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Jetzt und Hier - Vorarlberg

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Franz Michael Felder (1839-1869) im Juni 1866.<br />

Photographie: Franz Joseph Fetz, Bezau. Privatbesitz Schoppernau<br />

F<br />

elder war ein ausgesprochen zukunftsfroher<br />

Autor. Schon in seiner ersten Dorfgeschichte<br />

„Nümmamüllers <strong>und</strong> das Schwarzokaspale“ von<br />

1863 werden Bäche durch Wuhren am Überschwemmen<br />

gehindert, Steine von Äckern entfernt<br />

<strong>und</strong> glückliche menschliche Beziehungen<br />

geknüpft. Der Bettlerssohn Schwarzokaspale<br />

arbeitet sich gemeinsam mit den Kindern eines<br />

verkrachten Müllers zu einer angesehenen<br />

Existenz im Dorf empor – es geht um die geglückte<br />

Integration sozialer Außenseiter. In „Sonder -<br />

linge“, Felders großem sozialen Roman von 1867,<br />

nimmt der Schluss geradezu utopische Gestalt an:<br />

Die verfeindeten Bauern Barthle <strong>und</strong> Sepp, der<br />

erste ein auf dem Alten beharrender Reaktionär,<br />

der zweite ein enger Fortschritts gläubiger, versöhnen<br />

sich nach einem Mordversuch des Barthle<br />

an Sepp, beide sind geläutert, Barthle stirbt, ihre<br />

Kinder werden ein glückliches Paar, <strong>und</strong> das Dorf<br />

wird sozusagen zukunftsfähig gemacht, indem<br />

die vorher verfemten „Sonderlinge“ eine Genos -<br />

senschaft gründen <strong>und</strong> ein neuer, weniger<br />

fanatischer Pfarrer einzieht. Einzelne können bei<br />

Felder nicht glücklich werden, ohne dass nicht<br />

auch die sozialen Verhältnisse sich ändern.<br />

Hoffnung in die Zukunft setzt einer, der nicht in<br />

einer idealen Gegenwart lebt. Und so sah Felders<br />

Umwelt auch aus: Der Großteil der Bregenzer -<br />

wälder Bauern lebte von der Milchwirtschaft <strong>und</strong><br />

war abhängig von monopolistischen Großhänd -<br />

lern, allen voran der Schnepfauer Firma Gallus<br />

Moosbrugger <strong>und</strong> seinen Brüdern. Moosbrugger<br />

diktierte den Milchpreis <strong>und</strong> bezahlte im Voraus;<br />

die Bauern waren bei ihm <strong>und</strong> bei Lechtaler<br />

Geldgebern ständig verschuldet. Es gab keinerlei<br />

Schutz bei Naturkatastrophen oder Tierseuchen.<br />

Felders Zukunftsarbeit setzte im eigenen Dorf an:<br />

1863 trat er für eine gerechtere Verteilung der<br />

Gemeindesteuern nach Vermögen, nicht nach<br />

4 vorum 3/2012<br />

Der Zukunfts-Felder<br />

Der Schriftsteller <strong>und</strong> Bregenzerwälder Bauer Franz Michael Felder hat<br />

schon im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert mit seinen visionären Gedanken vorweg -<br />

genommen, was heute noch immer Gültigkeit hat.<br />

Köpfen ein, ab 1865 agierte er in ausgesprochen<br />

zäher Überzeugungsarbeit für Sennerei ge nos sen -<br />

schaften <strong>und</strong> einen Käsehandlungsverein zur<br />

Selbstvermarktung der Produkte auf dem<br />

Weltmarkt <strong>und</strong> führte eine Viehversicherung ein.<br />

Den Holzhandel <strong>und</strong> das Stickereiwesen wollte er<br />

ebenfalls reformieren. Felder war ein Pionier, der<br />

hart für Errungenschaften kämpfen musste, die<br />

später selbstverständlich <strong>und</strong> größtenteils vom<br />

Staat übernommen wurden. Der Gedanke, sich<br />

durch Zusammenschluss in Vereinen selbst zu<br />

helfen, der in den 1860er Jahren in ganz<br />

Deutschland blühte, ist heute, wo der Staat sich<br />

aus manchen Aufgaben zurückzieht, wieder<br />

aktuell geworden.<br />

Zu diesen Errungenschaften gehört auch die<br />

Bildung: Zu Felders Zeiten war es für die<br />

Landbevölkerung fast unmöglich, Zugang zu<br />

Bibliotheken oder zu höherer Bildung zu erlangen.<br />

1866 wandelte Felder die Schopper nauer<br />

Zunft in einen Handwerkerverein mit demo kra -<br />

tischen Statuten um, für den er auch eine<br />

Leihbibliothek einrichtete. In den ebenfalls von<br />

ihm verfassten Statuten des Lesevereins für den<br />

Bregenzerwald in Bezau waren außerdem<br />

Treffen, bei denen das Gelesene besprochen<br />

wurde, <strong>und</strong> Vorträge vorgesehen.<br />

Gerichtet waren diese Gründungen im auf -<br />

klärerischem Sinn gegen das Meinungsmonopol<br />

der katholischen Kirche, wie Felder überhaupt in<br />

einem heute fast unvorstellbar radikal politisierten<br />

kirchlichen Umfeld agierte: Seine<br />

Verfolgung durch den Pfarrer Rüscher <strong>und</strong> die<br />

Brandmarkung als „Ketzer“ <strong>und</strong> „Freimaurer“<br />

stellt ein krasses Beispiel der allgemeinen<br />

katholischen Haltung zu Aufklärung <strong>und</strong><br />

Liberalismus in den 1860er Jahren dar. Selbst<br />

Jahre nach Felders Tod führte Rüscher 1875/76<br />

noch einen erbitterten Kampf gegen die Auf -<br />

stellung des Felder-Denkmals auf dem Friedhof in<br />

Schoppernau.<br />

Als Bregenzerwälder Patriot schrieb Felder: „Ich<br />

aber möchte vor allem der Kraft unseres herr -<br />

lichen Volkes einstweilen einen Zielpunkt aufstellen,<br />

möchte die Bahn aufbrechen helfen, die<br />

der Wäldler zu durchlaufen befähigt, berechtigt,<br />

bald genötigt <strong>und</strong> als Hausvater verpflichtet ist.<br />

Den Eifer, die Arbeitslust, die Freude am gemeinsamen<br />

Schaffen möchte ich wecken […]“ 1<br />

Als Dichter mit Gespür für ganz andere Dimen -<br />

sionen der Existenz, stellte er sich den Welt -<br />

untergang durch eine Sintflut auf der Künzel -<br />

spitze vor: „Dann schüttelte ich den Regen von<br />

dem schweren Hute, wand das Wasser aus den<br />

Kleidern <strong>und</strong> dachte mir, wie es jetzt wäre,<br />

wenn’s immer fort regnete; wie bald wohl das<br />

Wasser da heraufstiege <strong>und</strong> was dann meine<br />

Ziegen machten? Ich selbst konnte auf die Künzel<br />

klettern <strong>und</strong> sah vielleicht, bevor ich unterging,<br />

noch ein Dampfschiff vom Bodensee hereinschwimmen.“<br />

2 Das Dampfschiff vom Bodensee<br />

noch im eigenen Untergang als Arche Noah her -<br />

bei phantasieren, Bibel <strong>und</strong> technischen Fort -<br />

schritt in ein Bild zwingend, das heißt doch:<br />

Hoffnung gibt es immer, auch wenn alles im<br />

buchstäblichen Sinne untergeht. Man muss nur<br />

die Phantasie spielen lassen.<br />

1 FM Felder „Konsum-Verein oder Produktiv-Assoziation“, Werke 8, S. 153 f<br />

2 FM Felder „Aus meinem Leben“, Lengwil 2004, S. 159<br />

Ulrike Längle<br />

geb. 1953 in Bregenz<br />

Studium der Germanistik <strong>und</strong> Romanistik<br />

seit 1984 Leiterin des Franz-Michael-Felder-Archivs<br />

Lehrbeauftragte an der Universität Innsbruck<br />

1998–2000 Jurorin beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb<br />

Schriftstellerin, zahlreiche Publikationen<br />

Marktplatz: <strong>Vorarlberg</strong>-R<strong>und</strong>schau<br />

vorum hat sich bei der Veranstaltung ,Der Zukunft auf der Spur‘ am Marktplatz der Ideen <strong>und</strong> Initiativen umgesehen<br />

<strong>und</strong> exemplarisch interessante Aspekte aus der Region <strong>Vorarlberg</strong> ausgesucht. Anregungen finden sich zu den Themen<br />

Gemeinwohl, regionale Identität, Mobilität, Ressourcen <strong>und</strong> Umweltbewusstsein.<br />

BürgerInnen-Rat<br />

„Wie können wir unseren Lebensraum für zukünf -<br />

tige Generationen attraktiv gestalten?“ Zu dieser<br />

Fragestellung wird offiziell <strong>und</strong> halbjährlich ein<br />

landes weiter BürgerInnen-Rat einberufen. Nach<br />

dem Zufallsprinzip werden sechzehn Bürgerinnen<br />

<strong>und</strong> Bürger in <strong>Vorarlberg</strong> ausgewählt, die zwei Tage<br />

lang an wichtigen Zukunftsfragen arbeiten sollen.<br />

Die Teilnehmenden sind aufgefordert, ihre<br />

Meinungen <strong>und</strong> Sichtweisen einzubringen. Die<br />

Ergebnisse werden anschließend öffentlich präsentiert<br />

<strong>und</strong> diskutiert. Darunter sind Überlegungen<br />

wie Nach haltigkeit, Zufriedenheit <strong>und</strong> Entwicklung<br />

mit Wachstum in Einklang zu bringen wäre, weiters<br />

brennen die Themen Bildung <strong>und</strong> Ressourcen.<br />

Gefordert sind Mut <strong>und</strong> Offenheit der Politik, um<br />

Vertrauensverhältnisse zu verbessern. Etwas überrascht<br />

zeigen sich die ausgewählten Personen mit -<br />

unter, dass sie von Regierungsseite um ihre<br />

Meinung gefragt werden, diese Gelegenheit<br />

nehmen jedoch viele gerne wahr.<br />

Land <strong>Vorarlberg</strong> Büro für Zukunftsfragen www.vorarlberg.at/zukunft<br />

Obstlese<br />

Heimatabend<br />

„Heimat ist beweglich geworden. Heimaten verändern sich, Heimische auch. Neben Altheimischen leben<br />

Neuheimische. Unter Einheimischen finden sich Ein-, Zwei- <strong>und</strong> Dreiheimische. Jungheimische suchen ihre<br />

Identität, Altheimische sind verunsichert. Unsere Heimat ist im Wandel. Es ist nicht einfach mitzukommen“,<br />

so der Künstler Ulrich Gabriel, alias Gaul, der diese Infragestellung ange zettelt hat. Der Zuzug von<br />

Arbeitskräften aus dem Ausland ist einerseits für die Wirtschaft unabdingbar, andererseits tangieren sich<br />

durch Ein wan derungen unterschiedliche Kulturen, Ge wohn heiten, Sprachen. Das führt mitunter zu gesell -<br />

schaftlichen Konflikten, die weniger sachlicher Natur, als eher emotional sind. Mit der Differenz ierung, ob<br />

eine Person ein heimisch oder fremd ist, wird der Begriff „Mig rantischer Hintergr<strong>und</strong>“ durch dieses Projekt<br />

spielerisch relativiert. Verein Aktion Mitarbeit Projekt Heimatabend c/o Mag. Ulrich Gabriel, unartproduktion www.heimatshuttle.at<br />

Weißtanne<br />

Gesellschaftliches Engagement ist ein Qualitätsindikator für das Zusammenleben. Das selbstverständliche<br />

Miteinander von Menschen mit <strong>und</strong> ohne Behinderung, unabhängig von Alter <strong>und</strong> Herkunft braucht<br />

BürgerInnen, die mit Ideen <strong>und</strong> Tatkraft ihren Lebensraum kreativ <strong>und</strong> unbürokratisch gestalten. Als kleines<br />

Beispiel darf die Obstlese auf Streuobstwiesen gelten: Menschen mit körperlicher Behinderung sammeln im<br />

Frühherbst mit großer Sorgfalt Äpfel auf Steuobstwiesen. Das handverlesene Obst wird in die regionale<br />

Mosterei gebracht <strong>und</strong> zu hochwertigem Ländlesaft gepresst, der in der Region vermarktet wird. Damit werden<br />

nicht nur die Obstbaumkulturen bewirtschaftet <strong>und</strong> erhalten, sondern auch wertvolle Lebensmittel ohne<br />

Umwege auf den heimischen Tisch gebracht.<br />

Lebenshilfe <strong>Vorarlberg</strong> www.lebenshilfe-vorarlberg.at www.engagiert-sein.at Dietrich <strong>Vorarlberg</strong> Köstlichkeiten www.dietrich-kostbarkeiten.at<br />

Die Weißtanne nimmt europaweit 0,2 %, österreichweit 2 % <strong>und</strong> im vorderen Bregenzerwald bis zu 80 % des<br />

Baumbestandes ein. Obwohl sie insgesamt rar ist, brach ihr Marktpreis in Folge der Globalisierung <strong>und</strong> durch<br />

besondere technologische Anforderungen in der Verarbeitung massiv ein. Das traf die heimische<br />

Holzwirtschaft hart. Es wurde jedoch erkannt, dass die Rarität der Weißtanne auch eine große Chance<br />

darstellt. Heute gibt es in der <strong>Vorarlberg</strong>er Holzbauarchitektur bedeutende Vorzeigeprojekte in Weißtanne,<br />

das heimische Baumaterial ist zum Imageträger einer Region geworden. Darüber hinaus hat die Weißtanne in<br />

den Wäldern eine wichtige ökologische Funktion <strong>und</strong> schützt vor Lawinen- <strong>und</strong> Murenabgängen.<br />

Projekt Weißtanne www.weisstanne.info<br />

Foto: M Pfeifer Steiner<br />

Käsestraße<br />

Um auch in Zeiten der EU in freier Marktwirtschaft<br />

zu bestehen, nahmen die siebzehn Sennerei be -<br />

triebe der Region Bregenzerwald die Vermarktung<br />

ihrer Produkte selbst in die Hand. Die Tatsache, dass<br />

der Bregenzerwald eine der größten zusammenhängenden<br />

Heumilchregionen Europas darstellt,<br />

machte sie selbstbewusst, <strong>und</strong> sie entwickelten eine<br />

Markenkooperation zwischen Landwirtschaft <strong>und</strong><br />

Tourismus. Es wurde einfach die Region als Käse -<br />

region positioniert, intensive Produkt entwicklung<br />

betrieben <strong>und</strong> sowohl die Käsevielfalt, als auch das<br />

regional-kulinarische Angebot in den Vordergr<strong>und</strong><br />

gestellt. Sennereien, Käsewirte, Sennalpen, Verar -<br />

bei tungs- <strong>und</strong> Handwerks betriebe wurden Mit -<br />

glieder der ,Käse Strasse Bregenzerwald‘, mittlerweile<br />

sind es zweih<strong>und</strong>ert. Sie hat sich zu einer<br />

weitbekannten Markenorganisation ent wickelt.<br />

,KäseStrasse Bregenzerwald‘ steht für eine länd liche<br />

Region, ein Netzwerk von Erzeugern <strong>und</strong><br />

Vermarktern, in dem bäuerliche Qualitäts produkte<br />

<strong>und</strong> modernes Marketing vereint sind. Bei der<br />

Gründung vor fünfzehn Jahren formulierte man<br />

mutig die Ziele, regionale Wertschöpfung weiter -<br />

zuentwickeln <strong>und</strong> die regionalen Kleinstrukturen<br />

zu erhalten. Heute darf man sich durch das ökologische<br />

wie ökonomische Gesamtergebnis bestätigt<br />

fühlen. KäseStrasse Bregenzerwald www.kaesestrasse.at

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