Jetzt und Hier - Vorarlberg
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in diesem vorum<br />
Der Europäische Dorferneuerungspreis ist 2012 ,Der Zukunft auf der Spur‘. In Langenegg,<br />
Siegergemeinde 2010, findet anlässlich der Preisverleihung ein zweitägiges Fest statt.<br />
Gemeindeentwicklung gehört zweifellos zu den Hauptthemen einer Raumplanungsstelle,<br />
deshalb nimmt vorum die Schwerpunkte auf, die in drei Fachforen anlässlich dieser Ver -<br />
anstaltung zur Diskussion stehen. Es ist gelungen, hochkarätige AutorInnen zu den Themen<br />
Demo grafischer Wandel, Gemeinwohl, Res sourcen <strong>und</strong> lokales Wirtschaften zu gewinnen.<br />
Wir schauen uns weiters am Marktplatz ,Europa erleben‘ um, was speziell <strong>Vorarlberg</strong> zu<br />
bieten hat <strong>und</strong> suchen Inspiration r<strong>und</strong> um den Dorfer neue rungs preis in den Geschichten<br />
der Gemeinden. Als Abschluss steht ein Manifest zur Baukultur. Damit hoffen wir, unserer<br />
interessierten Leserschaft wieder ,raumerweiternden‘ Lesestoff anzubieten.<br />
Martina Pfeifer Steiner<br />
für das vorum Redaktionsteam<br />
Zukunftsfähige Lebensräume<br />
In <strong>Vorarlberg</strong> wurden frühzeitig nachhaltige<br />
Entwicklungen thematisiert <strong>und</strong> zu zentralen<br />
Leitideen formuliert. So fördert das Land<br />
<strong>Vorarlberg</strong> schon seit über zwanzig Jahren kommunale<br />
<strong>und</strong> regionale Entwicklungskonzepte, die<br />
sich in partizipativen Planungsprozessen mit<br />
Fragen zukunftsfähiger Gestaltung von Lebens -<br />
räumen auseinandersetzen. Pioniergeist wurde<br />
mit der Gründung des Büros für Zukunftsfragen<br />
im Jahre 1999 bewiesen. Am Beispiel der landes -<br />
weiten Initiative „Lebenswert-leben“ zeigt sich eindrücklich,<br />
wie diese innovative Denkfabrik zu<br />
Ideen anregt <strong>und</strong> Impulse setzt. Das Büro für<br />
Zukunftsfragen versteht sich weiters als vernetz -<br />
tes Kompetenzzentrum, welches Ent wick lungs -<br />
prozesse vor Ort professionell be gleitet <strong>und</strong> eine<br />
wichtige Vermittlerfunktion zwischen Bevölke -<br />
rung, Politik, Verwaltung <strong>und</strong> Wirtschafts -<br />
treibenden übernimmt.<br />
Langenegg ist eine Lebenswert-leben-Pilot -<br />
gemeinde: Ein ehrenamtliches Kernteam setzt sich<br />
insbesondere für die Stärkung des Sozialkapitals<br />
ein, indem Orte <strong>und</strong> Anlässe geschaffen werden,<br />
um soziale Beziehungen aufzubauen <strong>und</strong> zu pflegen.<br />
So wird beispielsweise bei Parzellenfesten<br />
unter dem Motto „Hallo Nachbar“ oder beim<br />
Geschenkemarkt das Gemeinwesen gestärkt.<br />
Wie Langenegg bewiesen viele andere Gemeinden<br />
in <strong>Vorarlberg</strong> Weitblick, als sie frühzeitig die<br />
gezielte Ansiedelung von Geschäften <strong>und</strong> Ge werbe -<br />
betrieben im Ort forcierten <strong>und</strong> sich erfolgreich<br />
um eine breite Bewusstseinsbildung im Hinblick<br />
auf die Wichtigkeit funktionierender Nah -<br />
versorgung für das Dorfleben bemühten.<br />
Langenegg sei in diesem Zusammenhang mit der<br />
gelungenen Revitalisierung eines denkmal ge -<br />
schützten Bauern hauses im Ortzentrum in ein florierendes<br />
Geschäftshaus genannt. Dies war die<br />
Initial zündung für einen städtebaulichen Wett -<br />
bewerb zur Zentrumsentwicklung, bei dem<br />
Entscheidungen ausgewogen nach öko nomischen,<br />
ökologischen, sozialen <strong>und</strong> ästhetischen Kriterien<br />
getroffen wurden.<br />
2 vorum 3/2012<br />
DER ZUKUNFT AUF DER SPUR<br />
21. bis 22. September 2012<br />
Europäische Veranstaltung in <strong>Vorarlberg</strong> mit<br />
Verleihung ,Europäischer Dorferneuerungspreis 2012‘<br />
Fachforum ,Der Zukunft auf der Spur‘<br />
Marktplatz ,Europa erleben‘<br />
Die regionale Wertschöpfung durch kleine <strong>und</strong><br />
mittlere Betriebe in den Bereichen Handwerk,<br />
Gewerbe, Tourismus, Gastronomie sowie Land -<br />
wirtschaft trägt maßgeblich zu ausgeglichenen<br />
Finanz haushalten bei <strong>und</strong> sichert die Hand lungs -<br />
fähigkeit von Gemeinden <strong>und</strong> Regi onen.<br />
Qualifizierte Fachkräfte vor Ort werden zu einer<br />
immer wertvolleren Ressource. Auch in diesem<br />
Zusammenhang wird deutlich, dass besonders<br />
Investitionen in die Bildung <strong>und</strong> in die junge<br />
Generation den Weg in eine erfolgreiche Zukunft<br />
weisen.<br />
Eindrucksvoll zeigt die <strong>Vorarlberg</strong>er Gemeinde<br />
Zwischenwasser auf, wie durch selbstorganisiertes<br />
Engagement neue Entfaltungsmöglichkeiten ent -<br />
stehen: Beispielsweise war dort die Errichtung<br />
einer architektonisch ansprechenden Kapelle in<br />
Lehm bauweise nur möglich, weil viele Bürge r -<br />
innen <strong>und</strong> Bürger beim Planungsprozess <strong>und</strong> beim<br />
Bau tatkräftig mitanpackten. So wurden im Sinne<br />
des Subsidaritätsprinzips die Ressourcen vor Ort<br />
konsequent <strong>und</strong> ökologisch genutzt. Dass die<br />
Gemeinde Zwischenwasser zudem europa- <strong>und</strong><br />
weltoffen ist, wird etwa an deren Unterstützung<br />
für die Global Marshall Plan Initiative deutlich, die<br />
sich für eine Weltwirtschaft im Einklang mit<br />
Umwelt, Gesellschaft <strong>und</strong> Kultur einsetzt.<br />
Langenegg <strong>und</strong> Zwischenwasser stehen exempla -<br />
risch für ländliche Gemeinden, die zu Gunsten des<br />
Gemeinwohls mit Überblick <strong>und</strong> Weitsicht zukunftsfähige<br />
Lösungen entwickeln <strong>und</strong> umsetzen.<br />
Im Rahmen der Verleihung des Europäischen<br />
Dorf erneuerungspreises sowie des Fachforums<br />
,Der Zukunft auf der Spur‘ dürfen wir von vielen<br />
weiteren Gemeinden erfahren, auf welchen<br />
Wegen sie der Verantwortung gegenüber unseren<br />
Kindern <strong>und</strong> Kindeskindern ge recht werden <strong>und</strong><br />
gleich zeitig attraktive Lebens räume für das <strong>Hier</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Jetzt</strong> gestalten.<br />
Mag. Markus Wallner<br />
Landeshauptmann<br />
Foto: Land <strong>Vorarlberg</strong><br />
Unsere Zukunft hat eine Geschichte. Sie heißt Gegenwart.<br />
Die Zukunft unserer Lebenswelt, dörflich wie städtisch, hängt von unserer Bereitschaft ab, sie hier <strong>und</strong> heute gemeinsam zu schaffen.<br />
Bigger better faster more! Dieser Titel eines<br />
Albums der Rockband 4 Non Blondes aus dem Jahr<br />
1992 umschreibt die immer noch vorherrschende<br />
Intensität <strong>und</strong> Richtung gesellschaftlichen Wan -<br />
dels: Alles Wachstum. Mit dem gesell schaftlichen<br />
Wandel verändert sich auch, wiewohl langsam,<br />
das räumliche Gefüge, das wir hervorbringen <strong>und</strong><br />
das uns hervorbringt. Die Menschen verlassen die<br />
Dörfer <strong>und</strong> streben den Zentren zu. Ob Krise oder<br />
Konjunktur, diese Bewegung vollzieht sich in<br />
blinder Beharrlichkeit.<br />
Daher werden uns folgende Phänomene auf jeden<br />
Fall in den nächsten 30 Jahren beschäftigen: Die<br />
Gesellschaft altert, <strong>und</strong> der Anteil der erwerbsfähigen<br />
Bevölkerung nimmt ab. Die Bevölkerung<br />
nimmt in den Ballungsgebieten zu, während sich<br />
ländlich-periphere Gebiete weiter entleeren. Der<br />
Ressourcenverbrauch steigt, die Preise auch. Die<br />
globalen Beziehungen intensivieren sich auf allen<br />
Ebenen. Mobilität, erzwungen oder freiwillig, wird<br />
strukturprägend, während sich ein neuer, erbitter -<br />
ter Wettbewerb um Besitz <strong>und</strong> Nutzung knapper<br />
werdenden Landes abzeichnet.<br />
Slow burn<br />
Wir kennen das Bild vom Teich, der lange Zeit<br />
Nährstoffe aufnimmt, ohne sich sichtbar zu verändern.<br />
Doch eines Tages kippt das Gewässer <strong>und</strong><br />
wird zu einer trüben Suppe. Alles wieder in einen<br />
ges<strong>und</strong>en Zustand zu bringen, dauert lange <strong>und</strong><br />
kostet.<br />
Viele Variablen, von denen die Stabilität ökologischer<br />
oder sozialer Systeme abhängt, zeigen so ein<br />
Verhalten. Im Gegensatz zu Schocks wie Kata -<br />
strophen oder Unfällen, die langfristig auch heilsame<br />
Wirkung haben können, spricht man hier<br />
von „slow burn“. Diese langsam <strong>und</strong> unbemerkt<br />
dahinschwelenden Krisen treffen uns unvorbereitet,<br />
„Mehr als die Ver -<br />
gangenheit interessiert<br />
mich die Zukunft, denn<br />
in ihr gedenke ich zu<br />
leben.“ Albert Einstein<br />
wenn sie schließlich akut werden. Die Rückkehr<br />
zum Vorkrisenzustand ist oft nicht mehr möglich,<br />
nicht zuletzt wegen des höchst mensch lichen<br />
Phänomens, dass manche Interes sens gruppen<br />
lieber untergehen, als sich neuen Gegebenheiten<br />
anzupassen.<br />
Die unerschütterliche Richtung <strong>und</strong> Be schleu -<br />
nigung des Wandels geben also Anlass zur Sorge,<br />
dass wir nicht alle Variablen, auf deren Konstanz<br />
wir setzen, unter Kontrolle haben. Wir kennen<br />
Gewinnerin des Europäischen Dorferneuerungspreises 2012: Gemeinde Vals in Graubünden<br />
zwar die Variablen, aber nicht die Schwellen, bei<br />
deren Überschreitung das System kippt. Wie viele<br />
junge Erwachsene, besonders Frauen, müssen aus<br />
einer Talschaft abwandern, bis diese ihre<br />
Regenerationsfähigkeit einbüßt? Wie viele<br />
Betriebe müssen ihre Pforten schließen, bis auch<br />
die Gemeinde pleite geht? Wie hoch müssen<br />
Treibstoffpreise steigen, ehe die Pendlerhaushalte<br />
sich veranlasst sehen, endgültig wegzuziehen?<br />
Wie viele Einwanderer kann ein soziales Gefüge<br />
aufnehmen, ohne sich dem interkulturellen<br />
Dialog zu stellen <strong>und</strong> sich gemeinsam neu zu<br />
definieren?<br />
Zum einen: Wir wissen es nicht. Zum anderen:<br />
Österreichs Regionen befinden sich in der glücklichen<br />
Lage, noch keine dieser kritischen<br />
Schwellen überschritten zu haben. Daher haben<br />
wir sowohl die Chance als auch die Verpflichtung,<br />
die Zukunft in die Gegenwart hereinzuholen,<br />
anstatt blind auf sie zuzurasen.<br />
Regionale Resilienz<br />
Wir verstehen unter regionaler Resilienz die<br />
Fähigkeit einer Region, ihre lebenswichtigen<br />
Strukturen <strong>und</strong> Funktionen auch in Zeiten schwerer<br />
Krisen nicht nur zu erhalten, sondern durch selbst<br />
bestimmten Wandel langfristig zu stärken. Die<br />
Resilienz zentrumsferner ländlicher Gebiete zu<br />
fördern <strong>und</strong> zu sichern, ist eine politische<br />
Steuerungsaufgabe. Das heißt, sie muss politisch<br />
gewollt sein. In Österreich herrscht der politische<br />
Konsens, die Funktionsfähigkeit aller ländlichen<br />
Räume aufrechtzuerhalten - aus guten Gründen.<br />
Die Resilienzforschung gibt uns brauchbare<br />
Hinweise, wie wir diese Aufgabe meistern können:<br />
Die Interventionen müssen (i) auf mehreren<br />
Ebenen erfolgen, wobei die Menschen <strong>und</strong><br />
Institutionen in der betreffenden Region die<br />
Hauptrolle spielen, (ii) Vielfalt fördern, <strong>und</strong> (iii)<br />
geeignete Instrumente der Beobachtung, des<br />
Dialogs <strong>und</strong> der Reflexion einbeziehen.<br />
Die 4schaften<br />
Foto: Henry Pierre Schulz 1986<br />
Eine Beratergruppe um Leo Baumfeld 1 hat für den<br />
„Marktplatz der Generationen“ im Auftrag des<br />
Bayerischen Sozialministeriums das „4schafts-<br />
Modell“ entworfen, das diese Anforderungen an<br />
die politische Steuerung regionaler Resilienz sehr<br />
gut widerspiegelt.<br />
Das erste Element im 4schafts-Modell ist die<br />
Leidenschaft: Sie hilft uns, persönlichen Wandel<br />
im Laufe unseres Lebens erfolgreich zu bewältigen,<br />
denn Begeisterung <strong>und</strong> Neugierde sind die<br />
Quellen der Lernfähigkeit. Der zweite Baustein ist<br />
die Nachbarschaft: Sie nährt sich aus unserer<br />
Fähigkeit, das Spiel von Nähe <strong>und</strong> Distanz gut<br />
auszutarieren <strong>und</strong> Respekt vor dem ,Anderen‘ zu<br />
haben. Nachbarschaft hat ihre Tücken, aber sie<br />
bietet Potenzial, das ausgebaut <strong>und</strong> genutzt werden<br />
will. Der dritte Baustein im 4schafts-Modell ist<br />
die Partnerschaft: Also das Zusammenwirken<br />
gesellschaftlicher Akteure für Ziele des Gemein -<br />
1 ÖAR Regionalberatung GmbH, IPOS, landimpuls (April 2012): „Unser 4schafts-Modell zum Marktplatz der Generationen“. Das Dokument wurde von Leo Baumfeld fre<strong>und</strong>licherweise<br />
zur Verfügung gestellt. Siehe Website zum Projekt des Bayerischen Sozialministeriums: www.stmas.bayern.de/senioren/kommunen/generationmarkt.php<br />
wohls. Dabei kann es sich um Gemeinde koopera -<br />
tionen, das Zusammenspiel von Unternehmen <strong>und</strong><br />
gemeinnützigen Organisa tionen oder um professi o -<br />
nelle Netzwerke handeln. Partnerschaften<br />
erfordern Fairness <strong>und</strong> verbindliche Regeln. Und<br />
schließlich das Dach – die Gesellschaft: Sie<br />
umfasst sowohl das große Ganze als auch seine<br />
Teilsysteme (Bildung, Ges<strong>und</strong>heit, Wirtschaft,<br />
Umwelt…) <strong>und</strong> die Politik in ihrer steuernden<br />
Funktion.<br />
Das 4schafts-Modell dient als ,Kompass‘ für das<br />
Design <strong>und</strong> die kreative Verknüpfung von<br />
Interventionen. Wo setzen diese Interventionen<br />
an? Da sind zunächst die individuellen Ein stel -<br />
lungen der Menschen: Sie anzuregen, dem<br />
gesellschaftlichen Wandel neue Deutungen zu<br />
geben, den Wandel ihrer eigenen Rolle <strong>und</strong><br />
Identität zu reflektieren, ihre Leidenschaft immer<br />
wieder aufs Neue zu entfachen. Auch unser<br />
Verhalten ist beeinflussbar, indem wir mit neuen<br />
„Fata volentem ducunt,<br />
nolentem trahunt –<br />
Den Willigen führt, den<br />
Unwilligen treibt das<br />
Schicksal.“ Seneca<br />
Lösungen experimentieren <strong>und</strong> nachbar schaft -<br />
liche Formen des Handelns weiterentwickeln. Wir<br />
werden auch an den Strukturen ansetzen, indem<br />
wir neue Formen der Steuerung durch Partner -<br />
schaften ausprobieren <strong>und</strong> die Wirkungen partnerschaftlichen<br />
Handelns gemeinsam bewer ten.<br />
Doch letzten Endes geht es um den Wandel in der<br />
Kultur, das heißt neue Prinzipien des<br />
Zusammenlebens in der Gesellschaft zu etablieren<br />
<strong>und</strong> gemeinschaftliche Lebensräume zu gestalten,<br />
die jenseits der Logik des Marktes, sowie des<br />
Staates liegen.<br />
Wie auch immer wir gedenken, unsere Gemein -<br />
wesen auf die Zukunft vorzubereiten: Wenn wir<br />
diese vier Ebenen durch kluges Handeln miteinander<br />
verbinden <strong>und</strong> diese Verbindung durch<br />
Wiederholung verstetigen, können wir erfolgreich<br />
sein.<br />
Robert Lukesch<br />
geb. 1955, Berater <strong>und</strong> Coach der<br />
ÖAR Regionalberatung GmbH<br />
lebt auf einem Bauernhof in Hirzenriegl, Steiermark<br />
berät zurzeit die EU in Fragen der zukünftigen<br />
Gestaltung der ländlichen Entwicklung