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Erbringung von Sozialleistungen nach Vergaberecht? - Erev

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Volker Neumann / Dörte Nielandt / Albrecht Philipp<br />

<strong>Erbringung</strong> <strong>von</strong> <strong>Sozialleistungen</strong> <strong>nach</strong> <strong>Vergaberecht</strong>?<br />

Rechtsgutachten im Auftrag des<br />

Deutschen Caritasverbandes<br />

und des<br />

Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland<br />

mit Unterstützung des<br />

Diözesan-Caritasverbandes für das Erzbistum Köln<br />

und der<br />

Katholischen Bundesarbeitsgemeinschaft Integration durch Arbeit (IDA) im<br />

Deutschen Caritasverband


A. Rechtsstatus der freien Träger......................................................... 8<br />

I. Verfassungsrechtlicher Status..............................................................................8<br />

1. „Grundrecht der karitativen Tätigkeit“ ...........................................................8<br />

2. Religionsfreiheit und kirchliches Selbstverwaltungsrecht...........................8<br />

a) Schutzbereich...............................................................................................8<br />

b) Eingriffe ........................................................................................................9<br />

c) Eingriffsrechtfertigung .................................................................................10<br />

3. Schutz der beruflichen Tätigkeit...................................................................11<br />

a) Schutzbereich.............................................................................................11<br />

b) Eingriffe ......................................................................................................12<br />

aa) Bundesverfassungsgericht ..................................................................12<br />

bb) Bundessozialgericht ............................................................................12<br />

c) Eingriffsrechtfertigung .................................................................................14<br />

aa) Gesetzesvorbehalt ..............................................................................14<br />

bb) Verhältnismäßigkeit.............................................................................15<br />

II. Sozialrechtlicher Status (§ 17 SGB I).................................................................16<br />

III. Das Kooperationsmodell ...................................................................................18<br />

1. Sozialstaatsprinzip.........................................................................................18<br />

a) Kein soziales Aufgabenmonopol des Staates.............................................18<br />

b) Das Bild der konzentrischen Kreise ............................................................18<br />

c) Gesamtverantwortung.................................................................................19<br />

2. Wunsch- und Wahlrechte ..............................................................................20<br />

3. Das sozialrechtliche Dreiecksverhältnis ......................................................21<br />

IV. Ausprägungen des Dreiecksverhältnisses im Sozialrecht.............................22<br />

1. Sozialhilferecht (SGB XII) ..............................................................................22<br />

2. Kinder- und Jugendhilferecht (SGB VIII)......................................................23<br />

3. Arbeitsförderung (SGB III).............................................................................24<br />

a) Verhältnis leistungsberechtigter Bürger und Bundesagentur für Arbeit ......25<br />

b) Verhältnis Bundesagentur für Arbeit - freier Träger ....................................27<br />

c) Dreiecksverhältnis oder „Einkaufsmodell“?.................................................31<br />

2


4. Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) .............................................32<br />

a) Leistungen und Leistungsträger .................................................................32<br />

aa) Agenturen für Arbeit ............................................................................32<br />

bb) Kommunen als „geborene“ Leistungsträger ........................................33<br />

cc) Kommunen als „selbsterkorene“ Leistungsträger ................................33<br />

b) Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung und Wunsch-<br />

und Wahlrecht ...........................................................................................34<br />

c) Träger der Leistungen – freie Träger ..........................................................35<br />

aa) Ein Redaktionsversehen .....................................................................35<br />

bb) Institutioneller Vorrang ........................................................................35<br />

cc) Leistungserbringungsvertrag ...............................................................36<br />

dd) Ausnahmen vom Abschluss <strong>von</strong> Leistungserbringungsverträgen .......37<br />

ee) Anspruch auf Abschluss einer Leistungserbringungsvereinbarung .....39<br />

ff) Institutionelle Förderung........................................................................39<br />

5. Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen ...................................40<br />

a) Leistungsberechtigter behinderter Mensch – Agentur für Arbeit.................40<br />

b) Agentur für Arbeit – Rehabilitationseinrichtungen.......................................41<br />

aa) Strukturverantwortung .........................................................................41<br />

bb) Vereinbarungsprinzip ..........................................................................42<br />

c) Vorbehalt abweichender Regelungen .........................................................44<br />

d) Ergebnis .....................................................................................................45<br />

V. Rechtsschutz.......................................................................................................46<br />

1. Vorfrage: Rechtsschutz oder Beteiligung am Vergabeverfahren ..............46<br />

2. Rechtsschutz der freien Träger.....................................................................47<br />

a) Schiedsstelle ..............................................................................................47<br />

b) Widerspruch und Rechtsweg......................................................................48<br />

c) Klageart und Klageantrag ...........................................................................49<br />

aa) Jugendhilferechtliche Streitigkeiten .....................................................49<br />

bb) Andere Streitigkeiten ...........................................................................49<br />

cc) Abweichungen .....................................................................................50<br />

d) Begründung ................................................................................................51<br />

e) Eilverfahren ................................................................................................51<br />

3


3. Rechtsschutz des sozialleistungsberechtigten Bürgers ..............................52<br />

a) Widerspruch ...............................................................................................52<br />

b) Rechtsweg, Klageart und Klageantrag .......................................................53<br />

c) Begründung ................................................................................................53<br />

d) Eilrechtsschutz............................................................................................54<br />

B. <strong>Vergaberecht</strong>liche Gestaltung der Leistungserbringung ................................55<br />

I. Europäisches <strong>Vergaberecht</strong> und Deutsches <strong>Vergaberecht</strong>..............................56<br />

II. Anwendbarkeit des <strong>Vergaberecht</strong>s des GWB ...................................................58<br />

1. GWB oder Haushaltsrecht.............................................................................58<br />

2. Drei Zentralbegriffe ........................................................................................59<br />

a) Öffentlicher Auftraggeber ...........................................................................59<br />

b) Schwellenwerte ..........................................................................................61<br />

c) Leistungserbringungsverträge als öffentlicher Auftrag ................................62<br />

aa) Der erste Konflikt mit dem <strong>Vergaberecht</strong>.............................................62<br />

bb) Privat- oder öffentlich-rechtlicher Vertrag? ..........................................63<br />

cc) Keine entgeltlichen Verträge................................................................64<br />

dd) Dienstleistungskonzession ..................................................................65<br />

ee) Rahmenvereinbarung..........................................................................66<br />

3. Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten ...........................................................68<br />

a) Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten und<br />

Leistungserbringungsrecht....................................................................68<br />

aa) Wegbrechen des Leistungserbringungsrechts oder zwei Regime.......68<br />

bb) Unverträglichkeit des Leistungsrechts mit Leistungskontingenten ......69<br />

cc) Unverträglichkeit des Leistungserbringungsrechts mit<br />

Leistungskontingenten..........................................................................71<br />

dd) Vertrag zu Lasten Dritter?...................................................................72<br />

b) Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten und Verfassungsrecht................73<br />

aa) Recht auf Auswahl der Leistungen und ihrer Erbringer .......................73<br />

4


) Grundrecht der karitativen Tätigkeit und kirchliches<br />

Selbstverwaltungsrecht ......................................................................74<br />

cc) Schutz der beruflichen Tätigkeit...........................................................75<br />

c) Zusammenfassung ...................................................................................77<br />

III. Anwendbarkeit des <strong>Vergaberecht</strong>s durch gesetzliche Anordnung<br />

im SGB III ............................................................................................................78<br />

1. Rechtsfolgenverweis .....................................................................................78<br />

2. Anzuwendendes Verfahren ...........................................................................79<br />

IV. Haushaltsrechtliche Vergabe ohne gesetzliche Anordnung ..........................80<br />

1. Erforderlichkeit einer Außenrechtsnorm .....................................................81<br />

a) Eingriff in die Berufsfreiheit der freien Träger ............................................81<br />

b) Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der Leistungsberechtigten .....82<br />

2. Vorrang des spezielleren Sozialrechts ........................................................82<br />

V. Zusammenfassung/Ergebnis .............................................................................83<br />

C. Vergabeverfahren und Rechtsschutz................................................................85<br />

I. Arten und Verfahren der Vergabe ......................................................................85<br />

1. Öffentliche Ausschreibung ...........................................................................85<br />

2. Beschränkte Ausschreibung.........................................................................85<br />

3. Freihändige Vergabe .....................................................................................86<br />

4. Teilnehmer am Wettbewerb...........................................................................86<br />

a) kein Ausschluss <strong>nach</strong> § 7 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A............................................86<br />

b) kein Ausschluss <strong>nach</strong> § 7 Nr. 5 VOL/A .......................................................88<br />

c) kein Ausschluss <strong>nach</strong> § 7 Nr. 6 VOL/A .......................................................88<br />

aa) Grammatische Auslegung ...................................................................89<br />

bb) Entstehungsgeschichte (genetische Auslegung).................................90<br />

cc) Systematische Auslegung ...................................................................93<br />

dd) Verfassungskonforme Auslegung........................................................94<br />

ee) Teleologische Auslegung ....................................................................95<br />

5


ff) Zusammenfassung ...............................................................................99<br />

5. Dienstleistungen <strong>nach</strong> Anhang I A VOL/A .................................................100<br />

a) Offenes Verfahren ....................................................................................100<br />

b) Nichtoffenes Verfahren .............................................................................100<br />

c) Verhandlungsverfahren.............................................................................100<br />

d) Teilnehmer am Wettbewerb......................................................................100<br />

II. Materielles <strong>Vergaberecht</strong> ..................................................................................101<br />

1. Abgrenzung zwischen Abschnitt I und Abschnitt II VOL/A ......................102<br />

a) Abgrenzungskriterien................................................................................102<br />

b) Wettbewerbsrechtliche Vergabe ...............................................................102<br />

c) Haushaltsrechtliche Vergabe ....................................................................102<br />

2. Die Vergabegrundsätze des § 97 GWB.......................................................103<br />

a) Wettbewerbsgrundsatz, § 97 Abs. 1 GWB ...............................................103<br />

b) Transparenzgrundsatz, § 97 Abs. 1 GWB ................................................104<br />

c) Diskriminierungsverbot, § 97 Abs. 2 GWB................................................105<br />

aa) Regionale Beschränkungen ..............................................................105<br />

bb) Qualitätskriterien ...............................................................................106<br />

cc) Bevorzugung freier Träger.................................................................106<br />

d) Bildung <strong>von</strong> Losen, § 97 Abs. 3 GWB.......................................................107<br />

e) Eignungskriterien, § 97 Abs. 4 GWB ........................................................108<br />

aa) Vergabefremde Kriterien ...................................................................109<br />

bb) Fachkunde.........................................................................................109<br />

cc) Leistungsfähigkeit ..............................................................................110<br />

dd) Zuverlässigkeit ..................................................................................111<br />

ee) Auffällig niedrige Angebote................................................................111<br />

ff) Regionale Verwurzelung der Bieter.....................................................112<br />

f) Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot, § 97 Abs. 5 GWB .................113<br />

g) Fazit..........................................................................................................114<br />

3. Vergabegrundsätze <strong>nach</strong> § 2 VOL/A...........................................................114<br />

III. Rechtsschutz ....................................................................................................115<br />

6


1. Rechtsschutz im Vergabeverfahren <strong>nach</strong> dem GWB...............................115<br />

a) Vergabeprüfstelle (§ 103 GWB)................................................................115<br />

b) Vergabekammer (§§ 104 ff. GWB)............................................................116<br />

aa) Zuständigkeit .....................................................................................116<br />

bb) Frist ...................................................................................................117<br />

cc) Unverzügliche Rüge <strong>von</strong> Verfahrensfehlern ......................................117<br />

dd) Schaden des Antragstellers...............................................................118<br />

ee) Recht auf Akteneinsicht.....................................................................118<br />

ff) Entscheidungsfrist ...............................................................................118<br />

c) Vergabesenat des OLG ............................................................................119<br />

aa) Beschwerdefrist und Begründung .....................................................119<br />

bb) Aufschiebende Wirkung ....................................................................120<br />

cc) Inhalt der Entscheidung .....................................................................120<br />

d) Eilverfahren...............................................................................................120<br />

e) Risiken <strong>von</strong> Kosten und Schadensersatz..................................................121<br />

2. Unförmliche Rechtsbehelfe.........................................................................122<br />

3. Schadensersatz............................................................................................122<br />

D. Zusammenfassung ...........................................................................................124<br />

7


A. Rechtsstatus der freien Träger<br />

I. Verfassungsrechtlicher Status<br />

1. „Grundrecht der karitativen Tätigkeit“<br />

Nach einer frühen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist die „karitative<br />

Liebestätigkeit“ einer gemeinnützigen, nicht-kirchlichen Vereinigung zur Unterstüt-<br />

zung blinder Menschen im Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit geschützt 1 .<br />

Das Bundesverfassungsgericht hat sich dieser Wertung angeschlossen: Die<br />

allgemeine Handlungsfreiheit schließe den Tatbestand des Helfens ein und sei<br />

insoweit ein „Grundrecht der freien karitativen Tätigkeit 2 “. Der Grundrechtsschutz<br />

setzt voraus, dass der freie Träger die Anforderungen des Art. 19 Abs. 3 GG erfüllt,<br />

was regelmäßig anzunehmen ist. Das Grundrecht schützt zwar auch die<br />

wirtschaftliche Tätigkeit, jedoch geht regelmäßig insoweit die speziellere Berufs-<br />

freiheit vor. Art. 2 Abs. 1 GG schützt also in erster Linie das, was beispielsweise in §<br />

3 Abs. 1 SGB VIII mit „Wertorientierung“ und „Vielfalt <strong>von</strong> Inhalten, Methoden und<br />

Arbeitsformen“ gemeint ist.<br />

2. Religionsfreiheit und kirchliches Selbstverwaltungsrecht<br />

a) Schutzbereich<br />

Die Schutzfunktion der allgemeinen Handlungsfreiheit übernimmt bei religiös<br />

geprägten Träger das Grundrecht der Religionsfreiheit 3 , die neben der inneren<br />

Freiheit zu glauben die <strong>nach</strong> außen gerichtete Freiheit schützt, den Glauben zu<br />

manifestieren, zu bekennen und zu verbreiten 4 . Da die tätige Nächstenliebe eine<br />

Grundüberzeugung christlicher Glaubensgemeinschaften ist, wird die Tätigkeit der<br />

1 BVerwGE 10, 199, 201.<br />

2 BVerfGE 20, 150, 159.<br />

3 Zum Vorrang <strong>von</strong> Art. 4 Abs. 1 und 2 GG vor Art. 2 Abs. 1 GG BVerfGE 24, 236, 252.<br />

4 BVerfGE 32, 98, 106 f.; 69, 1, 33 f.<br />

8


Caritas und Diakonie, soweit sie Ausdruck dieser Grundüberzeugung ist, vom<br />

Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG erfasst 5 . Das Bundesverfassungsgericht<br />

zieht die kollektive Religionsfreiheit vor allem bei der Klärung der Verfassungs-<br />

beschwerdebefugnis karitativer und diakonischer Träger heran. Die Begründetheit<br />

der Beschwerde wird dann am Maßstab des kirchlichen Selbstverwaltungsrechts des<br />

Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV geprüft. Zwar sind die einzelnen konfessio-<br />

nellen Träger keine Religionsgesellschaften, da sie sich nicht der allseitigen Erfüllung<br />

der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben, sondern nur einer<br />

Teilaufgabe widmen. Jedoch werden sie durch ihre Zuordnung zu einer Religions-<br />

gesellschaft geschützt. Kriterien der Zuordnung sind die organisatorische Verbunden-<br />

heit mit der Amtskirche, wie sie sich in Aufsichts- und Direktionsrechten und in<br />

personellen Verflechtungen zeigt, und die Wahrnehmung kirchlicher Aufgaben 6 .<br />

b) Eingriffe<br />

Eingriffe in die Freiheit des selbstständigen Ordnens und Verwaltens der eigenen<br />

Angelegenheiten sind beispielsweise staatliche Strukturvorschriften, die den<br />

organisatorischbetrieblichen Bereich kirchlicher Krankenhäuser regeln 7 . Die Perso-<br />

nalhoheit der Kirchen schließt das Definitionsrecht für alle Berufe im kirchlichen<br />

Dienst ein. Entscheidet sich die Kirche für eine eigene Berufsausbildung, dann muss<br />

der gesetzlich vorgeschriebene Berufsausbildungsausschuss so zusammengesetzt<br />

sein, dass der Kirche kein ihr fremder Wille aufgezwungen werden kann 8 . Ein<br />

Gesetz, das dieser Anforderung nicht entspricht, ist ein Eingriff in das kirchliche<br />

Selbstverwaltungsrecht. Auch die Vergabe <strong>von</strong> Subventionen kann im Verbund mit<br />

der Durchsetzung <strong>von</strong> Planungsvorgaben und anderen Strukturregelungen zum<br />

Eingriff werden 9 . In das kirchliche Selbstbestimmungsrecht wird eingegriffen, wenn<br />

im Bewilligungsbescheid Auflagen durchgesetzt werden, die die Selbständigkeit der<br />

kirchlichen Einrichtung so weit beschneiden, dass sie nicht mehr Träger eigener<br />

Aufgaben sind, sondern zum Erfüller einer ihnen fremden Aufgabe des Sozial-<br />

5<br />

BVerfGE 24, 236, 248; 53, 366, 393; Stolleis, Sozialstaat und karitative Tätigkeit der Kirche,<br />

ZevKR 18 (1973), 376, 387 f.; Scheuner, Die karitative Tätigkeit der Kirchen im heutigen<br />

Sozialstaat, in: Axel v. Campenhausen / H. J. Erhardt (Hrsg.), Kirche, Staat, Diakonie, 1982, 162,<br />

176 f.; Starck, in v. Mangoldt / Klein / Starck, Das Bonner Grundgesetz, Bd. I, 4. Aufl. 1999, Art. 4<br />

Abs. 1, 2 Rz 34 f.<br />

6<br />

BVerfGE 46, 73, 85; 53, 366, 391; 57, 220, 242.<br />

7<br />

BVerfGE 53, 366.<br />

8<br />

BVerfGE 72, 278, 294.<br />

9<br />

BVerfGE 46, 120, 137; 82, 209, 223 f. zur Berufsfreiheit.<br />

9


leistungsträgers werden 10 . Ein Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht ist<br />

insbesondere der staatliche Zwang zur Errichtung <strong>von</strong> Verbundsystemen aus kirch-<br />

lichen und profanen sozialen Diensten 11 .<br />

Kein Eingriff in den durch Art. 137 Abs. 3 WRV geschützten Bereich ist die Erhebung<br />

<strong>von</strong> Gebühren bei einem Diakonischen Werk, da das kirchliche Selbstverwaltungs-<br />

recht nicht das Recht umfasse, „<strong>von</strong> allen Nachteilen einer Organisationsentschei-<br />

dung verschont zu werden“. Jedoch kann anderes gelten, „wenn die Nachteile derart<br />

gravierend wären, dass sie jeden Vorteil aufwögen und es der Kirche praktisch<br />

unmöglich gemacht würde, sich für die privatrechtliche Organisationsform einzelner<br />

Einrichtungen zu entscheiden 12 “.<br />

c) Eingriffsrechtfertigung<br />

Das „für alle geltende Gesetz“ des Art. 137 Abs. 3 WRV wird zunehmend und zu<br />

Recht mit dem „allgemeinen Gesetz“ des Art. 5 Abs. 2 GG parallelisiert 13 . Ein „für alle<br />

geltendes Gesetz“ ist dem<strong>nach</strong> nur ein solches, das sich nicht gegen das<br />

Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften also solches richtet, sondern<br />

dem Schutz eines schlechthin – ohne Rücksicht auf eine bestimmte Religionsgesell-<br />

schaft – zu schützenden Rechtsguts dient. Regelmäßig läuft die Eingriffsrechtferti-<br />

gung auf die Abwägung zwischen Kirchenfreiheit und staatlichem Regelungsziel<br />

hinaus 14 . Dabei kommt dem Selbstverständnis der Religionsgesellschaften, „soweit<br />

es in dem Bereich der durch Art. 4 Abs. 1 GG als unverletzlich gewährleisteten<br />

Glaubens- und Bekenntnisfreiheit wurzelt und sich in der durch Art. 4 Abs. 2 GG<br />

geschützten Religionsfreiheit verwirklicht“, ein besonderes Gewicht zu 15 . Den Kirchen<br />

sind deshalb „eigene Wege offen zu halten“, auf denen sie „unter Berücksichtigung<br />

10 Michael Stolleis, Behindertenwerkstätten zwischen freier Wohlfahrtspflege und staatlicher<br />

Arbeitsverwaltung, 1980, S. 25-27; Neumann, Weder Markt noch Verwaltungshilfe, in: Volker<br />

Neumann / Bertam Schulin / Klaus Lachwitz / Peter Trenk-Hinterberger (Hrsg.), Reform des<br />

Rehabilitationsrechts (SGB IX), 1992, S. 15 (62-65).<br />

11 Neumann, Der goldene Zügel. Zur Einrichtung <strong>von</strong> Verbundsystemen ambulanter sozialer Dienste<br />

durch das Zuwendungsrecht, in: RsDE 20 (1993), 1.<br />

12 BVerwG 20. 6. 2003 NVwZ 2003, 1519, 1520.<br />

13 Weber, „Allgemeines Gesetz“ und „für alle geltendes Gesetz“, in: Festschrift für Ernst Rudolf<br />

Huber, 1973, S. 181; Axel <strong>von</strong> Campenhausen, Staatskirchenrecht, 2. Aufl. 1983, S. 85; Wolfgang<br />

Bock, Das für alle geltende Gesetz und die kirchliche Selbstbestimmung, 1996, S. 276 f.<br />

14 Ein aktueller Anwendungsfall ist die in § 10 Abs. 5 S. 2 HeimG n. F. vorgesehene Möglichkeit, in<br />

den Heimbeirat kirchlicher Pflegeheime externe Mitglieder zu wählen. Vgl. Volker Neumann /<br />

Renate Bieritz-Harder, Die leistungsgerechte Pflegevergütung, 2002, S. 74 ff.<br />

15 BVerfGE 53, 366, 401; 83, 341, 356.<br />

10


der besonderen kirchlichen Aspekte“ ihre Tätigkeiten organisieren und gestalten<br />

können 16 . Diese Rechtsprechung ist einsichtig, weil sie der Bedeutung der Religions-<br />

freiheit als einem vorbehaltlos gewährleisteten Grundrecht Rechnung trägt. Für<br />

Irritationen hatte die Entscheidung zum Kündigungsschutz kirchlicher Mitarbeiter<br />

gesorgt, die sich als grundsätzliche Ermächtigung der Kirchen lesen lässt, über das<br />

Gewicht der eigenen Rechtsposition in der Abwägung verbindlich zu entscheiden 17 .<br />

Das kann nicht richtig sein, weil es bei der Güterabwägung immer um die<br />

Verträglichkeit der Freiheit des einzelnen mit der Freiheit aller anderen und damit um<br />

die Bedingungen der Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung geht 18 . Der dadurch<br />

eröffnete Konflikt zwischen Kirchenfreiheit und staatlicher Souveränität wird jedoch<br />

im Bahá´i - Beschluss mit der Anforderung, dass der staatliche Rechtsanwender das<br />

geltend gemachte Selbstverständnis auf seine Plausibilität untersuchen muss,<br />

deutlich entschärft 19 .<br />

3. Schutz der beruflichen Tätigkeit<br />

a) Schutzbereich<br />

Der berufliche Bezug der freien Wohlfahrtspflege wird in Art. 12 Abs. 1 GG geschützt.<br />

Die Berufsfreiheit umfasst jede Tätigkeit, die auf Dauer angelegt ist und der<br />

Schaffung und Aufrechterhaltung einer Lebensgrundlage dient 20 . Das Betreiben <strong>von</strong><br />

Diensten und Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege ist regelmäßig eine solche<br />

Tätigkeit, also ein Beruf. Ein Merkmal der freien Wohlfahrtspflege ist die Gemein-<br />

nützigkeit. Die Frage, ob ein gemeinnütziges Unternehmen einen Beruf ausübt, ist zu<br />

bejahen, weil das Fehlen der Gewinnerzielungsabsicht nichts daran ändert, dass das<br />

Unternehmen geschäftsmäßig und kostendeckend arbeiten muss und deshalb den<br />

für Art. 12 Abs. 1 GG erforderlichen ökonomischen Bezug aufweist 21 . Das Gegenar-<br />

16<br />

BVerfGE 53, 366, 405.<br />

17<br />

BVerfGE 70, 138, 167 f.<br />

18<br />

Neumann, Individuelle Religionsfreiheit und kirchliches Selbstbestimmungsrecht – am Beispiel der<br />

karitativen Tätigkeit, in: Wilfried Erbguth / Friedrich Müller / Volker Neumann (Hrsg.),<br />

Rechtstheorie und Rechtsdogmatik im Austausch. Gedächtnisschrift für Bernd Jeand´Heur, 1999,<br />

S. 247, 261 f.<br />

19<br />

BVerfGE 83, 341, 353. Instruktiv zu dieser Entscheidung Jeand`Heur, Jus divinum oder BGB, JuS<br />

1992, 830.<br />

20<br />

BVerfGE 7, 377, 397; 54, 301, 313.<br />

21<br />

BVerwG 22. 12. 1993 JZ 1995, 94, 95 mit ablehnender Anm. Wieland.<br />

11


gument, Art. 12 Abs. 1 GG verlange eine auf Erwerb ausgerichtete Tätigkeit, Erwerb<br />

sei aber schon begrifflich eigennützig und deshalb nicht gemeinnützig 22 , überzeugt<br />

nicht, weil ihm ein verkürztes Verständnis der Gemeinnützigkeit zugrunde liegt 23 . Das<br />

BVerfG hat die Frage kurz und knapp entschieden: Ob ein Betreuungsverein<br />

gemeinnützig wirkt, ist für die Anwendung des Art. 12 Abs. 1 GG auf seine erwerbs-<br />

mäßige Tätigkeit, die eine Gewinnerzielung nicht voraussetzt, nicht maßgeblich 24 .<br />

Das Grundrecht auf freie Berufsausübung ist untrennbar mit der Freiheit verbunden,<br />

hierfür eine angemessene Vergütung fordern zu dürfen 25 .<br />

b) Eingriffe<br />

aa) Bundesverfassungsgericht<br />

Zu den Eingriffen in die Berufsfreiheit gehört jedenfalls die Verweigerung der<br />

Zulassung zur Leistungserbringung. Das Bundesverfassungsgericht hat erstmals im<br />

Kassenarzt-Urteil die Nichtzulassung eines Arztes zur vertragsärztlichen Versorgung<br />

als einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit gewertet, der in seiner Auswirkung<br />

einem Eingriff in die Berufszulassung nahe komme und deshalb an den erhöhten<br />

Rechtfertigungsanforderungen <strong>von</strong> Berufszulassungsbeschränkungen zu messen<br />

sei 26 . Diese Grundsätze werden in einer späteren Entscheidung auf die Kranken-<br />

hausbedarfsplanung übertragen. Die Nichtaufnahme eines Krankenhauses in den<br />

Krankenhausbedarfsplan ist mit einem erheblichen Konkurrenz<strong>nach</strong>teil verbunden,<br />

der in seinen wirtschaftlichen Auswirkungen einer Berufszulassungsbeschränkung<br />

nahe komme 27 .<br />

bb) Bundessozialgericht<br />

Entscheidungen des BSG zur Berufsfreiheit nichtärztlicher Leistungserbringer waren<br />

lange Zeit rar. Das lag daran, dass der BGH und der Gemeinsame Senat der<br />

obersten Gerichtshöfe des Bundes die Rechtsverhältnisse der Krankenkassen zu<br />

22<br />

Wieland, JZ 1995, 96, 97.<br />

23<br />

Volker Neumann / Renate Bieritz-Harder, Die leistungsgerechte Pflegevergütung, 2002, S. 13 f.<br />

24<br />

BVerfG (Kammer) 7. 11. 2001 FamRZ 2002, 85, 86 f.<br />

25<br />

Frank Brünner, Vergütungsvereinbarungen für Pflegeeinrichtungen <strong>nach</strong> SGB XI, 2001, S. 148.<br />

26<br />

BVerfGE 11, 30, 42 f.<br />

27<br />

BVerfGE 82, 209, 224, 229. Bestätigt in BVerfG (Kammer) 14. 1. 2004 - 1 BvR 506/03, Rn. 21.<br />

12


den nichtärztlichen Leistungserbringern dem Privatrecht zugeordnet und damit den<br />

Rechtsweg zu den Kartellgerichten eröffnet hatten 28 . Zwar hatte das Gesundheits-<br />

reformgesetz mit der Neufassung des § 51 Abs. 2 SGG Streitigkeiten aus dem<br />

Leistungserbringungsrecht den Sozialgerichten zugewiesen 29 . Die Zivilgerichte<br />

sahen aber § 87 GWB als eine Spezialnorm an, die dem SGG vorgehe 30 . Der damit<br />

eröffnete Zuständigkeitsstreit wurde vom Gesetzgeber im Jahre 2000 endlich<br />

eindeutig zugunsten der Sozialgerichtsbarkeit entschieden 31 . Seitdem nimmt die<br />

einschlägige Rechtsprechung sprunghaft zu 32 . Da das GWB und UWG nicht mehr<br />

anwendbar sind 33 , gewinnt Art. 12 Abs. 1 GG für den Schutz der Rechte der nicht-<br />

ärztlichen Leistungserbringer an Bedeutung.<br />

Die einschlägige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts geht <strong>von</strong> diesem<br />

Grundsatz aus: „Jede Einschränkung der Zulassung <strong>nach</strong> Bedarfsgesichtspunkten<br />

stellt einen Eingriff in das durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Grundrecht der<br />

Berufsfreiheit dar 34 “. Die Frage, ob nur ein (schlichter) Eingriff in die Berufsaus-<br />

übungsfreiheit vorliegt oder ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit, der einer<br />

Berufswahlregelung nahe kommt, wird da<strong>von</strong> abhängig gemacht, ob die über die<br />

Zulassung entscheidenden Sozialleistungsträger eine Monopolstellung innehaben<br />

oder nicht. Da die Krankenkassen gemäß § 40 Abs. 4 SGB V für Rehabilitations-<br />

leistungen nur subsidiär zuständig sind, also keine Monopolstellung innehaben, liegt<br />

nur ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit vor 35 . Allerdings kann wegen der<br />

„Eigenart der Einrichtung“ der Eingriff doch einer Berufswahlregelung nahe<br />

kommen 36 . Die Verweigerung des Abschlusses eines Vertrages <strong>nach</strong> §§ 124, 126<br />

28 BGHZ 36, 91 – Gummistrümpfe; BGHZ 82, 375 – Brillenselbstabgabe; GemS-OGB 10. 4. 1986 -<br />

NJW 1986, 2359 – Heil- und Hilfsmittel; 29. 10. 1987 - NJW 1988, 2295 – Selbstabgabe<br />

gebrauchter Hilfsmittel; 29. 10. 1987 - NJW 1988, 2297 – Badebetrieb.<br />

29 Vom 20. 12. 1988 (BGBl. I 2477).<br />

30 BGHZ 114, 218 – Krankentransporte; BGH 25. 6. 1991 - RsDE 20 (1993), 87 – häusliche<br />

Krankenpflege.<br />

31 Gesetz vom 22. 12. 1999 (BGBl. I 2626). Zur „unendlichen Geschichte“ dieses Streits BSGE 89,<br />

24, 30 f.<br />

32 Ohne Anspruch auf Vollständigkeit: BSGE 60, 1 – Zahntechniker; E 63, 173 – Selbstabgabe Heil-<br />

und Hilfsmittel; E 67, 251 – Römisch-irische Bäder; E 72, 227 – Verhaltenstherapeut; E 77, 108 –<br />

Zulassung Optiker; E 77, 130 – Krankengymnastin; E 78, 233 – Krankenhausversorgungsvertrag;<br />

E 79, 41 – Arzneimittelhersteller; E 81, 189 – Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtung; E 86, 223<br />

– Diätassistenten; E 87, 95 – empfängnisverhütende Mittel; E 88, 216 – Investitionsförderung <strong>von</strong><br />

Pflegeeinrichtungen; E 89, 24 – Orthopädiemechaniker; BSG 23. 7. 2002 – B 3 KR 63/01 R –<br />

Zulassung Reha-Einrichtung; BSG 24. 9. 2002 – NZS 2003, 263 – Zulassung Pflegedienst.<br />

33 BSGE 89, 24, 32 f. mit weiteren Nachweisen.<br />

34 BSGE 87, 14, 23.<br />

35 BSGE 81, 189, 196; 87, 14, 23.<br />

36 BSG 23. 7. 2002 – B 3 KR 63/01.<br />

13


SGB V ist eine Begrenzung der Berufsfreiheit auf der Stufe der Berufsausübung, die<br />

in ihrer Wirkung einer Beschränkung der Berufswahl nahe kommen kann 37 .<br />

Das Festbetrags-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist kein Anlass zur Korrektur<br />

der referierten Rechtsprechung. Dieses Urteil legt dar, dass die Festsetzung <strong>von</strong><br />

Festbeträgen gemäß § 35 SGB V die Berufsfreiheit der Pharmaunternehmen, der<br />

Optiker und der Hörgeräteakustiker „nicht berührt 38 “. Die Festsetzungen fallen in den<br />

Schutzbereich der Grundrechte der „Versicherten, aber auch der Ärzte“, nicht aber in<br />

den Schutzbereich der Berufsfreiheit der Leistungserbringer 39 . Eine faktisch<br />

mittelbare Auswirkung auf deren Berufsausübung sei ein „bloßer Reflex der auf das<br />

System der gesetzlichen Krankenversicherung bezogenen Regelung“. Dieses Urteil<br />

stellt eine Korrektur an der jüngeren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum<br />

mittelbaren Eingriff in die Berufsfreiheit der Leistungserbringer dar 40 . Völlig unberührt<br />

da<strong>von</strong> bleibt die Wertung <strong>von</strong> Zulassungsbeschränkungen als Grundrechtseingriff.<br />

c) Eingriffsrechtfertigung<br />

aa) Gesetzesvorbehalt<br />

Die Berufsfreiheit unterliegt einem einfachen Gesetzesvorbehalt. Gesetz ist jedenfalls<br />

das Parlamentsgesetz und die Rechtsverordnung, soweit die Bestimmtheitstrias des<br />

Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG beachtet ist 41 . Die Frage, ob auch andere untergesetzliche<br />

Regelungen Eingriffe zu rechtfertigen vermögen, ist für das Leistungserbringungs-<br />

recht mit seinen vielfältigen Rechtsquellen <strong>von</strong> besonderer Brisanz. Der Grundsatz<br />

lautet: Wenn das förmliche Gesetz die Eingriffsvoraussetzungen festlegt, darf die<br />

Selbstverwaltung innerhalb des gesetzlichen Rahmens die Einzelheiten regeln 42 . Die<br />

Anforderungen an die Bestimmtheit des ermächtigenden Gesetzes werden <strong>nach</strong><br />

Maßgabe der Grundrechtsrelevanz bestimmt 43 . Bei Regelungen im Schutzbereich<br />

37 BSGE 89, 24, 28.<br />

38 BVerfG 17. 12. 2002 – 1 BvL 28/95 u. a. Rn. 106. Zur rechtspolitischen Bedeutung dieser weit<br />

über die Festbetragsfrage hinausreichenden Entscheidung Hänlein, Festlegung der Grenzen der<br />

Leistungspflicht der Krankenkassen, SGb 2003, 301, 302.<br />

39 BVerfG 17. 12. 2002 – 1 BvL 28/95 u. a. Rn. 112 f.<br />

40 Es bestätigt den älteren Ansatz in der Entscheidung zu den irisch-römischen Bädern (BSGE 67,<br />

251) und verwirft die neueren Ansatz in der Entscheidung zu den Diätassistenten (BSGE 86, 223).<br />

41 So bereits BSGE 23, 97, 100.<br />

42 Vgl. BSGE 58, 18, 25.<br />

43 BSGE 67, 256, 264 – Großgeräte I.<br />

14


der Berufsfreiheit ist der Gesetzgeber verpflichtet, wenigstens die Grundstrukturen<br />

des Normgefüges vorzugeben 44 . Die Grundrechtrelevanz ist das dominante Kriteri-<br />

um der Wesentlichkeitstheorie: Der Gesetzgeber müsse die für die Grundrechtsaus-<br />

übung wesentlichen Fragen selbst dergestalt regeln, dass Umfang und Grenzen des<br />

Eingriffs deutlich erkennbar sind 45 . Mit dem vorbehaltsrechtlichen Bestimmtheits-<br />

gebot 46 ist die Heranziehung des allgemeinen Sicherstellungsauftrags als „hinrei-<br />

chend bestimmte gesetzliche Grundlage“ für die Rechtfertigung <strong>von</strong> Eingriffen in die<br />

Berufsfreiheit kaum zu vereinbaren 47 . Die Grundrechtsrelevanz wird in einer umfang-<br />

reichen Rechtsprechung <strong>nach</strong> Maßgabe der Stufenlehre bestimmt, wobei innerhalb<br />

der Berufsausübung noch einmal zwischen statusrelevanten und nicht-status-<br />

relevanten Regelungen unterschieden wird 48 .<br />

Strenge Anforderungen an die Bestimmtheit der parlamentsgesetzlichen Ermächti-<br />

gung werden bei Zulassungen auf der Grundlage einer Bedarfsprüfung gestellt.<br />

Voraussetzung ist eine gesetzlich geregelte Bedarfsplanung, „<strong>nach</strong> der losgelöst vom<br />

Einzelfall die gegenwärtige und zukünftige Bedarfssituation beurteilt werden kann<br />

und welche die Maßstäbe für die Zulassung <strong>von</strong> Leistungsanbietern erkennen lässt.<br />

Schließlich muss auch das Auswahlverfahren in einer Weise geregelt sein, die den<br />

Anforderungen an einen Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG Rechnung trägt. Denn die<br />

Verwirklichung der Berufsfreiheit fordert auch eine dem Grundrechtsschutz ange-<br />

messene Verfahrensgestaltung 49 “.<br />

bb) Verhältnismäßigkeit<br />

Der Eingriff ist verhältnismäßig, wenn „das gewählte Mittel zur Erreichung des<br />

verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich ist und bei einer Gesamtabwägung<br />

zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden<br />

44<br />

BSGE 67, 256, 266.<br />

45<br />

BSGE 70, 285, 292 – Großgeräte II; E 81, 143, 145.<br />

46<br />

In BSGE 70, 285, 292 ist allerdings vom „rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot“ die Rede.<br />

47<br />

So noch BSGE 60, 1, 4.<br />

48<br />

BSGE 82, 55, 59 f. - Zytologie; E 86, 121, 123 f.; E 78, 91, 94: Bei statusrelevanten Regelungen<br />

müsse die parlamentsgesetzliche Ermächtigung Umfang und Grenzen des Eingriffs deutlich<br />

erkennen lassen, während bei nicht-statusrelevanten Regelungen der Gesetzgeber die<br />

maßgeblichen Entscheidungen dem untergesetzlichen Normgeber in weitem Umfang überlassen<br />

dürfe.<br />

49<br />

BSGE 81, 189, 197 f.<br />

15


Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist 50 “. Das BSG räumt dem<br />

Gesetzgeber bei der Beurteilung der Geeignetheit des eingesetzten Mittels – in<br />

Übereinstimmung mit dem BVerfG 51 - eine weitgehende Gestaltungsfreiheit sowie<br />

einen weiten Einschätzungs- und Prognosespielraum ein 52 . Nur wenn die Erwägun-<br />

gen zum Kausalverlauf „offensichtlich fehlsam“ und „unvertretbar“ sind, können die<br />

Gerichte die Einschätzung des Gesetzgebers beanstanden 53 .<br />

Für die Frage, ob eine Zulassung <strong>von</strong> Einrichtungen <strong>nach</strong> Maßgabe des Bedarfs<br />

gerechtfertigt werden kann, hat die Rechtsprechung einen Argumentationstopos<br />

aufgegriffen, der m. E. die Prüfungsstufe der Erforderlichkeit betrifft. Die Kranken-<br />

hausbehandlung ist häufig unaufschiebbar (Notfallaufnahme), so dass die Kranken-<br />

kasse die Notwendigkeit der Behandlung im Einzelfall und ihre Dauer nicht überprü-<br />

fen kann. Deshalb kann hier eine Bedarfszulassung der Krankenhäuser im Interesse<br />

der Erhaltung der wirtschaftlichen Grundlagen der gesetzlichen Krankenkassen<br />

grundsätzlich gerechtfertigt werden. Anderes gilt für Rehabilitationsmaßnahmen,<br />

deren Gewährung im Ermessen der Krankenkassen steht, die für eine begrenzte<br />

Dauer <strong>von</strong> zwei oder drei Wochen bewilligt werden und bei denen im Zweifelsfall eine<br />

vorherige Begutachtung durch den medizinischen Dienst möglich ist 54 . Die Prüfung<br />

des individuellen Bedarfs ist ein gleich geeignetes, milderes Mittel im Verhältnis zu<br />

einer Angebotssteuerung durch Bedarfsprüfung.<br />

II. Sozialrechtlicher Status (§ 17 SGB I)<br />

Der in den Grundrechten und im Staatskirchenrecht gewährleistete Rechtsstatus der<br />

freien Träger wird in § 17 Abs. 3 SGB I für das gesamte Sozialgesetzbuch in<br />

gelungener Weise reformuliert. Als Kern der Selbstständigkeit wird – in Anlehnung an<br />

50 BSGE 80, 257, 261.<br />

51 Prägnant Jäger, Berufsrecht, SGb 2003, 311, 314: „Diese Gestaltungsfreiheit beruht auf der<br />

Einsicht des Verfassungsgerichts, dass es selbst bei der Regelung komplexer Zusammenhänge<br />

nicht klüger ist als der Gesetzgeber, weil die Verfassung meist keine hinlänglich konkreten<br />

Vorgaben enthält. Die Sozialordnung erschöpft sich nicht in Verfassungskonkretisierung“.<br />

52 „Sozialpolitische Entscheidungen, mit denen auf komplexe, schwer überschaubare und im<br />

einzelnen unklare Verhältnisse eingewirkt werden soll, erfordern zahlreiche Wertungen und<br />

Prognosen, die einzeln und in ihrer Gesamtheit mit einem hohen Maß an Unsicherheit behaftet<br />

sind“. BSGE 73, 223, 226 f. – Altersgrenze 55.<br />

53 BSGE 82, 41, 44.<br />

54 BSGE 81, 189, 197 f., BSG 27. 7. 2002 – B 3 KR 63/01 R.<br />

16


§ 10 Abs. 2 BSHG bzw. § 5 Abs. 2 S. 2 SGB XII die Trägerschaft eigener („ihrer“)<br />

Aufgaben erkannt (§ 17 Abs. 3 S. 2 SGB I). Den Sozialleistungsträgern, also auch<br />

den Agenturen für Arbeit, wird aufgegeben, diese Selbständigkeit der freien Träger in<br />

„Zielsetzung und Durchführung ihrer Aufgaben zu achten“.<br />

Wichtig ist, dass die Achtungspflicht in der Zusammenarbeit („dabei“) der<br />

Sozialleistungsträger mit den freien Trägern besteht. Die freien Träger nehmen also<br />

auch dann eigene Aufgaben wahr, wenn sie bei der <strong>Erbringung</strong> <strong>von</strong> Leistungen mit<br />

den Sozialleistungsträgern zusammenarbeiten. Die Pflicht zur Zusammenarbeit wird<br />

durch das „schlichte Ignorieren eines Angebots zur Zusammenarbeit“ jedenfalls dann<br />

verletzt, wenn das Angebot hinreichend präzise ist 55 .<br />

Ziel der Zusammenarbeit ist das Wohl der Leistungsempfänger. Bei der Entschei-<br />

dung, welche Leistungsgestaltung den Empfängern zum Wohle gereicht, ist die<br />

Aufgabe des Sozialrechts zu bedenken, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern (§<br />

1 Abs. 1 SGB I). Würde meint das Recht, Rechte zu haben 56 . Der Leistungsberech-<br />

tigte soll grundsätzlich selbst entscheiden, welche Gestaltung der Leistung ihm zum<br />

Wohle gereicht. Diesem Grundsatz tragen die diversen Wunsch- und Wahlrechte des<br />

Sozialrechts Rechnung. Diese Rechte sind in den einzelnen Büchern des<br />

Sozialgesetzbuchs normiert (§ 3 Abs. 2 BSHG bzw. § 9 Abs. 2 SGB XII, § 5 SGB<br />

VIII, § 76 SGB V, § 9 Abs. 1 und 2 S. 3 SGB IX, § 2 Abs. 2-4 SGB XII). Wenn das<br />

einzelne Buch keine solche spezielle Regelung enthält, gilt § 33 S. 2 SGB I: Bei der<br />

Ausgestaltung <strong>von</strong> Rechten und Pflichten „soll den Wünschen des Berechtigten oder<br />

Verpflichteten entsprochen werden, soweit sie angemessen sind“.<br />

55 OVG Münster 3. 12. 2001 ZfJ 2002, 305.<br />

56 Renate Bieritz-Harder, Menschenwürdig leben, 2001, S. 260 f.; Christoph Enders, Die<br />

Menschenwürde in der Verfassungsordnung, 1997, S. 502.<br />

17


1. Sozialstaatsprinzip<br />

III. Das Kooperationsmodell<br />

a) Kein soziales Aufgabenmonopol des Staates<br />

Das Sozialstaatsprinzip ist ein Gestaltungsauftrag, der den Staat zur Herstellung<br />

sozialer Gerechtigkeit ermächtigt und verpflichtet 57 . Diese Ermächtigung und Ver-<br />

pflichtung schließen die Wahrnehmung sozialer Aufgaben und damit auch die<br />

gewährende und leistende Tätigkeit in den gesellschaftlichen Lebensbereichen ein,<br />

in denen die freien Träger eigene soziale Aufgaben wahrnehmen. Der Sozialstaat<br />

soll also einerseits seine eigenen gesetzlichen Aufgaben erfüllen und andererseits<br />

die Aufgaben der freien Träger achten. Diese doppelte Pflicht wäre nicht zu erfüllen,<br />

wenn das Sozialstaatsprinzip dem Staat und seinen Sozialleistungsträgern ein<br />

Aufgabenmonopol verleihen würden. Das Bundesverfassungsgericht hat im Sozial-<br />

hilfe-Urteil den scheinbar unvermeidlichen Konflikt zwischen staatlichen und freien<br />

Aufgaben durch eine ebenso elegante wie überzeugende Auslegung des Sozial-<br />

staatsprinzips verhindert: Dieses Prinzip bestimme nur das Ziel einer gerechten<br />

Sozialordnung, also die Aufgabe des Staates, lasse aber für die Erreichung des<br />

Ziels, also die Aufgabenerfüllung, alle Wege offen. Folglich steht es dem<br />

Gesetzgeber frei, "zur Erreichung des Zieles auch die Mithilfe privater Wohlfahrts-<br />

organisationen vorzusehen" 58 . Ein soziales Aufgabenmonopol des Staates gibt es<br />

nicht.<br />

b) Das Bild der konzentrischen Kreise<br />

Das in § 17 Abs. 3 S. 1 und 2 SGB I normierte Modell der Zusammenarbeit setzt<br />

voraus, dass die Aufgabe des Sozialleistungsträgers zugleich eine eigene Aufgabe<br />

der freien Träger sein kann, so dass mit der Wahrnehmung der freien Aufgabe<br />

zugleich die Aufgabe des Sozialleistungsträgers erfüllt wird. Das wäre nicht möglich,<br />

wenn beide Aufgabenkreise sich nicht oder nur teilweise überschneiden. Anderer-<br />

57 BVerfGE 22, 180, 204; 27, 253, 283; 35, 302, 235 f.; 40, 121, 133 f.; 59, 231, 263; 69, 272, 314;<br />

BVerwGE 23, 304, 306.<br />

58 BVerfGE 22, 180, 204.<br />

18


seits würde die Selbstständigkeit der freien Träger wenig Sinn machen, wenn beide<br />

Aufgabenkreise deckungsgleich wären. Regelmäßig wird die freie Aufgabe<br />

umfassender als die staatliche sein. Die Sozialleistung, zu deren Gewährung der<br />

öffentliche Träger gesetzlich verpflichtet ist, muss in vollem Umfang erbracht werden.<br />

Dem freien Träger ist es aber unbenommen, ein „Mehr“ zu leisten, das in<br />

zusätzlichen Leistungen, aber auch in der besonderen Zuwendung bestehen kann,<br />

die karitativen oder humanitären Motiven entspringt und quantitativ nicht messbar<br />

ist 59 . Der staatliche Aufgabenkreis muss vom freien Aufgabenkreis umschlossen<br />

sein 60 .<br />

c) Gesamtverantwortung<br />

Das Sozialstaatsprinzip richtet zwar kein soziales Aufgabenmonopol des Staates ein,<br />

überträgt ihm aber die „Gesamtverantwortung dafür, dass ... durch behördliche und<br />

freie Tätigkeit das Erforderliche geschieht“ 61 . Diese Verantwortung meint erstens die<br />

Strukturverantwortung, d. h. die Verantwortung dafür, dass die zur Ausführung <strong>von</strong><br />

<strong>Sozialleistungen</strong> erforderlichen sozialen Dienste und Einrichtungen rechtzeitig und<br />

ausreichend zur Verfügung stehen. Zweitens bleibt der Sozialstaat für die Erfüllung<br />

der sozialrechtlichen Aufgaben verantwortlich, d. h. verantwortlich dafür, dass „jeder<br />

Berechtigte die ihm zustehenden <strong>Sozialleistungen</strong> in zeitgemäßer Weise, umfassend<br />

und schnell erhält“ 62 .<br />

Die Gesamtverantwortung ist eine Aufgabe, aber keine Befugnis. Das rechtsstaat-<br />

liche Verbot des Schlusses <strong>von</strong> der Aufgabe auf die Befugnis untersagt dem Sozial-<br />

staat, unter Berufung auf seine Gesamtverantwortung in die Selbständigkeit der<br />

freien Träger einzugreifen. Deshalb kann der Sozialstaat seiner Gesamtverantwor-<br />

tung nur durch Formen des kooperativen Verwaltens, durch die "hergebrachte und<br />

durch Jahrzehnte bewährte Zusammenarbeit <strong>von</strong> Staat und Verbänden" <strong>nach</strong>-<br />

59 Volker Neumann, Freiheitsgefährdung im kooperativen Sozialstaat, 1992, S. 47 f.<br />

60 Nicht ohne Süffisanz bezeichnet Dirk Meyer, Wettbewerbliche Neuorientierung der Freien<br />

Wohlfahrtspflege, 1999, S. 30, die Verbindung <strong>von</strong> sozialstaatlicher Sozialarbeit und kirchlichem<br />

Sendungsauftrag als „Kuppelproduktion ..., deren beide Outputs – soziale Hilfe und Offenbarung<br />

Gottes – dem Hilfeempfänger angeboten und ggf. als Einheit zugeführt werden“.<br />

61 BVerfGE 22, 180, 206.<br />

62 § 17 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB I.<br />

19


kommen 63 . Die Mittel dieser Zusammenarbeit sind der Vertrag sowie das Geld, also<br />

Zuwendungen und Subventionen 64 .<br />

2. Wunsch- und Wahlrechte<br />

Die Wunsch- und Wahlrechte des Sozialrechts dienen der Schlichtung <strong>von</strong><br />

Grundrechtskonflikten. Kritiker des Vorrangs der freien Wohlfahrtspflege im Bundes-<br />

sozialhilfe- und Jugendwohlfahrtsgesetz hatten in den 60er Jahren einen Konflikt mit<br />

der negativen Bekenntnisfreiheit der Leistungsberechtigten erkannt und eine<br />

Klerikalisierung des Sozialstaats befürchtet 65 . Das Bundesverfassungsgericht<br />

schlichtete den Konflikt mit dem Hinweis auf die Wunsch- und Wahlrechte, die den<br />

Sozialleistungsberechtigten erlaubten, konfessionell oder weltanschaulich geprägten<br />

Leistungserbringern auszuweichen 66 .<br />

Eine andere Frage ist, ob die Freiheit der Wahl des Leistungserbringers und der<br />

Leistungsgestaltung grundrechtlich verbürgt ist. In der Rechtsprechung wurde diese<br />

Frage lange Zeit am Beispiel der freien Arztwahl thematisiert. Dabei hatte das<br />

Bundesverfassungsgericht zunächst offen gelassen, „ob der Versicherte aus Art. 2<br />

Abs. 1 GG einen Anspruch auf freie Arztwahl herleiten kann 67 “. Entschieden wird die<br />

Frage im Festbetragsurteil: Die Freiheit der Versicherten zur Auswahl unter den<br />

Leistungen ist durch die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG<br />

geschützt 68 .<br />

63 BVerfGE 22, 180, 200.<br />

64 Aus dem Kooperationsprinzip folgt aber kein Anspruch auf Förderung der kirchlichen<br />

Wohlfahrtspflege, VGH Mannheim 10. 4. 2001 DÖV 2001, 871 (872).<br />

65 Peter Lerche, Verfassungsfragen um Sozialhilfe und Jugendwohlfahrt, 1963, S. 130-133; Hans F.<br />

Zacher, Freiheit und Gleichheit in der Wohlfahrtspflege, 1964, S. 90 f.; Verfassungsbeschwerde<br />

der Stadt Dortmund vom 21. 2. 1962, in: ZfSH 1962, S. 45 (47). Aus der neueren Literatur<br />

Wolfgang Rüfner, Daseinsvorsorge und soziale Sicherheit, in: HStR IV, § 80 Rn. 41; Hermann<br />

Weber, Gelöste und ungelöste Probleme des Staatskirchenrechts, NJW 1983, 2541, 2545.<br />

66 BVerfGE 22, 180, 209.<br />

67 BVerfGE 16, 286, 303 f. Vgl. auch BSGE 11, 104, 111 f., 37, 267, 270; BVerwGE 60, 367, 371 f.<br />

68 BVerfG 17. 12. 2002 – 1 BvL 28/95 u. a. Rn. 132.<br />

20


3. Das sozialrechtliche Dreiecksverhältnis<br />

Die verfassungsrechtlichen Vorgaben – grundrechtlich verbürgte Selbstständigkeit<br />

der freien Träger, Freiheit zu Auswahl unter den Leistungen, Gesamtverantwortung<br />

des Sozialstaats – werden im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis „klein gearbeitet“.<br />

Die Basis dieses Beziehungsgeflechts ist das zwischen Bürger und Sozialleistungs-<br />

träger bestehende Sozialrechtsverhältnis. Der sozialleistungsberechtigte Bürger hat<br />

einen öffentlich-rechtlichen Anspruch gegen den Leistungsträger, der die begehrte<br />

Leistung durch Verwaltungsakt bewilligt, den Leistungserbringer bestimmt und<br />

zugleich die Übernahme der Kosten der zu erbringenden Leistung erklärt. Wenn der<br />

Leistungsberechtigte einen bestimmten Leistungserbringer ausgewählt hat, wird mit<br />

der Erklärung der Kostenübernahme zugleich über die Angemessenheit seines<br />

Wunsches entschieden. Da Inhalt, Umfang und Qualität der zu erbringenden<br />

Leistung sowie die dafür zu entrichtende Vergütung nicht in jedem einzelnen<br />

Leistungsfall vereinbart werden können, müssen diese und andere Fragen in<br />

übergreifenden Verträgen zwischen den Sozialleistungsträgern und den einzelnen<br />

Leistungserbringern bzw. deren Verbänden geregelt werden.<br />

Mit dem Abschluss dieser Verträge wird zugleich über die Zulassung zur<br />

Leistungserbringung entschieden. Allerdings gibt es in allen diesen geschlossenen<br />

Systemen der Leistungserbringung unterschiedlich streng gefasste Öffnungsklau-<br />

seln, die im Interesse der Bedarfsdeckung ausnahmsweise die <strong>Erbringung</strong> <strong>von</strong><br />

Leistungen durch nicht zugelassene Träger erlauben. Bei der Regelung des Zugangs<br />

der Leistungserbringer sind zwei grundverschiedene Voraussetzungen zu unterschei-<br />

den. Verfassungsrechtlich unbedenklich ist die Erfüllung gesetzlich normierter<br />

Eignungskriterien. Eine Angebotssteuerung durch Bedarfsprüfung ist jedoch ein<br />

Eingriff in die Berufsfreiheit, der strengen Rechtfertigungsanforderungen genügen<br />

muss (s. oben I 3 c).<br />

Geschlossen wird das Dreiecksverhältnis durch vertragliche Beziehungen zwischen<br />

dem Sozialleistungsberechtigten und dem Leistungserbringer. Die Regelung durch<br />

Vertrag kann gesetzlich vorgeschrieben sein wie beim Heimvertrag (§ 5 HeimG).<br />

Aber auch dort, wo der Gesetzgeber den Abschluss eines Vertrages nicht zwingend<br />

21


gebietet, gibt es im Verhältnis Leistungsberechtigter – Leistungserbringer eine Fülle<br />

rechtlich relevanter Fragen, die geregelt werden sollten 69 .<br />

IV. Ausprägungen des Dreiecksverhältnisses im Sozialrecht<br />

1. Sozialhilferecht (SGB XII)<br />

Der sozialhilfeberechtigte Bürger hat einen Rechtsanspruch auf Hilfe (vgl. § 17 SGB<br />

XII) und das Recht, Wünsche zu äußern, die sich auf die Gestaltung der Leistung<br />

richten (§ 9 Abs. 2 SGB XII) 70 . Adressat beider Rechte ist der zuständige Träger der<br />

Sozialhilfe. Den Wünschen soll entsprochen werden, wenn sie angemessen und<br />

nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden sind. Dieses Recht schließt die<br />

Auswahl des Leistungserbringers ein. Der Träger der Sozialhilfe entscheidet über<br />

den Anspruch und die Berechtigung des Wunsches durch Verwaltungsakt, in dem<br />

zugleich der (gewünschte) Erbringer der Leistung bestimmt und die Übernahme der<br />

Vergütung erklärt wird. Der sozialhilferechtliche Grundsatz „keine Hilfe für die<br />

Vergangenheit“ schließt für den Regelfall ein Recht auf Selbstbeschaffung aus.<br />

Wenn der Bürger sich also zuerst die Leistung beschafft und dann vom Sozialhilfe-<br />

träger die Erstattung der Kosten begehrt, besteht keine Leistungspflicht des Sozial-<br />

hilfeträgers.<br />

Voraussetzung der beschriebenen Leistungsabwicklung ist das Bestehen <strong>von</strong><br />

Vereinbarungen <strong>nach</strong> § 75 Abs. 3 SGB XII. Die <strong>Erbringung</strong> <strong>von</strong> Leistungen durch<br />

vereinbarungsungebundene freie Träger ist nur zulässig, „wenn dies <strong>nach</strong> der<br />

Besonderheit des Einzelfalls geboten ist“ (3 75 Abs. 4 S. 1 SGB XII). Kommt inner-<br />

halb eines bestimmten Zeitraums eine Vergütungsvereinbarung nicht zustande, ent-<br />

scheidet auf Antrag einer Partei die Schiedsstelle über die Gegenstände, über die<br />

keine Einigung erreicht werden konnte (§ 77 Abs. 1 S. 2 SGB XII).<br />

69 BGH 89, 250, 255 hat mit dem Behandlungs- und Schutzinteresse des Kassenpatienten das<br />

Erfordernis eines privatrechtlichen Behandlungsvertrags mit dem Krankenhaus begründet.<br />

70 Eine Darstellung des sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses aus neuerer Zeit bei Frank<br />

Brünner, Vergütungsvereinbarungen für Pflegeeinrichtungen <strong>nach</strong> SGB XI, 2001, S. 20-41.<br />

22


Wird die Leistung in oder <strong>von</strong> Einrichtungen erbracht, wird regelmäßig zwischen dem<br />

Sozialhilfeberechtigten und dem Träger der Einrichtung ein Vertrag geschlossen. Für<br />

Einrichtungen, die dem Heimgesetz unterfallen, ist der Abschluss eines Heimvertrags<br />

gesetzlich vorgeschrieben.<br />

2. Kinder- und Jugendhilferecht (SGB VIII)<br />

§ 3 Abs. 2 SGB VIII zeichnet mit der Unterscheidung <strong>von</strong> Leistungsverpflichtung bzw.<br />

–berechtigung und Leistungserbringung die Grundstruktur des jugendhilferechtlichen<br />

Dreiecksverhältnisses 71 . Der Jugendhilfeberechtigte hat einen öffentlich-rechtlichen<br />

Anspruch gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe, der die begehrte Leistung<br />

durch Verwaltungsakt bewilligt, den die Leistung erbringenden freien Träger<br />

bestimmt und zugleich erklärt, die anfallenden Kosten bzw. das Entgelt der Leistung<br />

zu übernehmen. Wenn der Jugendhilfeberechtigte die <strong>Erbringung</strong> der Leistung durch<br />

einen bestimmten freien Träger wünscht, wird mit der Erklärung der Kosten- oder<br />

Entgeltübernahme zugleich über die Angemessenheit seines Wunsches entschie-<br />

den. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe erfüllt also seine Leistungsverpflichtung<br />

durch diesen Verwaltungsakt 72 . Inhalt, Umfang und Qualität der zu erbringenden<br />

Leistung sowie die dafür zu entrichtende Vergütung werden in Anlehnung an das<br />

sozialhilferechtliche Grundmodell in den Leistungserbringungsvereinbarungen <strong>nach</strong><br />

§§ 77, 78a ff. zwischen den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe und den einzelnen<br />

Leistungserbringern bzw. deren Verbänden geregelt. Die Vereinbarungen haben<br />

Zulassungscharakter, was sich aus § 78b Abs. 1 SGB VIII ergibt. § 78b Abs. 3 und §<br />

5 Abs. 2 S. 2 SGB VIII enthalten (schlecht aufeinander abgestimmte)<br />

Öffnungsklauseln für die <strong>Erbringung</strong> der Leistung durch vereinbarungsungebundene<br />

Träger.<br />

Die skizzierte Leistungsabwicklung im Dreiecksverhältnis beschreibt keinen Idealfall,<br />

sondern ist rechtlich geboten. Das war lange Zeit anders, da die ältere Recht-<br />

71 Knut Hinrichs, Selbstbeschaffung im Jugendhilferecht, 2003, S. 238-269; Volker Neumann,<br />

Freiheitsgefährdung im kooperativen Sozialstaat, 1992, 212-235; ders., Zum Dreiecksverhältnis im<br />

Jugendwohlfahrtsrecht, RsDE 2 (1988), 45. Aus der Rechtsprechung: OVG Bremen 11. 12. 2002<br />

ZfJ 2003, 344, 345; OVG Münster 21. 8. 2001 NVwZ-RR 2001, 583, 584; OVG Münster 31. 5.<br />

2002 ZfJ 2003, 118.<br />

72 So auch im Ergebnis OVG Bremen 11. 12. 2002 ZfJ 2003, 344, 345; OVG Münster 21. 8. 2001<br />

NVwZ-RR 2001, 583, 584.<br />

23


sprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Erstattung der Kosten einer selbstbe-<br />

schafften Leistung als Regelfall zuließ 73 . Da<strong>nach</strong> konnte der Leistungsberechtigte die<br />

Hilfe bei einem freien Träger in Anspruch nehmen und beim Träger der öffentlichen<br />

Jugendhilfe die Rechnung zur Erstattung der Kosten vorlegen. Diese Recht-<br />

sprechung war in der Literatur auf Kritik gestoßen 74 . Das Bundesverwaltungsgericht<br />

ist im Urteil vom 28. 9. 2000 <strong>von</strong> ihr abgerückt und hat die Selbstbeschaffung als<br />

rechtlich unzulässig gewertet 75 . Die Literatur stimmt diesem Neuansatz überwiegend<br />

zu 76 . Streitbefangen ist nur, ob die Leistung beantragt werden muss oder die<br />

Kenntnis des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe genügt 77 . Es versteht sich, dass<br />

die Rechtsprechung Ausnahmen <strong>von</strong> der grundsätzlichen Unzulässigkeit der<br />

Selbstbeschaffung anerkennen wird bzw. schon hat, etwa bei einer rechtswidrigen<br />

Ablehnung der Leistung, bei Untätigkeit des Jugendamts oder in einem berechtigten<br />

Eilfall 78 .<br />

3. Arbeitsförderung (SGB III)<br />

Im Arbeitsförderungsrecht sind für die Arbeit der freien Träger insbesondere § 37a<br />

SGB III (Beauftragung Dritter mit der Vermittlung) 79 , § 37c SGB III (Personal-Service-<br />

Agentur), § 48 SGB III (Maßnahmen der Eignungsfeststellung, Trainingsmasßnah-<br />

men), §§ 59 ff. SGB III (Förderung der Berufsausbildung, insbesondere § 61 SGB III:<br />

Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen), §§ 240 ff. SGB III (Förderung der<br />

Berufsausbildung und begleitende Eingliederungshilfen) sowie § 421 i SGB III<br />

(Beauftragung <strong>von</strong> Trägern mit Eingliederungsmaßnahmen) relevant.<br />

73 Zur Entwicklung des Meinungsstandes Knut Hinrichs, Selbstbeschaffung im Jugendhilferecht,<br />

2003, S. 27-107; Sauer, Gutachten DV, NDV l999, 238, 241 f.<br />

74 Bieritz-Harder, Die Babyklappe, RsDE 46 (2000), 33, 41-45; Sauer, Gutachten DV, NDV l999,<br />

238, 241 f.; Neumann, Subventionen oder Leistungsentgelte?, RsDE 31 (1995), 42, 57-60.<br />

75 BVerwGE 112, 98.<br />

76 Busse, Das Antragserfordernis in der Jugendhilfe, RsDE 53 (2003), 43, 53 f.; Stähr,<br />

Leistungserbringung durch Träger der freien Jugendhilfe, ZfJ 2002, 449, 454 f.; Grube,<br />

Kostenerstattung für die selbstbeschaffte Jugendhilfeleistung, ZfJ 2001, 288, 290 f. Ablehnend<br />

Knut Hinrichs, Selbstbeschaffung im Jugendhilferecht, 2003, S. 237-301. Vgl. dazu meine<br />

Besprechung in RsDE 55 (2003), 78.<br />

77 M. E. ist BVerwGE 112, 98 an diesem Punkt zwar nicht ganz klar, die genaue Lektüre zeigt aber,<br />

dass die Richter diese Grundsatzfrage nicht en passant mitentscheiden wollten.<br />

78 OVG Münster 14. 3. 2003 ZfJ 2003, 487, 488 f.; VG Minden 13. 1. 2000 ZfJ 2000, 314 f.<br />

79 § 37 a SGB III ist zum 01.01.2004 weggefallen durch das Dritte Gesetz für moderne<br />

Dienstleistungen am Arbeitsmarkt.<br />

24


a) Verhältnis leistungsberechtigter Bürger und Bundesagentur für Arbeit<br />

Neben Entgeltersatzleistungen enthält das SGB III Leistungen der aktiven<br />

Arbeitsförderung. Die Leistungen der aktiven Arbeitsförderung sind grundsätzlich als<br />

Ermessensleistung konzipiert. Die wenigen Ausnahmen sind in § 3 Abs. 5 SGB III<br />

aufgezählt. Der leistungsberechtigte Bürger hat daher gegen die Bundesagentur für<br />

Arbeit regelmäßig einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung und nur in<br />

wenigen Fällen einen Anspruch auf eine bestimmte Leistung. Eine dem Wunsch- und<br />

Wahlrecht des leistungsberechtigten Bürgers <strong>nach</strong> § 33 S. 2 SGB I entsprechende<br />

Norm kennt das SGB III nicht. Möglicherweise ist dieses Recht aber bei der<br />

Ausgestaltung der Ansprüche berücksichtigt worden. Im Einzelnen:<br />

Ein Anspruch besteht zum einen gem. § 35 SGB III für Ausbildungssuchende,<br />

Arbeitssuchende und Arbeitgeber auf Ausbildungs- oder Arbeitsvermittlung durch die<br />

Agentur für Arbeit. 80 Der Anspruch hat die Dienstleistung „Vermittlung“ als solche<br />

zum Inhalt, aber keinen konkreten Vermittlungserfolg. 81 Wie die Agentur für Arbeit die<br />

Vermittlungsaufgabe im Einzelnen durchführt, steht in ihrem Ermessen. 82 Sie kann<br />

<strong>nach</strong> § 37 a SGB III Dritte mit der Vermittlung beauftragen oder <strong>nach</strong> § 37 c SGB III<br />

Personal-Service-Agenturen (PSA) einrichten. Beauftragt die Agentur für Arbeit Dritte<br />

mit der Vermittlung und weist sie diesem Dritten Arbeitslose zu, kann der einzelne<br />

Arbeitslose gem. § 37 a Abs. 1 S. 2 SGB III der Zuweisung aus wichtigem Grund<br />

widersprechen, etwa bei erkennbarer Unzuverlässigkeit des Dritten, oder bei beson-<br />

deren Umständen im Verhältnis zwischen dem Arbeitslosen und dem Dritten. 83<br />

Andererseits kann die Initiative zur Einschaltung eines Dritten mit der Vermittlung<br />

auch vom Arbeitslosen ausgehen, vgl. § 37 a Abs. 2 SGB III. Im Rahmen dieses<br />

Verfahrens hat der Arbeitslose jedoch keinen Zugang zu dem Dritten und keinen<br />

Anspruch auf die Beauftragung eines bestimmten Dritten. 84 Vielmehr liegt es im<br />

Ermessen der Agentur für Arbeit, welchen Dritten sie <strong>nach</strong> § 37a SGB III mit der<br />

80<br />

vgl. auch Brand in Niesel, SGB III, § 35, Rdnr. 2.<br />

81<br />

Sienknecht in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 25,<br />

Rdnr. 29.<br />

82<br />

BSGE 58, 291, 297 f= SozR 4100 3 § 14 Nr. 5.<br />

83<br />

Brand in Niesel, SGB III, § 37 a, Rdnr. 2.<br />

84<br />

Die Möglichkeit einen bestimmten Dritten unabhängig <strong>von</strong> der Agentur für Arbeit selbst<br />

einzuschalten besteht für Arbeitslose bereits <strong>nach</strong> einer Arbeitslosigkeitsdauer <strong>von</strong> 3 Monaten.<br />

Dann nämlich haben sie gem. § 421 g SGB III Anspruch auf einen Vermittlungsgutschein mit dem<br />

sie einen Vermittlungsvertrag <strong>nach</strong> § 296 SGB III mit einem Vermittler ihrer Wahl eingehen<br />

können.<br />

25


Vermittlung des Arbeitslosen beauftragt. 85 Zwar schließt das Wunsch und Wahlrecht<br />

des Leistungsberechtigten <strong>nach</strong> § 33 SGB I auch die Auswahl des Leistungser-<br />

bringers mit ein. Dies ist aber durch § 37 a SGB III nicht gänzlich ausgeschlossen.<br />

Die Möglichkeit einen bestimmten Dritten unabhängig <strong>von</strong> der Agentur für Arbeit<br />

selbst einzuschalten besteht für Arbeitslose bereits <strong>nach</strong> einer Arbeitslosigkeitsdauer<br />

<strong>von</strong> 3 Monaten. Dann nämlich haben sie gem. § 421 g SGB III Anspruch auf einen<br />

Vermittlungsgutschein mit dem sie einen Vermittlungsvertrag <strong>nach</strong> § 296 SGB III mit<br />

einem Vermittler ihrer Wahl eingehen können. § 37 a SGB III steht ihrem Wunsch-<br />

und Wahlrecht daher nicht entgegen.<br />

Daneben haben Auszubildende einen Anspruch auf eine Berufsausbildungsbeihilfe<br />

während einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme <strong>nach</strong> § 59 SGB III i.V.m. §<br />

61 SGB III. Nach § 64 Abs. 2 SGB III wird verlangt, dass die Maßnahme zur Vorbe-<br />

reitung auf eine Berufsausbildung oder zur beruflichen Eingliederung erforderlich ist<br />

und die Fähigkeiten des Auszubildenden erwarten lassen, dass er das Ziel der<br />

Maßnahme erreicht. Um feststellen zu können, ob die Maßnahme für den<br />

Auszubildenden erforderlich ist, muss zunächst das Ziel festgelegt werden, dass<br />

durch die Förderung erreicht werden soll. Dieses ist anhand der Interessen und des<br />

Bedarfs des Auszubildenden zu ermitteln und dabei sind seine Wünsche zu ermitteln,<br />

wenn sie angemessen sind (§ 33 S. 2 SGB I). 86 Auch diese Regelung berücksichtigt<br />

also das Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen.<br />

Nach §§ 48 ff. können Arbeitslose und <strong>von</strong> Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmer<br />

bei Tätigkeiten und bei Teilnahme an Maßnahmen, die zur Verbesserung ihrer<br />

Eingliederungsaussichten beitragen, gefördert werden. Die Förderung einer<br />

Maßnahme setzt voraus, dass sie auf Vorschlag oder mit Einwilligung der Agentur für<br />

Arbeit erfolgt, § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB III. Da<strong>nach</strong> kann die Initiative zur Durchfüh-<br />

rung einer Maßnahme entweder <strong>von</strong> der Agentur für Arbeit ausgehen, indem sie dem<br />

Anspruchsberechtigten Maßnahmen vorschlägt, oder durch einen Antrag des<br />

Anspruchsberechtigten selbst erfolgen. In diesem Fall bedarf es der Einwilligung der<br />

Agentur für Arbeit. Ein Rechtsanspruch auf Förderung besteht jedoch nicht. 87 Die<br />

85<br />

Sienknecht in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 25,<br />

Rdnr. 61.<br />

86<br />

Niewald in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 3, Rdnr.<br />

107.<br />

87<br />

Stratmann in Niesel, SGB III, § 48, Rdnr. 9.<br />

26


Leistungen stehen <strong>nach</strong> dem Wortlaut der Vorschrift im Ermessen der Agentur für<br />

Arbeit. Dieses Ermessen ist auf zwei Stufen auszuüben, einmal dahingehend, ob die<br />

Förderung als solche gewährt wird und einmal hinsichtlich der Art und Höhe der<br />

Förderung. 88 Die zuständige Agentur für Arbeit verfügt damit sowohl über ein<br />

Entschließung- als auch über ein Auswahlermessen. 89 Für den Begünstigten besteht<br />

<strong>nach</strong> § 39 Abs. 1 S. 2 SGB I ein Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung des Er-<br />

messens. Die Maßnahmen müssen <strong>nach</strong> § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III insbesondere<br />

geeignet und angemessen sein. Bei der Beurteilung der Angemessenheit einer<br />

Maßnahme sind <strong>nach</strong> § 7 Abs. 1 SGB III wirtschaftliche Aspekte und individuelle<br />

Fähigkeiten der zu fördernden Personen zu berücksichtigen. Aus § 33 S. 2 SGB I<br />

folgt, dass den Wünschen des Berechtigten entsprochen werden soll, soweit sie<br />

angemessen sind.<br />

Grundsätzlich gilt für alle Leistungen der Arbeitsförderung das Antragserfordernis des<br />

§ 323 SGB III. Der Schenkel „Leistungsberechtigter – Sozialleistungsträger“ unter-<br />

scheidet sich damit kaum <strong>von</strong> dem vertrauten sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis.<br />

b) Verhältnis Bundesagentur für Arbeit - freier Träger<br />

Für die Beauftragung eines Dritten mit einer Vermittlungstätigkeit <strong>nach</strong> § 37 a SGB III<br />

enthält § 37 a Abs. 4 SGB III eine Kostenregelung, die besagt, dass für die Ver-<br />

mittlungstätigkeit des Dritten ein Honorar vereinbart werden kann und eine<br />

Pauschalierung zulässig ist. Die gleiche Kostenregelung findet sich in § 37 c Abs. 2<br />

S. 4 und 5 SGB III für die Tätigkeit der Personal-Service-Agenturen. Diese werden<br />

<strong>nach</strong> § 37 c Abs. 2 S. 1 SGB III in der Regel durch Vertrag zwischen der Agentur für<br />

Arbeit und bereits am Markt erlaubt tätigen Verleihern eingerichtet. Zwar ist unklar,<br />

ob hierbei ein zivilrechtlicher oder ein öffentlich-rechtlicher Vertrag gemeint ist, 90<br />

unabhängig da<strong>von</strong> gilt gem. § 37 c Abs. 2 S. 2 SGB III aber das <strong>Vergaberecht</strong>.<br />

Daraus könnte gefolgert werden, dass die Beauftragung Dritter <strong>nach</strong> § 37 a SGB III<br />

ebenfalls im Wege des <strong>Vergaberecht</strong>s erfolgt oder zumindest, dass die Vergütung<br />

88<br />

Vgl. dazu § 7 SGB III.<br />

89<br />

Bernard in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 9, Rdnr.<br />

55.<br />

90<br />

Kruse in Gagel, SGB III Arbeitsförderung, 20. EL Juli 2003, § 37 c, Rdnr. 12 f.<br />

27


auf gleiche Weise erfolgt. Nach § 37 c Abs. 2 S. 2 SGB III schließt die Agentur für<br />

Arbeit namens der Bundesagentur zur Errichtung einer Personal-Service-Agentur mit<br />

den Verleihern Verträge. Vertragsgegenstand ist die Einrichtung und der Betrieb<br />

einer PSA. Der Verleiher erhält ein Entgelt, das alle Leistungen der Agentur für Arbeit<br />

an die Personal-Service-Agentur umfasst. Weitere Leistungen der Arbeitsförderung<br />

wie z. B. Lohnkostenzuschüsse werden an die Personal-Service-Agentur nicht<br />

erbracht. 91 Auch bei Verträgen <strong>nach</strong> § 37 a SGB III kann der Vermittler eine<br />

Vergütung als Entgelt aufgrund seines Vertrages mit der Agentur für Arbeit erhalten<br />

(vgl. auch § 37 Abs. 3 n.F. SGB III 92 ).<br />

Nicht ausgeschlossen ist jedoch andererseits, dass eine Vermittlungsvergütung auch<br />

<strong>von</strong> Seiten des Arbeitslosen bzw. für den Arbeitslosen erfolgt. Dem Abschluss eines<br />

Vermittlungsvertrages <strong>nach</strong> § 296 SGB III steht nicht entgegen, dass § 296 SGB III in<br />

Abs. 3 hinsichtlich der Vergütung auf § 421 g SGB III verweist und § 421 g SGB III<br />

eine Vergütung ausschließt, wenn der Vermittler <strong>von</strong> einer Agentur für Arbeit mit der<br />

Vermittlung beauftragt worden ist (vgl. § 421 g Abs. 3 Nr. 1 SGB III). Denn § 296<br />

SGB III verweist nur bzgl. der Höhe der Vergütung auf § 421 g SGB III. Die<br />

Vorschrift sieht vielmehr auch für Arbeitssuchende, die keinen Anspruch auf einen<br />

Vermittlungsgutschein besitzen, eine Begrenzung des Honorars vor, um sie vor<br />

ungerechtfertigter Inanspruchnahme durch die privaten Arbeitsvermittler zu<br />

schützen. 93 Dass eine Beauftragung Dritter im Wege eines Vergabeverfahrens zu<br />

erfolgen hat ist daher keineswegs zwingend. Auch in § 37 a SGB III, bzw. in § 37 n.F.<br />

SGB III wäre der Abschluss <strong>von</strong> Leistungserbringungsverträgen daher möglich.<br />

Festzuhalten bleibt, dass das Gesetz nur in 37 c SGB III für die Leistungserbringung<br />

der freien Träger ein Vergabeverfahren vorsieht.<br />

Für berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen ergibt sich aus § 61 Abs. 1 Nr. 3 SGB<br />

III lediglich, dass die Maßnahme <strong>nach</strong> den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und<br />

Sparsamkeit geplant, im Auftrag der Agentur für Arbeit durchgeführt und die Kosten<br />

angemessen sein müssen. Zwar entstammen die Begriffe Wirtschaftlichkeit und<br />

91 So in der Gesetzesbegründung , BT-Drucks. 15/52, S. 28.<br />

92 § 37 n.F. SGB III entspricht inhaltlich § 37 a SGB III, der durch das dritte Gesetz für moderne<br />

Dienstleistungen am Arbeitsmarkt weggefallen ist.<br />

93 BT-Drucks. 14/8546, S. 7.<br />

28


Sparsamkeit dem öffentlichen Haushaltsrecht, dies besagt aber noch nichts über die<br />

Art der Leistungserbringung. Auch die §§ 59-76a SGB III enthalten keine weiteren<br />

Regelungen zur Leistungserbringung. Ob der Hinweis in § 61 Abs. 1 Nr. 3 SGB III auf<br />

die Durchführung der Maßnahme „im Auftrag der Agentur für Arbeit“ ein Indiz dafür<br />

sein kann, dass ein öffentlicher Auftrag i.S.v. § 99 GWB besteht, erscheint<br />

zweifelhaft. Ein öffentlicher Auftrag im Sinne des europäischen <strong>Vergaberecht</strong>s ist<br />

immer ein synallagmatischer und damit zweiseitig verpflichtender Vertrag. Ein<br />

Auftrag im Sinne des deutschen Zivilrechts kennzeichnet gerade einen einseitig<br />

verpflichtenden Vertrag. Wenn das Gesetz daher allgemein nur <strong>von</strong> einem Auftrag<br />

spricht, kann daraus nicht zwingend geschlossen werden, dass hiermit ein<br />

öffentlicher Auftrag gemeint sein soll. Gerade weil die Rechtsnatur beider Verträge<br />

unterschiedlich ist, kann ein öffentlicher Auftrag nur dann angenommen werden,<br />

wenn er als solcher hinreichend genau bezeichnet ist oder wenn die Rechtsnatur des<br />

Vertrages klar erkennbar ist und damit einen eindeutigen Rückschluss erlaubt.<br />

Beides ist vorliegend jedoch nicht der Fall.<br />

Ebenso enthält das Gesetz auch für Eingliederungsmaßnahmen <strong>nach</strong> §§ 48 ff. SGB<br />

III keine Regelung im Hinblick auf die Leistungserbringung. Für Eingliederungs-<br />

maßnahmen können <strong>nach</strong> § 48 Abs. 1 S. 2 SGB III zwar die Maßnahmekosten (§ 50<br />

SGB III) übernommen werden. Hiermit ist jedoch nicht die Leistungserbringung des<br />

Trägers gemeint, sondern nur die Sozialleistung an sich, die an den Arbeitslosen<br />

erfolgt.<br />

Leistungserbringungsrechtliche Regelungen finden sich hingegen in §§ 240 ff. SGB<br />

III und § 421 i SGB III.<br />

§ 240 SGB III bestimmt, dass Träger <strong>von</strong> Maßnahmen der beruflichen Ausbildung<br />

durch Zuschüsse gefördert werden können. Welche Maßnahmen und welche<br />

Auszubildenden förderungsfähig und –bedürftig sind, bestimmt sich <strong>nach</strong> §§ 241 f.<br />

SGB III. Für Träger können <strong>nach</strong> § 243 SGB III Zuschüsse zur Ausbildungsvergü-<br />

tung, die Maßnahmekosten sowie sonstige Kosten als Leistung seitens der BA<br />

erbracht werden. Wie die Kosten im Einzelnen <strong>von</strong> der BA übernommen werden,<br />

regelt das SGB III im Detail jedoch nicht. Die Förderung <strong>nach</strong> §§ 240 ff. SGB III ist<br />

29


als Ermessensleistung ausgestaltet. Ein Rechtsanspruch der Träger auf Förderung<br />

besteht also nicht. Die Leistungen werden auf Antrag gewährt.<br />

Schließlich regelt § 421 i Abs. 1 SGB III, dass die Agentur für Arbeit Träger <strong>nach</strong><br />

einem wettbewerblichen Vergabeverfahren mit der Durchführung <strong>von</strong> Maßnahmen<br />

beauftragen kann. Aus § 421 i Abs. 3 SGB III ergibt sich, dass ein Entgelt vertraglich<br />

zu vereinbaren ist und sich die Höhe des Entgelts <strong>nach</strong> den Aufwendungen des<br />

Trägers für die Durchführung der Maßnahme und dem Eingliederungserfolg bemisst.<br />

Zudem kann <strong>nach</strong> § 421 i Abs. 3 S. 2 SGB III für eine erfolgreiche Eingliederung ein<br />

Honorar vereinbart werden. Die Norm bezieht sich in erster Linie auf die<br />

Rechtstellung zwischen der Bundesagentur und den Trägern. Zwischen beiden soll<br />

ein sog. Integrationsvertrag 94 geschlossen werden. Dieser regelt den Erfolg der<br />

Maßnahme, z.B. die zu erreichende Eingliederungsquote und das Entgelt der Träger,<br />

das sich in seiner Höhe <strong>nach</strong> den Aufwendungen für die Durchführung der<br />

Maßnahme richtet, § 421 i Abs. 3 SGB III. Sofern die Quote zeitlich oder <strong>von</strong> der<br />

Teilnehmermenge her über- oder unterschritten wird, ist entweder <strong>von</strong> der Agentur<br />

für Arbeit ein Bonus oder vom Träger eine Vertragsstrafe zu zahlen. 95 Auch wenn die<br />

Rechtsnatur des Vertrages nicht eindeutig geklärt ist, zeigen die Regelungen<br />

deutlich, dass es sich hier um einen entgeltlichen Vertrag handelt.<br />

Der Anwendungsbereich <strong>von</strong> § 421 i SGB III ist einerseits weit und andererseits eng.<br />

Er ist weit, weil die Norm sich auf alle Maßnahmen des SGB III erstreckt, welche die<br />

Eignungsvoraussetzungen <strong>von</strong> Absatz 1 Nr. 1 erfüllen. Er ist eng, weil die Norm eine<br />

zeitlich befristete Experimentierklausel ist. Es sollen Erfahrungen mit der Vergabe<br />

<strong>von</strong> Maßnahmen gesammelt werden. Daraus folgt, dass § 421 i SGB III nicht zu<br />

einem flächendeckenden Umbau des Leistungserbringungsrechts in ein<br />

vergaberechtliches Modell ermächtigt.<br />

Zusammenfassend ist festzustellen, dass das SGB III den Abschluss <strong>von</strong><br />

Rahmenverträgen nicht explizit vorschreibt. Der „leistungserbringungsrechtliche“<br />

Schenkel kann daher nicht ohne weiteres mit dem sozialrechtlichen Grundmodel<br />

gleichgesetzt werden.<br />

94 So die Formulierung in der Gesetzesbegründung: BT-Drucks. 15/25, S. 33 f.<br />

95 Spellbrink in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 23a,<br />

Rdnr. 17.<br />

30


c) Dreiecksverhältnis oder „Einkaufsmodell“?<br />

Durch die Anordnung <strong>von</strong> Vergabeverfahren in § 37 c und § 421 i SGB III wird in<br />

den beschriebenen Grenzen die Leistungserbringung in Form <strong>von</strong> Verträgen über<br />

bestimmte Leistungskontingente geregelt. Der Staat „kauft“ dabei notwendige<br />

Ressourcen zur Erfüllung seiner öffentlichen Aufgaben durch den Abschluss <strong>von</strong><br />

Leistungsverträgen mit Dritten ein und das Entgelt ist der zu zahlende Preis als<br />

Gegenleistung. 96 Unschädlich ist dabei, dass nicht die einzelnen Maßnahmen<br />

ausgeschrieben werden, sondern die erfolgreiche Eingliederung <strong>von</strong> Teilnehmern als<br />

Zielvorgabe, etwa in Form einer Eingliederungsquote, deren Erreichen der Träger als<br />

Vertragspartner zusagt. Die Norm bezweckt die Eingliederung <strong>von</strong> Arbeitslosen<br />

durch Abschluss eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. 97<br />

Durch die bloße Zielvorgabe ist das neue Instrument in erster Linie wirkungsorientiert<br />

und nicht inhaltsorientiert. 98 Träger werden dadurch mit der Ausschreibung<br />

aufgefordert, Konzepte zur Eingliederung bestimmter vorgegebener Gruppen <strong>von</strong><br />

Arbeitslosen vorzulegen. Wenn so Verträge über Leistungskontingente abge-<br />

schlossen werden, ist kein Dreiecksverhältnis gegeben.<br />

Zu klären bleibt das Rechtsverhältnis bei den übrigen zu untersuchenden Normen.<br />

Wie bereits festgestellt wurde ist die Leistungserbringung im SGB III nicht aus-<br />

drücklich und eindeutig geregelt worden.<br />

Der ausdrückliche Verweis auf das <strong>Vergaberecht</strong> in §§ 37 c und 421 i SGB III lässt<br />

im Umkehrschluss darauf schließen, dass in anderen Fällen kein „Einkaufsmodell“<br />

vorgesehen ist. Der Ausnahmecharakter dieser Art <strong>von</strong> Verträgen (über Leistungs-<br />

kontingente) wird dadurch deutlich, dass § 421 i SGB III eine „Experimentierklausel“<br />

darstellt. Die Regelung wurde zunächst nur für einen Erprobungszeitraum eingeführt,<br />

nämlich für Maßnahmen, die bis zum 31. Dezember 2005 begonnen haben. Der<br />

Gesetzgeber geht da<strong>von</strong> aus, dass in dem Maße, in dem das neue Förderinstrument<br />

positive Wirkungen zu wirtschaftlichen Bedingungen erzielt, d.h. hohe Eingliede-<br />

96<br />

Vgl. dazu Neumann/Bieritz-Harder, Vergabe öffentlicher Aufträge in der Sozial- und Jugendhilfe?<br />

RsDE 48/2001, 1, 18.<br />

97<br />

Spellbrink in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 23a,<br />

Rdnr. 9.<br />

98<br />

Gesetzesbegründung: BT-Drucks. 15/25, S. 33 f.; Spellbrink in Spellbrink/Eicher, Kasseler<br />

Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 23a, Rdnr. 10.<br />

31


ungserfolge erreicht, bei den Arbeitsämtern zumindest teilweise an die Stelle der<br />

sonst üblicherweise genutzten Instrumente treten wird. 99 Aus der Gesetzesbegrün-<br />

dung wird damit deutlich, dass sonst andere Instrumente als das Vergabeverfahren<br />

üblich sind. Wenn Vergabeverfahren also erst erprobt werden sollen ist es nahe<br />

liegend, bei allen anderen Maßnahmen gerade nicht vom sog. „Einkaufsmodell“ aus-<br />

zugehen.<br />

Darüber hinaus gewährleistet die Leistungserbringung im Dreiecksverhältnis nicht<br />

nur die optimalste Beteiligung freier Träger, die § 17 Abs. 3 SGB I gebietet, sondern<br />

berücksichtigt auch die Wunsch und Wahlrechte der Leistungsberechtigten aus § 33<br />

S. 2 SGB I.<br />

Das Dreiecksverhältnis selbst ist dem SGB III nicht fremd, sondern eindeutig bei der<br />

Förderung der beruflichen Weiterbildung, im Zusammenhang mit Bildungsgut-<br />

scheinen <strong>nach</strong> §§ 77 ff. SGB III angelegt. Da<strong>nach</strong> erhält der Arbeitnehmer einen<br />

Bildungsgutschein, mit dem er sich einen Träger für die <strong>Erbringung</strong> der Leistung<br />

aussuchen kann. Nach § 77 Abs. 3 SGB III legt der ausgewählte Träger vor Beginn<br />

der Maßnahme der Agentur für Arbeit den Bildungsgutschein vor und diese<br />

übernimmt die Kosten.<br />

Letztendlich spricht vieles dafür, auch im SGB III das sozialrechtliche Dreiecksver-<br />

hältnis dort anzunehmen, wo eine gegenteilige Regelung fehlt.<br />

4. Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II)<br />

a) Leistungen und Leistungsträger<br />

aa) Agenturen für Arbeit<br />

Die Agenturen für Arbeit können gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 SGB II als Leistungen zur<br />

Eingliederung alle im Dritten Kapitel, im Ersten bis Siebten Abschnitt des Vierten<br />

Kapitels, im Ersten und Zweiten Abschnitt des Fünften Kapitels sowie die im Ersten,<br />

99 Gesetzesbegründung: BT-Drucks. 15/25, S. 34.<br />

32


Fünften und Siebten Abschnitt des Sechsten Kapitels und die in den §§ 417, 421g,<br />

421i, 421k und 421l des Dritten Buches (SGB III) geregelten Leistungen erbringen.<br />

Relevant für die Arbeit der freien Träger sind insbesondere § 37a SGB III<br />

(Beauftragung Dritter mit der Vermittlung), § 37c SGB III (Personal-Service-Agentur),<br />

§ 48 SGB III (Maßnahmen der Eignungsfeststellung, Trainingsmaßnahmen), §§ 59 ff.<br />

SGB III (Förderung der Berufsausbildung, hier insbesondere § 61 SGB III (Berufs-<br />

vorbereitende Bildungsmaßnahmen), §§ 240 ff. SGB III (Förderung der Berufsausbil-<br />

dung und Eingliederungshilfen, die die Beschäftigung begleiten) sowie § 421i SGB<br />

III (Beauftragung <strong>von</strong> Trägern mit Eingliederungsmaßnahmen).<br />

bb) Kommunen als „geborene“ Leistungsträger<br />

§ 16 Abs. 2 SGB II erweitert das Leistungsspektrum. Da<strong>nach</strong> können weitere<br />

Leistungen erbracht werden, die für die Eingliederung des erwerbsfähigen Hilfebe-<br />

dürftigen in das Erwerbsleben erforderlich sind. Dazu gehören diese für freie Träger<br />

besonders relevanten Leistungen: Die Betreuung minderjähriger oder behinderter<br />

Kinder oder die häusliche Pflege <strong>von</strong> Angehörigen (§ 16 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 SGB II),<br />

die Schuldnerberatung (Nr. 2), die psychosoziale Betreuung (Nr. 3) und die Sucht-<br />

beratung (Nr. 4). Träger dieser Leistungen sind gemäß § 6 Nr. 2 SGB II die<br />

kreisfreien Städte und Kreise (kommunale Träger).<br />

cc) Kommunen als „selbsterkorene“ Leistungsträger<br />

Der Vermittlungsausschuss hat die „Option kommunaler Trägerschaft“ (§ 6a SGB II)<br />

durchgesetzt. Da<strong>nach</strong> sind die kreisfreien Städte und Kreise auf ihren Antrag und mit<br />

Zustimmung der zuständigen obersten Landesbehörde anstelle der Agenturen für<br />

Arbeit vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit durch Rechtsverordnung als<br />

Träger der Aufgaben <strong>nach</strong> SGB II zuzulassen. Das Nähere soll ein Bundesgesetz<br />

regeln.<br />

Es liegt auf der Hand, dass keine Kommune <strong>von</strong> dieser Option Gebrauch machen<br />

würde, wenn die Aufgaben aus dem Gemeindehaushalt finanziert werden müssten.<br />

Deshalb bestimmt § 46 Abs. 1 S. 3 SGB II, dass das erwähnte Bundesgesetz in den<br />

Fällen des § 6a SGB II die Finanzierung so regeln soll, wie die Sätze 1 und 2 die<br />

33


Finanzierung der Bundesagentur regeln: Der Bund trägt die Aufwendungen und<br />

erstattet die Verwaltungskosten. Der Entwurf „Kommunales Optionsgesetz“ vom 25.<br />

2. 2004 sieht in § 46 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB II vor, dass der Bund die Aufwendungen<br />

der zugelassenen kommunalen Träger trägt und ihnen die Verwaltungskosten<br />

erstattet. Das ist eine verfassungsrechtlich brisante Regelung. Denn der Bund darf<br />

den Kommunen, die ja Bestandteil der Länder sind, unmittelbar keine Zuwendungen<br />

gewähren 100 . Daran ändert Art. 104a Abs. 3 GG nichts, der bestimmt, dass bei<br />

Leistungsgesetzen der Bund die Geldleistungen zu tragen hat. Denn diese Regelung<br />

betrifft das Verhältnis Bund-Länder und nicht das Verhältnis Bund-Gemeinden. Art.<br />

104a Abs. 4 GG und Art. 106 Abs. 8 S. 1 GG sind zwei Ausnahmen <strong>von</strong> dem Grund-<br />

satz, dass der Bund keine Ausgaben der Gemeinden refinanzieren darf. Beide<br />

Ausnahmen sind hier nicht einschlägig.<br />

Dem Vermittlungsausschuss verdankt sich eine weitere Bestimmung, nämlich die<br />

Einrichtung <strong>von</strong> Arbeitsgemeinschaften, die die Aufgaben der Agentur für Arbeit<br />

wahrnehmen. § 44b Abs. 3 S. 2 SGB II bestimmt, dass die kommunalen Träger der<br />

Arbeitsgemeinschaft „die Wahrnehmung ihrer Aufgaben <strong>nach</strong> diesem Buch<br />

übertragen (sollen)“. Die für eine verwaltungsorganisationsrechtliche Regelung<br />

seltene Wortwahl „sollen“ zeigt an, dass dem Gesetzgeber bei dieser Regelung<br />

unwohl war. In der Tat ist die organisatorische Zwangsverbindung einer kommunalen<br />

Selbstverwaltungskörperschaft mit einer Bundesagentur in Ansehung <strong>von</strong> Art. 28<br />

Abs. 2 GG staatsorganisationsrechtlich delikat. Jedenfalls muss § 44b Abs. 3 S. 2<br />

SGB II so gelesen werden, dass zu den „Aufgaben <strong>nach</strong> diesem Buch“ nicht die<br />

originären Aufgaben <strong>nach</strong> § 16 Abs. 2 SGB II gehören.<br />

b) Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung und Wunsch- und<br />

Wahlrecht<br />

§ 16 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 SGB II stellen ausdrücklich klar, dass es sich bei<br />

allen genannten Leistungen um Ermessensleistungen handelt. Deshalb ist der<br />

Agentur für Arbeit auch dann Ermessen eingeräumt, wenn das SGB III ausnahms-<br />

weise einen Rechtsanspruch auf die Maßnahme gewährt. Gemäß § 39 Abs. 1 S. 1<br />

SGB I haben die Agenturen für Arbeit bzw. die kommunalen Träger ihr Ermessen<br />

100 BVerfGE 39, 96, 122; 41, 291, 313 f.<br />

34


entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen<br />

Grenzen des Ermessens einzuhalten. Satz 2 gewährt den Begünstigten einen<br />

Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens, so dass nicht auf die<br />

Schutznormtheorie zurückgegriffen werden muss. Den Wünschen der Berechtigten<br />

„soll“ gemäß § 33 S. 2 SGB I entsprochen werden, soweit sie angemessen sind.<br />

Auch hier gilt der Grundsatz, dass im Regelfall die gesollte Handlung vorzunehmen<br />

ist und nur beim Vorliegen atypischer Umstände da<strong>von</strong> abgewichen werden darf. §<br />

37 Abs. 1 SGB II bestimmt, dass die Leistungen der Grundsicherung auf Antrag<br />

erbracht werden. Aus § 39 SGB II folgt, dass über den Antrag durch Verwaltungsakt<br />

entschieden wird. Der Schenkel „Leistungsberechtigter – Sozialleistungsträger“<br />

unterscheidet sich nicht <strong>von</strong> dem vertrauten sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis.<br />

c) Träger der Leistungen – freie Träger<br />

aa) Ein Redaktionsversehen<br />

§ 17 SGB II in der derzeit geltenden Fassung regelt das Verhältnis der Agenturen für<br />

Arbeit zu den Einrichtungen und Diensten für Leistungen zur Eingliederung. Es fällt<br />

auf, dass die kommunalen Träger keine Erwähnung finden. Es handelt sich um ein<br />

Redaktionsversehen. Der Regierungsentwurf ging noch da<strong>von</strong> aus, dass für die<br />

Leistungen des SGB II ausschließlich die Agenturen für Arbeit zuständig sind. Erst<br />

durch den Vermittlungsausschuss wurden die geltenden Zuständigkeitsregelungen<br />

der §§ 6 und 6a SGB II eingefügt. Der Entwurf des „Kommunalen Optionsgesetzes“<br />

ersetzt denn auch die Wörter „die Agenturen für Arbeit“ durch die Wörter „die<br />

zuständigen Träger der Leistungen <strong>nach</strong> diesem Buch“.<br />

bb) Institutioneller Vorrang<br />

§ 17 Abs. 1 S. 1 SGB II trifft eine Regelung, die sich an § 75 Abs. 2 S. 1 SGB XII<br />

orientiert: Die zuständigen Träger der Leistungen sollen zur <strong>Erbringung</strong> <strong>von</strong><br />

Leistungen zur Eingliederung in Arbeit eigene Einrichtungen und Dienste nicht neu<br />

schaffen, soweit geeignete Einrichtungen und Dienste Dritter vorhanden sind, ausge-<br />

baut oder in Kürze geschaffen werden können. Der Regierungsentwurf spricht <strong>von</strong><br />

einem „Zurückhaltungsgebot“ und bestimmt die „Dritten“ als kommunale Träger und<br />

35


Träger der freien Wohlfahrtspflege, „aber auch“ als „sonstige Träger“ 101 . Die<br />

Nennung der kommunalen Träger als „Dritte“ machte nur Sinn, solange die Agentur<br />

für Arbeit ausschließlicher Leistungsträger war. Dritte sind heute nur noch die freie<br />

Wohlfahrtspflege und die „sonstigen Träger“.<br />

cc) Leistungserbringungsvertrag<br />

§ 17 Abs. 2 SGB II entspricht § 75 Abs. 3 S. 1 und 2 SGB XII. Die Grundregel in Satz<br />

1 lautet, dass die zuständigen Träger der Leistungen zur Vergütung für die Leistung<br />

nur verpflichtet sind, wenn mit dem Dritten oder seinem Verband die genannten<br />

Vereinbarungen bestehen, die – Satz 2 – den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit,<br />

Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit entsprechen müssen. Damit wird das sozial-<br />

rechtliche Dreiecksverhältnis als Grundmodell der Leistungsabwicklung in den Rege-<br />

lungsbereich des SGB II übernommen: Der Leistungsträger gewährt die Leistung<br />

durch Bewilligungsbescheid (Erklärung der Kostenübernahme). Der Leistungsbe-<br />

rechtigte schließt mit dem Leistungserbringer einen privatrechtlichen Vertrag. Die<br />

Rechtsbeziehungen zwischen Leistungsträger und –erbringer werden in einem<br />

Leistungserbringungsvertrag geregelt.<br />

Dem steht nicht entgegen, dass § 17 Abs. 2 SGB II im Vergleich mit §§ 75-81 SGB<br />

XII eine recht rudimentäre Regelung ist und insbesondere eine mit § 77 SGB XII<br />

vergleichbar dichte Regelung des Abschlusses der Vereinbarungen fehlt. Die bis zum<br />

„Haushaltsbegleitgesetz 1984“ geltende Regelung des § 93 Abs. 2 BSHG a. F. war<br />

noch rudimentärer: „Werden im Einzelfall Einrichtungen anderer Träger in Anspruch<br />

genommen, sind Vereinbarungen über die <strong>von</strong> den Trägern der Sozialhilfe zu<br />

erstattenden Kosten anzustreben, soweit darüber keine landesrechtlichen<br />

Vorschriften bestehen“. Die Kargheit dieser Norm hatte die Rechtsprechung nicht<br />

gehindert, die Grundlinien der heute noch geltenden Dogmatik des Leistungser-<br />

bringungsrechts der Sozialhilfe zu entwickeln: Vereinbarung als öffentlich-rechtlicher<br />

Vertrag, Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung über den Abschluss einer<br />

Vereinbarung, keine Angebotssteuerung durch Bedarfsprüfung, aber auch keine<br />

Belegungsgarantie 102 . Es ist zu erwarten, dass die künftige Rechtsprechung zu § 17<br />

101 BT-Drucks. 15/1516, S. 55.<br />

102 Grundlegend OVG Hamburg 12. 9. 1980 FEVS 31 (1981), 404.<br />

36


Abs. 2 SGB II auf diese Grundlinien zurückgreifen und auch Anleihen bei §§ 75 ff.<br />

SGB XII, in denen diese Grundlinien verarbeitet sind, machen wird.<br />

dd) Ausnahmen vom Abschluss <strong>von</strong> Leistungserbringungsverträgen<br />

§ 17 Abs. 2 S. 1 SGB II ordnet eine Ausnahme vom Abschluss <strong>von</strong> Vereinbarungen<br />

für den Fall an, dass im SGB III Anforderungen geregelt sind, „denen die Leistung<br />

entsprechen muss“. Eine strikt am Wortlaut orientierte Auslegung führt zu einem<br />

sinnlosen Ergebnis, da jede Sozialleistung <strong>von</strong> der Erfüllung irgendwelcher Anforde-<br />

rungen abhängig ist. Das folgt bereits aus dem sozialrechtlichen Vorbehalt des<br />

Gesetzes (§ 31 SGB I). In der Begründung des Regierungsentwurfs heißt es hierzu:<br />

„Erfüllen Dritte Aufgaben <strong>nach</strong> dem Dritten Buch, bedarf es keiner Vereinbarung<br />

<strong>nach</strong> dieser Vorschrift“. Nun sind aber alle Leistungen <strong>nach</strong> § 16 Abs. 1 SGB II<br />

solche des SGB III und bei den Leistungen <strong>nach</strong> § 16 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 und 6 SGB II<br />

werden keine Vereinbarungen abgeschlossen. Auch auf § 16 Abs. 3 SGB II passt die<br />

Vorschrift nicht. Die einzige Auslegung, die der Ausnahmeregelung einen Anwen-<br />

dungsbereich sichert, ist diese: Die Pflicht zur Vergütung und der damit verbundene<br />

Abschluss <strong>von</strong> Vereinbarungen gilt nicht, wenn das SGB III Anforderungen regelt,<br />

denen die <strong>Erbringung</strong> der Leistung entsprechen muss. Wenn also die Leistungs-<br />

erbringung im SGB III ausdrücklich geregelt ist, gehen diese Regelungen dem § 17<br />

Abs. 2 SGB II vor.<br />

Es wurde dargelegt, dass bei den Leistungen <strong>nach</strong> § 37a SGB III der Abschluss <strong>von</strong><br />

Leistungserbringungsverträgen möglich ist (A IV 3 b). § 37a SGB III und § 17 Abs. 2<br />

SGB II ergänzen sich.<br />

§ 48 Abs. 1 S. 2 SGB III spricht zwar <strong>von</strong> einer „Übernahme <strong>von</strong> Maßnahmekosten“,<br />

meint damit aber die Leistung an den Arbeitslosen 103 . Da die Leistungserbringung<br />

nicht geregelt ist, sind Vereinbarungen <strong>nach</strong> § 17 Abs. 2 SGB II abzuschließen.<br />

Was die Leistungen <strong>nach</strong> §§ 59-76a SGB III anbelangt, so könnten die Worte „im<br />

Auftrag der Agentur für Arbeit“ in § 61 Nr. 3 SGB III eine leistungserbringungs-<br />

103 § 79 Abs. 2 s. 1 SGB III bestimmt, dass die Agentur für Arbeit Weiterbildungskosten unmittelbar<br />

an den Träger der Maßnahme auszahlen kann. Diese Bestimmung bestätigt, dass die Übernahme<br />

<strong>von</strong> Kosten die Sozialleistung betrifft, aber nicht die Leistungserbringung.<br />

37


echtliche Bestimmung sein. Dass das Wort „Auftrag“ nicht als „öffentlicher Auftrag“<br />

im Sinne <strong>von</strong> § 99 GWB verstanden werden darf, wurde oben dargelegt (A IV 3 b).<br />

Der 5. Abschnitt des 4. Kapitels handelt über Leistungen und vermeidet geflissentlich<br />

Aussagen zur Leistungserbringung. Das spricht dafür, auch das Wort „Auftrag“ im<br />

Sinne eines „Auftrags“ im konkreten Einzelfall zu verstehen. Der „Auftrag“ im Sinne<br />

<strong>von</strong> § 61 Nr. 3 SGB III hat also die Funktion, die im sozialrechtlichen Dreieck der<br />

Kostenzusage zukommt. Also ist ein Abschluss <strong>von</strong> Leistungserbringungsverträgen<br />

<strong>nach</strong> § 17 Abs. 2 SGB II angezeigt.<br />

§ 421i Abs. 1 SGB III bestimmt, dass die Agentur für Arbeit Träger <strong>nach</strong> einem<br />

wettbewerbsrechtlichen Vergabeverfahren mit der Durchführung <strong>von</strong> Maßnahmen<br />

beauftragen „kann“. Das damit eingeräumte Ermessen muss pflichtgemäß ausgeübt<br />

werden. Zu entscheiden ist, ob das Vergabeverfahren durchgeführt wird oder<br />

Leistungserbringungsverträge <strong>nach</strong> § 17 Abs. 2 SGB II abgeschlossen werden.<br />

Zweck der Regelung ist, der Arbeitsverwaltung zu ermöglichen, Erfahrungen mit<br />

Vergabeverfahren zu sammeln. Dabei ist andererseits aber immer auch zu prüfen, ob<br />

und wie die Rechte der Leistungsberechtigten und die Grundrechte der freien Träger<br />

gewahrt werden können. § 421i SGB III ist jedenfalls keine Ermächtigung zu einer<br />

flächendeckenden Vergabepraxis.<br />

Eine ausdrückliche leistungserbringungsrechtliche Regelung, die für einen Abschluss<br />

<strong>von</strong> Verträgen <strong>nach</strong> § 17 Abs. 2 SGB II keinen Raum lässt, ist § 37c Abs. 2 S. SGB<br />

III, der die Geltung des <strong>Vergaberecht</strong>s vorschreibt.<br />

Auch die §§ 240, 248 SGB III regeln die Leistungserbringung, wenn auch in etwas<br />

zweifelhafter Weise (Förderung der Maßnahmeträger durch Zuschüsse, deren<br />

Gewährung im „Kann-Ermessen“ der Arbeitsverwaltung steht) 104 . Also ist auch hier §<br />

17 Abs. 2 SGB II nicht anwendbar.<br />

Der Entwurf des „Kommunalen Optionsgesetzes“ ersetzt auch in § 17 Abs. 2 SGB II<br />

die Wörter „Agentur für Arbeit“ durch die Wörter „Träger der Leistungen <strong>nach</strong> diesem<br />

Buch“. Wenn diese Änderung Gesetz wird, sind auch die zugelassenen kommunalen<br />

104 Bernard in: Wolfgang Spellbrink / Wolfgang Eicher (Hrsg.), Kassler Handbuch des<br />

Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 17 Rn. 50 berichtet, dass die „Fehlbedarfsfinanzierung“<br />

praktiziert werde.<br />

38


Träger bei den Leistungen <strong>nach</strong> § 16 Abs. 1 SGB II in gleichem Umfang wie die<br />

Agentur für Arbeit vom Abschluss <strong>von</strong> Vereinbarungen freigestellt.<br />

ee) Anspruch auf Abschluss einer Leistungserbringungsvereinbarung<br />

Wenn das SGB III dem Abschluss <strong>von</strong> Vereinbarungen nicht entgegensteht, ist die<br />

Übernahme der Vergütung für die Leistung vom Bestehen einer Vereinbarung<br />

abhängig. Vereinbarungen dienen der Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit der<br />

<strong>Erbringung</strong> der Leistung im Interesse sowohl des Sozialleistungsträgers als auch des<br />

Sozialleistungsberechtigten. Sie dienen aber in gleichem Maße dem Interesse des<br />

freien Trägers. Dies schon deshalb, weil sie die Abrechnung zwischen dem Sozial-<br />

leistungsträger und dem freien Träger erleichtern und ihren Rechtsbeziehung eine<br />

gewisse Dauer, Berechenbarkeit und Verlässlichkeit verleihen 105 . Vor allem ist der<br />

Abschluss einer Vereinbarung die Voraussetzung für die Ausübung des Berufes.<br />

Deshalb hat der freie Träger einen Rechtsanspruch auf den Abschluss einer<br />

Vereinbarung, wenn er für die <strong>Erbringung</strong> der Leistung geeignet ist.<br />

ff) Institutionelle Förderung<br />

§ 17 Abs. 1 S. 2 SGB II, wo<strong>nach</strong> die Träger der Leistungen die Träger der freien<br />

Wohlfahrtspflege in ihrer Tätigkeit auf dem Gebiet der Grundsicherung für<br />

Arbeitsuchende angemessen unterstützen sollen, geht auf einen Beschluss des<br />

Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit zurück 106 . Die Vorschrift bestätigt, dass das<br />

SGB II das sozialhilferechtliche Modell der Kooperation <strong>von</strong> öffentlichen und freien<br />

Trägern jedenfalls in seinen Grundrissen übernimmt. Mit der Formulierung „ihrer<br />

Tätigkeit“ wird die Anerkennung als Träger eigener sozialer Aufgaben ausge-<br />

sprochen. Die Unterstützungspflicht kommt auch dort zum Tragen, wo das SGB III<br />

lediglich Zuschüsse an die Maßnahmeträger vorsieht. Die Unterstützung steht – im<br />

Unterschied etwa zur Kann-Bestimmung des § 240 SGB III – im Soll-Ermessen der<br />

Agentur für Arbeit. Wenn nicht atypische Umstände vorliegen, bedeutet das Soll ein<br />

Muss 107 .<br />

105 BVerwGE 94, 202, 207 = RsDE 25 (1994), 70, 72.<br />

106 BT-Drucks. 15/1728, S. 181.<br />

107 BVerwGE 90, 275, 278; 64, 318, 323; 56, 220, 223.<br />

39


5. Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen<br />

a) Leistungsberechtigter behinderter Mensch – Agentur für Arbeit<br />

Der Siebte Abschnitt des Dritten Kapitels des SGB III enthält in den §§ 97-115 SGB<br />

III zahlreiche Leistungen für behinderte Menschen. Die §§ 97 ff. SGB III wurden<br />

durch Art. 3 SGB IX vom 19. 6. 2001 bereinigt und an den Sprachgebrauch des SGB<br />

IX angepasst. Die Leistungen sind – was in der Literatur nicht unbestritten ist 108 – als<br />

Ermessensleistungen gestaltet (§§ 97, 98 SGB III). Auf die pflichtgemäße Ausübung<br />

des Ermessens besteht ein Rechtsanspruch (§ 39 Abs. 1 S. 2 SGB I). Ein Teil dieser<br />

Leistungen wird <strong>von</strong> freien Trägern erbracht.<br />

§ 33 SGB I normiert in Satz 1 das Individualisierungsprinzip und in Satz 2 das<br />

Wunsch- und Wahlrecht. § 9 Abs. 1 SGB IX hat hingegen die entgegengesetzte<br />

Regelungstechnik: Satz 1 regelt das Wunsch- und Wahlrecht, die Sätze 2 und 3<br />

schließen daran („Dabei“) das Individualisierungsprinzip an. Der Grund für diese<br />

Umkehrung wird in den entstehungsgeschichtlichen Materialien genannt. Das<br />

Wunsch- und Wahlrecht soll die Eigenverantwortung behinderter Menschen stärken<br />

und ihnen bei der Ausführung der Leistungen einen möglichst weitgehenden Raum<br />

zur eigenverantwortlichen Gestaltung ihrer Lebensumstände belassen 109 . Die<br />

Geschichte des Behindertenrechts lehrt, dass Sozialbürokratien sich oft genug die<br />

Entscheidung anmaßten, was das „wohlverstandene Interesse“ des behinderten<br />

Menschen sei. Deshalb wurde die Umkehrung vorgenommen, die mit der Erwartung<br />

verbunden wurde, das Wunsch- und Wahlrecht werde den Abschied <strong>von</strong> „über-<br />

kommenen paternalistischen Herangehensweisen in der Behindertenpolitik“ einleiten.<br />

§ 9 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 SGB IX („im Übrigen gilt § 33 des Ersten Buches“) stellt klar,<br />

dass § 33 S. 2 SGB I „im Übrigen“ nicht durchbrochen werden soll. Daraus folgt im<br />

Umkehrschluss, dass die Regelungen in Satz 1 und 2 des § 9 Abs. 1 SGB IX sehr<br />

wohl eine Abweichung <strong>von</strong> § 33 SGB I enthalten, die <strong>nach</strong> der lex posterior Regel<br />

vorgeht. Diese Abweichung ist die oben dargelegte Umkehrung des Verhältnisses<br />

108 Zum Meinungsstand Voelzke in: Volker Neumann, Rehabilitation und Teilhabe behinderter<br />

Menschen. Handbuch SGBl IX, 2004, § 11 Rn. 187.<br />

109 BT-Drucks. 14/5074, S. 94.<br />

40


<strong>von</strong> Individualisierung und Wünschen. Nur „im Übrigen“ will das SGB IX nicht <strong>von</strong> §<br />

33 SGB I abweichen.<br />

Für die <strong>von</strong> der Bundesagentur zu gewährenden Rehabilitationsmaßnahmen sind<br />

verfahrensrechtlich die §§ 323 ff. SGB III zu beachten. Die Bewilligung der Leistung<br />

setzt <strong>nach</strong> §§ 321 Abs. 1, 324 Abs. 1 SGB III eine vorherige Antragstellung<br />

voraus 110 . Die Bewilligung erfolgt durch Verwaltungsakt.<br />

b) Agentur für Arbeit – Rehabilitationseinrichtungen<br />

aa) Strukturverantwortung<br />

§ 19 Abs. 1 S. 1 SGB IX bestimmt, dass die Rehabilitationsträger gemeinsam und<br />

unter Beteiligung der Bundesregierung und der Landesregierungen darauf hinwirken,<br />

dass die fachlich und regional erforderlichen Rehabilitationsdienste und –einrich-<br />

tungen in ausreichender Zahl und Qualität zur Verfügung stehen. Im Vergleich mit §<br />

17 Abs. 1 Nr. 2 SGB I fallen drei Punkte auf: Der Gesetzgeber legt die Struktur-<br />

verantwortung nicht einem Sozialleistungsträger allein, sondern allen möglicherweise<br />

beteiligten Leistungsträgern gemeinsam auf (1). Bei der Umsetzung des Sicher-<br />

stellungsauftrags sind die Bundesregierung und die Landesregierungen zu<br />

beteiligen. Die durch die Beteiligung erlangten Informationen sollen den Regierungen<br />

ermöglichen, im Fall <strong>von</strong> Defiziten Haushaltsmittel für die <strong>nach</strong> § 19 Abs. 5 SGB IX<br />

mögliche Förderung <strong>von</strong> Rehabilitationseinrichtungen zur Verfügung zu stellen (2) 111 .<br />

Gemäß § 19 Abs. 1 S. 3 SGB IX werden die Verbände behinderter Menschen<br />

einschließlich der Verbände der freien Wohlfahrtspflege, Selbsthilfegruppen,<br />

Interessenvertretungen und bestimmte Spitzenverbände in die Wahrnehmung der<br />

Strukturverantwortung eingebunden (3).<br />

§ 19 Abs. 4 S. 1 SGB IX steht in einem engen Zusammenhang mit der Struktur-<br />

verantwortung. Er bestimmt, dass die Rehabilitationsträger die Leistungserbringer<br />

da<strong>nach</strong> auswählen, wer die Leistung „in der am besten geeigneten Form ausführen<br />

kann“. Es geht hier um die Eignung im Einzelfall. Die geforderte Berücksichtigung<br />

110 Voelzke in: Volker Neumann, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen. Handbuch SGBl<br />

IX, 2004, § 11 Rn. 185 ff.<br />

111 Haines in: LPK-SGB IX, § 19 Rn. 8.<br />

41


individueller Besonderheiten setzt eine hinreichend differenzierte Trägerstruktur<br />

voraus 112 .<br />

bb) Vereinbarungsprinzip<br />

Die Bundesanstalt für Arbeit hatte lange Zeit die Auffassung vertreten, dass die<br />

Erstattung der Kosten der <strong>von</strong> freien Trägern erbrachten Leistungen Zuwendungen<br />

im haushaltsrechtlichen Sinne seien. Im Rehabilitationsrecht ist sie <strong>von</strong> dieser<br />

Auffassung aber schon früh abgerückt. Den Trägern <strong>von</strong> Rehabilitations-<br />

einrichtungen war es 1982 gelungen, mit der Einfügung des § 23a in die Anordnung<br />

Rehabilitation das Vereinbarungsprinzip durchzusetzen. Förderlich für diese zu-<br />

treffende Sicht der Rechtslage war die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts,<br />

die klargestellt hatte, dass der in § 39 AFG a. F. erteilte Ermächtigung, das „Nähere<br />

über Voraussetzungen, Art und Umfang der beruflichen Bildung“ zu regeln, sich nur<br />

auf das Sozialrechtsverhältnis, aber nicht auf das Verhältnis zum Träger der<br />

Maßnahme erstreckt 113 . Durch das „Haushaltsbegleitgesetz 1984“ wurde schließlich<br />

das Vereinbarungsprinzip durch Einfügung der Absätze 2a und 2b in § 11<br />

RehaAnglG parlamentsgesetzlich anerkannt. Der Streit um den Rechtsstatus der<br />

freien Träger als Leistungserbringer wurde damit aber nicht beendet 114 .<br />

Das SGB IX erkennt das Vereinbarungsprinzip an. Die Grundlage des Rechtsstatus<br />

der freien Träger ist § 19 Abs. 4 SGB IX: Dienste und Einrichtungen freier oder (?)<br />

gemeinnütziger Träger werden entsprechend ihrer Bedeutung für die Rehabilitation<br />

und Teilhabe behinderter Menschen berücksichtigt; die Vielfalt der Träger <strong>von</strong><br />

Rehabilitationsdiensten und –einrichtungen wird gewahrt sowie – das ist jetzt der<br />

entscheidende Punkt – „deren Selbstständigkeit, Selbstverständnis und Unabhängig-<br />

keit beachtet“. Damit ist es ausgeschlossen, das Rechtsverhältnis der Rehabilita-<br />

tionsträger zu den freien Trägern als Auftragsverhältnis zu konstruieren. Folgerichtig<br />

spricht § 21 Abs. 1 SGB IX <strong>von</strong> Verträgen über die Ausführung <strong>von</strong> Leistungen durch<br />

Rehabilitationseinrichtungen und nennt einige Vertragsgegenstände. Allerdings tut<br />

sich das Gesetz schwer, die prinzipielle Gleichordnung der Vertragsparteien klar<br />

112<br />

Renate Bieritz-Harder, Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen der BA als Teil der beruflichen<br />

Rehabilitation, o. O. 2004, S. 6 f.<br />

113<br />

BSG, SozR 4460 Nr. 9 § 6 AFuU; BSG 21. 6. 1977 – 7 RA 4/76, auszugsweise abgedruckt in:<br />

Arbeit und Beruf, 1/1978, S. 28.<br />

114<br />

Volker Neumann, Freiheitsgefährdung im kooperativen Sozialstaat, 1992, S. 336-342.<br />

42


auszusprechen. Das zeigt sich in der Regelung <strong>von</strong> § 21 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX, der die<br />

„Übernahme <strong>von</strong> Grundsätzen der Rehabilitationsträger zur Vereinbarung <strong>von</strong><br />

Vergütungen“ als Vertragsgegenstand nennt – ein klassischer dilatorischer Formel-<br />

kompromiss.<br />

§ 21 Abs. 2 S. 1 SGB IX verpflichtet die Rehabilitationsträger, darauf hinzuwirken,<br />

dass die Verträge <strong>nach</strong> einheitlichen Grundsätzen abgeschlossen werden. Nach dem<br />

2. Halbsatz können sie über den Inhalt der Verträge gemeinsame Empfehlungen<br />

vereinbaren. Eine Ermächtigung ist diese Bestimmung nicht, da Empfehlungen<br />

Verwaltungsvorschriften sind, für welche die Verwaltungsträger keine Ermächtigung<br />

benötigen, die aber für Dritte auch nicht verbindlich sind. Etwas verbindlicher ist<br />

dagegen der Hinweis auf den Abschluss <strong>von</strong> Rahmenverträgen mit den Arbeits-<br />

gemeinschaften der Rehabilitationseinrichtungen.<br />

§ 21 SGB IX soll <strong>nach</strong> der Begründung des Regierungsentwurfs sicherstellen, „dass<br />

nur solche Rehabilitationsdienste und –einrichtungen in Anspruch genommen<br />

werden, die den sich aus § 20 ergebenden Qualitätsanforderungen genügen. Mit<br />

diesen sind – soweit sie nicht Eigeneinrichtungen der Rehabilitationsträger sind –<br />

Verträge abzuschließen, die u. a. auch die Regelungen zu diesen Anforderungen<br />

enthalten müssen 115 “. Die Verträge haben also Zulassungscharakter 116 . Schon die<br />

Formulierung „sind ... abzuschließen“ weist in die Richtung einer strikten Pflicht der<br />

Rehabilitationsträger zum Vertragsabschluss 117 . Wenn das Bestehen eines Vertrages<br />

Voraussetzung für die „Inanspruchnahme“ ist, folgt aus Art. 12 Abs. 1 GG eine Pflicht<br />

zum Abschluss. Eine Ermächtigung zu einer Angebotssteuerung durch Bedarfs-<br />

prüfung enthält das Gesetz nicht, was auch schlüssig ist, da der damit verbundene<br />

Eingriff in die Berufsfreiheit nicht rechtfertigungsfähig wäre 118 . Deshalb ist die<br />

Vorgabe in § 111 Abs. 5 S. 2 SGB IX, grundsätzlich solle in jedem Arbeitsamtsbezirk<br />

115 BT-Drucks. 14/1574, S. 104 f.<br />

116 Kessler in: Volker Neumann, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen. Handbuch SGB<br />

IX, 2004, § 9 Rn. 65.<br />

117 Kessler in: Volker Neumann, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen. Handbuch SGB<br />

IX, 2004, § 9 Rn. 62 f.<br />

118 So im Ergebnis auch Kessler in: Volker Neumann, Rehabilitation und Teilhabe behinderter<br />

Menschen. Handbuch SGB IX, 2004, § 9 Rn. 65.<br />

43


nur eine Integrationsfachdienst vorhanden sein, verfassungsrechtlich hochproble-<br />

matisch 119 .<br />

Für die Frage, ob der freie Träger einen Anspruch auf Abschluss eines Vertrages hat,<br />

gilt das, was oben zu § 17 Abs. 2 SGB II ausgeführt wurde: Leistungserbringungs-<br />

verträge mit Zulassungscharakter sind auch dem Interesse des freien Trägers zu<br />

dienen bestimmt, weil sie die Voraussetzung für die Ausübung des Berufes sind.<br />

Deshalb hat der freie Träger einen Rechtsanspruch auf den Abschluss, wenn er für<br />

die <strong>Erbringung</strong> der Leistung geeignet ist.<br />

c) Vorbehalt abweichender Regelungen<br />

Für Inhalt, Art und Umfang der Leistungen und für andere Regelungsgehalte greift<br />

der Vorbehalt abweichender Regelungen des § 7 S. 1 SGB IX. Da<strong>nach</strong> gelten die<br />

Vorschriften des SGB IX für die Leistungen zur Teilhabe, „soweit sich aus den für<br />

den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen nichts Abweichen-<br />

des ergibt“. Der Wortlaut („Vorschriften ... für die Leistungen zu Teilhabe“) und die<br />

Entstehungsgeschichte 120 stellen klar, dass nicht nur die im engeren Sinne leistungs-<br />

rechtlichen Vorschriften der §§ 26-59 SGB IX grundsätzlich anzuwenden sind,<br />

sondern auch alle gesetzlichen Bestimmungen mit einem Bezug zur Gewährung und<br />

Ausführung der Leistungen zur Teilhabe, insbesondere die leistungserbringungs-<br />

rechtlichen Vorschriften. „Leistungsgesetze“ sind diejenigen Gesetze, die Ansprüche<br />

auf <strong>Sozialleistungen</strong> gewähren 121 . Wenn ein Gesetz solche Ansprüche enthält, gilt<br />

der Vorbehalt abweichender Regelungen nicht nur für das Leistungsrecht in einem<br />

engeren, vom Leistungserbringungsrecht unterschiedenen Sinne, sondern auch für<br />

das Leistungserbringungsrecht und den allgemeinen Teil des „Leistungsgesetzes“ 122 .<br />

Die Abweichungen müssen allerdings im Wortlaut des Leistungsgesetzes klar<br />

erkennbar sein. Denn nur so kann die vom Gesetzgeber gewollte Vereinheitlichung<br />

des Rehabilitationsrechts erreicht werden 123 . Für das Verhältnis zum SGB III<br />

119<br />

Brünner in: Volker Neumann, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen. Handbuch SGB<br />

IX, 2004, § 15 Rn. 89.<br />

120<br />

BT-Drucks. 14/5074, S. 100 (zu § 7), wo § 9 SGB IX in den Vorrang einbezogen ist.<br />

121 Mrozynski, SGB IX/1, § 7 Rn. 8.<br />

122 Lachwitz, SDSRV 49 (2002), 73, 76.<br />

123 Welti in: HK-SGB IX, § 7 Rn. 8.<br />

44


edeutet dies: Nur dort, wo das SGB III die Leistungserbringung ausdrücklich und<br />

anders als in § 21 SGB IX regelt, weicht es vom SGB IX ab und geht diesem vor.<br />

d) Ergebnis<br />

§§ 37a Abs. 4, 101 Nr. 1 SGB III weichen nicht <strong>von</strong> § 21 SGB IX ab; vielmehr<br />

ergänzen sich die Normen in sinnvoller Weise. Es sind Leistungserbringungs-<br />

vereinbarungen abzuschließen.<br />

Es ist mehr als zweifelhaft, ob aus den Worten „im Auftrag der Agentur für Arbeit“ in §<br />

61 Nr. 3 SGB III eine abweichende Regelung herausgelesen werden kann. Dass das<br />

Wort „Auftrag“ nicht als „öffentlicher Auftrag“ im Sinne <strong>von</strong> § 99 GWB verstanden<br />

werden darf, wurde bereits dargelegt (A IV 3 b). Der 5. Abschnitt des 4. Kapitels<br />

enthält keine Regelung der Leistungserbringung, sondern handelt nur über<br />

Leistungen. Also kann das Wort „Auftrag“ nur als „Auftrag“ im konkreten Einzelfall<br />

gemeint sein. Der Abschluss <strong>von</strong> Leistungserbringungsverträgen <strong>nach</strong> § 21 SGB IX<br />

bleibt da<strong>von</strong> unberührt.<br />

„Die Agentur für Arbeit kann Träger <strong>nach</strong> einem wettbewerbsrechtlichen<br />

Vergabeverfahren mit der Durchführung <strong>von</strong> Maßnahmen beauftragen“, so heißt es<br />

in § 421i Abs. 1 SGB III. Das Wort „kann“ räumt der Agentur Ermessen ein, das<br />

pflichtgemäß ausgeübt werden muss. Es ist nahezu unvorstellbar, dass eine<br />

pflichtgemäß ausgeübte Wahl zwischen dem Leistungserbringungsmodell des SGB<br />

IX und dem Wettbewerbsrecht einmal zugunsten der letztgenannten Alternative<br />

ausfallen könnte: Erstens gibt das SGB IX eine einheitliche Struktur für alle<br />

Rehabilitationsträger vor, die durch die Anwendung des GWB-<strong>Vergaberecht</strong>s durch<br />

einen Träger beschädigt würde. Zweitens würde durch die Anwendung des<br />

<strong>Vergaberecht</strong>s die vom Gesetz gewollte Beteiligung der Bundesregierung und<br />

Landesregierungen sowie bestimmter Verbände und Gruppen umgangen. Drittens<br />

sind Rehabilitationsleistungen individuell hochgradig differenziert. Ausschreibungen<br />

müssen hingegen in gewissem Maße typisieren, es sei denn, der behinderte Mensch<br />

würde „ausgeschrieben“. Viertens lässt sich die vom SGB IX gewollte Trägervielfalt<br />

durch Ausschreibung nur schlecht oder gar nicht erreichen.<br />

45


Eine abweichende Regelung im Sinne <strong>von</strong> § 7 S. 1 SGB IX ist im SGB III lediglich die<br />

Zuwendungsfinanzierung <strong>nach</strong> § 240 SGB III.<br />

V. Rechtsschutz<br />

1. Vorfrage: Rechtsschutz oder Beteiligung am Vergabeverfahren?<br />

Schreibt ein Sozialleistungsträger Leistungen aus, die Gegenstand des sozialrecht-<br />

lichen Dreiecksverhältnisses sind, so befinden sich die interessierten Einrichtungs-<br />

träger häufig in einer „Zwickmühle“. Es ist zu entscheiden, ob man sich an einem<br />

Vergabeverfahren beteiligen soll, obwohl man dessen Durchführung für rechtswidrig<br />

hält und <strong>von</strong> dem man wegen der weitgehenden Vorfestlegung der späteren<br />

Vertragsbeziehungen zur Vergabestelle Einschränkungen des Selbstbestimmungs-<br />

rechts erwartet.<br />

Die rechtlich richtige Antwort ist hier in der Regel jedoch kein entweder-oder, sondern<br />

ein sowohl-als auch. Der Rechtsschutz neben einer – auch rechtswidrigen –<br />

Ausschreibung ist, wie zu zeigen sein wird langwierig, und die Erfolgsaussichten <strong>von</strong><br />

Eilverfahren sind schwer abschätzbar. In dieser Situation wäre es fahrlässig, die<br />

eigene Chance auf den Zuschlag im Vergabeverfahren <strong>von</strong> vornherein zu vergeben.<br />

Der freie Träger sollte sich daher am Vergabeverfahren durchaus beteiligen, dies<br />

freilich nicht ohne seine rechtlichen Bedenken sofort in einer Rüge gegenüber der<br />

Vergabestelle auszudrücken. 124 Unterliegt der freie Träger letztendlich im<br />

Vergabeverfahren, oder wird er im Falle des Zuschlags rechtswidrigen vertraglichen<br />

Bedingungen unterworfen, so kann dies immer noch <strong>nach</strong> den hier dargestellten<br />

Grundsätzen geltend gemacht werden.<br />

124 Im einzelnen dazu unten C. III. 1. b. cc.<br />

46


2. Rechtsschutz des freien Trägers<br />

Die bisherige Untersuchung führte zu dem Ergebnis, dass die verfassungsrechtlichen<br />

und einfach-gesetzlichen Vorgaben für die Zusammenarbeit zwischen freien Trägern<br />

und Sozialleistungsträgern in den meisten besonderen Teilen des Sozialgesetzbuchs<br />

als „sozialrechtliches Dreiecksverhältnis“ ausgestaltet sind. In diesen Fällen besteht<br />

zumindest ein Anspruch des freien Trägers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung<br />

über den Abschluss einer Vereinbarung mit dem jeweiligen Sozialleistungsträger.<br />

Wird trotz dieses Anspruchs ein Antrag des freien Trägers unter Hinweis auf<br />

Leistungskontingente oder mangelnden Bedarf <strong>nach</strong> Durchführung einer Aus-<br />

schreibung abgelehnt, so ist dies <strong>nach</strong> den bisherigen Ergebnissen regelmäßig<br />

rechtswidrig. Für den Rechtsschutz gelten dann folgende Rahmenbedingungen:<br />

a) Schiedsstelle<br />

Verweigert der Kostenträger die „Zulassung“ des Leistungserbringers, so geht es im<br />

Sprachgebrauch des Sozialhilfe- und des Jugendhilferechts noch nicht um die<br />

Vergütungsvereinbarung, sondern zunächst um die Leistungsvereinbarung. Der Weg<br />

zu einer Schiedsstelle ist hinsichtlich der Leistungsvereinbarung aber nur noch im<br />

Jugendhilferecht eröffnet. 125 Im Sozialhilferecht ist es dagegen auch <strong>nach</strong> der<br />

Neufassung im SGB XII dabei geblieben, dass ausschließlich die Vergütungsverein-<br />

barung schiedsstellenfähig ist. 126 Geht es um den Abschluss <strong>von</strong> Vereinbarungen<br />

über Jugendhilfeleistungen, die nicht unter den Katalog des § 78a SGB VIII fallen,<br />

oder sind Leistungen <strong>nach</strong> den SGB II, III oder IX betroffen, so existiert ohnehin<br />

keine Schiedsstelle.<br />

Die Aussicht, eine Leistungsvereinbarung in vergleichsweise kurzer Zeit vor der<br />

Schiedsstelle durchsetzen zu können, besteht in den hier behandelten Rechts-<br />

gebieten also im wesentlichen nur für die stationären Hilfen <strong>nach</strong> SGB VIII. In diesem<br />

Fall ist die Schiedsstelle zugleich zwingend anzurufen, eine unmittelbare Klage beim<br />

Gericht ist nicht zulässig.<br />

125 §§ 78g Abs. 2, 78b Abs. 1 SGB VIII.<br />

126 § 77 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 76 Abs. 2 SGB XII.<br />

47


) Widerspruch und Rechtsweg<br />

Ob gegen die ablehnende Entscheidung des Sozialleistungsträgers über einen<br />

Antrag auf Abschluss einer Leistungserbringungsvereinbarung zunächst Widerspruch<br />

erhoben werden muss, hängt da<strong>von</strong> ab, ob diese Entscheidung ein Verwaltungsakt<br />

im Sinne des § 31 SGB X ist. Außerdem ist der Widerspruch nur dann statthaft und<br />

erforderlich, wenn das jeweilige Sozialgesetzbuch die Erforderlichkeit des Wider-<br />

spruchs nicht abbedingt.<br />

Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zum Sozialhilferecht sieht in den<br />

Vereinbarungen <strong>nach</strong> § 93 Abs. 2 BSHG öffentlich-rechtliche Verträge gleichgeord-<br />

neter Vertragspartner. 127 Daher ist die Ablehnung des Vertragsabschlusses kein<br />

Verwaltungsakt, und ein Widerspruch ist nicht zu erheben. Anders ist die bisherige<br />

Auffassung der Sozialgerichte zum Krankenversicherungsrecht. Zwar werden die<br />

Versorgungsverträge auch hier als öffentlich-rechtliche Verträge angesehen. Als<br />

Entscheidung über das „Ob“ des Vertragsschlusses sei die ablehnende<br />

Entscheidung jedoch ein Verwaltungsakt. 128<br />

Soweit die Sozialgerichte zuständig sind, ist daher – wo nicht das jeweilige<br />

Sozialgesetzbuch etwas anderes regelt – zunächst das Widerspruchsverfahren zu<br />

durchlaufen. Dies wird ab 01.01.2005 voraussichtlich alle besonderen Teile des<br />

Sozialgesetzbuchs mit Ausnahme des Jugendhilferechts (SGB VIII) betreffen. Denn<br />

nur ür jugendhilferechtliche Streitigkeiten sind <strong>nach</strong> wie vor die Verwaltungsgerichte<br />

zuständig, §§ 78g Abs. 2 Satz 2 SGB VIII, 40 VwGO. Streitigkeiten <strong>nach</strong> den SGB II,<br />

III, IX und ab 01.01.2005 auch XII werden dagegen <strong>von</strong> den Sozialgerichten<br />

entschieden. 129<br />

127 BVerwG, Urt. v. 30.09.1993, 5 C 41.91, BVerwGE 94, 202, 204.<br />

128 Etwa BSG, Urt. v. 19.11.1997, B 3 RK 1/97, BSGE 81,189; Urt. v. 05.07.2000, B 3 KR 20/99 R zu<br />

§ 109 SGB V. Zum Pflegeversicherungsrecht nur wegen der ausdrücklichen Entbehrlichkeit des<br />

Widerspruchs <strong>nach</strong> § 73 Abs. 2 Satz 2 SGB XI anders BSG, Urt. v. 24.09.2002, B 3 P 14/01 R.<br />

129 §§ 77 Abs. 1 Satz 3 SGB XII, 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG in der Fassung ab 01.01.2005.<br />

48


c) Klageart und Klageantrag<br />

aa) Jugendhilferechtliche Streitigkeiten<br />

In jugendhilferechtlichen Streitigkeiten vor den Verwaltungsgerichten ist die allgemei-<br />

ne Leistungsklage in der Form der Bescheidungsklage die zutreffende Klageart.<br />

Nach ganz überwiegender Auffassung im Schrifttum hat der Einrichtungsträger zwar<br />

keinen Rechtsanspruch auf Abschluss einer Leistungsvereinbarung, sondern nur<br />

einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. 130 In der Praxis gibt es<br />

allerdings nicht immer ungeklärte Punkte, bei deren Beurteilung dem Kostenträger<br />

ein Ermessen bliebe. Es empfiehlt sich daher, sowohl einen Haupt- als auch einen<br />

Hilfsantrag zu stellen. Hauptsächlich ist zu beantragen, den Sozialleistungsträger zu<br />

verpflichten, eine Leistungsvereinbarung mit dem Einrichtungsträger abzuschließen.<br />

Hilfsweise ist zu beantragen, die ablehnende Entscheidung des Kostenträgers<br />

aufzuheben und ihn zu verpflichten, über den Antrag des Einrichtungsträgers unter<br />

Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. 131<br />

Sofern dem Antrag ein Schiedsverfahren vorausgegangen ist, ist zusätzlich die<br />

Aufhebung des Schiedsspruchs zu beantragen. Im Übrigen bestehen prozessual<br />

aber keine Unterschiede. Zwar kommt der Schiedsstelle grundsätzlich ein Beurtei-<br />

lungsspielraum zu. 132 Dieser ist jedoch in erster Linie für Fälle entwickelt worden, in<br />

denen die Vergütungsvereinbarung streitig war. Für die Leistungsvereinbarung dürfte<br />

er nur dort Bedeutung haben, wo es um die konkrete Ausgestaltung der Leistungen<br />

geht. Für die Frage des „ob“ einer Leistungsvereinbarung geht er dagegen nicht<br />

weiter als das Ermessen des Sozialleistungsträgers.<br />

bb) Andere Streitigkeiten<br />

Für alle anderen Streitigkeiten, insbesondere solche gegen die Bundesagentur für<br />

Arbeit, sind die Sozialgerichte zuständig. Für die Antragsformulierung gelten jedoch<br />

keine wesentlichen Unterschiede gegenüber den Verfahren vor den Verwaltungs-<br />

130 Siehe oben Fn. 149 unter A.V.3 c.<br />

131 Zum Zusammenhang zwischen Ermessensspielraum und Bescheidungsklage siehe nur Kuntze,<br />

in: Bader, VwGO, 2. Aufl. 2002, § 113 Rn. 105 ff.<br />

132 Schellhorn, SGB VIII/KJHG 2. Aufl. 2000, § 78g Rn. 3 m.w.N.<br />

49


gerichten. Besonderheiten bestehen lediglich darin, dass die ablehnende Entschei-<br />

dung des Sozialleistungsträgers als Verwaltungsakt anzusehen ist, und dass die<br />

Klagearten im sozialgerichtlichen Verfahren etwas anders bezeichnet werden. Weil<br />

jeweils auch eine ablehnende Entscheidung des Sozialleistungsträgers aufgehoben<br />

werden soll, spricht man hier <strong>von</strong> einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungs-<br />

klage (in Fällen mit Rechtsanspruch auf die begehrte Vereinbarung) bzw. <strong>von</strong> einer<br />

kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (in Fällen, in denen nur ein<br />

Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Abschluss der<br />

Vereinbarung besteht). 133<br />

cc) Abweichungen<br />

Vor dem Verwaltungsgericht kann sich eine Abweichung ergeben, wenn es nicht um<br />

den Neuabschluss einer Vereinbarung mit dem Sozialleistungsträger geht, sondern<br />

dieser eine bisher bestehende Vereinbarung unter Hinweis auf seine Kontingen-<br />

tierung oder ein Vergabeverfahren gekündigt hat. Streitig wird in derartigen Fällen die<br />

Wirksamkeit dieser Kündigung sein. Hier ist eine Feststellungsklage zu erheben. Es<br />

wird beantragt festzustellen, dass die bisherige Vereinbarung trotz der Kündigung<br />

unverändert fortbesteht. 134 Vor den Sozialgerichten besteht diese Abweichung<br />

indessen nicht, da dort jedenfalls die Kündigung einer krankenversicherungs-<br />

rechtlichen Zulassung als Verwaltungsakt verstanden wird. 135<br />

Eine weitere Abweichung, und zwar in diesem Fall für beide Gerichtszweige, ergibt<br />

sich bei Missachtung einer geschlossenen Leistungserbringungsvereinbarung durch<br />

den Sozialleistungsträger. Besteht eine solche Vereinbarung, verhindert der<br />

Sozialleistungsträger aber durch seine Bewilligungspraxis gezielt jede Belegung der<br />

Einrichtung, so ist eine Unterlassungsklage zu erheben. Ihr geht grundsätzlich kein<br />

Widerspruchsverfahren voraus. Beantragt wird, den Sozialleistungsträger zu verur-<br />

teilen, die jeweils be<strong>nach</strong>teiligenden Maßnahmen zu unterlassen.<br />

133 BSG, Urt. v. 24.09.2002 (Fn. 128); Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen<br />

Verfahrens, 3. Aufl. 2002, Kapitel 4 Rn. 4; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl. 2002, § 54 Rn. 6.<br />

134 Bei Leistungsvereinbarungen <strong>nach</strong> Sozialhilfe- und Jugendhilferecht kann sich diese Konstellation<br />

auch aus dem Grundsatz ergeben, dass ausgelaufene Leistungsvereinbarungen bis zum<br />

Abschluss neuer Vereinbarungen weitergelten: §§ 77 Abs. 2 Satz 4 SGB XII, 78d Abs. 2 Satz 4<br />

SGB VIII.<br />

135 BSG, Urt. v. 06.08.1998, B 3 KR 3/98 R, BSGE 82,261.<br />

50


d) Begründung<br />

Grundsätzlich ergibt sich die Begründung der Klage aus den Ergebnissen der<br />

Abschnitte A.I-IV. Im Einzelnen sollte der klagende Einrichtungsträger den Sachver-<br />

halt darstellen und aus seinem grundrechtlichen Status, der Nichtanwendbarkeit des<br />

europäischen <strong>Vergaberecht</strong>s und der Ausgestaltung des sozialrechtlichen Dreiecks-<br />

verhältnisses im jeweiligen Sozialgesetzbuch seinen Anspruch auf die begehrte<br />

Vereinbarung ableiten. Dies sollte vergleichsweise ausführlich geschehen. Denn die<br />

zuständigen Richter sind regelmäßig nicht auf leistungserbringungsrechtliche Fragen<br />

spezialisiert.<br />

e) Eilverfahren<br />

Sowohl vor den Verwaltungs-, als auch vor den Sozialgerichten ist der Rechtsschutz<br />

langwierig. Verfahrensdauern <strong>von</strong> weit über einem Jahr pro Instanz sind keine<br />

Seltenheit. In eiligen Fällen kann es deshalb geboten sein, neben der beschriebenen<br />

Klage im Hauptsacheverfahren zusätzlich einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz<br />

zu stellen. Da es nicht um die Aufhebung <strong>von</strong> belastenden Verwaltungsakten,<br />

sondern um den „begünstigenden“ Abschluss einer Leistungserbringungsvereinba-<br />

rung geht, ergibt sich der Eilrechtsschutz nicht aus den Regelungen über die<br />

aufschiebende Wirkung <strong>von</strong> Rechtsmitteln gegen belastende Verwaltungsakte.<br />

Einschlägig sind vielmehr die Vorschriften über einstweilige Anordnungen, §§ 123<br />

VwGO und 86b Abs. 2 SGG. 136 Da<strong>nach</strong> können die Gerichte für die Zeit bis zur<br />

Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorläufige Regelungen treffen, um den Eintritt<br />

gravierender Rechts<strong>nach</strong>teile zu vermeiden. Hier wäre zu beantragen, den Sozial-<br />

leistungsträger zu verpflichten, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache die<br />

gewünschte Vereinbarung abzuschließen. 137<br />

In der Begründung des Eilantrags ist zum einen darzustellen, warum der<br />

Einrichtungsträger Anspruch auf die begehrte Vereinbarung hat (Anordnungs-<br />

anspruch). Zum anderen ist das besondere Eilbedürfnis eingehend zu begründen<br />

136 Eine Ausnahme gilt für die Kündigung einer Leistungserbringungsvereinbarung bei Zuständigkeit<br />

der Sozialgerichte. Da die Kündigung hier als Verwaltungsakt verstanden wird, ist vorläufiger<br />

Rechtsschutz über die aufschiebende Wirkung <strong>von</strong> Widerspruch und Anfechtungsklage zu<br />

suchen, §§ 86a, 86b Abs. 1 SGG.<br />

137 OVG Lüneburg, Beschl. v. 23.08.1999, 12 M 2996/99, FEVS 51 (2000), 313.<br />

51


(Anordnungsgrund). Das Gericht wird die Rechts<strong>nach</strong>teile, die dem Einrichtungs-<br />

träger durch die lange Verzögerung bis zur Entscheidung in der Hauptsache drohen,<br />

gegen die Nachteile abwägen, die der Sozialleistungsträger im Falle einer vor-<br />

läufigen Verpflichtung zum Abschluss der Vereinbarung zu erwarten hat. Im Rahmen<br />

dieser Abwägung spielen auch die Erfolgsaussichten der Hauptsache eine<br />

wesentliche Rolle. Hält das Gericht einen Erfolg des Einrichtungsträgers im<br />

Hauptsacheverfahren für wahrscheinlich, wird es weniger hohe Anforderungen an die<br />

Eilbedürftigkeit stellen. 138 Der Einrichtungsträger muss hier die drohenden Nachteile<br />

– etwa die Zerschlagung gewachsener Strukturen, gravierende finanzielle Nachteile<br />

bis hin zur Existenzgefährdung oder – im öffentlichen Interesse – auch gravierende<br />

Nachteile für die betreuten sozialleistungsberechtigten Bürger erläutern und durch<br />

eidesstattliche Versicherungen oder andere geeignete Nachweise glaubhaft machen.<br />

Allerdings gehen derartige Eilverfahren aus der Sicht des Antragstellers häufig<br />

verloren. Dies bereits, weil die Gerichte nur in extremen Ausnahmefällen durch eine<br />

einstweilige Anordnung die Hauptsache vorwegnehmen. 139 Einer solchen Vorweg-<br />

nahme der Hauptsache kommt es jedoch nahe, wenn dem Einrichtungsträger für<br />

einen längeren Zeitraum die (vorläufige) Vereinbarung mit dem Sozialleistungsträger<br />

zugesprochen wird.<br />

3. Rechtsschutz des sozialleistungsberechtigten Bürgers<br />

Denkbar ist auch der Fall, dass der Sozialleistungsträger dem berechtigten Bürger<br />

zwar die Sozialleistung gewähren möchte, dies jedoch nicht durch den gewünschten<br />

Dienst oder die gewünschten Einrichtung. Dagegen kann sich der Bürger durch<br />

Widerspruch und Klage zur Wehr setzen.<br />

a) Widerspruch<br />

Wird der Antrag des Bürgers abgelehnt, so kann er sich nicht unmittelbar an die<br />

Gerichte wenden. Vielmehr ist in §§ 62 SGB X, 68 VwGO, 85 SGG vorgesehen, dass<br />

138<br />

Funke-Kaiser, in: Bader (Fn. 131), § 123 Rn. 25-26; Krasney/Udsching (Fn. 133), Kapitel V, Rn.<br />

35 ff.<br />

139<br />

Siehe nur Binder, in: Binder-Bolay, SGG, Handkommentar, 2003, § 86 b Rn. 34.<br />

52


die Entscheidung des Sozialleistungsträgers zunächst im Widerspruchsverfahren zu<br />

überprüfen ist. 140 Das Widerspruchsverfahren richtet sich <strong>nach</strong> den üblichen Regeln,<br />

insbesondere ist der Widerspruch innerhalb eines Monats <strong>nach</strong> Zugang des<br />

ablehnenden Bescheids des Sozialleistungsträgers zu erheben. Eine Begründung ist<br />

sinnvoll, darf vom Sozialleistungsträger aber nicht zur Voraussetzung einer förm-<br />

lichen Widerspruchsentscheidung gemacht werden.<br />

b) Rechtsweg, Klageart und Klageantrag<br />

Strukturell unterscheidet sich das Begehren des sozialleistungsberechtigten Bürgers<br />

wenig <strong>von</strong> dem Anspruch des Einrichtungsträgers auf Abschluss einer Vereinbarung<br />

im Verständnis der Sozialgerichte. In beiden Fällen geht es nicht um die Abwehr<br />

eines eingreifenden Bescheids der Verwaltung, sondern um eine „Begünstigung“. Die<br />

Ausführungen zum Rechtsweg, zur Klageart und zum Klageantrag betreffend den<br />

Leistungserbringer gelten daher auch für den sozialleistungsberechtigten Bürger<br />

entsprechend. 141 Zu beantragen ist, den ablehnenden Bescheid in der Gestalt des<br />

Widerspruchsbescheids aufzuheben und den Sozialleistungsträger zu verpflichten,<br />

dem Bürger die jeweilige Leistung in der gewünschten Einrichtung bzw. durch den<br />

gewünschten Dienst zu gewähren. Hilfsweise ist auch hier zu beantragen, den<br />

Sozialleistungsträger zu verpflichten, den Bürger unter Beachtung der Rechtsauf-<br />

fassung des Gerichts erneut zu bescheiden.<br />

c) Begründung<br />

Die Begründung des Widerspruchs und der Klage ergibt sich aus den Rechten, die<br />

dem jeweils einschlägigen Sozialgesetzbuch zu entnehmen sind. Außerdem ist das<br />

Wunsch- und Wahlrecht – sofern es nicht im einzelnen Sozialgesetzbuch gesondert<br />

geregelt ist – aus § 33 Satz SGB I anzuführen.<br />

Allerdings wird der Bürger in der Regel nur dann Erfolg haben, wenn der gewünschte<br />

Einrichtungsträger bereits eine Vereinbarung über die Leistungserbringung mit dem<br />

Sozialleistungsträger geschlossen hat. Es wird einem Einrichtungsträger dagegen<br />

kaum gelingen, über interessierte Bürger den Abschluss einer solchen Vereinbarung<br />

140 Vgl. auch § 118 SGB IX.<br />

141 Oben A. V. 2. b, c.<br />

53


„mittelbar“ zu erzwingen. Eine Ausnahme da<strong>von</strong> gilt allenfalls, wo der<br />

Sozialleistungsträger ohne das Angebot des gewünschten Einrichtungsträgers den<br />

Anspruch auf Sozialleistung nicht oder nur mit ganz wesentlichen Nachteilen erfüllen<br />

kann. Denn im Sozialhilfe- und Jugendhilferecht schreiben die „Öffnungsklauseln“<br />

des § 75 Abs. 4 SGB XII und des § 78b Abs. 3 SGB VIII für solche Fälle vor, dass<br />

der Sozialleistungsträger eine Ermessensentscheidung über die Kostenübernahme<br />

zu treffen hat. Kann die Sozialleistung anderswo überhaupt nicht erbracht werden, so<br />

wird dieses Ermessen in aller Regel zugunsten des Bürgers auf Null reduziert sein.<br />

Die Sozialgesetzbücher II, III und IX sehen derartige Regelung zwar nicht explizit vor,<br />

es ist dann jedoch möglich, mit dem allgemeinen sozialrechtlichen Grundsatz des<br />

Systemversagens zu argumentieren. 142<br />

d) Eilrechtsschutz<br />

Auch die prozessualen Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung entsprechen<br />

der Darstellung für die Leistungserbringer. 143 Erfolgschancen bestehen für die hier<br />

behandelte Fallkonstellation jedoch nur in extremen Ausnahmefällen. Denn so lange<br />

der Sozialleistungsträger die begehrte Sozialleistung durch einen anderen Dienst<br />

oder eine andere Einrichtung erbringen kann, werden es die Gerichte als zumutbar<br />

ansehen, dass der Bürger die Leistung bis zur Klärung im Hauptsacheverfahren dort<br />

entgegennimmt.<br />

142 Dieser Grundsatz ist beispielsweise in § 13 Abs. 3 SGB V geregelt, zu seiner allgemeineren<br />

Geltung siehe etwa Gürtner, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand: Dezember<br />

2003, § 91 SGB XI Rn. 5.<br />

143 Oben A. V. 2. e.<br />

54


B. <strong>Vergaberecht</strong>liche Gestaltung der Leistungserbringung<br />

Die Leistungserbringung im Dreiecksverhältnis Leistungsberechtigter, Leistungs-<br />

träger und Leistungserbringer ist in hohem Maße geeignet, die Grundrechte und<br />

verfassungsrechtlichen Pflichten der Beteiligten aufeinander abzustimmen. Damit ist<br />

freilich nicht gesagt, dass die Leistungserbringung im Dreiecksverhältnis ver-<br />

fassungsrechtlich geboten wäre. Denkbar sind auch andere Formen der<br />

Leistungserbringung. So werden beispielsweise im SGB VIII seit vielen Jahren die<br />

Leistungserbringer nicht durch Entgelte, sondern durch Zuwendungen (Sozialsub-<br />

ventionen) finanziert. Diese (systemwidrige) Finanzierung hat allerdings auch<br />

gezeigt, dass sie mit erheblichen Rechtseinbußen etwa der übergangenen<br />

Konkurrenten oder einer Verschwendung öffentlicher Mittel einhergehen kann.<br />

Durchaus denkbar ist auch eine vergaberechtliche Gestaltung der Leistungs-<br />

erbringung. Dies könnte in zweifacher Weise geschehen, nämlich erstens durch die<br />

Vergabe <strong>von</strong> Leistungserbringungsverträgen und zweitens durch die Bildung <strong>von</strong><br />

Leistungskontingenten für einen bestimmten Zeitraum.<br />

Das <strong>Vergaberecht</strong> regelt das Verfahren, das Verwaltungsstellen einzuhalten haben,<br />

wenn sie Waren oder Dienstleistungen auf dem Markt beschaffen wollen 144 . Bereits<br />

in den 1980er Jahren gab es vereinzelte Stimmen, die Pflegesatzvereinbarungen<br />

<strong>nach</strong> § 93 Abs. 2 BSHG a. F. als „Beschaffungsgeschäfte“ werteten und das<br />

<strong>Vergaberecht</strong> anwenden wollten 145 . Diese Forderung ist jüngst in der Literatur<br />

aktualisiert worden 146 . Das VG Stade untersagte einem Sozialhilfeträger zwar nicht<br />

die Ausschreibung <strong>von</strong> Verträgen <strong>nach</strong> §§ 93 ff. BSHG (heute §§ 75 ff. SGB XII),<br />

jedoch eine Vergabe im Sinne des <strong>Vergaberecht</strong>s 147 . Dagegen ist die Bundesagentur<br />

für Arbeit flächendeckend dazu übergangen, für die Durchführung <strong>von</strong> Maßnahmen<br />

<strong>nach</strong> dem SGB III Vergabeverfahren durchzuführen. Teilweise ist ein wettbewerbs-<br />

rechtliches Vergabeverfahren ausdrücklich im Gesetz vorgeschrieben, so z.B. in §<br />

37 c SGB III für Personal-Service-Agenturen und in § 421 i SGB III für Eingliede-<br />

144<br />

Neumann/ Bieritz-Harder, Vergabe öffentlicher Aufträge in der Sozial- und Jugendhilfe? RsDE<br />

48/2001, 1, 3.<br />

145<br />

Trott zu Solz, Die Kostenübernahme- und Pflegesatzvereinbarung in Heimen, 1989, S. 20-27.<br />

146<br />

Luthe, NDV 2001, 247, 254-256; Krölls, NDV 2000, 56, 57 f.; relativierend ders., NDV 2000, 209,<br />

210 f.<br />

147<br />

VG Stade v. 14. 7. 1999 – 1 B 1044/99 – RsDE 47 (2000), 99, 104.<br />

55


ungsmaßnahmen, teilweise macht das Gesetz jedoch keine Aussagen hierzu, so<br />

etwa bei Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen <strong>nach</strong> § 61 SGB III.<br />

I. Europäisches <strong>Vergaberecht</strong> und Deutsches <strong>Vergaberecht</strong><br />

In Deutschland ist das <strong>Vergaberecht</strong> historisch bedingt zweigeteilt. Es ist als<br />

Haushaltsrecht Innenrecht und als Wirtschaftsrecht Außenrecht. 148 Bis zum Erlass<br />

des <strong>Vergaberecht</strong>sänderungsgesetzes (VergRÄG) 149 wurde das <strong>Vergaberecht</strong><br />

traditionell als Teil des lediglich innenwirksamen Haushaltsrechts angesehen. 150 Das<br />

Erfordernis, die europäischen Vergaberichtlinien 151 in nationales Recht umzuwan-<br />

deln, führte zum Erlass des VergRÄG, welches das deutsche <strong>Vergaberecht</strong>, soweit<br />

erforderlich, in außenwirksames Wirtschaftsrecht umgewandelt hat. Die Umsetzung<br />

der europarechtlichen Richtlinien erfolgte durch Eingliederung in das deutsche<br />

Kartellrecht, insbesondere durch Einführung eines vierten Teils in das GWB (§§ 97-<br />

129 GWB). Hinsichtlich des materiellen <strong>Vergaberecht</strong>s besteht ein Kaskadenprinzip.<br />

Das GWB benennt auf gesetzlicher Ebene den Anwendungsbereich des<br />

<strong>Vergaberecht</strong>s und legt besonders wichtige Vergabegrundsätze sowie Recht-<br />

schutzmöglichkeiten fest. Auf der zweiten Ebene bildet die <strong>nach</strong> § 97 Abs. 6 und §<br />

127 GWB erlassene Vergabeverordnung (VgV) die Schnittstelle zu den Verdingungs-<br />

148 Pietzcker, Die neue Gestalt des <strong>Vergaberecht</strong>s, ZHR 162 (1998), 427, 428.<br />

149 Verkündet am 26.08.1998, zum 01.01.1999 in Kraft getreten.<br />

150 Ax/Schneider/Nette, Handbuch <strong>Vergaberecht</strong>, 2002, Kap. 1, Rdnr. 27; Boesen, <strong>Vergaberecht</strong>,<br />

Kommentar zum 4. Teil des GWB, 2000, Einleitung, Rdnr. 2.<br />

151 Hierbei handelt es sich um RL 92/50/EWG v. 18.06.1992 zur Koordinierung der Verfahren zur<br />

Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, ABl. v. 24.07.1992 L 209/1<br />

(Dienstleistungsrichtlinie), RL 93/36/EWG v. 14.06.1993 zur Koordinierung der Verfahren zur<br />

Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, ABl. v. 09.08.1993 L 199/1 (Lieferkoordinierungsrichtlinie), RL<br />

93/37/EWG v. 14.06.1993 zur Koordinierung der Vergabe öffentlicher Bauaufträge, ABl. v.<br />

30.04.1994 L 111/115 (Baukoordinierungsrichtlinie), alle zuletzt geändert durch RL 97/52/EG v.<br />

13.10.1997, ABl. v. 28.11.1997 L 328/1, ferner RL 93/38/EWG v. 14.06.1993 zur Koordinierung<br />

der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und<br />

Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, ABl. v. 09.08.1993 L 199/84<br />

(Sektorenrichtlinie), geändert durch RL 98/4/EG v. 16.02.1998, ABl. v. 01.04.1998 L 101/1 sowie<br />

zwei Rechtsmittelrichtlinien: RL 89/655/EWG v. 21.12.1989 zur Koordinierung der Rechts- und<br />

Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe<br />

öffentlicher Liefer- und Bauaufträge, ABl. v. 30.12.1989 L 395/33 v. 30.12.1989<br />

(Überwachungsrichtlinie) und RL 92/13/EWG v. 25.02.1992 zur Koordinierung der Rechts- und<br />

Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die<br />

Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung<br />

sowie im Telekommunikationssektor, ABl. v. 23.03.1992 L 76/14<br />

(Sektorenüberwachungsrichtlinie).<br />

56


ordnungen VOB 152 , VOL 153 und VOF 154 , die auf der dritten Ebene die Basis für die<br />

Vergabepraxis darstellen.<br />

Daneben existiert parallel das nationale <strong>Vergaberecht</strong> als Teil des Haushaltsrechts.<br />

Nach § 30 Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG) muss dem Abschluss <strong>von</strong> Verträgen<br />

über Lieferungen und Leistungen eine öffentliche Ausschreibung vorausgehen,<br />

sofern nicht die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände eine Ausnahme<br />

rechtfertigen. Diese statuierte Ausschreibungspflicht hat auf Bundesebene wortgleich<br />

in § 55 Bundeshaushaltsordnung (BHO) Eingang gefunden. Für detaillierte<br />

Regelungen des Vergabeverfahrens verweisen sowohl die BHO in § 55 Abs. 2 als<br />

auch die Haushaltsordnungen der Länder auf „einheitliche Richtlinien“ für die Auf-<br />

tragsvergabe. Hier sind in erster Linie die VOB, VOL und VOF zu nennen. Die<br />

Verdingungsordnungen gelten jedoch nicht im vollen Umfang, sondern jeweils<br />

abschnittsweise, da deren Rechtscharakter zweigeteilt ist. 155 Bei der VOL/A zeigt<br />

sich dies beispielsweise daran, dass Regelungen des 1. Abschnitts nur Verwaltungs-<br />

vorschriften darstellen, die zur Anwendung gelangen, wenn das Haushaltsgesetz auf<br />

sie verweist. Die anderen Abschnitte (Nr. 2 bis 4) der VOL/A, stellen demgegenüber<br />

Rechtsverordnungen dar, auf welche die VgV Bezug nimmt, weil sie europäische<br />

Richtlinien umsetzen. Bedeutung hat diese Unterscheidung nicht nur bei der Wahl<br />

des Vergabeverfahrens, sondern - und vor allem – wenn es um die Frage des<br />

Rechtsschutzes der Bieter geht. Denn Rechtsschutz steht diesen nur <strong>nach</strong> den<br />

Bestimmungen des 4. Teils des GWB zu, nicht hingegen bei öffentlichen Aufträgen,<br />

die nicht dem 4. Teil des GWB unterliegen, sondern dem 1. Abschnitt der VOL/A<br />

bzw. VOL/B 156 .<br />

152<br />

Verdingungsordnung für Bauleistungen, bestehend aus Teil A: Allgemeine Bestimmungen für die<br />

Vergabe <strong>von</strong> Bauleistungen, Teil B: Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung <strong>von</strong><br />

Bauleistungen, Teil C: Allgemeine technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen.<br />

153<br />

Verdingungsordnungen für Leistungen, ausgenommen Bauleistungen, bestehend aus Teil A:<br />

Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe <strong>von</strong> Leistungen und Teil B: Allgemeine<br />

Vertragsbedingungen für die Ausführung <strong>von</strong> Leistungen.<br />

154<br />

Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen.<br />

155<br />

Vgl. dazu v. Köckritz/ Ermisch/ Dittrich/ Lamm, Bundeshaushaltsordnung, Kommentar, 27. EL<br />

Sept. 2001, § 55, Ziff. 2.2., S. 12, 14.<br />

156<br />

Vgl. z.B. VV-BHO zu § 55, Ziff. 2.3: „In den Bewerbungsbedingungen ist ausdrücklich darauf<br />

hinzuweisen, dass die Allgemeinen Bestimmungen für die Vergabe <strong>von</strong> Lieferungen und<br />

Leistungen bzw. <strong>von</strong> Bauleistungen (Abschnitte 1 der VOL/A und VOB/A) nicht<br />

Vertragsbestandteil werden und den Bietern kein einklagbares Recht auf die Anwendung dieser<br />

Bestimmungen geben; sie tragen lediglich den Charakter <strong>von</strong> Dienstanweisungen an die<br />

Beschaffungsstellen….“<br />

57


1. GWB oder Haushaltsrecht<br />

II. Anwendbarkeit des <strong>Vergaberecht</strong>s des GWB<br />

Welche Rechtsvorschriften und welche Verfahren zwingend anzuwenden sind, kann<br />

zunächst anhand <strong>von</strong> drei „Zentralbegriffen“ 157 geklärt werden: dem Begriff des<br />

Auftraggebers (§ 98 GWB), dem des öffentlichen Auftrags (§ 99 GWB) und dem des<br />

Schwellenwerts (§ 100 GWB). Erfüllt der fragliche Sachverhalt diese in §§ 98-100<br />

GWB definierten Zentralbegriffe, ist der Anwendungsbereich des europäischen<br />

Wettbewerbsrechts eröffnet und die Prüfung richtet sich <strong>nach</strong> den Vorschriften der §§<br />

97-129 GWB, der Vergaberverordnung (VgV) und den jeweilig einschlägigen<br />

Abschnitten in den Verdingungsordnungen. Zudem könnte das wettbewerbs-<br />

rechtliche <strong>Vergaberecht</strong> aber auch auf freie Träger anwendbar sein, wenn ein<br />

vergaberechtliches Ausschreibungsverfahren gesetzlich vorgeschrieben ist, so etwa<br />

bei § 37 c SGB III und bei § 421 i SGB III.<br />

Ist das nicht der Fall und liegen auch die Voraussetzungen der Zentralbegriffe nicht<br />

vor, könnten die vergaberechtlichen Bestimmungen des Haushaltsrechts anzuwen-<br />

den sein. Da<strong>nach</strong> müssen Vergabeverfahren zur Sicherstellung einer sparsamen und<br />

wirtschaftlichen Verwendung öffentlicher Mittel durchgeführt werden 158 . Die Grund-<br />

sätze richten sich <strong>nach</strong> § 30 HGrG, § 55 BHO und den entsprechenden<br />

Bestimmungen der Landeshaushaltsordnungen. Das Vergabeverfahren richtet sich<br />

<strong>nach</strong> dem ersten Abschnitt der VOB/A bzw. VOL/A (sog. Basis-Paragrafen). Die<br />

Anwendung des <strong>Vergaberecht</strong>s setzt allerdings voraus, dass ihr geltendes Recht<br />

nicht entgegensteht. Zu klären ist insoweit, ob die Durchführung <strong>von</strong> Ausschrei-<br />

bungen mit dem geltenden Sozialrecht vereinbar ist oder ob eine Anwendung der<br />

haushaltsrechtlichen Vergaberegeln aufgrund des abschließenden Charakters des<br />

Sozialrechts ausscheiden muss.<br />

157 Dazu Dreher, Der Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts, DB 1998, 2579.<br />

158 Ax/Schneider/Nette, Handbuch <strong>Vergaberecht</strong>, 2002, Kap. 1, Rdnr. 18.<br />

58


2. Drei Zentralbegriffe<br />

Der Anwendungsbereich des wettbewerbsrechtlichen <strong>Vergaberecht</strong>s ist <strong>von</strong> den drei<br />

in §§ 98 bis 100 GWB definierten Zentralbegriffen abhängig. Liegen diese vor, so<br />

gelangt man zur Anwendung des vierten Teils des GWB und damit zu dem<br />

Grundsatz, dass öffentliche Auftraggeber Dienstleistungen <strong>nach</strong> Maßgabe der<br />

Vorschriften des GWB im Wettbewerb und im Wege transparenter Vergabeverfahren<br />

beschaffen 159 . Gem. § 97 Abs. 7 GWB haben Unternehmen daher einen Anspruch<br />

darauf, dass der Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfahren<br />

einhält.<br />

a) Öffentlicher Auftraggeber<br />

Es muss sich um einen öffentlichen Auftraggeber handeln. Die Bundesagentur für<br />

Arbeit könnte unter § 98 Nr. 2 GWB fallen, wo<strong>nach</strong> öffentliche Auftraggeber<br />

juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts sind, die zu dem<br />

besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben<br />

nichtgewerblicher Art zu erfüllen und wenn Stellen, die unter § 98 Nummer 1 oder 3<br />

GWB fallen, sie einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise<br />

überwiegend finanzieren oder über ihre Leitung die Aufsicht ausüben oder mehr als<br />

die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht<br />

berufenen Organe bestimmt haben. Das gleiche gilt dann, wenn die Stelle, die<br />

einzeln oder gemeinsam mit anderen die überwiegende Finanzierung gewährt oder<br />

die Mehrheit der Mitglieder eines zur Geschäftsführung oder Aufsicht berufenen<br />

Organs bestimmt hat, unter Satz 1 fällt.<br />

Die Bundesagentur für Arbeit stellt sich neuerdings in öffentlichen Verlautbarungen<br />

als ein Unternehmen dar, das mit der Bundesregierung Zielvereinbarungen<br />

abschließe. Was sagt das Recht zu dieser Rhetorik? § 367 SGB III bezeichnet die<br />

Bundesagentur für Arbeit als „rechtsfähige bundesunmittelbare Körperschaft des<br />

öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung“. Diese überraschende Aussage ist nur vor<br />

dem Hintergrund <strong>von</strong> Art. 87 Abs. 2 S. 1 GG zu verstehen. Dort wird bestimmt, dass<br />

soziale Versicherungsträger, deren Zuständigkeit sich über das Gebiet eines Landes<br />

159 Vgl. § 97 Abs. 1 GWB.<br />

59


hinaus erstreckt, als „bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts“ zu<br />

führen sind. Es ist so gut wie unstreitig, dass der Begriff „Körperschaft“ hier<br />

unspezifisch dahin zu verstehen ist, dass auch rechtsfähige Anstalten und Stiftungen<br />

des öffentlichen Rechts und Mischformen darunter zu fassen sind 160 . Auf diesen<br />

unspezifischen Körperschaftsbegriff nimmt § 367 SGB III Bezug 161 .<br />

Überwiegend wird die Bundesagentur nicht als Körperschaft im engeren Sinne,<br />

sondern als Anstalt angesehen 162 . Denn ihr fehlt die körperschaftlich-mitglied-<br />

schaftliche Struktur. Die Versicherten sind keine Mitglieder in dem Sinne, dass sie die<br />

Organe der Bundesagentur wählen. Der Verwaltungsrat setzt sich vielmehr aus<br />

Vertretern der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber und der öffentlichen Körperschaften<br />

zusammen (§ 371 Abs. 5 SGB III), die auf Vorschlag der Gewerkschaften und der<br />

Arbeitsgeber sowie der Bundesregierung und des Bundesrates sowie der<br />

kommunalen Spitzenverbände vom Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit berufen<br />

werden. Deshalb fehlen der Bundesagentur die elementaren Voraussetzungen einer<br />

Körperschaft. Also handelt es sich um eine Anstalt, Arbeitnehmer und Arbeitgeber<br />

sind Anstaltsbenutzer. Die Bundesagentur ist also noch nicht einmal eine<br />

Körperschaft, sondern eine – der unmittelbaren Staatsverwaltung näherstehende –<br />

Anstalt des öffentlichen Rechts.<br />

Zu dem Zusatz „mit Selbstverwaltung“ wird gesagt, der Selbstverwaltungsgedanken<br />

erweise sich „bei näherem Hinsehen als schöner Schein 163 “. Das Bundesministerium<br />

für Wirtschaft und Arbeit führt die Aufsicht über die Bundesagentur. Die Aufsicht ist<br />

Rechtsaufsicht, d. h. sie erstreckt sich auf die Beachtung des Gesetzes und<br />

sonstigen Rechts. Das schließt nicht aus, dass eine weitergehende Aufsichtsbefugnis<br />

gesetzlich bestimmt ist (§ 393 Abs. 1 SGB III). Dem Bundesministerium ist jährlich<br />

ein Geschäftsbericht vorzulegen (§ 393 Abs. 2 SGB III). Das Bundesministerium<br />

kann unter bestimmten Voraussetzungen Rechtsverordnungen anstelle der<br />

Anordnungen des Verwaltungsrats erlassen (§ 372 Abs. 4 SGB III). Die Satzung der<br />

Bundesagentur und die Anordnungen des Verwaltungsrats bedürfen der<br />

160 Pieroth in: Jarass / Pieroth, Grundgesetz Kommentar, 6. Aufl. 2002, Art. 87 Rn. 10.<br />

161 Stefan Muckel, Sozialrecht, 2003, § 12 Rn. 11.<br />

162 Eicher in: Wolfgang Spellbrink / Wolfgang Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts,<br />

2003, § 2 Rn. 2 Anm. zu Abb. 36 (S. 47); Stefan Muckel, Sozialrecht, 2003, § 12 Rn. 11; Bertram<br />

Schulin / Gerhard Igl, Sozialrecht, 7. Aufl. 2002, Rn. 828, Thomas Clemens, Normenstrukturen im<br />

Sozialrecht, NZS 1994, 337, 342.<br />

163 Thomas Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 193 f.<br />

60


ministeriellen Genehmigung (§ 372 Abs. 2 SGB III). Die Bundesagentur zeichnet sich<br />

durch eine „außerordentlich enge Bindung an den Staat aus“ 164 , unter den Sozialver-<br />

sicherungsträgern ist sie mit weitem Abstand der Träger mit der größten<br />

„Staatsnähe“. Sie ist Teil der mittelbaren Staatsverwaltung und damit an „Gesetz und<br />

Recht“ gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG) und nicht an irgendwelche Zielvereinbarungen.<br />

Fazit: Die Bundesagentur für Arbeit fällt als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen<br />

Rechts unter den Begriff des öffentlichen Auftraggebers. In personeller Hinsicht ist<br />

der Anwendungsbereich des GWB damit eröffnet.<br />

b) Schwellenwerte<br />

Darüber hinaus müssten für die Anwendbarkeit des 4. Teils des GWB zudem die in §<br />

100 Abs. 1 GWB i.V.m. § 2 VgV aufgelisteten Schwellenwerte erreicht werden. Diese<br />

betragen:<br />

1. für Liefer- und Dienstleistungsaufträge im Bereich der Trinkwasser- oder<br />

Energieversorgung oder im Verkehrsbereich: 400 000 Euro,<br />

2. für Liefer- und Dienstleistungsaufträge der obersten oder oberen Bundes-<br />

behörden sowie vergleichbarer Bundeseinrichtungen außer Forschungs- und<br />

Entwicklungs- Dienstleistungen und Dienstleistungen des Anhangs I B der<br />

Richtlinie 92/50/EWG des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur<br />

Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge vom 18. Juni 1992 (ABl. EG Nr.<br />

L 209 S.1), geändert durch die Richtlinie 97/52/EG vom 13. Oktober 1997<br />

(ABl. EG Nr. L 328 S.1): 130 000 Euro; im Verteidigungsbereich gilt dies bei<br />

Lieferaufträgen nur für Waren, die im Anhang II der Richtlinie 93/36/EWG<br />

des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher<br />

Lieferaufträge vom 14. Juni 1993 (ABl. EG Nr. L 199 S.1), geändert durch<br />

die Richtlinie 97/52/EG vom 13. Oktober 1997 (ABl. EG Nr. L 328 S. 1),<br />

aufgeführt sind,<br />

3. für alle anderen Liefer- und Dienstleistungsaufträge: 200 000 Euro,<br />

4. für Bauaufträge: 5 Millionen Euro,<br />

5. für Auslobungsverfahren, die zu einem Dienstleistungsauftrag führen sollen,<br />

dessen Schwellenwert,<br />

164 Bertram Schulin / Gerhard Igl, Sozialrecht, 7. Aufl. 2002, Rn. 828.<br />

61


6. für die übrigen Auslobungsverfahren der Wert, der bei Dienstleistungs-<br />

aufträgen gilt,<br />

7. für Lose <strong>von</strong> Bauaufträgen <strong>nach</strong> Nummer 4: 1 Million Euro oder bei Losen<br />

unterhalb <strong>von</strong> 1 Million Euro deren addierter Wert ab 20 vom Hundert des<br />

Gesamtwertes aller Lose und<br />

8. für Lose <strong>von</strong> Dienstleistungsaufträgen <strong>nach</strong> Nummer 2 oder 3: 80 000 Euro<br />

oder bei Losen unterhalb <strong>von</strong> 80 000 Euro deren addierter Wert ab 20 vom<br />

Hundert des Gesamtwertes aller Lose; dies gilt nicht im Sektorenbereich.<br />

Es soll da<strong>von</strong> ausgegangen werden, dass die <strong>von</strong> den Trägern der freien<br />

Wohlfahrtspflege erbrachten Dienstleistungsaufträge den Schwellenwert <strong>von</strong> 200 000<br />

Euro <strong>nach</strong> § 2 Nr. 3 VgV oder für Lose 80 000 Euro bzw. bei Losen unterhalb <strong>von</strong><br />

80 000 Euro deren addierter Wert 20 % des Gesamtwertes aller Lose <strong>nach</strong> § 2 Nr. 8<br />

VgV überschreiten und damit in den Anwendungsbereich des vierten Teils des GWB<br />

fallen.<br />

c) Leistungserbringungsverträge als öffentlicher Auftrag<br />

Schließlich müsste ein öffentlicher Auftrag i.S.d. § 99 Abs. 1 GWB vorliegen. Dies ist<br />

jedoch fraglich, soweit es um die Vergabe <strong>von</strong> Leistungserbringungsverträgen geht.<br />

aa) Der erste Konflikt mit dem <strong>Vergaberecht</strong><br />

Ein Landkreis in Norddeutschland hatte im Jahre 1999 geplant, die ambulante<br />

pädagogische Frühförderung <strong>von</strong> Kindern (§ 40 Abs. 1 Nr. 2a BSHG) für die Zukunft<br />

neu zu organisieren. Er unterteilte sein Gebiet in Bezirke und wollte für jeden Bezirk<br />

nur einen freien bzw. gewerblichen Träger mit der Durchführung der Frühförderung<br />

„beauftragen“. Würden je Bezirk mehrere Anbieter im Bereich der Hausfrühförderung<br />

tätig, könnte – so die Befürchtung – der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit nicht<br />

gewahrt werden und die Leistungsfähigkeit der Einrichtungen wäre gefährdet.<br />

Deshalb schrieb der Landrat die ambulante pädagogische Frühförderung für jeden<br />

Bezirk gesondert aus. Bei gleichem Inhalt, Umfang und gleicher Qualität der Leistung<br />

sollte nur mit demjenigen Anbieter eine Leistungs- und Entgeltvereinbarung<br />

abgeschlossen werden, dessen Vergütung geringer ist als die der anderen Anbieter.<br />

62


Das <strong>von</strong> einem übergangenen freien Träger angerufene Verwaltungsgericht Stade<br />

verpflichtete den Landkreis, die Verhandlungen mit einem nicht berücksichtigten<br />

Mitbewerber neu aufzunehmen und auch mit diesem vorläufig eine Leistungs- und<br />

Entgeltvereinbarung zu den gleichen Bedingungen wie mit den berücksichtigten<br />

Anbietern abzuschließen 165 .<br />

Das Gericht hielt also das <strong>Vergaberecht</strong> nicht für anwendbar. Freilich lässt sich dem<br />

Beschluss nicht entnehmen, welcher Argumentation das Gericht dabei folgt: Hält es<br />

das <strong>Vergaberecht</strong> deshalb nicht für anwendbar, weil die Vereinbarungen <strong>nach</strong><br />

§§ 93 ff BSHG <strong>von</strong> der Art her etwas anderes darstellen als mit dem Begriff der<br />

„öffentlichen Aufträge“ im Sinne des <strong>Vergaberecht</strong>s gemeint ist? Oder betrachtet es –<br />

wie vereinzelt in der Literatur vertreten wird 166 - die §§ 93 ff BSHG als spezielle<br />

Bestimmungen, die die allgemeinen Regelungen des <strong>Vergaberecht</strong>s verdrängen?<br />

Diese Frage muss beantwortet werden. Denn die Lex specialis Regel greift nicht,<br />

soweit die §§ 97 ff. GWB umgesetztes Gemeinschaftsrecht und<br />

gemeinschaftsrechtskonform auszulegen sind 167 .<br />

bb) Privat- oder öffentlich-rechtlicher Vertrag?<br />

In der Literatur wird der öffentliche Auftrag als ein „privatrechtlicher Vertrag“ defi-<br />

niert 168 , womit Beschaffungsvorgänge auf der Grundlage öffentlich-rechtlicher<br />

Verträge <strong>von</strong> vornherein aus dem Anwendungsbereich des <strong>Vergaberecht</strong>s ausge-<br />

schlossen wären. Die Leistungserbringungsvereinbarungen <strong>nach</strong> §§ 77, 78a ff. SGB<br />

VIII und §§ 75 ff. SGB XII (bisher § 93 ff. BSHG) sind <strong>nach</strong> gefestigter Recht-<br />

165 VG Stade 14. 7. 1999 RsDE 47 (2001), 99.<br />

166 S. Pöld-Krämer / J. I. Fahlbusch, Das Recht der Leistungserbringung in der Sozialhilfe im Licht der<br />

§§ 93 ff. BSHG, in: RsDE Heft 46/2000, 4, 11. Für die entsprechenden Regelungen im SGB VIII<br />

vgl. A. Stähr / A. Hilke, Die Leistungs- und Finanzierungsbeziehungen im Kinder- und<br />

Jugendhilferecht, ZfJ 1999, 155, 158.<br />

167 Anders ein vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe in Auftrag gegebenes Gutachten, das die<br />

Lex specialis Regel auf das Verhältnis <strong>von</strong> §§ 97 ff. GWB und §§ 93 ff. BSHG anwendet und zu<br />

dem merkwürdigen Ergebnis gelangt, das GWB sei das speziellere Gesetz. Das tragende<br />

Argument lautet, die Kartellvergabe werde in 87 Normen geregelt, während das BSHG die<br />

Leistungserbringung nur in sieben Normen regele. S. Luther Menold, Gutachten zur<br />

Ausschreibungspflicht <strong>von</strong> Leistungen in ambulant betreuten Wohnformen“ v. 15. 1. 2004, unter<br />

1.2.2.3).<br />

168 Bechtold, GWB, 3. Aufl. 2002, § 99 Rn. 1; Thieme / Correll, DVBl. 1999, 884, 885; Dreher, DB<br />

1998, 2579, 2587.<br />

63


sprechung keine privatrechtlichen, sondern öffentlich-rechtliche Verträge 169 . Gleiches<br />

gilt für die Vereinbarungen <strong>nach</strong> § 17 Abs. 2 SGB II und § 21 SGB IX 170 . Dem<strong>nach</strong><br />

wäre das <strong>Vergaberecht</strong> auf diese Vereinbarungen <strong>von</strong> vornherein nicht anwendbar.<br />

Allerdings hat der EuGH anders entschieden und festgestellt, dass die Anwend-<br />

barkeit des <strong>Vergaberecht</strong>s nicht <strong>von</strong> der Rechtsnatur des Vertrages abhängt 171 . Das<br />

ist auch einsichtig, weil die Lehren zur Abgrenzung der zwei Teilrechtsordnungen<br />

nicht immer zu überzeugenden Ergebnissen führen und die Abgrenzung häufig<br />

aufgrund pragmatischer Überlegungen erfolgt. Deshalb ist gegenüber einer<br />

unbesehenen Anknüpfung weitreichender Rechtsfolgen an diese Unterscheidung<br />

durchaus Zurückhaltung angezeigt. Allerdings ist auch zu bedenken, dass die<br />

deutsche Rechtsprechung mit Billigung der Literatur die Zuordnung eines Vertrages<br />

zum öffentlichen Recht vom Ausmaß der rechtlichen „Vorprägung“ des Abschlusses<br />

abhängig macht 172 . Wenn aber die Verwaltung zum Vertragsabschluss verpflichtet<br />

ist, kann sie nicht wie ein Privater auf einem Markt als Nachfrager auftreten. Denn sie<br />

verfügt dann nicht über die Freiheit, vom Erwerb der begehrten Dienstleistung<br />

abzusehen oder ihn hinauszuschieben, etwa weil derzeit der Preis zu hoch ist.<br />

Deshalb ist die <strong>Erbringung</strong> <strong>von</strong> Leistungen auf der Grundlage öffentlich-rechtlicher<br />

Vereinbarungen immerhin ein Indiz dafür, dass wir es nicht mit einem Marktvorgang<br />

zu tun haben und kein öffentlicher Auftrag vorliegt, d. h. das <strong>Vergaberecht</strong> nicht<br />

anwendbar ist.<br />

cc) Keine entgeltlichen Verträge<br />

§ 99 Abs. 1 GWB definiert öffentliche Aufträge als „entgeltliche Verträge zwischen<br />

öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen, die Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen<br />

zum Gegenstand haben, und Auslobungsverfahren, die zu Dienstleistungsaufträgen<br />

führen sollen“. Begriffsmerkmal ist also die Entgeltlichkeit eines bestimmten Vertrags-<br />

gegenstandes. Das Entgelt muss zwar nicht notwendig in Geld bestehen, aber in<br />

169<br />

BGH v. 12. 11. 1991 – KZR 12/90 - RsDE 18(1992), 97, 100; BVerwGE 94, 202, 204 = RsDE 25<br />

(1994), 70, 71 f.<br />

170<br />

Kessler in: Volker Neumann, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen. Handbuch SGB<br />

IX, 2004, § 9 Rn. 64 mit Nachweisen.<br />

171<br />

EuGH v. 12. 7. 2001 Rs. C-399/98, Slg. 2001, I-5435 (Ordine degli Architetti), Rn. 73 mit dem<br />

knappen Hinweis, dass in einigen Mitgliedstaaten die Vergabe generell durch einen<br />

verwaltungsrechtlichen Vertrag erfolgt, der dem öffentlichen Recht unterliegt. – Dörr, RdJB 2002,<br />

349, 364 in Fn. 92 meint, dass diese Wertung auch in der deutschen Literatur „inzwischen h. M.“<br />

ist.<br />

172<br />

BVerwGE 94, 202, 204 = RsDE 25 (1994), 70, 71 f.; BGHZ 116, 339, 341-347 = RsDE 18 (1992),<br />

97, 100; BGH 7. 7. 1992 RsDE 21 (1993), 71, 74 f.<br />

64


einer Vergütung, die einen Geldwert darstellen kann 173 . In der Rechtsprechung des<br />

EuGH zur Entgeltlichkeit als Begriffsmerkmal der Dienstleistung im Sinne <strong>von</strong> Art. 50<br />

EG-Vertrag wird gesagt, dass das Entgelt „die wirtschaftliche Gegenleistung für die<br />

betreffende Leistung darstellt“, wobei „die Gegenleistung in der Regel zwischen dem<br />

Erbringer und dem Empfänger der Leistung vereinbart wird 174 “. Der öffentliche<br />

Auftrag ist also ein Vertrag, der Leistung und Gegenleistung synallagmatisch<br />

verknüpft. Gegenstand der Leistungserbringungsvereinbarungen ist jedoch nicht die<br />

Beschaffung <strong>von</strong> Dienstleistungen gegen ein Entgelt als Gegenleistung, sondern die<br />

Klärung der Bedingungen für die Leistungsabwicklung im sozialrechtlichen Dreiecks-<br />

verhältnis. Wenn man hier überhaupt <strong>von</strong> „Beschaffung“ sprechen will, sind zwei<br />

rechtliche Vorgänge zu nennen: Die Gewährung der Sozialleistung durch den<br />

Sozialleistungsträger im Bewilligungsbescheid, der ein Verwaltungsakt ist, und die<br />

vertraglich geregelte <strong>Erbringung</strong> der Leistung im Verhältnis Leistungsberechtigter<br />

und Leistungserbringer.<br />

dd) Dienstleistungskonzession<br />

Dass die Leistungserbringungsvereinbarungen keine zweiseitig verpflichtenden<br />

entgeltlichen Verträge sind, folgt auch aus den Rechtsfolgen des Abschlusses, die<br />

einer öffentlich-rechtlichen Zulassung nahe kommen 175 . Leistungserbringungsver-<br />

träge haben in der Tat eine große Ähnlichkeit mit Dienstleistungskonzessionen, die<br />

<strong>nach</strong> der Rechtsprechung des EuGH keine öffentlichen Aufträge sind 176 . Bei der<br />

Konzession erhält der Private als Gegenleistung für seine Leistung statt (oder neben)<br />

einer Vergütung das ausschließliche Recht zur (kommerziellen) Nutzung und<br />

Verwertung des Leistungssubstrats. Das Risiko der Verwertung trägt der Private. Bei<br />

freien Trägern ist dieses Verwertungsrisiko das Risiko der Unterbelegung. Leistungs-<br />

erbringungsverträge sind eben keine Belegungsverträge, mit denen die Auslastung<br />

der Einrichtung zugesagt wird 177 . Freie Träger erzielen auch ähnlich wie<br />

Konzessionäre ihre Vergütung über den Benutzer der Leistung. Allerdings wird ihnen<br />

173 Boesen, <strong>Vergaberecht</strong>, 2000, § 99 Rn. 57; Bechtold, GWB, 3. Aufl. 2002, § 99 Rn. 2.<br />

174 EuGH 27. 9. 1988 Rs. 263/83, Slg. 1988, I-5365, (Humbel und Edel), Rn. 17.<br />

175 § 93 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 BSHG.<br />

176 EuGH v. 7. 12. 2000 Rs C-324/98, Slg. 2000, I-10745, Rn. 57.<br />

177 Das vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe in Auftrag gegebenes Gutachten lehnt die Wertung<br />

der Verträge <strong>nach</strong> §§ 93 BSHG als Konzessionsverträge mit dem unzutreffenden Argument ab,<br />

dass „es an einer Übertragung des wesentlichen wirtschaftlichen Risikos als dem Merkmal einer<br />

Konzession fehlt“ S. Luther Menold, Gutachten zur Ausschreibungspflicht <strong>von</strong> Leistungen in<br />

ambulant betreuten Wohnformen“ v. 15. 1. 2004, unter 1.2.1.<br />

65


das Entgelt nicht vom Sozialleistungsberechtigten, sondern vom Leistungsträger<br />

ausgezahlt. Wenn – wie in der Praxis hin und wieder gefordert – die Sozialleistungs-<br />

träger die übernommenen Kosten der Leistung an den Leistungsberechtigten<br />

auszahlen würden, der dann das Entgelt an den Leistungserbringer zahlt, wären alle<br />

Merkmale einer Konzession erfüllt. Trotz dieser Abweichung <strong>von</strong> Idealfall einer<br />

Konzession wertet Dörr die Leistungserbringungsverträge der Sozial- und Jugend-<br />

hilfe als „besondere Form der Konzessionsvergabe..., in welcher die Kostenzusage<br />

des staatlichen Leistungsträgers das Verwertungsrecht des Konzessionärs<br />

ausfüllt 178 “. Dem ist zuzustimmen.<br />

ee) Rahmenvereinbarung<br />

Das <strong>Vergaberecht</strong> kennt die Rahmenvereinbarung, in der die Bedingungen für<br />

mehrere im Laufe eines bestimmten Zeitraums abzuschließende Einzelaufträge<br />

festgelegt werden. In einer Rahmenvereinbarung werden also keine verbindlichen<br />

Abnahmepflichten begründet, sondern lediglich entsprechende Optionen<br />

eingeräumt 179 . Auf den ersten Blick weist dieser Vereinbarungstypus eine gewisse<br />

Ähnlichkeit mit den Leistungserbringungsvereinbarungen auf. Die Zuordnung zu<br />

diesem Vereinbarungstypus hat aber allenfalls dann Rechtsfolgen, wenn die<br />

Regelung der <strong>Erbringung</strong> der einzelnen Sozialleistung ein Einzelauftrag im<br />

vergaberechtlichen Sinne wäre. Dann nämlich müsste nicht dieser Einzelauftrag,<br />

sondern nur der Rahmenvertrag ausgeschrieben werden.<br />

Als ein solcher Einzelauftrag könnte die sog. Kostenzusage, die der Sozialleistungs-<br />

träger dem Leistungserbringer erteilt, gewertet werden. Dabei handelt es sich im<br />

Regelfall um eine Kopie des Bewilligungsbescheids (also der Kostenübernahme-<br />

erklärung), die der Sozialleistungsträger mit oder ohne Begleitbrief dem Leistungs-<br />

erbringer zustellt 180 . Die rechtliche Wertung dieses Vorgangs ist umstritten. In der<br />

Literatur ist die Ansicht anzutreffen, dass der Sozialleistungsträger mit diesem<br />

Schreiben der Schuld des Hilfeempfängers aus dem – im Regelfall erst noch<br />

abzuschließenden – Heimvertrag beitrete, es sich also um einen Schuldbeitritt (auch<br />

178 Dörr, RdJB 2002, 349, 365.<br />

179 Boesen, <strong>Vergaberecht</strong>, 2000, § 97 Rn. 37-45.<br />

180 Zur Darstellung und Wertung dieses Verwaltungsvorgangs Neumann, Freiheitsgefährdung im<br />

kooperativen Sozialstaat, 1992, S. 136-141.<br />

66


Schuldmitübernahme oder kumulative Schuldübernahme genannt) handele 181 .<br />

Da<strong>nach</strong> ist die „Kostenzusage“ gerade kein gegenseitiger entgeltlicher Vertrag, der<br />

Leistung und Gegenleistung synallagmatisch verknüpft. Denn der Träger der<br />

Einrichtung verpflichtet sich im Heimvertrag mit dem Hilfeempfänger zur <strong>Erbringung</strong><br />

jener Leistung, über deren Kosten die „Kostenzusage“ eine verbindliche Regelung<br />

trifft. Noch deutlicher wird die Unvereinbarkeit der Leistungsabwicklung mit dem<br />

<strong>Vergaberecht</strong> in der Rechtsprechung, die die Selbstverpflichtung des Sozialleistungs-<br />

trägers gegenüber dem Leistungserbringer streng an den im Bewilligungsbescheid<br />

geregelten Sozialhilfeanspruch bindet, so dass der Zahlungsanspruch erlischt,<br />

sobald die gesetzlichen Voraussetzungen der Hilfegewährung nicht mehr<br />

vorliegen 182 . Der „Grundsatz der Akzessorietät“ der Kostenzusage macht einmal<br />

mehr deutlich, dass das Basisverhältnis im Dreieck sozialleistungsberechtigter<br />

Bürger – Sozialleistungsträger – Leistungserbringer die Beziehung zwischen Bürger<br />

und Leistungsträger ist und das Leistungserbringungsrecht der Erfüllung des<br />

Leistungsanspruchs dient. Deshalb ist die Kostenzusage kein öffentlicher Auftrag<br />

und die Leistungserbringungsvereinbarung keine Rahmenvereinbarung im vergabe-<br />

rechtlichen Sinne.<br />

Fazit: Leistungserbringungsvereinbarungen sind keine öffentlichen Aufträge im Sinne<br />

<strong>von</strong> § 99 Abs. 1 GWB. Deshalb gelangt das <strong>Vergaberecht</strong> des GWB überall dort nicht<br />

zur Anwendung, wo das Sozialrecht den Abschluss <strong>von</strong> Leistungserbringungsver-<br />

trägen vorschreibt oder zulässt.<br />

Erfolgt die Leistungserbringung hingegen nicht im Dreiecksverhältnis, sondern durch<br />

zweiseitig verpflichtende Verträge über bestimmte Leistungskontingente zwischen<br />

dem Sozialleistungsträger auf der einen und einem freien Träger auf der anderen<br />

Seite, könnte ein öffentlicher Auftrag vorliegen und das <strong>Vergaberecht</strong> des GWB zur<br />

Anwendung gelangen.<br />

181<br />

Schmitt, Leistungserbringung durch Dritte im Sozialrecht, 1990, S. 440-446; Lenz, ZfSH / SGB<br />

1986, 203, 206 f.; Giese, ZfF 1984, 93, 97.<br />

182<br />

Zum Sozialhilferecht OVG Münster 8. 12. 1994 RsDE 34 (1996), 91; VG Stuttgart 3. 2. 1999<br />

RsDE 46 (2000), 101. Zum Jugendhilferecht OVG Münster 19. 7. 1990 RsDE 15 (1990), 69; vgl.<br />

auch OLG Hamm 11. 8. 1989 RsDE 12 (1991), 105.<br />

67


3. Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten<br />

Fraglich ist, ob das Leistungserbringungsrecht verdrängt wird oder bestehen bleibt,<br />

wenn die Sozialverwaltung Leistungskontingente bildet, die geeignet sind, die<br />

Anforderungen des Begriffs „öffentlicher Auftrag“ im Sinne des § 99 GWB zu erfüllen<br />

(dazu unter a). Ferner ist zu prüfen, was das Verfassungsrecht zu einer Bildung <strong>von</strong><br />

Leistungskontingenten durch die Sozialverwaltung sagt (unter b). Die letzte Frage<br />

bedarf einer Erläuterung. Es ist richtig, dass bei der Auslegung des GWB das<br />

Europarecht als höherrangiges Recht im Verhältnis zum nationalen Verfassungsrecht<br />

zu beachten ist. Das folgt aus dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts.<br />

Es geht hier aber nicht darum, die §§ 97 ff. GWB auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu<br />

befragen oder verfassungskonform auszulegen. Gefragt wird nur, ob das<br />

Grundgesetz zulässt, dass die Sozialverwaltung Leistungskontingente bildet, die<br />

dann möglicherweise – in einem zweiten Schritt – zur Anwendung des <strong>Vergaberecht</strong>s<br />

führen könnten.<br />

a) Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten und Leistungserbringungsrecht<br />

aa) Wegbrechen des Leistungserbringungsrechts oder zwei Regime<br />

Ein Landkreis will die Leistungen der ambulanten Hausfrühförderung für einen<br />

Zeitraum <strong>von</strong> drei Jahren neu „vergeben“. Auf Grund der bisherigen Inanspruch-<br />

nahme der Hausfrühförderung wird ein jährlicher „Auftragsgesamtwert“ geschätzt.<br />

Dieser überschreitet den Schwellenwert, <strong>von</strong> dem ab das „europäische“ Vergabe-<br />

recht Anwendung findet. Der Landrat könnte nun zu folgenden Feststellungen<br />

kommen: Weil die §§ 93 ff BSHG es nicht zuließen, eine Entgeltvereinbarung nur mit<br />

dem – bei gleicher Leistung und Qualität – billigsten Anbieter abzuschließen,<br />

kollidiere die sozialhilferechtliche Regelung mit dem EU-<strong>Vergaberecht</strong>. Eine solche<br />

Kollision sei so zu lösen, dass in diesem Falle dem europäischen <strong>Vergaberecht</strong> der<br />

Vorrang eingeräumt werden müsse und demzufolge die §§ 93 ff BSHG nicht<br />

angewendet werden dürften. Wenn das richtig wäre, hätte es die Verwaltung in der<br />

Hand, das gesamte Leistungserbringungsrecht zu umgehen und im Ergebnis<br />

wegzubrechen.<br />

68


Die Auffassung des Landrats ist jedoch schon deshalb unzutreffend, weil kein<br />

Normenkonflikt vorliegt. Da die Leistungserbringungsverträge – wie oben dargelegt –<br />

Dienstleistungskonzessionen und keine öffentlichen Aufträge im Sinne <strong>von</strong> § 99<br />

GWB sind, wird das Leistungserbringungsrecht nicht vom <strong>Vergaberecht</strong> verdrängt.<br />

Wenn der Landrat Leistungskontingente bildet und vergibt, bestehen zwei Regime<br />

der <strong>Erbringung</strong> <strong>von</strong> <strong>Sozialleistungen</strong> neben einander, nämlich die Vergabe <strong>nach</strong><br />

Haushaltsrecht und das geltende Leistungserbringungsrecht der §§ 93 ff. BSHG.<br />

Was hat das für Folgen?<br />

bb) Unverträglichkeit des Leistungsrechts mit Leistungskontingenten<br />

Der Erwerb <strong>von</strong> Leistungskontingenten durch Sozialleistungsträger ist mit einigen<br />

Normen, die das Sozialrechtsverhältnis regeln (Leistungsrecht), unverträglich. Der<br />

Träger der Sozialhilfe entscheidet gemäß § 17 Abs. 2 SGB XII (früher § 4 Abs. 2<br />

BSHG) über die Gestaltung der Hilfe, zu der auch die Bestimmung des Leistungs-<br />

erbringers gehört, <strong>nach</strong> pflichtgemäßem Ermessen. Pflichtgemäß ausgeübt wird das<br />

Ermessen nur, wenn die Entscheidung die „Besonderheit des Einzelfalles“<br />

berücksichtigt (§ 9 Abs. 1 SGB XII, früher § 3 Abs. 1 BSHG) 183 . Es ist schwer<br />

vorstellbar, dass diese Anforderung erfüllt werden kann, wenn der Leistungs-<br />

berechtigte auf Leistungskontingente, die irgendwann einmal erworben wurden,<br />

verwiesen werden müsste. Vor allem ist zu bedenken, dass der Vertrag, mit dem<br />

Leistungskontingente erworben werden, keine Vereinbarung im Sinne <strong>von</strong> § 75 Abs.<br />

3 SGB XII (früher § 93 Abs. 2 BSHG) bzw. <strong>von</strong> § 78b Abs. 1 SGB VIII ist, so dass die<br />

Leistung <strong>von</strong> einem Lieferanten <strong>von</strong> Leistungskontingenten nur unter den strengen<br />

Voraussetzungen <strong>von</strong> § 75 Abs. 4 S. 1 und 2 SGB XII (früher § 93 Abs. 3 S. 1 und 2<br />

BSHG) bzw. § 78b Abs. 3 SGB VIII erbracht werden darf.<br />

Noch deutlicher ist die Unverträglichkeit <strong>von</strong> Leistungskontingenten mit den<br />

leistungsrechtlichen Vorgaben des § 9 Abs. 2 SGB XII (früher § 3 Abs. 2 BSHG) bzw.<br />

§§ 5 Abs. 2, 36 Abs. 1 S. 5 SGB VIII. Da<strong>nach</strong> darf der Leistungsberechtigte Wünsche<br />

im Hinblick auf die Gestaltung der Hilfe äußern, wozu insbesondere die Wahl des<br />

Leistungserbringers gehört. Diesen Wünschen soll entsprochen werden, soweit sie<br />

183 Zur Ableitung des Individualisierungsgrundsatzes für die Jugendhilfe aus § 33 SGB I s. Münder,<br />

Das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten in der Jugendhilfe, RsDE 38 (1998), 55,<br />

58 f.<br />

69


angemessen sind und keine unverhältnismäßigen Mehrkosten verursachen. In<br />

diesem Fall reduziert der Wunsch das Ermessen des Sozialleistungsträgers auf Null.<br />

Dem Wunsch <strong>nach</strong> einem bestimmten Erbringer stationärer Leistungen soll nur<br />

entsprochen werden, wenn mit ihm „Vereinbarungen <strong>nach</strong> Abschnitt 7“ bzw.<br />

„Vereinbarungen <strong>nach</strong> § 78b bestehen“ 184 . Damit sind die Leistungserbringungs-<br />

verträge gemeint. Daraus folgt erstens, dass das Wunsch- und Wahlrecht nicht auf<br />

den Bieter beschränkt werden darf, bei dem die Verwaltung Leistungskontingente<br />

erworben hat. Zweitens dürfen Wünsche <strong>nach</strong> den Leistungen dieses Bieters nur<br />

unter den strengen Voraussetzung der Soll-Vorschriften des § 9 Abs. 2 S. 2 SGB XII<br />

(früher § 3 Abs. 2 S. 2 BSHG) bzw. §§ 5 Abs. 2 S. 2, 36 Abs. 1 S. 5 SGB VIII erfüllt<br />

werden, also nur bei Vorliegen „atypischer Umstände“, die ein Abweichen <strong>von</strong> der<br />

gesollten Handlung gestatten 185 .<br />

Die Vergabe <strong>von</strong> Leistungskontingenten ruft also einen Effekt hervor, der bereits bei<br />

der systemwidrigen Zuwendungsfinanzierung beobachtet wurde: Die Verwaltung<br />

manövriert sich in eine Lage, in der sie öffentliche Mittel verschwenden muss, wenn<br />

sie weiterhin rechtmäßig handeln will 186 . Der Mehrkostenvorbehalt verhindert diesen<br />

Effekt nicht. Erstens kommt er nur zum Zuge, wenn die zu vergleichenden<br />

Leistungen angemessen sind 187 . Das wird aber bei Leistungen, die bei einem Bieter<br />

erworben wurden und auf Abruf bereit gehalten werden, schon aus räumlichen<br />

Gründen nur ausnahmsweise der Fall sein. Zweitens muss die gewünschte Leistung<br />

nicht zwingend die teurere sein, da nicht Leistungskontingente, sondern konkrete<br />

Leistungen für die Erfüllung eines individuellen Bedarfs zu vergleichen sind. Und<br />

drittens dürfen kontingentierte Leistungen nur dann in einen Vergleich eingestellt<br />

werden, wenn dies <strong>nach</strong> der „Besonderheit des Einzelfalles“ gemäß § 75 Abs. 4 S. 1<br />

SGB XII (früher § 93 Abs. 3 S. 1 BSHG) bzw. „<strong>nach</strong> Maßgabe der Hilfeplanung“<br />

gemäß § 78b Abs. 3 SGB VIII ausnahmsweise geboten ist.<br />

184 § 3 Abs. 2 S. 2 BSHG. - § 5 Abs. 2 S. 2 SGB VIII, vgl. auch § 36 Abs. 1 S. 5 SGB VIII.<br />

185 Diese entscheidenden Punkte werden in dem vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe in<br />

Auftrag gegebenen Gutachten noch nicht einmal gestreift. S. Luther Menold, Gutachten zur<br />

Ausschreibungspflicht <strong>von</strong> Leistungen in ambulant betreuten Wohnformen“ v. 15. 1. 2004, unter<br />

1.2.2.2.<br />

186 Neumann, Subventionen oder Leistungsentgelte?, RsDE 31 (1995), 42, 44.<br />

187 BVerwGE 97, 53, 57 f. = RsDE 29 (1995), 94, 99 f.; Giese, Zur Geltung und Anwendung des § 3<br />

Abs. 2 S. 3 BSHG bei dem Wunsch <strong>nach</strong> häuslicher Pflege statt Heimpflege, RsDE 4 (1989), 39,<br />

46 f. Zur Jugendhilfe Walter Schellhorn u. a., SGB VIII / KJHG. Kommentar, 2. Aufl. 2000, § 5 Rn.<br />

29.<br />

70


cc) Unverträglichkeit des Leistungserbringungsrechts mit Leistungskontingenten<br />

Die Einrichtungen haben einen Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens<br />

beim Abschluss <strong>von</strong> Vereinbarungen <strong>nach</strong> § 75 Abs. 3 SGB XII (früher § 93 Abs. 2<br />

BSHG) 188 und §§ 77, 78a ff. SGB VIII 189 . Der Bedarf an Heimplätzen ist kein<br />

zulässiger Gesichtspunkt der Ermessensausübung, da mit dem Abschluss der<br />

Vereinbarung keine Pflicht entsteht, „die betreffende Einrichtung zu belegen oder für<br />

ihre Auslastung zu sorgen“ 190 . Wenn keine Vereinbarung zustande kommt,<br />

entscheidet auf Antrag einer Partei die Schiedsstelle über die Gegenstände, über die<br />

keine Einigung erreicht werden konnte. Da auch das neue Recht keine Ermächtigung<br />

zu einer „Angebotssteuerung durch Bedarfsprüfung“ enthält 191 , kann jede<br />

Einrichtung, die wirtschaftlich, sparsam und leistungsfähig im Sinne <strong>von</strong> § 75 Abs. 3<br />

S. 2 SGB XII (§ 93 Abs. 2 Satz 2 BSHG) bzw. § 78b Abs. 2 SGB VIII ist, den<br />

Abschluss der Vereinbarung erstreiten. Mit dem Abschluss wird die Pflicht des<br />

Trägers der Sozial- und Jugendhilfe ausgelöst, die Vergütung für die erbrachte<br />

Leistung zu übernehmen. Zwar folgt aus dem Grundsatz „Keine Sozialhilfe für die<br />

Vergangenheit“, dass die Einrichtung nur Leistungen, die durch Sozialverwaltungsakt<br />

bewilligt wurden, zu Lasten der Sozialhilfe erbringen darf. Da jedoch – wie dargelegt<br />

– eine leistungsrechtliche Pflicht zur Bewilligung besteht, muss der Träger der<br />

Sozialhilfe auch dann die Vergütung übernehmen, wenn er über ein durch<br />

<strong>Vergaberecht</strong> erworbenes Leistungspaket verfügt. Fazit: Er bleibt auf seinem<br />

Leistungskontingent sitzen. Es bestätigt sich einmal mehr, dass systemwidrige Finan-<br />

zierungsstrategien mit einer Verschwendung öffentlicher Mittel einhergehen.<br />

188 BVerwGE 94, 202, 207 = RsDE 25 (1994), 70, 72; OVG Lüneburg 11. 6. 1985 FEVS 34, 419, 423<br />

f.; 21. 8. 1981 FEVS 32, 282, 285 f.; OVG Hamburg 12. 9. 1980 FEVS 31, 404, 416.<br />

189 Walter Schellhorn u. a., SGB VIII / KJHG. Kommentar, 2. Aufl. 2000, § 77 Rn. 14; Johannes<br />

Münder u. a., Frankfurter Lehr- und Praxiskommentar zum KJHG / SGB VIII, 3. Aufl. 1998, § 77<br />

Rn. 7; Papenheim, in: Peter-Christian Kunkel, Lehr- und Praxiskommentar SGB VIII, 1998, § 77<br />

Rn. 4; Stähr, Führt der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zu einem Rechtsanspruch der<br />

freien Träger auf Finanzierung, ZfJ 1998, 24, 27 f. Der Wortlaut <strong>von</strong> § 78b Abs. 2 SGB VIII legt<br />

sogar einen Rechtsanspruch auf den Abschluss nahe, vgl. Reinhard Wiesner, Die Neuregelung<br />

der Entgeltfinanzierung in der Kinder- und Jugendhilfe, ZfJ 1999, 79, 82.<br />

190 BVerwGE 94, 202, 208 = RsDE 25 (1994), 70, 74 f. –Walter Schellhorn u. a., SGB VIII / KJHG.<br />

Kommentar, 2. Aufl. 2000, § 78b Rn. 17; Johannes Münder u. a., Frankfurter Lehr- und<br />

Praxiskommentar zum KJHG / SGB VIII, 3. Aufl. 1998, § 77 Rn. 7; Reinhard Wiesner u. a., SGB<br />

VIII, 1995, § 77 Rn. 6.<br />

191 So ausdrücklich VG Stade 14. 7. 1999 RsDE 47 (2001), 99, 103.<br />

71


dd) Verträge zu Lasten Dritter?<br />

Verträge über Leistungskontingente („echte Leistungsverträge“) werden abge-<br />

schlossen, um durch einen preiswerten Einkauf und eine Kontingentierung der<br />

Leistungen öffentliche Haushaltsmittel einzusparen, nicht aber um diese Mittel zu<br />

verschwenden. Es ist also nicht auszuschließen, dass die Verwaltung sich über die<br />

aufgezeigte Unverträglichkeit dieses Vertrages mit dem Sozialrecht unter Beeinträch-<br />

tigung der Rechte der Sozialleistungsberechtigten und freien Träger hinwegsetzt.<br />

Dadurch werden die Leistungsverträge aber noch nicht zu gemäß § 57 Abs. 1 SGB X<br />

unwirksamen Verträgen zu Lasten Dritter. Denn ein Eingriff in die Rechte eines<br />

Dritten liegt erst dann vor, wenn entweder der Vertrag selbst in die Rechte eingreift<br />

oder die Vertragsparteien sich zu einer entsprechenden, noch zu treffenden<br />

Maßnahme verpflichten 192 . Der Vertrag über Leistungskontingente („echter<br />

Leistungsvertrag“) mag zu faktischen Beeinträchtigungen der Rechte Dritter führen,<br />

mindert aber nicht deren rechtlichen Status. Wenn die Verwaltung die gewünschte<br />

<strong>Erbringung</strong> der Leistung durch einen freien Träger ablehnt, kann der Leistungs-<br />

berechtigte sein Recht durch die Verpflichtungsklage durchsetzen. Er kann sich die<br />

Leistung auch selbst beschaffen und die Erstattung der Kosten durch eine<br />

allgemeine Leistungsklage betreiben, sofern die Voraussetzungen einer zulässigen<br />

Selbstbeschaffung gegeben sind 193 . Auch die übergangenen freien Träger können –<br />

wie oben dargelegt – den Abschluss <strong>von</strong> Vereinbarungen gerichtlich erstreiten.<br />

Gefährdet wird ihre Rechtsposition allerdings dann, wenn die Verwaltung trotz einer<br />

bestehenden Vereinbarung ihnen keine Klienten „zuweist“ und die Sozialleistungs-<br />

berechtigten sich nicht gegen diese Praxis zur Wehr setzen. Eine solche Verfahrens-<br />

weise wäre ein klarer Verstoß gegen die Bestimmungen des Leistungsrechts und die<br />

Pflicht zur (partnerschaftlichen) Zusammenarbeit <strong>von</strong> öffentlichen und freien<br />

Trägern 194 . Den übergangenen Trägern wäre zu raten, sich mit einer Unterlassungs-<br />

oder Feststellungsklage zu wehren. Anders fällt die rechtliche Beurteilung aus, wenn<br />

in einem Vertrag über Leistungskontingente dem Lieferanten <strong>von</strong> Dienstleistungen<br />

eine bevorzugte „Belegung“ oder Inanspruchnahme zugesagt wird. Solche<br />

192<br />

Krasney, in: Kasseler Kommentar, 2000, § 57 SGB X Rn. 4; Engelmann, in: Schroeder-Printzen,<br />

SGB X, 3. Aufl. 1996, § 57 Rn. 3.<br />

193<br />

Dazu Ralf Rothkegel, Der sozialhilferechtliche Kenntnisgrundsatz und der Grundsatz „Keine Hilfe<br />

für die Vergangenheit“, ZfSH/SGB 2000, S. 1 (9-12).<br />

194<br />

§ 10 Abs. 2 BSHG, § 4 Abs. 1 SGB VIII.<br />

72


Vertragsklauseln, die früher in den sog. Belegungsverträgen der Rentenver-<br />

sicherungsträger mit Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation anzutreffen<br />

waren 195 , greifen in die Rechte der Leistungsberechtigten und übergangenen<br />

Leistungserbringer ein und sind gemäß § 57 Abs. 1 SGB X unwirksam.<br />

b. Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten und Verfassungsrecht<br />

aa) Recht auf Auswahl der Leistungen und ihrer Erbringer<br />

Das Recht des Sozialleistungsberechtigten auf Auswahl der Leistungen und ihrer<br />

Erbringer ist im Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG<br />

geschützt (A III 2). Die Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten stellt nicht zwingend einen<br />

Grundrechtseingriff dar. Das ändert sich aber, wenn das Leistungskontingent so groß<br />

ist, dass nur noch ein oder wenige Erbringer vorhanden sind, unter denen<br />

ausgewählt werden kann. Jedenfalls liegt spätestens dann ein Grundrechtseingriff<br />

vor, wenn ein regionaler Sozialraum gebildet wird, für den nur noch ein Anbieter für<br />

eine Leistungsart vorhanden ist.<br />

Es ist zwar richtig, dass die sozialrechtlichen Ausprägungen des Grundrechts, also<br />

die diversen Wunsch- und Wahlrechte, sich nur auf vorhandene Einrichtungen und<br />

tatsächlich zur Verfügung stehende Plätze erstrecken 196 . Damit ist aber nur gesagt,<br />

dass diese Rechte keinen Anspruch auf Schaffung neuer Betreuungsangebote<br />

beinhalten 197 . Hier geht es aber nicht um Leistungsansprüche, sondern um die<br />

Ausschaltung <strong>von</strong> Alternativen, unter denen gewählt werden kann, also um<br />

potentielle Eingriffe.<br />

Liegt ein Eingriff vor, bedarf er einer gesetzlichen Grundlage. Gesetz meint hier das<br />

materielle Gesetz, das Rechtsverordnungen und Satzungen einschließt. Zweck <strong>von</strong><br />

Leistungskontingenten ist der preiswerte Einkauf <strong>von</strong> <strong>Sozialleistungen</strong>, also die<br />

Kostensenkung. Dieser Zweck ist legitim, wenn die Kostensenkung durch die<br />

Aktualisierung <strong>von</strong> Rationalisierungspotentialen bei den Anbietern erreicht wird. Nicht<br />

195<br />

Nachweise bei Volker Neumann, Freiheitsgefährdung im kooperativen Sozialstaat, 1992, S. 310-<br />

313<br />

196<br />

VGH München 2. 12. 2003 – 7 CE 03/2722.<br />

197<br />

OVG Frankfurt/Oder 5. 9. 2002 LKV 2003, 100.<br />

73


mehr legitim wäre der Zweck, wenn durch eine gezielte Verknappung der<br />

Kontingente den Leistungsberechtigten Leistungen vorenthalten werden, die ihnen<br />

das Sozialrecht gewährt. Die an die Ermittlung des legitimen Zwecks anschließende<br />

Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist einzelfallbezogen vorzunehmen.<br />

bb) Grundrecht der karitativen Tätigkeit und kirchliches Selbstverwaltungsrecht<br />

Der Tatbestand des Helfens ist bei profanen Trägern in Art. 2 Abs. 1 GG und bei<br />

religiös geprägten Trägern in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, Art. 140 GG i. V. mit Art. 137<br />

Abs. 3 WRV geschützt (A I 1 und 2). Das Sozialrecht gibt diesen verfassungs-<br />

rechtlichen Befund in der gelungenen Formulierung wieder, dass die frei-<br />

gemeinnützigen Einrichtungen Träger eigener sozialer Aufgaben sind und dies auch<br />

in der Zusammenarbeit mit den Sozialleistungsträgern bleiben (A II). Die Aufgaben<br />

des Sozialstaats und die der freien Träger werden durch die Verträge des<br />

Leistungserbringungsrechts aufeinander abgestimmt. Diese Abstimmung ist das<br />

Zentrum der vom BVerfG <strong>nach</strong>haltig betonten „hergebrachten und durch Jahrzehnte<br />

bewährten Zusammenarbeit <strong>von</strong> Staat und Verbänden 198 “ (A III 1).<br />

Die Selbstständigkeit freier Träger, also ihre Trägerschaft eigener sozialer Aufgaben<br />

in der Zusammenarbeit mit dem Sozialstaat, wird durch die Bildung <strong>von</strong><br />

Leistungskontingenten gefährdet. Zwar können sie die Durchführung der Aufgaben<br />

weiterhin selbst bestimmen. Sie können aber nicht mehr in der Zusammenarbeit mit<br />

dem Sozialleistungsträger über Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen<br />

mitbestimmen. Denn Leistungskontingente setzen eine Leistungsbeschreibung<br />

voraus, die – wie das daran anschließende <strong>Vergaberecht</strong> lehrt – „eindeutig und so<br />

erschöpfend“ ist, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen<br />

müssen und die Angebote miteinander verglichen werden können (§ 8 Abs. 1<br />

VOL/A). Deshalb greift die Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten in Art. 2 Abs. 1 GG<br />

und Art. 140 GG i. V. mit Art. 137 Abs. 3 GG ein.<br />

Der Eingriff kann gerechtfertigt werden, wenn eine parlamentsgesetzliche Grundlage<br />

vorhanden ist und die Schranken-Schranken, insbesondere der Grundsatz der<br />

198 BVerfGE 22, 180, 200.<br />

74


Verhältnismäßigkeit, gewahrt sind. Das ist bei der Experimentierklausel des § 421 i<br />

SGB III der Fall: Experimente sind (fast) immer erlaubt.<br />

cc) Schutz der beruflichen Tätigkeit<br />

Das Betreiben <strong>von</strong> gemeinnützigen Diensten und Einrichtungen ist ein Beruf (A I 3 a).<br />

Die Berufsfreiheit schützt im Bereich der sozialen Dienste und Einrichtungen vor<br />

allem vor einer Angebotssteuerung durch Bedarfsprüfung (A I 3 b und c). Solche<br />

Eingriffe in Art. 12 Abs. 1 GG können gerechtfertigt werden, wenn sie auf einer<br />

hinreichend bestimmten parlamentsgesetzlichen Ermächtigung erfolgen und<br />

verhältnismäßig sind. Die Rechtfertigung scheitert, wenn ein gleich geeignetes<br />

milderes Mittel vorhanden ist. Ein solches Mittel ist die Möglichkeit der Prüfung des<br />

individuellen Bedarfs durch den Sozialleistungsträger vor der <strong>Erbringung</strong> der<br />

Leistung. Eine Angebotssteuerung durch Bedarfsprüfung kann also nur dort<br />

gerechtfertigt werden, wo die Leistungserbringung wie bei der Notfallaufnahme in<br />

das Krankenhaus häufig unaufschiebbar ist und die Dauer der Behandlung durch<br />

den Sozialleistungsträger nicht oder nur schwer überprüft werden kann (A I 3 c bb).<br />

Der Tatbestand des bereits mehrfach zitierten Beschlusses des VG Stade gibt<br />

Auskunft, dass es bei der Ausschreibung <strong>von</strong> Leistungserbringungsverträgen durch<br />

einen Sozialhilfeträger um eine Angebotssteuerung durch Bedarfsprüfung ging. Der<br />

Sozialhilfeträger befürchtete, dass bei Tätigwerden mehrerer Einrichtungen in seinem<br />

Gebiet die Gefahr der Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit der Einrichtungen<br />

entstehe. Deshalb habe er mit der vergaberechtlichen Gestaltung der Leistungs-<br />

erbringung „mittelbar auf eine bedarfsgerechte Begrenzung des Hilfeangebots<br />

Einfluss genommen 199 “. Die Ausgangsüberlegung ist ebenso fehlerhaft wie der<br />

daraus gezogene Schluss. Das Unternehmerrisiko, also das Risiko der<br />

Unterbelegung, trägt jeder freie Träger selbst. Wenn er nicht mehr in Anspruch<br />

genommen wird und infolgedessen nicht mehr leistungsfähig ist, muss er eben<br />

seinen Betrieb einstellen. Der Sozialleistungsträger ist berechtigt, den Abschluss <strong>von</strong><br />

Vereinbarungen mit leistungsunfähigen Trägern zu verweigern und – allerdings unter<br />

etwas strengeren Voraussetzungen - bestehende Vereinbarungen zu kündigen.<br />

199 VG Stade 14. 7. 1999 RsDE 47 (2001), 99, 102.<br />

75


In den 1980er Jahren ist dieser Rechtslage das „Say´sche Gesetz“ entgegen<br />

gehalten worden, wo<strong>nach</strong> ein vorhandenes Angebot sich seine Nachfrage selbst<br />

schafft („Schwammeffekt“) 200 . Dieser Einwand ist unhaltbar, weil die <strong>Erbringung</strong> der<br />

Sozialleistung die Überprüfung des individuellen Bedarfs und die Bewilligung der<br />

Leistung durch den zuständigen Sozialleistungsträger voraussetzt. Deshalb ist der<br />

Schluss aus der Ausgangsüberlegung auf eine Berechtigung zur Angebotssteuerung<br />

durch Bedarfsprüfung fehlerhaft. Er ist aber nicht nur fehlerhaft, sondern auch<br />

rechtswidrig, weil er frontal der höchstrichterlichen Rechtsprechung widerspricht: Der<br />

Bedarf an Heimplätzen ist kein zulässiger Gesichtspunkt bei der Ausübung des<br />

Ermessens über den Abschluss einer Vereinbarung, weil mit dem Abschluss keine<br />

Pflicht entsteht, „die betreffende Einrichtung zu belegen oder für ihre Auslastung zu<br />

sorgen 201 “.<br />

Das VG Stade hatte der Sache <strong>nach</strong> erkannt, dass mit der Ausschreibung der<br />

Leistungserbringungsvereinbarung die skizzierten Anforderungen des Leistungs-<br />

erbringungsrechts umgangen werden sollten 202 . Auch die Bildung <strong>von</strong> Leistungs-<br />

kontingenten ist eine Umgehungsstrategie. Es soll auf einem Umweg ein Ziel erreicht<br />

werden, das vom geltenden Recht ausdrücklich missbilligt wird: Eine Angebots-<br />

steuerung mit Belegungsgarantie. Deshalb ist die Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten<br />

ein Eingriff in die Berufsfreiheit der freien Träger. Das hat zur Folge, dass dieses<br />

Vorgehen den Vorbehalt des Gesetzes auslöst. Die §§ 37c und 421 i SGB III<br />

belegen, dass auch der Gesetzgeber vom Erfordernis einer parlamentsgesetzlichen<br />

Ermächtigung für eine Vergabe <strong>von</strong> <strong>Sozialleistungen</strong> ausgeht. Und das ist auch<br />

vollkommen überzeugend, weil anders jeder einzelne Sozialleistungsträger über den<br />

Umweg „Leistungskontingente“ den in Jahrzehnten gewachsenen und verfassungs-<br />

rechtlich befestigten Rechtsstatus der freien Träger wegbrechen könnte.<br />

Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines solchen Gesetzes wird es auf die<br />

Besonderheiten des jeweiligen Sozialbereichs ankommen. Auf der Prüfungsstufe der<br />

Erforderlichkeit wird zu klären sein, ob die Instrumente des jeweiligen Leistungs-<br />

erbringungsrechts zur Kostensenkung funktionieren bzw. aus welchen Gründen sie<br />

nicht funktionieren. Dabei könnte sich herausstellen, dass diese Instrumente schlicht<br />

200<br />

Nachweise bei Volker Neumann, Freiheitsgefährdung im kooperativen Sozialstaat, 1992, S. 189,<br />

192 f.<br />

201<br />

BVerwGE 94, 202, 208 = RsDE 25 (1994), 70, 74 f. mit Anm. Giese; OVG Hamburg 12. 9. 1980<br />

FEVS 31 (1981), 404, 416 f.<br />

202<br />

VG Stade 14. 7. 1999 RsDE 47 (2001), 99, 103.<br />

76


und einfach nicht eingesetzt werden. Ein Beispiel ist die Jugendhilfe, in der die<br />

Träger der öffentlichen Jugendhilfe teilweise heute noch die Kosten selbst<br />

beschaffter Leistungen erstatten. Dann ist auch über den hinter vorgehaltener Hand<br />

geäußerten Einwand zu sprechen, das Ansehen einer Kommune lasse den Konkurs<br />

eines leistungsunfähigen freien Trägers nicht zu. Und da man <strong>nach</strong> geltendem Recht<br />

leider keine Angebotssteuerung praktizieren dürfe, müsse man eben in das<br />

<strong>Vergaberecht</strong> ausweichen.<br />

c) Zusammenfassung<br />

Unter a) wurde die Rechtsfolge einer Ausschreibung und Vergabe <strong>von</strong><br />

Leistungskontingenten aufgezeigt, ohne dass die Rechtmäßigkeit der Bildung <strong>von</strong><br />

Leistungskontingenten und ihrer Vergabe erörtert wurde. Die Rechtsfolge ist, dass<br />

zwei Regime der Leistungserbringung unabgestimmt nebeneinander bestehen und<br />

die Verwaltung gezwungen ist, öffentliche Mittel zu verschwenden, wenn sie<br />

rechtmäßig handelt und die Vorgaben des Leistungsrechts und<br />

Leistungserbringungsrechts beachtet.<br />

Unter b) wurde geprüft, wie die Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten – vorab vor jeder<br />

Anwendung <strong>von</strong> <strong>Vergaberecht</strong> – zu beurteilen ist. Es wurde dargelegt, dass mit der<br />

Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten ein Ziel erreicht werden soll, das vom geltenden<br />

Recht in der Auslegung der höchstrichterlichen Rechtsprechung missbilligt wird: Eine<br />

Angebotssteuerung durch Bedarfsprüfung. Das zentrale Ergebnis der grundrecht-<br />

lichen Prüfung lautet, dass die Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten in Grundrechte<br />

eingreift, insbesondere in das Grundrecht der Berufsfreiheit. Rechtsfolge ist, dass ein<br />

Leistungserbringungsmodell, das mit Leistungskontingenten arbeiten soll, einer<br />

parlamentsgesetzlichen Ermächtigung bedarf. Eine solche Ermächtigung muss den<br />

Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit genügen.<br />

77


III. Anwendbarkeit des <strong>Vergaberecht</strong>s durch gesetzliche Anordnung im SGB III<br />

1. Rechtsfolgenverweis<br />

Wenn angenommen wird, dass ein öffentlicher Auftrag nicht vorliegt (oder wenn der<br />

erforderliche Schwellenwert nicht erreicht wird), findet der vierte Teil des GWB keine<br />

Anwendung. Fraglich wird dann, wie sich die gesetzliche Anordnung des<br />

<strong>Vergaberecht</strong>s im SGB III auswirkt.<br />

§ 37 c Abs. 2 S. 2 SGB III bestimmt, dass für Verträge mit Personal-Service-<br />

Agenturen das <strong>Vergaberecht</strong> gilt, und § 421 i Abs. 1 SGB III ordnet an, dass die<br />

Bundesagentur für Arbeit Träger mit der Durchführung <strong>von</strong> Maßnahmen <strong>nach</strong> einem<br />

wettbewerbsrechtlichen Vergabeverfahren beauftragen kann. Bereits der Wortlaut<br />

(„wettbewerbliches Vergabeverfahren“) macht deutlich, dass die Verweisungen auf<br />

das <strong>Vergaberecht</strong> als „Rechtsfolgenverweisungen“ auf das GWB zu verstehen sind.<br />

Für dieses Verständnis sprich zudem, dass der ausschließliche Zugang des freien<br />

Trägers zur Leistungserbringung über ein Vergabeverfahren <strong>nach</strong> den bisherigen<br />

Ergebnissen seinen grundrechtlichen Status berührt. Es wäre daher vor dem<br />

Hintergrund der Rechtsweggarantie in Art. 19 Abs. 4 GG kaum haltbar, dem freien<br />

Träger im Vergabeverfahren auch noch fast jeglichen Rechtsschutz abzuschneiden.<br />

Dazu führt es aber, wenn die Verweisungen im SGB III nur als allgemeine<br />

„Rechtsgrundverweisung“ auf das <strong>Vergaberecht</strong> verstanden wird und da<strong>nach</strong> – etwa<br />

wegen Unterschreitung des Schwellenwerts – nur ein haushaltsrechtliches Vergabe-<br />

verfahren durchzuführen ist 203 .<br />

Im Ergebnis fingiert der Verweis auf das <strong>Vergaberecht</strong> daher das Vorliegen eines<br />

öffentlichen Auftrags und das Erreichen der Schwellenwerte.<br />

203 Zum Rechtsschutz im haushaltsrechtlichen Vergabeverfahren unten B.VI.<br />

78


2. Anzuwendendes Verfahren<br />

Die Vergabearten finden sich in § 101 GWB. Nähere Bestimmungen über das bei der<br />

Vergabe einzuhaltende Verfahren hat der Gesetzgeber zudem <strong>nach</strong> § 97 Abs. 6<br />

GWB und § 127 GWB durch die Vergabeverordnung (VgV) getroffen, die gem. § 4<br />

Abs. 1 VgV für die Vergabe <strong>von</strong> Dienstleistungsaufträgen auf die Bestimmungen des<br />

2. Abschnitts des Teiles A der Verdingungsordnung für Leistungen (VOL/A) verweist.<br />

Dieser enthält Bestimmungen <strong>nach</strong> der EG-Lieferkoordinierungsrichtlinie 204 und der<br />

EG-Dienstleistungsrichtlinie 205 . Bei der Vergabe <strong>von</strong> Liefer- und Dienstleistungsauf-<br />

trägen gelten grundsätzlich die Bestimmungen der a-Paragrafen zusätzlich zu den<br />

Basisparagrafen 206 .<br />

Die Dienstleistungen selbst sind in zwei Anhängen (Anhang I A und Anhang I B)<br />

kategorisiert worden. Dienstleistungen <strong>nach</strong> Anhang I A werden <strong>nach</strong> den a-<br />

Paragrafen vergeben und durch die Basisparagrafen ergänzt 207 . Die Vergabearten<br />

sind in § 3a VOL/A aufgeführt, die Teilnehmer in § 7a VOL/A. Gemäß § 1a Nr. 2 Abs.<br />

2 VOL/A werden Aufträge, deren Gegenstand Dienstleistungen <strong>nach</strong> Anhang I B<br />

VOL/A 208 sind, nur <strong>nach</strong> den Bestimmungen der Basisparagrafen und der §§ 8a und<br />

28a vergeben. Unter Anhang I B fallen unter anderem alle Dienstleistungen im<br />

Bereich des Sozialwesens, des Unterrichtswesens und der Berufsausbildung sowie<br />

der Arbeits- und Arbeitskräftevermittlung. Da so ziemlich alle Maßnahmen des SGB<br />

III damit unter Anhang I B VOL/A fallen 209 , unterliegen Aufträge der Bundesagentur<br />

für Arbeit dem 2. Abschnitt der VOL/A nur im Hinblick auf technische Spezifikationen<br />

204<br />

Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur<br />

Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, ABl. EG Nr. L 199, in der Fassung der Richtlinie 97/52/EG des<br />

Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1997, ABl. EG Nr. L 328, ergänzt durch<br />

die Richtlinie 2001/78/EG der Kommission vom 13.09.2001 sowie das hierzu ergangene<br />

Korrigendum der Kommission vom 15.05.2002 über die Verwendung <strong>von</strong> Standardformularen für<br />

die Bekanntmachung öffentlicher Aufträge.<br />

205<br />

Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur<br />

Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, ABl. EG Nr. L 209, in der Fassung der Richtlinie<br />

97/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1997, ABl. EG Nr. L 328,<br />

ergänzt durch die Richtlinie 2001/78/EG der Kommission vom 13.09.2001 sowie das hierzu<br />

ergangene Korrigendum der Kommission vom 15.05.2002 über die Verwendung <strong>von</strong><br />

Standardformularen für die Bekanntmachung öffentlicher Aufträge.<br />

206<br />

vgl. § 1a Nr. 1 Abs. 1 VOL/A.<br />

207<br />

vgl. § 1a Nr. 2 Abs. 1 VOL/A.<br />

208<br />

Anhang I B VOL/A entspricht Anhang I B der Richtlinie 92/50/EWG.<br />

209<br />

Zweifel bestehen aus Sicht der Verfasser allenfalls bei den Entgeltersatzleistungen <strong>nach</strong> §§ 116-<br />

208 SGB III. Hierbei handelt es sich jedoch um Leistungen an Arbeitnehmer, die <strong>von</strong> der<br />

Bundesagentur für Arbeit direkt an Arbeitnehmer und nicht an Träger der freien Wohlfahrtspflege<br />

gezahlt werden und damit nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind.<br />

79


(vgl. § 8a VOL/A) und die Veröffentlichung einer Bekanntmachung über die<br />

Zuschlagserteilung (vgl. § 28a VOL/A). Die ausführlichen Bestimmungen der Richt-<br />

linien über die Auswahl der Bewerber und die Auftragserteilung gelten für sie nicht 210 .<br />

Die Vergabe <strong>von</strong> Aufträgen über solche Dienstleistungen unterliegt nur den<br />

Basisparagrafen dieses Abschnitts.<br />

Bei Anwendung des GWB gelten also die Vergabeverfahren <strong>nach</strong> VOL/A – II.<br />

Abschnitt mit Berücksichtigung der materiellen Grundsätze des § 97 GWB.<br />

Es bleibt noch zu klären, ob und inwieweit das <strong>Vergaberecht</strong> auf Leistungen <strong>nach</strong><br />

dem SGB III Anwendung finden kann, wenn die entsprechenden Normen im SGB III<br />

nicht auf das <strong>Vergaberecht</strong> verweisen.<br />

IV. Haushaltsrechtliche Vergabe ohne gesetzliche Anordnung<br />

Liegen die Voraussetzen der §§ 98 bis 100 GWB nicht vor, könnte allenfalls ein<br />

Vergabeverfahren <strong>nach</strong> den deutschen Verwaltungsvorschriften auf haushaltsrecht-<br />

licher Grundlage 211 durchgeführt werden. Nach § 30 HGrG muss dem Abschluss <strong>von</strong><br />

Verträgen über Leistungen eine öffentliche Ausschreibung vorausgehen. Dazu muss<br />

es sich nur um den Abschluss eines Vertrages über eine Leistung handeln. Kann ein<br />

solcher bejaht werden, gelten die Vorschriften des ersten Abschnitts der VOL/A. Ein<br />

auf haushaltsrechtlicher Grundlage gestütztes Vergabeverfahren beinhaltet jedoch<br />

zwei grundsätzliche Probleme, die erörterungsbedürftig sind. Zum einen stellt sich<br />

die Frage, ob die Vergabe ein Grundrechtseingriff ist, der eine Außenrechtsnorm als<br />

Ermächtigungsgrundlage erfordert. Zum anderen ist fraglich, ob Sozialrecht nicht ab-<br />

schließend und spezieller ist und sich eine Anwendung des <strong>Vergaberecht</strong>s daher<br />

verbietet.<br />

210 Vgl. auch die Mitteilung der Kommission über die Auslegung des gemeinschaftlichen<br />

<strong>Vergaberecht</strong>s und die Möglichkeiten zur Berücksichtigung sozialer Belange bei der Vergabe<br />

öffentlicher Aufträge v. 15.10.2001, KOM (2001) 566 endg. S. 7, 20.<br />

211 Insbesondere <strong>nach</strong> § 30 HGrG, § 55 BHO.<br />

80


1. Erforderlichkeit einer Außenrechtsnorm<br />

a) Eingriff in die Berufsfreiheit der freien Träger<br />

Die Tätigkeit der freien Träger wird im Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG geschützt<br />

(s. oben A I 3 a). Die Frage, ob der Vertragsabschluss mit dem erfolgreichen Bieter<br />

zu einem Eingriff in die Berufsfreiheit des nicht erfolgreichen Bieters führt, ist<br />

umstritten. Sie wird in der Literatur mit dem Argument bejaht, dass jede staatliche<br />

Auftragsvergabe als staatliche Ingerenz in den Marktwettbewerb aufzufassen sei, da<br />

sie die Wettbewerbssituation des zum Zuge Gekommenen stärke und damit die<br />

Konkurrenten behindere. Also habe sie eine objektiv berufsregelnde Tendenz mit der<br />

Folge, dass die gesamte Auftragsvergabe unter Gesetzesvorbehalt gerate 212 . Andere<br />

halten entgegen, dass die Freiheit des Berufs das Recht umfasse, die unternehme-<br />

rische Betätigung aufzunehmen und auszuüben, d. h. das jeweilige Produkt oder die<br />

jeweilige Dienstfreiheit herzustellen und am Markt anzubieten. Die Freiheit umfasse<br />

aber nicht das Recht, dass andere das angebotene Gut <strong>nach</strong>fragen. An dieser<br />

einfachen Grundaussage ändert sich nichts, wenn der Staat als Nachfrager auftrete.<br />

Das soll selbst dann gelten, wenn der <strong>nach</strong>fragende Staat eine marktbeherrschende<br />

Stellung hat. Pietzcker erläutert dies an einem Beispiel: Die Bundeswehr ändert ihre<br />

Strategie und baut nicht wie erwartet die Marine sondern die Luftwaffe aus. Dadurch<br />

erwächst ihr aber nicht die Pflicht, die ökonomische Existenz der Werften durch die<br />

Aufrechterhaltung einer nicht mehr benötigten Nachfrage zu sichern. Denn den<br />

staatlichen Nachfrager treffe keine Marktstrukturverantwortung 213 .<br />

Das Beispiel und die Begründung, warum das Verhalten eines marktbeherrschenden<br />

staatlichen Nachfragers die Berufsfreiheit nicht beeinträchtigt, zeigen sehr schön,<br />

warum die Argumente nicht auf die <strong>Erbringung</strong> <strong>von</strong> <strong>Sozialleistungen</strong> passen. Sozial-<br />

leistungsträger haben im Unterschied zur Bundeswehr durchaus so etwas wie eine<br />

„Markt“strukturverantwortung, nämlich die Gesamtverantwortung dafür, dass die zur<br />

Ausführung der <strong>Sozialleistungen</strong> erforderlichen sozialen Dienste und Einrichtungen<br />

rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen. Rüstungsbetriebe können ihre<br />

212 Thomas Puhl, Der Staat als Wirtschaftssubjekt und Auftraggeber, VVDStRL 60 (2001), S. 456,<br />

482 f.; Luthe, Wettbewerb, Vergabe und Rechtsanspruch im „Sozialraum“ der Jugendhilfe, NDV<br />

2001, 247, 256.<br />

213 Jost Pietzcker, Die Zweiteilung des <strong>Vergaberecht</strong>s, 2001, S. 27 f.<br />

81


Produkte ins Ausland verkaufen, also besteht ein – staatlich streng kontrollierter –<br />

Markt. Bei Leistungen <strong>nach</strong> dem SGB III gibt es diesen Markt nicht. Denn zum Markt<br />

gehört typischerweise die Freiheit, vom Erwerb einer Ware überhaupt oder jedenfalls<br />

für eine gewisse Zeit abzusehen, weil die Qualität unbefriedigend oder der Preis zu<br />

hoch ist. Die Agenturen für Arbeit haben diese Freiheit nicht, sie müssen „einkaufen“,<br />

weil das Leistungsrecht sie dazu verpflichtet. Deshalb stellt jede staatliche Vergabe<br />

durch einen Sozialleistungsträger mit einer Monopolstellung einen Eingriff in die<br />

Berufsfreiheit des übergangenen freien Trägers dar.<br />

Dieser Eingriff kann nur durch ein Gesetz mit Außenwirkung gerechtfertigt werden. §<br />

30 HGrG und § 55 BHO sind keine außenwirksamen Gesetze und genügen überdies<br />

den Anforderungen des vorbehaltsrechtlichen Bestimmtheitsgebots nicht.<br />

b) Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der Leistungsberechtigten<br />

Die Freiheit der Versicherten zur Auswahl unter den Leistungen und Leistungserbrin-<br />

gern ist durch die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG geschützt (s. A<br />

III 2). Die Vergabe greift jedenfalls dann in diese Freiheit ein, wenn die Lose so<br />

gebildet werden, dass nur noch wenige oder nur noch ein Leistungserbringer<br />

vorhanden ist. Regelmäßig ist es so, dass die Leistungsberechtigten den Bietern, die<br />

den Zuschlag erhalten haben, zugewiesen werden. Diese Praxis ist ein Eingriff, der<br />

mangels einer hinreichend bestimmten, außenwirksamen gesetzlichen Ermächtigung<br />

nicht gerechtfertigt werden kann.<br />

2. Vorrang des spezielleren Sozialrechts<br />

§ 17 Abs. 3 SGB I verpflichtet alle Sozialleistungsträger, und damit auch die Bundes-<br />

agentur für Arbeit, zur Zusammenarbeit mit gemeinnützigen und freien Einrichtungen<br />

und Organisationen in der Leistungserbringung. Zusammenarbeit ist mehr als die<br />

bloße Chance, in einem Vergabeverfahren den Zuschlag zu erhalten. Der Gesetz-<br />

geber kann – in den Grenzen des Verfassungsrechts – zwar da<strong>von</strong> abweichende<br />

Regelungen treffen, die <strong>nach</strong> der lex posterior Regel vorgehen. § 30 HGrG und § 55<br />

BHO sind jedoch keine solche Regelungen, weil das Haushaltsrecht kein im Verhäl-<br />

82


tnis Bürger-Staat wirksames Rechts ist 214 . § 17 Abs. 3 SGB I bestätigt also den<br />

Grundsatz: Eine Vergabe <strong>nach</strong> dem Haushaltsrecht erfordert eine parlaments-<br />

gesetzliche Ermächtigung mit Außenwirkung, wie dies bei § 37 c SGB III und § 421 i<br />

SGB III geschehen ist.<br />

V. Zusammenfassung/Ergebnis<br />

<strong>Vergaberecht</strong> <strong>nach</strong> dem 4. Abschnitt des GWB ist auf freie Träger anwendbar, wenn<br />

öffentliche Aufträge <strong>von</strong> einem öffentlichen Auftraggeber vergeben werden und der in<br />

§ 100 GWB normierte Schwellenwert erreicht wird. Eine Anwendung des wettbe-<br />

werblichen <strong>Vergaberecht</strong>s ergibt sich zudem aus dem Rechtsfolgenverweis in § 37 c<br />

SGB III und § 421 i SGB III.<br />

Wenn die im GWB normierten Zentralbegriffe hingegen nicht gegeben sind und ein<br />

entsprechender Verweis auf das Wettbewerbsrecht fehlt, kann die Anwendung <strong>von</strong><br />

<strong>Vergaberecht</strong> nur <strong>nach</strong> haushaltsrechtlichen Grundsätzen erfolgen. Stellt die Durch-<br />

führung <strong>von</strong> Vergabeverfahren einen Grundrechtseingriff dar, ist aber erforderlich,<br />

dass die Anwendung des <strong>Vergaberecht</strong>s durch das Sozialrecht ausdrücklich und<br />

hinreichend bestimmt angeordnet wird. In allen anderen Fällen ist die Anwendung<br />

des <strong>Vergaberecht</strong>s rechtswidrig, da § 17 Abs. 3 SGB I spezieller ist.<br />

Bei der vergaberechtlichen Gestaltung der Leistungserbringung hat sich gezeigt,<br />

dass die Vergabe <strong>von</strong> Leistungserbringungsverträgen rechtlich nicht zulässig ist. Der<br />

Anwendungsbereich des GWB ist nicht eröffnet, das kein öffentlicher Auftrag <strong>nach</strong> §<br />

99 Abs. 1 GWB besteht. Eine Anwendung des <strong>Vergaberecht</strong>s durch gesetzliche<br />

Anordnung findet sich nur für Maßnahmen <strong>nach</strong> § 37 c SGB III und § 421 i SGB III.<br />

Eine Vergabe auf Haushaltsrecht beruhend scheitert an der erforderlichen<br />

Außenrechtsnom und am Vorrang des spezielleren Sozialrechts.<br />

Verträge über Leistungskontingente würde zwar als gegenseitig verpflichtender<br />

Vertrag einen öffentlichen Auftrag i.S.d. § 99 Abs. 1 GWB darstellen und damit den<br />

214 Kretschmer, GK-SGB I, § 31, Rdnr. 13; Rüfner in Wannagat, SGB 60.Lfg.= 9.Lfg. SGB I<br />

Allgemeiner Teil (Juli 2000), § 31 Rdnr. 7.<br />

83


Anwendungsbereich des <strong>Vergaberecht</strong>s des GWB eröffnen. Die Prüfung hat jedoch<br />

gezeigt, dass gegen die Zulässigkeit der Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten<br />

erhebliche Bedenken bestehen.<br />

84


C. Vergabeverfahren und Rechtsschutz<br />

I. Arten und Verfahren der Vergabe<br />

Aufträge, deren Gegenstand Dienstleistungen <strong>nach</strong> Anhang I B sind, werden <strong>nach</strong><br />

den Bestimmungen der Basisparagrafen des 2. Abschnitts der VOL/A vergeben (§ 1<br />

a Nr. 2 Abs. 2 VOL/A). Inhaltlich sind die Basisparagrafen mit den Paragrafen des<br />

ersten Abschnitts der VOL/A, den haushaltsrechtlichen Vergabebestimmungen,<br />

identisch.<br />

Die Vergabearten werden in § 3 VOL/A beschrieben:<br />

1. Öffentliche Ausschreibung<br />

Bei Öffentlicher Ausschreibung werden Leistungen im vorgeschriebenen Verfahren<br />

<strong>nach</strong> öffentlicher Aufforderung einer unbeschränkten Zahl <strong>von</strong> Unternehmen zur Ein-<br />

reichung <strong>von</strong> Angeboten vergeben, § 3 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A. Die öffentliche<br />

Ausschreibung ist gegenüber den anderen Vergabearten die vorrangige Art der<br />

Vergabe. Sie gewährleistet am ehesten, dass die Einhaltung der tragenden Grund-<br />

sätze des Vergabeverfahrens, Wettbewerb und Chancengleichheit, für eine möglichst<br />

große Anzahl <strong>von</strong> Bewerbern bei Beschaffungsvorgängen der öffentlichen Hand<br />

sichergestellt ist. 215<br />

2. Beschränkte Ausschreibung<br />

Bei Beschränkter Ausschreibung werden Leistungen im vorgeschriebenen Verfahren<br />

<strong>nach</strong> Aufforderung einer beschränkten Zahl <strong>von</strong> Unternehmen zur Einreichung <strong>von</strong><br />

Angeboten vergeben, § 3 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A.<br />

215 Ax/Schneider/Nette, Handbuch <strong>Vergaberecht</strong>, 2002, S. 121, Rdnr. 9.<br />

85


3. Freihändige Vergabe<br />

Bei Freihändiger Vergabe werden Leistungen ohne ein förmliches Verfahren<br />

vergeben, § 3 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A. Soweit es zweckmäßig ist, soll der Beschränkten<br />

Ausschreibung und der Freihändigen Vergabe eine öffentliche Aufforderung voran-<br />

gehen, sich um Teilnahme zu bewerben (Beschränkte Ausschreibung mit Öffen-<br />

tlichem Teilnahmewettbewerb bzw. Freihändige Vergabe mit Öffentlichem Teil-<br />

nahmewettbewerb), § 3 Nr. 1 Abs. 4 VOL/A. Hierbei fordert der Auftraggeber durch<br />

Öffentliche Bekanntmachung interessierte Unternehmer auf, Teilnahmeanträge zu<br />

stellen. Aus den eingehenden Anträgen wählt er eine angemessene Anzahl aus und<br />

tritt dann mit diesen Antragstellern in die Freihändige Vergabe.<br />

Die VOL fördert den Wettbewerb als Regel in Form der Öffentlichen Ausschreibung.<br />

Dementsprechend muss ausgeschrieben werden, soweit nicht die Natur des<br />

Geschäfts oder besondere Umstände eine Ausnahme rechtfertigen, § 3 Nr. 2 VOL/A.<br />

Fälle, in denen keine öffentliche Ausschreibung stattfindet, sollen erkennbar gering<br />

gehalten werden. 216 Insbesondere die Freihändige Vergabe ist nur in Ausnahme-<br />

fällen vorgesehen, die abschließend in § 3 Nr. 4 VOL/A normiert worden sind. Liegen<br />

aber die Voraussetzungen für das Gebrauchmachen <strong>von</strong> der Freihändigen Vergabe<br />

vor, so ist im Regelfall auch nur die Freihändige Vergabe die zutreffende Art der<br />

Vergabe 217 .<br />

4. Teilnehmer am Wettbewerb<br />

Freie Träger müssten zur Teilnahme am Wettbewerb zugelassen sein, damit sie am<br />

öffentlichen Vergabeverfahren beteiligt werden können. Welche Bewerber als Bieter<br />

in Betracht kommen, bestimmt sich <strong>nach</strong> § 7 VOL/A.<br />

a) kein Ausschluss <strong>nach</strong> § 7 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A<br />

§ 7 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A schreibt vor, dass bei öffentlicher Ausschreibung Unterlagen<br />

an alle Bewerber abzugeben sind, die sich gewerbsmäßig mit der Ausführung <strong>von</strong><br />

216 Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, 2. Auflage 2001, S. 183, Rdnr. 549.<br />

217 Ax/Schneider/Nette, Handbuch <strong>Vergaberecht</strong>, 2002, S. 131, Rdnr. 43.<br />

86


Leistungen der ausgeschriebenen Art befassen. Hieraus könnte folgen, dass sich nur<br />

die Bieter am Wettbewerb beteiligen dürfen, die sich gewerbsmäßig mit der<br />

Ausführung <strong>von</strong> Leistungen der ausgeschriebenen Art befassen. Wenn dem so ist,<br />

wäre fraglich, ob freie Träger gewerbsmäßig handeln. Der Begriff „gewerbsmäßig“ ist<br />

im <strong>Vergaberecht</strong> nicht legal definiert. Zum einen könnte in diesem Zusammenhang<br />

auf § 15 Abs. 2 EstG abgestellt werden, der auf eine selbständige, <strong>nach</strong>haltige und<br />

auf Gewinn gerichtete Tätigkeit abstellt. 218 Zudem soll nicht gewerbsmäßig handeln,<br />

wer sich lediglich als Vermittler <strong>von</strong> Leistungen der geforderten Art betätigt, ohne<br />

diese Leistungen grundsätzlich im eigenen Betrieb auszuführen, und den<br />

Gesamtumfang dieser Leistung an Dritte (Unterauftragnehmer) weitervergibt. 219 In<br />

anderen Rechtsbereichen 220 wird der Begriff „gewerbsmäßig“ allgemeiner, als eine<br />

nicht nur vorübergehende Einnahmequelle, 221 bezeichnet. Ein Ausschluss gemein-<br />

nütziger Bieter, deren Tätigkeit ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeführt wird, kann<br />

dem Wortlaut daher nicht eindeutig entnommen werden.<br />

Dieses Ergebnis wird unterstützt durch den eigentlichen Regelungsgehalt der<br />

Vorschrift, der sich darin erschöpft, die Verpflichtung der Vergabestelle - die<br />

Vergabeunterlagen an alle Bewerber herauszugeben, die gewerbsmäßig die ausge-<br />

schriebene Leistung erbringen - zu regeln. 222 Ein Ausschluss freier Träger vom Ver-<br />

gabeverfahren kann daher nicht auf § 7 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A gestützt werden. Eine<br />

entgegenstehende Praxis der Bundesagentur für Arbeit wäre demzufolge<br />

missbräuchlich.<br />

Eine Verpflichtung zur Aushändigung der Unterlagen besteht jedoch nicht gegenüber<br />

Bewerbern, bei denen einer der (abschließenden) Ausschlussgründe gem. § 7 Nr. 5<br />

oder Nr. 6 VOL/A vorliegt. 223 Folglich ist zu untersuchen, ob einer dieser<br />

Ausschlussgründe für freie Träger greift.<br />

218 In diesem Sinne auch Schaller, Die Teilnehmer am Wettbewerb – Grundregeln für Vergaben im<br />

nationalen Bereich, >http://www.staatsanzeiger-verlag.de/info/19-2001b.pdf


) kein Ausschluss <strong>nach</strong> § 7 Nr. 5 VOL/A<br />

Ein Ausschluss <strong>von</strong> Bewerbern ist in den Fällen des § 7 Nr. 5 VOL/A möglich, wenn<br />

die dort aufgelisteten Tatbestände erfüllt sind, die im betrieblichen oder persönlichen<br />

Bereich des Bewerbers liegen und zumeist seine Zuverlässigkeit in Frage stellen.<br />

Wenn einer dieser Tatbestände bei einem Bewerber vorliegt, bestehen erhebliche<br />

Zweifel an seiner Eignung zur Übernahme eines öffentlichen Auftrags. 224 Ein<br />

Ausschluss ist allerdings nicht zwingend vorgeschrieben, sondern die Entscheidung<br />

liegt vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen des Auftraggebers. 225 Hierbei wird<br />

maßgebend die Überlegung sein, ob trotz Vorliegens der Merkmale eines Aus-<br />

schlusstatbestandes noch <strong>von</strong> der in der VOL/A geforderten Fachkunde, Leistungs-<br />

fähigkeit und Zuverlässigkeit des betreffenden Bewerbers ausgegangen werden<br />

kann. 226 Ein genereller Ausschluss freier und gemeinnütziger Träger ist § 7 Nr. 5<br />

VOL/A aber nicht zu entnehmen.<br />

c) kein Ausschluss <strong>nach</strong> § 7 Nr. 6 VOL/A<br />

Nach § 7 Nr. 6 VOL/A sind Justizvollzugsanstalten, Einrichtungen der Jugendhilfe,<br />

Aus- und Fortbildungsstätten oder ähnliche Einrichtungen zum Wettbewerb mit<br />

gewerblichen Unternehmen nicht zuzulassen. Fraglich ist, ob freie Träger unter diese<br />

Regelung fallen.<br />

Unklar ist, worauf im Einzelnen abgestellt werden soll, um Bieter vom Wettbewerbs-<br />

recht auszuschließen. Möglich wäre, auf die Zielsetzung der Einrichtung abzustellen,<br />

dann fände man auf der einen Seite solche, die erwerbswirtschaftlich, gewerbsmäßig<br />

und mit Gewinnerzielungsabsicht handeln und zum anderen solche, die dies nicht<br />

tun, Einrichtungen mit sozialpolitischer Zielsetzung, die gemeinwohlorientiert und<br />

ohne Gewinnerzielungsabsicht tätig sind: die freien Träger.<br />

Möglich wäre aber auch, auf die Organisationsform abzustellen und da<strong>nach</strong> nur<br />

öffentliche Einrichtungen vom Wettbewerb auszuschließen, nicht aber solche, die<br />

privatrechtlich organisiert sind. Schließlich könnte auch funktional darauf abgestellt<br />

224 Zdzieblo in Daub/Eberstein, Kommentar zur VOL/A, 5. Auflage 2000, § 7, Rdnr. 63.<br />

225 Leinemann, Die Vergabe öffentliche Aufträge, 2. Auflage 2001, S. 190, Rdnr. 579.<br />

226 Zdzieblo in Daub/Eberstein, Kommentar zur VOL/A, 5. Auflage 2000, § 7, Rdnr. 67 m.w.N.<br />

88


werden, ob es sich um gewerbliche Unternehmen, die wirtschaftlich tätig sind und auf<br />

einem Markt agieren handelt oder um solche, die nicht wirtschaftlich tätig oder<br />

zumindest nicht auf einem Markt agieren.<br />

aa) Grammatische Auslegung<br />

Freie Träger sind als solche nicht in der Norm genannt. Aus § 3 Abs. 2 SGB VIII<br />

ergibt sich zwar, dass Leistungen der Jugendhilfe sowohl <strong>von</strong> freien als auch <strong>von</strong><br />

öffentlichen Trägern erbracht werden. Der Begriff „Einrichtungen der Jugendhilfe“<br />

könnte daher Jugendhilfeeinrichtungen in freier Trägerschaft mit umfassen. Da sich<br />

aus § 3 Abs. 2 SGB VIII aber auch ergibt, dass sich Leistungsverpflichtungen nur an<br />

die Träger der öffentlichen Jugendhilfe richten (S.2), könnte genauso gut ange-<br />

nommen werden, dass sich der Ausschluss in § 7 Nr. 6 VOL/A ebenfalls nur auf die<br />

Träger öffentlicher Jugendhilfeeinrichtungen bezieht. Freie Träger können zudem<br />

nicht mit den in § 7 Nr. 6 VOL/A genannten Einrichtungen gleichgesetzt werden, da<br />

ihr Wirkungskreis weit über den der genannten Einrichtungen hinausgeht. Freie<br />

Träger erbringen Leistungen in den Bereichen Jugend-, Alten-, Familien- und<br />

Behindertenhilfe, Einrichtungen und Dienste für Personen in besonderen Situationen,<br />

Aus-, Fort- und Weiterbildungsstätten für soziale und pflegerische Berufe sowie<br />

Krankenhäuser. 227 Daraus folgt, dass sich die Bereiche zwar überschneiden, jedoch<br />

nicht deckungsgleich sind. Ein Ausschluss freier Träger könnte in den in § 7 Nr. 6<br />

VOL/A genannten Bereichen zwar mitumfasst sein, gleichwohl ist eine solche<br />

Betrachtungsweise im Wortlaut durch die fragliche Formulierung nicht in einer Weise<br />

zum Ausdruck gekommen, die zu einer solchen Auslegung zwingt.<br />

Freie Träger könnten schließlich unter den Begriff „ähnliche Einrichtungen“ fallen. Die<br />

genannten Einrichtungen sind Justizvollzugsanstalten, Einrichtungen der Jugendhilfe<br />

sowie Aus- und Fortbildungsstätten. Der Aufzählung dieser Anstalten, Einrichtungen<br />

und Bildungsstätten werden gewerbliche Unternehmen gegenüberstellt. Untechnisch<br />

kann man letztere als Unternehmen eines bestimmten Gewerbes verstehen<br />

gegenüber den aufgezählten Einrichtungen, welche Tätigkeiten durchführen, die sich<br />

nicht auf ein bestimmtes Gewerbe festlegen lassen. Sie haben stattdessen<br />

miteinander gemein, dass sie lediglich der Beschäftigung oder Ausbildung <strong>von</strong><br />

227 Monopolkommission, Zwölftes Hauptgutachten 1996/1997, BT-DS 13/11291, S. 330, Rdnr. 626.<br />

89


Personen dienen, die ihrer Einrichtung angehören. Der Zweck der Einrichtung und<br />

die Tätigkeit, die dort verrichtet wird, sind nicht darauf gerichtet, eine Leistung oder<br />

ein Produkt für jemand Dritten, der außerhalb der Einrichtung steht, zu erbringen.<br />

Demzufolge erfolgt auch keine Entlohnung im eigentlichen Sinne für das Produkt,<br />

sondern lediglich eine Beschäftigungs- oder Ausbildungsvergütung für die intern<br />

erbrachte Leistung. Auch bei „ähnlichen Einrichtungen“ ist unklar, ob sie freie Träger<br />

umfassen. Eine solche Annahme ist zwar vom Wortlaut her denkbar, aber nicht<br />

zwingend. Möglich wäre auch, dass der Gesetzgeber durch die Aufzählungskette <strong>von</strong><br />

Anstalten, Einrichtungen und Bildungsstätten auf der einen, gewerbliche Unter-<br />

nehmen auf der anderen Seite, auf die Organisationsform abstellen wollte und nur<br />

solche Einrichtungen vom Wettbewerb ausschließen wollte, die öffentlich organisiert<br />

sind 228 .<br />

Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass der Wortlaut verschiedene Interpretationsansätze<br />

zulässt und daher im Hinblick auf einen möglichen Ausschluss freier Träger zu<br />

keinem eindeutigen Ergebnis führt.<br />

bb) Entstehungsgeschichte (genetische Auslegung)<br />

Dies könnte <strong>nach</strong> der Entstehungsgeschichte anders sein. Wie sich aus den<br />

Amtlichen Erläuterungen 229 des Gesetzgebers zu § 7 Nr. 6 VOL/A ergibt, verfolgen<br />

die in der Norm genannten Einrichtungen primär andere als erwerbswirtschaftliche<br />

Ziele. Aufgrund ihrer vielfach günstigeren Angebote sei damit zu rechnen, dass diese<br />

Einrichtungen im Falle einer wettbewerbsrechtlichen Vergabe private Unternehmen<br />

verdrängen würden. Unter den Begriff „ähnliche Einrichtungen“ sollen daher auch nur<br />

solche Institutionen gefasst werden, die eine vergleichbare sozialpolitische Ziel-<br />

setzung verfolgen und bei denen mit einer Verdrängung privater Unternehmen<br />

gerechnet werden müsse.<br />

228 OLG Düsseldorf v. 23.12.2003, Az. VII-Verg 58/03, S. 2; Beschluss der 2. Vergabekammer des<br />

Bundes v. 06.10.2003, Az. VK-2-94/03, S. 6 m.w.N.<br />

229 Wörtlich heißt es dort zu § 7 Nr. 6: „Die genannten Einrichtungen verfolge primär andere als<br />

erwerbswirtschaftliche Ziele. Aufgrund ihrer vielfach günstigeren Angebote ist damit zu rechnen,<br />

dass diese Einrichtungen im Falle einer wettbewerblichen Vergabe private Unternehmen<br />

verdrängen. Unter den Begriff „ähnliche Einrichtungen“ können folglich auch nur solche<br />

Institutionen gefasst werden, die eine vergleichbare sozialpolitische Zielsetzung verfolgen und bei<br />

denen mit einer Verdrängung privater Unternehmen gerechnet werden muss. Diese<br />

Voraussetzungen sind in der Regel bei Regiebetrieben nicht gegeben, sie sind daher dem<br />

Wettbewerb zu unterstellen.“<br />

90


Diese Ausführungen zeigen, dass der Gesetzgeber vor allem auf zwei Voraus-<br />

setzungen abstellt: die auszuschließenden Einrichtungen verfolgen eine sozialpoliti-<br />

sche Zielsetzung, keine erwerbswirtschaftliche, und die auszuschließenden Einrich-<br />

tungen führen zwangsweise zu einer Verdrängung privater Unternehmen.<br />

Geht man <strong>von</strong> der durch den Wortlaut vorgegebenen Gegenüberstellung aus, ergibt<br />

sich folgendes Bild: auf der einen Seite stehen die aufgezählten Einrichtungen, die<br />

Tätigkeiten durchführen, die sich nicht auf ein bestimmtes Gewerbe festlegen lassen,<br />

sondern ihre Tätigkeit <strong>nach</strong> sozialpolitischer Zielsetzung ausführen. Auf der anderen<br />

Seite sind private Unternehmen zu verstehen, die ein bestimmtes Gewerbe ausüben.<br />

Wenn die in der Aufzählung genannten Einrichtungen zu einer Verdrängung privater<br />

Unternehmen führen, setzt dies voraus, dass eine Konkurrenzsituation vorliegt, weil<br />

anderenfalls kein Wettbewerb entstehen kann. Eine Konkurrenzsituation ist aber nur<br />

in einer einzigen Konstellation denkbar: wenn in Justizvollzugsanstalten, Einrichtun-<br />

gen der Jugendhilfe, Aus- und Fortbildungsstätten oder in ähnlichen Einrichtungen<br />

Produkte angefertigt werden, die normalerweise gewerblich <strong>von</strong> privaten Unterneh-<br />

men erbracht werden. Die angefertigten Produkte werden <strong>von</strong> den genanten<br />

Einrichtungen nicht gewerblich hergestellt, sondern vielmehr als sog. „Nebenpro-<br />

dukt“, denn in den Institutionen geht es vornehmlich um die Förderung der einge-<br />

gliederten Personen. Das entstandene Produkt war nur Mittel zum Zweck.<br />

Denkbar könnte eine Konkurrenzsituation zwar auch dergestalt sein, dass Einrichtun-<br />

gen aus sozialpolitischer Motivation eine Leistung erbringen, die private Unterneh-<br />

men gewerblich erbringen. Gegen eine solche Auslegung, die nur auf die Motivation<br />

abstellt, spricht aber die Aufzählung <strong>von</strong> Justizvollzugsanstalten, Einrichtungen der<br />

Jugendhilfe sowie Aus- und Fortbildungsstätten. Ihnen ist gemein, dass sie aus<br />

sozialpolitischer Motivation eine Leistung erbringen, die private Unternehmen gerade<br />

nicht erbringen. Es gibt keine privaten Justizvollzugsanstalten. Erst durch sog.<br />

Nebenprodukte ist eine Konkurrenzsituation denkbar.<br />

Dass ähnliche Einrichtungen eine vergleichbare sozialpolitische Zielsetzung haben<br />

müssen, lässt außerdem darauf schließen, dass nicht allgemein jede sozialpolitische<br />

Zielsetzung zu einem Ausschluss <strong>von</strong> der Teilnahme am Wettbewerb führen soll,<br />

sondern nur eine solche, die in ihrer Konstellation vergleichbar ist, mithin also<br />

91


Produkte hervorbringen kann, die nicht erwirtschaftet werden, sondern als<br />

Nebenprodukt „abfallen“.<br />

Gestützt wird diese Annahme zudem durch das in den amtlichen Erläuterungen<br />

angeführte Beispiel der Regiebetriebe, die dem Wettbewerb zu unterstellen sind. Ein<br />

Regiebetrieb ist weder rechtlich noch wirtschaftlich selbständig und wird bei normaler<br />

Haushaltsführung mit allen Einnahmen und Ausgaben im Haushaltsplan der<br />

Kommune geführt. 230 Er ist also gleichzusetzen mit jeder Verwaltungstätigkeit einer<br />

Gemeinde. Regiebetriebe (z.B. Fuhrpark, Straßenreinigung, Abfallentsorgung)<br />

erbringen Leistungen, die ebenfalls sozialpolitischen Zwecken entsprechen, betäti-<br />

gen sich jedoch wirtschaftlich gegenüber Dritten und damit genau wie Unternehmen,<br />

die in diesen Bereichen ein Gewerbe führen. Die bloße Eingliederung der<br />

Regiebetriebe in die öffentliche Struktur rechtfertigt <strong>nach</strong> Ansicht des Gesetzgebers<br />

keinen Ausschluss dieser Einrichtungen vom Wettbewerb, sondern gerade die<br />

wirtschaftliche Betätigung erlaubt den Eintritt in den Wettbewerb. 231 Bei freien<br />

Trägern erfolgt die Leistungserbringung wie bei privaten, gewerblich tätigen<br />

Unternehmen. Hier arbeiten freie Träger ebenso wirtschaftlich wie es private<br />

Unternehmen in dem betreffenden Gewerbe tun. Die Tatsache, dass freie Träger bei<br />

der Ausführung der Maßnahme zudem gemeinwohlorientiert und nicht gewinnorien-<br />

tiert arbeiten, ändert nichts an der wirtschaftlichen Ausführung ihrer Tätigkeit. 232<br />

Festzuhalten bleibt, dass aus der Entstehungsgeschichte kein genereller Ausschluss<br />

freier Träger abgeleitet werden kann, weil es dem Gesetzgeber nur darum ging<br />

Einrichtungen vom Wettbewerb auszuschließen, die sozialpolitische Maßnahmen<br />

durchführen und dabei Produkte herstellen, damit diese Produkte nicht erwerbs-<br />

wirtschaftlich verwertet werden. 233 Die Norm ist insofern missglückt, weil weder der<br />

230 Faiss/Giebler/Lang/Notheis/Schmid, Kommunales Wirtschaftsrecht, 7. Auflage 2002, S. 517, Rdnr.<br />

778; Kummer, Vom Eigen- oder Regiebetrieb zum Kommunalunternehmen, 2003, S. 56;<br />

Vogelsang/Lübking/Jahn, Kommunale Selbstverwaltung, 1991, S. 185, Rdnr. 645 f.; Sander/<br />

Weiblen, Kommunale Wirtschaftsunternehmen, 1982, S. 72.<br />

Ungenau ist hingegen die Definition bei Zdzieblo in Daub/Eberstein, Kommentar zur VOL/A, 5.<br />

Auflage, 2000, § 7, Rdnr. 74, Fn. 69, die eher auf Eigenbetriebe zutrifft wegen des<br />

ausgegliederten Sondervermögens; vgl. dazu z.B. Sander/ Weiblen, Kommunale<br />

Wirtschaftsunternehmen, 1982, S. 73; Kummer, Vom Eigen- oder Regiebetrieb zum<br />

Kommunalunternehmen, 2003, S. 54 f.<br />

231 Vogelsang/Lübking/Jahn, Kommunale Selbstverwaltung, 1991, S. 185, Rdnr. 645 f.<br />

232 Diese Konstellation entspricht der <strong>von</strong> Regiebetrieben.<br />

233 So z.B. bei Papiertüten, die <strong>von</strong> den Insassen einer Justizvollzugsanstalt gefaltet wurden. Anders<br />

wäre dies hingegen bei Behindertenwerkstätten zu beurteilen, denn dort ist die Produktion kein<br />

92


Wortlaut, noch die amtlichen Erläuterungen auf die nebenbei entstandenen Produkte<br />

abstellen. Wie aber die Auslegung zeigt, kann für den Gesetzgeber keine andere<br />

Konkurrenzsituation denkbar gewesen sein als diese.<br />

cc) Systematische Auslegung<br />

Systematisch betrachtet muss § 7 Nr. 6 VOL/A als Ausprägung <strong>von</strong> § 3 Nr. 2 VOL/A<br />

gesehen werden. Da<strong>nach</strong> muss eine öffentliche Ausschreibung stattfinden, soweit<br />

nicht die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände eine Ausnahme recht-<br />

fertigen. Letztere werden sich regelmäßig auf ungewöhnlich gelagerte Einzelfälle<br />

beziehen. Alle anderen Ausnahmen, insbesondere Einrichtungen der in § 7 Nr. 6<br />

VOL/A genannten Art, müssen sich auf die Natur des Geschäfts beziehen. Die Natur<br />

des Geschäfts rechtfertigt einen Ausschluss freier Träger aber gerade nicht per se,<br />

denn die Konstellation, die der Gesetzgeber im Blick hatte (Nebenprodukte einer<br />

sozialen Tätigkeit), war gerade nicht auf freie Träger zugeschnitten. Vielmehr<br />

müssen freie Träger, wenn sie wirtschaftlich handeln, genauso zum Wettbewerb<br />

zugelassen sein wie andere wirtschaftlich tätige Unternehmen. Allein die Tatsache,<br />

dass Unternehmen aufgrund ihrer sozialpolitischen Zielsetzung staatliche Vorteile<br />

erhalten, darf nicht per se zu einem Ausschluss vom Wettbewerb führen, da diese<br />

Vorteile unschädlich sind, solange sie nicht <strong>von</strong> der Europäischen Kommission als<br />

rechtswidrige Beihilfe i.S.v. Art. 87 Abs. 1 EG qualifiziert werden. 234<br />

Ferner muss berücksichtigt werden, dass § 7 Nr. 6 VOL/A eine Ausnahme zu dem in<br />

§ 3 Nr. 2 VOL/A normierten Grundsatz der öffentlichen Ausschreibung darstellt.<br />

Wollte der Gesetzgeber generell die Freien Träger vom Wettbewerb ausschließen,<br />

hätte es der Aufzählung <strong>von</strong> Einrichtungen nicht bedurft. Diese Aufzählung<br />

verdeutlicht die Absicht des Gesetzgebers, freie Träger grundsätzlich am offenen<br />

Verfahren zu beteiligen. Nur durch eine restriktive Auslegung kann verhindert<br />

„Nebenprodukt“, weil gerade eine wirtschaftlich verwertbare Arbeitsleistung erbracht werden soll,<br />

vgl. § 5 Abs. 2 S. 2 WVO.<br />

234 Diesbezüglich hat die Kommission in ihrem Grünbuch zur Daseinsvorsorge bereits ihren<br />

Standpunkt verdeutlicht: „ Die Dienstleistungen <strong>von</strong> allgemeinem Interesse, die mit der Wohlfahrt-<br />

und Sozialschutzaufgaben in Zusammenhang stehen, fallen eindeutig in die einzelstaatliche,<br />

regionale und lokale Zuständigkeit“. Vgl. Grünbuch der Kommission zu Dienstleistungen <strong>von</strong><br />

allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, v. 21.05.2003, KOM (2003) 270 endg., Rdnr. 31.<br />

93


werden, dass die Regelungsabsicht des Gesetzgebers in ihr Gegenteil verkehrt<br />

wird. 235<br />

Ein Ausschluss freier Träger vom offenen Vergabeverfahren würde zudem der<br />

Gesetzessystematik widersprechen und die Stellung konterkarieren, die der<br />

allgemeine Teil des Sozialgesetzbuches gemeinnützigen Trägern zuweist. Nach § 17<br />

Abs. 3 SGB I sollen Leistungsträger mit gemeinnützigen und freien Einrichtungen<br />

zusammenarbeiten und darauf hinwirken, dass sich ihre Tätigkeit und die der<br />

genannten Einrichtungen und Organisationen wirksam ergänzen. Damit ist zum<br />

einen gefordert, dass auf die Schaffung eines möglichst vollständigen Leistungs-<br />

angebots hingewirkt wird und zum anderen, dass eine gewisse Weltanschauliche<br />

Pluralität in der Versorgungsstruktur gewährleistet ist. 236 Beides kann nicht erfolgen,<br />

wenn freie Träger <strong>nach</strong> § 7 Nr. 6 VOL/A vom Wettbewerb auszuschließen sind.<br />

Widersprüchlich erscheint es zudem, wenn der Staat die sozialpolitische Zielsetzung<br />

freier Träger fördert, ihnen zugleich aber nicht gestattet entsprechend ihrer Ziel-<br />

setzung tätig zu werden. Die sozialpolitische Zielsetzung der Tätigkeit freier Träger<br />

wird auf der einen Seite durch den Staat honoriert und (z.B. steuerlich) gefördert, auf<br />

der anderen Seite würde eben diese staatliche Förderung aber dazu führen, dass<br />

freie Träger ihre Tätigkeit nicht ausüben dürfen, wenn sie durch § 7 Nr. 6 VOL/A vom<br />

Wettbewerb ausgeschlossen würden.<br />

dd) Verfassungskonforme Auslegung<br />

Eine Form der systematischen Auslegung ist die verfassungskonforme Auslegung:<br />

Lässt der Wortlaut der auszulegenden Norm mehrere Deutungen zu, ist diejenige<br />

Deutung zu wählen, die mit der Verfassung in Einklang steht. Würde § 7 Nr. 6 VOL/A<br />

als ein Ausschluss der freien Träger vom Wettbewerb verstanden, könnten Sie im<br />

Bereich des <strong>Vergaberecht</strong>s ihren Beruf nur noch höchst eingeschränkt ausüben,<br />

nämlich nur noch insoweit, als die auf Ausnahmefälle begrenzte freihändige Vergabe<br />

<strong>nach</strong> § 3 Abs. 4 Nr. 4 Buchst. o VOL/A möglich ist. Diese Beschränkung greift in die<br />

Berufsfreiheit der freien Träger ein.<br />

235 Vgl. zur restriktiven Auslegung <strong>von</strong> „Ausnahmevorschriften“ : Larenz, Methodenlehre der<br />

Rechtswissenschaft, 6. Auflage 1991, S. 355 f.<br />

236 Mrozynski, Kommentar zum SGB I, 3. Auflage 2003, § 17, Rdnr. 26.<br />

94


In Ansehung <strong>von</strong> kirchlichen Trägern kann ein Ausschluss vom Wettbewerb zu einem<br />

Eingriff in das kirchliche Selbstverwaltungsrecht des Art. 140 GG i. V. mit Art. 137<br />

Abs. 3 WRV führen (s. A I 2 b). Denn das Selbstverwaltungsrecht schließt das Recht<br />

ein, eine privatrechtliche Organisationsform mit Gemeinnützigkeitsstatus zu wählen.<br />

Eine Beeinträchtigung wird jedenfalls dann zum Eingriff, wenn die aus der Organi-<br />

sationsentscheidung folgenden Nachteile derart gravierend sind, „dass sie jeden<br />

Vorteil aufwögen und es der Kirche praktisch unmöglich gemacht würde, sich für die<br />

privatrechtliche Organisationsform einzelner Einrichtungen zu entscheiden 237 “. Ein<br />

Ausschluss vom Wettbewerb würde – die Einführungen <strong>von</strong> Vergabeverfahren<br />

unterstellt – den kirchlichen Trägern mittelfristig die karitative Tätigkeit unmöglich<br />

machen und damit zum Eingriff in ihr Selbstverwaltungsrecht führen.<br />

ee) Teleologische Auslegung<br />

Möglicherweise gebietet jedoch der Zweck der Norm eine Extension auf freie Träger.<br />

Ziel der Ausschlussregelung soll es sein, eine Verdrängung privater, erwerbs-<br />

wirtschaftlich betriebener Unternehmen durch die genannten Einrichtungen zu<br />

verhindern. 238 Der Grund liegt darin, dass diese Einrichtungen wegen ihrer<br />

sozialpolitischen Zielsetzung primär andere als erwerbswirtschaftliche Zwecke<br />

verfolgen und deshalb entweder kostengünstiger produzieren können 239 oder – so<br />

wird vereinzelt vertreten - steuerliche Vorteile genießen. 240 Da sie deshalb günstigere<br />

Angebote vorlegen könnten, bestünde die Gefahr einer Verdrängung privater Unter-<br />

nehmen bei der Vergabe im Preiswettbewerb. 241<br />

Was die Zielsetzung freier Träger betrifft so ist unstreitig, dass diese in erster Linie<br />

sozialpolitische Ziele verfolgen. Gerade die ihnen eigene spezielle Wertorientierung<br />

auf ein Sachziel (Tradition, Weltanschauung, Sozialmilieu) anstatt auf Gewinnmaxi-<br />

mierung ist ein Hauptcharakteristikum freigemeinnütziger Organisationen. 242 Dement-<br />

237 BVerwG 20. 6. 2003 NVwZ 2003, 1519, 1520.<br />

238 OLG Düsseldorf v. 23.12.2003, Az. VII-Verg 58/03, S. 2; 2. Vergabekammer des Bundes v.<br />

06.10.2003, Az. VK 2-94/03, S. 6 m.w.N.; Zdzieblo in Daub/Eberstein, Kommentar zur VOL/A, 5.<br />

Auflage, 2000, § 7, Rdnr. 72; Müller-Wrede, VOL/A, § 7 Rdnr. 58.<br />

239 Müller in Daub/Eberstein, Kommentar zur VOL/A, 5. Auflage 2000, § 3, Rdnr. 48; Ax/<br />

Schneider/Nette, Handbuch <strong>Vergaberecht</strong>, 2002, S. 139, Rdnr. 77.<br />

240 Zdzieblo in Daub/Eberstein, Kommentar zur VOL/A, 5. Auflage, 2000, § 7, Rdnr. 72.<br />

241 OLG Düsseldorf v. 23.12.2003, Az. VII-Verg 58/03, S. 2 m.w.N.<br />

242 Vgl. dazu: Monopolkommission, Zwölftes Hauptgutachten 1996/1997, BT-DS 13/11291, S. 329,<br />

Rdnr. 622.<br />

95


sprechend beinhaltet auch die Nicht-Gewinnverteilungsregel das Verbot, Über-<br />

schüsse auszuschütten, die erwirtschaftet werden. Zudem müssten sie steuerliche<br />

Vorteile genießen, die dazu führen könnten, dass sie günstigere Angebote vorlegen<br />

als private Unternehmen, die keine steuerlichen Vorteile genießen. Mit der<br />

Gemeinnützigkeit sind <strong>nach</strong> §§ 51 ff. AO Steuervergünstigungen bei allen wichtigen<br />

Steuerarten verbunden: 243<br />

- Steuerfreiheit bei der Körperschaft- und Gewerbesteuer<br />

- Besteuerung der Umsätze mit dem ermäßigten Steuersatz bei der Umsatzsteuer<br />

- Befreiung <strong>von</strong> der Grundsteuer, der Erbschaftssteuer<br />

- Empfang steuerbegünstigter Spenden.<br />

Nach § 51 S. 1 AO setzt der Gemeinnützigkeitsstatus eine Körperschaft voraus, die<br />

den gemeinwohlorientierten Zweck verfolgt. Körperschaften sind gem. § 1 Abs. 1<br />

KStG mit den Rechten einer juristischen Person ausgestattete Vereinigungen mehre-<br />

rer Personen zu einem gemeinsamen Zweck, wobei vor allem die Rechtsformen des<br />

Vereins, der Stiftung und der GmbH <strong>von</strong> praktischer Relevanz sind. 244 Ihnen<br />

gleichgestellt sind <strong>nach</strong> § 51 S. 2 AO Personenvereinigungen und Vermögens-<br />

massen. Freie Träger sind meistens in der Rechtsform des gemeinnützigen eingetra-<br />

genen Vereins, der Stiftung oder auch der (gemeinnützigen) Gesellschaft mit be-<br />

schränkter Haftung organisiert. 245 Allerdings können Freie Träger auch wirtschaftliche<br />

Geschäftsbetriebe unterhalten, die <strong>nach</strong> § 14 S. 2 AO keine Gewinnerzielungs-<br />

absicht voraussetzen, aber dennoch steuerpflichtig sind, vgl. § 64 AO. Ferner ist eine<br />

Verdrängung Privater durch die steuerliche Begünstigung freier Träger bislang nicht<br />

empirisch belegt worden. Geht man aber dennoch da<strong>von</strong> aus, dass steuerliche<br />

Vorteile eine Verdrängung Privater bewirken, könnten freie Träger, zumindest wenn<br />

sie keinen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb sondern einen Zweckbetrieb führen,<br />

<strong>nach</strong> dem Telos der Norm ebenfalls <strong>von</strong> § 7 Nr. 6 VOL/A umfasst werden.<br />

243<br />

Vgl. dazu Rüsken/Gersch in Klein, Abgabenordnung, Kommentar, 8. Auflage 2003, Vor. § 51,<br />

Rdnr. 2.<br />

244<br />

Von Boetticher, Die frei-gemeinnützige Wohlfahrtspflege und das europäische Beihilfenrecht,<br />

2003, S. 18 mit Verweis auf v. Randenborgh in: Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit,<br />

2000, § 1, Rdnr. 4.<br />

245<br />

Monopolkommission, Zwölftes Hauptgutachten 1996/1997, BT-DS 13/11291, S. 330, Rdnr. 624;<br />

<strong>von</strong> Boetticher, Die frei-gemeinnützige Wohlfahrtspflege und das europäische Beihilfenrecht,<br />

2003, S. 22; Schröder, Die Rechtsträger der freien Wohlfahrtspflege als öffentliche Auftraggeber,<br />

VergabeR 2003, 502, 503.<br />

96


Überwiegend wird jedoch angenommen, dass nur öffentliche Einrichtungen vom<br />

Ausschluss am Wettbewerb erfasst werden, 246 und die Norm dementsprechend auf<br />

öffentliche Einrichtungen zu reduzieren sei. Die Bezeichnung „öffentliche Einrichtung“<br />

soll hierbei im Sinne einer öffentlich-rechtlich gestalteten Einrichtung verstanden<br />

werden und nicht wie im Verwaltungsrecht, wo „öffentlich“ bedeutet, dass die<br />

Einrichtung der Öffentlichkeit, d.h. jedermann oder zumindest einem nicht<br />

individualisierten Personenkreis offen steht. 247 Hintergrund ist, dass da<strong>von</strong><br />

ausgegangen wird, dass nur öffentlich-rechtlich organisierte Einrichtungen private<br />

Unternehmen verdrängen können, nicht aber private. 248 Gestützt wird diese<br />

Annahme zudem mit dem Argument, dass es im Privatrecht jedermann freigestellt ist,<br />

in welcher Rechtsform er sich organisiert, um gerade auch aus dieser Wahl<br />

wirtschaftliche Vorteile für seine Unternehmen ziehen zu können. 249<br />

Die freien Träger der Wohlfahrtspflege grenzen sich gegenüber privat-gewerblichen<br />

Anbietern sozialer Dienste durch das Merkmal der Gemeinwohlorientierung im<br />

Gegensatz zur Gewinnoptimierung ab und gegenüber Trägern der öffentlichen<br />

Wohlfahrt durch die privatrechtliche Organisationsform sowie die Freiwilligkeit und<br />

Weisungsfreiheit des Engagements. 250 Die ökonomische Theorie fasst die Einrichtun-<br />

gen und Rechtsträger der freien Wohlfahrtspflege daher zum so genannten Dritten<br />

Sektor zusammen, also dem gesellschaftlichen Bereich zwischen Markt und Staat. 251<br />

Um zu beurteilen, ob § 7 Nr. 6 VOL/A eine Reduktion auf öffentlich organisierte<br />

Einrichtungen oder eine Extension auf freie Träger meint, gilt es zu untersuchen,<br />

wodurch die Verdrängung privater Unternehmen, die durch § 7 Nr. 6 VOL/A<br />

verhindert werden soll, tatsächlich erfolgt. Eine Extension würde, wie gezeigt, an das<br />

Merkmal der Gemeinnützigkeit anknüpfen und damit sowohl öffentliche als auch freie<br />

Träger <strong>von</strong> der Teilnahme am Wettbewerb ausschließen. Eine Reduktion auf<br />

öffentliche Einrichtungen knüpft an die Organisationsform des Bieters an und würde<br />

nur die öffentlich rechtlich organisierten Träger vom Wettbewerb ausschließen. Dies<br />

246<br />

So jedenfalls Zdzieblo in Daub/Eberstein, Kommentar zur VOL/A, 5. Auflage, 2000, § 7, Rdnr. 72;<br />

ebenso die Rechtsprechung, vgl. zuletzt OLG Düsseldorf v. 23.12.2003, Az. VII-Verg 58/03, S. 2<br />

sowie ferner 2. Vergabekammer des Bundes, Az. VK 2-94/03, S. 6.<br />

247<br />

Maurer, allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Auflage 2002, § 3, Rdnr. 26.<br />

248<br />

2. Vergabekammer des Bundes v. 06.10.2003, Az. VK 2-94/03, S. 6.<br />

249<br />

So die Argumentation der 2. Vergabekammer des Bundes v. 06.10.2003, Az. VK 2-94/03, S. 6.<br />

250<br />

<strong>von</strong> Boetticher, Die frei-gemeinnützige Wohlfahrtspflege und das europäische Beihilfenrecht,<br />

2003, S. 22.<br />

251<br />

Dörr, <strong>Vergaberecht</strong>liche Einbindung der freien Wohlfahrtspflege, RdJB 2002, 349, 350;<br />

Priller/Zimmer, Der Dritte Sektor – Wachstum und Wandel, 2001, S. 11.<br />

97


ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn auch die Organisationsform die Ursache für die<br />

Verdrängung, die es zu verhindern gilt, darstellt.<br />

Dies lässt sich möglicherweise anhand einer Rechtsfolgenbetrachtung <strong>nach</strong>voll-<br />

ziehen. Stellt man allein auf die Organisationsform ab und geht man da<strong>von</strong> aus, dass<br />

nur ein Ausschluss öffentlicher Einrichtungsträger gewollt ist, könnten privat<br />

organisierte freie Träger neben kommerziellen Unternehmen um öffentliche Aufträge<br />

konkurrieren. Wenn freie Träger aufgrund ihres Gemeinnützigkeitsstatus kosten-<br />

günstiger arbeiten können, bestünde die Gefahr dass kommerzielle Anbieter vom<br />

Markt verdrängt werden <strong>nach</strong> wie vor. Daran würde sich zeigen, dass die Gefahr<br />

einer Verdrängung privater Unternehmen nicht durch die gewählte Organisationsform<br />

realisiert wird, sondern durch die Förderung bestimmter Zwecke durch den Staat.<br />

Folglich könnte angenommen werden, dass Sinn und Zweck des § 7 Nr. 6 VOL/A<br />

darin besteht, private Unternehmen vor solchen Konkurrenten zu schützen, die<br />

aufgrund ihrer sozialpolitischen Zielsetzung staatlich gefördert werden. Eine solch<br />

extensive Auslegung begegnet allerdings erheblichen Bedenken. Vor allem<br />

entspräche eine solche Sinngebung nicht der Konstellation, die der Wortlaut der<br />

Norm durch die Aufzählungskette vorgibt, denn der Gesetzgeber wollte nicht<br />

diejenigen Bieter schützen, die gewinnorientiert (statt gemeinwohlorientiert, denn<br />

daran knüpft die staatliche Förderung an) arbeiten, sondern alle wirtschaftlich tätigen<br />

Unternehmen. Der Begriff des Unternehmens knüpft dabei an keine private<br />

Organisationsform an, sondern ist untechnisch zu verstehen wie das vom<br />

Gesetzgeber in den amtlichen Erläuterungen gewählte Beispiel der Regiebetriebe<br />

zeigt. Diese sind im organisationsrechtlichen Sinn keine Unternehmen, da sie nicht<br />

privatrechtlich organisiert sind und keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgen. 252 Sie<br />

sind aber dennoch zum Wettbewerb zugelassen und damit ebenfalls durch § 7 Nr. 6<br />

VOL/A geschützt, weil sie wirtschaftlich tätig sind.<br />

Das alleinige Abstellen auf die wirtschaftliche Tätigkeit entspricht auch dem<br />

funktionalen Unternehmensbegriff, auf den das europäische Wettbewerbsrecht<br />

abstellt. 253 Die sozialpolitische Zielsetzung, auf die sich § 7 Nr. 6 VOL/A bezieht,<br />

252 Vogelsang/Lübking/Jahn, Kommunale Selbstverwaltung, 1991, S. 185, Rdnr. 646.<br />

253 Zum funktionalen Unternehmensbegriff vgl. EuGH v. 23.04.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I –<br />

1979, Rdnr. 21 – „Höfner und Elser“; EuGH v. 17.02.1993, verb. Rs. C-159 und 160/91, Slg. 1993,<br />

98


knüpft aber nicht an die fehlende Gewinnerzielungsabsicht des handelnden Einrich-<br />

tungsträgers, sondern soll diesen <strong>von</strong> wirtschaftlich handelnden, gewerblichen<br />

Unternehmen abgrenzen. 254<br />

ff) Zusammenfassung<br />

Zusammenfassend kann daher festgestellt werden, dass § 7 Nr. 6 VOL/A diejenigen<br />

Einrichtungen vom Wettbewerb mit wirtschaftlich handelnden Unternehmen eines<br />

Gewerbes ausschließen soll, die wie Justizvollzuganstalten, Einrichtungen der<br />

Jugendhilfe, Aus- und Fortbildungsstätten aufgrund ihrer sozialpolitischen Ziel-<br />

setzung keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Der Zweck der Einrichtung und die<br />

Tätigkeit, die dort erbracht wird, sind nicht darauf gerichtet, eine Tätigkeit oder ein<br />

Produkt für jemand Dritten zu erbringen oder anzufertigen, denn dies soll<br />

grundsätzlich durch wirtschaftlich handelnde Unternehmen im Wettbewerb erfolgen.<br />

Die Träger frei-gemeinnütziger Einrichtungen können folglich nicht per se durch § 7<br />

Nr. 6 VOL/A <strong>von</strong> der Teilnahme am Wettbewerb ausgeschlossen werden, weder weil<br />

sie Einrichtungen i.S.v. § 7 Nr. 6 VOL/A unterhalten noch weil sie aufgrund ihrer<br />

gemeinnützigen Ausrichtung steuerlich begünstigt sind. Allein entscheidend ist, ob<br />

das auszuführende Geschäft seiner Natur <strong>nach</strong> wirtschaftlich ausgeführt werden soll<br />

(dann Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen) oder ob es sich um ein Geschäft<br />

handelt, das seiner Natur <strong>nach</strong> innerhalb einer Einrichtung des freien Trägers<br />

durchgeführt werden soll. In diesem Fall soll gem. § 3 Nr. 4 Buchst.o VOL/A i.V.m. §<br />

7 Nr. 6 VOL/A aber auch kein offenes Vergabeverfahren durchgeführt werden<br />

sondern eine Freihändige Vergabe. Ein völliger Ausschluss freier Träger <strong>von</strong> der<br />

Teilnahme an Vergabeverfahren, darf bei Leistungen, die Gegenstand <strong>von</strong> Anhang I<br />

B VOL/A sind, nicht erfolgen. Vom Wettbewerb ausgeschlossen sind nur die in den<br />

Einrichtungen hergestellten „Nebenprodukte“.<br />

I, 637, Rdnr. 17 – „Poucet und Pistre“; EuGH v. 16.11.1995, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I – 4013,<br />

Rdnr. 14 – 21 – „Fédération Française“, EuGH v. 12.09.2000, verb. Rs. C-180 bis 184/98, Slg.<br />

2000, I – 6451, Rdnr. 74 – Pavlov u.a.; da<strong>nach</strong> ist Unternehmen jede eine wirtschaftliche Tätigkeit<br />

ausübende Einheit, unabhängig <strong>von</strong> ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung.<br />

254 § 7 Nr. 6 VOL/A wäre dem<strong>nach</strong> wie folgt zu verstehen: Justizvollzuganstalten, Einrichtungen der<br />

Jugendhilfe, Aus- und Fortbildungsstätten oder ähnliche Einrichtungen sind zum Wettbewerb mit<br />

wirtschaftlich handelnden Unternehmen nicht zuzulassen.<br />

99


5. Dienstleistungen <strong>nach</strong> Anhang I A VOL/A<br />

Sofern stattdessen Aufträge vergeben werden sollen, deren Gegenstand Dienstleis-<br />

tungen <strong>nach</strong> Anhang I A VOL/A sind, richtet sich die Vergabe <strong>nach</strong> den a-Paragrafen<br />

des 2. Abschnitts der VOL/A und ergänzend <strong>nach</strong> den Basisparagrafen. 255 Die<br />

Vergabearten sind in § 3a VOL/A aufgeführt:<br />

a) Offenes Verfahren<br />

Aufträge müssen grundsätzlich im offenen Verfahren vergeben werden. Da dieses<br />

der öffentlichen Ausschreibung entspricht, kann auf die dortigen Ausführungen ver-<br />

wiesen werden.<br />

b) Nichtoffenes Verfahren<br />

In begründeten Fällen können Aufträge im Wege des Nichtoffenen Verfahrens<br />

vergeben werden. Dieses entspricht der Beschränkten Ausschreibung mit Öffent-<br />

lichem Teilnahmewettbewerb gem. § 3 Nr. 1 Abs. 4 und Nr. 3 VOL/A.<br />

c) Verhandlungsverfahren<br />

Beim Verhandlungsverfahren – mit oder ohne vorherige öffentliche Vergabebekannt-<br />

machung - wendet sich der Auftraggeber an Unternehmen seiner Wahl und verhan-<br />

delt mit mehreren oder einem einzigen dieser Unternehmen über die Auftrags-<br />

vergabe. Im Gegensatz zum Freihändigen Vergabeverfahren findet das Verhan-<br />

dlungsverfahren nur unter den in § 3a Nr. 1 Abs. 4 und Nr. 2 VOL/A genannten<br />

Voraussetzungen Anwendung.<br />

d) Teilnehmer am Wettbewerb<br />

Wer als Teilnehmer am Vergabeverfahren in Betracht kommt ergibt sich aus § 7a<br />

VOL/A. Dieser unterscheidet sich <strong>von</strong> § 7 VOL/A insbesondere darin, dass er einen<br />

Ausschluss bestimmter Einrichtungen wie ihn § 7 Nr. 6 VOL/A vorsieht, nicht kennt.<br />

255 vgl. § 1a Nr. 2 Abs. 1 VOL/A.<br />

100


Dementsprechend fehlt auch eine Norm, die wie § 3 Nr. 4 Buchst. o VOL/A für<br />

genau diese Einrichtungen ein Verhandlungsverfahren vorsieht. Das bedeutet, dass<br />

Einrichtungen der in § 7 Nr. 6 VOL/A genannten Art am Offenen Vergabeverfahren<br />

teilnehmen können. Der Anwendung der Basisparagrafen 256 steht in diesem Fall § 3a<br />

Nr. 1 Abs. 1 VOL/A entgegen, der bestimmt, dass ein Verhandlungsverfahren nur<br />

unter den in § 3a Nr. 1 Abs. 4 und Nr. 2 VOL/A genannten Voraussetzungen<br />

anwendbar ist. Da § 3 Nr. 4 Buchst. o VOL/A damit nicht herangezogen werden<br />

kann, findet auch § 7 Nr. 6 VOL/A keine Anwendung, der <strong>nach</strong> einhelliger Meinung<br />

im Zusammenhang mit § 3 Nr. 4 Buchst. O VOL/A zu sehen ist. 257<br />

Aufträge an Freie Träger, deren Gegenstand Dienstleistungen <strong>nach</strong> Anhang I A sind,<br />

werden daher grundsätzlich im Offenen Verfahren vergeben, da die sog. a-Para-<br />

grafen des 2. Abschnitts der VOL/A eine § 7 Nr. 6 VOL/A entsprechende Norm nicht<br />

kennen. Bei dieser Art <strong>von</strong> Dienstleistungen ist daher auch nicht die freihändige<br />

Vergabe die richtige Vergabeart, sondern das offenen Verfahren, an dem auch freie<br />

Träger zu beteiligen sind.<br />

II. Materielles <strong>Vergaberecht</strong><br />

Darzustellen bleibt, welche Rechtsgrundsätze gelten, wenn Leistungen, die ein freier<br />

Träger erbringen möchte, unter Anwendung des <strong>Vergaberecht</strong>s ausgeschrieben<br />

werden. Die Antwort hängt zunächst da<strong>von</strong> ab, ob das <strong>Vergaberecht</strong> auf<br />

haushaltsrechtlicher Grundlage oder auf der Grundlage des 4. Teils des GWB<br />

Anwendung findet (unten 1.). In letzterem Fall gelten die materiellen Vergabegrund-<br />

sätze des GWB sowie – über § 4 Abs. 1 Satz 1 VgV – der zweite Abschnitt der<br />

VOL/A (dazu unten 2.). Auf Grundlage des Haushaltsrechts gilt dagegen nur der<br />

erste Abschnitt der VOL/A, und die Rechte der Bieter auf Überprüfung sind stark<br />

eingeschränkt (unten 3.).<br />

256 Insbes. § 7 Nr. 6 VOL/A und § 3 Nr. 4 Buchst. o VOL/A.<br />

257 Müller in Daub/Eberstein, Kommentar zur VOL/A, 5. Auflage 2000, § 3, Rdnr. 44; Neumann/<br />

Bieritz-Harder, Vergabe öffentlicher Aufträge in der Sozial- und Jugendhilfe? RsDE 48/2001, 1,<br />

26; OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.12.2003, Az: VII-Verg 58/03, S. 3 m.w.N.<br />

101


1. Abgrenzung zwischen Abschnitt I und Abschnitt II VOL/A<br />

a) Abgrenzungskriterien<br />

Die Kriterien, <strong>nach</strong> denen sich die Abgrenzung der Grundsätze des GWB sowie des<br />

zweiten Abschnitts der VOL/A einerseits und der Grundsätze des ersten Abschnitts<br />

der VOL/A anderseits richtet, sind oben bereits dargestellt worden. 258 Sind die drei<br />

„Zentralbegriffe“ (öffentlicher Auftraggeber, öffentlicher Auftrag und Überschreitung<br />

des Schwellenwerts) 259 erfüllt, so gelten auch die Vergabegrundsätze des GWB und<br />

des zweiten Abschnitts VOL/A. Dasselbe gilt, wenn das Vergabeverfahren auf den<br />

ausdrücklichen Verweisungen des SGB III auf das <strong>Vergaberecht</strong> beruht. Denn diese<br />

Verweisungen sind als „Rechtsfolgenverweisungen“ zu verstehen. 260<br />

b) Wettbewerbsrechtliche Vergabe<br />

Gelten also das GWB und der zweite Anschnitt der VOL/A, so sind im Vergabe-<br />

verfahren im Ausgangspunkt die materiellen Vergabegrundsätze des § 97 GWB<br />

sowie die Besonderheiten der „a-Paragraphen“ der VOL/A zu beachten. Freilich sind<br />

letztere für die Tätigkeiten der freien Träger regelmäßig bedeutungslos. Denn <strong>nach</strong><br />

§ 1a Nr. 2 Abs. 2 VOL/A werden Aufträge, deren Gegenstand Dienstleistungen <strong>nach</strong><br />

Anhang I B VOL/A sind, mit Ausnahme der §§ 8a, 28a VOL/A nur <strong>nach</strong> den<br />

Basisparagraphen vergeben. Die sozialen Dienstleistungen fallen unter Anhang I B<br />

und die §§ 8a, 28a VOL/A haben für soziale Dienstleistungen keine Bedeutung. Die<br />

wesentliche Bedeutung der Unterscheidung beschränkt sich also – vom Rechts-<br />

schutz abgesehen – auf die Grundsätze des § 97 GWB.<br />

c) Haushaltsrechtliche Vergabe<br />

Handelt es sich nur um ein Vergabeverfahren <strong>nach</strong> Haushaltsrecht, so ist lediglich<br />

der erste Abschnitt des VOL/A (= Basisparagraphen) einzuhalten. Allerdings sind die<br />

Grundsätze des § 97 GWB weitgehend auch in § 2 VOL/A enthalten. 261 Der<br />

258 Oben B. II.<br />

259 §§ 98 – 100 GWB.<br />

260 Oben B. III.<br />

261 Bechtold, GWB, 3. Aufl. 2002, § 97 Rn. 1.<br />

102


wesentliche Unterschied liegt im Bereich der Ausschreibung sozialer Dienst-<br />

leistungen daher nicht bei den materiellen Vorgaben des <strong>Vergaberecht</strong>s, sondern<br />

lediglich im Rechtsschutz.<br />

2. Die Vergabegrundsätze des § 97 GWB<br />

Die bisherigen Erfahrungen mit Vergabeverfahren der Bundesagentur für Arbeit<br />

zeigen aus der Sicht der freien Träger eine Reihe typischer Probleme. Namentlich<br />

werden <strong>von</strong> der Vergabestelle Qualitätsansprüche außer Acht gelassen, die an die<br />

betroffenen sozialen Dienstleistungen aus sachlichen Gründen zu stellen sind. Die<br />

Folge ist häufig der Zuschlag an wenig geeignete Bieter. Zuweilen erschwert die<br />

Aufteilung des Auftrags in zu große Teillose den – regional aufgestellten – freien<br />

Trägern die Bewerbung. Und schließlich weist nicht zuletzt die Insolvenz <strong>von</strong><br />

Maatwerk, dem bisher erfolgreichsten Bieter bei der Ausschreibung der Personal-<br />

Service-Agenturen, auf eine einseitige Orientierung der Vergabestelle am Endpreis<br />

hin; Kriterien wie Eignung und Leistungsfähigkeit der Bieter sind offenbar nicht immer<br />

ausreichend beachtet worden. Zu prüfen ist, inwieweit die materiellen Vergabegrund-<br />

sätze des § 97 GWB diesen Fehlentwicklungen Grenzen setzen.<br />

a) Wettbewerbsgrundsatz, § 97 Abs. 1 GWB<br />

Nach § 97 Abs. 1 GWB beschaffen öffentliche Auftraggeber Dienstleistungen im<br />

Wettbewerb. 262 Ausfluss dieses Prinzips ist zum einen der eindeutige Vorrang des<br />

offenen Verfahrens, da nur eine breite Beteiligung zu einer Auswahl an wirt-<br />

schaftlichen Angeboten führt. 263 Die Anwendung des § 3 Nr. 4 VOL/A (freihändige<br />

Vergabe) muss vor diesem Hintergrund – auch wenn die strengeren Vorschriften des<br />

§ 3a VOL/A <strong>nach</strong> § 1a Nr. 2 Abs. 2 VOL/A nicht anwendbar sind – die Ausnahme<br />

bleiben. Sie wird <strong>von</strong> Mitbewerbern, die am Zuschlag ebenfalls interessiert gewesen<br />

wären, regelmäßig unter Berufung auf § 97 Abs. 1 GWB erfolgreich angegriffen<br />

werden können.<br />

Zum anderen folgt aus dem Wettbewerbsgrundsatz die Verpflichtung des Auftragge-<br />

262 Ebenso § 2 Nr. 1 VOL/A.<br />

263 Bechtold GWB, 3. Aufl. 2002, § 97 Rn. 3.<br />

103


ers, seiner Ausschreibung eine genaue Leistungsbeschreibung zugrunde zu legen.<br />

Denn andernfalls werden die eingehenden Angebote nicht hinreichend vergleichbar<br />

sein und einen Wettbewerb nicht ermöglichen. 264 § 8 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VOL/A<br />

verlangt daher, dass die Leistungen eindeutig und so erschöpfend beschrieben<br />

werden, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen<br />

und die Angebote verglichen werden können. Besonderheiten in den Leistungsan-<br />

forderungen sind <strong>nach</strong> § 8 Nr. 3 Abs. 1, 3 VOL/A bereits in der Leistungsbeschrei-<br />

bung bekannt zu machen. Verstöße können <strong>von</strong> den Bewerbern als Rechtsver-<br />

letzung gerügt werden. 265 Allerdings besteht die Neigung der Vergabekammern- und<br />

Senate, die Aufstellung <strong>von</strong> Qualitätserfordernissen über die ausdrücklich vorge-<br />

schriebene Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit 266 hinaus allein der<br />

Vergabestelle zu überlassen. Dies kann aber jedenfalls nicht gelten, wenn die Aus-<br />

schreibung <strong>von</strong> <strong>Sozialleistungen</strong> hinter Qualitätskriterien zurückbleibt, die sich jeweils<br />

aus den Regelungen über diese <strong>Sozialleistungen</strong> in den Sozialgesetzbüchern<br />

ergeben.<br />

Bereits aus dem Wettbewerbsgrundsatz lässt sich damit eine wesentliche Grenze für<br />

die Praxis der Bundesagentur ableiten, in den Ausschreibungen auf inhaltliche<br />

Beschreibungen der Dienstleistungen weitgehend zu verzichten. Kann diese Offen-<br />

heit der Ausschreibung zur Unvergleichbarkeit der Bewerbungen führen, so ist die<br />

Ausschreibung rechtswidrig. 267 Insbesondere hat die Bundesagentur also darauf zu<br />

achten, dass ihre Leistungsbeschreibungen Wortlaut und Zweck der zugrunde<br />

liegenden Vorschriften aus dem SGB III gerecht werden. So steht es dem Zweck der<br />

Eingliederungs- und Vermittlungsleistungen <strong>nach</strong> §§ 37c, 421i SGB III sicherlich<br />

entgegen, wenn <strong>von</strong> den Bietern keinerlei Fachkonzepte verlangt werden.<br />

b) Transparenzgrundsatz, § 97 Abs. 1 GWB<br />

Nach § 97 Abs. 1 GWB hat das Vergabeverfahren weiter transparent zu sein. Damit<br />

ist gemeint, dass die Entscheidungsschritte der Vergabestelle in jeder Phase des<br />

Verfahrens <strong>nach</strong>vollziehbar sein müssen. 268 Der Grundsatz äußert sich vor allem in<br />

264<br />

Ax/Schneider/Nette, Handbuch <strong>Vergaberecht</strong>, 2002, Kap. 1 Rn. 36.<br />

265<br />

S. nur Zdzieblo, in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl. 2000, § 8 Rn. 28.<br />

266<br />

Dazu unten B.VI.2.e.<br />

267<br />

Zur Pflicht des Bieters, diesen Mangel sofort zu rügen, unten C. III. 1. b. cc.<br />

268<br />

Ax/Schneider/Nette, Handbuch <strong>Vergaberecht</strong>, 2002, Kap. I Rn. 41.<br />

104


der Verpflichtung der Vergabestelle, den Bietern stets die erforderlichen Informatio-<br />

nen bereitzustellen und den Zuschlag zu dokumentieren, § 30 VOL/A.<br />

Allerdings gewährt der Transparenzgrundsatz den Bietern während des Verfahrens<br />

kein Recht auf Akteneinsicht, insbesondere auch nicht in die Gebote der<br />

Mitbewerber. Ein solches Recht würde es den freien Trägern wesentlich erleichtern,<br />

auf Qualitätsmängel in Konkurrenzgeboten hinzuweisen. Da<strong>von</strong> werden im<br />

<strong>Vergaberecht</strong> aber Beeinträchtigungen des Wettbewerbs und die Verletzung <strong>von</strong><br />

Betriebsgeheimnissen der Bieter befürchtet. Ein Recht auf Akteneinsicht gibt es<br />

daher erst im Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern <strong>nach</strong> § 111 GWB.<br />

c) Diskriminierungsverbot, § 97 Abs. 2 GWB<br />

§ 97 GWB bestimmt, dass die Teilnehmer an einem Vergabeverfahren gleich zu<br />

behandeln sind, soweit nicht eine Be<strong>nach</strong>teiligung auf der Grundlage des GWB<br />

ausdrücklich geboten oder gestattet ist. Derselbe Grundsatz findet sich auch in § 2<br />

Nr. 2 VOL/A. Dies ist für die Interessen der freien Träger im Vergabeverfahren unter<br />

mehreren Gesichtspunkten <strong>von</strong> Bedeutung.<br />

aa) Regionale Beschränkungen<br />

Bei den Dienstleistungen, die die Bundesagentur vergibt, geht es häufig um die<br />

Vorbereitung Arbeitssuchender auf bestimmte Tätigkeiten oder die Vermittlung<br />

dorthin. Es liegt auf der Hand, dass dafür die genaue Kenntnis des örtlichen Arbeits-<br />

markts und seiner Arbeitgeber, verlässliche Kontakte und Erfahrungen mit den<br />

Arbeitsbedingungen bei diesen Arbeitgebern <strong>von</strong> erheblichem Vorteil sind. Daher<br />

läge es nahe, <strong>von</strong> den Bietern eine regionale Niederlassung und besondere<br />

Ortskenntnis zu verlangen. Dies käme den traditionellen Leistungserbringern aus<br />

dem Kreis der freien Träger entgegen, da sie diese Voraussetzungen besonders gut<br />

erfüllen könnten.<br />

Derartige regionale Beschränkungen sind in Vergabeverfahren jedoch nur sehr<br />

eingeschränkt zulässig. Sie bedeuten eine Be<strong>nach</strong>teiligung auswärtiger Bieter, die<br />

namentlich <strong>von</strong> den europarechtlichen Vorgaben des GWB gerade verhindert werden<br />

105


soll. 269 Auch § 7 Nr. 1 Abs. 1 Satz 2 VOL/A bestimmt, dass die Bewerbung nicht auf<br />

Bieter beschränkt werden darf, die in bestimmten Bezirken ansässig sind. Dabei<br />

handelt es sich um eine „Muss-Bestimmung“, die nicht übergangen werden darf. Es<br />

ist der Vergabestelle lediglich erlaubt, Vorteile der örtlichen Nähe einzelner Bewerber<br />

im Rahmen späterer Schritte des Verfahrens zu würdigen. 270 Es gibt daher keine<br />

Möglichkeit, eine fehlende regionale Beschränkung der Ausschreibung zu rügen. Im<br />

Gegenteil wäre diese Beschränkung rechtswidrig und könnte <strong>von</strong> auswärtigen<br />

Interessenten angefochten werden.<br />

bb) Qualitätskriterien<br />

In vielen Fällen führt es zu Unverständnis bei den freien Trägern, wenn das Ergebnis<br />

<strong>von</strong> Vergabeverfahren der Zuschlag an mehr oder weniger minderqualifizierte Bieter<br />

ist. Hier ist jedoch zu beachten, dass die Vergabestellen im Laufe des Verfahrens<br />

nicht mehr <strong>von</strong> den Qualitätskriterien abweichen dürfen, die sie selbst in der<br />

Leistungsbeschreibung angelegt haben. Zwar kommt auf die Rüge mangelhafter<br />

Leistungsbeschreibung die Aufhebung des Vergabeverfahrens in Betracht. Erfolgt<br />

jedoch eine Vergabe, so darf die Vergabestelle wegen des Diskriminierungsverbots<br />

weder die ursprünglichen Qualitätskriterien absenken 271 noch diese erhöhen. 272<br />

Fehler in den Qualitätsansprüchen der Vergabestelle können im Laufe des<br />

Verfahrens also kaum noch geheilt werden. Insbesondere wird eine qualitativ<br />

bessere Bewerbung wegen ihres regelmäßig höheren Endpreises kaum zum Erfolg<br />

kommen. Der einzige Weg besteht hier in der – sofortigen – Rüge der fehlerhaften<br />

Leistungsbeschreibung. 273<br />

cc) Bevorzugung freier Träger<br />

Zuletzt steht das Diskriminierungsverbot auch jeglicher Bevorzugung der freien<br />

Träger in Vergabeverfahren entgegen. Zwar gilt das Gebot der Zusammenarbeit mit<br />

den freien Trägern aus § 17 Abs. 3 SGB I auch für die Bundesagentur für Arbeit.<br />

Denn sie ist <strong>nach</strong> den §§ 12, 19 SGB I Leistungsträger im Sinne des § 17 SGB I, und<br />

269 Vgl. nur Bechtold GWB, 3. Aufl. 2002, § 97 Rn. 7 f.<br />

270 Etwa Zdzieblo, in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl. 2000, § 7 Rn. 31.<br />

271 BayObLG, Beschl. v. 20.12.1999, Verg 8/99.<br />

272 KG, Beschl. v. 03.11.1999, Kart. Verg 3/99 zur VOB.<br />

273 Oben C. II. 2. a.<br />

106


diese sind grundsätzlich zur Zusammenarbeit mit den freien Trägern verpflichtet. 274<br />

§ 97 Abs. 2 duldet <strong>nach</strong> seinem Wortlaut aber nur Ungleichbehandlungen, die auf-<br />

grund des GWB selbst angeordnet oder gestattet sind. Dies trifft auf § 17 Abs. 3 SGB<br />

I nicht zu.<br />

d) Bildung <strong>von</strong> Losen, § 97 Abs. 3 GWB<br />

Nach § 97 Abs. 3 GWB sind durch Teilung der Aufträge in Fach- und Teillose<br />

mittelständische Interessen angemessen zu berücksichtigen. Ähnlich, jedoch ohne<br />

ausdrücklichen Bezug zum Mittelstand, bestimmt § 5 Nr. 1 VOL/A: Der Auftraggeber<br />

hat in jedem Falle, in dem dies <strong>nach</strong> Art und Umfang der Leistung zweckmäßig ist,<br />

diese in Lose zu zerlegen, damit sich auch kleine und mittlere Unternehmen um Lose<br />

bewerben können. Die einzelnen Lose müssen so bemessen sein, dass eine<br />

unwirtschaftliche Zersplitterung vermieden wird.<br />

Die freien Träger haben regelmäßig ein Interesse daran, dass kleine Lose<br />

ausgeschrieben werden. Denn sie sind traditionell regional verfasst. Auch die<br />

Möglichkeit, <strong>nach</strong> § 21 Nr. 5 VOL/A Bietergemeinschaften zu bilden, hilft nicht immer<br />

weiter. Denn dies ist zeitaufwändig, geht oft über den räumlichen Einzugsbereich<br />

auch mehrerer freier Träger hinaus und kann Abstriche vom Selbstverständnis<br />

erfordern. Daher stellt sich die Frage, ob die Bildung geeigneter, kleiner Lose im<br />

Vergabeverfahren durchgesetzt werden kann.<br />

Einem solchen Anspruch auf Bildung geeigneter Lose steht zunächst nicht entgegen,<br />

dass die freien Träger nicht zum „Mittelstand“ gehören. Denn bei der Formulierung<br />

des § 5 Nr. 1 VOL/A ist bewusst <strong>von</strong> der ausdrücklichen Verwendung des Begriffs<br />

Mittelstand abgesehen worden. Stattdessen wurde allgemeiner auf kleine oder<br />

mittlere Unternehmen abgestellt. 275 Zu diesen Unternehmen gehören aber auch die<br />

freien Träger.<br />

Generell gewährt die Rechtsprechung der Vergabesenate den Bietern auch die<br />

274 Etwa Trenk-Hinterberger, in: Giese, SGB I und X, Stand: Nov. 2003, § 17 SGB I Rn. 5 – 7; Baier,<br />

in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung - Pflegeversicherung, Stand: Juni 2003, § 17 SGB I<br />

Rn. 7 f.<br />

275 Müller, in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl. 2000, § 5 Rn. 2, 5.<br />

107


Befugnis, die Losbildung überprüfen zu lassen. 276 Auch ein Anspruch auf eine<br />

bestimmte Losbildung ist im Einzelfall möglich. 277 Für die Beteiligung freier Träger an<br />

Ausschreibungen der Bundesagentur für Arbeit ist ein solcher Anspruch<br />

anzuerkennen. Denn anders als im Zusammenhang mit dem Diskriminierungs-<br />

verbot 278 ist die Bundesagentur hier an das Kooperationsprinzip <strong>nach</strong> § 17 Abs. 3<br />

SGB I gebunden. Eine Be<strong>nach</strong>teiligung anderer Bieter ergibt sich aus diesem Recht<br />

der freien Träger nicht, da sie sich problemlos auch auf mehrere Lose bewerben<br />

können. Sie haben also keinen Nachteil aus der kleinteiligeren Losbildung. 279<br />

Außerdem deckt sich das Interesse der freien Träger häufig mit sachlichen<br />

Gesichtspunkten, namentlich den Vorteilen regionaler Verwurzelung der Bieter 280<br />

und den Anforderungen des Wunsch- und Wahlrechts der Betroffenen aus<br />

§ 33 Satz 2 SGB I. Diese dürfen zwar nicht zum Ausschluss auswärtiger Bieter<br />

herangezogen werden. Anderseits ist es aber sachlich geboten, die Beteiligung <strong>von</strong><br />

Bietern (hier der freien Träger), die diese Vorteile bieten können, nicht schon durch<br />

die Ausschreibung überdimensionierter Lose zu behindern. Aus diesem Grund ist<br />

auch keine unwirtschaftliche Zersplitterung <strong>nach</strong> § 5 Nr. 1 Satz 2 VOL/A zu<br />

befürchten.<br />

Im Ergebnis können sich freie Träger auf ihre Eigenschaft als kleine und mittlere<br />

Bieter und auf das Kooperationsprinzip berufen, wo der Zuschnitt eines öffentlichen<br />

Auftrags in Lose die sinnvolle Bewerbung im Einzelfall erheblich erschwert oder<br />

unmöglich macht.<br />

e) Eignungskriterien, § 97 Abs. 4 GWB<br />

Übereinstimmend schreiben § 97 Abs. 4 Halbsatz 1 GWB und § 25 Nr. 2 Abs. 1<br />

VOL/A vor, dass die Vergabe an einen Bieter dessen Fachkunde, Leistungsfähigkeit<br />

und Zuverlässigkeit voraussetzt. Weitere Kriterien dürfen <strong>nach</strong> § 97 Abs. 4 Halb-<br />

satz 2 GWB nur angelegt werden, wenn dies durch Gesetz vorgesehen ist. Ergän-<br />

zend bestimmt § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A, dass die Vergabestellen ungewöhnlich<br />

276 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.06.2000, Verg 6/00 und Beschl. v. 04.03.2004, VII-Verg 8/04; OLG<br />

Frankfurt/Main, Beschl. v. 05.03.2002, 11 Verg 2/01.<br />

277 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 04.03.2004, VII-Verg 8/04 zu einer Ausschreibung der Bundesagentur<br />

für Arbeit; 1. Vergabekammer des Bundes, Beschl. v. 01.02.2001, VK 1-1/01.<br />

278 Oben B.V.2.c.cc.<br />

279 Vgl. Müller, in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl. 2000, § 5 Rn. 11.<br />

280 Oben B.V.2.c.aa.<br />

108


niedrige Angebote durch Überprüfung <strong>von</strong> deren Einzelposten besonders exakt zu<br />

untersuchen haben. Diese Vorschriften bieten durchaus Ansatzpunkte, um den<br />

Zuschlag an qualitativ schwächere, fachlich unerfahrene oder finanziell instabile<br />

Mitbewerber zu verhindern. Für die generelle Bevorzugung freier Träger bieten die<br />

Vorschriften freilich keine Rechtfertigung. Im Einzelnen:<br />

aa) vergabefremde Kriterien<br />

Man könnte zunächst auf den Gedanken kommen, die Kooperationspflicht der<br />

Bundesagentur <strong>nach</strong> § 17 Abs. 3 SGB I als „vergabefremdes Kriterium“ im Sinne des<br />

§ 97 Abs. 4 Halbsatz 2 GWB einzuführen. Denn diese Verpflichtung ist immerhin<br />

gesetzlich geregelt und könnte daher als derartiges Kriterium in Frage kommen.<br />

Damit wäre ein Vorrang freier Träger im Vergabeverfahren begründet.<br />

Bei genauerem Hinsehen handelt es sich jedoch um ein Kriterium, das nur auf die<br />

Person des Bieters und nicht auf die Eigenschaften seines Angebots abstellt. Solche<br />

Kriterien fallen <strong>von</strong> vorneherein nicht unter § 97 Abs. 4 Halbsatz 2 GWB, sondern<br />

wären eine unzulässige Diskriminierung entgegen § 97 Abs. 2 GWB. Es bleibt also<br />

bei den drei Kriterien Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit.<br />

bb) Fachkunde<br />

Das Kriterium der Fachkunde bedeutet, dass die Bieter <strong>nach</strong> ihren Kenntnissen,<br />

Erfahrungen und Fertigkeiten in der Lage sein müssen, den Auftrag ordnungsgemäß<br />

auszuführen. Im Falle einfacher Aufträge reicht es, wenn der Bieter auf die erforder-<br />

liche Fachausbildung zurückgreifen kann. Bei schwierigeren Aufträgen muss prakti-<br />

sche Erfahrung in der Abwicklung vergleichbarer Aufträge hinzutreten. Auf den Preis<br />

kommt es im Rahmen der Fachkunde der Bieter nicht an. 281<br />

Zwar darf die Voraussetzung einschlägiger Erfahrungen der Bieter nicht dazu führen,<br />

dass neue Unternehmen generell keine Chancen erhalten. 282 Dennoch beanstandet<br />

die Rechtsprechung es in der Regel nicht, wenn Vergabestellen in ihren Ausschrei-<br />

281 Kulartz, in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl. 2000, § 25 Rn. 33.<br />

282 OLG Celle, Beschl. v. 08.05.2002, 13 Verg 5/02.<br />

109


ungen detaillierte Referenzen verlangen. 283 Die Dienstleistungen <strong>nach</strong> dem SGB III<br />

und dem SGB II sind komplex. Daher sind ohne weiteres Bewerber auszuschließen,<br />

die auf dem Gebiet der Eingliederung <strong>von</strong> Personen in den Arbeitsmarkt nicht über<br />

einschlägige oder immerhin vergleichbare Erfahrungen verfügen. Verstöße können<br />

auch <strong>von</strong> den freien Trägern als Mitbewerbern gerügt werden.<br />

Allerdings kommt der Vergabestelle bei der Beurteilung der Fachkunde ein<br />

Beurteilungsspielraum zu, der <strong>von</strong> den Vergabekammern und den Vergabesenaten<br />

nicht kontrollierbar ist. Dies schränkt die Möglichkeiten deutlich ein, wenn – wie für<br />

die Anliegen der freien Träger typisch – der Zuschlag an einen nicht oder weniger<br />

geeigneten Bewerber verhindert werden soll. In Anlehnung an die allgemeine<br />

Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zu derartigen Spielräumen beschränkt sich<br />

die Kontrolle auf Verfahrensfehler, die Zugrundelegung eines falschen oder unvoll-<br />

ständig ermittelten Sachverhalts, sachwidrige Erwägungen oder die unzutreffende<br />

Anwendung eines Beurteilungsmaßstabs. 284 Es bedarf damit eines eindeutigen<br />

Verstoßes gegen das Erfordernis der Fachkunde, bevor eine Rüge erfolgreich sein<br />

wird. Ein Fehlgebrauch des Beurteilungsspielraums liegt aber jedenfalls vor, wenn<br />

ein Bewerber in die engere Auswahl kommt, der bisher im Bereich der Eingliederung<br />

nicht tätig war und auch nicht über Personal mit derartigen Vorkenntnissen verfügt. 285<br />

cc) Leistungsfähigkeit<br />

Leistungsfähigkeit liegt vor, wenn der Bewerber <strong>nach</strong> seinem Personalbestand und<br />

seiner Bonität die fachgerechte und fristgerechte Ausführung des Auftrags erwarten<br />

lässt. 286 Es kann daher durchaus zum Erfolg <strong>von</strong> Rechtsmitteln gegen eine<br />

<strong>nach</strong>teilige Vergabeentscheidung führen, wenn der Zuschlag – wie im Vorfeld dieses<br />

Gutachtens geschildert – an einen Bieter erteilt wird, der noch über keinerlei<br />

Personal mit der erforderlichen Ausbildung verfügt. Allerdings erstreckt sich der<br />

beschriebene Beurteilungsspielraum auch auf die Frage der Leistungsfähigkeit. In<br />

Zweifelsfällen wird sich die Vergabestelle daher durchsetzen. Außerdem ist es stark<br />

vom Gegenstand der Ausschreibung abhängig, inwieweit schon zum Zeitpunkt der<br />

283 Ax/Schneider/Nette, Handbuch <strong>Vergaberecht</strong>, 2002, Kap. 12 Rn. 19 ff. m.w.N.<br />

284 OLG Hamburg, Beschl. v. 21.01.2000, 1 Verg 2/99; Bechtold GWB, 3. Aufl. 2002, § 97 Rn. 17;<br />

Kulartz, in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl. 2000, § 25 Rn. 32.<br />

285 So die Schilderung eines Falles in der Vorbesprechung zu diesem Gutachten.<br />

286 Kulartz, in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl. 2000, § 25 Rn. 34.<br />

110


Prüfung der Angebote das Vorhandensein des erforderlichen Personals verlangt<br />

werden muss. 287<br />

dd) Zuverlässigkeit<br />

Ein Bieter ist zuverlässig, wenn er – ähnlich der Definition der Zuverlässigkeit im<br />

gewerberechtlichen Sinne – seine gesetzlichen Verpflichtungen fristgerecht erfüllt hat<br />

und aufgrund der Erfüllung früherer Verträge einschließlich der Gewährleistung die<br />

einwandfreie Ausführung erwarten lässt. 288 Auch hier besteht der beschriebene<br />

Beurteilungsspielraum des Auftraggebers.<br />

ee) Auffällig niedrige Angebote<br />

Anders als bei der Prüfung der drei Eignungskriterien Fachkunde, Leistungsfähigkeit<br />

und Zuverlässigkeit kommt der Vergabestelle kein Beurteilungsspielraum zu, wenn<br />

es um die Prüfung auffällig niedriger Angebote geht. § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A<br />

schreibt vor, dass die Einzelposten <strong>von</strong> Angeboten zu prüfen sind, wenn diese im<br />

Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig sind. Das Ergebnis<br />

ist bei der Vergabe zu berücksichtigen. Unauskömmliche Angebote sind dann<br />

zwingend auszuschließen, wenn die Unauskömmlichkeit den Bieter in solche<br />

wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen wird, dass er die ordnungsgemäße Durch-<br />

führung des Auftrags nicht mehr wird gewährleisten können. Dagegen ist „einfaches<br />

Dumping“, das die Durchführung des Auftrags nicht gefährdet, vergaberechtlich<br />

erlaubt. 289<br />

Die Ausschreibungen der Bundesagentur haben in den vergangenen Monaten<br />

teilweise exorbitante Abweichungen der Angebotspreise erbracht. Dies legt es nahe,<br />

dass ein Teil der Bieter entweder auftragsgefährdend unauskömmlich kalkuliert hat<br />

oder den fachlichen Anforderungen an die Dienstleistung <strong>von</strong> vorneherein nicht<br />

<strong>nach</strong>kommen wollte. Für einen unterlegenen freien Träger kann dies Anlass zur<br />

Rüge bieten, die Vergabestelle habe auffällig niedrige Angebote nicht hinreichend<br />

287<br />

Kritisch zu diesem Verlangen OLG Hamburg, Beschl. v. 25.02.2002, 1 Verg 1/01; Beschl. v.<br />

18.07.2002, 2 Kart Verg 4/02.<br />

288<br />

Kulartz, in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl. 2000, § 25 Rn. 35.<br />

289<br />

KG, Beschl. v. 7.11.2001, KartVerg 8/01; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.03.2003, Verg 49/02.<br />

111


durchleuchtet oder einem unauskömmlichen Angebot unzutreffend den Zuschlag<br />

erteilt.<br />

ff) Regionale Verwurzelung der Bieter<br />

Nach den bisherigen Erfahrungen mit den Vergabeverfahren der Bundesagentur<br />

stellt sich insbesondere die Frage, inwieweit die regionale Verwurzelung der Bieter<br />

im Rahmen der Beurteilung <strong>von</strong> Fachkunde und Leistungsfähigkeit berücksichtigt<br />

werden kann und muss. Denn dabei handelt es sich einerseits offensichtlich um ein<br />

Kriterium, das für die erfolgreiche Durchführung der Aufgaben <strong>von</strong> wesentlicher<br />

Bedeutung ist. 290 Anderseits bewegt sich seine Anwendung stets in der Nähe einer<br />

unzulässigen Diskriminierung auswärtiger Bieter. 291 Es läuft auch dem berechtigten<br />

Interesse der Vergabestelle zuwider, durch eine Öffnung des örtlichen Marktes zu<br />

preiswerteren Angeboten zu gelangen.<br />

Zweck der Vergabevorschriften ist es jedoch nicht, die Vergabestelle im Ergebnis<br />

zum Zuschlag auf ein nicht oder weniger geeignetes Angebot zu zwingen. Mit<br />

stichhaltiger Begründung müssen daher auch Eignungsvorgaben zulässig sein, die<br />

tendenziell eine Bevorzugung örtlicher Bieter mit sich bringen. 292 Darüber hinaus ist<br />

kein auswärtiger Bieter gehindert, durch die Einstellung geeigneter, örtlich erfahrener<br />

Personen oder durch Kooperation mit einem örtlichen Partner die Anforderungen zu<br />

erfüllen. Es ist daher zulässig und für die Ausschreibungen der Bundesagentur zu<br />

fordern, dass Zugang zu dem örtlichen Arbeitsmarkt besteht, der für die jeweilige<br />

Zielgruppe relevant ist.<br />

Allerdings ergibt sich dieser Umstand nicht ohne weiteres aus den gesetzlichen<br />

Eignungskriterien. <strong>Vergaberecht</strong>lich ist es daher erforderlich, dass dieses Erfordernis<br />

bereits in der Leistungsbeschreibung genannt und erläutert wird. Auch hier gilt daher<br />

290 So soll der wichtigste Partner der Bundesagentur bei den Personal-Service-Agenturen, die<br />

inzwischen insolvente Maatwerk, mancherorts <strong>nach</strong> Presseberichten nur eine Vermittlungsquote<br />

<strong>von</strong> 5 % erreicht haben. Der Standard ortsansässiger Unternehmen, etwa aus der<br />

Zeitarbeitsbranche, habe dagegen weit höher gelegen, s. Süddeutsche Zeitung vom 18.02.2004,<br />

Deutschlandausgabe, S. 20.<br />

291 Oben C. II. 2.c. aa.<br />

292 Vgl. auch § 8 Nr. 3 Abs. 3 VOL/A: „Bestimmte Erzeugnisse oder Verfahren sowie bestimmte<br />

Ursprungsorte oder Bezugsquellen dürfen nur dann ausdrücklich vorgeschrieben werden, wenn<br />

dies durch die Art der zu vergebenden Leistung gerechtfertigt ist.“<br />

112


der Hinweis, dass freie Träger andernfalls bereits die Leistungsbeschreibung zum<br />

Gegenstand ihrer Rügen machen sollten.<br />

f) Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot, § 97 Abs. 5 GWB<br />

Nach § 97 Abs. 5 GWB wird der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt.<br />

Damit ist der Preis zwar ein sehr wesentliches, aber nicht das allein ausschlag-<br />

gebende Kriterium. 293 Auch § 25 Nr. 3 VOL/A bestimmt: „Der Zuschlag ist auf das<br />

unter Berücksichtigung aller Umstände wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. Der<br />

niedrigste Angebotspreis allein ist nicht entscheidend.“ Die zugrunde liegenden EG-<br />

Richtlinien nennen als Kriterien, die neben dem Preis eine Rolle spielen können,<br />

allgemein Qualität, Ausführungsfristen, Betriebskosten, Ästhetik, Zweckmäßigkeit,<br />

Kundendienst, Rentabilität, technische Hilfe und technischen Wert. 294<br />

Damit bietet grundsätzlich zwar auch die letztendliche Vergabeentscheidung des<br />

Auftraggebers noch einmal die Möglichkeit, die mangelnde Berücksichtigung <strong>von</strong><br />

Qualitätsaspekten zu rügen. Im Einzelnen ist der Spielraum jedoch gering. Denn zum<br />

einen darf die Vergabestelle wegen des Transparenz- und Gleichheitsgrundsatzes<br />

weder <strong>nach</strong> oben noch <strong>nach</strong> unten <strong>von</strong> den Eignungskriterien abweichen, die sie<br />

dem Verfahren in der Leistungsbeschreibung zugrunde gelegt hat. 295 Die<br />

Vergabeentscheidung <strong>nach</strong> §§ 97 Abs. 5 GWB, 25 Nr. 3 VOL/A darf auch nicht die –<br />

verfahrenstechnisch vorausgehende – Auswahl der geeigneten Angebote wieder-<br />

holen. Vielmehr ist unter den geeigneten Angeboten das wirtschaftlichste auszu-<br />

wählen. 296 Zum anderen besteht auch hier – wie bei der Beurteilung der Eignung –<br />

ein Beurteilungsspielraum der Vergabestelle. 297<br />

Im Ergebnis zeigt sich auch hier: Die Rüge, die Vergabestelle habe keine<br />

ausreichenden Qualitätsanforderungen gestellt, muss bereits an die Leistungsbe-<br />

schreibung anknüpfen.<br />

293<br />

S. nur Bechtold GWB, 3. Aufl. 2002, § 97 Rn. 33. Unzulässig ist ein Bewertungssystem, in dem<br />

der Preis nur noch eine untergeordnete Rolle spielt, OLG Dresden, Beschl. v. 05.01.2001, WVerg<br />

11/00.<br />

294<br />

Zitiert <strong>nach</strong> Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl. 2000, , § 25 Rn. 42.<br />

295<br />

BGH, Urt. v. 17.02.1999, X ZR 101/97, NJW 2000, 137; OLG Hamburg, Beschl. v. 25.02.2002, 1<br />

Verg 1/01.<br />

296<br />

Etwa OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.01.2002, Verg 45/01.<br />

297<br />

Kulartz, in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl. 2000, , § 25 Rn. 43 m.w.N.<br />

113


g) Fazit<br />

Im Bereich der Losbildung können freie Träger verlangen, dass ihnen die Bewerbung<br />

nicht durch überdimensionierte Loszuschnitte wesentlich erschwert wird. Bei der<br />

Festlegung <strong>von</strong> Qualitätsgesichtspunkten für die Leistungen kommt der Vergabe-<br />

stelle zwar grundsätzlich ein Beurteilungsspielraum zu. Aus den sachlichen Anforde-<br />

rungen, die das SGB II und das SGB III <strong>nach</strong> Wortlaut und Zweck der einzelnen<br />

Vorschriften stellen, lassen sich aber durchaus Grenzen ableiten.<br />

Insgesamt hätte durch <strong>nach</strong>drückliche Rügen und Rechtsmittel schon in den<br />

bisherigen Vergabeverfahren der Bundesagentur im Interesse sowohl der Leistungs-<br />

empfänger als auch der freien Träger wahrscheinlich manch besseres Ergebnis<br />

erzielt werden können. Nach der Insolvenz der Firma Maatwerk ist in den Medien<br />

unterdessen ohnehin die Frage der Qualitätsansprüche in den Ausschreibungs-<br />

verfahren in die Diskussion geraten. 298 Die freien Träger sollten sich daher erst recht<br />

<strong>nach</strong>drücklich als erfahrene und kompetente Anbieter ins Gespräch bringen, und<br />

zwar auch durch Wahrung ihrer Rechte im Vergabeverfahren.<br />

3. Vergabegrundsätze <strong>nach</strong> § 2 VOL/A<br />

Im Wesentlichen gelten die beschriebenen materiellen Grundsätze des wettbewerbs-<br />

rechtlichen Vergabeverfahrens <strong>nach</strong> § 2 VOL/A auch im haushaltsrechtlichen<br />

Vergabeverfahren. Namentlich sind dort der Wettbewerbs- und der Gleichheitsgrund-<br />

satz sowie die Eignungskriterien fachkundig, leistungsfähig und zuverlässig<br />

genannt. 299 Bedeutsam sind daher nicht die materiellen Abweichungen des<br />

haushaltsrechtlichen Vergabeverfahrens, sondern der wesentlich eingeschränkte<br />

Rechtsschutz. 300<br />

298 Financial Times Deutschland vom 18.02.2004, http://ftd.de/pw/de/1077011634657.html?nv=rs.<br />

299 Vgl. Bechtold, GWB, 3. Aufl. 2002, § 97 Rn. 1.<br />

300 Dazu sogleich B.VI.<br />

114


III. Rechtsschutz<br />

Es ist bereits angeklungen, dass sich der Rechtsschutz im Vergabeverfahren<br />

wesentlich da<strong>nach</strong> richtet, ob die Vergabe aufgrund der Vorschriften des GWB oder<br />

des Haushaltsrechts erfolgt. Ein geeignetes Instrumentarium, um Rechtsverstößen<br />

der Vergabestelle wirksam entgegen zu treten, besteht nur <strong>nach</strong> dem GWB (dazu 1.).<br />

Ist wegen Unterschreitung des Schwellenwerts nur das Haushaltsrecht Grundlage,<br />

so sind die Bieter auf unförmliche Rechtsbehelfe (dazu 2.) und <strong>nach</strong>trägliche<br />

Schadensersatzansprüche (3.) beschränkt.<br />

1. Rechtsschutz im Vergabeverfahren <strong>nach</strong> dem GWB<br />

Zwar nennt das GWB unter den Rechtsmittelinstanzen die Vergabeprüfstelle zuerst.<br />

Das Verfahren vor dieser hat aber lediglich ergänzende Funktion. Als wesentliche<br />

Rechtsschutzinstanzen sieht das GWB vielmehr die Vergabekammer und den<br />

Vergabesenat des Oberlandesgerichts (OLG) vor. Generell ist für den Rechtsschutz<br />

im Vergabeverfahren <strong>von</strong> zentraler Bedeutung, dass Bieter Rechtsmittel bereits im<br />

laufenden Vergabeverfahren durch Rügen gegenüber der Vergabestelle vorbereiten<br />

müssen.<br />

a) Vergabeprüfstelle (§ 103 GWB)<br />

Bei einer Reihe <strong>von</strong> öffentlichen Auftraggebern sind Vergabeprüfstellen eingerichtet,<br />

obwohl die Staatsorgane dazu <strong>nach</strong> § 103 Abs. 1 Satz 1 GWB nicht verpflichtet sind.<br />

Das gilt insbesondere für die Bundesagentur für Arbeit.<br />

Die Bedeutung der Vergabeprüfstelle für den eigentlichen Rechtsschutz ist jedoch<br />

gering. 301 Denn ihre Anrufung hindert die Vergabestelle nicht, den Auftrag trotzdem<br />

zu erteilen und damit vollendete Tatsachen zu schaffen. Auch bieten die Vorschriften<br />

über die Vergabeprüfstelle keine Möglichkeit, den Rechtsschutz durch Anträge auf<br />

301 Deutlich Bechtold, GWB, 3. Aufl. 2002, § 103 Rn. 1: „überflüssig“.<br />

115


vorläufige Regelungen zu beschleunigen. In der Regel wird die Vergabeprüfstelle<br />

daher allenfalls ergänzend angerufen. 302<br />

Die Beschränkung auf einen Antrag bei der Vergabeprüfstelle ist nur für Bieter<br />

sinnvoll, die das Kostenrisiko des Nachprüfungsantrags bei der Vergabekammer 303<br />

scheuen und dafür auch erhebliche Nachteile bei der Durchsetzungskraft ihres<br />

Rechtsmittels in Kauf nehmen möchten. Denn das Verfahren vor der Vergabe-<br />

prüfstelle ist <strong>nach</strong> § 129 Satz 1 GWB kostenfrei, solange es sich auf die Überprüfung<br />

der Einhaltung des <strong>Vergaberecht</strong>s durch die Vergabestelle beschränkt.<br />

b) Vergabekammer (§§ 104 ff. GWB)<br />

Die Vergabekammer <strong>nach</strong> § 104 GWB ist zwar eine Behörde und keine Gericht. Das<br />

Nachprüfungsverfahren vor ihr ist jedoch gerichtsähnlich ausgestaltet, und die<br />

Kammer ist <strong>nach</strong> § 105 Abs. 1 GWB unabhängig besetzt. Wesentliches Merkmal des<br />

Verfahrens ist zum einen die aufschiebende Wirkung des Antrags. Sobald die<br />

Vergabekammer den Antrag an die Vergabestelle zugestellt hat, darf diese den<br />

Zuschlag <strong>nach</strong> § 115 Abs. 1 vorerst nicht mehr erteilen. Die aufschiebende Wirkung<br />

soll anderseits nicht zu langen Verzögerungen der Vergabe führen. Daher kenn-<br />

zeichnet auch der rasche Ablauf das Verfahren vor der Vergabestelle. Es verlangt<br />

<strong>von</strong> den Verfahrensbeteiligten schon im Vergabeverfahren selbst, bereits vor dem<br />

eigentlichen Rechtsmittel, äußerste Aufmerksamkeit, um keine Rüge- und Antrags-<br />

fristen zu verpassen. Im Einzelnen gelten für den Rechtsschutz vor der Vergabe-<br />

kammer folgende Einzelheiten:<br />

aa) Zuständigkeit<br />

Da die Bundesagentur der Aufsicht des Bundes untersteht, sind für ihre Vergabe-<br />

entscheidungen die Vergabekammern des Bundes zuständig, § 104 Abs. 1 GWB.<br />

Diese sind beim Bundeskartellamt in Bonn eingerichtet (§ 106 Abs. 1 Satz 1 GWB).<br />

302 Ohnehin sind die Vergabekammern <strong>nach</strong> § 110 Abs. 2 Satz 2 GWB verpflichtet, der<br />

Vergabeprüfstelle eine Kopie des Nachprüfungsantrags zu übermitteln.<br />

303 Dazu unten C. III. 1. e.<br />

116


) Frist<br />

Zwar gibt es keine eigentliche Antragsfrist für den Nachprüfungsantrag. Der Antrag<br />

ist jedoch unzulässig, sobald das Vergabeverfahren durch die Erteilung des<br />

Zuschlags an einen (anderen) Bieter schon abgeschlossen ist. 304 Daher kommt alles<br />

darauf an, den Antrag noch vor dem Zuschlag einzureichen. Dafür steht den<br />

(unterlegenen) Bietern lediglich die Zeit zwischen ihrer Information über den<br />

beabsichtigten Zuschlag an einen anderen Bieter und dem tatsächlichen Zuschlag<br />

zur Verfügung. Damit die Bieter diesen Zeitraum nutzen können, verpflichtet § 13<br />

VgV die Vergabestelle, die unterlegenen Bieter 14 Tage vor dem beabsichtigten<br />

Zuschlag über ihre Nichtberücksichtigung und deren Grund zu informieren. Im<br />

Ergebnis läuft also mit der genannten Information ein fristähnlicher Zeitraum. Er<br />

beträgt nicht einmal volle 14 Tage, weil es für die Berechnung des Zeitraums <strong>nach</strong><br />

§ 13 Sätze 3, 4 VgV auf den Tag <strong>nach</strong> der Absendung der Information bei der<br />

Vergabestelle und nicht auf den Zugang beim Bieter ankommt. Außerdem muss der<br />

Antrag durch die Vergabekammer noch vor Ablauf der 14 Tage an die Vergabestelle<br />

zugestellt werden, damit der Zuschlag wirksam unterbunden wird. 305<br />

cc) Unverzügliche Rüge <strong>von</strong> Verfahrensfehlern<br />

Außerdem ist die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags da<strong>von</strong> abhängig, dass der<br />

Antragsteller alle Fehler des Vergabeverfahrens bereits dort unverzüglich gerügt hat,<br />

§ 107 Abs. 3 Satz 1 GWB. Es ist also nicht möglich, Fehler im Vergabeverfahren zu<br />

ignorieren und sich auf spätere Rechtsmittel zu verlassen. Vielmehr müssen<br />

beispielsweise Mängel der Leistungsbeschreibung bereits zum Ablauf der Frist zur<br />

Angebotsabgabe schriftlich und konkret gerügt werden. 306 Unter „unverzüglich“<br />

versteht die Rechtsprechung einen Zeitraum <strong>von</strong> höchstens 14 Tagen ab Kenntnis<br />

des Mangels. 307 Weitere Fristen, <strong>nach</strong> deren Ablauf zusätzlicher Vortrag unbe-<br />

rücksichtigt bleibt, kann die Vergabekammer den Beteiligten im Verfahren <strong>nach</strong> § 113<br />

Abs. 2 Satz 2 GWB setzen.<br />

304<br />

BGH, Urt. v. 19.12.2000, X ZB 14/00; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.04.1999, Verg 1/99.<br />

305<br />

§ 115 Abs. 1 GWB.<br />

306<br />

Ax/Schneider/Nette, Handbuch <strong>Vergaberecht</strong>, 2002, Kap. 21 Rn. 100.<br />

307<br />

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.04.1999, Verg 1/99<br />

117


dd) Schaden des Antragstellers<br />

Der Antrag setzt <strong>nach</strong> § 107 Abs. 1 Satz 2 GWB außerdem voraus, dass dem<br />

Antragsteller durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden<br />

entstanden ist oder zu entstehen droht. Das trifft in der Regel nur auf Bieter zu, die<br />

geltend machen können, durch den Verstoß gegen <strong>Vergaberecht</strong> um ihre Chancen<br />

auf den Zuschlag gebracht worden zu sein. 308 Der Nachweis dessen ist nicht immer<br />

einfach. Bei Wahl einer falschen Verfahrensart (beispielsweise freihändig statt offen)<br />

muss der Antragsteller darlegen, dass er in Falle der Wahl der richtigen Verfahrens-<br />

art ein anderes Angebot mit besseren Chancen abgegeben hätte. 309<br />

ee) Recht auf Akteneinsicht<br />

Nach § 111 Abs. 1 GWB können die Beteiligten die Akten bei der Vergabekammer<br />

einsehen und sich durch die Geschäftsstelle auf eigene Kosten Abschriften erteilen<br />

lassen. Vielfach ist die sachgerechte Begründung des Nachprüfungsantrags nicht<br />

möglich, ohne die Erwägungen der Vergabestelle, insbesondere bei der Beurteilung<br />

der Eignung der einzelnen Bewerber, zu kennen. Auch wichtige Details des bevor-<br />

zugten Angebots können so bekannt werden. Es ist daher trotz des (Reise-)<br />

aufwands empfehlenswert, vom Recht auf Akteneinsicht Gebrauch zu machen. Seine<br />

Grenze findet dieses Recht <strong>nach</strong> § 111 Abs. 2 GWB erst in den Geschäftsgeheim-<br />

nissen der Mitbewerber.<br />

ff) Entscheidungsfrist<br />

Die Vergabekammer trifft ihre Entscheidung regelmäßig aufgrund mündlicher<br />

Verhandlung bereits innerhalb <strong>von</strong> 5 Wochen <strong>nach</strong> Antragseingang. Nach § 113<br />

Abs. 1 Satz 2 GWB kann der Kammervorsitzende diese Frist zwar verlängern. Dies<br />

ist aber nur im Falle besonderer rechtlicher oder tatsächlicher Schwierigkeiten<br />

möglich und schriftlich zu begründen. Die – ggf. verlängerte – 5-Wochen-Frist kann<br />

im Beschwerdeverfahren zum OLG noch weitere Bedeutung erlangen. 310<br />

308 Bechtold, GWB, 3. Aufl. 2002, § 107 Rn. 2.<br />

309 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.07.2002, Verg 22/02.<br />

310 Unten B.VI.1.c.aa.<br />

118


In ihrem Inhalt ist die Entscheidung der Vergabekammer nicht an die Anträge oder<br />

den Vortrag der Beteiligten gebunden. Ist erst einmal ein zulässiger Antrag einge-<br />

reicht, ermittelt die Vergabekammer vielmehr <strong>von</strong> Amts wegen und kann unabhängig<br />

<strong>von</strong> den Anträgen auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. 311 Sie<br />

trifft <strong>nach</strong> § 114 Abs. 1 Satz 1 die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsver-<br />

letzung des Antragstellers zu beseitigen.<br />

c) Vergabesenat des OLG<br />

Als zweite und zugleich letzte 312 Instanz steht gegen die Entscheidung der Vergabe-<br />

kammer die sofortige Beschwerde zum Vergabesenat des OLG offen. Auch hier ist<br />

das Verfahren durch die (eingeschränkt fortbestehende) aufschiebende Wirkung und<br />

den sehr raschen Ablauf gekennzeichnet.<br />

aa) Beschwerdefrist und Begründung<br />

Die Frist für die Einlegung der sofortigen Beschwerde beträgt 2 Wochen ab<br />

Zustellung der Entscheidung der Vergabekammer. Hat die Vergabekammer nicht<br />

innerhalb der 5-Wochen-Frist oder innerhalb der Verlängerung durch den Vorsitzen-<br />

den <strong>nach</strong> § 113 Abs. 1 GWB entschieden, so setzt dies ebenfalls die Frist zur<br />

Einlegung der sofortigen Beschwerde in Lauf. Denn <strong>nach</strong> § 116 Abs. 2 GWB gilt der<br />

Nachprüfungsantrag dann als durch die Vergabekammer abgelehnt.<br />

Die sofortige Beschwerde ist zugleich mit ihrer Einlegung zu begründen. Sowohl für<br />

die Beschwerdeschrift als auch für das weitere Verfahren ist außerdem die Vertre-<br />

tung durch einen Rechtsanwalt vorgeschrieben.<br />

311 §§ 108 Abs. 1 Satz 1, 114 Abs. 1 GWB.<br />

312 Zwar sieht § 124 Abs. 2 GWB auch eine Ersatzzuständigkeit des Bundesgerichtshofs vor. Diese<br />

kann jedoch nur durch den Vergabesenat beim OLG herbeigeführt werden. Dieser legt die Sache<br />

dem BGH vor, wenn er <strong>von</strong> einer anderen Entscheidung derselben Rechtsfrage durch ein anderes<br />

OLG oder den BGH abweichen möchte. Dann entscheidet jedoch der BGH selbst anstelle des<br />

OLG in der Sache, es gibt also keine weitere Instanz.<br />

119


) Aufschiebende Wirkung<br />

Die sofortige Beschwerde hat zugleich aufschiebende Wirkung hinsichtlich der<br />

Entscheidung der Vergabekammer, § 118 Abs. 1 Satz 1 GWB – dies aber nur für<br />

zwei weitere Wochen ab Ablauf der Beschwerdefrist. Wurde der Nachprüfungsantrag<br />

durch die Vergabekammer abgelehnt, so kann der Antragssteller <strong>nach</strong> § 118 Abs. 1<br />

Satz 3 GWB beim Vergabesenat beantragen, die aufschiebende Wirkung noch weiter<br />

zu verlängern. Unterlässt er diesen Antrag oder wird er zurückgewiesen, so darf die<br />

Vergabestelle den Zuschlag wieder erteilen.<br />

War der Nachprüfungsantrag dagegen vor der Vergabekammer erfolgreich und legen<br />

die Vergabestelle oder ein anderer Bieter die sofortige Beschwerde ein, bleibt es<br />

<strong>nach</strong> § 118 Abs. 3 GWB bis zur Entscheidung des Vergabesenats bei dem<br />

„Vergabestopp“.<br />

cc) Inhalt der Entscheidung<br />

Die Entscheidung des Vergabesenats hat einen doppelten Inhalt. Zum einen hebt<br />

das Gericht die Entscheidung der Vergabekammer <strong>nach</strong> § 123 Sätze 1, 2 GWB auf,<br />

wenn die Beschwerde begründet ist. Es entscheidet in der Sache selbst oder kann<br />

die Vergabekammer auch zur Neuentscheidung unter Berücksichtigung der<br />

Rechtsauffassung des Gerichts verpflichten. Zum anderen stellt das Gericht auf<br />

Antrag <strong>nach</strong> § 123 Satz 3 GWB fest, dass das Unternehmen, welches die<br />

Nachprüfung beantragt hat, durch die Vergabestelle in seinen Rechten verletzt ist.<br />

Diese Entscheidung ist in späteren Schadensersatzstreitigkeiten zwischen Bieter und<br />

Vergabestelle bindend, § 124 Abs. 1 GWB.<br />

d) Eilverfahren<br />

Schon das geschilderte Nachprüfungsverfahren weist viele Merkmale auf, die sonst<br />

im Rechtsschutzsystem für Eilverfahren typisch sind. Dennoch bieten die Vorschrif-<br />

ten des GWB noch weitergehende Möglichkeiten, das Verfahren durch vorläufige<br />

Entscheidungen zusätzlich zu beschleunigen.<br />

120


Bereits im Verfahren vor der Vergabekammer kann die Vergabestelle beantragen,<br />

den Auftrag trotz der aufschiebenden Wirkung des Nachprüfungsantrags bereits<br />

vergeben zu dürfen. Nach § 115 Abs. 2 Satz 1 GWB gibt die Vergabekammer<br />

diesem Antrag statt, wenn unter Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten<br />

Interessen sowie des Interesses der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des<br />

Vergabeverfahrens die <strong>nach</strong>teiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zum<br />

Abschluss der Nachprüfung die damit verbundenen Vorteile überwiegen (Interessen-<br />

abwägung). Gegen die Stattgabe kann der Antragsteller sofort den Vergabesenat<br />

beim OLG anrufen. Lehnt die Vergabekammer den Antrag ab, so kann die Vergabe-<br />

stelle unmittelbar das OLG anrufen. Setzt die Vergabestelle auf diese Weise den<br />

Zuschlag durch, so läuft das Prüfungsverfahren vor der Vergabekammer zwar weiter.<br />

Es geht dort dann aber letztlich nur noch um die Feststellung <strong>von</strong> Rechtsverstößen,<br />

die der Antragsteller zur Vorbereitung <strong>von</strong> Schadensersatzforderungen verwenden<br />

kann.<br />

Eine ähnliche Möglichkeit, den Zuschlag trotz schwebenden Nachprüfungsverfahrens<br />

durchzusetzen, besteht für die Vergabestelle auch noch im Beschwerdeverfahren vor<br />

dem OLG. Nach § 121 Abs. 1 GWB sind dafür ebenfalls eine Interessenabwägung<br />

und die Erfolgsaussichten der Beschwerde maßgeblich.<br />

e) Risiken <strong>von</strong> Kosten und Schadensersatz<br />

Wer ein Nachprüfungsverfahren anstrengt, trägt zunächst im Falle des Unterliegens<br />

das Risiko der Kosten der Vergabekammer und des Gerichts. Die Kosten der<br />

Vergabekammer sind in § 128 GWB eingehend geregelt, im Regelfall gilt ein<br />

Gebührenrahmen <strong>von</strong> EUR 2.500 bis EUR 25.000. Die Kosten der Beschwerde-<br />

instanz richten sich <strong>nach</strong> dem Gerichtskostengesetz und hängen daher maßgeblich<br />

vom Auftragswert ab. Wie in Gerichtsverfahren üblich, umfasst das Kostenrisiko im<br />

Falle des Unterliegens außerdem auch die gegnerischen Kosten für die Verfahren,<br />

namentlich für deren Vertretung durch Rechtsanwälte. Die Höhe dieses Risikos<br />

hängt ebenfalls vom Wert des Auftrags ab.<br />

Daneben enthält § 125 eine Regelung über zusätzliche Schadensersatzansprüche<br />

gegen einen Bieter, dessen Nachprüfungsantrag nicht erfolgreich war. Erweisen sich<br />

121


der Antrag an die Vergabekammer oder die sofortige Beschwerde als <strong>von</strong> Anfang an<br />

unbegründet, so ist dem Gegner und den Beteiligten der Schaden zu ersetzen, der<br />

ihnen durch den Missbrauch des Antrags- oder Beschwerderechts entstanden ist. Je<br />

<strong>nach</strong> Gegenstand des Auftrags können hier sehr hohe Schadenssummen im Raum<br />

stehen. Freilich darf die Formulierung des Gesetzes nicht zu dem Fehlschluss<br />

verleiten, jeder unbegründete Antrag verpflichte zum Schadensersatz. Vielmehr<br />

muss eine missbräuchliche Verhaltensweise des Antragstellers hinzutreten. 313 Als<br />

Beispiele dafür nennt § 125 Abs. 2 GWB falsche Angaben, Verzögerungsabsicht<br />

oder das Ziel, sich das Rechtsmittel „abkaufen“ zu lassen.<br />

2. Unförmliche Rechtsbehelfe<br />

In Vergabeverfahren auf haushaltsrechtlicher Grundlage gibt es keine Rechtsmittel,<br />

die dem Antrag zur Vergabekammer und der sofortigen Beschwerde vergleichbar<br />

wären. Die Bieter sind daher auf unförmliche Rechtsbehelfe wie die<br />

Gegenvorstellung oder die Eingabe an die Rechtsaufsichtsbehörde der Vergabe-<br />

stelle verwiesen. Diese Rechtsbehelfe stehen selbstverständlich auch im Vergabe-<br />

verfahren <strong>nach</strong> dem GWB zur Verfügung, sind dort aber neben den erläuterten<br />

Rechtsmitteln in der Regel wenig zweckmäßig. Im Falle der Bundesagentur ist die<br />

zuständige Rechtsaufsichtsbehörde das Bundesministerium für Wirtschaft.<br />

Diese Rechtsbehelfe sind weder frist- noch formgebunden, bieten regelmäßig aber<br />

auch keine nennenswerten Erfolgsaussichten. Besondere Rechte im Verfahren<br />

bestehen für die Bieter nicht. 314<br />

3. Schadensersatz<br />

Beiden Arten des Vergabeverfahrens ist gemein, dass (unterlegene) Bieter im<br />

Nachhinein Schadensersatz <strong>von</strong> der Vergabestelle verlangen können, wenn diese<br />

sie in ihren Rechten verletzt hat (sog. Sekundärrechtsschutz). Eine Verletzung<br />

313 Bechtold, GWB, 3. Aufl. 2002, § 125 Rn. 1.<br />

314 Ausführliche Darstellung bei Ax/Schneider/Nette, Handbuch <strong>Vergaberecht</strong>, 2002, Kap. 21, Rn. 1<br />

ff.<br />

122


eigener Rechte liegt bei rein haushaltsrechtlichen Vergabeverfahren aber nur selten<br />

vor. Denn dann gilt § 97 Abs. 7 GWB, der den Bietern ein eigenes Recht auf<br />

Einhaltung der wesentlichen Grundsätze des Vergabeverfahrens einräumt, nicht. 315<br />

Bei Vergabeverfahren auf Grundlage des GWB ist ergänzend zu beachten, dass die<br />

Bieter eine Schadensminderungspflicht trifft. Wer es unterlässt, Rechtsmittel gegen<br />

Fehler im Vergabeverfahren einzulegen, kann später nicht oder nur eingeschränkt<br />

Schadensersatz verlangen, wenn die Rechtsmittel mutmaßlich zum Erfolg geführt<br />

hätten. Außerdem muss der Schaden, der aus dem nicht erhaltenen Auftrag<br />

resultiert, selbstverständlich konkret <strong>nach</strong>gewiesen werden.<br />

315 Vgl. Ax/Schneider/Nette, Handbuch <strong>Vergaberecht</strong>, 2002, Kap. 22 Rn. 5.<br />

123


D. Zusammenfassung:<br />

1. Die Selbstständigkeit der freien Träger in Zielsetzung und Durchführung ihrer<br />

eigenen sozialen Aufgaben wird in den Grundrechten (Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 4<br />

Abs. 1 und 2 GG) und im Selbstverwaltungsrecht der Religionsgesellschaften (Art.<br />

140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 GG) geschützt (A I 1 und 2).<br />

2. Der berufliche Bezug der Tätigkeit der freien Träger wird im Grundrecht der<br />

Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) geschützt. Bundesverfassungsgericht und Bundes-<br />

sozialgericht sehen in der Verweigerung des Zugangs zur Leistungserbringung einen<br />

Eingriff in die Berufsfreiheit. Die Frage, ob der Eingriff die Stufe der Berufsausübung<br />

betrifft oder der Stufe der Berufswahl nahe kommt, hängt da<strong>von</strong> ab, ob der<br />

Sozialleistungsträger eine Monopolstellung innehat. Erste Voraussetzung der<br />

Eingriffsrechtfertigung ist eine hinreichend bestimmte, parlamentsgesetzliche<br />

Grundlage. Eine Zulassung <strong>nach</strong> Maßgabe eines objektiven Bedarfs hält den Anfor-<br />

derungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht stand, wenn der Sozial-<br />

leistungsträger vor der <strong>Erbringung</strong> der Sozialleistung den individuellen Bedarf des<br />

Sozialleistungsberechtigten überprüfen kann (A I 3).<br />

3. Der verfassungsrechtliche Status der freien Träger wird in § 17 Abs. 3 SGB III und<br />

in statusrechtlichen Normen einzelner Bücher des Sozialgesetzbuchs reformuliert<br />

und verdeutlicht. Die genannten Normen betonen, dass die Sozialleistungsträger die<br />

Selbständigkeit der freien Träger als Träger eigener Aufgaben auch in der<br />

Zusammenarbeit zu achten haben. Ziel der Zusammenarbeit ist das Wohl des<br />

Sozialleistungsberechtigten, der durch die diversen Wunsch- und Wahlrechte des<br />

Sozialrechts berechtigt wird, selbst zu bestimmen, was sein Wohl ist (A II).<br />

4. Das Sozialstaatsprinzip verleiht dem Sozialstaat kein Aufgabenmonopol. Der freie<br />

Träger erfüllt mit der Wahrnehmung der eigenen Aufgabe zugleich die Aufgabe des<br />

Sozialstaates, der die Gesamtverantwortung für den Sachbereich Wohlfahrtspflege<br />

hat (A III 1). Die Freiheit des Sozialeistungsberechtigten, den Leistungserbringer<br />

auszuwählen und die Leistungsgestaltung zu bestimmen, ist in Art. 2 Abs. 1 GG<br />

verbürgt (A III 2). Die verfassungsrechtlichen Vorgaben (grundrechtlich verbürgte<br />

124


Selbstständigkeit des freien Trägers, Freiheit zu Auswahl unter den Leistungen und<br />

ihren Erbringers, Gesamtverantwortung des Sozialstaats) werden im<br />

sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis „klein gearbeitet“ (A III 2).<br />

5. Das Dreiecksverhältnis Leistungsberechtigter – Leistungsträger –<br />

Leistungserbringer wird im Sozial- und Jugendhilferecht mustergültig geregelt (A IV 1<br />

und 2).<br />

6. Das SGB III regelt den Abschluss <strong>von</strong> Leistungserbringungsverträgen nicht<br />

ausdrücklich und eindeutig, schließt den Abschluss solcher Verträge – abgesehen<br />

<strong>von</strong> drei Ausnahmen – aber auch nicht aus. Die Ausnahmen sind §§ 240, 248 SGB<br />

III, die die Gewährung <strong>von</strong> Zuschüssen vorsehen, sowie § 37c SGB III und die<br />

Experimentiernorm des § 421 i SGB III, die auf das <strong>Vergaberecht</strong> verweisen. Der<br />

Anwendungsbereich <strong>von</strong> § 421 i SGB III ist zugleich weit und eng. Einerseits<br />

erstreckt sich die Norm auf alle Maßnahmen des SGB III, welche die<br />

Eignungsvoraussetzungen <strong>von</strong> Absatz 1 Nr. 1 erfüllen. Andererseits ist die Norm eine<br />

zeitlich befristete Experimentierklausel, die nicht zu einem flächendeckenden Umbau<br />

des Leistungserbringungsrechts in ein vergaberechtliches Modell ermächtigt (A IV 3).<br />

7. Das SGB II übernimmt in § 17 Abs. 2 die leistungserbringungsrechtlichen<br />

Grundstrukturen des Sozialhilferechts (jetzt SGB XII). Wenn die Bundesagentur oder<br />

die kommunalen Träger Leistungen <strong>nach</strong> SGB III erbringen, ist der Abschluss <strong>von</strong><br />

Leistungserbringungsverträgen <strong>nach</strong> § 17 Abs. 2 SGB II nur dann nicht geboten,<br />

wenn das SGB III die <strong>Erbringung</strong> der Leistung ausdrücklich regelt. Das ist bei §§ 240,<br />

248 sowie bei § 37 c und § 421 i SGB III der Fall. Bei der letztgenannten Norm ist<br />

allerdings zu bedenken, dass sie eine Entscheidung <strong>nach</strong> pflichtgemäßem Ermessen<br />

verlangt und keine Ermächtigung zu einer flächendeckenden Vergabepraxis ist (A IV<br />

4).<br />

8. Das SGB IX enthält alle normativen Elemente des sozialrechtlichen<br />

Dreiecksverhältnisses. Der Vorbehalt abweichender Regelungen in § 7 S. 1 SGB IX<br />

greift nur, wenn in den besonderen Teilen des SGB die Leistungserbringung<br />

ausdrücklich anders geregelt ist. Eine ausdrückliche andere Regelung ist im SGB III<br />

125


nur die Zuwendungsfinanzierung <strong>nach</strong> §§ 240, 248. Das in § 421 i SGB III<br />

eingeräumte Ermessen wird regelmäßig nur dann pflichtgemäß ausgeübt, wenn das<br />

Leistungserbringungsrecht des SGB IX gewählt wird (A IV 5).<br />

9. Schreibt ein Sozialleistungsträger Leistungen aus, die Gegenstand des<br />

sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses sind, steht der freie Träger vor der Frage, ob<br />

er sich an einem Vergabeverfahren beteiligen soll, obwohl er dessen Durchführung<br />

für rechtswidrig hält.<br />

Die zutreffende Antwort ist in der Regel kein entweder-oder, sondern ein sowohl-als<br />

auch. Der Rechtsschutz neben einer – auch rechtswidrigen – Ausschreibung ist<br />

langwierig, und die Erfolgsaussichten <strong>von</strong> Eilverfahren sind schwer abschätzbar. In<br />

dieser Situation wäre es fahrlässig, die eigene Chance auf den Zuschlag im<br />

Vergabeverfahren <strong>von</strong> vornherein zu vergeben. Der freie Träger sollte sich daher am<br />

Vergabeverfahren beteiligen, dies freilich nicht ohne seine rechtlichen Bedenken<br />

sofort in einer Rüge gegenüber der Vergabestelle auszudrücken (Einzelheiten zum<br />

Rechtsschutz A V).<br />

10. Das deutsche <strong>Vergaberecht</strong> ist historisch bedingt zweigeteilt. Es ist als<br />

Haushaltsrecht Innenrecht und als Wirtschaftsrecht Außenrecht. Die Umsetzung der<br />

europarechtlichen Vergaberichtlinien erfolgte durch Eingliederung in das deutsche<br />

Kartellrecht, insbesondere in die §§ 97-129 GWB (B I).<br />

11. Die Anwendung des <strong>Vergaberecht</strong>s des GWB setzt voraus, dass die drei<br />

Zentralbegriffe öffentlicher Auftraggeber, öffentlicher Auftrag und Schwellenwert<br />

erfüllt sind. Leistungserbringungsverträge sind keine öffentlichen Aufträge, da sie<br />

keine entgeltlichen Verträge sind. Vielmehr handelt es sich bei ihnen um eine<br />

„besondere Form der Konzessionsvergabe“, auf die das <strong>Vergaberecht</strong> nicht<br />

anwendbar ist (B II 1 und 2).<br />

12. Wenn die Sozialverwaltung – die Frage <strong>nach</strong> der Rechtmäßigkeit dieses Ver-<br />

fahrens sei zunächst einmal zurückgestellt – Sozialleistungskontingente bildet,<br />

ausschreibt und vergibt, führt dies dazu, dass zwei Regime der Leistungserbringung<br />

unabgestimmt nebeneinander bestehen. Das hat zur Folge, dass die Verwaltung ge-<br />

126


zwungen ist, öffentliche Mittel zu verschwenden, wenn sie rechtmäßig handelt und<br />

die Vorgaben des Leistungsrechts und Leistungserbringungsrechts beachtet (B II 3<br />

a).<br />

13. Mit der Bildung <strong>von</strong> Sozialleistungskontingenten soll ein Ziel erreicht werden, das<br />

vom geltenden Recht missbilligt wird, nämlich eine Angebotssteuerung durch<br />

Bedarfsprüfung. Die Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten greift in Grundrechte ein,<br />

insbesondere in das Grundrecht der Berufsfreiheit. Rechtsfolge ist, dass ein<br />

Leistungserbringungsmodell, das mit Leistungskontingenten arbeiten soll, einer<br />

parlamentsgesetzlichen Ermächtigung bedarf. Eine solche Ermächtigung muss den<br />

Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit genügen (B II 3 b).<br />

14. Bei den Verweisungen der §§ 37 c Abs. 2 S. 2, 421 i Abs. 1 SGB III auf das<br />

<strong>Vergaberecht</strong> handelt es sich um Rechtsfolgenverweisungen auf das GWB, d. h. die<br />

Verweisungsnormen fingieren einen öffentlichen Auftrag und das Erreichen des<br />

Schwellenwerts. Es gelten die Vergabeverfahren <strong>nach</strong> VOL/A – II. Abschnitt mit<br />

Berücksichtigung der materiellen Grundsätze des § 97 GWB (B III).<br />

15. Eine Vergabe <strong>von</strong> <strong>Sozialleistungen</strong> <strong>nach</strong> haushaltsrechtlichen Grundsätzen greift<br />

in die Berufsfreiheit des nicht erfolgreichen Bieters ein. Der Eingriff könnte nur durch<br />

eine parlamentsgesetzliche Außenrechtsnorm gerechtfertigt werden, die es aber<br />

nicht gibt. Außerdem kommt dem spezielleren Sozialrecht der Vorrang vor dem<br />

Haushaltsrecht zu. Deshalb ist eine Vergabe <strong>von</strong> <strong>Sozialleistungen</strong> auf der Grundlage<br />

<strong>von</strong> Haushaltsrecht <strong>nach</strong> geltendem Recht ausgeschlossen (B IV).<br />

16. Das Gesamtergebnis zum Teil B lautet, dass das <strong>Vergaberecht</strong> des GWB auf<br />

sozialrechtliche Leistungserbringungsverträge keine Anwendung findet, die Grund-<br />

rechte einer Gesetzesumgehungsstrategie durch die Bildung <strong>von</strong> Sozialleistungs-<br />

kontingenten entgegen stehen und das haushaltsrechtliche <strong>Vergaberecht</strong> mangels<br />

einer ermächtigenden Außenrechtsnorm nicht anwendbar ist. Das <strong>Vergaberecht</strong> des<br />

GWB findet nur über §§ 37 c und 421 i SGB III Anwendung.<br />

127


17. § 7 Nr. 6 VOL/A bezieht sich auf Einrichtungen, die bei der Verfolgung ihres<br />

Hauptzwecks Nebenprodukte erstellen. Nur diese Nebenprodukte sind vom Wettbe-<br />

werb mit gewerblichen Unternehmen ausgeschlossen (C I 4 c).<br />

18. Dem verfassungsrechtlichen Status der freien Träger ist im materiellen<br />

<strong>Vergaberecht</strong> Rechnung zu tragen. Im Bereich der Losbildung können freie Träger<br />

verlangen, dass ihnen die Bewerbung nicht durch überdimensionierte Loszuschnitte<br />

wesentlich erschwert wird. Auch das Recht des leistungsberechtigten Bürgers auf<br />

Auswahl unter den Bietern sowie der Grundsatz der Trägervielfalt erzwingen die<br />

Bildung kleinteiliger Lose (C II 2 d).<br />

19. Bei der Festlegung <strong>von</strong> Qualitätsgesichtspunkten für die Leistungen kommt der<br />

Vergabestelle zwar grundsätzlich ein Beurteilungsspielraum zu. Aus den sachlichen<br />

Anforderungen, die das SGB II und das SGB III <strong>nach</strong> Wortlaut und Zweck der<br />

einzelnen Vorschriften stellen, lassen sich aber durchaus Grenzen ableiten (C II 2 e).<br />

20. Im Wesentlichen gelten die materiellen Grundsätze des wettbewerbsrechtlichen<br />

Vergabeverfahrens auch im haushaltsrechtlichen Vergabeverfahren. Namentlich sind<br />

in § 2 VOL/A der Wettbewerbs- und der Gleichheitsgrundsatz sowie die<br />

Eignungskriterien fachkundig, leistungsfähig und zuverlässig genannt. Bedeutsam<br />

sind daher nicht die materiellen Abweichungen des haushaltsrechtlichen Vergabe-<br />

verfahrens, sondern der wesentlich eingeschränkte Rechtsschutz (C II 3).<br />

21. Der Rechtsschutz im Vergabeverfahren richtet sich wesentlich da<strong>nach</strong>, ob die<br />

Vergabe aufgrund der Vorschriften des GWB oder des Haushaltsrechts erfolgt. Ein<br />

geeignetes Instrumentarium, um Rechtsverstößen der Vergabestelle wirksam<br />

entgegen zu treten, besteht nur <strong>nach</strong> dem GWB (C III 1). Ist wegen Unterschreitung<br />

des Schwellenwerts nur das Haushaltsrecht Grundlage, so sind die Bieter auf<br />

unförmliche Rechtsbehelfe (C III 2) und <strong>nach</strong>trägliche Schadensersatzansprüche (C<br />

III 3) beschränkt.<br />

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