schafts-<br />
Modell“ entworfen, das diese Anforderungen an<br />
die politische Steuerung regionaler Resilienz sehr<br />
gut widerspiegelt.<br />
Das erste Element im 4schafts-Modell ist die<br />
Leidenschaft: Sie hilft uns, persönlichen Wandel<br />
im Laufe unseres Lebens erfolgreich zu bewältigen,<br />
denn Begeisterung <strong>und</strong> Neugierde sind die<br />
Quellen der Lernfähigkeit. Der zweite Baustein ist<br />
die Nachbarschaft: Sie nährt sich aus unserer<br />
Fähigkeit, das Spiel von Nähe <strong>und</strong> Distanz gut<br />
auszutarieren <strong>und</strong> Respekt vor dem ,Anderen‘ zu<br />
haben. Nachbarschaft hat ihre Tücken, aber sie<br />
bietet Potenzial, das ausgebaut <strong>und</strong> genutzt werden<br />
will. Der dritte Baustein im 4schafts-Modell ist<br />
die Partnerschaft: Also das Zusammenwirken<br />
gesellschaftlicher Akteure für Ziele des Gemein -<br />
1 ÖAR Regionalberatung GmbH, IPOS, landimpuls (April 2012): „Unser 4schafts-Modell zum Marktplatz der Generationen“. Das Dokument wurde von Leo Baumfeld fre<strong>und</strong>licherweise<br />
zur Verfügung gestellt. Siehe Website zum Projekt des Bayerischen Sozialministeriums: www.stmas.bayern.de/senioren/kommunen/generationmarkt.php<br />
wohls. Dabei kann es sich um Gemeinde koopera -<br />
tionen, das Zusammenspiel von Unternehmen <strong>und</strong><br />
gemeinnützigen Organisa tionen oder um professi o -<br />
nelle Netzwerke handeln. Partnerschaften<br />
erfordern Fairness <strong>und</strong> verbindliche Regeln. Und<br />
schließlich das Dach – die Gesellschaft: Sie<br />
umfasst sowohl das große Ganze als auch seine<br />
Teilsysteme (Bildung, Ges<strong>und</strong>heit, Wirtschaft,<br />
Umwelt…) <strong>und</strong> die Politik in ihrer steuernden<br />
Funktion.<br />
Das 4schafts-Modell dient als ,Kompass‘ für das<br />
Design <strong>und</strong> die kreative Verknüpfung von<br />
Interventionen. Wo setzen diese Interventionen<br />
an? Da sind zunächst die individuellen Ein stel -<br />
lungen der Menschen: Sie anzuregen, dem<br />
gesellschaftlichen Wandel neue Deutungen zu<br />
geben, den Wandel ihrer eigenen Rolle <strong>und</strong><br />
Identität zu reflektieren, ihre Leidenschaft immer<br />
wieder aufs Neue zu entfachen. Auch unser<br />
Verhalten ist beeinflussbar, indem wir mit neuen<br />
„Fata volentem ducunt,<br />
nolentem trahunt –<br />
Den Willigen führt, den<br />
Unwilligen treibt das<br />
Schicksal.“ Seneca<br />
Lösungen experimentieren <strong>und</strong> nachbar schaft -<br />
liche Formen des Handelns weiterentwickeln. Wir<br />
werden auch an den Strukturen ansetzen, indem<br />
wir neue Formen der Steuerung durch Partner -<br />
schaften ausprobieren <strong>und</strong> die Wirkungen partnerschaftlichen<br />
Handelns gemeinsam bewer ten.<br />
Doch letzten Endes geht es um den Wandel in der<br />
Kultur, das heißt neue Prinzipien des<br />
Zusammenlebens in der Gesellschaft zu etablieren<br />
<strong>und</strong> gemeinschaftliche Lebensräume zu gestalten,<br />
die jenseits der Logik des Marktes, sowie des<br />
Staates liegen.<br />
Wie auch immer wir gedenken, unsere Gemein -<br />
wesen auf die Zukunft vorzubereiten: Wenn wir<br />
diese vier Ebenen durch kluges Handeln miteinander<br />
verbinden <strong>und</strong> diese Verbindung durch<br />
Wiederholung verstetigen, können wir erfolgreich<br />
sein.<br />
Robert Lukesch<br />
geb. 1955, Berater <strong>und</strong> Coach der<br />
ÖAR Regionalberatung GmbH<br />
lebt auf einem Bauernhof in Hirzenriegl, Steiermark<br />
berät zurzeit die EU in Fragen der zukünftigen<br />
Gestaltung der ländlichen Entwicklung
Franz Michael Felder (1839-1869) im Juni 1866.<br />
Photographie: Franz Joseph Fetz, Bezau. Privatbesitz Schoppernau<br />
F<br />
elder war ein ausgesprochen zukunftsfroher<br />
Autor. Schon in seiner ersten Dorfgeschichte<br />
„Nümmamüllers <strong>und</strong> das Schwarzokaspale“ von<br />
1863 werden Bäche durch Wuhren am Überschwemmen<br />
gehindert, Steine von Äckern entfernt<br />
<strong>und</strong> glückliche menschliche Beziehungen<br />
geknüpft. Der Bettlerssohn Schwarzokaspale<br />
arbeitet sich gemeinsam mit den Kindern eines<br />
verkrachten Müllers zu einer angesehenen<br />
Existenz im Dorf empor – es geht um die geglückte<br />
Integration sozialer Außenseiter. In „Sonder -<br />
linge“, Felders großem sozialen Roman von 1867,<br />
nimmt der Schluss geradezu utopische Gestalt an:<br />
Die verfeindeten Bauern Barthle <strong>und</strong> Sepp, der<br />
erste ein auf dem Alten beharrender Reaktionär,<br />
der zweite ein enger Fortschritts gläubiger, versöhnen<br />
sich nach einem Mordversuch des Barthle<br />
an Sepp, beide sind geläutert, Barthle stirbt, ihre<br />
Kinder werden ein glückliches Paar, <strong>und</strong> das Dorf<br />
wird sozusagen zukunftsfähig gemacht, indem<br />
die vorher verfemten „Sonderlinge“ eine Genos -<br />
senschaft gründen <strong>und</strong> ein neuer, weniger<br />
fanatischer Pfarrer einzieht. Einzelne können bei<br />
Felder nicht glücklich werden, ohne dass nicht<br />
auch die sozialen Verhältnisse sich ändern.<br />
Hoffnung in die Zukunft setzt einer, der nicht in<br />
einer idealen Gegenwart lebt. Und so sah Felders<br />
Umwelt auch aus: Der Großteil der Bregenzer -<br />
wälder Bauern lebte von der Milchwirtschaft <strong>und</strong><br />
war abhängig von monopolistischen Großhänd -<br />
lern, allen voran der Schnepfauer Firma Gallus<br />
Moosbrugger <strong>und</strong> seinen Brüdern. Moosbrugger<br />
diktierte den Milchpreis <strong>und</strong> bezahlte im Voraus;<br />
die Bauern waren bei ihm <strong>und</strong> bei Lechtaler<br />
Geldgebern ständig verschuldet. Es gab keinerlei<br />
Schutz bei Naturkatastrophen oder Tierseuchen.<br />
Felders Zukunftsarbeit setzte im eigenen Dorf an:<br />
1863 trat er für eine gerechtere Verteilung der<br />
Gemeindesteuern nach Vermögen, nicht nach<br />
4 vorum 3/2012<br />
Der Zukunfts-Felder<br />
Der Schriftsteller <strong>und</strong> Bregenzerwälder Bauer Franz Michael Felder hat<br />
schon im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert mit seinen visionären Gedanken vorweg -<br />
genommen, was heute noch immer Gültigkeit hat.<br />
Köpfen ein, ab 1865 agierte er in ausgesprochen<br />
zäher Überzeugungsarbeit für Sennerei ge nos sen -<br />
schaften <strong>und</strong> einen Käsehandlungsverein zur<br />
Selbstvermarktung der Produkte auf dem<br />
Weltmarkt <strong>und</strong> führte eine Viehversicherung ein.<br />
Den Holzhandel <strong>und</strong> das Stickereiwesen wollte er<br />
ebenfalls reformieren. Felder war ein Pionier, der<br />
hart für Errungenschaften kämpfen musste, die<br />
später selbstverständlich <strong>und</strong> größtenteils vom<br />
Staat übernommen wurden. Der Gedanke, sich<br />
durch Zusammenschluss in Vereinen selbst zu<br />
helfen, der in den 1860er Jahren in ganz<br />
Deutschland blühte, ist heute, wo der Staat sich<br />
aus manchen Aufgaben zurückzieht, wieder<br />
aktuell geworden.<br />
Zu diesen Errungenschaften gehört auch die<br />
Bildung: Zu Felders Zeiten war es für die<br />
Landbevölkerung fast unmöglich, Zugang zu<br />
Bibliotheken oder zu höherer Bildung zu erlangen.<br />
1866 wandelte Felder die Schopper nauer<br />
Zunft in einen Handwerkerverein mit demo kra -<br />
tischen Statuten um, für den er auch eine<br />
Leihbibliothek einrichtete. In den ebenfalls von<br />
ihm verfassten Statuten des Lesevereins für den<br />
Bregenzerwald in Bezau waren außerdem<br />
Treffen, bei denen das Gelesene besprochen<br />
wurde, <strong>und</strong> Vorträge vorgesehen.<br />
Gerichtet waren diese Gründungen im auf -<br />
klärerischem Sinn gegen das Meinungsmonopol<br />
der katholischen Kirche, wie Felder überhaupt in<br />
einem heute fast unvorstellbar radikal politisierten<br />
kirchlichen Umfeld agierte: Seine<br />
Verfolgung durch den Pfarrer Rüscher <strong>und</strong> die<br />
Brandmarkung als „Ketzer“ <strong>und</strong> „Freimaurer“<br />
stellt ein krasses Beispiel der allgemeinen<br />
katholischen Haltung zu Aufklärung <strong>und</strong><br />
Liberalismus in den 1860er Jahren dar. Selbst<br />
Jahre nach Felders Tod führte Rüscher 1875/76<br />
noch einen erbitterten Kampf gegen die Auf -<br />
stellung des Felder-Denkmals auf dem Friedhof in<br />
Schoppernau.<br />
Als Bregenzerwälder Patriot schrieb Felder: „Ich<br />
aber möchte vor allem der Kraft unseres herr -<br />
lichen Volkes einstweilen einen Zielpunkt aufstellen,<br />
möchte die Bahn aufbrechen helfen, die<br />
der Wäldler zu durchlaufen befähigt, berechtigt,<br />
bald genötigt <strong>und</strong> als Hausvater verpflichtet ist.<br />
Den Eifer, die Arbeitslust, die Freude am gemeinsamen<br />
Schaffen möchte ich wecken […]“ 1<br />
Als Dichter mit Gespür für ganz andere Dimen -<br />
sionen der Existenz, stellte er sich den Welt -<br />
untergang durch eine Sintflut auf der Künzel -<br />
spitze vor: „Dann schüttelte ich den Regen von<br />
dem schweren Hute, wand das Wasser aus den<br />
Kleidern <strong>und</strong> dachte mir, wie es jetzt wäre,<br />
wenn’s immer fort regnete; wie bald wohl das<br />
Wasser da heraufstiege <strong>und</strong> was dann meine<br />
Ziegen machten? Ich selbst konnte auf die Künzel<br />
klettern <strong>und</strong> sah vielleicht, bevor ich unterging,<br />
noch ein Dampfschiff vom Bodensee hereinschwimmen.“<br />
2 Das Dampfschiff vom Bodensee<br />
noch im eigenen Untergang als Arche Noah her -<br />
bei phantasieren, Bibel <strong>und</strong> technischen Fort -<br />
schritt in ein Bild zwingend, das heißt doch:<br />
Hoffnung gibt es immer, auch wenn alles im<br />
buchstäblichen Sinne untergeht. Man muss nur<br />
die Phantasie spielen lassen.<br />
1 FM Felder „Konsum-Verein oder Produktiv-Assoziation“, Werke 8, S. 153 f<br />
2 FM Felder „Aus meinem Leben“, Lengwil 2004, S. 159<br />
Ulrike Längle<br />
geb. 1953 in Bregenz<br />
Studium der Germanistik <strong>und</strong> Romanistik<br />
seit 1984 Leiterin des Franz-Michael-Felder-Archivs<br />
Lehrbeauftragte an der Universität Innsbruck<br />
1998–2000 Jurorin beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb<br />
Schriftstellerin, zahlreiche Publikationen<br />
Marktplatz: <strong>Vorarlberg</strong>-R<strong>und</strong>schau<br />
vorum hat sich bei der Veranstaltung ,Der Zukunft auf der Spur‘ am Marktplatz der Ideen <strong>und</strong> Initiativen umgesehen<br />
<strong>und</strong> exemplarisch interessante Aspekte aus der Region <strong>Vorarlberg</strong> ausgesucht. Anregungen finden sich zu den Themen<br />
Gemeinwohl, regionale Identität, Mobilität, Ressourcen <strong>und</strong> Umweltbewusstsein.<br />
BürgerInnen-Rat<br />
„Wie können wir unseren Lebensraum für zukünf -<br />
tige Generationen attraktiv gestalten?“ Zu dieser<br />
Fragestellung wird offiziell <strong>und</strong> halbjährlich ein<br />
landes weiter BürgerInnen-Rat einberufen. Nach<br />
dem Zufallsprinzip werden sechzehn Bürgerinnen<br />
<strong>und</strong> Bürger in <strong>Vorarlberg</strong> ausgewählt, die zwei Tage<br />
lang an wichtigen Zukunftsfragen arbeiten sollen.<br />
Die Teilnehmenden sind aufgefordert, ihre<br />
Meinungen <strong>und</strong> Sichtweisen einzubringen. Die<br />
Ergebnisse werden anschließend öffentlich präsentiert<br />
<strong>und</strong> diskutiert. Darunter sind Überlegungen<br />
wie Nach haltigkeit, Zufriedenheit <strong>und</strong> Entwicklung<br />
mit Wachstum in Einklang zu bringen wäre, weiters<br />
brennen die Themen Bildung <strong>und</strong> Ressourcen.<br />
Gefordert sind Mut <strong>und</strong> Offenheit der Politik, um<br />
Vertrauensverhältnisse zu verbessern. Etwas überrascht<br />
zeigen sich die ausgewählten Personen mit -<br />
unter, dass sie von Regierungsseite um ihre<br />
Meinung gefragt werden, diese Gelegenheit<br />
nehmen jedoch viele gerne wahr.<br />
Land <strong>Vorarlberg</strong> Büro für Zukunftsfragen www.vorarlberg.at/zukunft<br />
Obstlese<br />
Heimatabend<br />
„Heimat ist beweglich geworden. Heimaten verändern sich, Heimische auch. Neben Altheimischen leben<br />
Neuheimische. Unter Einheimischen finden sich Ein-, Zwei- <strong>und</strong> Dreiheimische. Jungheimische suchen ihre<br />
Identität, Altheimische sind verunsichert. Unsere Heimat ist im Wandel. Es ist nicht einfach mitzukommen“,<br />
so der Künstler Ulrich Gabriel, alias Gaul, der diese Infragestellung ange zettelt hat. Der Zuzug von<br />
Arbeitskräften aus dem Ausland ist einerseits für die Wirtschaft unabdingbar, andererseits tangieren sich<br />
durch Ein wan derungen unterschiedliche Kulturen, Ge wohn heiten, Sprachen. Das führt mitunter zu gesell -<br />
schaftlichen Konflikten, die weniger sachlicher Natur, als eher emotional sind. Mit der Differenz ierung, ob<br />
eine Person ein heimisch oder fremd ist, wird der Begriff „Mig rantischer Hintergr<strong>und</strong>“ durch dieses Projekt<br />
spielerisch relativiert. Verein Aktion Mitarbeit Projekt Heimatabend c/o Mag. Ulrich Gabriel, unartproduktion www.heimatshuttle.at<br />
Weißtanne<br />
Gesellschaftliches Engagement ist ein Qualitätsindikator für das Zusammenleben. Das selbstverständliche<br />
Miteinander von Menschen mit <strong>und</strong> ohne Behinderung, unabhängig von Alter <strong>und</strong> Herkunft braucht<br />
BürgerInnen, die mit Ideen <strong>und</strong> Tatkraft ihren Lebensraum kreativ <strong>und</strong> unbürokratisch gestalten. Als kleines<br />
Beispiel darf die Obstlese auf Streuobstwiesen gelten: Menschen mit körperlicher Behinderung sammeln im<br />
Frühherbst mit großer Sorgfalt Äpfel auf Steuobstwiesen. Das handverlesene Obst wird in die regionale<br />
Mosterei gebracht <strong>und</strong> zu hochwertigem Ländlesaft gepresst, der in der Region vermarktet wird. Damit werden<br />
nicht nur die Obstbaumkulturen bewirtschaftet <strong>und</strong> erhalten, sondern auch wertvolle Lebensmittel ohne<br />
Umwege auf den heimischen Tisch gebracht.<br />
Lebenshilfe <strong>Vorarlberg</strong> www.lebenshilfe-vorarlberg.at www.engagiert-sein.at Dietrich <strong>Vorarlberg</strong> Köstlichkeiten www.dietrich-kostbarkeiten.at<br />
Die Weißtanne nimmt europaweit 0,2 %, österreichweit 2 % <strong>und</strong> im vorderen Bregenzerwald bis zu 80 % des<br />
Baumbestandes ein. Obwohl sie insgesamt rar ist, brach ihr Marktpreis in Folge der Globalisierung <strong>und</strong> durch<br />
besondere technologische Anforderungen in der Verarbeitung massiv ein. Das traf die heimische<br />
Holzwirtschaft hart. Es wurde jedoch erkannt, dass die Rarität der Weißtanne auch eine große Chance<br />
darstellt. Heute gibt es in der <strong>Vorarlberg</strong>er Holzbauarchitektur bedeutende Vorzeigeprojekte in Weißtanne,<br />
das heimische Baumaterial ist zum Imageträger einer Region geworden. Darüber hinaus hat die Weißtanne in<br />
den Wäldern eine wichtige ökologische Funktion <strong>und</strong> schützt vor Lawinen- <strong>und</strong> Murenabgängen.<br />
Projekt Weißtanne www.weisstanne.info<br />
Foto: M Pfeifer Steiner<br />
Käsestraße<br />
Um auch in Zeiten der EU in freier Marktwirtschaft<br />
zu bestehen, nahmen die siebzehn Sennerei be -<br />
triebe der Region Bregenzerwald die Vermarktung<br />
ihrer Produkte selbst in die Hand. Die Tatsache, dass<br />
der Bregenzerwald eine der größten zusammenhängenden<br />
Heumilchregionen Europas darstellt,<br />
machte sie selbstbewusst, <strong>und</strong> sie entwickelten eine<br />
Markenkooperation zwischen Landwirtschaft <strong>und</strong><br />
Tourismus. Es wurde einfach die Region als Käse -<br />
region positioniert, intensive Produkt entwicklung<br />
betrieben <strong>und</strong> sowohl die Käsevielfalt, als auch das<br />
regional-kulinarische Angebot in den Vordergr<strong>und</strong><br />
gestellt. Sennereien, Käsewirte, Sennalpen, Verar -<br />
bei tungs- <strong>und</strong> Handwerks betriebe wurden Mit -<br />
glieder der ,Käse Strasse Bregenzerwald‘, mittlerweile<br />
sind es zweih<strong>und</strong>ert. Sie hat sich zu einer<br />
weitbekannten Markenorganisation ent wickelt.<br />
,KäseStrasse Bregenzerwald‘ steht für eine länd liche<br />
Region, ein Netzwerk von Erzeugern <strong>und</strong><br />
Vermarktern, in dem bäuerliche Qualitäts produkte<br />
<strong>und</strong> modernes Marketing vereint sind. Bei der<br />
Gründung vor fünfzehn Jahren formulierte man<br />
mutig die Ziele, regionale Wertschöpfung weiter -<br />
zuentwickeln <strong>und</strong> die regionalen Kleinstrukturen<br />
zu erhalten. Heute darf man sich durch das ökologische<br />
wie ökonomische Gesamtergebnis bestätigt<br />
fühlen. KäseStrasse Bregenzerwald www.kaesestrasse.at
Elektromobil<br />
VLOTTE ist ein Modell zur Elektromobilität. Mit<br />
einer Jahresvignette kann man nicht nur an den<br />
inzwischen 120 öffentlichen VLOTTE-Ladestellen<br />
tanken, sondern dort auch bis zu vier St<strong>und</strong>en<br />
parken. Die charakteristischen grünen VLOTTE-<br />
Strom säulen befinden sich in Ortszentren, vor<br />
Supermärkten, Banken oder an wichtigen Verkehrs -<br />
knotenpunkten. Sie sind zudem Teil des internationalen<br />
Park & Charge-Verb<strong>und</strong>s. Mitglieder laden<br />
ihre Elektrofahrzeuge auch an allen Terminals in<br />
Deutschland, der Schweiz <strong>und</strong> Liechtenstein kostenlos<br />
auf.<br />
Die gesamte VLOTTE-Ladeinfrastruktur wird mit<br />
<strong>Vorarlberg</strong>er Ökostrom aus regionalen Klein -<br />
wasserkraft-, Fotovoltaik- <strong>und</strong> Biogasanlagen<br />
gespeist, also mit h<strong>und</strong>ert Prozent erneuerbarer<br />
Energie. Wer Ökostrom verwendet, unterstützt den<br />
Ausbau von heimischen Ökostromanlagen <strong>und</strong><br />
regionaler Energieautonomie. Der Sprit kommt aus<br />
der Steckdose. Mit heutiger Technologie der<br />
Fotovoltaik kann außerdem die Sonnenenergie mit<br />
einem Wirkungsgrad von zirka zehn Prozent in<br />
elektrische Energie umgewandelt werden. Ein<br />
Carport mit einer Fotovoltaikfläche von 20 m²<br />
liefert somit jährlich Strom für r<strong>und</strong> 10.000<br />
Elektroauto-Kilometer.<br />
<strong>Vorarlberg</strong>er Elektroautomobil Planungs- <strong>und</strong> Beratungs GmbH www.vlotte.at<br />
Energieautonomie<br />
6 vorum 3/2012<br />
Wälderbus<br />
Foto: Peter Swozilek<br />
Im Bregenzerwald ticken die Uhren anders. Die Fahrpläne des ,Landbus Bregenzerwald‘ wurden umgestellt.<br />
Mit halbstündlichen Verbindungen auf den Hauptachsen wurde eine neue Mobilität für alle BewohnerInnen<br />
<strong>und</strong> BesucherInnen des Bregenzerwaldes geschaffen <strong>und</strong> auf die Bewältigung der Frequenzspitzen am Morgen<br />
<strong>und</strong> Abend besonders geachtet. Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) wird damit eine umweltbewusste<br />
<strong>und</strong> kostengünstige Alternative zum ländlichen Individualverkehr. Die Fahraufträge gehen an die ÖBB-Postbus<br />
GmbH, welche wiederum vertraglich verpflichtet ist, mindestens vierzig Prozent der Fahrleistung an private<br />
Busunternehmer im Bregenzerwald zu vergeben. Damit ist der Wälderbus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für<br />
die Region mit zirka h<strong>und</strong>ert Arbeitsplätzen im Fahrbetrieb. Das Streckennetz bedient 402 Haltestellen,<br />
jährlich werden r<strong>und</strong> 6,9 Millionen Fahrgäste befördert. Das ÖPNV-Versorgungsgebiet reicht von Warth an der<br />
Landesgrenze zu Tirol, über den Mittel- <strong>und</strong> Vorderwald bis nach Dornbirn <strong>und</strong> Bregenz. Zusätzlich wird eine<br />
Linie bis ins deutsche Oberstaufen geführt.<br />
Regionalentwicklung Bregenzerwald GmbH www.regiobregenzerwald.at<br />
Foto: M Pfeifer Steiner<br />
Beratung, Bildung <strong>und</strong> Forschung für sinnvollen Energieeinsatz <strong>und</strong> erneuerbare Energieträger, sowie die<br />
Entwicklung <strong>und</strong> Begleitung länger dauernder Impulsprogramme zu verschiedenen Themen <strong>und</strong> für diverse<br />
Zielgruppen sind die Aufgaben des Energieinstituts <strong>Vorarlberg</strong>. Ein Beispiel: Neun Vorderwälder Gemeinden<br />
haben sich 2010 im Sinne zukunftsfähiger Energiepolitik zur ,energieregion vorderwald‘ zusammen -<br />
geschlossen. Konkretes Ziel ist es, den Energiebedarf für Raumwärme bis 2020 zu h<strong>und</strong>ert Prozent aus<br />
regionaler, erneuerbarer Energie zu decken. Weiters ist das ,e5‘ Landes programm für energieeffiziente<br />
Gemeinden ein zentrales Begleit- <strong>und</strong> Zertifizierungsprogramm für Städte <strong>und</strong> Gemeinden, die sich aktiv für<br />
eine zukunftsfähige kommunale Energie- <strong>und</strong> Klima politik engagieren wollen. Jede e5-Gemeinde erfasst dabei<br />
alle zur Verfügung stehenden Potentiale, setzt Prioritäten <strong>und</strong> stellt durch professionelle Projektarbeit<br />
eine kontinuierliche Um setzung in Richtung Energieautonomie sicher. <strong>Vorarlberg</strong> soll bis zum Jahr 2050 die<br />
Energieautonomie erreichen, 62% der Energie durch den Einsatz verfügbarer Energieeffizienz techno logien<br />
einsparen <strong>und</strong> 48% mehr Energie aus erneuerbaren Energieträgern produzieren.<br />
Energieinstitut <strong>Vorarlberg</strong> www.energieinstitut.at<br />
Ökostrombörse<br />
Die Produktion von erneuerbarer Energie, also die<br />
Stromerzeugung aus Wasserkraft, Windkraft <strong>und</strong><br />
Biomasse braucht neue Ansätze, die von den bestehenden<br />
Strukturen unabhängig sind. Österreichweit<br />
gibt es Vereine, die zwischen denen, die<br />
Ökostrom wollen <strong>und</strong> denen, die Ökostrom produzieren,<br />
vermitteln. Das wirkungsvollste Lenkungs -<br />
mittel in unserer Gesellschaft ist nun mal Geld:<br />
Konsumenten bestimmen durch ihre Kaufkraft, ob<br />
nachhaltige Produkte hergestellt werden. Die<br />
Ökostrombörse ist der Marktplatz für K<strong>und</strong>en, die<br />
mehr Ökostrom wollen <strong>und</strong> für Ökostrom -<br />
produzenten, die Unterstützung zum Bau <strong>und</strong><br />
Betrieb der Anlagen brauchen. Dies kann als private<br />
Förderung über das Management des Strom -<br />
verbrauchs durch einen Ökostromhändler oder mit<br />
Beteiligung an einer Ökostromanlage erfolgen. In<br />
<strong>Vorarlberg</strong> konnte auch das Konzept der Bürger -<br />
beteiligung an einer Reihe von Ökostrom anlagen<br />
umgesetzt werden. Aktuell werden über die<br />
Ökostrombörse bereits zwölf Bürger beteiligungs -<br />
anlagen <strong>und</strong> an die dreih<strong>und</strong>ert Kleinanlagen<br />
betreut <strong>und</strong> betrieben. Der Einsatz von erneuerbarer<br />
Energie unterstützt die Eigen ständigkeit in der<br />
Stromversorgung, steigert die regionale Wert -<br />
schöpfung sowie die Versorgungs sicherheit <strong>und</strong><br />
schafft zusätzliche Arbeitsplätze.<br />
Arge Erneuerbare Energie <strong>Vorarlberg</strong> (AEEV) www.aeev.at<br />
Maß <strong>und</strong> Übermaß<br />
Franz Schuh im Interview über Ressourcenknappheit<br />
<strong>und</strong> Bedürfnisse, Wünsche, Begehren<br />
Was braucht der Mensch, was steht ihm zu?<br />
Die Tatsache, dass es Ressourcen gibt, bedeutet<br />
stets, dass sie knapp sind. Menschen haben<br />
offenk<strong>und</strong>ig eine eingebaute Maßlosigkeit. So<br />
reden sie seit der Antike gerne vom Maß, von der<br />
Mäßigung <strong>und</strong> schließlich auch davon, dass man<br />
maßvoll mäßig sein muss. Man kann ja auch im<br />
Übermaß Maß halten <strong>und</strong> sich damit von den<br />
Ressourcen selbstzerstörerisch abkoppeln. Aber<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich gilt, dass die Ressourcen ein<br />
Versprechen zu ihrer Ausbeutung darstellen.<br />
Kaum sind sie da, besteht schon die Vorstellung,<br />
man müsse sie im Übermaß anzapfen. Das bringt<br />
eine merkwürdige Doppelbödigkeit mit sich:<br />
Einerseits die Abhängigkeit von den Ressourcen<br />
<strong>und</strong> andererseits den Protest dagegen, dass<br />
Ressourcen bis zum Geht-nicht-mehr ausgebeutet<br />
werden.<br />
Damit verb<strong>und</strong>en ist die Art des Menschen, nur<br />
schwer lernen zu können. Wir lernen am besten<br />
aus Katastrophen. Es gibt die religiöse Vorstellung<br />
der Metanoia, also der Um kehr. Doch wie man<br />
Menschen ohne Katastrophe zur Umkehr bringt,<br />
ist die große Frage, sowohl der Lebens- als auch<br />
der Regierungskunst. Die Hoffnung ist, dass sich<br />
die Katastrophen nicht in einer einzigen unbewältigbaren<br />
Katstrophe melden, sondern dass sie<br />
sich verteilt – auf einzelne Phänomene, aus denen<br />
man schrittweise lernen kann. Ich glaube nicht,<br />
dass die Menschen jemals irgendetwas unterlassen<br />
werden, was sie rein technisch tun können. Die<br />
Ressource der eigenen Fähigkeiten, der tech -<br />
ni schen <strong>und</strong> der moralischen, ist eine, die von<br />
Beschränkungen abrät <strong>und</strong> ins Unbe schrä n kte<br />
führt.<br />
Aber läuft das System weiter, bis es sich selbst<br />
erschöpft, die Katastrophen größer oder kleiner sind?<br />
Soll der Staat eingreifen? Hat das Individuum<br />
überhaupt eine Chance, durch Bewusstsein<br />
<strong>und</strong> Umdenken etwas zu verändern?<br />
Jeder, der in diesem Zusammenhang als Pessimist<br />
auftreten würde, macht gleichzeitig das, wofür<br />
ja die Finanzmärkte berühmt sind: eine selffulfilling<br />
prophecy. Wenn viele Leute extrem<br />
pessimistisch sind, wenn dieser Kultur pessi mis -<br />
mus allgemein wird, ist es sehr wahrscheinlich,<br />
dass dann tatsächlich – in einer entmutigten<br />
Atmo sphäre – nichts geschieht. Andererseits<br />
kann der Zukunftsoptimismus, die allzu billige<br />
Hoffnung, zu denselben Folgen führen, wie die<br />
pessimistische Mutlosigkeit.<br />
Unsere Gesellschaft ist nicht zuletzt auf<br />
Bändigung der Zügellosigkeit aus. Das bürgerliche<br />
Gesetzbuch ist im Gr<strong>und</strong>e nichts anderes als die<br />
Belehrung des Individuums, was es besser unterlässt,<br />
will es nicht bestraft werden. Es wird relativ<br />
stark Einfluss genommen, um Übergriffe im<br />
Rahmen zu halten. Aber es gibt in diesen<br />
Gesellschaften Macht zeichen, Institutionen,<br />
deren Interessen zu analysieren sind, zum<br />
Beispiel die der Atomindustrie. Wenn solche<br />
Interessen mit der politischen Macht verschmelzen<br />
– nichts anderes ist mit dem Begriff<br />
<strong>und</strong> der Praxis des „Lobbying“ verb<strong>und</strong>en – dann<br />
reichen meiner Ansicht nach die traditionellen<br />
Zügelungen durch Gesetz <strong>und</strong> Recht nicht aus.<br />
Auch die soziale Kontrolle, die Menschen einander<br />
antun oder die sie füreinander leisten, wird<br />
nicht helfen. Man muss die Institutionen, die<br />
Macht verkörpern, insbesondere die wirt schaft -<br />
liche Macht, durch überlegte Maßnahmen dazu<br />
bringen, zurückhaltend zu sein <strong>und</strong> nicht weiter<br />
zu gehen, damit das Weiterleben auf dieser Erde<br />
halbwegs vielversprechend bleiben kann.<br />
Wie kommt das Individuum mit seinen Bedürfnissen,<br />
Wünschen <strong>und</strong> Begehren klar?<br />
Die Vorstellung, dass der Mensch per se Be dürf -<br />
nisse hat, greift zu kurz. Es gibt Be dürfnisse, die<br />
in seiner Kreatürlichkeit liegen: Eine bestimmte<br />
Temperatur verträgt er gar nicht, wenn er zu<br />
hungrig, zu durstig ist, stirbt er. Das sind kreatürliche,<br />
anthropologische Fakten, die zum Men -<br />
schen allein durch seine Existenz ge hören. Diese<br />
Bedürfnisse, die Gr<strong>und</strong> be dürfnisse sein mögen,<br />
addieren sich jedoch in verschiedenen anderen<br />
Bedürfnissen; sie kommen auf einer anderen als<br />
einer kreatürlichen Ebene zusammen.<br />
Den Gr<strong>und</strong>bedürfnissen gesellen sich Konstella -<br />
tionen hinzu, die diese Begehrlichkeit, die<br />
Begierde fähigkeit des Menschen beeinflussen<br />
<strong>und</strong> auf Trab halten. Das primitivste Beispiel ist,<br />
dass niemandem je ein Handy abgegangen ist,<br />
erst seitdem es Mobiltelefone gibt, bemerkt man<br />
den Mangel. Das ist nicht kulturkritisch ab zu -<br />
lehnen, das ist das Stück, das wir aufführen: Mit<br />
dem Angebot steigt die Nachfrage <strong>und</strong> daher<br />
auch die Bedürftigkeit.<br />
Durch Enthaltsamkeit wiederum kann jene<br />
Grenze zur Selbstschädigung überschritten werden,<br />
die den sozialen Tod vorwegnimmt. Lehnt<br />
man beispielsweise bestimmte Techniken der<br />
Kommunikation gr<strong>und</strong>sätzlich ab <strong>und</strong> baut sie<br />
nicht in sein System der Bedürfnisse ein, kommt<br />
es zur sozialen Isolation. Das heißt, Bedürfnisse<br />
unterliegen auch der sozialen Kontrolle. Es gibt<br />
Bedürfnisse, die wir einander einreden, die es gar<br />
nicht gibt, die aber durch unsere Kommunikation<br />
zu realen Bedürfnissen werden. Die jeweilige<br />
Kultur <strong>und</strong> Gesellschaft hat ein Einverständnis<br />
darüber erzeugt, dass nur deren Verfolgung oder<br />
deren Einlösung den Menschen dazu bringt, ein<br />
Teil dieser Gesellschaft zu sein.<br />
Das, was man Begierde oder Begehren nennen<br />
kann, ist die Gr<strong>und</strong>situation des Menschen in der<br />
Welt. Ich will damit sagen, dass Menschen durch<br />
ihre Begierdefähigkeit, durch die Tatsache, dass<br />
sie begehren, überhaupt erst eine Welt haben. Sie<br />
sind nicht in sich verschlossen, weil sie vom<br />
Außerhalb ihres Selbst etwas benötigen, was sie<br />
begehren. Dieses zur Selbstverwirklichung auf<br />
die Außenwelt Angewiesen-sein nenne ich<br />
Begehren. Es ist unsere wichtigste Verankerung<br />
in der Welt. Diese archaische Verankerung wird<br />
jedoch in der Neurose dekadent, oft unerträglich<br />
<strong>und</strong> schmerzlich. In einer Kultur, die uns be -<br />
schützt, aber andererseits zügelt, führt die<br />
Zurück haltung des Begehrens oft zu seltsamen<br />
Verdrehungen, Perversionen. Aber ohne Be geh -<br />
ren wäre uns die Welt noch viel gleich gültiger,<br />
als sie es ohnedies zu sein scheint.<br />
Interview: Martina Pfeifer Steiner<br />
Foto: M Pfeifer Steiner<br />
Franz Schuh<br />
geboren 1947 in Wien, Schriftsteller <strong>und</strong> Essayist<br />
Lehrbeauftragter Univ. für Angewandte Kunst, Wien<br />
freie Mitarbeit bei R<strong>und</strong>funkanstalten <strong>und</strong> Zeitungen<br />
zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem österr.<br />
Staatspreis für Kulturpublizistik, Preis der Leipziger<br />
Buchmesse, österr. Kunstpreis für Literatur
Lokales Wirtschaften<br />
Besonderheiten auf der Spur: Warum ist eine verkehrsmäßig abgelegene<br />
Region trotzdem als Betriebsstandort optimal? Wie kann ein Einzel -<br />
unternehmer so erfolgreich sein, obwohl er Marktgesetze ignoriert?<br />
Was bedeutet KDW wenn ein Kaufhaus in Egg steht?<br />
Metallbauer Harald Simeoni stammt aus dem<br />
idyllischen bregenzerwälder Dorf Andelsbuch <strong>und</strong><br />
hat gute Gründe, warum er seinen großen Betrieb<br />
genau hier angesiedelt hat. Er kennt die Nachteile:<br />
Die Wege sind lang, seine Lieferanten finden sich<br />
im Rheintal, die Verzinkerei ebenso, zur Autobahn<br />
ist es weit, <strong>und</strong> trotzdem wiegt eine Sache die<br />
ungünstige Verkehrslage völlig auf: Er findet hier<br />
die Mitarbeiter, die ein innovativer Hand werks -<br />
betrieb braucht, Menschen mit engagierter<br />
Arbeitshaltung, motivierte Jugendliche, die sich<br />
identifizieren, mit dem woran sie hier schaffen.<br />
Simeoni ist im In- <strong>und</strong> Ausland gefragt. Die Firma<br />
hat schon Möbel bis nach Boston geliefert, oder<br />
Fassaden am Genfer See <strong>und</strong> in Paris gefertigt. So<br />
steht er wohl in der guten Tradition der<br />
Bregenzerwälder Handwerker, die durch ihr Knowhow<br />
so gefragt sind. „Die einzigartige Vernetzung<br />
unter den Handwerkern <strong>und</strong> das Interesse an<br />
fortschrittlichen Lösungen“ seien vielleicht das<br />
Geheimnis.<br />
H<strong>und</strong>erte Holzschuhe in den Regalen beim berühmten Devich in Bezau<br />
Pantoffelkönig<br />
Devich steht seit drei Generationen für Holz -<br />
schuhe. Früher waren es einfache Holzpantoffel<br />
für den Stall. Schon vor fünfzig Jahren interessierte<br />
sich der Vater für neue, besondere Felle.<br />
Heute fährt der Sohn einmal im Jahr nach<br />
Brasilien um die 2000 Felle, die er verarbeitet,<br />
sorgfältig zu sichten. Wie viel er jährlich produziert,<br />
ist nicht herauszufinden. Anton Devich<br />
bleibt bei der Angabe: „im fünfstelligen Bereich“.<br />
Es funktioniert über M<strong>und</strong>propaganda. Zwar gibt<br />
es den Onlineshop, <strong>und</strong> es wird verlässlich ausgeliefert,<br />
aber üblicherweise muss man schon<br />
8 vorum 3/2012<br />
nach Bezau kommen, zuerst klingeln, dann eintreten.<br />
An Wochenenden <strong>und</strong> speziellen Tagen<br />
gibt es Stau, man muss warten, um dann mit<br />
großem Jagdglück doch noch ein Paar in der richtigen<br />
Größe zu erbeuten. Überlegen <strong>und</strong> einmal<br />
umdrehen geht nicht, denn schon hat das ausgewählte<br />
Paar ein/e Andere/r geschnappt <strong>und</strong> steht<br />
damit an der Kassa. Devich produziert laufend <strong>und</strong><br />
genau das, was besonders gefragt ist. Er kann<br />
keine Ladenhüter brauchen, denn das Fell verstaubt.<br />
Aber das ist das einzige Zugeständnis an die<br />
Marktprinzipien: Ansonsten hat er das Gesetz von<br />
Angebot <strong>und</strong> Nachfrage umgedreht: Die Nachfrage<br />
hat sich nach dem Angebot zu richten, wenn<br />
ausverkauft ist, muss man/frau warten, bis<br />
wieder nachproduziert wird. Er produziert so<br />
viel, wie im Familienbetrieb möglich, er will nicht<br />
expandieren, wozu auch. Hätten seine Kinder<br />
nicht die Freude am Handwerk entdeckt, wäre<br />
alles noch kleiner. Nur die Produktion der<br />
Holzsohlenrohlige hat er ausgelagert, nach<br />
Foto: M Pfeifer Steiner<br />
Kärnten. Alles andere ist reine Handwerksarbeit<br />
vor Ort, im Elternhaus, in der Werkstatt nebenan.<br />
Wenn die Mutter Essen kocht, riecht man es im<br />
Verkaufsraum, aber dann ist eh Mittagspause.<br />
Feinkostladen<br />
Sutterlüty macht es anders. Die Supermarktkette<br />
bringt die lokalen Produkte in die Region. Es ist<br />
nicht interessant, außerhalb <strong>Vorarlberg</strong>s die<br />
Marken zu positionieren: Ländle Qualität gibt es<br />
einfach im Ländle, expandiert wird nur in<br />
<strong>Vorarlberg</strong>. In Egg, wo vor sechzig Jahren das erste<br />
„Lädele“ in der alten Küche des Sägewerks entstand,<br />
heute noch immer Sitz der Zentrale, wurde<br />
aktuell das KDW eröffnet. Die Abkürzung für<br />
Kaufhaus der Bregenzerwälder in Egg<br />
Kaufhaus der Wälder darf mit Bekanntem assoziiert<br />
werden. Gebaut wurde zu h<strong>und</strong>ert Prozent mit<br />
heimischen Firmen, geplant von renommierten<br />
<strong>Vorarlberg</strong>er Architekten 1 . Der neue Markt in Egg<br />
will nicht nur Nahversorger sein, sondern auch<br />
der Feinkostladen des Bregenzerwaldes. Das<br />
bemerkt man im spezialisierten Angebot. Was<br />
auch sichtbar gemacht wird: Die Menschen, die<br />
hinter den einzigartigen, „bs<strong>und</strong>rigen“ Lebens -<br />
mitteln stehen.<br />
Um im Sinne eines Einkaufszentrums dem Titel<br />
Kaufhaus gerecht zu werden, mussten weitere<br />
Geschäfte partner gewonnen werden. Die Ein -<br />
ladung richtete sich selbstverständlich zuerst an<br />
die heimischen Betriebe. Diese konnten sich<br />
jed och wegen der einheitlichen <strong>und</strong> längeren<br />
Öffnungszeiten nicht dazu entschließen, aber<br />
auch weil Familienbetriebe im Wohnhausverb<strong>und</strong><br />
ihre Geschäftslokale schon eingerichtet haben. So<br />
suchte man Ketten, die regionale Fachgeschäfte<br />
nicht konkurrenzieren <strong>und</strong> dennoch eine An -<br />
gebots erweiterung darstellen sollten, auch im<br />
Hinblick auf die Kaufkraftabwanderung nach<br />
Dornbirn.<br />
Erfolg lässt sich nicht mit Strategiekonzepten verschreiben.<br />
Er entsteht mit den Menschen, die<br />
authentisch aus ihrem Umfeld heraus handeln<br />
<strong>und</strong> bereit sind, ihren Denkraum zu öffnen.<br />
Martina Pfeifer Steiner<br />
1 Baumschlager Eberle; Baumschlager Hutter<br />
Statement zur Nahversorgung<br />
Foto: M Pfeifer Steiner<br />
„Intakte Nahversorgung setzt eine Bevölkerung<br />
voraus, die sich bewusst an kleinstrukturierten<br />
Geschäftsflächen mit einem begrenzten Sortiment<br />
orientiert <strong>und</strong> sich mit regionalen Produkten<br />
identifiziert. Diese Orientierung wird schluss -<br />
endlich über die Angebotsstruktur bestimmen<br />
<strong>und</strong> aufzeigen, inwiefern Nahversorgungsmodelle<br />
wirtschaftlich rentabel geführt werden können.“<br />
Jürgen Sutterlüty<br />
„s Wib ischt …“<br />
Saisonwanderung, kreatives<br />
Wirtschaften <strong>und</strong> Frauen<br />
im Bregenzerwald.<br />
Eine Stellenbeschreibung.<br />
„Das Wandern ist des Müllers Lust, …“. Haben Sie<br />
das Lied auch beim Schulausflug gesungen? Dieses<br />
Standeslied auf den Müllergesellen 1 , das an die<br />
Walz, jene verpflichtenden Wanderjahre der<br />
Handwerksgesellen erinnert? Die vorindustrielle<br />
Wirtschafts- <strong>und</strong> Sozialgeschichte <strong>Vorarlberg</strong>s<br />
kennt auch Formen des ,Wandern-müssens‘.<br />
Bedeutsam war hierzulande die Saisonwanderung<br />
als eine Form der männlichen Erwerbstätigkeit.<br />
Zu wenig Ertrag aus Milchwirtschaft <strong>und</strong><br />
Viehzucht für zu viele Familienmitglieder be -<br />
dingten ein temporäres Wanderleben. Vom<br />
Bregenzerwald gingen aus diesem Gr<strong>und</strong><br />
Kolonnen von Bauleuten (Zimmerleute, Gipser,<br />
Steinmetze, Baumeister) oder Erntearbeiter in<br />
benachbarte Gebiete des Bodenseeraumes. Und die<br />
Frauen <strong>und</strong> Mütter? Sie blieben zuhause, hielten<br />
über mehrere Monate den Familien- <strong>und</strong><br />
Landwirtschaftsbetrieb auf recht, ,stellten ihren<br />
Mann‘ in Vorder- <strong>und</strong> Hinter haus <strong>und</strong> führten die<br />
Geschäfte. Die Normen geschlechtsspezifischer<br />
Arbeitsteilung <strong>und</strong> sozialer Ordnung waren außer<br />
Kraft gesetzt, oder temporär neu definiert. Nur in<br />
den Winter monaten waren die Familien vollzählig<br />
als Haus gemeinschaft versammelt. Herrschte etwa<br />
in den Abwesenheitszeiten der Männer eine Art<br />
sommerliches Matriarchat, das über Jahrh<strong>und</strong>erte<br />
die Herausbildung von ,starken Frauen persönlich -<br />
keiten‘ bedingte?<br />
„S Wib ischt Heer“<br />
In <strong>Vorarlberg</strong> weiß man noch heute ein Lied davon<br />
zu singen. „Gibele Gäbele Reachozah“ ist ein singuläres<br />
Zeugnis aus der vorindustriellen Ge -<br />
schichte des Landes. Frei von jedem romantischen<br />
Topos, visionär in der Aussage, damals wie heute.<br />
Die Aufzeichnung des Liedes stammt aus 1812 <strong>und</strong><br />
steht zeitlich <strong>und</strong> inhaltlich der mit der französ i -<br />
schen Revolution beginnenden Frauen bewegung<br />
nahe. Im Lied agieren ,Frau <strong>und</strong> Mann‘ nicht nur<br />
gleichberechtigt, die Frau ist dem Mann vorgestellt<br />
<strong>und</strong> entsprechend streng ist ihre Beurteilung des<br />
zurückkehrenden Wander ar beiters.<br />
Hausmusik Stülz: Maria Stülz (2. von links) mit Schwester <strong>und</strong> Brüdern. Der Fotograf ist unbekannt, wahrscheinlich Ende 19. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />
„s Wib ischt …hehr/Heer“. Im <strong>Vorarlberg</strong>er<br />
Liederbuch wird „hehr“ übersetzt mit „Das Weib<br />
ist Meister (Herr)“. Im lokalen Bregenzerwälder<br />
Sprachschatz kommt dem zweiten, in der Lied -<br />
überlieferung auch verwendeten Begriff „Heer“<br />
die Bedeutung „geistlicher Herr, Priester“ 3 zu. Das<br />
ist erstaunlich! Eine derartige Stellen be schreibung<br />
der Frau findet man in matriarchalen Gesell -<br />
schaften, die Frau als Ahnfrau, Seherin, Priesterin.<br />
Dieses Lied dokumentiert Kompetenzen <strong>und</strong><br />
Praktiken, die über das zeitgenössische Bild der<br />
Frau hinausreichen. ,Lokales Wirtschaften‘ geht<br />
demnach über die Existenz sicherung <strong>und</strong> den<br />
Broterwerb hinaus. Das weibliche Denken <strong>und</strong><br />
Agieren auf sozialer, emotional-künstlerischer <strong>und</strong><br />
psychologischer Ebene sind Teil der umfassenden,<br />
starken Mitte. Die Liedpassagen verweisen auf ein<br />
ges<strong>und</strong>es Urteils ver mögen <strong>und</strong> starkes Selbst -<br />
bewusstsein gegen über den heim kehrenden<br />
Männern <strong>und</strong> der Existen zsiche rung.<br />
Weibliches Wirtschaften<br />
Kulturanthropologisch bedeutend <strong>und</strong> erwiesen ist<br />
der lebendige, kreative <strong>und</strong> produktive Umgang<br />
mit Formen der Alltagskultur. Im nach innen wirkenden,<br />
familiären Kontext gehören beispielsweise<br />
Rätsel, Sprachscherze, Spiellieder, Wiegenlieder<br />
zum lebendigen <strong>und</strong> produktiven Überlieferungs -<br />
gut. Kniereiterreime gehören zum Kanon der<br />
,Zauberlieder‘ der Mutter oder Amme. Die Inhalte<br />
verarbeiten Figuren <strong>und</strong> Bilder, die mit der realen<br />
Lebenswelt korrespondieren, wenn sie auch nicht<br />
immer entschlüsselbar sind.<br />
Gigus, Gägos Oiormuas, d Gäns gond barfuaß,<br />
d Henna tapod umar, d Roß schlaod Rumma,<br />
s Kälble züt am Riomo, im Oberlond ischt niomend,<br />
im Undorlond ischt Voglgsang, olta Schelm, wo beoscht sa lang,<br />
heondom Ofo gseasso, dürre Kriose gfreosso,<br />
geb do Göblo Käs <strong>und</strong> Brot,<br />
sus schlae de mit am Schlegl tot . 4<br />
2.<br />
Liodrle, liodrle goht as zua, ohne Strümpf <strong>und</strong> ohne Schuah,<br />
hettoscht do Summor doch eotz tong, müsstoscht do Wiotor nüd barfuaß gong. 2<br />
Foto Quelle: Fink-Mennel „wib ischt ma – ma ischt wib“<br />
Auch im öffentlichen Leben der Region mischten<br />
Frauen, wie jüngst durch die biografische<br />
Recherche zur Bezauer Schuhmacherstochter<br />
Maria Stülz 5 bekannt wurde, überraschend früh im<br />
künstlerischen Wirtschaften mit. Ein Musik -<br />
instrument zu lernen war bis an die Schwelle zum<br />
20. Jahrh<strong>und</strong>ert reine Männersache. Mit Maria<br />
Stülz kennen wir eine Ausnahme, die möglicherweise<br />
die Regel bestätigt 6 : Als Frau <strong>und</strong> Mutter, die<br />
eine Vielzahl an Instrumenten spielte, lebte sie für<br />
<strong>und</strong> von der Musik. Die ,Stündler‘ kamen für den<br />
Musikunterricht in ihr Wohnhaus. Nach außen,<br />
auch in andere Talschaften, führte sie ihre Kunst<br />
als Tanzgeigerin. Die wandernde Musikantin, man<br />
nannte sie auch ,Zigeunerin‘, war eine Pionierin<br />
im lokalen Musikbetrieb des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts als<br />
künstlerisch Wirtschaftende, natürlich gegen<br />
Geld. Die Biografie Stülz, sowie die Existenz<br />
improvisierter Kniereiterreime, sind Indizien für<br />
weibliche Kreativität <strong>und</strong> weibliches Gestaltungs -<br />
vermögen nach Außen <strong>und</strong> Innen. Ein wichtiges<br />
Kapital für die Wirtschaft!<br />
1 Text: 1821 Wilhelm Müller, Musik: Carl Friedrich Zöllner<br />
2 Quelle: Sammlung Strolz „Alte Bregenzerwälder <strong>und</strong> Montafoner Tänz“ von 1812 bis<br />
1818 (Archiv des ÖVLW, Raim<strong>und</strong> Zoder-Volkstanzarchiv E 52).<br />
3 ’s Wöartorbuo. Sprachschatz Bregenzerwald (Neuauflage der Originalausgabe von Tone<br />
Franz <strong>und</strong> Sylvester Ratz „Üsa Schrpoh – Üsa Gschpano“ (2001), 2011, S. 96.<br />
4 Kniereiterreim überliefert durch Pia Bernal, geb. Hammerer; Egg/Innsbruck 2012.<br />
5 verheiratete Rüscher (1850–1929); in Evelyn Fink-Mennel: Wib ischt Ma. Ma ischt Wib.<br />
Musikgeschichten von gestern bis heute. Edition Bahnhof 2012.<br />
6 Zu nennen wäre auch Maria Katharina Meusburger 1873–1956, freiberufliche Zither-<br />
<strong>und</strong> Gitarrelehrerin <strong>und</strong> Musikantin in Bizau; ebenda.<br />
Evelyn Fink-Mennel<br />
geb. 1972 in Andelsbuch<br />
Universität für Musik <strong>und</strong> darstellende Kunst Wien<br />
wissenschaftliche Mitarbeiterin <strong>und</strong> Lehrbeauftragte am<br />
Institut für Volksmusikforschung <strong>und</strong> Ethnomusikologie Wien<br />
<strong>und</strong> Universität Mozarteum Salzburg,<br />
seit 2010 Studienbereichskoordinatorin Berufsstudien am<br />
<strong>Vorarlberg</strong>er Landeskonservatorium<br />
Autorin zahlreicher Bücher <strong>und</strong> Artikel
Wie machen das die Langenegger?<br />
Peter Swozilek will es wissen. Trotz bekannter Tatbestände bringen ihn seine Nachforschungen<br />
auf neue Spuren eines Phänomens.<br />
Einer an Gemeindeentwicklungsfragen inte -<br />
ressierten Leserschaft Langenegg als Muster -<br />
beispiel für gelungene Dorfentwicklung nahe bringen<br />
zu wollen, hieße Eulen nach Athen tragen. Es<br />
sind allseits bekannte Dinge wie die Dorfplatz -<br />
gestaltung, Nahversorgung, Gewerbeansiedlungen<br />
<strong>und</strong> Bürgerengagement, wofür Langenegg mit<br />
Preisen gewürdigt wurde. Was aber steckt hinter<br />
diesem ,Phänomen Langenegg‘?<br />
Konrad Nussbaumer, ein Bauer<br />
aus Langenegg, gewann in den<br />
1930er Jahren bei einem Preis -<br />
ausschreiben eine einfache<br />
Kodakkamera <strong>und</strong> machte<br />
damit zeitlos gültige Portraits<br />
der Langenegger. Ich frage Dr.<br />
Gebhard Bechter, langjähriger<br />
Vizebürgermeister von Langen -<br />
egg, ob man denn da rauf<br />
eventuell bereits etwas vom<br />
,Phänomen Langenegg‘ wahr -<br />
nehmen könne. Ja, meint er,<br />
die Geselligkeit, trotz oder<br />
ge rade wegen der starken<br />
Parzellierung des Ortes. Und er<br />
findet auf den Bildern viele<br />
eigene Verwandte <strong>und</strong> Vor -<br />
fahren heutiger Familien. Ist es<br />
diese familiäre Kontin uität der<br />
Urbevölkerung, die ein ent -<br />
scheidendes Erfolgs krite rium<br />
der Entwicklung darstellt? Das könne man so<br />
nicht sagen, meint Bechter, in manchen der später<br />
erfolgreichen Langenegger Projekt gruppen hätten<br />
sich mehrere Zugezogene enorm engagiert,<br />
vielleicht sei es ja gerade die Mischung.<br />
Langenegg ist inzwischen zu einem begehrten<br />
Ziel von Exkursionen geworden, deren Teil -<br />
nehmer Innen auf der Suche nach Best Practice<br />
Beispielen ausschwärmen. Ich komme mit einem<br />
sympathischen Architekturstudenten aus Deut sch -<br />
land ins Gespräch. Er fragt mich, ob ich den<br />
Namen des Architekten des Dorfladens kenne,<br />
wer denn das Café gebaut hat ... unser Gespräch<br />
bleibt irgendwo bei den Fassaden hängen.<br />
Gemeinde entwicklung nach Langenegger Art ist<br />
die Herstellung von Beziehungen, nicht von<br />
Kubaturen, versucht Bechter während seiner Vor -<br />
träge vor solchen Gruppen deutlich zu machen.<br />
Denn hinter der sichtbaren Architektur stünden<br />
oft langjährige Prozesse gemeinwesenbezogener<br />
Meinungs- <strong>und</strong> Akzeptanzbildung. Die moderne<br />
Langenegger Architektur sei kein aufgezwungener<br />
Selbstzweck, sondern Folge einer erarbeiteten<br />
Offenheit.<br />
Gemeindeentwicklung als eine Art Persönlich keits -<br />
entfaltung eines Gemeinwesens? Wenn also<br />
Langenegg eine Person wäre, wie wäre sie dann,<br />
10 vorum 3/2012<br />
frage ich Bechter. Auf jeden Fall kein „Groß -<br />
kopfeter“, meint er, sondern einer von der<br />
ursprünglichen, eher bescheideneren Sorte, sich<br />
nicht unbedingt in den Vordergr<strong>und</strong> drängend,<br />
aber bereit, sich einzubringen, inzwischen teamfähig<br />
<strong>und</strong> selbstbewusst. Inzwischen? Ja, denn<br />
eigentlich sei Langenegg aus zwei räumlich<br />
getrennten, bäuerlichen Klein ge meinden entstanden,<br />
ein Underdog im Vergleich zu Lingenau<br />
oder Hittisau. Nach der<br />
Verein igung der Orte wuchs<br />
man nur langsam zusammen.<br />
Am gr<strong>und</strong>legenden<br />
Charakter änderte sich aber<br />
nicht viel, bis in den 1990er<br />
Jahren aufgr<strong>und</strong> überall zu<br />
spürender Ein flüsse die dörf -<br />
lichen Struk turen in Gefahr<br />
gerieten, sich aufzulösen.<br />
Die Dra matik der Situation<br />
wurde unter dem damaligen<br />
Bürger meister Peter Nuß -<br />
baumer erkannt, man tat<br />
sich auf gut langeneggerisch<br />
zusammen, wurde teamfähig.<br />
Gebhard Bechter<br />
meint jedoch, dass es vermessen,<br />
ja unmöglich gewesen<br />
wäre, sich im Rahmen<br />
eines Masterplans vor<br />
zwanzig Jahren den jetzigen<br />
Foto: Konrad Nussbaumer<br />
Zustand des Ortes als Ziel zu<br />
setzen! Die erfolgreiche Langenegger Ge meinde -<br />
entwicklung ist also keine metho -<br />
disch durchkomponierte Symphonie?<br />
Nein, eher das Ergebnis freier Impro -<br />
visation vieler Musizierender, mit<br />
Raum für alle, mit einzelnen ton -<br />
angebenden Instrumenten <strong>und</strong> einer<br />
Gr<strong>und</strong> melodie.<br />
Dennoch: Wenn „Strategie die Fort -<br />
bildung des ursprünglich leitenden<br />
Gedankens, entsprechend den sich<br />
stets ändernden Verhältnissen“ (Graf<br />
von Moltke 1800-1891) ist, dann haben<br />
sich die Langenegger im weiteren<br />
Verlauf sogar ziemlich strategisch<br />
verhalten. Die breit getragene<br />
Willens bildung führte nämlich zu<br />
drei Gr<strong>und</strong>sätzen des Handelns:<br />
Erstens sollten die Gr<strong>und</strong> bedürfnisse<br />
des täglichen Lebens im Ort gedeckt werden können,<br />
zweitens die Natür lichkeit erhalten bleiben, inklusive<br />
Nachhaltigkeit <strong>und</strong> Energie, drittens sollte<br />
sich ein starkes Wir-Gefühl durch alle Handlungen<br />
ziehen. Informelle Prozesse wurden initiiert <strong>und</strong><br />
fest mit der Gemeindepolitik <strong>und</strong> -entwicklung<br />
verzahnt, das WIR wurde zur normativen<br />
Handlungs max ime, die entstandenen Gruppen wie<br />
e5, Lebenswert Leben, Wirtschafts gemeinschaft,<br />
Talente, vermieden die Gefahr des Implodierens<br />
<strong>und</strong> sorgten für Nachwuchs. Zugpferde bürgten<br />
für Kontinuität, es gab eine Einheitsliste statt<br />
frakti onellen Gezänk, das Land <strong>Vorarlberg</strong> unterstützte,<br />
die Art des Ehrenamts war eine faire, der<br />
Umgang miteinander würdig. So wurde ein WIR<br />
möglich, in dem heilende, abgleichende <strong>und</strong><br />
kreative Prozesse Zeit <strong>und</strong> Raum fanden. Alles<br />
Weitere ist Geschichte!<br />
Ich frage Bürgermeister Georg Moosbrugger, vom<br />
Quellenberuf Sonderpädagoge <strong>und</strong> gewohnt, die<br />
Ressourcen von Menschen in den Vordergr<strong>und</strong> zu<br />
stellen, ob denn im Ort alles eitel Wonne sei, keine<br />
Konflikte oder dergleichen? Er lacht <strong>und</strong> meint,<br />
dass es „hier genauso menschelt wie überall!“<br />
Nicht allen gefalle beispielsweise die neue<br />
Architektur. Auf die positive Außenwahrnehmung<br />
sind die Leute zwar stolz, bauen dann nichtsdestotrotz<br />
ungeniert Gaupen in ihre Dächer. Ein<br />
letzter Versuch, dem ,Phänomen Langenegg‘ auf<br />
die Spur zu kommen: Wenn man Langenegg statistisch<br />
erforschen würde, wie würde sich das<br />
Ergebnis von dem anderer Gemeinden unter -<br />
scheiden? Nach kurzem Nachdenken meint<br />
Moos brugger, vielleicht seien in Langenegg Men -<br />
schen mit Weitblick <strong>und</strong> dem Mut zu kreativen<br />
Lösungen in Projektgruppen <strong>und</strong> Gemeinde -<br />
gremien etwas repräsentativer vertreten <strong>und</strong> bes -<br />
ser vernetzt als anderswo, wodurch gute<br />
Initiativen gefördert, statt blockiert würden. Und<br />
das Gehei mnis? Der Bürgermeister lacht: Es gibt<br />
überhaupt keines! Best practice ...? - Tun!<br />
Foto: Konrad Nussbaumer<br />
Peter Swozilek<br />
geb.1959 in Dornbirn<br />
Studium Betriebswirtschaft Sozialwissenschaften<br />
Organisationsentwicklung, Supervision, Coaching<br />
begleitet u.a. Gemeindeentwicklungsprozesse<br />
in <strong>Vorarlberg</strong>er Gemeinden<br />
Wie gewinnt man den Europäischen Dorferneuerungspreis?<br />
Wenn anlässlich der Verleihung des Europäischen Dorferneuerungspreises präzise formuliert wird, was von den Gemeinden<br />
gut <strong>und</strong> richtig gemacht wurde, klingt alles so einfach <strong>und</strong> nahe liegend. Wahrscheinlich ist es das auch.<br />
Der Leitgedanke für 2012 lautete: ,Der Zukunft auf<br />
der Spur‘. Gesucht wurden nach vorne gerichtete,<br />
innovative Projekte <strong>und</strong> Gemeinden, die sich den<br />
heutigen Herausforderungen mit kreativen, zeitgemäßen<br />
Lösungen stellen.<br />
Die Siegergemeinde Vals erfüllt diese Aus -<br />
schreibungskriterien zur vollen Zufriedenheit der<br />
Jury: „Die Reihe der Maßnahmen, mit denen Vals<br />
durch Kreativität, Offenheit <strong>und</strong> konkretes<br />
Handeln, sowie durch eine sensible, aufeinander<br />
abgestimmte Nutzung seiner besonderen<br />
Ressourcen Wasser, Stein <strong>und</strong> Gras eine solide Basis<br />
für kommende Generationen schafft, ist beeindruckend<br />
lang <strong>und</strong> in hohem Maße beispielhaft.“<br />
Selbstbewusstsein<br />
In früheren Zeiten war Vals ein reines Bauerndorf.<br />
Land- <strong>und</strong> Forstwirtschaft sind nach wie vor bestimmend.<br />
Alle Betriebe des Dorfes wirtschaften biologisch<br />
<strong>und</strong> vertreiben den Großteil der Milch- <strong>und</strong><br />
Fleischprodukte im eigenen Tal. Die Strom -<br />
versorgung stammt zu h<strong>und</strong>ert Prozent aus<br />
erneuerbaren Quellen, man hat sich nämlich früh<br />
für die Errichtung eines Wasserkraftwerkes ent -<br />
schieden. Mit dem Tourismus <strong>und</strong> einem breit<br />
gefächerten wirtschaftlichen Leben, vor allem<br />
durch die Nutzung der Valser Mineral wasser -<br />
quellen, den Abbau von Quarzit <strong>und</strong> durch die<br />
heimischen Klein- <strong>und</strong> Mittelbetriebe, haben sich in<br />
den vergangenen Jahrzehnten zusätzliche Er -<br />
werbsquellen für die EinwohnerInnen erschlos sen.<br />
Das Dorf wurde attraktiv für Zuzügler <strong>und</strong> die<br />
Bevölkerungszahlen blieben konstant.<br />
Ähnliches ist im ungarischen Újszilvás zu finden.<br />
In relativ kurzer Zeit ist es dort gelungen,<br />
Ressourcen <strong>und</strong> Potentiale vor Ort zu erkennen,<br />
alternative Energien zu nutzen <strong>und</strong> ein soziales<br />
Netz aufzubauen, das der Bevölkerung Wohlstand<br />
<strong>und</strong> hohe Lebensqualität bietet. Mit professionellem<br />
Unternehmergeist behaupten sich die einheimi schen<br />
Familienbetriebe wirtschaftlich sehr erfolgreich, auch<br />
über die Grenzen Ungarns hinaus.<br />
Polšnik in Slowenien beeindruckt durch Initiativen<br />
zur Weiterbildung <strong>und</strong> Förderung der Eigenver ant -<br />
wortung, die zu mehreren Unternehmens grün -<br />
dungen bis hin zur Bildung eines „Holz-Clusters“<br />
führten <strong>und</strong> den Wallfahrts- <strong>und</strong> Ver anstal -<br />
tungstourismus forcierten.<br />
Umweltbewusstsein<br />
Im Tourismus fand man in Vals besondere Wege<br />
unter dem Motto „Qualität vor Quantität“. Mit dem<br />
Bau der mittlerweile weltberühmten Therme des<br />
Architekten Peter Zumthor wurde Mut zu zeitgenössischer<br />
Architektur unter Verwendung des<br />
lokal vorhandenen Baumaterials Stein bewiesen.<br />
Weitere Beispiele moderner Architektur folgten<br />
<strong>und</strong> sind heute Teil der Valser Identität. Gleichzeitig<br />
werden traditionelle Bauformen nicht nur bewahrt,<br />
sondern dienen als Inspiration für zeitgemäßes<br />
Bauen.<br />
Auch in Poschiavo in Graubünden wurde ein<br />
neues, starkes Bewusstsein für die eigenen Grenzen<br />
<strong>und</strong> Chancen entwickelt. Das Wissen um die<br />
ökonomischen Wachstumsgrenzen hat dazu beigetragen,<br />
sich auf andere Werte zu besinnen. Die<br />
berühmte Berninabahn zählt zum UNESCO-<br />
Weltkulturerbe. Mit behutsamen Maßnahmen<br />
wurde die Altstadt erhalten, <strong>und</strong> im Kloster ist ein<br />
Zentrum für Spiritualität, Ökumene <strong>und</strong> Kultur<br />
entstanden. Pionierhafte Ansätze zeigen sich in der<br />
Gründung einer Heilkräuter-Genossenschaft sowie<br />
Einweihung von Hochwasserschutzbauten in Vals<br />
der Käserei. Wasser steht im Mittelpunkt: Es<br />
wurden Trink wasser turbinen installiert <strong>und</strong> ein<br />
Erweiterungs projekt für den Bau eines 1000-<br />
Megawatt-Pump speicherkraftwerks gestartet.<br />
Krimml in Salzburg punktet mit dem Projekt „HTH<br />
– Hohe Tauern Health“, das die Heilwirkung des<br />
Wasserfallnebels in Therapien für Asthmakranke<br />
<strong>und</strong> Allergiker nutzt.<br />
Im deutschen Wiesenburg findet sich eine von den<br />
BürgerInnen gegründete Bahnhofsgenossenschaft.<br />
Das umgebaute Bahnhofsgebäude sichert nicht nur<br />
die gute Anbindung an Berlin, sondern ist mit<br />
Ausstellungsräumen <strong>und</strong> Regionalladen ein<br />
wichtiger Kristallisationspunkt regionaler Identität.<br />
Weißensee in Kärnten besticht durch beispielhaft<br />
konsequente Naturraumpflege <strong>und</strong> bewusste<br />
Beschränkung der baulichen Entwicklung. Land -<br />
nutzung, sanfte Mobilität <strong>und</strong> Tourismus gehen hier<br />
eine Symbiose ein <strong>und</strong> schaffen so nachhaltige<br />
regionale Wertschöpfungsketten.<br />
Gemeinwohl<br />
Zurück zu Vals. Das Bergdorf ist durch eine ausgesprochen<br />
offene, pluralistische Gesellschaft geprägt.<br />
Das Gemeinschaftsleben ist intensiv: Ein reges<br />
Vereinsleben; zahlreiche Maßnahmen zur Ein -<br />
bindung aller Bevölkerungsgruppen. MigrantInnen<br />
werden zu Sprachkursen eingeladen <strong>und</strong> aktiv ins<br />
gesellschaftliche, sportliche <strong>und</strong> kulturelle Leben<br />
eingeb<strong>und</strong>en. Die Bevölkerung engagiert sich auch<br />
mittels Petitionen, Initiativen oder Anträgen in kommunalen<br />
Entscheidungsprozessen <strong>und</strong> in projektbezogenen<br />
Arbeitskreisen.<br />
Bürgerengagement findet sich ebenso in Waffensen<br />
(Deutschland), um nicht zum typischen Vorort -<br />
schlafdorf der Stadt Rotenburg zu werden: Rück -<br />
holung der Gr<strong>und</strong>schule ins Dorf, ein Mehr -<br />
generationenhaus <strong>und</strong> seniorengerechte Woh n -<br />
Foto: Odi Schmid 2010<br />
ungen, sowie die aktive Einbindung der heimischen<br />
Betriebe. Mit Solarinitiative <strong>und</strong> dem Bau von Wind -<br />
krafträdern vermag der Ort lokale Antworten auf die<br />
globalen Herausforderungen zu geben.<br />
Ratměřice (Tschechien) hebt sich durch ein qualitativ<br />
hochwertiges <strong>und</strong> sehr aktives Leben mit nichtkonventionellen<br />
Sozial-, Kultur- <strong>und</strong> Geschäfts -<br />
tätigkeiten hervor. Besonders hervorzuheben sind<br />
die Sensibi lisierung für die Chancengleichheit von<br />
Menschen mit Behinderungen, Jugendlichen <strong>und</strong><br />
SeniorInnen <strong>und</strong> die Gestaltung des öffentlichen<br />
Raumes mit Kunstwerken, die im Rahmen des<br />
alljährlichen Bildhauersymposiums hergestellt werden.<br />
In Walhorn (Belgien) spiegelt sich die hohe Qualität<br />
des örtlichen Gemeinschaftslebens im baulichen,<br />
ökologischen <strong>und</strong> sozialen Bild des Dorfes wider.<br />
Das Projekt „Haus Harna“ im renovierten Ortskern<br />
mit seinen historischen Gebäuden <strong>und</strong> die Schule,<br />
die über ihre eigentliche Bildungsaufgabe hinaus<br />
mit dem dörflichen Vereinsleben verzahnt ist, beeindrucken.<br />
Auch in Balow (Deutschland) ist<br />
umsichtige Förderung der ansässigen Familien<br />
Programm. Identitätsstiftende Gebäude werden<br />
sinn voll umgenutzt: Die Gr<strong>und</strong>schule ist nun im<br />
ehemaligen Gutshaus <strong>und</strong> das neue Kultur- <strong>und</strong><br />
Kommunikationszentrum im ehemaligen Pferde -<br />
stall untergebracht. Martina Pfeifer Steiner
Therme Vals, Architekt Peter Zumthor<br />
Architektur als Kultur<br />
Foto: Margherita Spiluttini 1997<br />
Unser Anspruch an die Architektur heißt Nähe gewinnen zu den Dingen, die die Menschheit schon immer<br />
begleitet haben: Raum, Topographie, Material, Konstruktion.<br />
Konstitutiv für diese Dinge ist ihre Eigenart, aber auch die mit ihnen verb<strong>und</strong>ene Emotion <strong>und</strong> die<br />
Ereignisse, in die sie eingeb<strong>und</strong>en sind. Als Elemente einer Kultur sind sie Ansatzpunkte für den architektonischen<br />
Entwurf.<br />
Wenn man solch komplexen Phänomenen Relevanz zugesteht, so werden die ,zeitgemäßen‘ Prioritäten<br />
des Bauens, wie diejenige der objekthaften Ästhetik mit ihrem überzogenen Anspruch auf Wirkung <strong>und</strong><br />
Beachtung oder die Tendenz zur Spezialisierung der Architektur, bei der nur ausgewählte Interessen im<br />
Vordergr<strong>und</strong> stehen, in ihrer Bedeutung stark relativiert. Zugleich aber besteht die Chance, dass sie als<br />
Momente eines breiter f<strong>und</strong>ierten Prozesses zu neuen Optionen führen <strong>und</strong> dass es der Architektur<br />
gelingt, im Widerstreit zwischen zeitgemäßen Momenten <strong>und</strong> der jeweiligen kulturellen Basis dem<br />
Originären (wieder) näher zu kommen.<br />
Das Leitmotiv einer solchen Architektur ist die Differenz. Diese Differenz erwächst aus der unverwechselbaren<br />
Relevanz des Ortes. Das Bauen arbeitet dieser Relevanz zu <strong>und</strong> strebt nach Mehrwert für das Leben<br />
am Ort.<br />
Mai 2012 Gion A. Caminada, Architekt