Erbringung von Sozialleistungen nach Vergaberecht? - Erev
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Volker Neumann / Dörte Nielandt / Albrecht Philipp<br />
<strong>Erbringung</strong> <strong>von</strong> <strong>Sozialleistungen</strong> <strong>nach</strong> <strong>Vergaberecht</strong>?<br />
Rechtsgutachten im Auftrag des<br />
Deutschen Caritasverbandes<br />
und des<br />
Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland<br />
mit Unterstützung des<br />
Diözesan-Caritasverbandes für das Erzbistum Köln<br />
und der<br />
Katholischen Bundesarbeitsgemeinschaft Integration durch Arbeit (IDA) im<br />
Deutschen Caritasverband
A. Rechtsstatus der freien Träger......................................................... 8<br />
I. Verfassungsrechtlicher Status..............................................................................8<br />
1. „Grundrecht der karitativen Tätigkeit“ ...........................................................8<br />
2. Religionsfreiheit und kirchliches Selbstverwaltungsrecht...........................8<br />
a) Schutzbereich...............................................................................................8<br />
b) Eingriffe ........................................................................................................9<br />
c) Eingriffsrechtfertigung .................................................................................10<br />
3. Schutz der beruflichen Tätigkeit...................................................................11<br />
a) Schutzbereich.............................................................................................11<br />
b) Eingriffe ......................................................................................................12<br />
aa) Bundesverfassungsgericht ..................................................................12<br />
bb) Bundessozialgericht ............................................................................12<br />
c) Eingriffsrechtfertigung .................................................................................14<br />
aa) Gesetzesvorbehalt ..............................................................................14<br />
bb) Verhältnismäßigkeit.............................................................................15<br />
II. Sozialrechtlicher Status (§ 17 SGB I).................................................................16<br />
III. Das Kooperationsmodell ...................................................................................18<br />
1. Sozialstaatsprinzip.........................................................................................18<br />
a) Kein soziales Aufgabenmonopol des Staates.............................................18<br />
b) Das Bild der konzentrischen Kreise ............................................................18<br />
c) Gesamtverantwortung.................................................................................19<br />
2. Wunsch- und Wahlrechte ..............................................................................20<br />
3. Das sozialrechtliche Dreiecksverhältnis ......................................................21<br />
IV. Ausprägungen des Dreiecksverhältnisses im Sozialrecht.............................22<br />
1. Sozialhilferecht (SGB XII) ..............................................................................22<br />
2. Kinder- und Jugendhilferecht (SGB VIII)......................................................23<br />
3. Arbeitsförderung (SGB III).............................................................................24<br />
a) Verhältnis leistungsberechtigter Bürger und Bundesagentur für Arbeit ......25<br />
b) Verhältnis Bundesagentur für Arbeit - freier Träger ....................................27<br />
c) Dreiecksverhältnis oder „Einkaufsmodell“?.................................................31<br />
2
4. Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) .............................................32<br />
a) Leistungen und Leistungsträger .................................................................32<br />
aa) Agenturen für Arbeit ............................................................................32<br />
bb) Kommunen als „geborene“ Leistungsträger ........................................33<br />
cc) Kommunen als „selbsterkorene“ Leistungsträger ................................33<br />
b) Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung und Wunsch-<br />
und Wahlrecht ...........................................................................................34<br />
c) Träger der Leistungen – freie Träger ..........................................................35<br />
aa) Ein Redaktionsversehen .....................................................................35<br />
bb) Institutioneller Vorrang ........................................................................35<br />
cc) Leistungserbringungsvertrag ...............................................................36<br />
dd) Ausnahmen vom Abschluss <strong>von</strong> Leistungserbringungsverträgen .......37<br />
ee) Anspruch auf Abschluss einer Leistungserbringungsvereinbarung .....39<br />
ff) Institutionelle Förderung........................................................................39<br />
5. Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen ...................................40<br />
a) Leistungsberechtigter behinderter Mensch – Agentur für Arbeit.................40<br />
b) Agentur für Arbeit – Rehabilitationseinrichtungen.......................................41<br />
aa) Strukturverantwortung .........................................................................41<br />
bb) Vereinbarungsprinzip ..........................................................................42<br />
c) Vorbehalt abweichender Regelungen .........................................................44<br />
d) Ergebnis .....................................................................................................45<br />
V. Rechtsschutz.......................................................................................................46<br />
1. Vorfrage: Rechtsschutz oder Beteiligung am Vergabeverfahren ..............46<br />
2. Rechtsschutz der freien Träger.....................................................................47<br />
a) Schiedsstelle ..............................................................................................47<br />
b) Widerspruch und Rechtsweg......................................................................48<br />
c) Klageart und Klageantrag ...........................................................................49<br />
aa) Jugendhilferechtliche Streitigkeiten .....................................................49<br />
bb) Andere Streitigkeiten ...........................................................................49<br />
cc) Abweichungen .....................................................................................50<br />
d) Begründung ................................................................................................51<br />
e) Eilverfahren ................................................................................................51<br />
3
3. Rechtsschutz des sozialleistungsberechtigten Bürgers ..............................52<br />
a) Widerspruch ...............................................................................................52<br />
b) Rechtsweg, Klageart und Klageantrag .......................................................53<br />
c) Begründung ................................................................................................53<br />
d) Eilrechtsschutz............................................................................................54<br />
B. <strong>Vergaberecht</strong>liche Gestaltung der Leistungserbringung ................................55<br />
I. Europäisches <strong>Vergaberecht</strong> und Deutsches <strong>Vergaberecht</strong>..............................56<br />
II. Anwendbarkeit des <strong>Vergaberecht</strong>s des GWB ...................................................58<br />
1. GWB oder Haushaltsrecht.............................................................................58<br />
2. Drei Zentralbegriffe ........................................................................................59<br />
a) Öffentlicher Auftraggeber ...........................................................................59<br />
b) Schwellenwerte ..........................................................................................61<br />
c) Leistungserbringungsverträge als öffentlicher Auftrag ................................62<br />
aa) Der erste Konflikt mit dem <strong>Vergaberecht</strong>.............................................62<br />
bb) Privat- oder öffentlich-rechtlicher Vertrag? ..........................................63<br />
cc) Keine entgeltlichen Verträge................................................................64<br />
dd) Dienstleistungskonzession ..................................................................65<br />
ee) Rahmenvereinbarung..........................................................................66<br />
3. Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten ...........................................................68<br />
a) Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten und<br />
Leistungserbringungsrecht....................................................................68<br />
aa) Wegbrechen des Leistungserbringungsrechts oder zwei Regime.......68<br />
bb) Unverträglichkeit des Leistungsrechts mit Leistungskontingenten ......69<br />
cc) Unverträglichkeit des Leistungserbringungsrechts mit<br />
Leistungskontingenten..........................................................................71<br />
dd) Vertrag zu Lasten Dritter?...................................................................72<br />
b) Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten und Verfassungsrecht................73<br />
aa) Recht auf Auswahl der Leistungen und ihrer Erbringer .......................73<br />
4
) Grundrecht der karitativen Tätigkeit und kirchliches<br />
Selbstverwaltungsrecht ......................................................................74<br />
cc) Schutz der beruflichen Tätigkeit...........................................................75<br />
c) Zusammenfassung ...................................................................................77<br />
III. Anwendbarkeit des <strong>Vergaberecht</strong>s durch gesetzliche Anordnung<br />
im SGB III ............................................................................................................78<br />
1. Rechtsfolgenverweis .....................................................................................78<br />
2. Anzuwendendes Verfahren ...........................................................................79<br />
IV. Haushaltsrechtliche Vergabe ohne gesetzliche Anordnung ..........................80<br />
1. Erforderlichkeit einer Außenrechtsnorm .....................................................81<br />
a) Eingriff in die Berufsfreiheit der freien Träger ............................................81<br />
b) Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der Leistungsberechtigten .....82<br />
2. Vorrang des spezielleren Sozialrechts ........................................................82<br />
V. Zusammenfassung/Ergebnis .............................................................................83<br />
C. Vergabeverfahren und Rechtsschutz................................................................85<br />
I. Arten und Verfahren der Vergabe ......................................................................85<br />
1. Öffentliche Ausschreibung ...........................................................................85<br />
2. Beschränkte Ausschreibung.........................................................................85<br />
3. Freihändige Vergabe .....................................................................................86<br />
4. Teilnehmer am Wettbewerb...........................................................................86<br />
a) kein Ausschluss <strong>nach</strong> § 7 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A............................................86<br />
b) kein Ausschluss <strong>nach</strong> § 7 Nr. 5 VOL/A .......................................................88<br />
c) kein Ausschluss <strong>nach</strong> § 7 Nr. 6 VOL/A .......................................................88<br />
aa) Grammatische Auslegung ...................................................................89<br />
bb) Entstehungsgeschichte (genetische Auslegung).................................90<br />
cc) Systematische Auslegung ...................................................................93<br />
dd) Verfassungskonforme Auslegung........................................................94<br />
ee) Teleologische Auslegung ....................................................................95<br />
5
ff) Zusammenfassung ...............................................................................99<br />
5. Dienstleistungen <strong>nach</strong> Anhang I A VOL/A .................................................100<br />
a) Offenes Verfahren ....................................................................................100<br />
b) Nichtoffenes Verfahren .............................................................................100<br />
c) Verhandlungsverfahren.............................................................................100<br />
d) Teilnehmer am Wettbewerb......................................................................100<br />
II. Materielles <strong>Vergaberecht</strong> ..................................................................................101<br />
1. Abgrenzung zwischen Abschnitt I und Abschnitt II VOL/A ......................102<br />
a) Abgrenzungskriterien................................................................................102<br />
b) Wettbewerbsrechtliche Vergabe ...............................................................102<br />
c) Haushaltsrechtliche Vergabe ....................................................................102<br />
2. Die Vergabegrundsätze des § 97 GWB.......................................................103<br />
a) Wettbewerbsgrundsatz, § 97 Abs. 1 GWB ...............................................103<br />
b) Transparenzgrundsatz, § 97 Abs. 1 GWB ................................................104<br />
c) Diskriminierungsverbot, § 97 Abs. 2 GWB................................................105<br />
aa) Regionale Beschränkungen ..............................................................105<br />
bb) Qualitätskriterien ...............................................................................106<br />
cc) Bevorzugung freier Träger.................................................................106<br />
d) Bildung <strong>von</strong> Losen, § 97 Abs. 3 GWB.......................................................107<br />
e) Eignungskriterien, § 97 Abs. 4 GWB ........................................................108<br />
aa) Vergabefremde Kriterien ...................................................................109<br />
bb) Fachkunde.........................................................................................109<br />
cc) Leistungsfähigkeit ..............................................................................110<br />
dd) Zuverlässigkeit ..................................................................................111<br />
ee) Auffällig niedrige Angebote................................................................111<br />
ff) Regionale Verwurzelung der Bieter.....................................................112<br />
f) Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot, § 97 Abs. 5 GWB .................113<br />
g) Fazit..........................................................................................................114<br />
3. Vergabegrundsätze <strong>nach</strong> § 2 VOL/A...........................................................114<br />
III. Rechtsschutz ....................................................................................................115<br />
6
1. Rechtsschutz im Vergabeverfahren <strong>nach</strong> dem GWB...............................115<br />
a) Vergabeprüfstelle (§ 103 GWB)................................................................115<br />
b) Vergabekammer (§§ 104 ff. GWB)............................................................116<br />
aa) Zuständigkeit .....................................................................................116<br />
bb) Frist ...................................................................................................117<br />
cc) Unverzügliche Rüge <strong>von</strong> Verfahrensfehlern ......................................117<br />
dd) Schaden des Antragstellers...............................................................118<br />
ee) Recht auf Akteneinsicht.....................................................................118<br />
ff) Entscheidungsfrist ...............................................................................118<br />
c) Vergabesenat des OLG ............................................................................119<br />
aa) Beschwerdefrist und Begründung .....................................................119<br />
bb) Aufschiebende Wirkung ....................................................................120<br />
cc) Inhalt der Entscheidung .....................................................................120<br />
d) Eilverfahren...............................................................................................120<br />
e) Risiken <strong>von</strong> Kosten und Schadensersatz..................................................121<br />
2. Unförmliche Rechtsbehelfe.........................................................................122<br />
3. Schadensersatz............................................................................................122<br />
D. Zusammenfassung ...........................................................................................124<br />
7
A. Rechtsstatus der freien Träger<br />
I. Verfassungsrechtlicher Status<br />
1. „Grundrecht der karitativen Tätigkeit“<br />
Nach einer frühen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist die „karitative<br />
Liebestätigkeit“ einer gemeinnützigen, nicht-kirchlichen Vereinigung zur Unterstüt-<br />
zung blinder Menschen im Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit geschützt 1 .<br />
Das Bundesverfassungsgericht hat sich dieser Wertung angeschlossen: Die<br />
allgemeine Handlungsfreiheit schließe den Tatbestand des Helfens ein und sei<br />
insoweit ein „Grundrecht der freien karitativen Tätigkeit 2 “. Der Grundrechtsschutz<br />
setzt voraus, dass der freie Träger die Anforderungen des Art. 19 Abs. 3 GG erfüllt,<br />
was regelmäßig anzunehmen ist. Das Grundrecht schützt zwar auch die<br />
wirtschaftliche Tätigkeit, jedoch geht regelmäßig insoweit die speziellere Berufs-<br />
freiheit vor. Art. 2 Abs. 1 GG schützt also in erster Linie das, was beispielsweise in §<br />
3 Abs. 1 SGB VIII mit „Wertorientierung“ und „Vielfalt <strong>von</strong> Inhalten, Methoden und<br />
Arbeitsformen“ gemeint ist.<br />
2. Religionsfreiheit und kirchliches Selbstverwaltungsrecht<br />
a) Schutzbereich<br />
Die Schutzfunktion der allgemeinen Handlungsfreiheit übernimmt bei religiös<br />
geprägten Träger das Grundrecht der Religionsfreiheit 3 , die neben der inneren<br />
Freiheit zu glauben die <strong>nach</strong> außen gerichtete Freiheit schützt, den Glauben zu<br />
manifestieren, zu bekennen und zu verbreiten 4 . Da die tätige Nächstenliebe eine<br />
Grundüberzeugung christlicher Glaubensgemeinschaften ist, wird die Tätigkeit der<br />
1 BVerwGE 10, 199, 201.<br />
2 BVerfGE 20, 150, 159.<br />
3 Zum Vorrang <strong>von</strong> Art. 4 Abs. 1 und 2 GG vor Art. 2 Abs. 1 GG BVerfGE 24, 236, 252.<br />
4 BVerfGE 32, 98, 106 f.; 69, 1, 33 f.<br />
8
Caritas und Diakonie, soweit sie Ausdruck dieser Grundüberzeugung ist, vom<br />
Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG erfasst 5 . Das Bundesverfassungsgericht<br />
zieht die kollektive Religionsfreiheit vor allem bei der Klärung der Verfassungs-<br />
beschwerdebefugnis karitativer und diakonischer Träger heran. Die Begründetheit<br />
der Beschwerde wird dann am Maßstab des kirchlichen Selbstverwaltungsrechts des<br />
Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV geprüft. Zwar sind die einzelnen konfessio-<br />
nellen Träger keine Religionsgesellschaften, da sie sich nicht der allseitigen Erfüllung<br />
der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben, sondern nur einer<br />
Teilaufgabe widmen. Jedoch werden sie durch ihre Zuordnung zu einer Religions-<br />
gesellschaft geschützt. Kriterien der Zuordnung sind die organisatorische Verbunden-<br />
heit mit der Amtskirche, wie sie sich in Aufsichts- und Direktionsrechten und in<br />
personellen Verflechtungen zeigt, und die Wahrnehmung kirchlicher Aufgaben 6 .<br />
b) Eingriffe<br />
Eingriffe in die Freiheit des selbstständigen Ordnens und Verwaltens der eigenen<br />
Angelegenheiten sind beispielsweise staatliche Strukturvorschriften, die den<br />
organisatorischbetrieblichen Bereich kirchlicher Krankenhäuser regeln 7 . Die Perso-<br />
nalhoheit der Kirchen schließt das Definitionsrecht für alle Berufe im kirchlichen<br />
Dienst ein. Entscheidet sich die Kirche für eine eigene Berufsausbildung, dann muss<br />
der gesetzlich vorgeschriebene Berufsausbildungsausschuss so zusammengesetzt<br />
sein, dass der Kirche kein ihr fremder Wille aufgezwungen werden kann 8 . Ein<br />
Gesetz, das dieser Anforderung nicht entspricht, ist ein Eingriff in das kirchliche<br />
Selbstverwaltungsrecht. Auch die Vergabe <strong>von</strong> Subventionen kann im Verbund mit<br />
der Durchsetzung <strong>von</strong> Planungsvorgaben und anderen Strukturregelungen zum<br />
Eingriff werden 9 . In das kirchliche Selbstbestimmungsrecht wird eingegriffen, wenn<br />
im Bewilligungsbescheid Auflagen durchgesetzt werden, die die Selbständigkeit der<br />
kirchlichen Einrichtung so weit beschneiden, dass sie nicht mehr Träger eigener<br />
Aufgaben sind, sondern zum Erfüller einer ihnen fremden Aufgabe des Sozial-<br />
5<br />
BVerfGE 24, 236, 248; 53, 366, 393; Stolleis, Sozialstaat und karitative Tätigkeit der Kirche,<br />
ZevKR 18 (1973), 376, 387 f.; Scheuner, Die karitative Tätigkeit der Kirchen im heutigen<br />
Sozialstaat, in: Axel v. Campenhausen / H. J. Erhardt (Hrsg.), Kirche, Staat, Diakonie, 1982, 162,<br />
176 f.; Starck, in v. Mangoldt / Klein / Starck, Das Bonner Grundgesetz, Bd. I, 4. Aufl. 1999, Art. 4<br />
Abs. 1, 2 Rz 34 f.<br />
6<br />
BVerfGE 46, 73, 85; 53, 366, 391; 57, 220, 242.<br />
7<br />
BVerfGE 53, 366.<br />
8<br />
BVerfGE 72, 278, 294.<br />
9<br />
BVerfGE 46, 120, 137; 82, 209, 223 f. zur Berufsfreiheit.<br />
9
leistungsträgers werden 10 . Ein Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht ist<br />
insbesondere der staatliche Zwang zur Errichtung <strong>von</strong> Verbundsystemen aus kirch-<br />
lichen und profanen sozialen Diensten 11 .<br />
Kein Eingriff in den durch Art. 137 Abs. 3 WRV geschützten Bereich ist die Erhebung<br />
<strong>von</strong> Gebühren bei einem Diakonischen Werk, da das kirchliche Selbstverwaltungs-<br />
recht nicht das Recht umfasse, „<strong>von</strong> allen Nachteilen einer Organisationsentschei-<br />
dung verschont zu werden“. Jedoch kann anderes gelten, „wenn die Nachteile derart<br />
gravierend wären, dass sie jeden Vorteil aufwögen und es der Kirche praktisch<br />
unmöglich gemacht würde, sich für die privatrechtliche Organisationsform einzelner<br />
Einrichtungen zu entscheiden 12 “.<br />
c) Eingriffsrechtfertigung<br />
Das „für alle geltende Gesetz“ des Art. 137 Abs. 3 WRV wird zunehmend und zu<br />
Recht mit dem „allgemeinen Gesetz“ des Art. 5 Abs. 2 GG parallelisiert 13 . Ein „für alle<br />
geltendes Gesetz“ ist dem<strong>nach</strong> nur ein solches, das sich nicht gegen das<br />
Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften also solches richtet, sondern<br />
dem Schutz eines schlechthin – ohne Rücksicht auf eine bestimmte Religionsgesell-<br />
schaft – zu schützenden Rechtsguts dient. Regelmäßig läuft die Eingriffsrechtferti-<br />
gung auf die Abwägung zwischen Kirchenfreiheit und staatlichem Regelungsziel<br />
hinaus 14 . Dabei kommt dem Selbstverständnis der Religionsgesellschaften, „soweit<br />
es in dem Bereich der durch Art. 4 Abs. 1 GG als unverletzlich gewährleisteten<br />
Glaubens- und Bekenntnisfreiheit wurzelt und sich in der durch Art. 4 Abs. 2 GG<br />
geschützten Religionsfreiheit verwirklicht“, ein besonderes Gewicht zu 15 . Den Kirchen<br />
sind deshalb „eigene Wege offen zu halten“, auf denen sie „unter Berücksichtigung<br />
10 Michael Stolleis, Behindertenwerkstätten zwischen freier Wohlfahrtspflege und staatlicher<br />
Arbeitsverwaltung, 1980, S. 25-27; Neumann, Weder Markt noch Verwaltungshilfe, in: Volker<br />
Neumann / Bertam Schulin / Klaus Lachwitz / Peter Trenk-Hinterberger (Hrsg.), Reform des<br />
Rehabilitationsrechts (SGB IX), 1992, S. 15 (62-65).<br />
11 Neumann, Der goldene Zügel. Zur Einrichtung <strong>von</strong> Verbundsystemen ambulanter sozialer Dienste<br />
durch das Zuwendungsrecht, in: RsDE 20 (1993), 1.<br />
12 BVerwG 20. 6. 2003 NVwZ 2003, 1519, 1520.<br />
13 Weber, „Allgemeines Gesetz“ und „für alle geltendes Gesetz“, in: Festschrift für Ernst Rudolf<br />
Huber, 1973, S. 181; Axel <strong>von</strong> Campenhausen, Staatskirchenrecht, 2. Aufl. 1983, S. 85; Wolfgang<br />
Bock, Das für alle geltende Gesetz und die kirchliche Selbstbestimmung, 1996, S. 276 f.<br />
14 Ein aktueller Anwendungsfall ist die in § 10 Abs. 5 S. 2 HeimG n. F. vorgesehene Möglichkeit, in<br />
den Heimbeirat kirchlicher Pflegeheime externe Mitglieder zu wählen. Vgl. Volker Neumann /<br />
Renate Bieritz-Harder, Die leistungsgerechte Pflegevergütung, 2002, S. 74 ff.<br />
15 BVerfGE 53, 366, 401; 83, 341, 356.<br />
10
der besonderen kirchlichen Aspekte“ ihre Tätigkeiten organisieren und gestalten<br />
können 16 . Diese Rechtsprechung ist einsichtig, weil sie der Bedeutung der Religions-<br />
freiheit als einem vorbehaltlos gewährleisteten Grundrecht Rechnung trägt. Für<br />
Irritationen hatte die Entscheidung zum Kündigungsschutz kirchlicher Mitarbeiter<br />
gesorgt, die sich als grundsätzliche Ermächtigung der Kirchen lesen lässt, über das<br />
Gewicht der eigenen Rechtsposition in der Abwägung verbindlich zu entscheiden 17 .<br />
Das kann nicht richtig sein, weil es bei der Güterabwägung immer um die<br />
Verträglichkeit der Freiheit des einzelnen mit der Freiheit aller anderen und damit um<br />
die Bedingungen der Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung geht 18 . Der dadurch<br />
eröffnete Konflikt zwischen Kirchenfreiheit und staatlicher Souveränität wird jedoch<br />
im Bahá´i - Beschluss mit der Anforderung, dass der staatliche Rechtsanwender das<br />
geltend gemachte Selbstverständnis auf seine Plausibilität untersuchen muss,<br />
deutlich entschärft 19 .<br />
3. Schutz der beruflichen Tätigkeit<br />
a) Schutzbereich<br />
Der berufliche Bezug der freien Wohlfahrtspflege wird in Art. 12 Abs. 1 GG geschützt.<br />
Die Berufsfreiheit umfasst jede Tätigkeit, die auf Dauer angelegt ist und der<br />
Schaffung und Aufrechterhaltung einer Lebensgrundlage dient 20 . Das Betreiben <strong>von</strong><br />
Diensten und Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege ist regelmäßig eine solche<br />
Tätigkeit, also ein Beruf. Ein Merkmal der freien Wohlfahrtspflege ist die Gemein-<br />
nützigkeit. Die Frage, ob ein gemeinnütziges Unternehmen einen Beruf ausübt, ist zu<br />
bejahen, weil das Fehlen der Gewinnerzielungsabsicht nichts daran ändert, dass das<br />
Unternehmen geschäftsmäßig und kostendeckend arbeiten muss und deshalb den<br />
für Art. 12 Abs. 1 GG erforderlichen ökonomischen Bezug aufweist 21 . Das Gegenar-<br />
16<br />
BVerfGE 53, 366, 405.<br />
17<br />
BVerfGE 70, 138, 167 f.<br />
18<br />
Neumann, Individuelle Religionsfreiheit und kirchliches Selbstbestimmungsrecht – am Beispiel der<br />
karitativen Tätigkeit, in: Wilfried Erbguth / Friedrich Müller / Volker Neumann (Hrsg.),<br />
Rechtstheorie und Rechtsdogmatik im Austausch. Gedächtnisschrift für Bernd Jeand´Heur, 1999,<br />
S. 247, 261 f.<br />
19<br />
BVerfGE 83, 341, 353. Instruktiv zu dieser Entscheidung Jeand`Heur, Jus divinum oder BGB, JuS<br />
1992, 830.<br />
20<br />
BVerfGE 7, 377, 397; 54, 301, 313.<br />
21<br />
BVerwG 22. 12. 1993 JZ 1995, 94, 95 mit ablehnender Anm. Wieland.<br />
11
gument, Art. 12 Abs. 1 GG verlange eine auf Erwerb ausgerichtete Tätigkeit, Erwerb<br />
sei aber schon begrifflich eigennützig und deshalb nicht gemeinnützig 22 , überzeugt<br />
nicht, weil ihm ein verkürztes Verständnis der Gemeinnützigkeit zugrunde liegt 23 . Das<br />
BVerfG hat die Frage kurz und knapp entschieden: Ob ein Betreuungsverein<br />
gemeinnützig wirkt, ist für die Anwendung des Art. 12 Abs. 1 GG auf seine erwerbs-<br />
mäßige Tätigkeit, die eine Gewinnerzielung nicht voraussetzt, nicht maßgeblich 24 .<br />
Das Grundrecht auf freie Berufsausübung ist untrennbar mit der Freiheit verbunden,<br />
hierfür eine angemessene Vergütung fordern zu dürfen 25 .<br />
b) Eingriffe<br />
aa) Bundesverfassungsgericht<br />
Zu den Eingriffen in die Berufsfreiheit gehört jedenfalls die Verweigerung der<br />
Zulassung zur Leistungserbringung. Das Bundesverfassungsgericht hat erstmals im<br />
Kassenarzt-Urteil die Nichtzulassung eines Arztes zur vertragsärztlichen Versorgung<br />
als einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit gewertet, der in seiner Auswirkung<br />
einem Eingriff in die Berufszulassung nahe komme und deshalb an den erhöhten<br />
Rechtfertigungsanforderungen <strong>von</strong> Berufszulassungsbeschränkungen zu messen<br />
sei 26 . Diese Grundsätze werden in einer späteren Entscheidung auf die Kranken-<br />
hausbedarfsplanung übertragen. Die Nichtaufnahme eines Krankenhauses in den<br />
Krankenhausbedarfsplan ist mit einem erheblichen Konkurrenz<strong>nach</strong>teil verbunden,<br />
der in seinen wirtschaftlichen Auswirkungen einer Berufszulassungsbeschränkung<br />
nahe komme 27 .<br />
bb) Bundessozialgericht<br />
Entscheidungen des BSG zur Berufsfreiheit nichtärztlicher Leistungserbringer waren<br />
lange Zeit rar. Das lag daran, dass der BGH und der Gemeinsame Senat der<br />
obersten Gerichtshöfe des Bundes die Rechtsverhältnisse der Krankenkassen zu<br />
22<br />
Wieland, JZ 1995, 96, 97.<br />
23<br />
Volker Neumann / Renate Bieritz-Harder, Die leistungsgerechte Pflegevergütung, 2002, S. 13 f.<br />
24<br />
BVerfG (Kammer) 7. 11. 2001 FamRZ 2002, 85, 86 f.<br />
25<br />
Frank Brünner, Vergütungsvereinbarungen für Pflegeeinrichtungen <strong>nach</strong> SGB XI, 2001, S. 148.<br />
26<br />
BVerfGE 11, 30, 42 f.<br />
27<br />
BVerfGE 82, 209, 224, 229. Bestätigt in BVerfG (Kammer) 14. 1. 2004 - 1 BvR 506/03, Rn. 21.<br />
12
den nichtärztlichen Leistungserbringern dem Privatrecht zugeordnet und damit den<br />
Rechtsweg zu den Kartellgerichten eröffnet hatten 28 . Zwar hatte das Gesundheits-<br />
reformgesetz mit der Neufassung des § 51 Abs. 2 SGG Streitigkeiten aus dem<br />
Leistungserbringungsrecht den Sozialgerichten zugewiesen 29 . Die Zivilgerichte<br />
sahen aber § 87 GWB als eine Spezialnorm an, die dem SGG vorgehe 30 . Der damit<br />
eröffnete Zuständigkeitsstreit wurde vom Gesetzgeber im Jahre 2000 endlich<br />
eindeutig zugunsten der Sozialgerichtsbarkeit entschieden 31 . Seitdem nimmt die<br />
einschlägige Rechtsprechung sprunghaft zu 32 . Da das GWB und UWG nicht mehr<br />
anwendbar sind 33 , gewinnt Art. 12 Abs. 1 GG für den Schutz der Rechte der nicht-<br />
ärztlichen Leistungserbringer an Bedeutung.<br />
Die einschlägige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts geht <strong>von</strong> diesem<br />
Grundsatz aus: „Jede Einschränkung der Zulassung <strong>nach</strong> Bedarfsgesichtspunkten<br />
stellt einen Eingriff in das durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Grundrecht der<br />
Berufsfreiheit dar 34 “. Die Frage, ob nur ein (schlichter) Eingriff in die Berufsaus-<br />
übungsfreiheit vorliegt oder ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit, der einer<br />
Berufswahlregelung nahe kommt, wird da<strong>von</strong> abhängig gemacht, ob die über die<br />
Zulassung entscheidenden Sozialleistungsträger eine Monopolstellung innehaben<br />
oder nicht. Da die Krankenkassen gemäß § 40 Abs. 4 SGB V für Rehabilitations-<br />
leistungen nur subsidiär zuständig sind, also keine Monopolstellung innehaben, liegt<br />
nur ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit vor 35 . Allerdings kann wegen der<br />
„Eigenart der Einrichtung“ der Eingriff doch einer Berufswahlregelung nahe<br />
kommen 36 . Die Verweigerung des Abschlusses eines Vertrages <strong>nach</strong> §§ 124, 126<br />
28 BGHZ 36, 91 – Gummistrümpfe; BGHZ 82, 375 – Brillenselbstabgabe; GemS-OGB 10. 4. 1986 -<br />
NJW 1986, 2359 – Heil- und Hilfsmittel; 29. 10. 1987 - NJW 1988, 2295 – Selbstabgabe<br />
gebrauchter Hilfsmittel; 29. 10. 1987 - NJW 1988, 2297 – Badebetrieb.<br />
29 Vom 20. 12. 1988 (BGBl. I 2477).<br />
30 BGHZ 114, 218 – Krankentransporte; BGH 25. 6. 1991 - RsDE 20 (1993), 87 – häusliche<br />
Krankenpflege.<br />
31 Gesetz vom 22. 12. 1999 (BGBl. I 2626). Zur „unendlichen Geschichte“ dieses Streits BSGE 89,<br />
24, 30 f.<br />
32 Ohne Anspruch auf Vollständigkeit: BSGE 60, 1 – Zahntechniker; E 63, 173 – Selbstabgabe Heil-<br />
und Hilfsmittel; E 67, 251 – Römisch-irische Bäder; E 72, 227 – Verhaltenstherapeut; E 77, 108 –<br />
Zulassung Optiker; E 77, 130 – Krankengymnastin; E 78, 233 – Krankenhausversorgungsvertrag;<br />
E 79, 41 – Arzneimittelhersteller; E 81, 189 – Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtung; E 86, 223<br />
– Diätassistenten; E 87, 95 – empfängnisverhütende Mittel; E 88, 216 – Investitionsförderung <strong>von</strong><br />
Pflegeeinrichtungen; E 89, 24 – Orthopädiemechaniker; BSG 23. 7. 2002 – B 3 KR 63/01 R –<br />
Zulassung Reha-Einrichtung; BSG 24. 9. 2002 – NZS 2003, 263 – Zulassung Pflegedienst.<br />
33 BSGE 89, 24, 32 f. mit weiteren Nachweisen.<br />
34 BSGE 87, 14, 23.<br />
35 BSGE 81, 189, 196; 87, 14, 23.<br />
36 BSG 23. 7. 2002 – B 3 KR 63/01.<br />
13
SGB V ist eine Begrenzung der Berufsfreiheit auf der Stufe der Berufsausübung, die<br />
in ihrer Wirkung einer Beschränkung der Berufswahl nahe kommen kann 37 .<br />
Das Festbetrags-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist kein Anlass zur Korrektur<br />
der referierten Rechtsprechung. Dieses Urteil legt dar, dass die Festsetzung <strong>von</strong><br />
Festbeträgen gemäß § 35 SGB V die Berufsfreiheit der Pharmaunternehmen, der<br />
Optiker und der Hörgeräteakustiker „nicht berührt 38 “. Die Festsetzungen fallen in den<br />
Schutzbereich der Grundrechte der „Versicherten, aber auch der Ärzte“, nicht aber in<br />
den Schutzbereich der Berufsfreiheit der Leistungserbringer 39 . Eine faktisch<br />
mittelbare Auswirkung auf deren Berufsausübung sei ein „bloßer Reflex der auf das<br />
System der gesetzlichen Krankenversicherung bezogenen Regelung“. Dieses Urteil<br />
stellt eine Korrektur an der jüngeren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum<br />
mittelbaren Eingriff in die Berufsfreiheit der Leistungserbringer dar 40 . Völlig unberührt<br />
da<strong>von</strong> bleibt die Wertung <strong>von</strong> Zulassungsbeschränkungen als Grundrechtseingriff.<br />
c) Eingriffsrechtfertigung<br />
aa) Gesetzesvorbehalt<br />
Die Berufsfreiheit unterliegt einem einfachen Gesetzesvorbehalt. Gesetz ist jedenfalls<br />
das Parlamentsgesetz und die Rechtsverordnung, soweit die Bestimmtheitstrias des<br />
Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG beachtet ist 41 . Die Frage, ob auch andere untergesetzliche<br />
Regelungen Eingriffe zu rechtfertigen vermögen, ist für das Leistungserbringungs-<br />
recht mit seinen vielfältigen Rechtsquellen <strong>von</strong> besonderer Brisanz. Der Grundsatz<br />
lautet: Wenn das förmliche Gesetz die Eingriffsvoraussetzungen festlegt, darf die<br />
Selbstverwaltung innerhalb des gesetzlichen Rahmens die Einzelheiten regeln 42 . Die<br />
Anforderungen an die Bestimmtheit des ermächtigenden Gesetzes werden <strong>nach</strong><br />
Maßgabe der Grundrechtsrelevanz bestimmt 43 . Bei Regelungen im Schutzbereich<br />
37 BSGE 89, 24, 28.<br />
38 BVerfG 17. 12. 2002 – 1 BvL 28/95 u. a. Rn. 106. Zur rechtspolitischen Bedeutung dieser weit<br />
über die Festbetragsfrage hinausreichenden Entscheidung Hänlein, Festlegung der Grenzen der<br />
Leistungspflicht der Krankenkassen, SGb 2003, 301, 302.<br />
39 BVerfG 17. 12. 2002 – 1 BvL 28/95 u. a. Rn. 112 f.<br />
40 Es bestätigt den älteren Ansatz in der Entscheidung zu den irisch-römischen Bädern (BSGE 67,<br />
251) und verwirft die neueren Ansatz in der Entscheidung zu den Diätassistenten (BSGE 86, 223).<br />
41 So bereits BSGE 23, 97, 100.<br />
42 Vgl. BSGE 58, 18, 25.<br />
43 BSGE 67, 256, 264 – Großgeräte I.<br />
14
der Berufsfreiheit ist der Gesetzgeber verpflichtet, wenigstens die Grundstrukturen<br />
des Normgefüges vorzugeben 44 . Die Grundrechtrelevanz ist das dominante Kriteri-<br />
um der Wesentlichkeitstheorie: Der Gesetzgeber müsse die für die Grundrechtsaus-<br />
übung wesentlichen Fragen selbst dergestalt regeln, dass Umfang und Grenzen des<br />
Eingriffs deutlich erkennbar sind 45 . Mit dem vorbehaltsrechtlichen Bestimmtheits-<br />
gebot 46 ist die Heranziehung des allgemeinen Sicherstellungsauftrags als „hinrei-<br />
chend bestimmte gesetzliche Grundlage“ für die Rechtfertigung <strong>von</strong> Eingriffen in die<br />
Berufsfreiheit kaum zu vereinbaren 47 . Die Grundrechtsrelevanz wird in einer umfang-<br />
reichen Rechtsprechung <strong>nach</strong> Maßgabe der Stufenlehre bestimmt, wobei innerhalb<br />
der Berufsausübung noch einmal zwischen statusrelevanten und nicht-status-<br />
relevanten Regelungen unterschieden wird 48 .<br />
Strenge Anforderungen an die Bestimmtheit der parlamentsgesetzlichen Ermächti-<br />
gung werden bei Zulassungen auf der Grundlage einer Bedarfsprüfung gestellt.<br />
Voraussetzung ist eine gesetzlich geregelte Bedarfsplanung, „<strong>nach</strong> der losgelöst vom<br />
Einzelfall die gegenwärtige und zukünftige Bedarfssituation beurteilt werden kann<br />
und welche die Maßstäbe für die Zulassung <strong>von</strong> Leistungsanbietern erkennen lässt.<br />
Schließlich muss auch das Auswahlverfahren in einer Weise geregelt sein, die den<br />
Anforderungen an einen Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG Rechnung trägt. Denn die<br />
Verwirklichung der Berufsfreiheit fordert auch eine dem Grundrechtsschutz ange-<br />
messene Verfahrensgestaltung 49 “.<br />
bb) Verhältnismäßigkeit<br />
Der Eingriff ist verhältnismäßig, wenn „das gewählte Mittel zur Erreichung des<br />
verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich ist und bei einer Gesamtabwägung<br />
zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden<br />
44<br />
BSGE 67, 256, 266.<br />
45<br />
BSGE 70, 285, 292 – Großgeräte II; E 81, 143, 145.<br />
46<br />
In BSGE 70, 285, 292 ist allerdings vom „rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot“ die Rede.<br />
47<br />
So noch BSGE 60, 1, 4.<br />
48<br />
BSGE 82, 55, 59 f. - Zytologie; E 86, 121, 123 f.; E 78, 91, 94: Bei statusrelevanten Regelungen<br />
müsse die parlamentsgesetzliche Ermächtigung Umfang und Grenzen des Eingriffs deutlich<br />
erkennen lassen, während bei nicht-statusrelevanten Regelungen der Gesetzgeber die<br />
maßgeblichen Entscheidungen dem untergesetzlichen Normgeber in weitem Umfang überlassen<br />
dürfe.<br />
49<br />
BSGE 81, 189, 197 f.<br />
15
Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist 50 “. Das BSG räumt dem<br />
Gesetzgeber bei der Beurteilung der Geeignetheit des eingesetzten Mittels – in<br />
Übereinstimmung mit dem BVerfG 51 - eine weitgehende Gestaltungsfreiheit sowie<br />
einen weiten Einschätzungs- und Prognosespielraum ein 52 . Nur wenn die Erwägun-<br />
gen zum Kausalverlauf „offensichtlich fehlsam“ und „unvertretbar“ sind, können die<br />
Gerichte die Einschätzung des Gesetzgebers beanstanden 53 .<br />
Für die Frage, ob eine Zulassung <strong>von</strong> Einrichtungen <strong>nach</strong> Maßgabe des Bedarfs<br />
gerechtfertigt werden kann, hat die Rechtsprechung einen Argumentationstopos<br />
aufgegriffen, der m. E. die Prüfungsstufe der Erforderlichkeit betrifft. Die Kranken-<br />
hausbehandlung ist häufig unaufschiebbar (Notfallaufnahme), so dass die Kranken-<br />
kasse die Notwendigkeit der Behandlung im Einzelfall und ihre Dauer nicht überprü-<br />
fen kann. Deshalb kann hier eine Bedarfszulassung der Krankenhäuser im Interesse<br />
der Erhaltung der wirtschaftlichen Grundlagen der gesetzlichen Krankenkassen<br />
grundsätzlich gerechtfertigt werden. Anderes gilt für Rehabilitationsmaßnahmen,<br />
deren Gewährung im Ermessen der Krankenkassen steht, die für eine begrenzte<br />
Dauer <strong>von</strong> zwei oder drei Wochen bewilligt werden und bei denen im Zweifelsfall eine<br />
vorherige Begutachtung durch den medizinischen Dienst möglich ist 54 . Die Prüfung<br />
des individuellen Bedarfs ist ein gleich geeignetes, milderes Mittel im Verhältnis zu<br />
einer Angebotssteuerung durch Bedarfsprüfung.<br />
II. Sozialrechtlicher Status (§ 17 SGB I)<br />
Der in den Grundrechten und im Staatskirchenrecht gewährleistete Rechtsstatus der<br />
freien Träger wird in § 17 Abs. 3 SGB I für das gesamte Sozialgesetzbuch in<br />
gelungener Weise reformuliert. Als Kern der Selbstständigkeit wird – in Anlehnung an<br />
50 BSGE 80, 257, 261.<br />
51 Prägnant Jäger, Berufsrecht, SGb 2003, 311, 314: „Diese Gestaltungsfreiheit beruht auf der<br />
Einsicht des Verfassungsgerichts, dass es selbst bei der Regelung komplexer Zusammenhänge<br />
nicht klüger ist als der Gesetzgeber, weil die Verfassung meist keine hinlänglich konkreten<br />
Vorgaben enthält. Die Sozialordnung erschöpft sich nicht in Verfassungskonkretisierung“.<br />
52 „Sozialpolitische Entscheidungen, mit denen auf komplexe, schwer überschaubare und im<br />
einzelnen unklare Verhältnisse eingewirkt werden soll, erfordern zahlreiche Wertungen und<br />
Prognosen, die einzeln und in ihrer Gesamtheit mit einem hohen Maß an Unsicherheit behaftet<br />
sind“. BSGE 73, 223, 226 f. – Altersgrenze 55.<br />
53 BSGE 82, 41, 44.<br />
54 BSGE 81, 189, 197 f., BSG 27. 7. 2002 – B 3 KR 63/01 R.<br />
16
§ 10 Abs. 2 BSHG bzw. § 5 Abs. 2 S. 2 SGB XII die Trägerschaft eigener („ihrer“)<br />
Aufgaben erkannt (§ 17 Abs. 3 S. 2 SGB I). Den Sozialleistungsträgern, also auch<br />
den Agenturen für Arbeit, wird aufgegeben, diese Selbständigkeit der freien Träger in<br />
„Zielsetzung und Durchführung ihrer Aufgaben zu achten“.<br />
Wichtig ist, dass die Achtungspflicht in der Zusammenarbeit („dabei“) der<br />
Sozialleistungsträger mit den freien Trägern besteht. Die freien Träger nehmen also<br />
auch dann eigene Aufgaben wahr, wenn sie bei der <strong>Erbringung</strong> <strong>von</strong> Leistungen mit<br />
den Sozialleistungsträgern zusammenarbeiten. Die Pflicht zur Zusammenarbeit wird<br />
durch das „schlichte Ignorieren eines Angebots zur Zusammenarbeit“ jedenfalls dann<br />
verletzt, wenn das Angebot hinreichend präzise ist 55 .<br />
Ziel der Zusammenarbeit ist das Wohl der Leistungsempfänger. Bei der Entschei-<br />
dung, welche Leistungsgestaltung den Empfängern zum Wohle gereicht, ist die<br />
Aufgabe des Sozialrechts zu bedenken, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern (§<br />
1 Abs. 1 SGB I). Würde meint das Recht, Rechte zu haben 56 . Der Leistungsberech-<br />
tigte soll grundsätzlich selbst entscheiden, welche Gestaltung der Leistung ihm zum<br />
Wohle gereicht. Diesem Grundsatz tragen die diversen Wunsch- und Wahlrechte des<br />
Sozialrechts Rechnung. Diese Rechte sind in den einzelnen Büchern des<br />
Sozialgesetzbuchs normiert (§ 3 Abs. 2 BSHG bzw. § 9 Abs. 2 SGB XII, § 5 SGB<br />
VIII, § 76 SGB V, § 9 Abs. 1 und 2 S. 3 SGB IX, § 2 Abs. 2-4 SGB XII). Wenn das<br />
einzelne Buch keine solche spezielle Regelung enthält, gilt § 33 S. 2 SGB I: Bei der<br />
Ausgestaltung <strong>von</strong> Rechten und Pflichten „soll den Wünschen des Berechtigten oder<br />
Verpflichteten entsprochen werden, soweit sie angemessen sind“.<br />
55 OVG Münster 3. 12. 2001 ZfJ 2002, 305.<br />
56 Renate Bieritz-Harder, Menschenwürdig leben, 2001, S. 260 f.; Christoph Enders, Die<br />
Menschenwürde in der Verfassungsordnung, 1997, S. 502.<br />
17
1. Sozialstaatsprinzip<br />
III. Das Kooperationsmodell<br />
a) Kein soziales Aufgabenmonopol des Staates<br />
Das Sozialstaatsprinzip ist ein Gestaltungsauftrag, der den Staat zur Herstellung<br />
sozialer Gerechtigkeit ermächtigt und verpflichtet 57 . Diese Ermächtigung und Ver-<br />
pflichtung schließen die Wahrnehmung sozialer Aufgaben und damit auch die<br />
gewährende und leistende Tätigkeit in den gesellschaftlichen Lebensbereichen ein,<br />
in denen die freien Träger eigene soziale Aufgaben wahrnehmen. Der Sozialstaat<br />
soll also einerseits seine eigenen gesetzlichen Aufgaben erfüllen und andererseits<br />
die Aufgaben der freien Träger achten. Diese doppelte Pflicht wäre nicht zu erfüllen,<br />
wenn das Sozialstaatsprinzip dem Staat und seinen Sozialleistungsträgern ein<br />
Aufgabenmonopol verleihen würden. Das Bundesverfassungsgericht hat im Sozial-<br />
hilfe-Urteil den scheinbar unvermeidlichen Konflikt zwischen staatlichen und freien<br />
Aufgaben durch eine ebenso elegante wie überzeugende Auslegung des Sozial-<br />
staatsprinzips verhindert: Dieses Prinzip bestimme nur das Ziel einer gerechten<br />
Sozialordnung, also die Aufgabe des Staates, lasse aber für die Erreichung des<br />
Ziels, also die Aufgabenerfüllung, alle Wege offen. Folglich steht es dem<br />
Gesetzgeber frei, "zur Erreichung des Zieles auch die Mithilfe privater Wohlfahrts-<br />
organisationen vorzusehen" 58 . Ein soziales Aufgabenmonopol des Staates gibt es<br />
nicht.<br />
b) Das Bild der konzentrischen Kreise<br />
Das in § 17 Abs. 3 S. 1 und 2 SGB I normierte Modell der Zusammenarbeit setzt<br />
voraus, dass die Aufgabe des Sozialleistungsträgers zugleich eine eigene Aufgabe<br />
der freien Träger sein kann, so dass mit der Wahrnehmung der freien Aufgabe<br />
zugleich die Aufgabe des Sozialleistungsträgers erfüllt wird. Das wäre nicht möglich,<br />
wenn beide Aufgabenkreise sich nicht oder nur teilweise überschneiden. Anderer-<br />
57 BVerfGE 22, 180, 204; 27, 253, 283; 35, 302, 235 f.; 40, 121, 133 f.; 59, 231, 263; 69, 272, 314;<br />
BVerwGE 23, 304, 306.<br />
58 BVerfGE 22, 180, 204.<br />
18
seits würde die Selbstständigkeit der freien Träger wenig Sinn machen, wenn beide<br />
Aufgabenkreise deckungsgleich wären. Regelmäßig wird die freie Aufgabe<br />
umfassender als die staatliche sein. Die Sozialleistung, zu deren Gewährung der<br />
öffentliche Träger gesetzlich verpflichtet ist, muss in vollem Umfang erbracht werden.<br />
Dem freien Träger ist es aber unbenommen, ein „Mehr“ zu leisten, das in<br />
zusätzlichen Leistungen, aber auch in der besonderen Zuwendung bestehen kann,<br />
die karitativen oder humanitären Motiven entspringt und quantitativ nicht messbar<br />
ist 59 . Der staatliche Aufgabenkreis muss vom freien Aufgabenkreis umschlossen<br />
sein 60 .<br />
c) Gesamtverantwortung<br />
Das Sozialstaatsprinzip richtet zwar kein soziales Aufgabenmonopol des Staates ein,<br />
überträgt ihm aber die „Gesamtverantwortung dafür, dass ... durch behördliche und<br />
freie Tätigkeit das Erforderliche geschieht“ 61 . Diese Verantwortung meint erstens die<br />
Strukturverantwortung, d. h. die Verantwortung dafür, dass die zur Ausführung <strong>von</strong><br />
<strong>Sozialleistungen</strong> erforderlichen sozialen Dienste und Einrichtungen rechtzeitig und<br />
ausreichend zur Verfügung stehen. Zweitens bleibt der Sozialstaat für die Erfüllung<br />
der sozialrechtlichen Aufgaben verantwortlich, d. h. verantwortlich dafür, dass „jeder<br />
Berechtigte die ihm zustehenden <strong>Sozialleistungen</strong> in zeitgemäßer Weise, umfassend<br />
und schnell erhält“ 62 .<br />
Die Gesamtverantwortung ist eine Aufgabe, aber keine Befugnis. Das rechtsstaat-<br />
liche Verbot des Schlusses <strong>von</strong> der Aufgabe auf die Befugnis untersagt dem Sozial-<br />
staat, unter Berufung auf seine Gesamtverantwortung in die Selbständigkeit der<br />
freien Träger einzugreifen. Deshalb kann der Sozialstaat seiner Gesamtverantwor-<br />
tung nur durch Formen des kooperativen Verwaltens, durch die "hergebrachte und<br />
durch Jahrzehnte bewährte Zusammenarbeit <strong>von</strong> Staat und Verbänden" <strong>nach</strong>-<br />
59 Volker Neumann, Freiheitsgefährdung im kooperativen Sozialstaat, 1992, S. 47 f.<br />
60 Nicht ohne Süffisanz bezeichnet Dirk Meyer, Wettbewerbliche Neuorientierung der Freien<br />
Wohlfahrtspflege, 1999, S. 30, die Verbindung <strong>von</strong> sozialstaatlicher Sozialarbeit und kirchlichem<br />
Sendungsauftrag als „Kuppelproduktion ..., deren beide Outputs – soziale Hilfe und Offenbarung<br />
Gottes – dem Hilfeempfänger angeboten und ggf. als Einheit zugeführt werden“.<br />
61 BVerfGE 22, 180, 206.<br />
62 § 17 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB I.<br />
19
kommen 63 . Die Mittel dieser Zusammenarbeit sind der Vertrag sowie das Geld, also<br />
Zuwendungen und Subventionen 64 .<br />
2. Wunsch- und Wahlrechte<br />
Die Wunsch- und Wahlrechte des Sozialrechts dienen der Schlichtung <strong>von</strong><br />
Grundrechtskonflikten. Kritiker des Vorrangs der freien Wohlfahrtspflege im Bundes-<br />
sozialhilfe- und Jugendwohlfahrtsgesetz hatten in den 60er Jahren einen Konflikt mit<br />
der negativen Bekenntnisfreiheit der Leistungsberechtigten erkannt und eine<br />
Klerikalisierung des Sozialstaats befürchtet 65 . Das Bundesverfassungsgericht<br />
schlichtete den Konflikt mit dem Hinweis auf die Wunsch- und Wahlrechte, die den<br />
Sozialleistungsberechtigten erlaubten, konfessionell oder weltanschaulich geprägten<br />
Leistungserbringern auszuweichen 66 .<br />
Eine andere Frage ist, ob die Freiheit der Wahl des Leistungserbringers und der<br />
Leistungsgestaltung grundrechtlich verbürgt ist. In der Rechtsprechung wurde diese<br />
Frage lange Zeit am Beispiel der freien Arztwahl thematisiert. Dabei hatte das<br />
Bundesverfassungsgericht zunächst offen gelassen, „ob der Versicherte aus Art. 2<br />
Abs. 1 GG einen Anspruch auf freie Arztwahl herleiten kann 67 “. Entschieden wird die<br />
Frage im Festbetragsurteil: Die Freiheit der Versicherten zur Auswahl unter den<br />
Leistungen ist durch die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG<br />
geschützt 68 .<br />
63 BVerfGE 22, 180, 200.<br />
64 Aus dem Kooperationsprinzip folgt aber kein Anspruch auf Förderung der kirchlichen<br />
Wohlfahrtspflege, VGH Mannheim 10. 4. 2001 DÖV 2001, 871 (872).<br />
65 Peter Lerche, Verfassungsfragen um Sozialhilfe und Jugendwohlfahrt, 1963, S. 130-133; Hans F.<br />
Zacher, Freiheit und Gleichheit in der Wohlfahrtspflege, 1964, S. 90 f.; Verfassungsbeschwerde<br />
der Stadt Dortmund vom 21. 2. 1962, in: ZfSH 1962, S. 45 (47). Aus der neueren Literatur<br />
Wolfgang Rüfner, Daseinsvorsorge und soziale Sicherheit, in: HStR IV, § 80 Rn. 41; Hermann<br />
Weber, Gelöste und ungelöste Probleme des Staatskirchenrechts, NJW 1983, 2541, 2545.<br />
66 BVerfGE 22, 180, 209.<br />
67 BVerfGE 16, 286, 303 f. Vgl. auch BSGE 11, 104, 111 f., 37, 267, 270; BVerwGE 60, 367, 371 f.<br />
68 BVerfG 17. 12. 2002 – 1 BvL 28/95 u. a. Rn. 132.<br />
20
3. Das sozialrechtliche Dreiecksverhältnis<br />
Die verfassungsrechtlichen Vorgaben – grundrechtlich verbürgte Selbstständigkeit<br />
der freien Träger, Freiheit zu Auswahl unter den Leistungen, Gesamtverantwortung<br />
des Sozialstaats – werden im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis „klein gearbeitet“.<br />
Die Basis dieses Beziehungsgeflechts ist das zwischen Bürger und Sozialleistungs-<br />
träger bestehende Sozialrechtsverhältnis. Der sozialleistungsberechtigte Bürger hat<br />
einen öffentlich-rechtlichen Anspruch gegen den Leistungsträger, der die begehrte<br />
Leistung durch Verwaltungsakt bewilligt, den Leistungserbringer bestimmt und<br />
zugleich die Übernahme der Kosten der zu erbringenden Leistung erklärt. Wenn der<br />
Leistungsberechtigte einen bestimmten Leistungserbringer ausgewählt hat, wird mit<br />
der Erklärung der Kostenübernahme zugleich über die Angemessenheit seines<br />
Wunsches entschieden. Da Inhalt, Umfang und Qualität der zu erbringenden<br />
Leistung sowie die dafür zu entrichtende Vergütung nicht in jedem einzelnen<br />
Leistungsfall vereinbart werden können, müssen diese und andere Fragen in<br />
übergreifenden Verträgen zwischen den Sozialleistungsträgern und den einzelnen<br />
Leistungserbringern bzw. deren Verbänden geregelt werden.<br />
Mit dem Abschluss dieser Verträge wird zugleich über die Zulassung zur<br />
Leistungserbringung entschieden. Allerdings gibt es in allen diesen geschlossenen<br />
Systemen der Leistungserbringung unterschiedlich streng gefasste Öffnungsklau-<br />
seln, die im Interesse der Bedarfsdeckung ausnahmsweise die <strong>Erbringung</strong> <strong>von</strong><br />
Leistungen durch nicht zugelassene Träger erlauben. Bei der Regelung des Zugangs<br />
der Leistungserbringer sind zwei grundverschiedene Voraussetzungen zu unterschei-<br />
den. Verfassungsrechtlich unbedenklich ist die Erfüllung gesetzlich normierter<br />
Eignungskriterien. Eine Angebotssteuerung durch Bedarfsprüfung ist jedoch ein<br />
Eingriff in die Berufsfreiheit, der strengen Rechtfertigungsanforderungen genügen<br />
muss (s. oben I 3 c).<br />
Geschlossen wird das Dreiecksverhältnis durch vertragliche Beziehungen zwischen<br />
dem Sozialleistungsberechtigten und dem Leistungserbringer. Die Regelung durch<br />
Vertrag kann gesetzlich vorgeschrieben sein wie beim Heimvertrag (§ 5 HeimG).<br />
Aber auch dort, wo der Gesetzgeber den Abschluss eines Vertrages nicht zwingend<br />
21
gebietet, gibt es im Verhältnis Leistungsberechtigter – Leistungserbringer eine Fülle<br />
rechtlich relevanter Fragen, die geregelt werden sollten 69 .<br />
IV. Ausprägungen des Dreiecksverhältnisses im Sozialrecht<br />
1. Sozialhilferecht (SGB XII)<br />
Der sozialhilfeberechtigte Bürger hat einen Rechtsanspruch auf Hilfe (vgl. § 17 SGB<br />
XII) und das Recht, Wünsche zu äußern, die sich auf die Gestaltung der Leistung<br />
richten (§ 9 Abs. 2 SGB XII) 70 . Adressat beider Rechte ist der zuständige Träger der<br />
Sozialhilfe. Den Wünschen soll entsprochen werden, wenn sie angemessen und<br />
nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden sind. Dieses Recht schließt die<br />
Auswahl des Leistungserbringers ein. Der Träger der Sozialhilfe entscheidet über<br />
den Anspruch und die Berechtigung des Wunsches durch Verwaltungsakt, in dem<br />
zugleich der (gewünschte) Erbringer der Leistung bestimmt und die Übernahme der<br />
Vergütung erklärt wird. Der sozialhilferechtliche Grundsatz „keine Hilfe für die<br />
Vergangenheit“ schließt für den Regelfall ein Recht auf Selbstbeschaffung aus.<br />
Wenn der Bürger sich also zuerst die Leistung beschafft und dann vom Sozialhilfe-<br />
träger die Erstattung der Kosten begehrt, besteht keine Leistungspflicht des Sozial-<br />
hilfeträgers.<br />
Voraussetzung der beschriebenen Leistungsabwicklung ist das Bestehen <strong>von</strong><br />
Vereinbarungen <strong>nach</strong> § 75 Abs. 3 SGB XII. Die <strong>Erbringung</strong> <strong>von</strong> Leistungen durch<br />
vereinbarungsungebundene freie Träger ist nur zulässig, „wenn dies <strong>nach</strong> der<br />
Besonderheit des Einzelfalls geboten ist“ (3 75 Abs. 4 S. 1 SGB XII). Kommt inner-<br />
halb eines bestimmten Zeitraums eine Vergütungsvereinbarung nicht zustande, ent-<br />
scheidet auf Antrag einer Partei die Schiedsstelle über die Gegenstände, über die<br />
keine Einigung erreicht werden konnte (§ 77 Abs. 1 S. 2 SGB XII).<br />
69 BGH 89, 250, 255 hat mit dem Behandlungs- und Schutzinteresse des Kassenpatienten das<br />
Erfordernis eines privatrechtlichen Behandlungsvertrags mit dem Krankenhaus begründet.<br />
70 Eine Darstellung des sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses aus neuerer Zeit bei Frank<br />
Brünner, Vergütungsvereinbarungen für Pflegeeinrichtungen <strong>nach</strong> SGB XI, 2001, S. 20-41.<br />
22
Wird die Leistung in oder <strong>von</strong> Einrichtungen erbracht, wird regelmäßig zwischen dem<br />
Sozialhilfeberechtigten und dem Träger der Einrichtung ein Vertrag geschlossen. Für<br />
Einrichtungen, die dem Heimgesetz unterfallen, ist der Abschluss eines Heimvertrags<br />
gesetzlich vorgeschrieben.<br />
2. Kinder- und Jugendhilferecht (SGB VIII)<br />
§ 3 Abs. 2 SGB VIII zeichnet mit der Unterscheidung <strong>von</strong> Leistungsverpflichtung bzw.<br />
–berechtigung und Leistungserbringung die Grundstruktur des jugendhilferechtlichen<br />
Dreiecksverhältnisses 71 . Der Jugendhilfeberechtigte hat einen öffentlich-rechtlichen<br />
Anspruch gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe, der die begehrte Leistung<br />
durch Verwaltungsakt bewilligt, den die Leistung erbringenden freien Träger<br />
bestimmt und zugleich erklärt, die anfallenden Kosten bzw. das Entgelt der Leistung<br />
zu übernehmen. Wenn der Jugendhilfeberechtigte die <strong>Erbringung</strong> der Leistung durch<br />
einen bestimmten freien Träger wünscht, wird mit der Erklärung der Kosten- oder<br />
Entgeltübernahme zugleich über die Angemessenheit seines Wunsches entschie-<br />
den. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe erfüllt also seine Leistungsverpflichtung<br />
durch diesen Verwaltungsakt 72 . Inhalt, Umfang und Qualität der zu erbringenden<br />
Leistung sowie die dafür zu entrichtende Vergütung werden in Anlehnung an das<br />
sozialhilferechtliche Grundmodell in den Leistungserbringungsvereinbarungen <strong>nach</strong><br />
§§ 77, 78a ff. zwischen den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe und den einzelnen<br />
Leistungserbringern bzw. deren Verbänden geregelt. Die Vereinbarungen haben<br />
Zulassungscharakter, was sich aus § 78b Abs. 1 SGB VIII ergibt. § 78b Abs. 3 und §<br />
5 Abs. 2 S. 2 SGB VIII enthalten (schlecht aufeinander abgestimmte)<br />
Öffnungsklauseln für die <strong>Erbringung</strong> der Leistung durch vereinbarungsungebundene<br />
Träger.<br />
Die skizzierte Leistungsabwicklung im Dreiecksverhältnis beschreibt keinen Idealfall,<br />
sondern ist rechtlich geboten. Das war lange Zeit anders, da die ältere Recht-<br />
71 Knut Hinrichs, Selbstbeschaffung im Jugendhilferecht, 2003, S. 238-269; Volker Neumann,<br />
Freiheitsgefährdung im kooperativen Sozialstaat, 1992, 212-235; ders., Zum Dreiecksverhältnis im<br />
Jugendwohlfahrtsrecht, RsDE 2 (1988), 45. Aus der Rechtsprechung: OVG Bremen 11. 12. 2002<br />
ZfJ 2003, 344, 345; OVG Münster 21. 8. 2001 NVwZ-RR 2001, 583, 584; OVG Münster 31. 5.<br />
2002 ZfJ 2003, 118.<br />
72 So auch im Ergebnis OVG Bremen 11. 12. 2002 ZfJ 2003, 344, 345; OVG Münster 21. 8. 2001<br />
NVwZ-RR 2001, 583, 584.<br />
23
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Erstattung der Kosten einer selbstbe-<br />
schafften Leistung als Regelfall zuließ 73 . Da<strong>nach</strong> konnte der Leistungsberechtigte die<br />
Hilfe bei einem freien Träger in Anspruch nehmen und beim Träger der öffentlichen<br />
Jugendhilfe die Rechnung zur Erstattung der Kosten vorlegen. Diese Recht-<br />
sprechung war in der Literatur auf Kritik gestoßen 74 . Das Bundesverwaltungsgericht<br />
ist im Urteil vom 28. 9. 2000 <strong>von</strong> ihr abgerückt und hat die Selbstbeschaffung als<br />
rechtlich unzulässig gewertet 75 . Die Literatur stimmt diesem Neuansatz überwiegend<br />
zu 76 . Streitbefangen ist nur, ob die Leistung beantragt werden muss oder die<br />
Kenntnis des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe genügt 77 . Es versteht sich, dass<br />
die Rechtsprechung Ausnahmen <strong>von</strong> der grundsätzlichen Unzulässigkeit der<br />
Selbstbeschaffung anerkennen wird bzw. schon hat, etwa bei einer rechtswidrigen<br />
Ablehnung der Leistung, bei Untätigkeit des Jugendamts oder in einem berechtigten<br />
Eilfall 78 .<br />
3. Arbeitsförderung (SGB III)<br />
Im Arbeitsförderungsrecht sind für die Arbeit der freien Träger insbesondere § 37a<br />
SGB III (Beauftragung Dritter mit der Vermittlung) 79 , § 37c SGB III (Personal-Service-<br />
Agentur), § 48 SGB III (Maßnahmen der Eignungsfeststellung, Trainingsmasßnah-<br />
men), §§ 59 ff. SGB III (Förderung der Berufsausbildung, insbesondere § 61 SGB III:<br />
Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen), §§ 240 ff. SGB III (Förderung der<br />
Berufsausbildung und begleitende Eingliederungshilfen) sowie § 421 i SGB III<br />
(Beauftragung <strong>von</strong> Trägern mit Eingliederungsmaßnahmen) relevant.<br />
73 Zur Entwicklung des Meinungsstandes Knut Hinrichs, Selbstbeschaffung im Jugendhilferecht,<br />
2003, S. 27-107; Sauer, Gutachten DV, NDV l999, 238, 241 f.<br />
74 Bieritz-Harder, Die Babyklappe, RsDE 46 (2000), 33, 41-45; Sauer, Gutachten DV, NDV l999,<br />
238, 241 f.; Neumann, Subventionen oder Leistungsentgelte?, RsDE 31 (1995), 42, 57-60.<br />
75 BVerwGE 112, 98.<br />
76 Busse, Das Antragserfordernis in der Jugendhilfe, RsDE 53 (2003), 43, 53 f.; Stähr,<br />
Leistungserbringung durch Träger der freien Jugendhilfe, ZfJ 2002, 449, 454 f.; Grube,<br />
Kostenerstattung für die selbstbeschaffte Jugendhilfeleistung, ZfJ 2001, 288, 290 f. Ablehnend<br />
Knut Hinrichs, Selbstbeschaffung im Jugendhilferecht, 2003, S. 237-301. Vgl. dazu meine<br />
Besprechung in RsDE 55 (2003), 78.<br />
77 M. E. ist BVerwGE 112, 98 an diesem Punkt zwar nicht ganz klar, die genaue Lektüre zeigt aber,<br />
dass die Richter diese Grundsatzfrage nicht en passant mitentscheiden wollten.<br />
78 OVG Münster 14. 3. 2003 ZfJ 2003, 487, 488 f.; VG Minden 13. 1. 2000 ZfJ 2000, 314 f.<br />
79 § 37 a SGB III ist zum 01.01.2004 weggefallen durch das Dritte Gesetz für moderne<br />
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt.<br />
24
a) Verhältnis leistungsberechtigter Bürger und Bundesagentur für Arbeit<br />
Neben Entgeltersatzleistungen enthält das SGB III Leistungen der aktiven<br />
Arbeitsförderung. Die Leistungen der aktiven Arbeitsförderung sind grundsätzlich als<br />
Ermessensleistung konzipiert. Die wenigen Ausnahmen sind in § 3 Abs. 5 SGB III<br />
aufgezählt. Der leistungsberechtigte Bürger hat daher gegen die Bundesagentur für<br />
Arbeit regelmäßig einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung und nur in<br />
wenigen Fällen einen Anspruch auf eine bestimmte Leistung. Eine dem Wunsch- und<br />
Wahlrecht des leistungsberechtigten Bürgers <strong>nach</strong> § 33 S. 2 SGB I entsprechende<br />
Norm kennt das SGB III nicht. Möglicherweise ist dieses Recht aber bei der<br />
Ausgestaltung der Ansprüche berücksichtigt worden. Im Einzelnen:<br />
Ein Anspruch besteht zum einen gem. § 35 SGB III für Ausbildungssuchende,<br />
Arbeitssuchende und Arbeitgeber auf Ausbildungs- oder Arbeitsvermittlung durch die<br />
Agentur für Arbeit. 80 Der Anspruch hat die Dienstleistung „Vermittlung“ als solche<br />
zum Inhalt, aber keinen konkreten Vermittlungserfolg. 81 Wie die Agentur für Arbeit die<br />
Vermittlungsaufgabe im Einzelnen durchführt, steht in ihrem Ermessen. 82 Sie kann<br />
<strong>nach</strong> § 37 a SGB III Dritte mit der Vermittlung beauftragen oder <strong>nach</strong> § 37 c SGB III<br />
Personal-Service-Agenturen (PSA) einrichten. Beauftragt die Agentur für Arbeit Dritte<br />
mit der Vermittlung und weist sie diesem Dritten Arbeitslose zu, kann der einzelne<br />
Arbeitslose gem. § 37 a Abs. 1 S. 2 SGB III der Zuweisung aus wichtigem Grund<br />
widersprechen, etwa bei erkennbarer Unzuverlässigkeit des Dritten, oder bei beson-<br />
deren Umständen im Verhältnis zwischen dem Arbeitslosen und dem Dritten. 83<br />
Andererseits kann die Initiative zur Einschaltung eines Dritten mit der Vermittlung<br />
auch vom Arbeitslosen ausgehen, vgl. § 37 a Abs. 2 SGB III. Im Rahmen dieses<br />
Verfahrens hat der Arbeitslose jedoch keinen Zugang zu dem Dritten und keinen<br />
Anspruch auf die Beauftragung eines bestimmten Dritten. 84 Vielmehr liegt es im<br />
Ermessen der Agentur für Arbeit, welchen Dritten sie <strong>nach</strong> § 37a SGB III mit der<br />
80<br />
vgl. auch Brand in Niesel, SGB III, § 35, Rdnr. 2.<br />
81<br />
Sienknecht in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 25,<br />
Rdnr. 29.<br />
82<br />
BSGE 58, 291, 297 f= SozR 4100 3 § 14 Nr. 5.<br />
83<br />
Brand in Niesel, SGB III, § 37 a, Rdnr. 2.<br />
84<br />
Die Möglichkeit einen bestimmten Dritten unabhängig <strong>von</strong> der Agentur für Arbeit selbst<br />
einzuschalten besteht für Arbeitslose bereits <strong>nach</strong> einer Arbeitslosigkeitsdauer <strong>von</strong> 3 Monaten.<br />
Dann nämlich haben sie gem. § 421 g SGB III Anspruch auf einen Vermittlungsgutschein mit dem<br />
sie einen Vermittlungsvertrag <strong>nach</strong> § 296 SGB III mit einem Vermittler ihrer Wahl eingehen<br />
können.<br />
25
Vermittlung des Arbeitslosen beauftragt. 85 Zwar schließt das Wunsch und Wahlrecht<br />
des Leistungsberechtigten <strong>nach</strong> § 33 SGB I auch die Auswahl des Leistungser-<br />
bringers mit ein. Dies ist aber durch § 37 a SGB III nicht gänzlich ausgeschlossen.<br />
Die Möglichkeit einen bestimmten Dritten unabhängig <strong>von</strong> der Agentur für Arbeit<br />
selbst einzuschalten besteht für Arbeitslose bereits <strong>nach</strong> einer Arbeitslosigkeitsdauer<br />
<strong>von</strong> 3 Monaten. Dann nämlich haben sie gem. § 421 g SGB III Anspruch auf einen<br />
Vermittlungsgutschein mit dem sie einen Vermittlungsvertrag <strong>nach</strong> § 296 SGB III mit<br />
einem Vermittler ihrer Wahl eingehen können. § 37 a SGB III steht ihrem Wunsch-<br />
und Wahlrecht daher nicht entgegen.<br />
Daneben haben Auszubildende einen Anspruch auf eine Berufsausbildungsbeihilfe<br />
während einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme <strong>nach</strong> § 59 SGB III i.V.m. §<br />
61 SGB III. Nach § 64 Abs. 2 SGB III wird verlangt, dass die Maßnahme zur Vorbe-<br />
reitung auf eine Berufsausbildung oder zur beruflichen Eingliederung erforderlich ist<br />
und die Fähigkeiten des Auszubildenden erwarten lassen, dass er das Ziel der<br />
Maßnahme erreicht. Um feststellen zu können, ob die Maßnahme für den<br />
Auszubildenden erforderlich ist, muss zunächst das Ziel festgelegt werden, dass<br />
durch die Förderung erreicht werden soll. Dieses ist anhand der Interessen und des<br />
Bedarfs des Auszubildenden zu ermitteln und dabei sind seine Wünsche zu ermitteln,<br />
wenn sie angemessen sind (§ 33 S. 2 SGB I). 86 Auch diese Regelung berücksichtigt<br />
also das Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen.<br />
Nach §§ 48 ff. können Arbeitslose und <strong>von</strong> Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmer<br />
bei Tätigkeiten und bei Teilnahme an Maßnahmen, die zur Verbesserung ihrer<br />
Eingliederungsaussichten beitragen, gefördert werden. Die Förderung einer<br />
Maßnahme setzt voraus, dass sie auf Vorschlag oder mit Einwilligung der Agentur für<br />
Arbeit erfolgt, § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB III. Da<strong>nach</strong> kann die Initiative zur Durchfüh-<br />
rung einer Maßnahme entweder <strong>von</strong> der Agentur für Arbeit ausgehen, indem sie dem<br />
Anspruchsberechtigten Maßnahmen vorschlägt, oder durch einen Antrag des<br />
Anspruchsberechtigten selbst erfolgen. In diesem Fall bedarf es der Einwilligung der<br />
Agentur für Arbeit. Ein Rechtsanspruch auf Förderung besteht jedoch nicht. 87 Die<br />
85<br />
Sienknecht in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 25,<br />
Rdnr. 61.<br />
86<br />
Niewald in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 3, Rdnr.<br />
107.<br />
87<br />
Stratmann in Niesel, SGB III, § 48, Rdnr. 9.<br />
26
Leistungen stehen <strong>nach</strong> dem Wortlaut der Vorschrift im Ermessen der Agentur für<br />
Arbeit. Dieses Ermessen ist auf zwei Stufen auszuüben, einmal dahingehend, ob die<br />
Förderung als solche gewährt wird und einmal hinsichtlich der Art und Höhe der<br />
Förderung. 88 Die zuständige Agentur für Arbeit verfügt damit sowohl über ein<br />
Entschließung- als auch über ein Auswahlermessen. 89 Für den Begünstigten besteht<br />
<strong>nach</strong> § 39 Abs. 1 S. 2 SGB I ein Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung des Er-<br />
messens. Die Maßnahmen müssen <strong>nach</strong> § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III insbesondere<br />
geeignet und angemessen sein. Bei der Beurteilung der Angemessenheit einer<br />
Maßnahme sind <strong>nach</strong> § 7 Abs. 1 SGB III wirtschaftliche Aspekte und individuelle<br />
Fähigkeiten der zu fördernden Personen zu berücksichtigen. Aus § 33 S. 2 SGB I<br />
folgt, dass den Wünschen des Berechtigten entsprochen werden soll, soweit sie<br />
angemessen sind.<br />
Grundsätzlich gilt für alle Leistungen der Arbeitsförderung das Antragserfordernis des<br />
§ 323 SGB III. Der Schenkel „Leistungsberechtigter – Sozialleistungsträger“ unter-<br />
scheidet sich damit kaum <strong>von</strong> dem vertrauten sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis.<br />
b) Verhältnis Bundesagentur für Arbeit - freier Träger<br />
Für die Beauftragung eines Dritten mit einer Vermittlungstätigkeit <strong>nach</strong> § 37 a SGB III<br />
enthält § 37 a Abs. 4 SGB III eine Kostenregelung, die besagt, dass für die Ver-<br />
mittlungstätigkeit des Dritten ein Honorar vereinbart werden kann und eine<br />
Pauschalierung zulässig ist. Die gleiche Kostenregelung findet sich in § 37 c Abs. 2<br />
S. 4 und 5 SGB III für die Tätigkeit der Personal-Service-Agenturen. Diese werden<br />
<strong>nach</strong> § 37 c Abs. 2 S. 1 SGB III in der Regel durch Vertrag zwischen der Agentur für<br />
Arbeit und bereits am Markt erlaubt tätigen Verleihern eingerichtet. Zwar ist unklar,<br />
ob hierbei ein zivilrechtlicher oder ein öffentlich-rechtlicher Vertrag gemeint ist, 90<br />
unabhängig da<strong>von</strong> gilt gem. § 37 c Abs. 2 S. 2 SGB III aber das <strong>Vergaberecht</strong>.<br />
Daraus könnte gefolgert werden, dass die Beauftragung Dritter <strong>nach</strong> § 37 a SGB III<br />
ebenfalls im Wege des <strong>Vergaberecht</strong>s erfolgt oder zumindest, dass die Vergütung<br />
88<br />
Vgl. dazu § 7 SGB III.<br />
89<br />
Bernard in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 9, Rdnr.<br />
55.<br />
90<br />
Kruse in Gagel, SGB III Arbeitsförderung, 20. EL Juli 2003, § 37 c, Rdnr. 12 f.<br />
27
auf gleiche Weise erfolgt. Nach § 37 c Abs. 2 S. 2 SGB III schließt die Agentur für<br />
Arbeit namens der Bundesagentur zur Errichtung einer Personal-Service-Agentur mit<br />
den Verleihern Verträge. Vertragsgegenstand ist die Einrichtung und der Betrieb<br />
einer PSA. Der Verleiher erhält ein Entgelt, das alle Leistungen der Agentur für Arbeit<br />
an die Personal-Service-Agentur umfasst. Weitere Leistungen der Arbeitsförderung<br />
wie z. B. Lohnkostenzuschüsse werden an die Personal-Service-Agentur nicht<br />
erbracht. 91 Auch bei Verträgen <strong>nach</strong> § 37 a SGB III kann der Vermittler eine<br />
Vergütung als Entgelt aufgrund seines Vertrages mit der Agentur für Arbeit erhalten<br />
(vgl. auch § 37 Abs. 3 n.F. SGB III 92 ).<br />
Nicht ausgeschlossen ist jedoch andererseits, dass eine Vermittlungsvergütung auch<br />
<strong>von</strong> Seiten des Arbeitslosen bzw. für den Arbeitslosen erfolgt. Dem Abschluss eines<br />
Vermittlungsvertrages <strong>nach</strong> § 296 SGB III steht nicht entgegen, dass § 296 SGB III in<br />
Abs. 3 hinsichtlich der Vergütung auf § 421 g SGB III verweist und § 421 g SGB III<br />
eine Vergütung ausschließt, wenn der Vermittler <strong>von</strong> einer Agentur für Arbeit mit der<br />
Vermittlung beauftragt worden ist (vgl. § 421 g Abs. 3 Nr. 1 SGB III). Denn § 296<br />
SGB III verweist nur bzgl. der Höhe der Vergütung auf § 421 g SGB III. Die<br />
Vorschrift sieht vielmehr auch für Arbeitssuchende, die keinen Anspruch auf einen<br />
Vermittlungsgutschein besitzen, eine Begrenzung des Honorars vor, um sie vor<br />
ungerechtfertigter Inanspruchnahme durch die privaten Arbeitsvermittler zu<br />
schützen. 93 Dass eine Beauftragung Dritter im Wege eines Vergabeverfahrens zu<br />
erfolgen hat ist daher keineswegs zwingend. Auch in § 37 a SGB III, bzw. in § 37 n.F.<br />
SGB III wäre der Abschluss <strong>von</strong> Leistungserbringungsverträgen daher möglich.<br />
Festzuhalten bleibt, dass das Gesetz nur in 37 c SGB III für die Leistungserbringung<br />
der freien Träger ein Vergabeverfahren vorsieht.<br />
Für berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen ergibt sich aus § 61 Abs. 1 Nr. 3 SGB<br />
III lediglich, dass die Maßnahme <strong>nach</strong> den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und<br />
Sparsamkeit geplant, im Auftrag der Agentur für Arbeit durchgeführt und die Kosten<br />
angemessen sein müssen. Zwar entstammen die Begriffe Wirtschaftlichkeit und<br />
91 So in der Gesetzesbegründung , BT-Drucks. 15/52, S. 28.<br />
92 § 37 n.F. SGB III entspricht inhaltlich § 37 a SGB III, der durch das dritte Gesetz für moderne<br />
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt weggefallen ist.<br />
93 BT-Drucks. 14/8546, S. 7.<br />
28
Sparsamkeit dem öffentlichen Haushaltsrecht, dies besagt aber noch nichts über die<br />
Art der Leistungserbringung. Auch die §§ 59-76a SGB III enthalten keine weiteren<br />
Regelungen zur Leistungserbringung. Ob der Hinweis in § 61 Abs. 1 Nr. 3 SGB III auf<br />
die Durchführung der Maßnahme „im Auftrag der Agentur für Arbeit“ ein Indiz dafür<br />
sein kann, dass ein öffentlicher Auftrag i.S.v. § 99 GWB besteht, erscheint<br />
zweifelhaft. Ein öffentlicher Auftrag im Sinne des europäischen <strong>Vergaberecht</strong>s ist<br />
immer ein synallagmatischer und damit zweiseitig verpflichtender Vertrag. Ein<br />
Auftrag im Sinne des deutschen Zivilrechts kennzeichnet gerade einen einseitig<br />
verpflichtenden Vertrag. Wenn das Gesetz daher allgemein nur <strong>von</strong> einem Auftrag<br />
spricht, kann daraus nicht zwingend geschlossen werden, dass hiermit ein<br />
öffentlicher Auftrag gemeint sein soll. Gerade weil die Rechtsnatur beider Verträge<br />
unterschiedlich ist, kann ein öffentlicher Auftrag nur dann angenommen werden,<br />
wenn er als solcher hinreichend genau bezeichnet ist oder wenn die Rechtsnatur des<br />
Vertrages klar erkennbar ist und damit einen eindeutigen Rückschluss erlaubt.<br />
Beides ist vorliegend jedoch nicht der Fall.<br />
Ebenso enthält das Gesetz auch für Eingliederungsmaßnahmen <strong>nach</strong> §§ 48 ff. SGB<br />
III keine Regelung im Hinblick auf die Leistungserbringung. Für Eingliederungs-<br />
maßnahmen können <strong>nach</strong> § 48 Abs. 1 S. 2 SGB III zwar die Maßnahmekosten (§ 50<br />
SGB III) übernommen werden. Hiermit ist jedoch nicht die Leistungserbringung des<br />
Trägers gemeint, sondern nur die Sozialleistung an sich, die an den Arbeitslosen<br />
erfolgt.<br />
Leistungserbringungsrechtliche Regelungen finden sich hingegen in §§ 240 ff. SGB<br />
III und § 421 i SGB III.<br />
§ 240 SGB III bestimmt, dass Träger <strong>von</strong> Maßnahmen der beruflichen Ausbildung<br />
durch Zuschüsse gefördert werden können. Welche Maßnahmen und welche<br />
Auszubildenden förderungsfähig und –bedürftig sind, bestimmt sich <strong>nach</strong> §§ 241 f.<br />
SGB III. Für Träger können <strong>nach</strong> § 243 SGB III Zuschüsse zur Ausbildungsvergü-<br />
tung, die Maßnahmekosten sowie sonstige Kosten als Leistung seitens der BA<br />
erbracht werden. Wie die Kosten im Einzelnen <strong>von</strong> der BA übernommen werden,<br />
regelt das SGB III im Detail jedoch nicht. Die Förderung <strong>nach</strong> §§ 240 ff. SGB III ist<br />
29
als Ermessensleistung ausgestaltet. Ein Rechtsanspruch der Träger auf Förderung<br />
besteht also nicht. Die Leistungen werden auf Antrag gewährt.<br />
Schließlich regelt § 421 i Abs. 1 SGB III, dass die Agentur für Arbeit Träger <strong>nach</strong><br />
einem wettbewerblichen Vergabeverfahren mit der Durchführung <strong>von</strong> Maßnahmen<br />
beauftragen kann. Aus § 421 i Abs. 3 SGB III ergibt sich, dass ein Entgelt vertraglich<br />
zu vereinbaren ist und sich die Höhe des Entgelts <strong>nach</strong> den Aufwendungen des<br />
Trägers für die Durchführung der Maßnahme und dem Eingliederungserfolg bemisst.<br />
Zudem kann <strong>nach</strong> § 421 i Abs. 3 S. 2 SGB III für eine erfolgreiche Eingliederung ein<br />
Honorar vereinbart werden. Die Norm bezieht sich in erster Linie auf die<br />
Rechtstellung zwischen der Bundesagentur und den Trägern. Zwischen beiden soll<br />
ein sog. Integrationsvertrag 94 geschlossen werden. Dieser regelt den Erfolg der<br />
Maßnahme, z.B. die zu erreichende Eingliederungsquote und das Entgelt der Träger,<br />
das sich in seiner Höhe <strong>nach</strong> den Aufwendungen für die Durchführung der<br />
Maßnahme richtet, § 421 i Abs. 3 SGB III. Sofern die Quote zeitlich oder <strong>von</strong> der<br />
Teilnehmermenge her über- oder unterschritten wird, ist entweder <strong>von</strong> der Agentur<br />
für Arbeit ein Bonus oder vom Träger eine Vertragsstrafe zu zahlen. 95 Auch wenn die<br />
Rechtsnatur des Vertrages nicht eindeutig geklärt ist, zeigen die Regelungen<br />
deutlich, dass es sich hier um einen entgeltlichen Vertrag handelt.<br />
Der Anwendungsbereich <strong>von</strong> § 421 i SGB III ist einerseits weit und andererseits eng.<br />
Er ist weit, weil die Norm sich auf alle Maßnahmen des SGB III erstreckt, welche die<br />
Eignungsvoraussetzungen <strong>von</strong> Absatz 1 Nr. 1 erfüllen. Er ist eng, weil die Norm eine<br />
zeitlich befristete Experimentierklausel ist. Es sollen Erfahrungen mit der Vergabe<br />
<strong>von</strong> Maßnahmen gesammelt werden. Daraus folgt, dass § 421 i SGB III nicht zu<br />
einem flächendeckenden Umbau des Leistungserbringungsrechts in ein<br />
vergaberechtliches Modell ermächtigt.<br />
Zusammenfassend ist festzustellen, dass das SGB III den Abschluss <strong>von</strong><br />
Rahmenverträgen nicht explizit vorschreibt. Der „leistungserbringungsrechtliche“<br />
Schenkel kann daher nicht ohne weiteres mit dem sozialrechtlichen Grundmodel<br />
gleichgesetzt werden.<br />
94 So die Formulierung in der Gesetzesbegründung: BT-Drucks. 15/25, S. 33 f.<br />
95 Spellbrink in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 23a,<br />
Rdnr. 17.<br />
30
c) Dreiecksverhältnis oder „Einkaufsmodell“?<br />
Durch die Anordnung <strong>von</strong> Vergabeverfahren in § 37 c und § 421 i SGB III wird in<br />
den beschriebenen Grenzen die Leistungserbringung in Form <strong>von</strong> Verträgen über<br />
bestimmte Leistungskontingente geregelt. Der Staat „kauft“ dabei notwendige<br />
Ressourcen zur Erfüllung seiner öffentlichen Aufgaben durch den Abschluss <strong>von</strong><br />
Leistungsverträgen mit Dritten ein und das Entgelt ist der zu zahlende Preis als<br />
Gegenleistung. 96 Unschädlich ist dabei, dass nicht die einzelnen Maßnahmen<br />
ausgeschrieben werden, sondern die erfolgreiche Eingliederung <strong>von</strong> Teilnehmern als<br />
Zielvorgabe, etwa in Form einer Eingliederungsquote, deren Erreichen der Träger als<br />
Vertragspartner zusagt. Die Norm bezweckt die Eingliederung <strong>von</strong> Arbeitslosen<br />
durch Abschluss eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. 97<br />
Durch die bloße Zielvorgabe ist das neue Instrument in erster Linie wirkungsorientiert<br />
und nicht inhaltsorientiert. 98 Träger werden dadurch mit der Ausschreibung<br />
aufgefordert, Konzepte zur Eingliederung bestimmter vorgegebener Gruppen <strong>von</strong><br />
Arbeitslosen vorzulegen. Wenn so Verträge über Leistungskontingente abge-<br />
schlossen werden, ist kein Dreiecksverhältnis gegeben.<br />
Zu klären bleibt das Rechtsverhältnis bei den übrigen zu untersuchenden Normen.<br />
Wie bereits festgestellt wurde ist die Leistungserbringung im SGB III nicht aus-<br />
drücklich und eindeutig geregelt worden.<br />
Der ausdrückliche Verweis auf das <strong>Vergaberecht</strong> in §§ 37 c und 421 i SGB III lässt<br />
im Umkehrschluss darauf schließen, dass in anderen Fällen kein „Einkaufsmodell“<br />
vorgesehen ist. Der Ausnahmecharakter dieser Art <strong>von</strong> Verträgen (über Leistungs-<br />
kontingente) wird dadurch deutlich, dass § 421 i SGB III eine „Experimentierklausel“<br />
darstellt. Die Regelung wurde zunächst nur für einen Erprobungszeitraum eingeführt,<br />
nämlich für Maßnahmen, die bis zum 31. Dezember 2005 begonnen haben. Der<br />
Gesetzgeber geht da<strong>von</strong> aus, dass in dem Maße, in dem das neue Förderinstrument<br />
positive Wirkungen zu wirtschaftlichen Bedingungen erzielt, d.h. hohe Eingliede-<br />
96<br />
Vgl. dazu Neumann/Bieritz-Harder, Vergabe öffentlicher Aufträge in der Sozial- und Jugendhilfe?<br />
RsDE 48/2001, 1, 18.<br />
97<br />
Spellbrink in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 23a,<br />
Rdnr. 9.<br />
98<br />
Gesetzesbegründung: BT-Drucks. 15/25, S. 33 f.; Spellbrink in Spellbrink/Eicher, Kasseler<br />
Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 23a, Rdnr. 10.<br />
31
ungserfolge erreicht, bei den Arbeitsämtern zumindest teilweise an die Stelle der<br />
sonst üblicherweise genutzten Instrumente treten wird. 99 Aus der Gesetzesbegrün-<br />
dung wird damit deutlich, dass sonst andere Instrumente als das Vergabeverfahren<br />
üblich sind. Wenn Vergabeverfahren also erst erprobt werden sollen ist es nahe<br />
liegend, bei allen anderen Maßnahmen gerade nicht vom sog. „Einkaufsmodell“ aus-<br />
zugehen.<br />
Darüber hinaus gewährleistet die Leistungserbringung im Dreiecksverhältnis nicht<br />
nur die optimalste Beteiligung freier Träger, die § 17 Abs. 3 SGB I gebietet, sondern<br />
berücksichtigt auch die Wunsch und Wahlrechte der Leistungsberechtigten aus § 33<br />
S. 2 SGB I.<br />
Das Dreiecksverhältnis selbst ist dem SGB III nicht fremd, sondern eindeutig bei der<br />
Förderung der beruflichen Weiterbildung, im Zusammenhang mit Bildungsgut-<br />
scheinen <strong>nach</strong> §§ 77 ff. SGB III angelegt. Da<strong>nach</strong> erhält der Arbeitnehmer einen<br />
Bildungsgutschein, mit dem er sich einen Träger für die <strong>Erbringung</strong> der Leistung<br />
aussuchen kann. Nach § 77 Abs. 3 SGB III legt der ausgewählte Träger vor Beginn<br />
der Maßnahme der Agentur für Arbeit den Bildungsgutschein vor und diese<br />
übernimmt die Kosten.<br />
Letztendlich spricht vieles dafür, auch im SGB III das sozialrechtliche Dreiecksver-<br />
hältnis dort anzunehmen, wo eine gegenteilige Regelung fehlt.<br />
4. Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II)<br />
a) Leistungen und Leistungsträger<br />
aa) Agenturen für Arbeit<br />
Die Agenturen für Arbeit können gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 SGB II als Leistungen zur<br />
Eingliederung alle im Dritten Kapitel, im Ersten bis Siebten Abschnitt des Vierten<br />
Kapitels, im Ersten und Zweiten Abschnitt des Fünften Kapitels sowie die im Ersten,<br />
99 Gesetzesbegründung: BT-Drucks. 15/25, S. 34.<br />
32
Fünften und Siebten Abschnitt des Sechsten Kapitels und die in den §§ 417, 421g,<br />
421i, 421k und 421l des Dritten Buches (SGB III) geregelten Leistungen erbringen.<br />
Relevant für die Arbeit der freien Träger sind insbesondere § 37a SGB III<br />
(Beauftragung Dritter mit der Vermittlung), § 37c SGB III (Personal-Service-Agentur),<br />
§ 48 SGB III (Maßnahmen der Eignungsfeststellung, Trainingsmaßnahmen), §§ 59 ff.<br />
SGB III (Förderung der Berufsausbildung, hier insbesondere § 61 SGB III (Berufs-<br />
vorbereitende Bildungsmaßnahmen), §§ 240 ff. SGB III (Förderung der Berufsausbil-<br />
dung und Eingliederungshilfen, die die Beschäftigung begleiten) sowie § 421i SGB<br />
III (Beauftragung <strong>von</strong> Trägern mit Eingliederungsmaßnahmen).<br />
bb) Kommunen als „geborene“ Leistungsträger<br />
§ 16 Abs. 2 SGB II erweitert das Leistungsspektrum. Da<strong>nach</strong> können weitere<br />
Leistungen erbracht werden, die für die Eingliederung des erwerbsfähigen Hilfebe-<br />
dürftigen in das Erwerbsleben erforderlich sind. Dazu gehören diese für freie Träger<br />
besonders relevanten Leistungen: Die Betreuung minderjähriger oder behinderter<br />
Kinder oder die häusliche Pflege <strong>von</strong> Angehörigen (§ 16 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 SGB II),<br />
die Schuldnerberatung (Nr. 2), die psychosoziale Betreuung (Nr. 3) und die Sucht-<br />
beratung (Nr. 4). Träger dieser Leistungen sind gemäß § 6 Nr. 2 SGB II die<br />
kreisfreien Städte und Kreise (kommunale Träger).<br />
cc) Kommunen als „selbsterkorene“ Leistungsträger<br />
Der Vermittlungsausschuss hat die „Option kommunaler Trägerschaft“ (§ 6a SGB II)<br />
durchgesetzt. Da<strong>nach</strong> sind die kreisfreien Städte und Kreise auf ihren Antrag und mit<br />
Zustimmung der zuständigen obersten Landesbehörde anstelle der Agenturen für<br />
Arbeit vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit durch Rechtsverordnung als<br />
Träger der Aufgaben <strong>nach</strong> SGB II zuzulassen. Das Nähere soll ein Bundesgesetz<br />
regeln.<br />
Es liegt auf der Hand, dass keine Kommune <strong>von</strong> dieser Option Gebrauch machen<br />
würde, wenn die Aufgaben aus dem Gemeindehaushalt finanziert werden müssten.<br />
Deshalb bestimmt § 46 Abs. 1 S. 3 SGB II, dass das erwähnte Bundesgesetz in den<br />
Fällen des § 6a SGB II die Finanzierung so regeln soll, wie die Sätze 1 und 2 die<br />
33
Finanzierung der Bundesagentur regeln: Der Bund trägt die Aufwendungen und<br />
erstattet die Verwaltungskosten. Der Entwurf „Kommunales Optionsgesetz“ vom 25.<br />
2. 2004 sieht in § 46 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB II vor, dass der Bund die Aufwendungen<br />
der zugelassenen kommunalen Träger trägt und ihnen die Verwaltungskosten<br />
erstattet. Das ist eine verfassungsrechtlich brisante Regelung. Denn der Bund darf<br />
den Kommunen, die ja Bestandteil der Länder sind, unmittelbar keine Zuwendungen<br />
gewähren 100 . Daran ändert Art. 104a Abs. 3 GG nichts, der bestimmt, dass bei<br />
Leistungsgesetzen der Bund die Geldleistungen zu tragen hat. Denn diese Regelung<br />
betrifft das Verhältnis Bund-Länder und nicht das Verhältnis Bund-Gemeinden. Art.<br />
104a Abs. 4 GG und Art. 106 Abs. 8 S. 1 GG sind zwei Ausnahmen <strong>von</strong> dem Grund-<br />
satz, dass der Bund keine Ausgaben der Gemeinden refinanzieren darf. Beide<br />
Ausnahmen sind hier nicht einschlägig.<br />
Dem Vermittlungsausschuss verdankt sich eine weitere Bestimmung, nämlich die<br />
Einrichtung <strong>von</strong> Arbeitsgemeinschaften, die die Aufgaben der Agentur für Arbeit<br />
wahrnehmen. § 44b Abs. 3 S. 2 SGB II bestimmt, dass die kommunalen Träger der<br />
Arbeitsgemeinschaft „die Wahrnehmung ihrer Aufgaben <strong>nach</strong> diesem Buch<br />
übertragen (sollen)“. Die für eine verwaltungsorganisationsrechtliche Regelung<br />
seltene Wortwahl „sollen“ zeigt an, dass dem Gesetzgeber bei dieser Regelung<br />
unwohl war. In der Tat ist die organisatorische Zwangsverbindung einer kommunalen<br />
Selbstverwaltungskörperschaft mit einer Bundesagentur in Ansehung <strong>von</strong> Art. 28<br />
Abs. 2 GG staatsorganisationsrechtlich delikat. Jedenfalls muss § 44b Abs. 3 S. 2<br />
SGB II so gelesen werden, dass zu den „Aufgaben <strong>nach</strong> diesem Buch“ nicht die<br />
originären Aufgaben <strong>nach</strong> § 16 Abs. 2 SGB II gehören.<br />
b) Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung und Wunsch- und<br />
Wahlrecht<br />
§ 16 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 SGB II stellen ausdrücklich klar, dass es sich bei<br />
allen genannten Leistungen um Ermessensleistungen handelt. Deshalb ist der<br />
Agentur für Arbeit auch dann Ermessen eingeräumt, wenn das SGB III ausnahms-<br />
weise einen Rechtsanspruch auf die Maßnahme gewährt. Gemäß § 39 Abs. 1 S. 1<br />
SGB I haben die Agenturen für Arbeit bzw. die kommunalen Träger ihr Ermessen<br />
100 BVerfGE 39, 96, 122; 41, 291, 313 f.<br />
34
entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen<br />
Grenzen des Ermessens einzuhalten. Satz 2 gewährt den Begünstigten einen<br />
Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens, so dass nicht auf die<br />
Schutznormtheorie zurückgegriffen werden muss. Den Wünschen der Berechtigten<br />
„soll“ gemäß § 33 S. 2 SGB I entsprochen werden, soweit sie angemessen sind.<br />
Auch hier gilt der Grundsatz, dass im Regelfall die gesollte Handlung vorzunehmen<br />
ist und nur beim Vorliegen atypischer Umstände da<strong>von</strong> abgewichen werden darf. §<br />
37 Abs. 1 SGB II bestimmt, dass die Leistungen der Grundsicherung auf Antrag<br />
erbracht werden. Aus § 39 SGB II folgt, dass über den Antrag durch Verwaltungsakt<br />
entschieden wird. Der Schenkel „Leistungsberechtigter – Sozialleistungsträger“<br />
unterscheidet sich nicht <strong>von</strong> dem vertrauten sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis.<br />
c) Träger der Leistungen – freie Träger<br />
aa) Ein Redaktionsversehen<br />
§ 17 SGB II in der derzeit geltenden Fassung regelt das Verhältnis der Agenturen für<br />
Arbeit zu den Einrichtungen und Diensten für Leistungen zur Eingliederung. Es fällt<br />
auf, dass die kommunalen Träger keine Erwähnung finden. Es handelt sich um ein<br />
Redaktionsversehen. Der Regierungsentwurf ging noch da<strong>von</strong> aus, dass für die<br />
Leistungen des SGB II ausschließlich die Agenturen für Arbeit zuständig sind. Erst<br />
durch den Vermittlungsausschuss wurden die geltenden Zuständigkeitsregelungen<br />
der §§ 6 und 6a SGB II eingefügt. Der Entwurf des „Kommunalen Optionsgesetzes“<br />
ersetzt denn auch die Wörter „die Agenturen für Arbeit“ durch die Wörter „die<br />
zuständigen Träger der Leistungen <strong>nach</strong> diesem Buch“.<br />
bb) Institutioneller Vorrang<br />
§ 17 Abs. 1 S. 1 SGB II trifft eine Regelung, die sich an § 75 Abs. 2 S. 1 SGB XII<br />
orientiert: Die zuständigen Träger der Leistungen sollen zur <strong>Erbringung</strong> <strong>von</strong><br />
Leistungen zur Eingliederung in Arbeit eigene Einrichtungen und Dienste nicht neu<br />
schaffen, soweit geeignete Einrichtungen und Dienste Dritter vorhanden sind, ausge-<br />
baut oder in Kürze geschaffen werden können. Der Regierungsentwurf spricht <strong>von</strong><br />
einem „Zurückhaltungsgebot“ und bestimmt die „Dritten“ als kommunale Träger und<br />
35
Träger der freien Wohlfahrtspflege, „aber auch“ als „sonstige Träger“ 101 . Die<br />
Nennung der kommunalen Träger als „Dritte“ machte nur Sinn, solange die Agentur<br />
für Arbeit ausschließlicher Leistungsträger war. Dritte sind heute nur noch die freie<br />
Wohlfahrtspflege und die „sonstigen Träger“.<br />
cc) Leistungserbringungsvertrag<br />
§ 17 Abs. 2 SGB II entspricht § 75 Abs. 3 S. 1 und 2 SGB XII. Die Grundregel in Satz<br />
1 lautet, dass die zuständigen Träger der Leistungen zur Vergütung für die Leistung<br />
nur verpflichtet sind, wenn mit dem Dritten oder seinem Verband die genannten<br />
Vereinbarungen bestehen, die – Satz 2 – den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit,<br />
Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit entsprechen müssen. Damit wird das sozial-<br />
rechtliche Dreiecksverhältnis als Grundmodell der Leistungsabwicklung in den Rege-<br />
lungsbereich des SGB II übernommen: Der Leistungsträger gewährt die Leistung<br />
durch Bewilligungsbescheid (Erklärung der Kostenübernahme). Der Leistungsbe-<br />
rechtigte schließt mit dem Leistungserbringer einen privatrechtlichen Vertrag. Die<br />
Rechtsbeziehungen zwischen Leistungsträger und –erbringer werden in einem<br />
Leistungserbringungsvertrag geregelt.<br />
Dem steht nicht entgegen, dass § 17 Abs. 2 SGB II im Vergleich mit §§ 75-81 SGB<br />
XII eine recht rudimentäre Regelung ist und insbesondere eine mit § 77 SGB XII<br />
vergleichbar dichte Regelung des Abschlusses der Vereinbarungen fehlt. Die bis zum<br />
„Haushaltsbegleitgesetz 1984“ geltende Regelung des § 93 Abs. 2 BSHG a. F. war<br />
noch rudimentärer: „Werden im Einzelfall Einrichtungen anderer Träger in Anspruch<br />
genommen, sind Vereinbarungen über die <strong>von</strong> den Trägern der Sozialhilfe zu<br />
erstattenden Kosten anzustreben, soweit darüber keine landesrechtlichen<br />
Vorschriften bestehen“. Die Kargheit dieser Norm hatte die Rechtsprechung nicht<br />
gehindert, die Grundlinien der heute noch geltenden Dogmatik des Leistungser-<br />
bringungsrechts der Sozialhilfe zu entwickeln: Vereinbarung als öffentlich-rechtlicher<br />
Vertrag, Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung über den Abschluss einer<br />
Vereinbarung, keine Angebotssteuerung durch Bedarfsprüfung, aber auch keine<br />
Belegungsgarantie 102 . Es ist zu erwarten, dass die künftige Rechtsprechung zu § 17<br />
101 BT-Drucks. 15/1516, S. 55.<br />
102 Grundlegend OVG Hamburg 12. 9. 1980 FEVS 31 (1981), 404.<br />
36
Abs. 2 SGB II auf diese Grundlinien zurückgreifen und auch Anleihen bei §§ 75 ff.<br />
SGB XII, in denen diese Grundlinien verarbeitet sind, machen wird.<br />
dd) Ausnahmen vom Abschluss <strong>von</strong> Leistungserbringungsverträgen<br />
§ 17 Abs. 2 S. 1 SGB II ordnet eine Ausnahme vom Abschluss <strong>von</strong> Vereinbarungen<br />
für den Fall an, dass im SGB III Anforderungen geregelt sind, „denen die Leistung<br />
entsprechen muss“. Eine strikt am Wortlaut orientierte Auslegung führt zu einem<br />
sinnlosen Ergebnis, da jede Sozialleistung <strong>von</strong> der Erfüllung irgendwelcher Anforde-<br />
rungen abhängig ist. Das folgt bereits aus dem sozialrechtlichen Vorbehalt des<br />
Gesetzes (§ 31 SGB I). In der Begründung des Regierungsentwurfs heißt es hierzu:<br />
„Erfüllen Dritte Aufgaben <strong>nach</strong> dem Dritten Buch, bedarf es keiner Vereinbarung<br />
<strong>nach</strong> dieser Vorschrift“. Nun sind aber alle Leistungen <strong>nach</strong> § 16 Abs. 1 SGB II<br />
solche des SGB III und bei den Leistungen <strong>nach</strong> § 16 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 und 6 SGB II<br />
werden keine Vereinbarungen abgeschlossen. Auch auf § 16 Abs. 3 SGB II passt die<br />
Vorschrift nicht. Die einzige Auslegung, die der Ausnahmeregelung einen Anwen-<br />
dungsbereich sichert, ist diese: Die Pflicht zur Vergütung und der damit verbundene<br />
Abschluss <strong>von</strong> Vereinbarungen gilt nicht, wenn das SGB III Anforderungen regelt,<br />
denen die <strong>Erbringung</strong> der Leistung entsprechen muss. Wenn also die Leistungs-<br />
erbringung im SGB III ausdrücklich geregelt ist, gehen diese Regelungen dem § 17<br />
Abs. 2 SGB II vor.<br />
Es wurde dargelegt, dass bei den Leistungen <strong>nach</strong> § 37a SGB III der Abschluss <strong>von</strong><br />
Leistungserbringungsverträgen möglich ist (A IV 3 b). § 37a SGB III und § 17 Abs. 2<br />
SGB II ergänzen sich.<br />
§ 48 Abs. 1 S. 2 SGB III spricht zwar <strong>von</strong> einer „Übernahme <strong>von</strong> Maßnahmekosten“,<br />
meint damit aber die Leistung an den Arbeitslosen 103 . Da die Leistungserbringung<br />
nicht geregelt ist, sind Vereinbarungen <strong>nach</strong> § 17 Abs. 2 SGB II abzuschließen.<br />
Was die Leistungen <strong>nach</strong> §§ 59-76a SGB III anbelangt, so könnten die Worte „im<br />
Auftrag der Agentur für Arbeit“ in § 61 Nr. 3 SGB III eine leistungserbringungs-<br />
103 § 79 Abs. 2 s. 1 SGB III bestimmt, dass die Agentur für Arbeit Weiterbildungskosten unmittelbar<br />
an den Träger der Maßnahme auszahlen kann. Diese Bestimmung bestätigt, dass die Übernahme<br />
<strong>von</strong> Kosten die Sozialleistung betrifft, aber nicht die Leistungserbringung.<br />
37
echtliche Bestimmung sein. Dass das Wort „Auftrag“ nicht als „öffentlicher Auftrag“<br />
im Sinne <strong>von</strong> § 99 GWB verstanden werden darf, wurde oben dargelegt (A IV 3 b).<br />
Der 5. Abschnitt des 4. Kapitels handelt über Leistungen und vermeidet geflissentlich<br />
Aussagen zur Leistungserbringung. Das spricht dafür, auch das Wort „Auftrag“ im<br />
Sinne eines „Auftrags“ im konkreten Einzelfall zu verstehen. Der „Auftrag“ im Sinne<br />
<strong>von</strong> § 61 Nr. 3 SGB III hat also die Funktion, die im sozialrechtlichen Dreieck der<br />
Kostenzusage zukommt. Also ist ein Abschluss <strong>von</strong> Leistungserbringungsverträgen<br />
<strong>nach</strong> § 17 Abs. 2 SGB II angezeigt.<br />
§ 421i Abs. 1 SGB III bestimmt, dass die Agentur für Arbeit Träger <strong>nach</strong> einem<br />
wettbewerbsrechtlichen Vergabeverfahren mit der Durchführung <strong>von</strong> Maßnahmen<br />
beauftragen „kann“. Das damit eingeräumte Ermessen muss pflichtgemäß ausgeübt<br />
werden. Zu entscheiden ist, ob das Vergabeverfahren durchgeführt wird oder<br />
Leistungserbringungsverträge <strong>nach</strong> § 17 Abs. 2 SGB II abgeschlossen werden.<br />
Zweck der Regelung ist, der Arbeitsverwaltung zu ermöglichen, Erfahrungen mit<br />
Vergabeverfahren zu sammeln. Dabei ist andererseits aber immer auch zu prüfen, ob<br />
und wie die Rechte der Leistungsberechtigten und die Grundrechte der freien Träger<br />
gewahrt werden können. § 421i SGB III ist jedenfalls keine Ermächtigung zu einer<br />
flächendeckenden Vergabepraxis.<br />
Eine ausdrückliche leistungserbringungsrechtliche Regelung, die für einen Abschluss<br />
<strong>von</strong> Verträgen <strong>nach</strong> § 17 Abs. 2 SGB II keinen Raum lässt, ist § 37c Abs. 2 S. SGB<br />
III, der die Geltung des <strong>Vergaberecht</strong>s vorschreibt.<br />
Auch die §§ 240, 248 SGB III regeln die Leistungserbringung, wenn auch in etwas<br />
zweifelhafter Weise (Förderung der Maßnahmeträger durch Zuschüsse, deren<br />
Gewährung im „Kann-Ermessen“ der Arbeitsverwaltung steht) 104 . Also ist auch hier §<br />
17 Abs. 2 SGB II nicht anwendbar.<br />
Der Entwurf des „Kommunalen Optionsgesetzes“ ersetzt auch in § 17 Abs. 2 SGB II<br />
die Wörter „Agentur für Arbeit“ durch die Wörter „Träger der Leistungen <strong>nach</strong> diesem<br />
Buch“. Wenn diese Änderung Gesetz wird, sind auch die zugelassenen kommunalen<br />
104 Bernard in: Wolfgang Spellbrink / Wolfgang Eicher (Hrsg.), Kassler Handbuch des<br />
Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 17 Rn. 50 berichtet, dass die „Fehlbedarfsfinanzierung“<br />
praktiziert werde.<br />
38
Träger bei den Leistungen <strong>nach</strong> § 16 Abs. 1 SGB II in gleichem Umfang wie die<br />
Agentur für Arbeit vom Abschluss <strong>von</strong> Vereinbarungen freigestellt.<br />
ee) Anspruch auf Abschluss einer Leistungserbringungsvereinbarung<br />
Wenn das SGB III dem Abschluss <strong>von</strong> Vereinbarungen nicht entgegensteht, ist die<br />
Übernahme der Vergütung für die Leistung vom Bestehen einer Vereinbarung<br />
abhängig. Vereinbarungen dienen der Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit der<br />
<strong>Erbringung</strong> der Leistung im Interesse sowohl des Sozialleistungsträgers als auch des<br />
Sozialleistungsberechtigten. Sie dienen aber in gleichem Maße dem Interesse des<br />
freien Trägers. Dies schon deshalb, weil sie die Abrechnung zwischen dem Sozial-<br />
leistungsträger und dem freien Träger erleichtern und ihren Rechtsbeziehung eine<br />
gewisse Dauer, Berechenbarkeit und Verlässlichkeit verleihen 105 . Vor allem ist der<br />
Abschluss einer Vereinbarung die Voraussetzung für die Ausübung des Berufes.<br />
Deshalb hat der freie Träger einen Rechtsanspruch auf den Abschluss einer<br />
Vereinbarung, wenn er für die <strong>Erbringung</strong> der Leistung geeignet ist.<br />
ff) Institutionelle Förderung<br />
§ 17 Abs. 1 S. 2 SGB II, wo<strong>nach</strong> die Träger der Leistungen die Träger der freien<br />
Wohlfahrtspflege in ihrer Tätigkeit auf dem Gebiet der Grundsicherung für<br />
Arbeitsuchende angemessen unterstützen sollen, geht auf einen Beschluss des<br />
Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit zurück 106 . Die Vorschrift bestätigt, dass das<br />
SGB II das sozialhilferechtliche Modell der Kooperation <strong>von</strong> öffentlichen und freien<br />
Trägern jedenfalls in seinen Grundrissen übernimmt. Mit der Formulierung „ihrer<br />
Tätigkeit“ wird die Anerkennung als Träger eigener sozialer Aufgaben ausge-<br />
sprochen. Die Unterstützungspflicht kommt auch dort zum Tragen, wo das SGB III<br />
lediglich Zuschüsse an die Maßnahmeträger vorsieht. Die Unterstützung steht – im<br />
Unterschied etwa zur Kann-Bestimmung des § 240 SGB III – im Soll-Ermessen der<br />
Agentur für Arbeit. Wenn nicht atypische Umstände vorliegen, bedeutet das Soll ein<br />
Muss 107 .<br />
105 BVerwGE 94, 202, 207 = RsDE 25 (1994), 70, 72.<br />
106 BT-Drucks. 15/1728, S. 181.<br />
107 BVerwGE 90, 275, 278; 64, 318, 323; 56, 220, 223.<br />
39
5. Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen<br />
a) Leistungsberechtigter behinderter Mensch – Agentur für Arbeit<br />
Der Siebte Abschnitt des Dritten Kapitels des SGB III enthält in den §§ 97-115 SGB<br />
III zahlreiche Leistungen für behinderte Menschen. Die §§ 97 ff. SGB III wurden<br />
durch Art. 3 SGB IX vom 19. 6. 2001 bereinigt und an den Sprachgebrauch des SGB<br />
IX angepasst. Die Leistungen sind – was in der Literatur nicht unbestritten ist 108 – als<br />
Ermessensleistungen gestaltet (§§ 97, 98 SGB III). Auf die pflichtgemäße Ausübung<br />
des Ermessens besteht ein Rechtsanspruch (§ 39 Abs. 1 S. 2 SGB I). Ein Teil dieser<br />
Leistungen wird <strong>von</strong> freien Trägern erbracht.<br />
§ 33 SGB I normiert in Satz 1 das Individualisierungsprinzip und in Satz 2 das<br />
Wunsch- und Wahlrecht. § 9 Abs. 1 SGB IX hat hingegen die entgegengesetzte<br />
Regelungstechnik: Satz 1 regelt das Wunsch- und Wahlrecht, die Sätze 2 und 3<br />
schließen daran („Dabei“) das Individualisierungsprinzip an. Der Grund für diese<br />
Umkehrung wird in den entstehungsgeschichtlichen Materialien genannt. Das<br />
Wunsch- und Wahlrecht soll die Eigenverantwortung behinderter Menschen stärken<br />
und ihnen bei der Ausführung der Leistungen einen möglichst weitgehenden Raum<br />
zur eigenverantwortlichen Gestaltung ihrer Lebensumstände belassen 109 . Die<br />
Geschichte des Behindertenrechts lehrt, dass Sozialbürokratien sich oft genug die<br />
Entscheidung anmaßten, was das „wohlverstandene Interesse“ des behinderten<br />
Menschen sei. Deshalb wurde die Umkehrung vorgenommen, die mit der Erwartung<br />
verbunden wurde, das Wunsch- und Wahlrecht werde den Abschied <strong>von</strong> „über-<br />
kommenen paternalistischen Herangehensweisen in der Behindertenpolitik“ einleiten.<br />
§ 9 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 SGB IX („im Übrigen gilt § 33 des Ersten Buches“) stellt klar,<br />
dass § 33 S. 2 SGB I „im Übrigen“ nicht durchbrochen werden soll. Daraus folgt im<br />
Umkehrschluss, dass die Regelungen in Satz 1 und 2 des § 9 Abs. 1 SGB IX sehr<br />
wohl eine Abweichung <strong>von</strong> § 33 SGB I enthalten, die <strong>nach</strong> der lex posterior Regel<br />
vorgeht. Diese Abweichung ist die oben dargelegte Umkehrung des Verhältnisses<br />
108 Zum Meinungsstand Voelzke in: Volker Neumann, Rehabilitation und Teilhabe behinderter<br />
Menschen. Handbuch SGBl IX, 2004, § 11 Rn. 187.<br />
109 BT-Drucks. 14/5074, S. 94.<br />
40
<strong>von</strong> Individualisierung und Wünschen. Nur „im Übrigen“ will das SGB IX nicht <strong>von</strong> §<br />
33 SGB I abweichen.<br />
Für die <strong>von</strong> der Bundesagentur zu gewährenden Rehabilitationsmaßnahmen sind<br />
verfahrensrechtlich die §§ 323 ff. SGB III zu beachten. Die Bewilligung der Leistung<br />
setzt <strong>nach</strong> §§ 321 Abs. 1, 324 Abs. 1 SGB III eine vorherige Antragstellung<br />
voraus 110 . Die Bewilligung erfolgt durch Verwaltungsakt.<br />
b) Agentur für Arbeit – Rehabilitationseinrichtungen<br />
aa) Strukturverantwortung<br />
§ 19 Abs. 1 S. 1 SGB IX bestimmt, dass die Rehabilitationsträger gemeinsam und<br />
unter Beteiligung der Bundesregierung und der Landesregierungen darauf hinwirken,<br />
dass die fachlich und regional erforderlichen Rehabilitationsdienste und –einrich-<br />
tungen in ausreichender Zahl und Qualität zur Verfügung stehen. Im Vergleich mit §<br />
17 Abs. 1 Nr. 2 SGB I fallen drei Punkte auf: Der Gesetzgeber legt die Struktur-<br />
verantwortung nicht einem Sozialleistungsträger allein, sondern allen möglicherweise<br />
beteiligten Leistungsträgern gemeinsam auf (1). Bei der Umsetzung des Sicher-<br />
stellungsauftrags sind die Bundesregierung und die Landesregierungen zu<br />
beteiligen. Die durch die Beteiligung erlangten Informationen sollen den Regierungen<br />
ermöglichen, im Fall <strong>von</strong> Defiziten Haushaltsmittel für die <strong>nach</strong> § 19 Abs. 5 SGB IX<br />
mögliche Förderung <strong>von</strong> Rehabilitationseinrichtungen zur Verfügung zu stellen (2) 111 .<br />
Gemäß § 19 Abs. 1 S. 3 SGB IX werden die Verbände behinderter Menschen<br />
einschließlich der Verbände der freien Wohlfahrtspflege, Selbsthilfegruppen,<br />
Interessenvertretungen und bestimmte Spitzenverbände in die Wahrnehmung der<br />
Strukturverantwortung eingebunden (3).<br />
§ 19 Abs. 4 S. 1 SGB IX steht in einem engen Zusammenhang mit der Struktur-<br />
verantwortung. Er bestimmt, dass die Rehabilitationsträger die Leistungserbringer<br />
da<strong>nach</strong> auswählen, wer die Leistung „in der am besten geeigneten Form ausführen<br />
kann“. Es geht hier um die Eignung im Einzelfall. Die geforderte Berücksichtigung<br />
110 Voelzke in: Volker Neumann, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen. Handbuch SGBl<br />
IX, 2004, § 11 Rn. 185 ff.<br />
111 Haines in: LPK-SGB IX, § 19 Rn. 8.<br />
41
individueller Besonderheiten setzt eine hinreichend differenzierte Trägerstruktur<br />
voraus 112 .<br />
bb) Vereinbarungsprinzip<br />
Die Bundesanstalt für Arbeit hatte lange Zeit die Auffassung vertreten, dass die<br />
Erstattung der Kosten der <strong>von</strong> freien Trägern erbrachten Leistungen Zuwendungen<br />
im haushaltsrechtlichen Sinne seien. Im Rehabilitationsrecht ist sie <strong>von</strong> dieser<br />
Auffassung aber schon früh abgerückt. Den Trägern <strong>von</strong> Rehabilitations-<br />
einrichtungen war es 1982 gelungen, mit der Einfügung des § 23a in die Anordnung<br />
Rehabilitation das Vereinbarungsprinzip durchzusetzen. Förderlich für diese zu-<br />
treffende Sicht der Rechtslage war die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts,<br />
die klargestellt hatte, dass der in § 39 AFG a. F. erteilte Ermächtigung, das „Nähere<br />
über Voraussetzungen, Art und Umfang der beruflichen Bildung“ zu regeln, sich nur<br />
auf das Sozialrechtsverhältnis, aber nicht auf das Verhältnis zum Träger der<br />
Maßnahme erstreckt 113 . Durch das „Haushaltsbegleitgesetz 1984“ wurde schließlich<br />
das Vereinbarungsprinzip durch Einfügung der Absätze 2a und 2b in § 11<br />
RehaAnglG parlamentsgesetzlich anerkannt. Der Streit um den Rechtsstatus der<br />
freien Träger als Leistungserbringer wurde damit aber nicht beendet 114 .<br />
Das SGB IX erkennt das Vereinbarungsprinzip an. Die Grundlage des Rechtsstatus<br />
der freien Träger ist § 19 Abs. 4 SGB IX: Dienste und Einrichtungen freier oder (?)<br />
gemeinnütziger Träger werden entsprechend ihrer Bedeutung für die Rehabilitation<br />
und Teilhabe behinderter Menschen berücksichtigt; die Vielfalt der Träger <strong>von</strong><br />
Rehabilitationsdiensten und –einrichtungen wird gewahrt sowie – das ist jetzt der<br />
entscheidende Punkt – „deren Selbstständigkeit, Selbstverständnis und Unabhängig-<br />
keit beachtet“. Damit ist es ausgeschlossen, das Rechtsverhältnis der Rehabilita-<br />
tionsträger zu den freien Trägern als Auftragsverhältnis zu konstruieren. Folgerichtig<br />
spricht § 21 Abs. 1 SGB IX <strong>von</strong> Verträgen über die Ausführung <strong>von</strong> Leistungen durch<br />
Rehabilitationseinrichtungen und nennt einige Vertragsgegenstände. Allerdings tut<br />
sich das Gesetz schwer, die prinzipielle Gleichordnung der Vertragsparteien klar<br />
112<br />
Renate Bieritz-Harder, Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen der BA als Teil der beruflichen<br />
Rehabilitation, o. O. 2004, S. 6 f.<br />
113<br />
BSG, SozR 4460 Nr. 9 § 6 AFuU; BSG 21. 6. 1977 – 7 RA 4/76, auszugsweise abgedruckt in:<br />
Arbeit und Beruf, 1/1978, S. 28.<br />
114<br />
Volker Neumann, Freiheitsgefährdung im kooperativen Sozialstaat, 1992, S. 336-342.<br />
42
auszusprechen. Das zeigt sich in der Regelung <strong>von</strong> § 21 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX, der die<br />
„Übernahme <strong>von</strong> Grundsätzen der Rehabilitationsträger zur Vereinbarung <strong>von</strong><br />
Vergütungen“ als Vertragsgegenstand nennt – ein klassischer dilatorischer Formel-<br />
kompromiss.<br />
§ 21 Abs. 2 S. 1 SGB IX verpflichtet die Rehabilitationsträger, darauf hinzuwirken,<br />
dass die Verträge <strong>nach</strong> einheitlichen Grundsätzen abgeschlossen werden. Nach dem<br />
2. Halbsatz können sie über den Inhalt der Verträge gemeinsame Empfehlungen<br />
vereinbaren. Eine Ermächtigung ist diese Bestimmung nicht, da Empfehlungen<br />
Verwaltungsvorschriften sind, für welche die Verwaltungsträger keine Ermächtigung<br />
benötigen, die aber für Dritte auch nicht verbindlich sind. Etwas verbindlicher ist<br />
dagegen der Hinweis auf den Abschluss <strong>von</strong> Rahmenverträgen mit den Arbeits-<br />
gemeinschaften der Rehabilitationseinrichtungen.<br />
§ 21 SGB IX soll <strong>nach</strong> der Begründung des Regierungsentwurfs sicherstellen, „dass<br />
nur solche Rehabilitationsdienste und –einrichtungen in Anspruch genommen<br />
werden, die den sich aus § 20 ergebenden Qualitätsanforderungen genügen. Mit<br />
diesen sind – soweit sie nicht Eigeneinrichtungen der Rehabilitationsträger sind –<br />
Verträge abzuschließen, die u. a. auch die Regelungen zu diesen Anforderungen<br />
enthalten müssen 115 “. Die Verträge haben also Zulassungscharakter 116 . Schon die<br />
Formulierung „sind ... abzuschließen“ weist in die Richtung einer strikten Pflicht der<br />
Rehabilitationsträger zum Vertragsabschluss 117 . Wenn das Bestehen eines Vertrages<br />
Voraussetzung für die „Inanspruchnahme“ ist, folgt aus Art. 12 Abs. 1 GG eine Pflicht<br />
zum Abschluss. Eine Ermächtigung zu einer Angebotssteuerung durch Bedarfs-<br />
prüfung enthält das Gesetz nicht, was auch schlüssig ist, da der damit verbundene<br />
Eingriff in die Berufsfreiheit nicht rechtfertigungsfähig wäre 118 . Deshalb ist die<br />
Vorgabe in § 111 Abs. 5 S. 2 SGB IX, grundsätzlich solle in jedem Arbeitsamtsbezirk<br />
115 BT-Drucks. 14/1574, S. 104 f.<br />
116 Kessler in: Volker Neumann, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen. Handbuch SGB<br />
IX, 2004, § 9 Rn. 65.<br />
117 Kessler in: Volker Neumann, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen. Handbuch SGB<br />
IX, 2004, § 9 Rn. 62 f.<br />
118 So im Ergebnis auch Kessler in: Volker Neumann, Rehabilitation und Teilhabe behinderter<br />
Menschen. Handbuch SGB IX, 2004, § 9 Rn. 65.<br />
43
nur eine Integrationsfachdienst vorhanden sein, verfassungsrechtlich hochproble-<br />
matisch 119 .<br />
Für die Frage, ob der freie Träger einen Anspruch auf Abschluss eines Vertrages hat,<br />
gilt das, was oben zu § 17 Abs. 2 SGB II ausgeführt wurde: Leistungserbringungs-<br />
verträge mit Zulassungscharakter sind auch dem Interesse des freien Trägers zu<br />
dienen bestimmt, weil sie die Voraussetzung für die Ausübung des Berufes sind.<br />
Deshalb hat der freie Träger einen Rechtsanspruch auf den Abschluss, wenn er für<br />
die <strong>Erbringung</strong> der Leistung geeignet ist.<br />
c) Vorbehalt abweichender Regelungen<br />
Für Inhalt, Art und Umfang der Leistungen und für andere Regelungsgehalte greift<br />
der Vorbehalt abweichender Regelungen des § 7 S. 1 SGB IX. Da<strong>nach</strong> gelten die<br />
Vorschriften des SGB IX für die Leistungen zur Teilhabe, „soweit sich aus den für<br />
den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen nichts Abweichen-<br />
des ergibt“. Der Wortlaut („Vorschriften ... für die Leistungen zu Teilhabe“) und die<br />
Entstehungsgeschichte 120 stellen klar, dass nicht nur die im engeren Sinne leistungs-<br />
rechtlichen Vorschriften der §§ 26-59 SGB IX grundsätzlich anzuwenden sind,<br />
sondern auch alle gesetzlichen Bestimmungen mit einem Bezug zur Gewährung und<br />
Ausführung der Leistungen zur Teilhabe, insbesondere die leistungserbringungs-<br />
rechtlichen Vorschriften. „Leistungsgesetze“ sind diejenigen Gesetze, die Ansprüche<br />
auf <strong>Sozialleistungen</strong> gewähren 121 . Wenn ein Gesetz solche Ansprüche enthält, gilt<br />
der Vorbehalt abweichender Regelungen nicht nur für das Leistungsrecht in einem<br />
engeren, vom Leistungserbringungsrecht unterschiedenen Sinne, sondern auch für<br />
das Leistungserbringungsrecht und den allgemeinen Teil des „Leistungsgesetzes“ 122 .<br />
Die Abweichungen müssen allerdings im Wortlaut des Leistungsgesetzes klar<br />
erkennbar sein. Denn nur so kann die vom Gesetzgeber gewollte Vereinheitlichung<br />
des Rehabilitationsrechts erreicht werden 123 . Für das Verhältnis zum SGB III<br />
119<br />
Brünner in: Volker Neumann, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen. Handbuch SGB<br />
IX, 2004, § 15 Rn. 89.<br />
120<br />
BT-Drucks. 14/5074, S. 100 (zu § 7), wo § 9 SGB IX in den Vorrang einbezogen ist.<br />
121 Mrozynski, SGB IX/1, § 7 Rn. 8.<br />
122 Lachwitz, SDSRV 49 (2002), 73, 76.<br />
123 Welti in: HK-SGB IX, § 7 Rn. 8.<br />
44
edeutet dies: Nur dort, wo das SGB III die Leistungserbringung ausdrücklich und<br />
anders als in § 21 SGB IX regelt, weicht es vom SGB IX ab und geht diesem vor.<br />
d) Ergebnis<br />
§§ 37a Abs. 4, 101 Nr. 1 SGB III weichen nicht <strong>von</strong> § 21 SGB IX ab; vielmehr<br />
ergänzen sich die Normen in sinnvoller Weise. Es sind Leistungserbringungs-<br />
vereinbarungen abzuschließen.<br />
Es ist mehr als zweifelhaft, ob aus den Worten „im Auftrag der Agentur für Arbeit“ in §<br />
61 Nr. 3 SGB III eine abweichende Regelung herausgelesen werden kann. Dass das<br />
Wort „Auftrag“ nicht als „öffentlicher Auftrag“ im Sinne <strong>von</strong> § 99 GWB verstanden<br />
werden darf, wurde bereits dargelegt (A IV 3 b). Der 5. Abschnitt des 4. Kapitels<br />
enthält keine Regelung der Leistungserbringung, sondern handelt nur über<br />
Leistungen. Also kann das Wort „Auftrag“ nur als „Auftrag“ im konkreten Einzelfall<br />
gemeint sein. Der Abschluss <strong>von</strong> Leistungserbringungsverträgen <strong>nach</strong> § 21 SGB IX<br />
bleibt da<strong>von</strong> unberührt.<br />
„Die Agentur für Arbeit kann Träger <strong>nach</strong> einem wettbewerbsrechtlichen<br />
Vergabeverfahren mit der Durchführung <strong>von</strong> Maßnahmen beauftragen“, so heißt es<br />
in § 421i Abs. 1 SGB III. Das Wort „kann“ räumt der Agentur Ermessen ein, das<br />
pflichtgemäß ausgeübt werden muss. Es ist nahezu unvorstellbar, dass eine<br />
pflichtgemäß ausgeübte Wahl zwischen dem Leistungserbringungsmodell des SGB<br />
IX und dem Wettbewerbsrecht einmal zugunsten der letztgenannten Alternative<br />
ausfallen könnte: Erstens gibt das SGB IX eine einheitliche Struktur für alle<br />
Rehabilitationsträger vor, die durch die Anwendung des GWB-<strong>Vergaberecht</strong>s durch<br />
einen Träger beschädigt würde. Zweitens würde durch die Anwendung des<br />
<strong>Vergaberecht</strong>s die vom Gesetz gewollte Beteiligung der Bundesregierung und<br />
Landesregierungen sowie bestimmter Verbände und Gruppen umgangen. Drittens<br />
sind Rehabilitationsleistungen individuell hochgradig differenziert. Ausschreibungen<br />
müssen hingegen in gewissem Maße typisieren, es sei denn, der behinderte Mensch<br />
würde „ausgeschrieben“. Viertens lässt sich die vom SGB IX gewollte Trägervielfalt<br />
durch Ausschreibung nur schlecht oder gar nicht erreichen.<br />
45
Eine abweichende Regelung im Sinne <strong>von</strong> § 7 S. 1 SGB IX ist im SGB III lediglich die<br />
Zuwendungsfinanzierung <strong>nach</strong> § 240 SGB III.<br />
V. Rechtsschutz<br />
1. Vorfrage: Rechtsschutz oder Beteiligung am Vergabeverfahren?<br />
Schreibt ein Sozialleistungsträger Leistungen aus, die Gegenstand des sozialrecht-<br />
lichen Dreiecksverhältnisses sind, so befinden sich die interessierten Einrichtungs-<br />
träger häufig in einer „Zwickmühle“. Es ist zu entscheiden, ob man sich an einem<br />
Vergabeverfahren beteiligen soll, obwohl man dessen Durchführung für rechtswidrig<br />
hält und <strong>von</strong> dem man wegen der weitgehenden Vorfestlegung der späteren<br />
Vertragsbeziehungen zur Vergabestelle Einschränkungen des Selbstbestimmungs-<br />
rechts erwartet.<br />
Die rechtlich richtige Antwort ist hier in der Regel jedoch kein entweder-oder, sondern<br />
ein sowohl-als auch. Der Rechtsschutz neben einer – auch rechtswidrigen –<br />
Ausschreibung ist, wie zu zeigen sein wird langwierig, und die Erfolgsaussichten <strong>von</strong><br />
Eilverfahren sind schwer abschätzbar. In dieser Situation wäre es fahrlässig, die<br />
eigene Chance auf den Zuschlag im Vergabeverfahren <strong>von</strong> vornherein zu vergeben.<br />
Der freie Träger sollte sich daher am Vergabeverfahren durchaus beteiligen, dies<br />
freilich nicht ohne seine rechtlichen Bedenken sofort in einer Rüge gegenüber der<br />
Vergabestelle auszudrücken. 124 Unterliegt der freie Träger letztendlich im<br />
Vergabeverfahren, oder wird er im Falle des Zuschlags rechtswidrigen vertraglichen<br />
Bedingungen unterworfen, so kann dies immer noch <strong>nach</strong> den hier dargestellten<br />
Grundsätzen geltend gemacht werden.<br />
124 Im einzelnen dazu unten C. III. 1. b. cc.<br />
46
2. Rechtsschutz des freien Trägers<br />
Die bisherige Untersuchung führte zu dem Ergebnis, dass die verfassungsrechtlichen<br />
und einfach-gesetzlichen Vorgaben für die Zusammenarbeit zwischen freien Trägern<br />
und Sozialleistungsträgern in den meisten besonderen Teilen des Sozialgesetzbuchs<br />
als „sozialrechtliches Dreiecksverhältnis“ ausgestaltet sind. In diesen Fällen besteht<br />
zumindest ein Anspruch des freien Trägers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung<br />
über den Abschluss einer Vereinbarung mit dem jeweiligen Sozialleistungsträger.<br />
Wird trotz dieses Anspruchs ein Antrag des freien Trägers unter Hinweis auf<br />
Leistungskontingente oder mangelnden Bedarf <strong>nach</strong> Durchführung einer Aus-<br />
schreibung abgelehnt, so ist dies <strong>nach</strong> den bisherigen Ergebnissen regelmäßig<br />
rechtswidrig. Für den Rechtsschutz gelten dann folgende Rahmenbedingungen:<br />
a) Schiedsstelle<br />
Verweigert der Kostenträger die „Zulassung“ des Leistungserbringers, so geht es im<br />
Sprachgebrauch des Sozialhilfe- und des Jugendhilferechts noch nicht um die<br />
Vergütungsvereinbarung, sondern zunächst um die Leistungsvereinbarung. Der Weg<br />
zu einer Schiedsstelle ist hinsichtlich der Leistungsvereinbarung aber nur noch im<br />
Jugendhilferecht eröffnet. 125 Im Sozialhilferecht ist es dagegen auch <strong>nach</strong> der<br />
Neufassung im SGB XII dabei geblieben, dass ausschließlich die Vergütungsverein-<br />
barung schiedsstellenfähig ist. 126 Geht es um den Abschluss <strong>von</strong> Vereinbarungen<br />
über Jugendhilfeleistungen, die nicht unter den Katalog des § 78a SGB VIII fallen,<br />
oder sind Leistungen <strong>nach</strong> den SGB II, III oder IX betroffen, so existiert ohnehin<br />
keine Schiedsstelle.<br />
Die Aussicht, eine Leistungsvereinbarung in vergleichsweise kurzer Zeit vor der<br />
Schiedsstelle durchsetzen zu können, besteht in den hier behandelten Rechts-<br />
gebieten also im wesentlichen nur für die stationären Hilfen <strong>nach</strong> SGB VIII. In diesem<br />
Fall ist die Schiedsstelle zugleich zwingend anzurufen, eine unmittelbare Klage beim<br />
Gericht ist nicht zulässig.<br />
125 §§ 78g Abs. 2, 78b Abs. 1 SGB VIII.<br />
126 § 77 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 76 Abs. 2 SGB XII.<br />
47
) Widerspruch und Rechtsweg<br />
Ob gegen die ablehnende Entscheidung des Sozialleistungsträgers über einen<br />
Antrag auf Abschluss einer Leistungserbringungsvereinbarung zunächst Widerspruch<br />
erhoben werden muss, hängt da<strong>von</strong> ab, ob diese Entscheidung ein Verwaltungsakt<br />
im Sinne des § 31 SGB X ist. Außerdem ist der Widerspruch nur dann statthaft und<br />
erforderlich, wenn das jeweilige Sozialgesetzbuch die Erforderlichkeit des Wider-<br />
spruchs nicht abbedingt.<br />
Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zum Sozialhilferecht sieht in den<br />
Vereinbarungen <strong>nach</strong> § 93 Abs. 2 BSHG öffentlich-rechtliche Verträge gleichgeord-<br />
neter Vertragspartner. 127 Daher ist die Ablehnung des Vertragsabschlusses kein<br />
Verwaltungsakt, und ein Widerspruch ist nicht zu erheben. Anders ist die bisherige<br />
Auffassung der Sozialgerichte zum Krankenversicherungsrecht. Zwar werden die<br />
Versorgungsverträge auch hier als öffentlich-rechtliche Verträge angesehen. Als<br />
Entscheidung über das „Ob“ des Vertragsschlusses sei die ablehnende<br />
Entscheidung jedoch ein Verwaltungsakt. 128<br />
Soweit die Sozialgerichte zuständig sind, ist daher – wo nicht das jeweilige<br />
Sozialgesetzbuch etwas anderes regelt – zunächst das Widerspruchsverfahren zu<br />
durchlaufen. Dies wird ab 01.01.2005 voraussichtlich alle besonderen Teile des<br />
Sozialgesetzbuchs mit Ausnahme des Jugendhilferechts (SGB VIII) betreffen. Denn<br />
nur ür jugendhilferechtliche Streitigkeiten sind <strong>nach</strong> wie vor die Verwaltungsgerichte<br />
zuständig, §§ 78g Abs. 2 Satz 2 SGB VIII, 40 VwGO. Streitigkeiten <strong>nach</strong> den SGB II,<br />
III, IX und ab 01.01.2005 auch XII werden dagegen <strong>von</strong> den Sozialgerichten<br />
entschieden. 129<br />
127 BVerwG, Urt. v. 30.09.1993, 5 C 41.91, BVerwGE 94, 202, 204.<br />
128 Etwa BSG, Urt. v. 19.11.1997, B 3 RK 1/97, BSGE 81,189; Urt. v. 05.07.2000, B 3 KR 20/99 R zu<br />
§ 109 SGB V. Zum Pflegeversicherungsrecht nur wegen der ausdrücklichen Entbehrlichkeit des<br />
Widerspruchs <strong>nach</strong> § 73 Abs. 2 Satz 2 SGB XI anders BSG, Urt. v. 24.09.2002, B 3 P 14/01 R.<br />
129 §§ 77 Abs. 1 Satz 3 SGB XII, 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG in der Fassung ab 01.01.2005.<br />
48
c) Klageart und Klageantrag<br />
aa) Jugendhilferechtliche Streitigkeiten<br />
In jugendhilferechtlichen Streitigkeiten vor den Verwaltungsgerichten ist die allgemei-<br />
ne Leistungsklage in der Form der Bescheidungsklage die zutreffende Klageart.<br />
Nach ganz überwiegender Auffassung im Schrifttum hat der Einrichtungsträger zwar<br />
keinen Rechtsanspruch auf Abschluss einer Leistungsvereinbarung, sondern nur<br />
einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. 130 In der Praxis gibt es<br />
allerdings nicht immer ungeklärte Punkte, bei deren Beurteilung dem Kostenträger<br />
ein Ermessen bliebe. Es empfiehlt sich daher, sowohl einen Haupt- als auch einen<br />
Hilfsantrag zu stellen. Hauptsächlich ist zu beantragen, den Sozialleistungsträger zu<br />
verpflichten, eine Leistungsvereinbarung mit dem Einrichtungsträger abzuschließen.<br />
Hilfsweise ist zu beantragen, die ablehnende Entscheidung des Kostenträgers<br />
aufzuheben und ihn zu verpflichten, über den Antrag des Einrichtungsträgers unter<br />
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. 131<br />
Sofern dem Antrag ein Schiedsverfahren vorausgegangen ist, ist zusätzlich die<br />
Aufhebung des Schiedsspruchs zu beantragen. Im Übrigen bestehen prozessual<br />
aber keine Unterschiede. Zwar kommt der Schiedsstelle grundsätzlich ein Beurtei-<br />
lungsspielraum zu. 132 Dieser ist jedoch in erster Linie für Fälle entwickelt worden, in<br />
denen die Vergütungsvereinbarung streitig war. Für die Leistungsvereinbarung dürfte<br />
er nur dort Bedeutung haben, wo es um die konkrete Ausgestaltung der Leistungen<br />
geht. Für die Frage des „ob“ einer Leistungsvereinbarung geht er dagegen nicht<br />
weiter als das Ermessen des Sozialleistungsträgers.<br />
bb) Andere Streitigkeiten<br />
Für alle anderen Streitigkeiten, insbesondere solche gegen die Bundesagentur für<br />
Arbeit, sind die Sozialgerichte zuständig. Für die Antragsformulierung gelten jedoch<br />
keine wesentlichen Unterschiede gegenüber den Verfahren vor den Verwaltungs-<br />
130 Siehe oben Fn. 149 unter A.V.3 c.<br />
131 Zum Zusammenhang zwischen Ermessensspielraum und Bescheidungsklage siehe nur Kuntze,<br />
in: Bader, VwGO, 2. Aufl. 2002, § 113 Rn. 105 ff.<br />
132 Schellhorn, SGB VIII/KJHG 2. Aufl. 2000, § 78g Rn. 3 m.w.N.<br />
49
gerichten. Besonderheiten bestehen lediglich darin, dass die ablehnende Entschei-<br />
dung des Sozialleistungsträgers als Verwaltungsakt anzusehen ist, und dass die<br />
Klagearten im sozialgerichtlichen Verfahren etwas anders bezeichnet werden. Weil<br />
jeweils auch eine ablehnende Entscheidung des Sozialleistungsträgers aufgehoben<br />
werden soll, spricht man hier <strong>von</strong> einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungs-<br />
klage (in Fällen mit Rechtsanspruch auf die begehrte Vereinbarung) bzw. <strong>von</strong> einer<br />
kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (in Fällen, in denen nur ein<br />
Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Abschluss der<br />
Vereinbarung besteht). 133<br />
cc) Abweichungen<br />
Vor dem Verwaltungsgericht kann sich eine Abweichung ergeben, wenn es nicht um<br />
den Neuabschluss einer Vereinbarung mit dem Sozialleistungsträger geht, sondern<br />
dieser eine bisher bestehende Vereinbarung unter Hinweis auf seine Kontingen-<br />
tierung oder ein Vergabeverfahren gekündigt hat. Streitig wird in derartigen Fällen die<br />
Wirksamkeit dieser Kündigung sein. Hier ist eine Feststellungsklage zu erheben. Es<br />
wird beantragt festzustellen, dass die bisherige Vereinbarung trotz der Kündigung<br />
unverändert fortbesteht. 134 Vor den Sozialgerichten besteht diese Abweichung<br />
indessen nicht, da dort jedenfalls die Kündigung einer krankenversicherungs-<br />
rechtlichen Zulassung als Verwaltungsakt verstanden wird. 135<br />
Eine weitere Abweichung, und zwar in diesem Fall für beide Gerichtszweige, ergibt<br />
sich bei Missachtung einer geschlossenen Leistungserbringungsvereinbarung durch<br />
den Sozialleistungsträger. Besteht eine solche Vereinbarung, verhindert der<br />
Sozialleistungsträger aber durch seine Bewilligungspraxis gezielt jede Belegung der<br />
Einrichtung, so ist eine Unterlassungsklage zu erheben. Ihr geht grundsätzlich kein<br />
Widerspruchsverfahren voraus. Beantragt wird, den Sozialleistungsträger zu verur-<br />
teilen, die jeweils be<strong>nach</strong>teiligenden Maßnahmen zu unterlassen.<br />
133 BSG, Urt. v. 24.09.2002 (Fn. 128); Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen<br />
Verfahrens, 3. Aufl. 2002, Kapitel 4 Rn. 4; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl. 2002, § 54 Rn. 6.<br />
134 Bei Leistungsvereinbarungen <strong>nach</strong> Sozialhilfe- und Jugendhilferecht kann sich diese Konstellation<br />
auch aus dem Grundsatz ergeben, dass ausgelaufene Leistungsvereinbarungen bis zum<br />
Abschluss neuer Vereinbarungen weitergelten: §§ 77 Abs. 2 Satz 4 SGB XII, 78d Abs. 2 Satz 4<br />
SGB VIII.<br />
135 BSG, Urt. v. 06.08.1998, B 3 KR 3/98 R, BSGE 82,261.<br />
50
d) Begründung<br />
Grundsätzlich ergibt sich die Begründung der Klage aus den Ergebnissen der<br />
Abschnitte A.I-IV. Im Einzelnen sollte der klagende Einrichtungsträger den Sachver-<br />
halt darstellen und aus seinem grundrechtlichen Status, der Nichtanwendbarkeit des<br />
europäischen <strong>Vergaberecht</strong>s und der Ausgestaltung des sozialrechtlichen Dreiecks-<br />
verhältnisses im jeweiligen Sozialgesetzbuch seinen Anspruch auf die begehrte<br />
Vereinbarung ableiten. Dies sollte vergleichsweise ausführlich geschehen. Denn die<br />
zuständigen Richter sind regelmäßig nicht auf leistungserbringungsrechtliche Fragen<br />
spezialisiert.<br />
e) Eilverfahren<br />
Sowohl vor den Verwaltungs-, als auch vor den Sozialgerichten ist der Rechtsschutz<br />
langwierig. Verfahrensdauern <strong>von</strong> weit über einem Jahr pro Instanz sind keine<br />
Seltenheit. In eiligen Fällen kann es deshalb geboten sein, neben der beschriebenen<br />
Klage im Hauptsacheverfahren zusätzlich einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz<br />
zu stellen. Da es nicht um die Aufhebung <strong>von</strong> belastenden Verwaltungsakten,<br />
sondern um den „begünstigenden“ Abschluss einer Leistungserbringungsvereinba-<br />
rung geht, ergibt sich der Eilrechtsschutz nicht aus den Regelungen über die<br />
aufschiebende Wirkung <strong>von</strong> Rechtsmitteln gegen belastende Verwaltungsakte.<br />
Einschlägig sind vielmehr die Vorschriften über einstweilige Anordnungen, §§ 123<br />
VwGO und 86b Abs. 2 SGG. 136 Da<strong>nach</strong> können die Gerichte für die Zeit bis zur<br />
Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorläufige Regelungen treffen, um den Eintritt<br />
gravierender Rechts<strong>nach</strong>teile zu vermeiden. Hier wäre zu beantragen, den Sozial-<br />
leistungsträger zu verpflichten, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache die<br />
gewünschte Vereinbarung abzuschließen. 137<br />
In der Begründung des Eilantrags ist zum einen darzustellen, warum der<br />
Einrichtungsträger Anspruch auf die begehrte Vereinbarung hat (Anordnungs-<br />
anspruch). Zum anderen ist das besondere Eilbedürfnis eingehend zu begründen<br />
136 Eine Ausnahme gilt für die Kündigung einer Leistungserbringungsvereinbarung bei Zuständigkeit<br />
der Sozialgerichte. Da die Kündigung hier als Verwaltungsakt verstanden wird, ist vorläufiger<br />
Rechtsschutz über die aufschiebende Wirkung <strong>von</strong> Widerspruch und Anfechtungsklage zu<br />
suchen, §§ 86a, 86b Abs. 1 SGG.<br />
137 OVG Lüneburg, Beschl. v. 23.08.1999, 12 M 2996/99, FEVS 51 (2000), 313.<br />
51
(Anordnungsgrund). Das Gericht wird die Rechts<strong>nach</strong>teile, die dem Einrichtungs-<br />
träger durch die lange Verzögerung bis zur Entscheidung in der Hauptsache drohen,<br />
gegen die Nachteile abwägen, die der Sozialleistungsträger im Falle einer vor-<br />
läufigen Verpflichtung zum Abschluss der Vereinbarung zu erwarten hat. Im Rahmen<br />
dieser Abwägung spielen auch die Erfolgsaussichten der Hauptsache eine<br />
wesentliche Rolle. Hält das Gericht einen Erfolg des Einrichtungsträgers im<br />
Hauptsacheverfahren für wahrscheinlich, wird es weniger hohe Anforderungen an die<br />
Eilbedürftigkeit stellen. 138 Der Einrichtungsträger muss hier die drohenden Nachteile<br />
– etwa die Zerschlagung gewachsener Strukturen, gravierende finanzielle Nachteile<br />
bis hin zur Existenzgefährdung oder – im öffentlichen Interesse – auch gravierende<br />
Nachteile für die betreuten sozialleistungsberechtigten Bürger erläutern und durch<br />
eidesstattliche Versicherungen oder andere geeignete Nachweise glaubhaft machen.<br />
Allerdings gehen derartige Eilverfahren aus der Sicht des Antragstellers häufig<br />
verloren. Dies bereits, weil die Gerichte nur in extremen Ausnahmefällen durch eine<br />
einstweilige Anordnung die Hauptsache vorwegnehmen. 139 Einer solchen Vorweg-<br />
nahme der Hauptsache kommt es jedoch nahe, wenn dem Einrichtungsträger für<br />
einen längeren Zeitraum die (vorläufige) Vereinbarung mit dem Sozialleistungsträger<br />
zugesprochen wird.<br />
3. Rechtsschutz des sozialleistungsberechtigten Bürgers<br />
Denkbar ist auch der Fall, dass der Sozialleistungsträger dem berechtigten Bürger<br />
zwar die Sozialleistung gewähren möchte, dies jedoch nicht durch den gewünschten<br />
Dienst oder die gewünschten Einrichtung. Dagegen kann sich der Bürger durch<br />
Widerspruch und Klage zur Wehr setzen.<br />
a) Widerspruch<br />
Wird der Antrag des Bürgers abgelehnt, so kann er sich nicht unmittelbar an die<br />
Gerichte wenden. Vielmehr ist in §§ 62 SGB X, 68 VwGO, 85 SGG vorgesehen, dass<br />
138<br />
Funke-Kaiser, in: Bader (Fn. 131), § 123 Rn. 25-26; Krasney/Udsching (Fn. 133), Kapitel V, Rn.<br />
35 ff.<br />
139<br />
Siehe nur Binder, in: Binder-Bolay, SGG, Handkommentar, 2003, § 86 b Rn. 34.<br />
52
die Entscheidung des Sozialleistungsträgers zunächst im Widerspruchsverfahren zu<br />
überprüfen ist. 140 Das Widerspruchsverfahren richtet sich <strong>nach</strong> den üblichen Regeln,<br />
insbesondere ist der Widerspruch innerhalb eines Monats <strong>nach</strong> Zugang des<br />
ablehnenden Bescheids des Sozialleistungsträgers zu erheben. Eine Begründung ist<br />
sinnvoll, darf vom Sozialleistungsträger aber nicht zur Voraussetzung einer förm-<br />
lichen Widerspruchsentscheidung gemacht werden.<br />
b) Rechtsweg, Klageart und Klageantrag<br />
Strukturell unterscheidet sich das Begehren des sozialleistungsberechtigten Bürgers<br />
wenig <strong>von</strong> dem Anspruch des Einrichtungsträgers auf Abschluss einer Vereinbarung<br />
im Verständnis der Sozialgerichte. In beiden Fällen geht es nicht um die Abwehr<br />
eines eingreifenden Bescheids der Verwaltung, sondern um eine „Begünstigung“. Die<br />
Ausführungen zum Rechtsweg, zur Klageart und zum Klageantrag betreffend den<br />
Leistungserbringer gelten daher auch für den sozialleistungsberechtigten Bürger<br />
entsprechend. 141 Zu beantragen ist, den ablehnenden Bescheid in der Gestalt des<br />
Widerspruchsbescheids aufzuheben und den Sozialleistungsträger zu verpflichten,<br />
dem Bürger die jeweilige Leistung in der gewünschten Einrichtung bzw. durch den<br />
gewünschten Dienst zu gewähren. Hilfsweise ist auch hier zu beantragen, den<br />
Sozialleistungsträger zu verpflichten, den Bürger unter Beachtung der Rechtsauf-<br />
fassung des Gerichts erneut zu bescheiden.<br />
c) Begründung<br />
Die Begründung des Widerspruchs und der Klage ergibt sich aus den Rechten, die<br />
dem jeweils einschlägigen Sozialgesetzbuch zu entnehmen sind. Außerdem ist das<br />
Wunsch- und Wahlrecht – sofern es nicht im einzelnen Sozialgesetzbuch gesondert<br />
geregelt ist – aus § 33 Satz SGB I anzuführen.<br />
Allerdings wird der Bürger in der Regel nur dann Erfolg haben, wenn der gewünschte<br />
Einrichtungsträger bereits eine Vereinbarung über die Leistungserbringung mit dem<br />
Sozialleistungsträger geschlossen hat. Es wird einem Einrichtungsträger dagegen<br />
kaum gelingen, über interessierte Bürger den Abschluss einer solchen Vereinbarung<br />
140 Vgl. auch § 118 SGB IX.<br />
141 Oben A. V. 2. b, c.<br />
53
„mittelbar“ zu erzwingen. Eine Ausnahme da<strong>von</strong> gilt allenfalls, wo der<br />
Sozialleistungsträger ohne das Angebot des gewünschten Einrichtungsträgers den<br />
Anspruch auf Sozialleistung nicht oder nur mit ganz wesentlichen Nachteilen erfüllen<br />
kann. Denn im Sozialhilfe- und Jugendhilferecht schreiben die „Öffnungsklauseln“<br />
des § 75 Abs. 4 SGB XII und des § 78b Abs. 3 SGB VIII für solche Fälle vor, dass<br />
der Sozialleistungsträger eine Ermessensentscheidung über die Kostenübernahme<br />
zu treffen hat. Kann die Sozialleistung anderswo überhaupt nicht erbracht werden, so<br />
wird dieses Ermessen in aller Regel zugunsten des Bürgers auf Null reduziert sein.<br />
Die Sozialgesetzbücher II, III und IX sehen derartige Regelung zwar nicht explizit vor,<br />
es ist dann jedoch möglich, mit dem allgemeinen sozialrechtlichen Grundsatz des<br />
Systemversagens zu argumentieren. 142<br />
d) Eilrechtsschutz<br />
Auch die prozessualen Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung entsprechen<br />
der Darstellung für die Leistungserbringer. 143 Erfolgschancen bestehen für die hier<br />
behandelte Fallkonstellation jedoch nur in extremen Ausnahmefällen. Denn so lange<br />
der Sozialleistungsträger die begehrte Sozialleistung durch einen anderen Dienst<br />
oder eine andere Einrichtung erbringen kann, werden es die Gerichte als zumutbar<br />
ansehen, dass der Bürger die Leistung bis zur Klärung im Hauptsacheverfahren dort<br />
entgegennimmt.<br />
142 Dieser Grundsatz ist beispielsweise in § 13 Abs. 3 SGB V geregelt, zu seiner allgemeineren<br />
Geltung siehe etwa Gürtner, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand: Dezember<br />
2003, § 91 SGB XI Rn. 5.<br />
143 Oben A. V. 2. e.<br />
54
B. <strong>Vergaberecht</strong>liche Gestaltung der Leistungserbringung<br />
Die Leistungserbringung im Dreiecksverhältnis Leistungsberechtigter, Leistungs-<br />
träger und Leistungserbringer ist in hohem Maße geeignet, die Grundrechte und<br />
verfassungsrechtlichen Pflichten der Beteiligten aufeinander abzustimmen. Damit ist<br />
freilich nicht gesagt, dass die Leistungserbringung im Dreiecksverhältnis ver-<br />
fassungsrechtlich geboten wäre. Denkbar sind auch andere Formen der<br />
Leistungserbringung. So werden beispielsweise im SGB VIII seit vielen Jahren die<br />
Leistungserbringer nicht durch Entgelte, sondern durch Zuwendungen (Sozialsub-<br />
ventionen) finanziert. Diese (systemwidrige) Finanzierung hat allerdings auch<br />
gezeigt, dass sie mit erheblichen Rechtseinbußen etwa der übergangenen<br />
Konkurrenten oder einer Verschwendung öffentlicher Mittel einhergehen kann.<br />
Durchaus denkbar ist auch eine vergaberechtliche Gestaltung der Leistungs-<br />
erbringung. Dies könnte in zweifacher Weise geschehen, nämlich erstens durch die<br />
Vergabe <strong>von</strong> Leistungserbringungsverträgen und zweitens durch die Bildung <strong>von</strong><br />
Leistungskontingenten für einen bestimmten Zeitraum.<br />
Das <strong>Vergaberecht</strong> regelt das Verfahren, das Verwaltungsstellen einzuhalten haben,<br />
wenn sie Waren oder Dienstleistungen auf dem Markt beschaffen wollen 144 . Bereits<br />
in den 1980er Jahren gab es vereinzelte Stimmen, die Pflegesatzvereinbarungen<br />
<strong>nach</strong> § 93 Abs. 2 BSHG a. F. als „Beschaffungsgeschäfte“ werteten und das<br />
<strong>Vergaberecht</strong> anwenden wollten 145 . Diese Forderung ist jüngst in der Literatur<br />
aktualisiert worden 146 . Das VG Stade untersagte einem Sozialhilfeträger zwar nicht<br />
die Ausschreibung <strong>von</strong> Verträgen <strong>nach</strong> §§ 93 ff. BSHG (heute §§ 75 ff. SGB XII),<br />
jedoch eine Vergabe im Sinne des <strong>Vergaberecht</strong>s 147 . Dagegen ist die Bundesagentur<br />
für Arbeit flächendeckend dazu übergangen, für die Durchführung <strong>von</strong> Maßnahmen<br />
<strong>nach</strong> dem SGB III Vergabeverfahren durchzuführen. Teilweise ist ein wettbewerbs-<br />
rechtliches Vergabeverfahren ausdrücklich im Gesetz vorgeschrieben, so z.B. in §<br />
37 c SGB III für Personal-Service-Agenturen und in § 421 i SGB III für Eingliede-<br />
144<br />
Neumann/ Bieritz-Harder, Vergabe öffentlicher Aufträge in der Sozial- und Jugendhilfe? RsDE<br />
48/2001, 1, 3.<br />
145<br />
Trott zu Solz, Die Kostenübernahme- und Pflegesatzvereinbarung in Heimen, 1989, S. 20-27.<br />
146<br />
Luthe, NDV 2001, 247, 254-256; Krölls, NDV 2000, 56, 57 f.; relativierend ders., NDV 2000, 209,<br />
210 f.<br />
147<br />
VG Stade v. 14. 7. 1999 – 1 B 1044/99 – RsDE 47 (2000), 99, 104.<br />
55
ungsmaßnahmen, teilweise macht das Gesetz jedoch keine Aussagen hierzu, so<br />
etwa bei Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen <strong>nach</strong> § 61 SGB III.<br />
I. Europäisches <strong>Vergaberecht</strong> und Deutsches <strong>Vergaberecht</strong><br />
In Deutschland ist das <strong>Vergaberecht</strong> historisch bedingt zweigeteilt. Es ist als<br />
Haushaltsrecht Innenrecht und als Wirtschaftsrecht Außenrecht. 148 Bis zum Erlass<br />
des <strong>Vergaberecht</strong>sänderungsgesetzes (VergRÄG) 149 wurde das <strong>Vergaberecht</strong><br />
traditionell als Teil des lediglich innenwirksamen Haushaltsrechts angesehen. 150 Das<br />
Erfordernis, die europäischen Vergaberichtlinien 151 in nationales Recht umzuwan-<br />
deln, führte zum Erlass des VergRÄG, welches das deutsche <strong>Vergaberecht</strong>, soweit<br />
erforderlich, in außenwirksames Wirtschaftsrecht umgewandelt hat. Die Umsetzung<br />
der europarechtlichen Richtlinien erfolgte durch Eingliederung in das deutsche<br />
Kartellrecht, insbesondere durch Einführung eines vierten Teils in das GWB (§§ 97-<br />
129 GWB). Hinsichtlich des materiellen <strong>Vergaberecht</strong>s besteht ein Kaskadenprinzip.<br />
Das GWB benennt auf gesetzlicher Ebene den Anwendungsbereich des<br />
<strong>Vergaberecht</strong>s und legt besonders wichtige Vergabegrundsätze sowie Recht-<br />
schutzmöglichkeiten fest. Auf der zweiten Ebene bildet die <strong>nach</strong> § 97 Abs. 6 und §<br />
127 GWB erlassene Vergabeverordnung (VgV) die Schnittstelle zu den Verdingungs-<br />
148 Pietzcker, Die neue Gestalt des <strong>Vergaberecht</strong>s, ZHR 162 (1998), 427, 428.<br />
149 Verkündet am 26.08.1998, zum 01.01.1999 in Kraft getreten.<br />
150 Ax/Schneider/Nette, Handbuch <strong>Vergaberecht</strong>, 2002, Kap. 1, Rdnr. 27; Boesen, <strong>Vergaberecht</strong>,<br />
Kommentar zum 4. Teil des GWB, 2000, Einleitung, Rdnr. 2.<br />
151 Hierbei handelt es sich um RL 92/50/EWG v. 18.06.1992 zur Koordinierung der Verfahren zur<br />
Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, ABl. v. 24.07.1992 L 209/1<br />
(Dienstleistungsrichtlinie), RL 93/36/EWG v. 14.06.1993 zur Koordinierung der Verfahren zur<br />
Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, ABl. v. 09.08.1993 L 199/1 (Lieferkoordinierungsrichtlinie), RL<br />
93/37/EWG v. 14.06.1993 zur Koordinierung der Vergabe öffentlicher Bauaufträge, ABl. v.<br />
30.04.1994 L 111/115 (Baukoordinierungsrichtlinie), alle zuletzt geändert durch RL 97/52/EG v.<br />
13.10.1997, ABl. v. 28.11.1997 L 328/1, ferner RL 93/38/EWG v. 14.06.1993 zur Koordinierung<br />
der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und<br />
Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, ABl. v. 09.08.1993 L 199/84<br />
(Sektorenrichtlinie), geändert durch RL 98/4/EG v. 16.02.1998, ABl. v. 01.04.1998 L 101/1 sowie<br />
zwei Rechtsmittelrichtlinien: RL 89/655/EWG v. 21.12.1989 zur Koordinierung der Rechts- und<br />
Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe<br />
öffentlicher Liefer- und Bauaufträge, ABl. v. 30.12.1989 L 395/33 v. 30.12.1989<br />
(Überwachungsrichtlinie) und RL 92/13/EWG v. 25.02.1992 zur Koordinierung der Rechts- und<br />
Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die<br />
Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung<br />
sowie im Telekommunikationssektor, ABl. v. 23.03.1992 L 76/14<br />
(Sektorenüberwachungsrichtlinie).<br />
56
ordnungen VOB 152 , VOL 153 und VOF 154 , die auf der dritten Ebene die Basis für die<br />
Vergabepraxis darstellen.<br />
Daneben existiert parallel das nationale <strong>Vergaberecht</strong> als Teil des Haushaltsrechts.<br />
Nach § 30 Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG) muss dem Abschluss <strong>von</strong> Verträgen<br />
über Lieferungen und Leistungen eine öffentliche Ausschreibung vorausgehen,<br />
sofern nicht die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände eine Ausnahme<br />
rechtfertigen. Diese statuierte Ausschreibungspflicht hat auf Bundesebene wortgleich<br />
in § 55 Bundeshaushaltsordnung (BHO) Eingang gefunden. Für detaillierte<br />
Regelungen des Vergabeverfahrens verweisen sowohl die BHO in § 55 Abs. 2 als<br />
auch die Haushaltsordnungen der Länder auf „einheitliche Richtlinien“ für die Auf-<br />
tragsvergabe. Hier sind in erster Linie die VOB, VOL und VOF zu nennen. Die<br />
Verdingungsordnungen gelten jedoch nicht im vollen Umfang, sondern jeweils<br />
abschnittsweise, da deren Rechtscharakter zweigeteilt ist. 155 Bei der VOL/A zeigt<br />
sich dies beispielsweise daran, dass Regelungen des 1. Abschnitts nur Verwaltungs-<br />
vorschriften darstellen, die zur Anwendung gelangen, wenn das Haushaltsgesetz auf<br />
sie verweist. Die anderen Abschnitte (Nr. 2 bis 4) der VOL/A, stellen demgegenüber<br />
Rechtsverordnungen dar, auf welche die VgV Bezug nimmt, weil sie europäische<br />
Richtlinien umsetzen. Bedeutung hat diese Unterscheidung nicht nur bei der Wahl<br />
des Vergabeverfahrens, sondern - und vor allem – wenn es um die Frage des<br />
Rechtsschutzes der Bieter geht. Denn Rechtsschutz steht diesen nur <strong>nach</strong> den<br />
Bestimmungen des 4. Teils des GWB zu, nicht hingegen bei öffentlichen Aufträgen,<br />
die nicht dem 4. Teil des GWB unterliegen, sondern dem 1. Abschnitt der VOL/A<br />
bzw. VOL/B 156 .<br />
152<br />
Verdingungsordnung für Bauleistungen, bestehend aus Teil A: Allgemeine Bestimmungen für die<br />
Vergabe <strong>von</strong> Bauleistungen, Teil B: Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung <strong>von</strong><br />
Bauleistungen, Teil C: Allgemeine technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen.<br />
153<br />
Verdingungsordnungen für Leistungen, ausgenommen Bauleistungen, bestehend aus Teil A:<br />
Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe <strong>von</strong> Leistungen und Teil B: Allgemeine<br />
Vertragsbedingungen für die Ausführung <strong>von</strong> Leistungen.<br />
154<br />
Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen.<br />
155<br />
Vgl. dazu v. Köckritz/ Ermisch/ Dittrich/ Lamm, Bundeshaushaltsordnung, Kommentar, 27. EL<br />
Sept. 2001, § 55, Ziff. 2.2., S. 12, 14.<br />
156<br />
Vgl. z.B. VV-BHO zu § 55, Ziff. 2.3: „In den Bewerbungsbedingungen ist ausdrücklich darauf<br />
hinzuweisen, dass die Allgemeinen Bestimmungen für die Vergabe <strong>von</strong> Lieferungen und<br />
Leistungen bzw. <strong>von</strong> Bauleistungen (Abschnitte 1 der VOL/A und VOB/A) nicht<br />
Vertragsbestandteil werden und den Bietern kein einklagbares Recht auf die Anwendung dieser<br />
Bestimmungen geben; sie tragen lediglich den Charakter <strong>von</strong> Dienstanweisungen an die<br />
Beschaffungsstellen….“<br />
57
1. GWB oder Haushaltsrecht<br />
II. Anwendbarkeit des <strong>Vergaberecht</strong>s des GWB<br />
Welche Rechtsvorschriften und welche Verfahren zwingend anzuwenden sind, kann<br />
zunächst anhand <strong>von</strong> drei „Zentralbegriffen“ 157 geklärt werden: dem Begriff des<br />
Auftraggebers (§ 98 GWB), dem des öffentlichen Auftrags (§ 99 GWB) und dem des<br />
Schwellenwerts (§ 100 GWB). Erfüllt der fragliche Sachverhalt diese in §§ 98-100<br />
GWB definierten Zentralbegriffe, ist der Anwendungsbereich des europäischen<br />
Wettbewerbsrechts eröffnet und die Prüfung richtet sich <strong>nach</strong> den Vorschriften der §§<br />
97-129 GWB, der Vergaberverordnung (VgV) und den jeweilig einschlägigen<br />
Abschnitten in den Verdingungsordnungen. Zudem könnte das wettbewerbs-<br />
rechtliche <strong>Vergaberecht</strong> aber auch auf freie Träger anwendbar sein, wenn ein<br />
vergaberechtliches Ausschreibungsverfahren gesetzlich vorgeschrieben ist, so etwa<br />
bei § 37 c SGB III und bei § 421 i SGB III.<br />
Ist das nicht der Fall und liegen auch die Voraussetzungen der Zentralbegriffe nicht<br />
vor, könnten die vergaberechtlichen Bestimmungen des Haushaltsrechts anzuwen-<br />
den sein. Da<strong>nach</strong> müssen Vergabeverfahren zur Sicherstellung einer sparsamen und<br />
wirtschaftlichen Verwendung öffentlicher Mittel durchgeführt werden 158 . Die Grund-<br />
sätze richten sich <strong>nach</strong> § 30 HGrG, § 55 BHO und den entsprechenden<br />
Bestimmungen der Landeshaushaltsordnungen. Das Vergabeverfahren richtet sich<br />
<strong>nach</strong> dem ersten Abschnitt der VOB/A bzw. VOL/A (sog. Basis-Paragrafen). Die<br />
Anwendung des <strong>Vergaberecht</strong>s setzt allerdings voraus, dass ihr geltendes Recht<br />
nicht entgegensteht. Zu klären ist insoweit, ob die Durchführung <strong>von</strong> Ausschrei-<br />
bungen mit dem geltenden Sozialrecht vereinbar ist oder ob eine Anwendung der<br />
haushaltsrechtlichen Vergaberegeln aufgrund des abschließenden Charakters des<br />
Sozialrechts ausscheiden muss.<br />
157 Dazu Dreher, Der Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts, DB 1998, 2579.<br />
158 Ax/Schneider/Nette, Handbuch <strong>Vergaberecht</strong>, 2002, Kap. 1, Rdnr. 18.<br />
58
2. Drei Zentralbegriffe<br />
Der Anwendungsbereich des wettbewerbsrechtlichen <strong>Vergaberecht</strong>s ist <strong>von</strong> den drei<br />
in §§ 98 bis 100 GWB definierten Zentralbegriffen abhängig. Liegen diese vor, so<br />
gelangt man zur Anwendung des vierten Teils des GWB und damit zu dem<br />
Grundsatz, dass öffentliche Auftraggeber Dienstleistungen <strong>nach</strong> Maßgabe der<br />
Vorschriften des GWB im Wettbewerb und im Wege transparenter Vergabeverfahren<br />
beschaffen 159 . Gem. § 97 Abs. 7 GWB haben Unternehmen daher einen Anspruch<br />
darauf, dass der Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfahren<br />
einhält.<br />
a) Öffentlicher Auftraggeber<br />
Es muss sich um einen öffentlichen Auftraggeber handeln. Die Bundesagentur für<br />
Arbeit könnte unter § 98 Nr. 2 GWB fallen, wo<strong>nach</strong> öffentliche Auftraggeber<br />
juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts sind, die zu dem<br />
besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben<br />
nichtgewerblicher Art zu erfüllen und wenn Stellen, die unter § 98 Nummer 1 oder 3<br />
GWB fallen, sie einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise<br />
überwiegend finanzieren oder über ihre Leitung die Aufsicht ausüben oder mehr als<br />
die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht<br />
berufenen Organe bestimmt haben. Das gleiche gilt dann, wenn die Stelle, die<br />
einzeln oder gemeinsam mit anderen die überwiegende Finanzierung gewährt oder<br />
die Mehrheit der Mitglieder eines zur Geschäftsführung oder Aufsicht berufenen<br />
Organs bestimmt hat, unter Satz 1 fällt.<br />
Die Bundesagentur für Arbeit stellt sich neuerdings in öffentlichen Verlautbarungen<br />
als ein Unternehmen dar, das mit der Bundesregierung Zielvereinbarungen<br />
abschließe. Was sagt das Recht zu dieser Rhetorik? § 367 SGB III bezeichnet die<br />
Bundesagentur für Arbeit als „rechtsfähige bundesunmittelbare Körperschaft des<br />
öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung“. Diese überraschende Aussage ist nur vor<br />
dem Hintergrund <strong>von</strong> Art. 87 Abs. 2 S. 1 GG zu verstehen. Dort wird bestimmt, dass<br />
soziale Versicherungsträger, deren Zuständigkeit sich über das Gebiet eines Landes<br />
159 Vgl. § 97 Abs. 1 GWB.<br />
59
hinaus erstreckt, als „bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts“ zu<br />
führen sind. Es ist so gut wie unstreitig, dass der Begriff „Körperschaft“ hier<br />
unspezifisch dahin zu verstehen ist, dass auch rechtsfähige Anstalten und Stiftungen<br />
des öffentlichen Rechts und Mischformen darunter zu fassen sind 160 . Auf diesen<br />
unspezifischen Körperschaftsbegriff nimmt § 367 SGB III Bezug 161 .<br />
Überwiegend wird die Bundesagentur nicht als Körperschaft im engeren Sinne,<br />
sondern als Anstalt angesehen 162 . Denn ihr fehlt die körperschaftlich-mitglied-<br />
schaftliche Struktur. Die Versicherten sind keine Mitglieder in dem Sinne, dass sie die<br />
Organe der Bundesagentur wählen. Der Verwaltungsrat setzt sich vielmehr aus<br />
Vertretern der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber und der öffentlichen Körperschaften<br />
zusammen (§ 371 Abs. 5 SGB III), die auf Vorschlag der Gewerkschaften und der<br />
Arbeitsgeber sowie der Bundesregierung und des Bundesrates sowie der<br />
kommunalen Spitzenverbände vom Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit berufen<br />
werden. Deshalb fehlen der Bundesagentur die elementaren Voraussetzungen einer<br />
Körperschaft. Also handelt es sich um eine Anstalt, Arbeitnehmer und Arbeitgeber<br />
sind Anstaltsbenutzer. Die Bundesagentur ist also noch nicht einmal eine<br />
Körperschaft, sondern eine – der unmittelbaren Staatsverwaltung näherstehende –<br />
Anstalt des öffentlichen Rechts.<br />
Zu dem Zusatz „mit Selbstverwaltung“ wird gesagt, der Selbstverwaltungsgedanken<br />
erweise sich „bei näherem Hinsehen als schöner Schein 163 “. Das Bundesministerium<br />
für Wirtschaft und Arbeit führt die Aufsicht über die Bundesagentur. Die Aufsicht ist<br />
Rechtsaufsicht, d. h. sie erstreckt sich auf die Beachtung des Gesetzes und<br />
sonstigen Rechts. Das schließt nicht aus, dass eine weitergehende Aufsichtsbefugnis<br />
gesetzlich bestimmt ist (§ 393 Abs. 1 SGB III). Dem Bundesministerium ist jährlich<br />
ein Geschäftsbericht vorzulegen (§ 393 Abs. 2 SGB III). Das Bundesministerium<br />
kann unter bestimmten Voraussetzungen Rechtsverordnungen anstelle der<br />
Anordnungen des Verwaltungsrats erlassen (§ 372 Abs. 4 SGB III). Die Satzung der<br />
Bundesagentur und die Anordnungen des Verwaltungsrats bedürfen der<br />
160 Pieroth in: Jarass / Pieroth, Grundgesetz Kommentar, 6. Aufl. 2002, Art. 87 Rn. 10.<br />
161 Stefan Muckel, Sozialrecht, 2003, § 12 Rn. 11.<br />
162 Eicher in: Wolfgang Spellbrink / Wolfgang Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts,<br />
2003, § 2 Rn. 2 Anm. zu Abb. 36 (S. 47); Stefan Muckel, Sozialrecht, 2003, § 12 Rn. 11; Bertram<br />
Schulin / Gerhard Igl, Sozialrecht, 7. Aufl. 2002, Rn. 828, Thomas Clemens, Normenstrukturen im<br />
Sozialrecht, NZS 1994, 337, 342.<br />
163 Thomas Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 193 f.<br />
60
ministeriellen Genehmigung (§ 372 Abs. 2 SGB III). Die Bundesagentur zeichnet sich<br />
durch eine „außerordentlich enge Bindung an den Staat aus“ 164 , unter den Sozialver-<br />
sicherungsträgern ist sie mit weitem Abstand der Träger mit der größten<br />
„Staatsnähe“. Sie ist Teil der mittelbaren Staatsverwaltung und damit an „Gesetz und<br />
Recht“ gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG) und nicht an irgendwelche Zielvereinbarungen.<br />
Fazit: Die Bundesagentur für Arbeit fällt als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen<br />
Rechts unter den Begriff des öffentlichen Auftraggebers. In personeller Hinsicht ist<br />
der Anwendungsbereich des GWB damit eröffnet.<br />
b) Schwellenwerte<br />
Darüber hinaus müssten für die Anwendbarkeit des 4. Teils des GWB zudem die in §<br />
100 Abs. 1 GWB i.V.m. § 2 VgV aufgelisteten Schwellenwerte erreicht werden. Diese<br />
betragen:<br />
1. für Liefer- und Dienstleistungsaufträge im Bereich der Trinkwasser- oder<br />
Energieversorgung oder im Verkehrsbereich: 400 000 Euro,<br />
2. für Liefer- und Dienstleistungsaufträge der obersten oder oberen Bundes-<br />
behörden sowie vergleichbarer Bundeseinrichtungen außer Forschungs- und<br />
Entwicklungs- Dienstleistungen und Dienstleistungen des Anhangs I B der<br />
Richtlinie 92/50/EWG des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur<br />
Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge vom 18. Juni 1992 (ABl. EG Nr.<br />
L 209 S.1), geändert durch die Richtlinie 97/52/EG vom 13. Oktober 1997<br />
(ABl. EG Nr. L 328 S.1): 130 000 Euro; im Verteidigungsbereich gilt dies bei<br />
Lieferaufträgen nur für Waren, die im Anhang II der Richtlinie 93/36/EWG<br />
des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher<br />
Lieferaufträge vom 14. Juni 1993 (ABl. EG Nr. L 199 S.1), geändert durch<br />
die Richtlinie 97/52/EG vom 13. Oktober 1997 (ABl. EG Nr. L 328 S. 1),<br />
aufgeführt sind,<br />
3. für alle anderen Liefer- und Dienstleistungsaufträge: 200 000 Euro,<br />
4. für Bauaufträge: 5 Millionen Euro,<br />
5. für Auslobungsverfahren, die zu einem Dienstleistungsauftrag führen sollen,<br />
dessen Schwellenwert,<br />
164 Bertram Schulin / Gerhard Igl, Sozialrecht, 7. Aufl. 2002, Rn. 828.<br />
61
6. für die übrigen Auslobungsverfahren der Wert, der bei Dienstleistungs-<br />
aufträgen gilt,<br />
7. für Lose <strong>von</strong> Bauaufträgen <strong>nach</strong> Nummer 4: 1 Million Euro oder bei Losen<br />
unterhalb <strong>von</strong> 1 Million Euro deren addierter Wert ab 20 vom Hundert des<br />
Gesamtwertes aller Lose und<br />
8. für Lose <strong>von</strong> Dienstleistungsaufträgen <strong>nach</strong> Nummer 2 oder 3: 80 000 Euro<br />
oder bei Losen unterhalb <strong>von</strong> 80 000 Euro deren addierter Wert ab 20 vom<br />
Hundert des Gesamtwertes aller Lose; dies gilt nicht im Sektorenbereich.<br />
Es soll da<strong>von</strong> ausgegangen werden, dass die <strong>von</strong> den Trägern der freien<br />
Wohlfahrtspflege erbrachten Dienstleistungsaufträge den Schwellenwert <strong>von</strong> 200 000<br />
Euro <strong>nach</strong> § 2 Nr. 3 VgV oder für Lose 80 000 Euro bzw. bei Losen unterhalb <strong>von</strong><br />
80 000 Euro deren addierter Wert 20 % des Gesamtwertes aller Lose <strong>nach</strong> § 2 Nr. 8<br />
VgV überschreiten und damit in den Anwendungsbereich des vierten Teils des GWB<br />
fallen.<br />
c) Leistungserbringungsverträge als öffentlicher Auftrag<br />
Schließlich müsste ein öffentlicher Auftrag i.S.d. § 99 Abs. 1 GWB vorliegen. Dies ist<br />
jedoch fraglich, soweit es um die Vergabe <strong>von</strong> Leistungserbringungsverträgen geht.<br />
aa) Der erste Konflikt mit dem <strong>Vergaberecht</strong><br />
Ein Landkreis in Norddeutschland hatte im Jahre 1999 geplant, die ambulante<br />
pädagogische Frühförderung <strong>von</strong> Kindern (§ 40 Abs. 1 Nr. 2a BSHG) für die Zukunft<br />
neu zu organisieren. Er unterteilte sein Gebiet in Bezirke und wollte für jeden Bezirk<br />
nur einen freien bzw. gewerblichen Träger mit der Durchführung der Frühförderung<br />
„beauftragen“. Würden je Bezirk mehrere Anbieter im Bereich der Hausfrühförderung<br />
tätig, könnte – so die Befürchtung – der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit nicht<br />
gewahrt werden und die Leistungsfähigkeit der Einrichtungen wäre gefährdet.<br />
Deshalb schrieb der Landrat die ambulante pädagogische Frühförderung für jeden<br />
Bezirk gesondert aus. Bei gleichem Inhalt, Umfang und gleicher Qualität der Leistung<br />
sollte nur mit demjenigen Anbieter eine Leistungs- und Entgeltvereinbarung<br />
abgeschlossen werden, dessen Vergütung geringer ist als die der anderen Anbieter.<br />
62
Das <strong>von</strong> einem übergangenen freien Träger angerufene Verwaltungsgericht Stade<br />
verpflichtete den Landkreis, die Verhandlungen mit einem nicht berücksichtigten<br />
Mitbewerber neu aufzunehmen und auch mit diesem vorläufig eine Leistungs- und<br />
Entgeltvereinbarung zu den gleichen Bedingungen wie mit den berücksichtigten<br />
Anbietern abzuschließen 165 .<br />
Das Gericht hielt also das <strong>Vergaberecht</strong> nicht für anwendbar. Freilich lässt sich dem<br />
Beschluss nicht entnehmen, welcher Argumentation das Gericht dabei folgt: Hält es<br />
das <strong>Vergaberecht</strong> deshalb nicht für anwendbar, weil die Vereinbarungen <strong>nach</strong><br />
§§ 93 ff BSHG <strong>von</strong> der Art her etwas anderes darstellen als mit dem Begriff der<br />
„öffentlichen Aufträge“ im Sinne des <strong>Vergaberecht</strong>s gemeint ist? Oder betrachtet es –<br />
wie vereinzelt in der Literatur vertreten wird 166 - die §§ 93 ff BSHG als spezielle<br />
Bestimmungen, die die allgemeinen Regelungen des <strong>Vergaberecht</strong>s verdrängen?<br />
Diese Frage muss beantwortet werden. Denn die Lex specialis Regel greift nicht,<br />
soweit die §§ 97 ff. GWB umgesetztes Gemeinschaftsrecht und<br />
gemeinschaftsrechtskonform auszulegen sind 167 .<br />
bb) Privat- oder öffentlich-rechtlicher Vertrag?<br />
In der Literatur wird der öffentliche Auftrag als ein „privatrechtlicher Vertrag“ defi-<br />
niert 168 , womit Beschaffungsvorgänge auf der Grundlage öffentlich-rechtlicher<br />
Verträge <strong>von</strong> vornherein aus dem Anwendungsbereich des <strong>Vergaberecht</strong>s ausge-<br />
schlossen wären. Die Leistungserbringungsvereinbarungen <strong>nach</strong> §§ 77, 78a ff. SGB<br />
VIII und §§ 75 ff. SGB XII (bisher § 93 ff. BSHG) sind <strong>nach</strong> gefestigter Recht-<br />
165 VG Stade 14. 7. 1999 RsDE 47 (2001), 99.<br />
166 S. Pöld-Krämer / J. I. Fahlbusch, Das Recht der Leistungserbringung in der Sozialhilfe im Licht der<br />
§§ 93 ff. BSHG, in: RsDE Heft 46/2000, 4, 11. Für die entsprechenden Regelungen im SGB VIII<br />
vgl. A. Stähr / A. Hilke, Die Leistungs- und Finanzierungsbeziehungen im Kinder- und<br />
Jugendhilferecht, ZfJ 1999, 155, 158.<br />
167 Anders ein vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe in Auftrag gegebenes Gutachten, das die<br />
Lex specialis Regel auf das Verhältnis <strong>von</strong> §§ 97 ff. GWB und §§ 93 ff. BSHG anwendet und zu<br />
dem merkwürdigen Ergebnis gelangt, das GWB sei das speziellere Gesetz. Das tragende<br />
Argument lautet, die Kartellvergabe werde in 87 Normen geregelt, während das BSHG die<br />
Leistungserbringung nur in sieben Normen regele. S. Luther Menold, Gutachten zur<br />
Ausschreibungspflicht <strong>von</strong> Leistungen in ambulant betreuten Wohnformen“ v. 15. 1. 2004, unter<br />
1.2.2.3).<br />
168 Bechtold, GWB, 3. Aufl. 2002, § 99 Rn. 1; Thieme / Correll, DVBl. 1999, 884, 885; Dreher, DB<br />
1998, 2579, 2587.<br />
63
sprechung keine privatrechtlichen, sondern öffentlich-rechtliche Verträge 169 . Gleiches<br />
gilt für die Vereinbarungen <strong>nach</strong> § 17 Abs. 2 SGB II und § 21 SGB IX 170 . Dem<strong>nach</strong><br />
wäre das <strong>Vergaberecht</strong> auf diese Vereinbarungen <strong>von</strong> vornherein nicht anwendbar.<br />
Allerdings hat der EuGH anders entschieden und festgestellt, dass die Anwend-<br />
barkeit des <strong>Vergaberecht</strong>s nicht <strong>von</strong> der Rechtsnatur des Vertrages abhängt 171 . Das<br />
ist auch einsichtig, weil die Lehren zur Abgrenzung der zwei Teilrechtsordnungen<br />
nicht immer zu überzeugenden Ergebnissen führen und die Abgrenzung häufig<br />
aufgrund pragmatischer Überlegungen erfolgt. Deshalb ist gegenüber einer<br />
unbesehenen Anknüpfung weitreichender Rechtsfolgen an diese Unterscheidung<br />
durchaus Zurückhaltung angezeigt. Allerdings ist auch zu bedenken, dass die<br />
deutsche Rechtsprechung mit Billigung der Literatur die Zuordnung eines Vertrages<br />
zum öffentlichen Recht vom Ausmaß der rechtlichen „Vorprägung“ des Abschlusses<br />
abhängig macht 172 . Wenn aber die Verwaltung zum Vertragsabschluss verpflichtet<br />
ist, kann sie nicht wie ein Privater auf einem Markt als Nachfrager auftreten. Denn sie<br />
verfügt dann nicht über die Freiheit, vom Erwerb der begehrten Dienstleistung<br />
abzusehen oder ihn hinauszuschieben, etwa weil derzeit der Preis zu hoch ist.<br />
Deshalb ist die <strong>Erbringung</strong> <strong>von</strong> Leistungen auf der Grundlage öffentlich-rechtlicher<br />
Vereinbarungen immerhin ein Indiz dafür, dass wir es nicht mit einem Marktvorgang<br />
zu tun haben und kein öffentlicher Auftrag vorliegt, d. h. das <strong>Vergaberecht</strong> nicht<br />
anwendbar ist.<br />
cc) Keine entgeltlichen Verträge<br />
§ 99 Abs. 1 GWB definiert öffentliche Aufträge als „entgeltliche Verträge zwischen<br />
öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen, die Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen<br />
zum Gegenstand haben, und Auslobungsverfahren, die zu Dienstleistungsaufträgen<br />
führen sollen“. Begriffsmerkmal ist also die Entgeltlichkeit eines bestimmten Vertrags-<br />
gegenstandes. Das Entgelt muss zwar nicht notwendig in Geld bestehen, aber in<br />
169<br />
BGH v. 12. 11. 1991 – KZR 12/90 - RsDE 18(1992), 97, 100; BVerwGE 94, 202, 204 = RsDE 25<br />
(1994), 70, 71 f.<br />
170<br />
Kessler in: Volker Neumann, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen. Handbuch SGB<br />
IX, 2004, § 9 Rn. 64 mit Nachweisen.<br />
171<br />
EuGH v. 12. 7. 2001 Rs. C-399/98, Slg. 2001, I-5435 (Ordine degli Architetti), Rn. 73 mit dem<br />
knappen Hinweis, dass in einigen Mitgliedstaaten die Vergabe generell durch einen<br />
verwaltungsrechtlichen Vertrag erfolgt, der dem öffentlichen Recht unterliegt. – Dörr, RdJB 2002,<br />
349, 364 in Fn. 92 meint, dass diese Wertung auch in der deutschen Literatur „inzwischen h. M.“<br />
ist.<br />
172<br />
BVerwGE 94, 202, 204 = RsDE 25 (1994), 70, 71 f.; BGHZ 116, 339, 341-347 = RsDE 18 (1992),<br />
97, 100; BGH 7. 7. 1992 RsDE 21 (1993), 71, 74 f.<br />
64
einer Vergütung, die einen Geldwert darstellen kann 173 . In der Rechtsprechung des<br />
EuGH zur Entgeltlichkeit als Begriffsmerkmal der Dienstleistung im Sinne <strong>von</strong> Art. 50<br />
EG-Vertrag wird gesagt, dass das Entgelt „die wirtschaftliche Gegenleistung für die<br />
betreffende Leistung darstellt“, wobei „die Gegenleistung in der Regel zwischen dem<br />
Erbringer und dem Empfänger der Leistung vereinbart wird 174 “. Der öffentliche<br />
Auftrag ist also ein Vertrag, der Leistung und Gegenleistung synallagmatisch<br />
verknüpft. Gegenstand der Leistungserbringungsvereinbarungen ist jedoch nicht die<br />
Beschaffung <strong>von</strong> Dienstleistungen gegen ein Entgelt als Gegenleistung, sondern die<br />
Klärung der Bedingungen für die Leistungsabwicklung im sozialrechtlichen Dreiecks-<br />
verhältnis. Wenn man hier überhaupt <strong>von</strong> „Beschaffung“ sprechen will, sind zwei<br />
rechtliche Vorgänge zu nennen: Die Gewährung der Sozialleistung durch den<br />
Sozialleistungsträger im Bewilligungsbescheid, der ein Verwaltungsakt ist, und die<br />
vertraglich geregelte <strong>Erbringung</strong> der Leistung im Verhältnis Leistungsberechtigter<br />
und Leistungserbringer.<br />
dd) Dienstleistungskonzession<br />
Dass die Leistungserbringungsvereinbarungen keine zweiseitig verpflichtenden<br />
entgeltlichen Verträge sind, folgt auch aus den Rechtsfolgen des Abschlusses, die<br />
einer öffentlich-rechtlichen Zulassung nahe kommen 175 . Leistungserbringungsver-<br />
träge haben in der Tat eine große Ähnlichkeit mit Dienstleistungskonzessionen, die<br />
<strong>nach</strong> der Rechtsprechung des EuGH keine öffentlichen Aufträge sind 176 . Bei der<br />
Konzession erhält der Private als Gegenleistung für seine Leistung statt (oder neben)<br />
einer Vergütung das ausschließliche Recht zur (kommerziellen) Nutzung und<br />
Verwertung des Leistungssubstrats. Das Risiko der Verwertung trägt der Private. Bei<br />
freien Trägern ist dieses Verwertungsrisiko das Risiko der Unterbelegung. Leistungs-<br />
erbringungsverträge sind eben keine Belegungsverträge, mit denen die Auslastung<br />
der Einrichtung zugesagt wird 177 . Freie Träger erzielen auch ähnlich wie<br />
Konzessionäre ihre Vergütung über den Benutzer der Leistung. Allerdings wird ihnen<br />
173 Boesen, <strong>Vergaberecht</strong>, 2000, § 99 Rn. 57; Bechtold, GWB, 3. Aufl. 2002, § 99 Rn. 2.<br />
174 EuGH 27. 9. 1988 Rs. 263/83, Slg. 1988, I-5365, (Humbel und Edel), Rn. 17.<br />
175 § 93 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 BSHG.<br />
176 EuGH v. 7. 12. 2000 Rs C-324/98, Slg. 2000, I-10745, Rn. 57.<br />
177 Das vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe in Auftrag gegebenes Gutachten lehnt die Wertung<br />
der Verträge <strong>nach</strong> §§ 93 BSHG als Konzessionsverträge mit dem unzutreffenden Argument ab,<br />
dass „es an einer Übertragung des wesentlichen wirtschaftlichen Risikos als dem Merkmal einer<br />
Konzession fehlt“ S. Luther Menold, Gutachten zur Ausschreibungspflicht <strong>von</strong> Leistungen in<br />
ambulant betreuten Wohnformen“ v. 15. 1. 2004, unter 1.2.1.<br />
65
das Entgelt nicht vom Sozialleistungsberechtigten, sondern vom Leistungsträger<br />
ausgezahlt. Wenn – wie in der Praxis hin und wieder gefordert – die Sozialleistungs-<br />
träger die übernommenen Kosten der Leistung an den Leistungsberechtigten<br />
auszahlen würden, der dann das Entgelt an den Leistungserbringer zahlt, wären alle<br />
Merkmale einer Konzession erfüllt. Trotz dieser Abweichung <strong>von</strong> Idealfall einer<br />
Konzession wertet Dörr die Leistungserbringungsverträge der Sozial- und Jugend-<br />
hilfe als „besondere Form der Konzessionsvergabe..., in welcher die Kostenzusage<br />
des staatlichen Leistungsträgers das Verwertungsrecht des Konzessionärs<br />
ausfüllt 178 “. Dem ist zuzustimmen.<br />
ee) Rahmenvereinbarung<br />
Das <strong>Vergaberecht</strong> kennt die Rahmenvereinbarung, in der die Bedingungen für<br />
mehrere im Laufe eines bestimmten Zeitraums abzuschließende Einzelaufträge<br />
festgelegt werden. In einer Rahmenvereinbarung werden also keine verbindlichen<br />
Abnahmepflichten begründet, sondern lediglich entsprechende Optionen<br />
eingeräumt 179 . Auf den ersten Blick weist dieser Vereinbarungstypus eine gewisse<br />
Ähnlichkeit mit den Leistungserbringungsvereinbarungen auf. Die Zuordnung zu<br />
diesem Vereinbarungstypus hat aber allenfalls dann Rechtsfolgen, wenn die<br />
Regelung der <strong>Erbringung</strong> der einzelnen Sozialleistung ein Einzelauftrag im<br />
vergaberechtlichen Sinne wäre. Dann nämlich müsste nicht dieser Einzelauftrag,<br />
sondern nur der Rahmenvertrag ausgeschrieben werden.<br />
Als ein solcher Einzelauftrag könnte die sog. Kostenzusage, die der Sozialleistungs-<br />
träger dem Leistungserbringer erteilt, gewertet werden. Dabei handelt es sich im<br />
Regelfall um eine Kopie des Bewilligungsbescheids (also der Kostenübernahme-<br />
erklärung), die der Sozialleistungsträger mit oder ohne Begleitbrief dem Leistungs-<br />
erbringer zustellt 180 . Die rechtliche Wertung dieses Vorgangs ist umstritten. In der<br />
Literatur ist die Ansicht anzutreffen, dass der Sozialleistungsträger mit diesem<br />
Schreiben der Schuld des Hilfeempfängers aus dem – im Regelfall erst noch<br />
abzuschließenden – Heimvertrag beitrete, es sich also um einen Schuldbeitritt (auch<br />
178 Dörr, RdJB 2002, 349, 365.<br />
179 Boesen, <strong>Vergaberecht</strong>, 2000, § 97 Rn. 37-45.<br />
180 Zur Darstellung und Wertung dieses Verwaltungsvorgangs Neumann, Freiheitsgefährdung im<br />
kooperativen Sozialstaat, 1992, S. 136-141.<br />
66
Schuldmitübernahme oder kumulative Schuldübernahme genannt) handele 181 .<br />
Da<strong>nach</strong> ist die „Kostenzusage“ gerade kein gegenseitiger entgeltlicher Vertrag, der<br />
Leistung und Gegenleistung synallagmatisch verknüpft. Denn der Träger der<br />
Einrichtung verpflichtet sich im Heimvertrag mit dem Hilfeempfänger zur <strong>Erbringung</strong><br />
jener Leistung, über deren Kosten die „Kostenzusage“ eine verbindliche Regelung<br />
trifft. Noch deutlicher wird die Unvereinbarkeit der Leistungsabwicklung mit dem<br />
<strong>Vergaberecht</strong> in der Rechtsprechung, die die Selbstverpflichtung des Sozialleistungs-<br />
trägers gegenüber dem Leistungserbringer streng an den im Bewilligungsbescheid<br />
geregelten Sozialhilfeanspruch bindet, so dass der Zahlungsanspruch erlischt,<br />
sobald die gesetzlichen Voraussetzungen der Hilfegewährung nicht mehr<br />
vorliegen 182 . Der „Grundsatz der Akzessorietät“ der Kostenzusage macht einmal<br />
mehr deutlich, dass das Basisverhältnis im Dreieck sozialleistungsberechtigter<br />
Bürger – Sozialleistungsträger – Leistungserbringer die Beziehung zwischen Bürger<br />
und Leistungsträger ist und das Leistungserbringungsrecht der Erfüllung des<br />
Leistungsanspruchs dient. Deshalb ist die Kostenzusage kein öffentlicher Auftrag<br />
und die Leistungserbringungsvereinbarung keine Rahmenvereinbarung im vergabe-<br />
rechtlichen Sinne.<br />
Fazit: Leistungserbringungsvereinbarungen sind keine öffentlichen Aufträge im Sinne<br />
<strong>von</strong> § 99 Abs. 1 GWB. Deshalb gelangt das <strong>Vergaberecht</strong> des GWB überall dort nicht<br />
zur Anwendung, wo das Sozialrecht den Abschluss <strong>von</strong> Leistungserbringungsver-<br />
trägen vorschreibt oder zulässt.<br />
Erfolgt die Leistungserbringung hingegen nicht im Dreiecksverhältnis, sondern durch<br />
zweiseitig verpflichtende Verträge über bestimmte Leistungskontingente zwischen<br />
dem Sozialleistungsträger auf der einen und einem freien Träger auf der anderen<br />
Seite, könnte ein öffentlicher Auftrag vorliegen und das <strong>Vergaberecht</strong> des GWB zur<br />
Anwendung gelangen.<br />
181<br />
Schmitt, Leistungserbringung durch Dritte im Sozialrecht, 1990, S. 440-446; Lenz, ZfSH / SGB<br />
1986, 203, 206 f.; Giese, ZfF 1984, 93, 97.<br />
182<br />
Zum Sozialhilferecht OVG Münster 8. 12. 1994 RsDE 34 (1996), 91; VG Stuttgart 3. 2. 1999<br />
RsDE 46 (2000), 101. Zum Jugendhilferecht OVG Münster 19. 7. 1990 RsDE 15 (1990), 69; vgl.<br />
auch OLG Hamm 11. 8. 1989 RsDE 12 (1991), 105.<br />
67
3. Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten<br />
Fraglich ist, ob das Leistungserbringungsrecht verdrängt wird oder bestehen bleibt,<br />
wenn die Sozialverwaltung Leistungskontingente bildet, die geeignet sind, die<br />
Anforderungen des Begriffs „öffentlicher Auftrag“ im Sinne des § 99 GWB zu erfüllen<br />
(dazu unter a). Ferner ist zu prüfen, was das Verfassungsrecht zu einer Bildung <strong>von</strong><br />
Leistungskontingenten durch die Sozialverwaltung sagt (unter b). Die letzte Frage<br />
bedarf einer Erläuterung. Es ist richtig, dass bei der Auslegung des GWB das<br />
Europarecht als höherrangiges Recht im Verhältnis zum nationalen Verfassungsrecht<br />
zu beachten ist. Das folgt aus dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts.<br />
Es geht hier aber nicht darum, die §§ 97 ff. GWB auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu<br />
befragen oder verfassungskonform auszulegen. Gefragt wird nur, ob das<br />
Grundgesetz zulässt, dass die Sozialverwaltung Leistungskontingente bildet, die<br />
dann möglicherweise – in einem zweiten Schritt – zur Anwendung des <strong>Vergaberecht</strong>s<br />
führen könnten.<br />
a) Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten und Leistungserbringungsrecht<br />
aa) Wegbrechen des Leistungserbringungsrechts oder zwei Regime<br />
Ein Landkreis will die Leistungen der ambulanten Hausfrühförderung für einen<br />
Zeitraum <strong>von</strong> drei Jahren neu „vergeben“. Auf Grund der bisherigen Inanspruch-<br />
nahme der Hausfrühförderung wird ein jährlicher „Auftragsgesamtwert“ geschätzt.<br />
Dieser überschreitet den Schwellenwert, <strong>von</strong> dem ab das „europäische“ Vergabe-<br />
recht Anwendung findet. Der Landrat könnte nun zu folgenden Feststellungen<br />
kommen: Weil die §§ 93 ff BSHG es nicht zuließen, eine Entgeltvereinbarung nur mit<br />
dem – bei gleicher Leistung und Qualität – billigsten Anbieter abzuschließen,<br />
kollidiere die sozialhilferechtliche Regelung mit dem EU-<strong>Vergaberecht</strong>. Eine solche<br />
Kollision sei so zu lösen, dass in diesem Falle dem europäischen <strong>Vergaberecht</strong> der<br />
Vorrang eingeräumt werden müsse und demzufolge die §§ 93 ff BSHG nicht<br />
angewendet werden dürften. Wenn das richtig wäre, hätte es die Verwaltung in der<br />
Hand, das gesamte Leistungserbringungsrecht zu umgehen und im Ergebnis<br />
wegzubrechen.<br />
68
Die Auffassung des Landrats ist jedoch schon deshalb unzutreffend, weil kein<br />
Normenkonflikt vorliegt. Da die Leistungserbringungsverträge – wie oben dargelegt –<br />
Dienstleistungskonzessionen und keine öffentlichen Aufträge im Sinne <strong>von</strong> § 99<br />
GWB sind, wird das Leistungserbringungsrecht nicht vom <strong>Vergaberecht</strong> verdrängt.<br />
Wenn der Landrat Leistungskontingente bildet und vergibt, bestehen zwei Regime<br />
der <strong>Erbringung</strong> <strong>von</strong> <strong>Sozialleistungen</strong> neben einander, nämlich die Vergabe <strong>nach</strong><br />
Haushaltsrecht und das geltende Leistungserbringungsrecht der §§ 93 ff. BSHG.<br />
Was hat das für Folgen?<br />
bb) Unverträglichkeit des Leistungsrechts mit Leistungskontingenten<br />
Der Erwerb <strong>von</strong> Leistungskontingenten durch Sozialleistungsträger ist mit einigen<br />
Normen, die das Sozialrechtsverhältnis regeln (Leistungsrecht), unverträglich. Der<br />
Träger der Sozialhilfe entscheidet gemäß § 17 Abs. 2 SGB XII (früher § 4 Abs. 2<br />
BSHG) über die Gestaltung der Hilfe, zu der auch die Bestimmung des Leistungs-<br />
erbringers gehört, <strong>nach</strong> pflichtgemäßem Ermessen. Pflichtgemäß ausgeübt wird das<br />
Ermessen nur, wenn die Entscheidung die „Besonderheit des Einzelfalles“<br />
berücksichtigt (§ 9 Abs. 1 SGB XII, früher § 3 Abs. 1 BSHG) 183 . Es ist schwer<br />
vorstellbar, dass diese Anforderung erfüllt werden kann, wenn der Leistungs-<br />
berechtigte auf Leistungskontingente, die irgendwann einmal erworben wurden,<br />
verwiesen werden müsste. Vor allem ist zu bedenken, dass der Vertrag, mit dem<br />
Leistungskontingente erworben werden, keine Vereinbarung im Sinne <strong>von</strong> § 75 Abs.<br />
3 SGB XII (früher § 93 Abs. 2 BSHG) bzw. <strong>von</strong> § 78b Abs. 1 SGB VIII ist, so dass die<br />
Leistung <strong>von</strong> einem Lieferanten <strong>von</strong> Leistungskontingenten nur unter den strengen<br />
Voraussetzungen <strong>von</strong> § 75 Abs. 4 S. 1 und 2 SGB XII (früher § 93 Abs. 3 S. 1 und 2<br />
BSHG) bzw. § 78b Abs. 3 SGB VIII erbracht werden darf.<br />
Noch deutlicher ist die Unverträglichkeit <strong>von</strong> Leistungskontingenten mit den<br />
leistungsrechtlichen Vorgaben des § 9 Abs. 2 SGB XII (früher § 3 Abs. 2 BSHG) bzw.<br />
§§ 5 Abs. 2, 36 Abs. 1 S. 5 SGB VIII. Da<strong>nach</strong> darf der Leistungsberechtigte Wünsche<br />
im Hinblick auf die Gestaltung der Hilfe äußern, wozu insbesondere die Wahl des<br />
Leistungserbringers gehört. Diesen Wünschen soll entsprochen werden, soweit sie<br />
183 Zur Ableitung des Individualisierungsgrundsatzes für die Jugendhilfe aus § 33 SGB I s. Münder,<br />
Das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten in der Jugendhilfe, RsDE 38 (1998), 55,<br />
58 f.<br />
69
angemessen sind und keine unverhältnismäßigen Mehrkosten verursachen. In<br />
diesem Fall reduziert der Wunsch das Ermessen des Sozialleistungsträgers auf Null.<br />
Dem Wunsch <strong>nach</strong> einem bestimmten Erbringer stationärer Leistungen soll nur<br />
entsprochen werden, wenn mit ihm „Vereinbarungen <strong>nach</strong> Abschnitt 7“ bzw.<br />
„Vereinbarungen <strong>nach</strong> § 78b bestehen“ 184 . Damit sind die Leistungserbringungs-<br />
verträge gemeint. Daraus folgt erstens, dass das Wunsch- und Wahlrecht nicht auf<br />
den Bieter beschränkt werden darf, bei dem die Verwaltung Leistungskontingente<br />
erworben hat. Zweitens dürfen Wünsche <strong>nach</strong> den Leistungen dieses Bieters nur<br />
unter den strengen Voraussetzung der Soll-Vorschriften des § 9 Abs. 2 S. 2 SGB XII<br />
(früher § 3 Abs. 2 S. 2 BSHG) bzw. §§ 5 Abs. 2 S. 2, 36 Abs. 1 S. 5 SGB VIII erfüllt<br />
werden, also nur bei Vorliegen „atypischer Umstände“, die ein Abweichen <strong>von</strong> der<br />
gesollten Handlung gestatten 185 .<br />
Die Vergabe <strong>von</strong> Leistungskontingenten ruft also einen Effekt hervor, der bereits bei<br />
der systemwidrigen Zuwendungsfinanzierung beobachtet wurde: Die Verwaltung<br />
manövriert sich in eine Lage, in der sie öffentliche Mittel verschwenden muss, wenn<br />
sie weiterhin rechtmäßig handeln will 186 . Der Mehrkostenvorbehalt verhindert diesen<br />
Effekt nicht. Erstens kommt er nur zum Zuge, wenn die zu vergleichenden<br />
Leistungen angemessen sind 187 . Das wird aber bei Leistungen, die bei einem Bieter<br />
erworben wurden und auf Abruf bereit gehalten werden, schon aus räumlichen<br />
Gründen nur ausnahmsweise der Fall sein. Zweitens muss die gewünschte Leistung<br />
nicht zwingend die teurere sein, da nicht Leistungskontingente, sondern konkrete<br />
Leistungen für die Erfüllung eines individuellen Bedarfs zu vergleichen sind. Und<br />
drittens dürfen kontingentierte Leistungen nur dann in einen Vergleich eingestellt<br />
werden, wenn dies <strong>nach</strong> der „Besonderheit des Einzelfalles“ gemäß § 75 Abs. 4 S. 1<br />
SGB XII (früher § 93 Abs. 3 S. 1 BSHG) bzw. „<strong>nach</strong> Maßgabe der Hilfeplanung“<br />
gemäß § 78b Abs. 3 SGB VIII ausnahmsweise geboten ist.<br />
184 § 3 Abs. 2 S. 2 BSHG. - § 5 Abs. 2 S. 2 SGB VIII, vgl. auch § 36 Abs. 1 S. 5 SGB VIII.<br />
185 Diese entscheidenden Punkte werden in dem vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe in<br />
Auftrag gegebenen Gutachten noch nicht einmal gestreift. S. Luther Menold, Gutachten zur<br />
Ausschreibungspflicht <strong>von</strong> Leistungen in ambulant betreuten Wohnformen“ v. 15. 1. 2004, unter<br />
1.2.2.2.<br />
186 Neumann, Subventionen oder Leistungsentgelte?, RsDE 31 (1995), 42, 44.<br />
187 BVerwGE 97, 53, 57 f. = RsDE 29 (1995), 94, 99 f.; Giese, Zur Geltung und Anwendung des § 3<br />
Abs. 2 S. 3 BSHG bei dem Wunsch <strong>nach</strong> häuslicher Pflege statt Heimpflege, RsDE 4 (1989), 39,<br />
46 f. Zur Jugendhilfe Walter Schellhorn u. a., SGB VIII / KJHG. Kommentar, 2. Aufl. 2000, § 5 Rn.<br />
29.<br />
70
cc) Unverträglichkeit des Leistungserbringungsrechts mit Leistungskontingenten<br />
Die Einrichtungen haben einen Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens<br />
beim Abschluss <strong>von</strong> Vereinbarungen <strong>nach</strong> § 75 Abs. 3 SGB XII (früher § 93 Abs. 2<br />
BSHG) 188 und §§ 77, 78a ff. SGB VIII 189 . Der Bedarf an Heimplätzen ist kein<br />
zulässiger Gesichtspunkt der Ermessensausübung, da mit dem Abschluss der<br />
Vereinbarung keine Pflicht entsteht, „die betreffende Einrichtung zu belegen oder für<br />
ihre Auslastung zu sorgen“ 190 . Wenn keine Vereinbarung zustande kommt,<br />
entscheidet auf Antrag einer Partei die Schiedsstelle über die Gegenstände, über die<br />
keine Einigung erreicht werden konnte. Da auch das neue Recht keine Ermächtigung<br />
zu einer „Angebotssteuerung durch Bedarfsprüfung“ enthält 191 , kann jede<br />
Einrichtung, die wirtschaftlich, sparsam und leistungsfähig im Sinne <strong>von</strong> § 75 Abs. 3<br />
S. 2 SGB XII (§ 93 Abs. 2 Satz 2 BSHG) bzw. § 78b Abs. 2 SGB VIII ist, den<br />
Abschluss der Vereinbarung erstreiten. Mit dem Abschluss wird die Pflicht des<br />
Trägers der Sozial- und Jugendhilfe ausgelöst, die Vergütung für die erbrachte<br />
Leistung zu übernehmen. Zwar folgt aus dem Grundsatz „Keine Sozialhilfe für die<br />
Vergangenheit“, dass die Einrichtung nur Leistungen, die durch Sozialverwaltungsakt<br />
bewilligt wurden, zu Lasten der Sozialhilfe erbringen darf. Da jedoch – wie dargelegt<br />
– eine leistungsrechtliche Pflicht zur Bewilligung besteht, muss der Träger der<br />
Sozialhilfe auch dann die Vergütung übernehmen, wenn er über ein durch<br />
<strong>Vergaberecht</strong> erworbenes Leistungspaket verfügt. Fazit: Er bleibt auf seinem<br />
Leistungskontingent sitzen. Es bestätigt sich einmal mehr, dass systemwidrige Finan-<br />
zierungsstrategien mit einer Verschwendung öffentlicher Mittel einhergehen.<br />
188 BVerwGE 94, 202, 207 = RsDE 25 (1994), 70, 72; OVG Lüneburg 11. 6. 1985 FEVS 34, 419, 423<br />
f.; 21. 8. 1981 FEVS 32, 282, 285 f.; OVG Hamburg 12. 9. 1980 FEVS 31, 404, 416.<br />
189 Walter Schellhorn u. a., SGB VIII / KJHG. Kommentar, 2. Aufl. 2000, § 77 Rn. 14; Johannes<br />
Münder u. a., Frankfurter Lehr- und Praxiskommentar zum KJHG / SGB VIII, 3. Aufl. 1998, § 77<br />
Rn. 7; Papenheim, in: Peter-Christian Kunkel, Lehr- und Praxiskommentar SGB VIII, 1998, § 77<br />
Rn. 4; Stähr, Führt der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zu einem Rechtsanspruch der<br />
freien Träger auf Finanzierung, ZfJ 1998, 24, 27 f. Der Wortlaut <strong>von</strong> § 78b Abs. 2 SGB VIII legt<br />
sogar einen Rechtsanspruch auf den Abschluss nahe, vgl. Reinhard Wiesner, Die Neuregelung<br />
der Entgeltfinanzierung in der Kinder- und Jugendhilfe, ZfJ 1999, 79, 82.<br />
190 BVerwGE 94, 202, 208 = RsDE 25 (1994), 70, 74 f. –Walter Schellhorn u. a., SGB VIII / KJHG.<br />
Kommentar, 2. Aufl. 2000, § 78b Rn. 17; Johannes Münder u. a., Frankfurter Lehr- und<br />
Praxiskommentar zum KJHG / SGB VIII, 3. Aufl. 1998, § 77 Rn. 7; Reinhard Wiesner u. a., SGB<br />
VIII, 1995, § 77 Rn. 6.<br />
191 So ausdrücklich VG Stade 14. 7. 1999 RsDE 47 (2001), 99, 103.<br />
71
dd) Verträge zu Lasten Dritter?<br />
Verträge über Leistungskontingente („echte Leistungsverträge“) werden abge-<br />
schlossen, um durch einen preiswerten Einkauf und eine Kontingentierung der<br />
Leistungen öffentliche Haushaltsmittel einzusparen, nicht aber um diese Mittel zu<br />
verschwenden. Es ist also nicht auszuschließen, dass die Verwaltung sich über die<br />
aufgezeigte Unverträglichkeit dieses Vertrages mit dem Sozialrecht unter Beeinträch-<br />
tigung der Rechte der Sozialleistungsberechtigten und freien Träger hinwegsetzt.<br />
Dadurch werden die Leistungsverträge aber noch nicht zu gemäß § 57 Abs. 1 SGB X<br />
unwirksamen Verträgen zu Lasten Dritter. Denn ein Eingriff in die Rechte eines<br />
Dritten liegt erst dann vor, wenn entweder der Vertrag selbst in die Rechte eingreift<br />
oder die Vertragsparteien sich zu einer entsprechenden, noch zu treffenden<br />
Maßnahme verpflichten 192 . Der Vertrag über Leistungskontingente („echter<br />
Leistungsvertrag“) mag zu faktischen Beeinträchtigungen der Rechte Dritter führen,<br />
mindert aber nicht deren rechtlichen Status. Wenn die Verwaltung die gewünschte<br />
<strong>Erbringung</strong> der Leistung durch einen freien Träger ablehnt, kann der Leistungs-<br />
berechtigte sein Recht durch die Verpflichtungsklage durchsetzen. Er kann sich die<br />
Leistung auch selbst beschaffen und die Erstattung der Kosten durch eine<br />
allgemeine Leistungsklage betreiben, sofern die Voraussetzungen einer zulässigen<br />
Selbstbeschaffung gegeben sind 193 . Auch die übergangenen freien Träger können –<br />
wie oben dargelegt – den Abschluss <strong>von</strong> Vereinbarungen gerichtlich erstreiten.<br />
Gefährdet wird ihre Rechtsposition allerdings dann, wenn die Verwaltung trotz einer<br />
bestehenden Vereinbarung ihnen keine Klienten „zuweist“ und die Sozialleistungs-<br />
berechtigten sich nicht gegen diese Praxis zur Wehr setzen. Eine solche Verfahrens-<br />
weise wäre ein klarer Verstoß gegen die Bestimmungen des Leistungsrechts und die<br />
Pflicht zur (partnerschaftlichen) Zusammenarbeit <strong>von</strong> öffentlichen und freien<br />
Trägern 194 . Den übergangenen Trägern wäre zu raten, sich mit einer Unterlassungs-<br />
oder Feststellungsklage zu wehren. Anders fällt die rechtliche Beurteilung aus, wenn<br />
in einem Vertrag über Leistungskontingente dem Lieferanten <strong>von</strong> Dienstleistungen<br />
eine bevorzugte „Belegung“ oder Inanspruchnahme zugesagt wird. Solche<br />
192<br />
Krasney, in: Kasseler Kommentar, 2000, § 57 SGB X Rn. 4; Engelmann, in: Schroeder-Printzen,<br />
SGB X, 3. Aufl. 1996, § 57 Rn. 3.<br />
193<br />
Dazu Ralf Rothkegel, Der sozialhilferechtliche Kenntnisgrundsatz und der Grundsatz „Keine Hilfe<br />
für die Vergangenheit“, ZfSH/SGB 2000, S. 1 (9-12).<br />
194<br />
§ 10 Abs. 2 BSHG, § 4 Abs. 1 SGB VIII.<br />
72
Vertragsklauseln, die früher in den sog. Belegungsverträgen der Rentenver-<br />
sicherungsträger mit Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation anzutreffen<br />
waren 195 , greifen in die Rechte der Leistungsberechtigten und übergangenen<br />
Leistungserbringer ein und sind gemäß § 57 Abs. 1 SGB X unwirksam.<br />
b. Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten und Verfassungsrecht<br />
aa) Recht auf Auswahl der Leistungen und ihrer Erbringer<br />
Das Recht des Sozialleistungsberechtigten auf Auswahl der Leistungen und ihrer<br />
Erbringer ist im Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG<br />
geschützt (A III 2). Die Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten stellt nicht zwingend einen<br />
Grundrechtseingriff dar. Das ändert sich aber, wenn das Leistungskontingent so groß<br />
ist, dass nur noch ein oder wenige Erbringer vorhanden sind, unter denen<br />
ausgewählt werden kann. Jedenfalls liegt spätestens dann ein Grundrechtseingriff<br />
vor, wenn ein regionaler Sozialraum gebildet wird, für den nur noch ein Anbieter für<br />
eine Leistungsart vorhanden ist.<br />
Es ist zwar richtig, dass die sozialrechtlichen Ausprägungen des Grundrechts, also<br />
die diversen Wunsch- und Wahlrechte, sich nur auf vorhandene Einrichtungen und<br />
tatsächlich zur Verfügung stehende Plätze erstrecken 196 . Damit ist aber nur gesagt,<br />
dass diese Rechte keinen Anspruch auf Schaffung neuer Betreuungsangebote<br />
beinhalten 197 . Hier geht es aber nicht um Leistungsansprüche, sondern um die<br />
Ausschaltung <strong>von</strong> Alternativen, unter denen gewählt werden kann, also um<br />
potentielle Eingriffe.<br />
Liegt ein Eingriff vor, bedarf er einer gesetzlichen Grundlage. Gesetz meint hier das<br />
materielle Gesetz, das Rechtsverordnungen und Satzungen einschließt. Zweck <strong>von</strong><br />
Leistungskontingenten ist der preiswerte Einkauf <strong>von</strong> <strong>Sozialleistungen</strong>, also die<br />
Kostensenkung. Dieser Zweck ist legitim, wenn die Kostensenkung durch die<br />
Aktualisierung <strong>von</strong> Rationalisierungspotentialen bei den Anbietern erreicht wird. Nicht<br />
195<br />
Nachweise bei Volker Neumann, Freiheitsgefährdung im kooperativen Sozialstaat, 1992, S. 310-<br />
313<br />
196<br />
VGH München 2. 12. 2003 – 7 CE 03/2722.<br />
197<br />
OVG Frankfurt/Oder 5. 9. 2002 LKV 2003, 100.<br />
73
mehr legitim wäre der Zweck, wenn durch eine gezielte Verknappung der<br />
Kontingente den Leistungsberechtigten Leistungen vorenthalten werden, die ihnen<br />
das Sozialrecht gewährt. Die an die Ermittlung des legitimen Zwecks anschließende<br />
Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist einzelfallbezogen vorzunehmen.<br />
bb) Grundrecht der karitativen Tätigkeit und kirchliches Selbstverwaltungsrecht<br />
Der Tatbestand des Helfens ist bei profanen Trägern in Art. 2 Abs. 1 GG und bei<br />
religiös geprägten Trägern in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, Art. 140 GG i. V. mit Art. 137<br />
Abs. 3 WRV geschützt (A I 1 und 2). Das Sozialrecht gibt diesen verfassungs-<br />
rechtlichen Befund in der gelungenen Formulierung wieder, dass die frei-<br />
gemeinnützigen Einrichtungen Träger eigener sozialer Aufgaben sind und dies auch<br />
in der Zusammenarbeit mit den Sozialleistungsträgern bleiben (A II). Die Aufgaben<br />
des Sozialstaats und die der freien Träger werden durch die Verträge des<br />
Leistungserbringungsrechts aufeinander abgestimmt. Diese Abstimmung ist das<br />
Zentrum der vom BVerfG <strong>nach</strong>haltig betonten „hergebrachten und durch Jahrzehnte<br />
bewährten Zusammenarbeit <strong>von</strong> Staat und Verbänden 198 “ (A III 1).<br />
Die Selbstständigkeit freier Träger, also ihre Trägerschaft eigener sozialer Aufgaben<br />
in der Zusammenarbeit mit dem Sozialstaat, wird durch die Bildung <strong>von</strong><br />
Leistungskontingenten gefährdet. Zwar können sie die Durchführung der Aufgaben<br />
weiterhin selbst bestimmen. Sie können aber nicht mehr in der Zusammenarbeit mit<br />
dem Sozialleistungsträger über Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen<br />
mitbestimmen. Denn Leistungskontingente setzen eine Leistungsbeschreibung<br />
voraus, die – wie das daran anschließende <strong>Vergaberecht</strong> lehrt – „eindeutig und so<br />
erschöpfend“ ist, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen<br />
müssen und die Angebote miteinander verglichen werden können (§ 8 Abs. 1<br />
VOL/A). Deshalb greift die Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten in Art. 2 Abs. 1 GG<br />
und Art. 140 GG i. V. mit Art. 137 Abs. 3 GG ein.<br />
Der Eingriff kann gerechtfertigt werden, wenn eine parlamentsgesetzliche Grundlage<br />
vorhanden ist und die Schranken-Schranken, insbesondere der Grundsatz der<br />
198 BVerfGE 22, 180, 200.<br />
74
Verhältnismäßigkeit, gewahrt sind. Das ist bei der Experimentierklausel des § 421 i<br />
SGB III der Fall: Experimente sind (fast) immer erlaubt.<br />
cc) Schutz der beruflichen Tätigkeit<br />
Das Betreiben <strong>von</strong> gemeinnützigen Diensten und Einrichtungen ist ein Beruf (A I 3 a).<br />
Die Berufsfreiheit schützt im Bereich der sozialen Dienste und Einrichtungen vor<br />
allem vor einer Angebotssteuerung durch Bedarfsprüfung (A I 3 b und c). Solche<br />
Eingriffe in Art. 12 Abs. 1 GG können gerechtfertigt werden, wenn sie auf einer<br />
hinreichend bestimmten parlamentsgesetzlichen Ermächtigung erfolgen und<br />
verhältnismäßig sind. Die Rechtfertigung scheitert, wenn ein gleich geeignetes<br />
milderes Mittel vorhanden ist. Ein solches Mittel ist die Möglichkeit der Prüfung des<br />
individuellen Bedarfs durch den Sozialleistungsträger vor der <strong>Erbringung</strong> der<br />
Leistung. Eine Angebotssteuerung durch Bedarfsprüfung kann also nur dort<br />
gerechtfertigt werden, wo die Leistungserbringung wie bei der Notfallaufnahme in<br />
das Krankenhaus häufig unaufschiebbar ist und die Dauer der Behandlung durch<br />
den Sozialleistungsträger nicht oder nur schwer überprüft werden kann (A I 3 c bb).<br />
Der Tatbestand des bereits mehrfach zitierten Beschlusses des VG Stade gibt<br />
Auskunft, dass es bei der Ausschreibung <strong>von</strong> Leistungserbringungsverträgen durch<br />
einen Sozialhilfeträger um eine Angebotssteuerung durch Bedarfsprüfung ging. Der<br />
Sozialhilfeträger befürchtete, dass bei Tätigwerden mehrerer Einrichtungen in seinem<br />
Gebiet die Gefahr der Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit der Einrichtungen<br />
entstehe. Deshalb habe er mit der vergaberechtlichen Gestaltung der Leistungs-<br />
erbringung „mittelbar auf eine bedarfsgerechte Begrenzung des Hilfeangebots<br />
Einfluss genommen 199 “. Die Ausgangsüberlegung ist ebenso fehlerhaft wie der<br />
daraus gezogene Schluss. Das Unternehmerrisiko, also das Risiko der<br />
Unterbelegung, trägt jeder freie Träger selbst. Wenn er nicht mehr in Anspruch<br />
genommen wird und infolgedessen nicht mehr leistungsfähig ist, muss er eben<br />
seinen Betrieb einstellen. Der Sozialleistungsträger ist berechtigt, den Abschluss <strong>von</strong><br />
Vereinbarungen mit leistungsunfähigen Trägern zu verweigern und – allerdings unter<br />
etwas strengeren Voraussetzungen - bestehende Vereinbarungen zu kündigen.<br />
199 VG Stade 14. 7. 1999 RsDE 47 (2001), 99, 102.<br />
75
In den 1980er Jahren ist dieser Rechtslage das „Say´sche Gesetz“ entgegen<br />
gehalten worden, wo<strong>nach</strong> ein vorhandenes Angebot sich seine Nachfrage selbst<br />
schafft („Schwammeffekt“) 200 . Dieser Einwand ist unhaltbar, weil die <strong>Erbringung</strong> der<br />
Sozialleistung die Überprüfung des individuellen Bedarfs und die Bewilligung der<br />
Leistung durch den zuständigen Sozialleistungsträger voraussetzt. Deshalb ist der<br />
Schluss aus der Ausgangsüberlegung auf eine Berechtigung zur Angebotssteuerung<br />
durch Bedarfsprüfung fehlerhaft. Er ist aber nicht nur fehlerhaft, sondern auch<br />
rechtswidrig, weil er frontal der höchstrichterlichen Rechtsprechung widerspricht: Der<br />
Bedarf an Heimplätzen ist kein zulässiger Gesichtspunkt bei der Ausübung des<br />
Ermessens über den Abschluss einer Vereinbarung, weil mit dem Abschluss keine<br />
Pflicht entsteht, „die betreffende Einrichtung zu belegen oder für ihre Auslastung zu<br />
sorgen 201 “.<br />
Das VG Stade hatte der Sache <strong>nach</strong> erkannt, dass mit der Ausschreibung der<br />
Leistungserbringungsvereinbarung die skizzierten Anforderungen des Leistungs-<br />
erbringungsrechts umgangen werden sollten 202 . Auch die Bildung <strong>von</strong> Leistungs-<br />
kontingenten ist eine Umgehungsstrategie. Es soll auf einem Umweg ein Ziel erreicht<br />
werden, das vom geltenden Recht ausdrücklich missbilligt wird: Eine Angebots-<br />
steuerung mit Belegungsgarantie. Deshalb ist die Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten<br />
ein Eingriff in die Berufsfreiheit der freien Träger. Das hat zur Folge, dass dieses<br />
Vorgehen den Vorbehalt des Gesetzes auslöst. Die §§ 37c und 421 i SGB III<br />
belegen, dass auch der Gesetzgeber vom Erfordernis einer parlamentsgesetzlichen<br />
Ermächtigung für eine Vergabe <strong>von</strong> <strong>Sozialleistungen</strong> ausgeht. Und das ist auch<br />
vollkommen überzeugend, weil anders jeder einzelne Sozialleistungsträger über den<br />
Umweg „Leistungskontingente“ den in Jahrzehnten gewachsenen und verfassungs-<br />
rechtlich befestigten Rechtsstatus der freien Träger wegbrechen könnte.<br />
Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines solchen Gesetzes wird es auf die<br />
Besonderheiten des jeweiligen Sozialbereichs ankommen. Auf der Prüfungsstufe der<br />
Erforderlichkeit wird zu klären sein, ob die Instrumente des jeweiligen Leistungs-<br />
erbringungsrechts zur Kostensenkung funktionieren bzw. aus welchen Gründen sie<br />
nicht funktionieren. Dabei könnte sich herausstellen, dass diese Instrumente schlicht<br />
200<br />
Nachweise bei Volker Neumann, Freiheitsgefährdung im kooperativen Sozialstaat, 1992, S. 189,<br />
192 f.<br />
201<br />
BVerwGE 94, 202, 208 = RsDE 25 (1994), 70, 74 f. mit Anm. Giese; OVG Hamburg 12. 9. 1980<br />
FEVS 31 (1981), 404, 416 f.<br />
202<br />
VG Stade 14. 7. 1999 RsDE 47 (2001), 99, 103.<br />
76
und einfach nicht eingesetzt werden. Ein Beispiel ist die Jugendhilfe, in der die<br />
Träger der öffentlichen Jugendhilfe teilweise heute noch die Kosten selbst<br />
beschaffter Leistungen erstatten. Dann ist auch über den hinter vorgehaltener Hand<br />
geäußerten Einwand zu sprechen, das Ansehen einer Kommune lasse den Konkurs<br />
eines leistungsunfähigen freien Trägers nicht zu. Und da man <strong>nach</strong> geltendem Recht<br />
leider keine Angebotssteuerung praktizieren dürfe, müsse man eben in das<br />
<strong>Vergaberecht</strong> ausweichen.<br />
c) Zusammenfassung<br />
Unter a) wurde die Rechtsfolge einer Ausschreibung und Vergabe <strong>von</strong><br />
Leistungskontingenten aufgezeigt, ohne dass die Rechtmäßigkeit der Bildung <strong>von</strong><br />
Leistungskontingenten und ihrer Vergabe erörtert wurde. Die Rechtsfolge ist, dass<br />
zwei Regime der Leistungserbringung unabgestimmt nebeneinander bestehen und<br />
die Verwaltung gezwungen ist, öffentliche Mittel zu verschwenden, wenn sie<br />
rechtmäßig handelt und die Vorgaben des Leistungsrechts und<br />
Leistungserbringungsrechts beachtet.<br />
Unter b) wurde geprüft, wie die Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten – vorab vor jeder<br />
Anwendung <strong>von</strong> <strong>Vergaberecht</strong> – zu beurteilen ist. Es wurde dargelegt, dass mit der<br />
Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten ein Ziel erreicht werden soll, das vom geltenden<br />
Recht in der Auslegung der höchstrichterlichen Rechtsprechung missbilligt wird: Eine<br />
Angebotssteuerung durch Bedarfsprüfung. Das zentrale Ergebnis der grundrecht-<br />
lichen Prüfung lautet, dass die Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten in Grundrechte<br />
eingreift, insbesondere in das Grundrecht der Berufsfreiheit. Rechtsfolge ist, dass ein<br />
Leistungserbringungsmodell, das mit Leistungskontingenten arbeiten soll, einer<br />
parlamentsgesetzlichen Ermächtigung bedarf. Eine solche Ermächtigung muss den<br />
Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit genügen.<br />
77
III. Anwendbarkeit des <strong>Vergaberecht</strong>s durch gesetzliche Anordnung im SGB III<br />
1. Rechtsfolgenverweis<br />
Wenn angenommen wird, dass ein öffentlicher Auftrag nicht vorliegt (oder wenn der<br />
erforderliche Schwellenwert nicht erreicht wird), findet der vierte Teil des GWB keine<br />
Anwendung. Fraglich wird dann, wie sich die gesetzliche Anordnung des<br />
<strong>Vergaberecht</strong>s im SGB III auswirkt.<br />
§ 37 c Abs. 2 S. 2 SGB III bestimmt, dass für Verträge mit Personal-Service-<br />
Agenturen das <strong>Vergaberecht</strong> gilt, und § 421 i Abs. 1 SGB III ordnet an, dass die<br />
Bundesagentur für Arbeit Träger mit der Durchführung <strong>von</strong> Maßnahmen <strong>nach</strong> einem<br />
wettbewerbsrechtlichen Vergabeverfahren beauftragen kann. Bereits der Wortlaut<br />
(„wettbewerbliches Vergabeverfahren“) macht deutlich, dass die Verweisungen auf<br />
das <strong>Vergaberecht</strong> als „Rechtsfolgenverweisungen“ auf das GWB zu verstehen sind.<br />
Für dieses Verständnis sprich zudem, dass der ausschließliche Zugang des freien<br />
Trägers zur Leistungserbringung über ein Vergabeverfahren <strong>nach</strong> den bisherigen<br />
Ergebnissen seinen grundrechtlichen Status berührt. Es wäre daher vor dem<br />
Hintergrund der Rechtsweggarantie in Art. 19 Abs. 4 GG kaum haltbar, dem freien<br />
Träger im Vergabeverfahren auch noch fast jeglichen Rechtsschutz abzuschneiden.<br />
Dazu führt es aber, wenn die Verweisungen im SGB III nur als allgemeine<br />
„Rechtsgrundverweisung“ auf das <strong>Vergaberecht</strong> verstanden wird und da<strong>nach</strong> – etwa<br />
wegen Unterschreitung des Schwellenwerts – nur ein haushaltsrechtliches Vergabe-<br />
verfahren durchzuführen ist 203 .<br />
Im Ergebnis fingiert der Verweis auf das <strong>Vergaberecht</strong> daher das Vorliegen eines<br />
öffentlichen Auftrags und das Erreichen der Schwellenwerte.<br />
203 Zum Rechtsschutz im haushaltsrechtlichen Vergabeverfahren unten B.VI.<br />
78
2. Anzuwendendes Verfahren<br />
Die Vergabearten finden sich in § 101 GWB. Nähere Bestimmungen über das bei der<br />
Vergabe einzuhaltende Verfahren hat der Gesetzgeber zudem <strong>nach</strong> § 97 Abs. 6<br />
GWB und § 127 GWB durch die Vergabeverordnung (VgV) getroffen, die gem. § 4<br />
Abs. 1 VgV für die Vergabe <strong>von</strong> Dienstleistungsaufträgen auf die Bestimmungen des<br />
2. Abschnitts des Teiles A der Verdingungsordnung für Leistungen (VOL/A) verweist.<br />
Dieser enthält Bestimmungen <strong>nach</strong> der EG-Lieferkoordinierungsrichtlinie 204 und der<br />
EG-Dienstleistungsrichtlinie 205 . Bei der Vergabe <strong>von</strong> Liefer- und Dienstleistungsauf-<br />
trägen gelten grundsätzlich die Bestimmungen der a-Paragrafen zusätzlich zu den<br />
Basisparagrafen 206 .<br />
Die Dienstleistungen selbst sind in zwei Anhängen (Anhang I A und Anhang I B)<br />
kategorisiert worden. Dienstleistungen <strong>nach</strong> Anhang I A werden <strong>nach</strong> den a-<br />
Paragrafen vergeben und durch die Basisparagrafen ergänzt 207 . Die Vergabearten<br />
sind in § 3a VOL/A aufgeführt, die Teilnehmer in § 7a VOL/A. Gemäß § 1a Nr. 2 Abs.<br />
2 VOL/A werden Aufträge, deren Gegenstand Dienstleistungen <strong>nach</strong> Anhang I B<br />
VOL/A 208 sind, nur <strong>nach</strong> den Bestimmungen der Basisparagrafen und der §§ 8a und<br />
28a vergeben. Unter Anhang I B fallen unter anderem alle Dienstleistungen im<br />
Bereich des Sozialwesens, des Unterrichtswesens und der Berufsausbildung sowie<br />
der Arbeits- und Arbeitskräftevermittlung. Da so ziemlich alle Maßnahmen des SGB<br />
III damit unter Anhang I B VOL/A fallen 209 , unterliegen Aufträge der Bundesagentur<br />
für Arbeit dem 2. Abschnitt der VOL/A nur im Hinblick auf technische Spezifikationen<br />
204<br />
Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur<br />
Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, ABl. EG Nr. L 199, in der Fassung der Richtlinie 97/52/EG des<br />
Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1997, ABl. EG Nr. L 328, ergänzt durch<br />
die Richtlinie 2001/78/EG der Kommission vom 13.09.2001 sowie das hierzu ergangene<br />
Korrigendum der Kommission vom 15.05.2002 über die Verwendung <strong>von</strong> Standardformularen für<br />
die Bekanntmachung öffentlicher Aufträge.<br />
205<br />
Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur<br />
Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, ABl. EG Nr. L 209, in der Fassung der Richtlinie<br />
97/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1997, ABl. EG Nr. L 328,<br />
ergänzt durch die Richtlinie 2001/78/EG der Kommission vom 13.09.2001 sowie das hierzu<br />
ergangene Korrigendum der Kommission vom 15.05.2002 über die Verwendung <strong>von</strong><br />
Standardformularen für die Bekanntmachung öffentlicher Aufträge.<br />
206<br />
vgl. § 1a Nr. 1 Abs. 1 VOL/A.<br />
207<br />
vgl. § 1a Nr. 2 Abs. 1 VOL/A.<br />
208<br />
Anhang I B VOL/A entspricht Anhang I B der Richtlinie 92/50/EWG.<br />
209<br />
Zweifel bestehen aus Sicht der Verfasser allenfalls bei den Entgeltersatzleistungen <strong>nach</strong> §§ 116-<br />
208 SGB III. Hierbei handelt es sich jedoch um Leistungen an Arbeitnehmer, die <strong>von</strong> der<br />
Bundesagentur für Arbeit direkt an Arbeitnehmer und nicht an Träger der freien Wohlfahrtspflege<br />
gezahlt werden und damit nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind.<br />
79
(vgl. § 8a VOL/A) und die Veröffentlichung einer Bekanntmachung über die<br />
Zuschlagserteilung (vgl. § 28a VOL/A). Die ausführlichen Bestimmungen der Richt-<br />
linien über die Auswahl der Bewerber und die Auftragserteilung gelten für sie nicht 210 .<br />
Die Vergabe <strong>von</strong> Aufträgen über solche Dienstleistungen unterliegt nur den<br />
Basisparagrafen dieses Abschnitts.<br />
Bei Anwendung des GWB gelten also die Vergabeverfahren <strong>nach</strong> VOL/A – II.<br />
Abschnitt mit Berücksichtigung der materiellen Grundsätze des § 97 GWB.<br />
Es bleibt noch zu klären, ob und inwieweit das <strong>Vergaberecht</strong> auf Leistungen <strong>nach</strong><br />
dem SGB III Anwendung finden kann, wenn die entsprechenden Normen im SGB III<br />
nicht auf das <strong>Vergaberecht</strong> verweisen.<br />
IV. Haushaltsrechtliche Vergabe ohne gesetzliche Anordnung<br />
Liegen die Voraussetzen der §§ 98 bis 100 GWB nicht vor, könnte allenfalls ein<br />
Vergabeverfahren <strong>nach</strong> den deutschen Verwaltungsvorschriften auf haushaltsrecht-<br />
licher Grundlage 211 durchgeführt werden. Nach § 30 HGrG muss dem Abschluss <strong>von</strong><br />
Verträgen über Leistungen eine öffentliche Ausschreibung vorausgehen. Dazu muss<br />
es sich nur um den Abschluss eines Vertrages über eine Leistung handeln. Kann ein<br />
solcher bejaht werden, gelten die Vorschriften des ersten Abschnitts der VOL/A. Ein<br />
auf haushaltsrechtlicher Grundlage gestütztes Vergabeverfahren beinhaltet jedoch<br />
zwei grundsätzliche Probleme, die erörterungsbedürftig sind. Zum einen stellt sich<br />
die Frage, ob die Vergabe ein Grundrechtseingriff ist, der eine Außenrechtsnorm als<br />
Ermächtigungsgrundlage erfordert. Zum anderen ist fraglich, ob Sozialrecht nicht ab-<br />
schließend und spezieller ist und sich eine Anwendung des <strong>Vergaberecht</strong>s daher<br />
verbietet.<br />
210 Vgl. auch die Mitteilung der Kommission über die Auslegung des gemeinschaftlichen<br />
<strong>Vergaberecht</strong>s und die Möglichkeiten zur Berücksichtigung sozialer Belange bei der Vergabe<br />
öffentlicher Aufträge v. 15.10.2001, KOM (2001) 566 endg. S. 7, 20.<br />
211 Insbesondere <strong>nach</strong> § 30 HGrG, § 55 BHO.<br />
80
1. Erforderlichkeit einer Außenrechtsnorm<br />
a) Eingriff in die Berufsfreiheit der freien Träger<br />
Die Tätigkeit der freien Träger wird im Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG geschützt<br />
(s. oben A I 3 a). Die Frage, ob der Vertragsabschluss mit dem erfolgreichen Bieter<br />
zu einem Eingriff in die Berufsfreiheit des nicht erfolgreichen Bieters führt, ist<br />
umstritten. Sie wird in der Literatur mit dem Argument bejaht, dass jede staatliche<br />
Auftragsvergabe als staatliche Ingerenz in den Marktwettbewerb aufzufassen sei, da<br />
sie die Wettbewerbssituation des zum Zuge Gekommenen stärke und damit die<br />
Konkurrenten behindere. Also habe sie eine objektiv berufsregelnde Tendenz mit der<br />
Folge, dass die gesamte Auftragsvergabe unter Gesetzesvorbehalt gerate 212 . Andere<br />
halten entgegen, dass die Freiheit des Berufs das Recht umfasse, die unternehme-<br />
rische Betätigung aufzunehmen und auszuüben, d. h. das jeweilige Produkt oder die<br />
jeweilige Dienstfreiheit herzustellen und am Markt anzubieten. Die Freiheit umfasse<br />
aber nicht das Recht, dass andere das angebotene Gut <strong>nach</strong>fragen. An dieser<br />
einfachen Grundaussage ändert sich nichts, wenn der Staat als Nachfrager auftrete.<br />
Das soll selbst dann gelten, wenn der <strong>nach</strong>fragende Staat eine marktbeherrschende<br />
Stellung hat. Pietzcker erläutert dies an einem Beispiel: Die Bundeswehr ändert ihre<br />
Strategie und baut nicht wie erwartet die Marine sondern die Luftwaffe aus. Dadurch<br />
erwächst ihr aber nicht die Pflicht, die ökonomische Existenz der Werften durch die<br />
Aufrechterhaltung einer nicht mehr benötigten Nachfrage zu sichern. Denn den<br />
staatlichen Nachfrager treffe keine Marktstrukturverantwortung 213 .<br />
Das Beispiel und die Begründung, warum das Verhalten eines marktbeherrschenden<br />
staatlichen Nachfragers die Berufsfreiheit nicht beeinträchtigt, zeigen sehr schön,<br />
warum die Argumente nicht auf die <strong>Erbringung</strong> <strong>von</strong> <strong>Sozialleistungen</strong> passen. Sozial-<br />
leistungsträger haben im Unterschied zur Bundeswehr durchaus so etwas wie eine<br />
„Markt“strukturverantwortung, nämlich die Gesamtverantwortung dafür, dass die zur<br />
Ausführung der <strong>Sozialleistungen</strong> erforderlichen sozialen Dienste und Einrichtungen<br />
rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen. Rüstungsbetriebe können ihre<br />
212 Thomas Puhl, Der Staat als Wirtschaftssubjekt und Auftraggeber, VVDStRL 60 (2001), S. 456,<br />
482 f.; Luthe, Wettbewerb, Vergabe und Rechtsanspruch im „Sozialraum“ der Jugendhilfe, NDV<br />
2001, 247, 256.<br />
213 Jost Pietzcker, Die Zweiteilung des <strong>Vergaberecht</strong>s, 2001, S. 27 f.<br />
81
Produkte ins Ausland verkaufen, also besteht ein – staatlich streng kontrollierter –<br />
Markt. Bei Leistungen <strong>nach</strong> dem SGB III gibt es diesen Markt nicht. Denn zum Markt<br />
gehört typischerweise die Freiheit, vom Erwerb einer Ware überhaupt oder jedenfalls<br />
für eine gewisse Zeit abzusehen, weil die Qualität unbefriedigend oder der Preis zu<br />
hoch ist. Die Agenturen für Arbeit haben diese Freiheit nicht, sie müssen „einkaufen“,<br />
weil das Leistungsrecht sie dazu verpflichtet. Deshalb stellt jede staatliche Vergabe<br />
durch einen Sozialleistungsträger mit einer Monopolstellung einen Eingriff in die<br />
Berufsfreiheit des übergangenen freien Trägers dar.<br />
Dieser Eingriff kann nur durch ein Gesetz mit Außenwirkung gerechtfertigt werden. §<br />
30 HGrG und § 55 BHO sind keine außenwirksamen Gesetze und genügen überdies<br />
den Anforderungen des vorbehaltsrechtlichen Bestimmtheitsgebots nicht.<br />
b) Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der Leistungsberechtigten<br />
Die Freiheit der Versicherten zur Auswahl unter den Leistungen und Leistungserbrin-<br />
gern ist durch die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG geschützt (s. A<br />
III 2). Die Vergabe greift jedenfalls dann in diese Freiheit ein, wenn die Lose so<br />
gebildet werden, dass nur noch wenige oder nur noch ein Leistungserbringer<br />
vorhanden ist. Regelmäßig ist es so, dass die Leistungsberechtigten den Bietern, die<br />
den Zuschlag erhalten haben, zugewiesen werden. Diese Praxis ist ein Eingriff, der<br />
mangels einer hinreichend bestimmten, außenwirksamen gesetzlichen Ermächtigung<br />
nicht gerechtfertigt werden kann.<br />
2. Vorrang des spezielleren Sozialrechts<br />
§ 17 Abs. 3 SGB I verpflichtet alle Sozialleistungsträger, und damit auch die Bundes-<br />
agentur für Arbeit, zur Zusammenarbeit mit gemeinnützigen und freien Einrichtungen<br />
und Organisationen in der Leistungserbringung. Zusammenarbeit ist mehr als die<br />
bloße Chance, in einem Vergabeverfahren den Zuschlag zu erhalten. Der Gesetz-<br />
geber kann – in den Grenzen des Verfassungsrechts – zwar da<strong>von</strong> abweichende<br />
Regelungen treffen, die <strong>nach</strong> der lex posterior Regel vorgehen. § 30 HGrG und § 55<br />
BHO sind jedoch keine solche Regelungen, weil das Haushaltsrecht kein im Verhäl-<br />
82
tnis Bürger-Staat wirksames Rechts ist 214 . § 17 Abs. 3 SGB I bestätigt also den<br />
Grundsatz: Eine Vergabe <strong>nach</strong> dem Haushaltsrecht erfordert eine parlaments-<br />
gesetzliche Ermächtigung mit Außenwirkung, wie dies bei § 37 c SGB III und § 421 i<br />
SGB III geschehen ist.<br />
V. Zusammenfassung/Ergebnis<br />
<strong>Vergaberecht</strong> <strong>nach</strong> dem 4. Abschnitt des GWB ist auf freie Träger anwendbar, wenn<br />
öffentliche Aufträge <strong>von</strong> einem öffentlichen Auftraggeber vergeben werden und der in<br />
§ 100 GWB normierte Schwellenwert erreicht wird. Eine Anwendung des wettbe-<br />
werblichen <strong>Vergaberecht</strong>s ergibt sich zudem aus dem Rechtsfolgenverweis in § 37 c<br />
SGB III und § 421 i SGB III.<br />
Wenn die im GWB normierten Zentralbegriffe hingegen nicht gegeben sind und ein<br />
entsprechender Verweis auf das Wettbewerbsrecht fehlt, kann die Anwendung <strong>von</strong><br />
<strong>Vergaberecht</strong> nur <strong>nach</strong> haushaltsrechtlichen Grundsätzen erfolgen. Stellt die Durch-<br />
führung <strong>von</strong> Vergabeverfahren einen Grundrechtseingriff dar, ist aber erforderlich,<br />
dass die Anwendung des <strong>Vergaberecht</strong>s durch das Sozialrecht ausdrücklich und<br />
hinreichend bestimmt angeordnet wird. In allen anderen Fällen ist die Anwendung<br />
des <strong>Vergaberecht</strong>s rechtswidrig, da § 17 Abs. 3 SGB I spezieller ist.<br />
Bei der vergaberechtlichen Gestaltung der Leistungserbringung hat sich gezeigt,<br />
dass die Vergabe <strong>von</strong> Leistungserbringungsverträgen rechtlich nicht zulässig ist. Der<br />
Anwendungsbereich des GWB ist nicht eröffnet, das kein öffentlicher Auftrag <strong>nach</strong> §<br />
99 Abs. 1 GWB besteht. Eine Anwendung des <strong>Vergaberecht</strong>s durch gesetzliche<br />
Anordnung findet sich nur für Maßnahmen <strong>nach</strong> § 37 c SGB III und § 421 i SGB III.<br />
Eine Vergabe auf Haushaltsrecht beruhend scheitert an der erforderlichen<br />
Außenrechtsnom und am Vorrang des spezielleren Sozialrechts.<br />
Verträge über Leistungskontingente würde zwar als gegenseitig verpflichtender<br />
Vertrag einen öffentlichen Auftrag i.S.d. § 99 Abs. 1 GWB darstellen und damit den<br />
214 Kretschmer, GK-SGB I, § 31, Rdnr. 13; Rüfner in Wannagat, SGB 60.Lfg.= 9.Lfg. SGB I<br />
Allgemeiner Teil (Juli 2000), § 31 Rdnr. 7.<br />
83
Anwendungsbereich des <strong>Vergaberecht</strong>s des GWB eröffnen. Die Prüfung hat jedoch<br />
gezeigt, dass gegen die Zulässigkeit der Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten<br />
erhebliche Bedenken bestehen.<br />
84
C. Vergabeverfahren und Rechtsschutz<br />
I. Arten und Verfahren der Vergabe<br />
Aufträge, deren Gegenstand Dienstleistungen <strong>nach</strong> Anhang I B sind, werden <strong>nach</strong><br />
den Bestimmungen der Basisparagrafen des 2. Abschnitts der VOL/A vergeben (§ 1<br />
a Nr. 2 Abs. 2 VOL/A). Inhaltlich sind die Basisparagrafen mit den Paragrafen des<br />
ersten Abschnitts der VOL/A, den haushaltsrechtlichen Vergabebestimmungen,<br />
identisch.<br />
Die Vergabearten werden in § 3 VOL/A beschrieben:<br />
1. Öffentliche Ausschreibung<br />
Bei Öffentlicher Ausschreibung werden Leistungen im vorgeschriebenen Verfahren<br />
<strong>nach</strong> öffentlicher Aufforderung einer unbeschränkten Zahl <strong>von</strong> Unternehmen zur Ein-<br />
reichung <strong>von</strong> Angeboten vergeben, § 3 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A. Die öffentliche<br />
Ausschreibung ist gegenüber den anderen Vergabearten die vorrangige Art der<br />
Vergabe. Sie gewährleistet am ehesten, dass die Einhaltung der tragenden Grund-<br />
sätze des Vergabeverfahrens, Wettbewerb und Chancengleichheit, für eine möglichst<br />
große Anzahl <strong>von</strong> Bewerbern bei Beschaffungsvorgängen der öffentlichen Hand<br />
sichergestellt ist. 215<br />
2. Beschränkte Ausschreibung<br />
Bei Beschränkter Ausschreibung werden Leistungen im vorgeschriebenen Verfahren<br />
<strong>nach</strong> Aufforderung einer beschränkten Zahl <strong>von</strong> Unternehmen zur Einreichung <strong>von</strong><br />
Angeboten vergeben, § 3 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A.<br />
215 Ax/Schneider/Nette, Handbuch <strong>Vergaberecht</strong>, 2002, S. 121, Rdnr. 9.<br />
85
3. Freihändige Vergabe<br />
Bei Freihändiger Vergabe werden Leistungen ohne ein förmliches Verfahren<br />
vergeben, § 3 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A. Soweit es zweckmäßig ist, soll der Beschränkten<br />
Ausschreibung und der Freihändigen Vergabe eine öffentliche Aufforderung voran-<br />
gehen, sich um Teilnahme zu bewerben (Beschränkte Ausschreibung mit Öffen-<br />
tlichem Teilnahmewettbewerb bzw. Freihändige Vergabe mit Öffentlichem Teil-<br />
nahmewettbewerb), § 3 Nr. 1 Abs. 4 VOL/A. Hierbei fordert der Auftraggeber durch<br />
Öffentliche Bekanntmachung interessierte Unternehmer auf, Teilnahmeanträge zu<br />
stellen. Aus den eingehenden Anträgen wählt er eine angemessene Anzahl aus und<br />
tritt dann mit diesen Antragstellern in die Freihändige Vergabe.<br />
Die VOL fördert den Wettbewerb als Regel in Form der Öffentlichen Ausschreibung.<br />
Dementsprechend muss ausgeschrieben werden, soweit nicht die Natur des<br />
Geschäfts oder besondere Umstände eine Ausnahme rechtfertigen, § 3 Nr. 2 VOL/A.<br />
Fälle, in denen keine öffentliche Ausschreibung stattfindet, sollen erkennbar gering<br />
gehalten werden. 216 Insbesondere die Freihändige Vergabe ist nur in Ausnahme-<br />
fällen vorgesehen, die abschließend in § 3 Nr. 4 VOL/A normiert worden sind. Liegen<br />
aber die Voraussetzungen für das Gebrauchmachen <strong>von</strong> der Freihändigen Vergabe<br />
vor, so ist im Regelfall auch nur die Freihändige Vergabe die zutreffende Art der<br />
Vergabe 217 .<br />
4. Teilnehmer am Wettbewerb<br />
Freie Träger müssten zur Teilnahme am Wettbewerb zugelassen sein, damit sie am<br />
öffentlichen Vergabeverfahren beteiligt werden können. Welche Bewerber als Bieter<br />
in Betracht kommen, bestimmt sich <strong>nach</strong> § 7 VOL/A.<br />
a) kein Ausschluss <strong>nach</strong> § 7 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A<br />
§ 7 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A schreibt vor, dass bei öffentlicher Ausschreibung Unterlagen<br />
an alle Bewerber abzugeben sind, die sich gewerbsmäßig mit der Ausführung <strong>von</strong><br />
216 Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, 2. Auflage 2001, S. 183, Rdnr. 549.<br />
217 Ax/Schneider/Nette, Handbuch <strong>Vergaberecht</strong>, 2002, S. 131, Rdnr. 43.<br />
86
Leistungen der ausgeschriebenen Art befassen. Hieraus könnte folgen, dass sich nur<br />
die Bieter am Wettbewerb beteiligen dürfen, die sich gewerbsmäßig mit der<br />
Ausführung <strong>von</strong> Leistungen der ausgeschriebenen Art befassen. Wenn dem so ist,<br />
wäre fraglich, ob freie Träger gewerbsmäßig handeln. Der Begriff „gewerbsmäßig“ ist<br />
im <strong>Vergaberecht</strong> nicht legal definiert. Zum einen könnte in diesem Zusammenhang<br />
auf § 15 Abs. 2 EstG abgestellt werden, der auf eine selbständige, <strong>nach</strong>haltige und<br />
auf Gewinn gerichtete Tätigkeit abstellt. 218 Zudem soll nicht gewerbsmäßig handeln,<br />
wer sich lediglich als Vermittler <strong>von</strong> Leistungen der geforderten Art betätigt, ohne<br />
diese Leistungen grundsätzlich im eigenen Betrieb auszuführen, und den<br />
Gesamtumfang dieser Leistung an Dritte (Unterauftragnehmer) weitervergibt. 219 In<br />
anderen Rechtsbereichen 220 wird der Begriff „gewerbsmäßig“ allgemeiner, als eine<br />
nicht nur vorübergehende Einnahmequelle, 221 bezeichnet. Ein Ausschluss gemein-<br />
nütziger Bieter, deren Tätigkeit ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeführt wird, kann<br />
dem Wortlaut daher nicht eindeutig entnommen werden.<br />
Dieses Ergebnis wird unterstützt durch den eigentlichen Regelungsgehalt der<br />
Vorschrift, der sich darin erschöpft, die Verpflichtung der Vergabestelle - die<br />
Vergabeunterlagen an alle Bewerber herauszugeben, die gewerbsmäßig die ausge-<br />
schriebene Leistung erbringen - zu regeln. 222 Ein Ausschluss freier Träger vom Ver-<br />
gabeverfahren kann daher nicht auf § 7 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A gestützt werden. Eine<br />
entgegenstehende Praxis der Bundesagentur für Arbeit wäre demzufolge<br />
missbräuchlich.<br />
Eine Verpflichtung zur Aushändigung der Unterlagen besteht jedoch nicht gegenüber<br />
Bewerbern, bei denen einer der (abschließenden) Ausschlussgründe gem. § 7 Nr. 5<br />
oder Nr. 6 VOL/A vorliegt. 223 Folglich ist zu untersuchen, ob einer dieser<br />
Ausschlussgründe für freie Träger greift.<br />
218 In diesem Sinne auch Schaller, Die Teilnehmer am Wettbewerb – Grundregeln für Vergaben im<br />
nationalen Bereich, >http://www.staatsanzeiger-verlag.de/info/19-2001b.pdf
) kein Ausschluss <strong>nach</strong> § 7 Nr. 5 VOL/A<br />
Ein Ausschluss <strong>von</strong> Bewerbern ist in den Fällen des § 7 Nr. 5 VOL/A möglich, wenn<br />
die dort aufgelisteten Tatbestände erfüllt sind, die im betrieblichen oder persönlichen<br />
Bereich des Bewerbers liegen und zumeist seine Zuverlässigkeit in Frage stellen.<br />
Wenn einer dieser Tatbestände bei einem Bewerber vorliegt, bestehen erhebliche<br />
Zweifel an seiner Eignung zur Übernahme eines öffentlichen Auftrags. 224 Ein<br />
Ausschluss ist allerdings nicht zwingend vorgeschrieben, sondern die Entscheidung<br />
liegt vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen des Auftraggebers. 225 Hierbei wird<br />
maßgebend die Überlegung sein, ob trotz Vorliegens der Merkmale eines Aus-<br />
schlusstatbestandes noch <strong>von</strong> der in der VOL/A geforderten Fachkunde, Leistungs-<br />
fähigkeit und Zuverlässigkeit des betreffenden Bewerbers ausgegangen werden<br />
kann. 226 Ein genereller Ausschluss freier und gemeinnütziger Träger ist § 7 Nr. 5<br />
VOL/A aber nicht zu entnehmen.<br />
c) kein Ausschluss <strong>nach</strong> § 7 Nr. 6 VOL/A<br />
Nach § 7 Nr. 6 VOL/A sind Justizvollzugsanstalten, Einrichtungen der Jugendhilfe,<br />
Aus- und Fortbildungsstätten oder ähnliche Einrichtungen zum Wettbewerb mit<br />
gewerblichen Unternehmen nicht zuzulassen. Fraglich ist, ob freie Träger unter diese<br />
Regelung fallen.<br />
Unklar ist, worauf im Einzelnen abgestellt werden soll, um Bieter vom Wettbewerbs-<br />
recht auszuschließen. Möglich wäre, auf die Zielsetzung der Einrichtung abzustellen,<br />
dann fände man auf der einen Seite solche, die erwerbswirtschaftlich, gewerbsmäßig<br />
und mit Gewinnerzielungsabsicht handeln und zum anderen solche, die dies nicht<br />
tun, Einrichtungen mit sozialpolitischer Zielsetzung, die gemeinwohlorientiert und<br />
ohne Gewinnerzielungsabsicht tätig sind: die freien Träger.<br />
Möglich wäre aber auch, auf die Organisationsform abzustellen und da<strong>nach</strong> nur<br />
öffentliche Einrichtungen vom Wettbewerb auszuschließen, nicht aber solche, die<br />
privatrechtlich organisiert sind. Schließlich könnte auch funktional darauf abgestellt<br />
224 Zdzieblo in Daub/Eberstein, Kommentar zur VOL/A, 5. Auflage 2000, § 7, Rdnr. 63.<br />
225 Leinemann, Die Vergabe öffentliche Aufträge, 2. Auflage 2001, S. 190, Rdnr. 579.<br />
226 Zdzieblo in Daub/Eberstein, Kommentar zur VOL/A, 5. Auflage 2000, § 7, Rdnr. 67 m.w.N.<br />
88
werden, ob es sich um gewerbliche Unternehmen, die wirtschaftlich tätig sind und auf<br />
einem Markt agieren handelt oder um solche, die nicht wirtschaftlich tätig oder<br />
zumindest nicht auf einem Markt agieren.<br />
aa) Grammatische Auslegung<br />
Freie Träger sind als solche nicht in der Norm genannt. Aus § 3 Abs. 2 SGB VIII<br />
ergibt sich zwar, dass Leistungen der Jugendhilfe sowohl <strong>von</strong> freien als auch <strong>von</strong><br />
öffentlichen Trägern erbracht werden. Der Begriff „Einrichtungen der Jugendhilfe“<br />
könnte daher Jugendhilfeeinrichtungen in freier Trägerschaft mit umfassen. Da sich<br />
aus § 3 Abs. 2 SGB VIII aber auch ergibt, dass sich Leistungsverpflichtungen nur an<br />
die Träger der öffentlichen Jugendhilfe richten (S.2), könnte genauso gut ange-<br />
nommen werden, dass sich der Ausschluss in § 7 Nr. 6 VOL/A ebenfalls nur auf die<br />
Träger öffentlicher Jugendhilfeeinrichtungen bezieht. Freie Träger können zudem<br />
nicht mit den in § 7 Nr. 6 VOL/A genannten Einrichtungen gleichgesetzt werden, da<br />
ihr Wirkungskreis weit über den der genannten Einrichtungen hinausgeht. Freie<br />
Träger erbringen Leistungen in den Bereichen Jugend-, Alten-, Familien- und<br />
Behindertenhilfe, Einrichtungen und Dienste für Personen in besonderen Situationen,<br />
Aus-, Fort- und Weiterbildungsstätten für soziale und pflegerische Berufe sowie<br />
Krankenhäuser. 227 Daraus folgt, dass sich die Bereiche zwar überschneiden, jedoch<br />
nicht deckungsgleich sind. Ein Ausschluss freier Träger könnte in den in § 7 Nr. 6<br />
VOL/A genannten Bereichen zwar mitumfasst sein, gleichwohl ist eine solche<br />
Betrachtungsweise im Wortlaut durch die fragliche Formulierung nicht in einer Weise<br />
zum Ausdruck gekommen, die zu einer solchen Auslegung zwingt.<br />
Freie Träger könnten schließlich unter den Begriff „ähnliche Einrichtungen“ fallen. Die<br />
genannten Einrichtungen sind Justizvollzugsanstalten, Einrichtungen der Jugendhilfe<br />
sowie Aus- und Fortbildungsstätten. Der Aufzählung dieser Anstalten, Einrichtungen<br />
und Bildungsstätten werden gewerbliche Unternehmen gegenüberstellt. Untechnisch<br />
kann man letztere als Unternehmen eines bestimmten Gewerbes verstehen<br />
gegenüber den aufgezählten Einrichtungen, welche Tätigkeiten durchführen, die sich<br />
nicht auf ein bestimmtes Gewerbe festlegen lassen. Sie haben stattdessen<br />
miteinander gemein, dass sie lediglich der Beschäftigung oder Ausbildung <strong>von</strong><br />
227 Monopolkommission, Zwölftes Hauptgutachten 1996/1997, BT-DS 13/11291, S. 330, Rdnr. 626.<br />
89
Personen dienen, die ihrer Einrichtung angehören. Der Zweck der Einrichtung und<br />
die Tätigkeit, die dort verrichtet wird, sind nicht darauf gerichtet, eine Leistung oder<br />
ein Produkt für jemand Dritten, der außerhalb der Einrichtung steht, zu erbringen.<br />
Demzufolge erfolgt auch keine Entlohnung im eigentlichen Sinne für das Produkt,<br />
sondern lediglich eine Beschäftigungs- oder Ausbildungsvergütung für die intern<br />
erbrachte Leistung. Auch bei „ähnlichen Einrichtungen“ ist unklar, ob sie freie Träger<br />
umfassen. Eine solche Annahme ist zwar vom Wortlaut her denkbar, aber nicht<br />
zwingend. Möglich wäre auch, dass der Gesetzgeber durch die Aufzählungskette <strong>von</strong><br />
Anstalten, Einrichtungen und Bildungsstätten auf der einen, gewerbliche Unter-<br />
nehmen auf der anderen Seite, auf die Organisationsform abstellen wollte und nur<br />
solche Einrichtungen vom Wettbewerb ausschließen wollte, die öffentlich organisiert<br />
sind 228 .<br />
Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass der Wortlaut verschiedene Interpretationsansätze<br />
zulässt und daher im Hinblick auf einen möglichen Ausschluss freier Träger zu<br />
keinem eindeutigen Ergebnis führt.<br />
bb) Entstehungsgeschichte (genetische Auslegung)<br />
Dies könnte <strong>nach</strong> der Entstehungsgeschichte anders sein. Wie sich aus den<br />
Amtlichen Erläuterungen 229 des Gesetzgebers zu § 7 Nr. 6 VOL/A ergibt, verfolgen<br />
die in der Norm genannten Einrichtungen primär andere als erwerbswirtschaftliche<br />
Ziele. Aufgrund ihrer vielfach günstigeren Angebote sei damit zu rechnen, dass diese<br />
Einrichtungen im Falle einer wettbewerbsrechtlichen Vergabe private Unternehmen<br />
verdrängen würden. Unter den Begriff „ähnliche Einrichtungen“ sollen daher auch nur<br />
solche Institutionen gefasst werden, die eine vergleichbare sozialpolitische Ziel-<br />
setzung verfolgen und bei denen mit einer Verdrängung privater Unternehmen<br />
gerechnet werden müsse.<br />
228 OLG Düsseldorf v. 23.12.2003, Az. VII-Verg 58/03, S. 2; Beschluss der 2. Vergabekammer des<br />
Bundes v. 06.10.2003, Az. VK-2-94/03, S. 6 m.w.N.<br />
229 Wörtlich heißt es dort zu § 7 Nr. 6: „Die genannten Einrichtungen verfolge primär andere als<br />
erwerbswirtschaftliche Ziele. Aufgrund ihrer vielfach günstigeren Angebote ist damit zu rechnen,<br />
dass diese Einrichtungen im Falle einer wettbewerblichen Vergabe private Unternehmen<br />
verdrängen. Unter den Begriff „ähnliche Einrichtungen“ können folglich auch nur solche<br />
Institutionen gefasst werden, die eine vergleichbare sozialpolitische Zielsetzung verfolgen und bei<br />
denen mit einer Verdrängung privater Unternehmen gerechnet werden muss. Diese<br />
Voraussetzungen sind in der Regel bei Regiebetrieben nicht gegeben, sie sind daher dem<br />
Wettbewerb zu unterstellen.“<br />
90
Diese Ausführungen zeigen, dass der Gesetzgeber vor allem auf zwei Voraus-<br />
setzungen abstellt: die auszuschließenden Einrichtungen verfolgen eine sozialpoliti-<br />
sche Zielsetzung, keine erwerbswirtschaftliche, und die auszuschließenden Einrich-<br />
tungen führen zwangsweise zu einer Verdrängung privater Unternehmen.<br />
Geht man <strong>von</strong> der durch den Wortlaut vorgegebenen Gegenüberstellung aus, ergibt<br />
sich folgendes Bild: auf der einen Seite stehen die aufgezählten Einrichtungen, die<br />
Tätigkeiten durchführen, die sich nicht auf ein bestimmtes Gewerbe festlegen lassen,<br />
sondern ihre Tätigkeit <strong>nach</strong> sozialpolitischer Zielsetzung ausführen. Auf der anderen<br />
Seite sind private Unternehmen zu verstehen, die ein bestimmtes Gewerbe ausüben.<br />
Wenn die in der Aufzählung genannten Einrichtungen zu einer Verdrängung privater<br />
Unternehmen führen, setzt dies voraus, dass eine Konkurrenzsituation vorliegt, weil<br />
anderenfalls kein Wettbewerb entstehen kann. Eine Konkurrenzsituation ist aber nur<br />
in einer einzigen Konstellation denkbar: wenn in Justizvollzugsanstalten, Einrichtun-<br />
gen der Jugendhilfe, Aus- und Fortbildungsstätten oder in ähnlichen Einrichtungen<br />
Produkte angefertigt werden, die normalerweise gewerblich <strong>von</strong> privaten Unterneh-<br />
men erbracht werden. Die angefertigten Produkte werden <strong>von</strong> den genanten<br />
Einrichtungen nicht gewerblich hergestellt, sondern vielmehr als sog. „Nebenpro-<br />
dukt“, denn in den Institutionen geht es vornehmlich um die Förderung der einge-<br />
gliederten Personen. Das entstandene Produkt war nur Mittel zum Zweck.<br />
Denkbar könnte eine Konkurrenzsituation zwar auch dergestalt sein, dass Einrichtun-<br />
gen aus sozialpolitischer Motivation eine Leistung erbringen, die private Unterneh-<br />
men gewerblich erbringen. Gegen eine solche Auslegung, die nur auf die Motivation<br />
abstellt, spricht aber die Aufzählung <strong>von</strong> Justizvollzugsanstalten, Einrichtungen der<br />
Jugendhilfe sowie Aus- und Fortbildungsstätten. Ihnen ist gemein, dass sie aus<br />
sozialpolitischer Motivation eine Leistung erbringen, die private Unternehmen gerade<br />
nicht erbringen. Es gibt keine privaten Justizvollzugsanstalten. Erst durch sog.<br />
Nebenprodukte ist eine Konkurrenzsituation denkbar.<br />
Dass ähnliche Einrichtungen eine vergleichbare sozialpolitische Zielsetzung haben<br />
müssen, lässt außerdem darauf schließen, dass nicht allgemein jede sozialpolitische<br />
Zielsetzung zu einem Ausschluss <strong>von</strong> der Teilnahme am Wettbewerb führen soll,<br />
sondern nur eine solche, die in ihrer Konstellation vergleichbar ist, mithin also<br />
91
Produkte hervorbringen kann, die nicht erwirtschaftet werden, sondern als<br />
Nebenprodukt „abfallen“.<br />
Gestützt wird diese Annahme zudem durch das in den amtlichen Erläuterungen<br />
angeführte Beispiel der Regiebetriebe, die dem Wettbewerb zu unterstellen sind. Ein<br />
Regiebetrieb ist weder rechtlich noch wirtschaftlich selbständig und wird bei normaler<br />
Haushaltsführung mit allen Einnahmen und Ausgaben im Haushaltsplan der<br />
Kommune geführt. 230 Er ist also gleichzusetzen mit jeder Verwaltungstätigkeit einer<br />
Gemeinde. Regiebetriebe (z.B. Fuhrpark, Straßenreinigung, Abfallentsorgung)<br />
erbringen Leistungen, die ebenfalls sozialpolitischen Zwecken entsprechen, betäti-<br />
gen sich jedoch wirtschaftlich gegenüber Dritten und damit genau wie Unternehmen,<br />
die in diesen Bereichen ein Gewerbe führen. Die bloße Eingliederung der<br />
Regiebetriebe in die öffentliche Struktur rechtfertigt <strong>nach</strong> Ansicht des Gesetzgebers<br />
keinen Ausschluss dieser Einrichtungen vom Wettbewerb, sondern gerade die<br />
wirtschaftliche Betätigung erlaubt den Eintritt in den Wettbewerb. 231 Bei freien<br />
Trägern erfolgt die Leistungserbringung wie bei privaten, gewerblich tätigen<br />
Unternehmen. Hier arbeiten freie Träger ebenso wirtschaftlich wie es private<br />
Unternehmen in dem betreffenden Gewerbe tun. Die Tatsache, dass freie Träger bei<br />
der Ausführung der Maßnahme zudem gemeinwohlorientiert und nicht gewinnorien-<br />
tiert arbeiten, ändert nichts an der wirtschaftlichen Ausführung ihrer Tätigkeit. 232<br />
Festzuhalten bleibt, dass aus der Entstehungsgeschichte kein genereller Ausschluss<br />
freier Träger abgeleitet werden kann, weil es dem Gesetzgeber nur darum ging<br />
Einrichtungen vom Wettbewerb auszuschließen, die sozialpolitische Maßnahmen<br />
durchführen und dabei Produkte herstellen, damit diese Produkte nicht erwerbs-<br />
wirtschaftlich verwertet werden. 233 Die Norm ist insofern missglückt, weil weder der<br />
230 Faiss/Giebler/Lang/Notheis/Schmid, Kommunales Wirtschaftsrecht, 7. Auflage 2002, S. 517, Rdnr.<br />
778; Kummer, Vom Eigen- oder Regiebetrieb zum Kommunalunternehmen, 2003, S. 56;<br />
Vogelsang/Lübking/Jahn, Kommunale Selbstverwaltung, 1991, S. 185, Rdnr. 645 f.; Sander/<br />
Weiblen, Kommunale Wirtschaftsunternehmen, 1982, S. 72.<br />
Ungenau ist hingegen die Definition bei Zdzieblo in Daub/Eberstein, Kommentar zur VOL/A, 5.<br />
Auflage, 2000, § 7, Rdnr. 74, Fn. 69, die eher auf Eigenbetriebe zutrifft wegen des<br />
ausgegliederten Sondervermögens; vgl. dazu z.B. Sander/ Weiblen, Kommunale<br />
Wirtschaftsunternehmen, 1982, S. 73; Kummer, Vom Eigen- oder Regiebetrieb zum<br />
Kommunalunternehmen, 2003, S. 54 f.<br />
231 Vogelsang/Lübking/Jahn, Kommunale Selbstverwaltung, 1991, S. 185, Rdnr. 645 f.<br />
232 Diese Konstellation entspricht der <strong>von</strong> Regiebetrieben.<br />
233 So z.B. bei Papiertüten, die <strong>von</strong> den Insassen einer Justizvollzugsanstalt gefaltet wurden. Anders<br />
wäre dies hingegen bei Behindertenwerkstätten zu beurteilen, denn dort ist die Produktion kein<br />
92
Wortlaut, noch die amtlichen Erläuterungen auf die nebenbei entstandenen Produkte<br />
abstellen. Wie aber die Auslegung zeigt, kann für den Gesetzgeber keine andere<br />
Konkurrenzsituation denkbar gewesen sein als diese.<br />
cc) Systematische Auslegung<br />
Systematisch betrachtet muss § 7 Nr. 6 VOL/A als Ausprägung <strong>von</strong> § 3 Nr. 2 VOL/A<br />
gesehen werden. Da<strong>nach</strong> muss eine öffentliche Ausschreibung stattfinden, soweit<br />
nicht die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände eine Ausnahme recht-<br />
fertigen. Letztere werden sich regelmäßig auf ungewöhnlich gelagerte Einzelfälle<br />
beziehen. Alle anderen Ausnahmen, insbesondere Einrichtungen der in § 7 Nr. 6<br />
VOL/A genannten Art, müssen sich auf die Natur des Geschäfts beziehen. Die Natur<br />
des Geschäfts rechtfertigt einen Ausschluss freier Träger aber gerade nicht per se,<br />
denn die Konstellation, die der Gesetzgeber im Blick hatte (Nebenprodukte einer<br />
sozialen Tätigkeit), war gerade nicht auf freie Träger zugeschnitten. Vielmehr<br />
müssen freie Träger, wenn sie wirtschaftlich handeln, genauso zum Wettbewerb<br />
zugelassen sein wie andere wirtschaftlich tätige Unternehmen. Allein die Tatsache,<br />
dass Unternehmen aufgrund ihrer sozialpolitischen Zielsetzung staatliche Vorteile<br />
erhalten, darf nicht per se zu einem Ausschluss vom Wettbewerb führen, da diese<br />
Vorteile unschädlich sind, solange sie nicht <strong>von</strong> der Europäischen Kommission als<br />
rechtswidrige Beihilfe i.S.v. Art. 87 Abs. 1 EG qualifiziert werden. 234<br />
Ferner muss berücksichtigt werden, dass § 7 Nr. 6 VOL/A eine Ausnahme zu dem in<br />
§ 3 Nr. 2 VOL/A normierten Grundsatz der öffentlichen Ausschreibung darstellt.<br />
Wollte der Gesetzgeber generell die Freien Träger vom Wettbewerb ausschließen,<br />
hätte es der Aufzählung <strong>von</strong> Einrichtungen nicht bedurft. Diese Aufzählung<br />
verdeutlicht die Absicht des Gesetzgebers, freie Träger grundsätzlich am offenen<br />
Verfahren zu beteiligen. Nur durch eine restriktive Auslegung kann verhindert<br />
„Nebenprodukt“, weil gerade eine wirtschaftlich verwertbare Arbeitsleistung erbracht werden soll,<br />
vgl. § 5 Abs. 2 S. 2 WVO.<br />
234 Diesbezüglich hat die Kommission in ihrem Grünbuch zur Daseinsvorsorge bereits ihren<br />
Standpunkt verdeutlicht: „ Die Dienstleistungen <strong>von</strong> allgemeinem Interesse, die mit der Wohlfahrt-<br />
und Sozialschutzaufgaben in Zusammenhang stehen, fallen eindeutig in die einzelstaatliche,<br />
regionale und lokale Zuständigkeit“. Vgl. Grünbuch der Kommission zu Dienstleistungen <strong>von</strong><br />
allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, v. 21.05.2003, KOM (2003) 270 endg., Rdnr. 31.<br />
93
werden, dass die Regelungsabsicht des Gesetzgebers in ihr Gegenteil verkehrt<br />
wird. 235<br />
Ein Ausschluss freier Träger vom offenen Vergabeverfahren würde zudem der<br />
Gesetzessystematik widersprechen und die Stellung konterkarieren, die der<br />
allgemeine Teil des Sozialgesetzbuches gemeinnützigen Trägern zuweist. Nach § 17<br />
Abs. 3 SGB I sollen Leistungsträger mit gemeinnützigen und freien Einrichtungen<br />
zusammenarbeiten und darauf hinwirken, dass sich ihre Tätigkeit und die der<br />
genannten Einrichtungen und Organisationen wirksam ergänzen. Damit ist zum<br />
einen gefordert, dass auf die Schaffung eines möglichst vollständigen Leistungs-<br />
angebots hingewirkt wird und zum anderen, dass eine gewisse Weltanschauliche<br />
Pluralität in der Versorgungsstruktur gewährleistet ist. 236 Beides kann nicht erfolgen,<br />
wenn freie Träger <strong>nach</strong> § 7 Nr. 6 VOL/A vom Wettbewerb auszuschließen sind.<br />
Widersprüchlich erscheint es zudem, wenn der Staat die sozialpolitische Zielsetzung<br />
freier Träger fördert, ihnen zugleich aber nicht gestattet entsprechend ihrer Ziel-<br />
setzung tätig zu werden. Die sozialpolitische Zielsetzung der Tätigkeit freier Träger<br />
wird auf der einen Seite durch den Staat honoriert und (z.B. steuerlich) gefördert, auf<br />
der anderen Seite würde eben diese staatliche Förderung aber dazu führen, dass<br />
freie Träger ihre Tätigkeit nicht ausüben dürfen, wenn sie durch § 7 Nr. 6 VOL/A vom<br />
Wettbewerb ausgeschlossen würden.<br />
dd) Verfassungskonforme Auslegung<br />
Eine Form der systematischen Auslegung ist die verfassungskonforme Auslegung:<br />
Lässt der Wortlaut der auszulegenden Norm mehrere Deutungen zu, ist diejenige<br />
Deutung zu wählen, die mit der Verfassung in Einklang steht. Würde § 7 Nr. 6 VOL/A<br />
als ein Ausschluss der freien Träger vom Wettbewerb verstanden, könnten Sie im<br />
Bereich des <strong>Vergaberecht</strong>s ihren Beruf nur noch höchst eingeschränkt ausüben,<br />
nämlich nur noch insoweit, als die auf Ausnahmefälle begrenzte freihändige Vergabe<br />
<strong>nach</strong> § 3 Abs. 4 Nr. 4 Buchst. o VOL/A möglich ist. Diese Beschränkung greift in die<br />
Berufsfreiheit der freien Träger ein.<br />
235 Vgl. zur restriktiven Auslegung <strong>von</strong> „Ausnahmevorschriften“ : Larenz, Methodenlehre der<br />
Rechtswissenschaft, 6. Auflage 1991, S. 355 f.<br />
236 Mrozynski, Kommentar zum SGB I, 3. Auflage 2003, § 17, Rdnr. 26.<br />
94
In Ansehung <strong>von</strong> kirchlichen Trägern kann ein Ausschluss vom Wettbewerb zu einem<br />
Eingriff in das kirchliche Selbstverwaltungsrecht des Art. 140 GG i. V. mit Art. 137<br />
Abs. 3 WRV führen (s. A I 2 b). Denn das Selbstverwaltungsrecht schließt das Recht<br />
ein, eine privatrechtliche Organisationsform mit Gemeinnützigkeitsstatus zu wählen.<br />
Eine Beeinträchtigung wird jedenfalls dann zum Eingriff, wenn die aus der Organi-<br />
sationsentscheidung folgenden Nachteile derart gravierend sind, „dass sie jeden<br />
Vorteil aufwögen und es der Kirche praktisch unmöglich gemacht würde, sich für die<br />
privatrechtliche Organisationsform einzelner Einrichtungen zu entscheiden 237 “. Ein<br />
Ausschluss vom Wettbewerb würde – die Einführungen <strong>von</strong> Vergabeverfahren<br />
unterstellt – den kirchlichen Trägern mittelfristig die karitative Tätigkeit unmöglich<br />
machen und damit zum Eingriff in ihr Selbstverwaltungsrecht führen.<br />
ee) Teleologische Auslegung<br />
Möglicherweise gebietet jedoch der Zweck der Norm eine Extension auf freie Träger.<br />
Ziel der Ausschlussregelung soll es sein, eine Verdrängung privater, erwerbs-<br />
wirtschaftlich betriebener Unternehmen durch die genannten Einrichtungen zu<br />
verhindern. 238 Der Grund liegt darin, dass diese Einrichtungen wegen ihrer<br />
sozialpolitischen Zielsetzung primär andere als erwerbswirtschaftliche Zwecke<br />
verfolgen und deshalb entweder kostengünstiger produzieren können 239 oder – so<br />
wird vereinzelt vertreten - steuerliche Vorteile genießen. 240 Da sie deshalb günstigere<br />
Angebote vorlegen könnten, bestünde die Gefahr einer Verdrängung privater Unter-<br />
nehmen bei der Vergabe im Preiswettbewerb. 241<br />
Was die Zielsetzung freier Träger betrifft so ist unstreitig, dass diese in erster Linie<br />
sozialpolitische Ziele verfolgen. Gerade die ihnen eigene spezielle Wertorientierung<br />
auf ein Sachziel (Tradition, Weltanschauung, Sozialmilieu) anstatt auf Gewinnmaxi-<br />
mierung ist ein Hauptcharakteristikum freigemeinnütziger Organisationen. 242 Dement-<br />
237 BVerwG 20. 6. 2003 NVwZ 2003, 1519, 1520.<br />
238 OLG Düsseldorf v. 23.12.2003, Az. VII-Verg 58/03, S. 2; 2. Vergabekammer des Bundes v.<br />
06.10.2003, Az. VK 2-94/03, S. 6 m.w.N.; Zdzieblo in Daub/Eberstein, Kommentar zur VOL/A, 5.<br />
Auflage, 2000, § 7, Rdnr. 72; Müller-Wrede, VOL/A, § 7 Rdnr. 58.<br />
239 Müller in Daub/Eberstein, Kommentar zur VOL/A, 5. Auflage 2000, § 3, Rdnr. 48; Ax/<br />
Schneider/Nette, Handbuch <strong>Vergaberecht</strong>, 2002, S. 139, Rdnr. 77.<br />
240 Zdzieblo in Daub/Eberstein, Kommentar zur VOL/A, 5. Auflage, 2000, § 7, Rdnr. 72.<br />
241 OLG Düsseldorf v. 23.12.2003, Az. VII-Verg 58/03, S. 2 m.w.N.<br />
242 Vgl. dazu: Monopolkommission, Zwölftes Hauptgutachten 1996/1997, BT-DS 13/11291, S. 329,<br />
Rdnr. 622.<br />
95
sprechend beinhaltet auch die Nicht-Gewinnverteilungsregel das Verbot, Über-<br />
schüsse auszuschütten, die erwirtschaftet werden. Zudem müssten sie steuerliche<br />
Vorteile genießen, die dazu führen könnten, dass sie günstigere Angebote vorlegen<br />
als private Unternehmen, die keine steuerlichen Vorteile genießen. Mit der<br />
Gemeinnützigkeit sind <strong>nach</strong> §§ 51 ff. AO Steuervergünstigungen bei allen wichtigen<br />
Steuerarten verbunden: 243<br />
- Steuerfreiheit bei der Körperschaft- und Gewerbesteuer<br />
- Besteuerung der Umsätze mit dem ermäßigten Steuersatz bei der Umsatzsteuer<br />
- Befreiung <strong>von</strong> der Grundsteuer, der Erbschaftssteuer<br />
- Empfang steuerbegünstigter Spenden.<br />
Nach § 51 S. 1 AO setzt der Gemeinnützigkeitsstatus eine Körperschaft voraus, die<br />
den gemeinwohlorientierten Zweck verfolgt. Körperschaften sind gem. § 1 Abs. 1<br />
KStG mit den Rechten einer juristischen Person ausgestattete Vereinigungen mehre-<br />
rer Personen zu einem gemeinsamen Zweck, wobei vor allem die Rechtsformen des<br />
Vereins, der Stiftung und der GmbH <strong>von</strong> praktischer Relevanz sind. 244 Ihnen<br />
gleichgestellt sind <strong>nach</strong> § 51 S. 2 AO Personenvereinigungen und Vermögens-<br />
massen. Freie Träger sind meistens in der Rechtsform des gemeinnützigen eingetra-<br />
genen Vereins, der Stiftung oder auch der (gemeinnützigen) Gesellschaft mit be-<br />
schränkter Haftung organisiert. 245 Allerdings können Freie Träger auch wirtschaftliche<br />
Geschäftsbetriebe unterhalten, die <strong>nach</strong> § 14 S. 2 AO keine Gewinnerzielungs-<br />
absicht voraussetzen, aber dennoch steuerpflichtig sind, vgl. § 64 AO. Ferner ist eine<br />
Verdrängung Privater durch die steuerliche Begünstigung freier Träger bislang nicht<br />
empirisch belegt worden. Geht man aber dennoch da<strong>von</strong> aus, dass steuerliche<br />
Vorteile eine Verdrängung Privater bewirken, könnten freie Träger, zumindest wenn<br />
sie keinen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb sondern einen Zweckbetrieb führen,<br />
<strong>nach</strong> dem Telos der Norm ebenfalls <strong>von</strong> § 7 Nr. 6 VOL/A umfasst werden.<br />
243<br />
Vgl. dazu Rüsken/Gersch in Klein, Abgabenordnung, Kommentar, 8. Auflage 2003, Vor. § 51,<br />
Rdnr. 2.<br />
244<br />
Von Boetticher, Die frei-gemeinnützige Wohlfahrtspflege und das europäische Beihilfenrecht,<br />
2003, S. 18 mit Verweis auf v. Randenborgh in: Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit,<br />
2000, § 1, Rdnr. 4.<br />
245<br />
Monopolkommission, Zwölftes Hauptgutachten 1996/1997, BT-DS 13/11291, S. 330, Rdnr. 624;<br />
<strong>von</strong> Boetticher, Die frei-gemeinnützige Wohlfahrtspflege und das europäische Beihilfenrecht,<br />
2003, S. 22; Schröder, Die Rechtsträger der freien Wohlfahrtspflege als öffentliche Auftraggeber,<br />
VergabeR 2003, 502, 503.<br />
96
Überwiegend wird jedoch angenommen, dass nur öffentliche Einrichtungen vom<br />
Ausschluss am Wettbewerb erfasst werden, 246 und die Norm dementsprechend auf<br />
öffentliche Einrichtungen zu reduzieren sei. Die Bezeichnung „öffentliche Einrichtung“<br />
soll hierbei im Sinne einer öffentlich-rechtlich gestalteten Einrichtung verstanden<br />
werden und nicht wie im Verwaltungsrecht, wo „öffentlich“ bedeutet, dass die<br />
Einrichtung der Öffentlichkeit, d.h. jedermann oder zumindest einem nicht<br />
individualisierten Personenkreis offen steht. 247 Hintergrund ist, dass da<strong>von</strong><br />
ausgegangen wird, dass nur öffentlich-rechtlich organisierte Einrichtungen private<br />
Unternehmen verdrängen können, nicht aber private. 248 Gestützt wird diese<br />
Annahme zudem mit dem Argument, dass es im Privatrecht jedermann freigestellt ist,<br />
in welcher Rechtsform er sich organisiert, um gerade auch aus dieser Wahl<br />
wirtschaftliche Vorteile für seine Unternehmen ziehen zu können. 249<br />
Die freien Träger der Wohlfahrtspflege grenzen sich gegenüber privat-gewerblichen<br />
Anbietern sozialer Dienste durch das Merkmal der Gemeinwohlorientierung im<br />
Gegensatz zur Gewinnoptimierung ab und gegenüber Trägern der öffentlichen<br />
Wohlfahrt durch die privatrechtliche Organisationsform sowie die Freiwilligkeit und<br />
Weisungsfreiheit des Engagements. 250 Die ökonomische Theorie fasst die Einrichtun-<br />
gen und Rechtsträger der freien Wohlfahrtspflege daher zum so genannten Dritten<br />
Sektor zusammen, also dem gesellschaftlichen Bereich zwischen Markt und Staat. 251<br />
Um zu beurteilen, ob § 7 Nr. 6 VOL/A eine Reduktion auf öffentlich organisierte<br />
Einrichtungen oder eine Extension auf freie Träger meint, gilt es zu untersuchen,<br />
wodurch die Verdrängung privater Unternehmen, die durch § 7 Nr. 6 VOL/A<br />
verhindert werden soll, tatsächlich erfolgt. Eine Extension würde, wie gezeigt, an das<br />
Merkmal der Gemeinnützigkeit anknüpfen und damit sowohl öffentliche als auch freie<br />
Träger <strong>von</strong> der Teilnahme am Wettbewerb ausschließen. Eine Reduktion auf<br />
öffentliche Einrichtungen knüpft an die Organisationsform des Bieters an und würde<br />
nur die öffentlich rechtlich organisierten Träger vom Wettbewerb ausschließen. Dies<br />
246<br />
So jedenfalls Zdzieblo in Daub/Eberstein, Kommentar zur VOL/A, 5. Auflage, 2000, § 7, Rdnr. 72;<br />
ebenso die Rechtsprechung, vgl. zuletzt OLG Düsseldorf v. 23.12.2003, Az. VII-Verg 58/03, S. 2<br />
sowie ferner 2. Vergabekammer des Bundes, Az. VK 2-94/03, S. 6.<br />
247<br />
Maurer, allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Auflage 2002, § 3, Rdnr. 26.<br />
248<br />
2. Vergabekammer des Bundes v. 06.10.2003, Az. VK 2-94/03, S. 6.<br />
249<br />
So die Argumentation der 2. Vergabekammer des Bundes v. 06.10.2003, Az. VK 2-94/03, S. 6.<br />
250<br />
<strong>von</strong> Boetticher, Die frei-gemeinnützige Wohlfahrtspflege und das europäische Beihilfenrecht,<br />
2003, S. 22.<br />
251<br />
Dörr, <strong>Vergaberecht</strong>liche Einbindung der freien Wohlfahrtspflege, RdJB 2002, 349, 350;<br />
Priller/Zimmer, Der Dritte Sektor – Wachstum und Wandel, 2001, S. 11.<br />
97
ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn auch die Organisationsform die Ursache für die<br />
Verdrängung, die es zu verhindern gilt, darstellt.<br />
Dies lässt sich möglicherweise anhand einer Rechtsfolgenbetrachtung <strong>nach</strong>voll-<br />
ziehen. Stellt man allein auf die Organisationsform ab und geht man da<strong>von</strong> aus, dass<br />
nur ein Ausschluss öffentlicher Einrichtungsträger gewollt ist, könnten privat<br />
organisierte freie Träger neben kommerziellen Unternehmen um öffentliche Aufträge<br />
konkurrieren. Wenn freie Träger aufgrund ihres Gemeinnützigkeitsstatus kosten-<br />
günstiger arbeiten können, bestünde die Gefahr dass kommerzielle Anbieter vom<br />
Markt verdrängt werden <strong>nach</strong> wie vor. Daran würde sich zeigen, dass die Gefahr<br />
einer Verdrängung privater Unternehmen nicht durch die gewählte Organisationsform<br />
realisiert wird, sondern durch die Förderung bestimmter Zwecke durch den Staat.<br />
Folglich könnte angenommen werden, dass Sinn und Zweck des § 7 Nr. 6 VOL/A<br />
darin besteht, private Unternehmen vor solchen Konkurrenten zu schützen, die<br />
aufgrund ihrer sozialpolitischen Zielsetzung staatlich gefördert werden. Eine solch<br />
extensive Auslegung begegnet allerdings erheblichen Bedenken. Vor allem<br />
entspräche eine solche Sinngebung nicht der Konstellation, die der Wortlaut der<br />
Norm durch die Aufzählungskette vorgibt, denn der Gesetzgeber wollte nicht<br />
diejenigen Bieter schützen, die gewinnorientiert (statt gemeinwohlorientiert, denn<br />
daran knüpft die staatliche Förderung an) arbeiten, sondern alle wirtschaftlich tätigen<br />
Unternehmen. Der Begriff des Unternehmens knüpft dabei an keine private<br />
Organisationsform an, sondern ist untechnisch zu verstehen wie das vom<br />
Gesetzgeber in den amtlichen Erläuterungen gewählte Beispiel der Regiebetriebe<br />
zeigt. Diese sind im organisationsrechtlichen Sinn keine Unternehmen, da sie nicht<br />
privatrechtlich organisiert sind und keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgen. 252 Sie<br />
sind aber dennoch zum Wettbewerb zugelassen und damit ebenfalls durch § 7 Nr. 6<br />
VOL/A geschützt, weil sie wirtschaftlich tätig sind.<br />
Das alleinige Abstellen auf die wirtschaftliche Tätigkeit entspricht auch dem<br />
funktionalen Unternehmensbegriff, auf den das europäische Wettbewerbsrecht<br />
abstellt. 253 Die sozialpolitische Zielsetzung, auf die sich § 7 Nr. 6 VOL/A bezieht,<br />
252 Vogelsang/Lübking/Jahn, Kommunale Selbstverwaltung, 1991, S. 185, Rdnr. 646.<br />
253 Zum funktionalen Unternehmensbegriff vgl. EuGH v. 23.04.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I –<br />
1979, Rdnr. 21 – „Höfner und Elser“; EuGH v. 17.02.1993, verb. Rs. C-159 und 160/91, Slg. 1993,<br />
98
knüpft aber nicht an die fehlende Gewinnerzielungsabsicht des handelnden Einrich-<br />
tungsträgers, sondern soll diesen <strong>von</strong> wirtschaftlich handelnden, gewerblichen<br />
Unternehmen abgrenzen. 254<br />
ff) Zusammenfassung<br />
Zusammenfassend kann daher festgestellt werden, dass § 7 Nr. 6 VOL/A diejenigen<br />
Einrichtungen vom Wettbewerb mit wirtschaftlich handelnden Unternehmen eines<br />
Gewerbes ausschließen soll, die wie Justizvollzuganstalten, Einrichtungen der<br />
Jugendhilfe, Aus- und Fortbildungsstätten aufgrund ihrer sozialpolitischen Ziel-<br />
setzung keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Der Zweck der Einrichtung und die<br />
Tätigkeit, die dort erbracht wird, sind nicht darauf gerichtet, eine Tätigkeit oder ein<br />
Produkt für jemand Dritten zu erbringen oder anzufertigen, denn dies soll<br />
grundsätzlich durch wirtschaftlich handelnde Unternehmen im Wettbewerb erfolgen.<br />
Die Träger frei-gemeinnütziger Einrichtungen können folglich nicht per se durch § 7<br />
Nr. 6 VOL/A <strong>von</strong> der Teilnahme am Wettbewerb ausgeschlossen werden, weder weil<br />
sie Einrichtungen i.S.v. § 7 Nr. 6 VOL/A unterhalten noch weil sie aufgrund ihrer<br />
gemeinnützigen Ausrichtung steuerlich begünstigt sind. Allein entscheidend ist, ob<br />
das auszuführende Geschäft seiner Natur <strong>nach</strong> wirtschaftlich ausgeführt werden soll<br />
(dann Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen) oder ob es sich um ein Geschäft<br />
handelt, das seiner Natur <strong>nach</strong> innerhalb einer Einrichtung des freien Trägers<br />
durchgeführt werden soll. In diesem Fall soll gem. § 3 Nr. 4 Buchst.o VOL/A i.V.m. §<br />
7 Nr. 6 VOL/A aber auch kein offenes Vergabeverfahren durchgeführt werden<br />
sondern eine Freihändige Vergabe. Ein völliger Ausschluss freier Träger <strong>von</strong> der<br />
Teilnahme an Vergabeverfahren, darf bei Leistungen, die Gegenstand <strong>von</strong> Anhang I<br />
B VOL/A sind, nicht erfolgen. Vom Wettbewerb ausgeschlossen sind nur die in den<br />
Einrichtungen hergestellten „Nebenprodukte“.<br />
I, 637, Rdnr. 17 – „Poucet und Pistre“; EuGH v. 16.11.1995, Rs. C-244/94, Slg. 1995, I – 4013,<br />
Rdnr. 14 – 21 – „Fédération Française“, EuGH v. 12.09.2000, verb. Rs. C-180 bis 184/98, Slg.<br />
2000, I – 6451, Rdnr. 74 – Pavlov u.a.; da<strong>nach</strong> ist Unternehmen jede eine wirtschaftliche Tätigkeit<br />
ausübende Einheit, unabhängig <strong>von</strong> ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung.<br />
254 § 7 Nr. 6 VOL/A wäre dem<strong>nach</strong> wie folgt zu verstehen: Justizvollzuganstalten, Einrichtungen der<br />
Jugendhilfe, Aus- und Fortbildungsstätten oder ähnliche Einrichtungen sind zum Wettbewerb mit<br />
wirtschaftlich handelnden Unternehmen nicht zuzulassen.<br />
99
5. Dienstleistungen <strong>nach</strong> Anhang I A VOL/A<br />
Sofern stattdessen Aufträge vergeben werden sollen, deren Gegenstand Dienstleis-<br />
tungen <strong>nach</strong> Anhang I A VOL/A sind, richtet sich die Vergabe <strong>nach</strong> den a-Paragrafen<br />
des 2. Abschnitts der VOL/A und ergänzend <strong>nach</strong> den Basisparagrafen. 255 Die<br />
Vergabearten sind in § 3a VOL/A aufgeführt:<br />
a) Offenes Verfahren<br />
Aufträge müssen grundsätzlich im offenen Verfahren vergeben werden. Da dieses<br />
der öffentlichen Ausschreibung entspricht, kann auf die dortigen Ausführungen ver-<br />
wiesen werden.<br />
b) Nichtoffenes Verfahren<br />
In begründeten Fällen können Aufträge im Wege des Nichtoffenen Verfahrens<br />
vergeben werden. Dieses entspricht der Beschränkten Ausschreibung mit Öffent-<br />
lichem Teilnahmewettbewerb gem. § 3 Nr. 1 Abs. 4 und Nr. 3 VOL/A.<br />
c) Verhandlungsverfahren<br />
Beim Verhandlungsverfahren – mit oder ohne vorherige öffentliche Vergabebekannt-<br />
machung - wendet sich der Auftraggeber an Unternehmen seiner Wahl und verhan-<br />
delt mit mehreren oder einem einzigen dieser Unternehmen über die Auftrags-<br />
vergabe. Im Gegensatz zum Freihändigen Vergabeverfahren findet das Verhan-<br />
dlungsverfahren nur unter den in § 3a Nr. 1 Abs. 4 und Nr. 2 VOL/A genannten<br />
Voraussetzungen Anwendung.<br />
d) Teilnehmer am Wettbewerb<br />
Wer als Teilnehmer am Vergabeverfahren in Betracht kommt ergibt sich aus § 7a<br />
VOL/A. Dieser unterscheidet sich <strong>von</strong> § 7 VOL/A insbesondere darin, dass er einen<br />
Ausschluss bestimmter Einrichtungen wie ihn § 7 Nr. 6 VOL/A vorsieht, nicht kennt.<br />
255 vgl. § 1a Nr. 2 Abs. 1 VOL/A.<br />
100
Dementsprechend fehlt auch eine Norm, die wie § 3 Nr. 4 Buchst. o VOL/A für<br />
genau diese Einrichtungen ein Verhandlungsverfahren vorsieht. Das bedeutet, dass<br />
Einrichtungen der in § 7 Nr. 6 VOL/A genannten Art am Offenen Vergabeverfahren<br />
teilnehmen können. Der Anwendung der Basisparagrafen 256 steht in diesem Fall § 3a<br />
Nr. 1 Abs. 1 VOL/A entgegen, der bestimmt, dass ein Verhandlungsverfahren nur<br />
unter den in § 3a Nr. 1 Abs. 4 und Nr. 2 VOL/A genannten Voraussetzungen<br />
anwendbar ist. Da § 3 Nr. 4 Buchst. o VOL/A damit nicht herangezogen werden<br />
kann, findet auch § 7 Nr. 6 VOL/A keine Anwendung, der <strong>nach</strong> einhelliger Meinung<br />
im Zusammenhang mit § 3 Nr. 4 Buchst. O VOL/A zu sehen ist. 257<br />
Aufträge an Freie Träger, deren Gegenstand Dienstleistungen <strong>nach</strong> Anhang I A sind,<br />
werden daher grundsätzlich im Offenen Verfahren vergeben, da die sog. a-Para-<br />
grafen des 2. Abschnitts der VOL/A eine § 7 Nr. 6 VOL/A entsprechende Norm nicht<br />
kennen. Bei dieser Art <strong>von</strong> Dienstleistungen ist daher auch nicht die freihändige<br />
Vergabe die richtige Vergabeart, sondern das offenen Verfahren, an dem auch freie<br />
Träger zu beteiligen sind.<br />
II. Materielles <strong>Vergaberecht</strong><br />
Darzustellen bleibt, welche Rechtsgrundsätze gelten, wenn Leistungen, die ein freier<br />
Träger erbringen möchte, unter Anwendung des <strong>Vergaberecht</strong>s ausgeschrieben<br />
werden. Die Antwort hängt zunächst da<strong>von</strong> ab, ob das <strong>Vergaberecht</strong> auf<br />
haushaltsrechtlicher Grundlage oder auf der Grundlage des 4. Teils des GWB<br />
Anwendung findet (unten 1.). In letzterem Fall gelten die materiellen Vergabegrund-<br />
sätze des GWB sowie – über § 4 Abs. 1 Satz 1 VgV – der zweite Abschnitt der<br />
VOL/A (dazu unten 2.). Auf Grundlage des Haushaltsrechts gilt dagegen nur der<br />
erste Abschnitt der VOL/A, und die Rechte der Bieter auf Überprüfung sind stark<br />
eingeschränkt (unten 3.).<br />
256 Insbes. § 7 Nr. 6 VOL/A und § 3 Nr. 4 Buchst. o VOL/A.<br />
257 Müller in Daub/Eberstein, Kommentar zur VOL/A, 5. Auflage 2000, § 3, Rdnr. 44; Neumann/<br />
Bieritz-Harder, Vergabe öffentlicher Aufträge in der Sozial- und Jugendhilfe? RsDE 48/2001, 1,<br />
26; OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.12.2003, Az: VII-Verg 58/03, S. 3 m.w.N.<br />
101
1. Abgrenzung zwischen Abschnitt I und Abschnitt II VOL/A<br />
a) Abgrenzungskriterien<br />
Die Kriterien, <strong>nach</strong> denen sich die Abgrenzung der Grundsätze des GWB sowie des<br />
zweiten Abschnitts der VOL/A einerseits und der Grundsätze des ersten Abschnitts<br />
der VOL/A anderseits richtet, sind oben bereits dargestellt worden. 258 Sind die drei<br />
„Zentralbegriffe“ (öffentlicher Auftraggeber, öffentlicher Auftrag und Überschreitung<br />
des Schwellenwerts) 259 erfüllt, so gelten auch die Vergabegrundsätze des GWB und<br />
des zweiten Abschnitts VOL/A. Dasselbe gilt, wenn das Vergabeverfahren auf den<br />
ausdrücklichen Verweisungen des SGB III auf das <strong>Vergaberecht</strong> beruht. Denn diese<br />
Verweisungen sind als „Rechtsfolgenverweisungen“ zu verstehen. 260<br />
b) Wettbewerbsrechtliche Vergabe<br />
Gelten also das GWB und der zweite Anschnitt der VOL/A, so sind im Vergabe-<br />
verfahren im Ausgangspunkt die materiellen Vergabegrundsätze des § 97 GWB<br />
sowie die Besonderheiten der „a-Paragraphen“ der VOL/A zu beachten. Freilich sind<br />
letztere für die Tätigkeiten der freien Träger regelmäßig bedeutungslos. Denn <strong>nach</strong><br />
§ 1a Nr. 2 Abs. 2 VOL/A werden Aufträge, deren Gegenstand Dienstleistungen <strong>nach</strong><br />
Anhang I B VOL/A sind, mit Ausnahme der §§ 8a, 28a VOL/A nur <strong>nach</strong> den<br />
Basisparagraphen vergeben. Die sozialen Dienstleistungen fallen unter Anhang I B<br />
und die §§ 8a, 28a VOL/A haben für soziale Dienstleistungen keine Bedeutung. Die<br />
wesentliche Bedeutung der Unterscheidung beschränkt sich also – vom Rechts-<br />
schutz abgesehen – auf die Grundsätze des § 97 GWB.<br />
c) Haushaltsrechtliche Vergabe<br />
Handelt es sich nur um ein Vergabeverfahren <strong>nach</strong> Haushaltsrecht, so ist lediglich<br />
der erste Abschnitt des VOL/A (= Basisparagraphen) einzuhalten. Allerdings sind die<br />
Grundsätze des § 97 GWB weitgehend auch in § 2 VOL/A enthalten. 261 Der<br />
258 Oben B. II.<br />
259 §§ 98 – 100 GWB.<br />
260 Oben B. III.<br />
261 Bechtold, GWB, 3. Aufl. 2002, § 97 Rn. 1.<br />
102
wesentliche Unterschied liegt im Bereich der Ausschreibung sozialer Dienst-<br />
leistungen daher nicht bei den materiellen Vorgaben des <strong>Vergaberecht</strong>s, sondern<br />
lediglich im Rechtsschutz.<br />
2. Die Vergabegrundsätze des § 97 GWB<br />
Die bisherigen Erfahrungen mit Vergabeverfahren der Bundesagentur für Arbeit<br />
zeigen aus der Sicht der freien Träger eine Reihe typischer Probleme. Namentlich<br />
werden <strong>von</strong> der Vergabestelle Qualitätsansprüche außer Acht gelassen, die an die<br />
betroffenen sozialen Dienstleistungen aus sachlichen Gründen zu stellen sind. Die<br />
Folge ist häufig der Zuschlag an wenig geeignete Bieter. Zuweilen erschwert die<br />
Aufteilung des Auftrags in zu große Teillose den – regional aufgestellten – freien<br />
Trägern die Bewerbung. Und schließlich weist nicht zuletzt die Insolvenz <strong>von</strong><br />
Maatwerk, dem bisher erfolgreichsten Bieter bei der Ausschreibung der Personal-<br />
Service-Agenturen, auf eine einseitige Orientierung der Vergabestelle am Endpreis<br />
hin; Kriterien wie Eignung und Leistungsfähigkeit der Bieter sind offenbar nicht immer<br />
ausreichend beachtet worden. Zu prüfen ist, inwieweit die materiellen Vergabegrund-<br />
sätze des § 97 GWB diesen Fehlentwicklungen Grenzen setzen.<br />
a) Wettbewerbsgrundsatz, § 97 Abs. 1 GWB<br />
Nach § 97 Abs. 1 GWB beschaffen öffentliche Auftraggeber Dienstleistungen im<br />
Wettbewerb. 262 Ausfluss dieses Prinzips ist zum einen der eindeutige Vorrang des<br />
offenen Verfahrens, da nur eine breite Beteiligung zu einer Auswahl an wirt-<br />
schaftlichen Angeboten führt. 263 Die Anwendung des § 3 Nr. 4 VOL/A (freihändige<br />
Vergabe) muss vor diesem Hintergrund – auch wenn die strengeren Vorschriften des<br />
§ 3a VOL/A <strong>nach</strong> § 1a Nr. 2 Abs. 2 VOL/A nicht anwendbar sind – die Ausnahme<br />
bleiben. Sie wird <strong>von</strong> Mitbewerbern, die am Zuschlag ebenfalls interessiert gewesen<br />
wären, regelmäßig unter Berufung auf § 97 Abs. 1 GWB erfolgreich angegriffen<br />
werden können.<br />
Zum anderen folgt aus dem Wettbewerbsgrundsatz die Verpflichtung des Auftragge-<br />
262 Ebenso § 2 Nr. 1 VOL/A.<br />
263 Bechtold GWB, 3. Aufl. 2002, § 97 Rn. 3.<br />
103
ers, seiner Ausschreibung eine genaue Leistungsbeschreibung zugrunde zu legen.<br />
Denn andernfalls werden die eingehenden Angebote nicht hinreichend vergleichbar<br />
sein und einen Wettbewerb nicht ermöglichen. 264 § 8 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VOL/A<br />
verlangt daher, dass die Leistungen eindeutig und so erschöpfend beschrieben<br />
werden, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen<br />
und die Angebote verglichen werden können. Besonderheiten in den Leistungsan-<br />
forderungen sind <strong>nach</strong> § 8 Nr. 3 Abs. 1, 3 VOL/A bereits in der Leistungsbeschrei-<br />
bung bekannt zu machen. Verstöße können <strong>von</strong> den Bewerbern als Rechtsver-<br />
letzung gerügt werden. 265 Allerdings besteht die Neigung der Vergabekammern- und<br />
Senate, die Aufstellung <strong>von</strong> Qualitätserfordernissen über die ausdrücklich vorge-<br />
schriebene Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit 266 hinaus allein der<br />
Vergabestelle zu überlassen. Dies kann aber jedenfalls nicht gelten, wenn die Aus-<br />
schreibung <strong>von</strong> <strong>Sozialleistungen</strong> hinter Qualitätskriterien zurückbleibt, die sich jeweils<br />
aus den Regelungen über diese <strong>Sozialleistungen</strong> in den Sozialgesetzbüchern<br />
ergeben.<br />
Bereits aus dem Wettbewerbsgrundsatz lässt sich damit eine wesentliche Grenze für<br />
die Praxis der Bundesagentur ableiten, in den Ausschreibungen auf inhaltliche<br />
Beschreibungen der Dienstleistungen weitgehend zu verzichten. Kann diese Offen-<br />
heit der Ausschreibung zur Unvergleichbarkeit der Bewerbungen führen, so ist die<br />
Ausschreibung rechtswidrig. 267 Insbesondere hat die Bundesagentur also darauf zu<br />
achten, dass ihre Leistungsbeschreibungen Wortlaut und Zweck der zugrunde<br />
liegenden Vorschriften aus dem SGB III gerecht werden. So steht es dem Zweck der<br />
Eingliederungs- und Vermittlungsleistungen <strong>nach</strong> §§ 37c, 421i SGB III sicherlich<br />
entgegen, wenn <strong>von</strong> den Bietern keinerlei Fachkonzepte verlangt werden.<br />
b) Transparenzgrundsatz, § 97 Abs. 1 GWB<br />
Nach § 97 Abs. 1 GWB hat das Vergabeverfahren weiter transparent zu sein. Damit<br />
ist gemeint, dass die Entscheidungsschritte der Vergabestelle in jeder Phase des<br />
Verfahrens <strong>nach</strong>vollziehbar sein müssen. 268 Der Grundsatz äußert sich vor allem in<br />
264<br />
Ax/Schneider/Nette, Handbuch <strong>Vergaberecht</strong>, 2002, Kap. 1 Rn. 36.<br />
265<br />
S. nur Zdzieblo, in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl. 2000, § 8 Rn. 28.<br />
266<br />
Dazu unten B.VI.2.e.<br />
267<br />
Zur Pflicht des Bieters, diesen Mangel sofort zu rügen, unten C. III. 1. b. cc.<br />
268<br />
Ax/Schneider/Nette, Handbuch <strong>Vergaberecht</strong>, 2002, Kap. I Rn. 41.<br />
104
der Verpflichtung der Vergabestelle, den Bietern stets die erforderlichen Informatio-<br />
nen bereitzustellen und den Zuschlag zu dokumentieren, § 30 VOL/A.<br />
Allerdings gewährt der Transparenzgrundsatz den Bietern während des Verfahrens<br />
kein Recht auf Akteneinsicht, insbesondere auch nicht in die Gebote der<br />
Mitbewerber. Ein solches Recht würde es den freien Trägern wesentlich erleichtern,<br />
auf Qualitätsmängel in Konkurrenzgeboten hinzuweisen. Da<strong>von</strong> werden im<br />
<strong>Vergaberecht</strong> aber Beeinträchtigungen des Wettbewerbs und die Verletzung <strong>von</strong><br />
Betriebsgeheimnissen der Bieter befürchtet. Ein Recht auf Akteneinsicht gibt es<br />
daher erst im Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern <strong>nach</strong> § 111 GWB.<br />
c) Diskriminierungsverbot, § 97 Abs. 2 GWB<br />
§ 97 GWB bestimmt, dass die Teilnehmer an einem Vergabeverfahren gleich zu<br />
behandeln sind, soweit nicht eine Be<strong>nach</strong>teiligung auf der Grundlage des GWB<br />
ausdrücklich geboten oder gestattet ist. Derselbe Grundsatz findet sich auch in § 2<br />
Nr. 2 VOL/A. Dies ist für die Interessen der freien Träger im Vergabeverfahren unter<br />
mehreren Gesichtspunkten <strong>von</strong> Bedeutung.<br />
aa) Regionale Beschränkungen<br />
Bei den Dienstleistungen, die die Bundesagentur vergibt, geht es häufig um die<br />
Vorbereitung Arbeitssuchender auf bestimmte Tätigkeiten oder die Vermittlung<br />
dorthin. Es liegt auf der Hand, dass dafür die genaue Kenntnis des örtlichen Arbeits-<br />
markts und seiner Arbeitgeber, verlässliche Kontakte und Erfahrungen mit den<br />
Arbeitsbedingungen bei diesen Arbeitgebern <strong>von</strong> erheblichem Vorteil sind. Daher<br />
läge es nahe, <strong>von</strong> den Bietern eine regionale Niederlassung und besondere<br />
Ortskenntnis zu verlangen. Dies käme den traditionellen Leistungserbringern aus<br />
dem Kreis der freien Träger entgegen, da sie diese Voraussetzungen besonders gut<br />
erfüllen könnten.<br />
Derartige regionale Beschränkungen sind in Vergabeverfahren jedoch nur sehr<br />
eingeschränkt zulässig. Sie bedeuten eine Be<strong>nach</strong>teiligung auswärtiger Bieter, die<br />
namentlich <strong>von</strong> den europarechtlichen Vorgaben des GWB gerade verhindert werden<br />
105
soll. 269 Auch § 7 Nr. 1 Abs. 1 Satz 2 VOL/A bestimmt, dass die Bewerbung nicht auf<br />
Bieter beschränkt werden darf, die in bestimmten Bezirken ansässig sind. Dabei<br />
handelt es sich um eine „Muss-Bestimmung“, die nicht übergangen werden darf. Es<br />
ist der Vergabestelle lediglich erlaubt, Vorteile der örtlichen Nähe einzelner Bewerber<br />
im Rahmen späterer Schritte des Verfahrens zu würdigen. 270 Es gibt daher keine<br />
Möglichkeit, eine fehlende regionale Beschränkung der Ausschreibung zu rügen. Im<br />
Gegenteil wäre diese Beschränkung rechtswidrig und könnte <strong>von</strong> auswärtigen<br />
Interessenten angefochten werden.<br />
bb) Qualitätskriterien<br />
In vielen Fällen führt es zu Unverständnis bei den freien Trägern, wenn das Ergebnis<br />
<strong>von</strong> Vergabeverfahren der Zuschlag an mehr oder weniger minderqualifizierte Bieter<br />
ist. Hier ist jedoch zu beachten, dass die Vergabestellen im Laufe des Verfahrens<br />
nicht mehr <strong>von</strong> den Qualitätskriterien abweichen dürfen, die sie selbst in der<br />
Leistungsbeschreibung angelegt haben. Zwar kommt auf die Rüge mangelhafter<br />
Leistungsbeschreibung die Aufhebung des Vergabeverfahrens in Betracht. Erfolgt<br />
jedoch eine Vergabe, so darf die Vergabestelle wegen des Diskriminierungsverbots<br />
weder die ursprünglichen Qualitätskriterien absenken 271 noch diese erhöhen. 272<br />
Fehler in den Qualitätsansprüchen der Vergabestelle können im Laufe des<br />
Verfahrens also kaum noch geheilt werden. Insbesondere wird eine qualitativ<br />
bessere Bewerbung wegen ihres regelmäßig höheren Endpreises kaum zum Erfolg<br />
kommen. Der einzige Weg besteht hier in der – sofortigen – Rüge der fehlerhaften<br />
Leistungsbeschreibung. 273<br />
cc) Bevorzugung freier Träger<br />
Zuletzt steht das Diskriminierungsverbot auch jeglicher Bevorzugung der freien<br />
Träger in Vergabeverfahren entgegen. Zwar gilt das Gebot der Zusammenarbeit mit<br />
den freien Trägern aus § 17 Abs. 3 SGB I auch für die Bundesagentur für Arbeit.<br />
Denn sie ist <strong>nach</strong> den §§ 12, 19 SGB I Leistungsträger im Sinne des § 17 SGB I, und<br />
269 Vgl. nur Bechtold GWB, 3. Aufl. 2002, § 97 Rn. 7 f.<br />
270 Etwa Zdzieblo, in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl. 2000, § 7 Rn. 31.<br />
271 BayObLG, Beschl. v. 20.12.1999, Verg 8/99.<br />
272 KG, Beschl. v. 03.11.1999, Kart. Verg 3/99 zur VOB.<br />
273 Oben C. II. 2. a.<br />
106
diese sind grundsätzlich zur Zusammenarbeit mit den freien Trägern verpflichtet. 274<br />
§ 97 Abs. 2 duldet <strong>nach</strong> seinem Wortlaut aber nur Ungleichbehandlungen, die auf-<br />
grund des GWB selbst angeordnet oder gestattet sind. Dies trifft auf § 17 Abs. 3 SGB<br />
I nicht zu.<br />
d) Bildung <strong>von</strong> Losen, § 97 Abs. 3 GWB<br />
Nach § 97 Abs. 3 GWB sind durch Teilung der Aufträge in Fach- und Teillose<br />
mittelständische Interessen angemessen zu berücksichtigen. Ähnlich, jedoch ohne<br />
ausdrücklichen Bezug zum Mittelstand, bestimmt § 5 Nr. 1 VOL/A: Der Auftraggeber<br />
hat in jedem Falle, in dem dies <strong>nach</strong> Art und Umfang der Leistung zweckmäßig ist,<br />
diese in Lose zu zerlegen, damit sich auch kleine und mittlere Unternehmen um Lose<br />
bewerben können. Die einzelnen Lose müssen so bemessen sein, dass eine<br />
unwirtschaftliche Zersplitterung vermieden wird.<br />
Die freien Träger haben regelmäßig ein Interesse daran, dass kleine Lose<br />
ausgeschrieben werden. Denn sie sind traditionell regional verfasst. Auch die<br />
Möglichkeit, <strong>nach</strong> § 21 Nr. 5 VOL/A Bietergemeinschaften zu bilden, hilft nicht immer<br />
weiter. Denn dies ist zeitaufwändig, geht oft über den räumlichen Einzugsbereich<br />
auch mehrerer freier Träger hinaus und kann Abstriche vom Selbstverständnis<br />
erfordern. Daher stellt sich die Frage, ob die Bildung geeigneter, kleiner Lose im<br />
Vergabeverfahren durchgesetzt werden kann.<br />
Einem solchen Anspruch auf Bildung geeigneter Lose steht zunächst nicht entgegen,<br />
dass die freien Träger nicht zum „Mittelstand“ gehören. Denn bei der Formulierung<br />
des § 5 Nr. 1 VOL/A ist bewusst <strong>von</strong> der ausdrücklichen Verwendung des Begriffs<br />
Mittelstand abgesehen worden. Stattdessen wurde allgemeiner auf kleine oder<br />
mittlere Unternehmen abgestellt. 275 Zu diesen Unternehmen gehören aber auch die<br />
freien Träger.<br />
Generell gewährt die Rechtsprechung der Vergabesenate den Bietern auch die<br />
274 Etwa Trenk-Hinterberger, in: Giese, SGB I und X, Stand: Nov. 2003, § 17 SGB I Rn. 5 – 7; Baier,<br />
in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung - Pflegeversicherung, Stand: Juni 2003, § 17 SGB I<br />
Rn. 7 f.<br />
275 Müller, in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl. 2000, § 5 Rn. 2, 5.<br />
107
Befugnis, die Losbildung überprüfen zu lassen. 276 Auch ein Anspruch auf eine<br />
bestimmte Losbildung ist im Einzelfall möglich. 277 Für die Beteiligung freier Träger an<br />
Ausschreibungen der Bundesagentur für Arbeit ist ein solcher Anspruch<br />
anzuerkennen. Denn anders als im Zusammenhang mit dem Diskriminierungs-<br />
verbot 278 ist die Bundesagentur hier an das Kooperationsprinzip <strong>nach</strong> § 17 Abs. 3<br />
SGB I gebunden. Eine Be<strong>nach</strong>teiligung anderer Bieter ergibt sich aus diesem Recht<br />
der freien Träger nicht, da sie sich problemlos auch auf mehrere Lose bewerben<br />
können. Sie haben also keinen Nachteil aus der kleinteiligeren Losbildung. 279<br />
Außerdem deckt sich das Interesse der freien Träger häufig mit sachlichen<br />
Gesichtspunkten, namentlich den Vorteilen regionaler Verwurzelung der Bieter 280<br />
und den Anforderungen des Wunsch- und Wahlrechts der Betroffenen aus<br />
§ 33 Satz 2 SGB I. Diese dürfen zwar nicht zum Ausschluss auswärtiger Bieter<br />
herangezogen werden. Anderseits ist es aber sachlich geboten, die Beteiligung <strong>von</strong><br />
Bietern (hier der freien Träger), die diese Vorteile bieten können, nicht schon durch<br />
die Ausschreibung überdimensionierter Lose zu behindern. Aus diesem Grund ist<br />
auch keine unwirtschaftliche Zersplitterung <strong>nach</strong> § 5 Nr. 1 Satz 2 VOL/A zu<br />
befürchten.<br />
Im Ergebnis können sich freie Träger auf ihre Eigenschaft als kleine und mittlere<br />
Bieter und auf das Kooperationsprinzip berufen, wo der Zuschnitt eines öffentlichen<br />
Auftrags in Lose die sinnvolle Bewerbung im Einzelfall erheblich erschwert oder<br />
unmöglich macht.<br />
e) Eignungskriterien, § 97 Abs. 4 GWB<br />
Übereinstimmend schreiben § 97 Abs. 4 Halbsatz 1 GWB und § 25 Nr. 2 Abs. 1<br />
VOL/A vor, dass die Vergabe an einen Bieter dessen Fachkunde, Leistungsfähigkeit<br />
und Zuverlässigkeit voraussetzt. Weitere Kriterien dürfen <strong>nach</strong> § 97 Abs. 4 Halb-<br />
satz 2 GWB nur angelegt werden, wenn dies durch Gesetz vorgesehen ist. Ergän-<br />
zend bestimmt § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A, dass die Vergabestellen ungewöhnlich<br />
276 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.06.2000, Verg 6/00 und Beschl. v. 04.03.2004, VII-Verg 8/04; OLG<br />
Frankfurt/Main, Beschl. v. 05.03.2002, 11 Verg 2/01.<br />
277 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 04.03.2004, VII-Verg 8/04 zu einer Ausschreibung der Bundesagentur<br />
für Arbeit; 1. Vergabekammer des Bundes, Beschl. v. 01.02.2001, VK 1-1/01.<br />
278 Oben B.V.2.c.cc.<br />
279 Vgl. Müller, in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl. 2000, § 5 Rn. 11.<br />
280 Oben B.V.2.c.aa.<br />
108
niedrige Angebote durch Überprüfung <strong>von</strong> deren Einzelposten besonders exakt zu<br />
untersuchen haben. Diese Vorschriften bieten durchaus Ansatzpunkte, um den<br />
Zuschlag an qualitativ schwächere, fachlich unerfahrene oder finanziell instabile<br />
Mitbewerber zu verhindern. Für die generelle Bevorzugung freier Träger bieten die<br />
Vorschriften freilich keine Rechtfertigung. Im Einzelnen:<br />
aa) vergabefremde Kriterien<br />
Man könnte zunächst auf den Gedanken kommen, die Kooperationspflicht der<br />
Bundesagentur <strong>nach</strong> § 17 Abs. 3 SGB I als „vergabefremdes Kriterium“ im Sinne des<br />
§ 97 Abs. 4 Halbsatz 2 GWB einzuführen. Denn diese Verpflichtung ist immerhin<br />
gesetzlich geregelt und könnte daher als derartiges Kriterium in Frage kommen.<br />
Damit wäre ein Vorrang freier Träger im Vergabeverfahren begründet.<br />
Bei genauerem Hinsehen handelt es sich jedoch um ein Kriterium, das nur auf die<br />
Person des Bieters und nicht auf die Eigenschaften seines Angebots abstellt. Solche<br />
Kriterien fallen <strong>von</strong> vorneherein nicht unter § 97 Abs. 4 Halbsatz 2 GWB, sondern<br />
wären eine unzulässige Diskriminierung entgegen § 97 Abs. 2 GWB. Es bleibt also<br />
bei den drei Kriterien Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit.<br />
bb) Fachkunde<br />
Das Kriterium der Fachkunde bedeutet, dass die Bieter <strong>nach</strong> ihren Kenntnissen,<br />
Erfahrungen und Fertigkeiten in der Lage sein müssen, den Auftrag ordnungsgemäß<br />
auszuführen. Im Falle einfacher Aufträge reicht es, wenn der Bieter auf die erforder-<br />
liche Fachausbildung zurückgreifen kann. Bei schwierigeren Aufträgen muss prakti-<br />
sche Erfahrung in der Abwicklung vergleichbarer Aufträge hinzutreten. Auf den Preis<br />
kommt es im Rahmen der Fachkunde der Bieter nicht an. 281<br />
Zwar darf die Voraussetzung einschlägiger Erfahrungen der Bieter nicht dazu führen,<br />
dass neue Unternehmen generell keine Chancen erhalten. 282 Dennoch beanstandet<br />
die Rechtsprechung es in der Regel nicht, wenn Vergabestellen in ihren Ausschrei-<br />
281 Kulartz, in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl. 2000, § 25 Rn. 33.<br />
282 OLG Celle, Beschl. v. 08.05.2002, 13 Verg 5/02.<br />
109
ungen detaillierte Referenzen verlangen. 283 Die Dienstleistungen <strong>nach</strong> dem SGB III<br />
und dem SGB II sind komplex. Daher sind ohne weiteres Bewerber auszuschließen,<br />
die auf dem Gebiet der Eingliederung <strong>von</strong> Personen in den Arbeitsmarkt nicht über<br />
einschlägige oder immerhin vergleichbare Erfahrungen verfügen. Verstöße können<br />
auch <strong>von</strong> den freien Trägern als Mitbewerbern gerügt werden.<br />
Allerdings kommt der Vergabestelle bei der Beurteilung der Fachkunde ein<br />
Beurteilungsspielraum zu, der <strong>von</strong> den Vergabekammern und den Vergabesenaten<br />
nicht kontrollierbar ist. Dies schränkt die Möglichkeiten deutlich ein, wenn – wie für<br />
die Anliegen der freien Träger typisch – der Zuschlag an einen nicht oder weniger<br />
geeigneten Bewerber verhindert werden soll. In Anlehnung an die allgemeine<br />
Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zu derartigen Spielräumen beschränkt sich<br />
die Kontrolle auf Verfahrensfehler, die Zugrundelegung eines falschen oder unvoll-<br />
ständig ermittelten Sachverhalts, sachwidrige Erwägungen oder die unzutreffende<br />
Anwendung eines Beurteilungsmaßstabs. 284 Es bedarf damit eines eindeutigen<br />
Verstoßes gegen das Erfordernis der Fachkunde, bevor eine Rüge erfolgreich sein<br />
wird. Ein Fehlgebrauch des Beurteilungsspielraums liegt aber jedenfalls vor, wenn<br />
ein Bewerber in die engere Auswahl kommt, der bisher im Bereich der Eingliederung<br />
nicht tätig war und auch nicht über Personal mit derartigen Vorkenntnissen verfügt. 285<br />
cc) Leistungsfähigkeit<br />
Leistungsfähigkeit liegt vor, wenn der Bewerber <strong>nach</strong> seinem Personalbestand und<br />
seiner Bonität die fachgerechte und fristgerechte Ausführung des Auftrags erwarten<br />
lässt. 286 Es kann daher durchaus zum Erfolg <strong>von</strong> Rechtsmitteln gegen eine<br />
<strong>nach</strong>teilige Vergabeentscheidung führen, wenn der Zuschlag – wie im Vorfeld dieses<br />
Gutachtens geschildert – an einen Bieter erteilt wird, der noch über keinerlei<br />
Personal mit der erforderlichen Ausbildung verfügt. Allerdings erstreckt sich der<br />
beschriebene Beurteilungsspielraum auch auf die Frage der Leistungsfähigkeit. In<br />
Zweifelsfällen wird sich die Vergabestelle daher durchsetzen. Außerdem ist es stark<br />
vom Gegenstand der Ausschreibung abhängig, inwieweit schon zum Zeitpunkt der<br />
283 Ax/Schneider/Nette, Handbuch <strong>Vergaberecht</strong>, 2002, Kap. 12 Rn. 19 ff. m.w.N.<br />
284 OLG Hamburg, Beschl. v. 21.01.2000, 1 Verg 2/99; Bechtold GWB, 3. Aufl. 2002, § 97 Rn. 17;<br />
Kulartz, in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl. 2000, § 25 Rn. 32.<br />
285 So die Schilderung eines Falles in der Vorbesprechung zu diesem Gutachten.<br />
286 Kulartz, in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl. 2000, § 25 Rn. 34.<br />
110
Prüfung der Angebote das Vorhandensein des erforderlichen Personals verlangt<br />
werden muss. 287<br />
dd) Zuverlässigkeit<br />
Ein Bieter ist zuverlässig, wenn er – ähnlich der Definition der Zuverlässigkeit im<br />
gewerberechtlichen Sinne – seine gesetzlichen Verpflichtungen fristgerecht erfüllt hat<br />
und aufgrund der Erfüllung früherer Verträge einschließlich der Gewährleistung die<br />
einwandfreie Ausführung erwarten lässt. 288 Auch hier besteht der beschriebene<br />
Beurteilungsspielraum des Auftraggebers.<br />
ee) Auffällig niedrige Angebote<br />
Anders als bei der Prüfung der drei Eignungskriterien Fachkunde, Leistungsfähigkeit<br />
und Zuverlässigkeit kommt der Vergabestelle kein Beurteilungsspielraum zu, wenn<br />
es um die Prüfung auffällig niedriger Angebote geht. § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A<br />
schreibt vor, dass die Einzelposten <strong>von</strong> Angeboten zu prüfen sind, wenn diese im<br />
Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig sind. Das Ergebnis<br />
ist bei der Vergabe zu berücksichtigen. Unauskömmliche Angebote sind dann<br />
zwingend auszuschließen, wenn die Unauskömmlichkeit den Bieter in solche<br />
wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen wird, dass er die ordnungsgemäße Durch-<br />
führung des Auftrags nicht mehr wird gewährleisten können. Dagegen ist „einfaches<br />
Dumping“, das die Durchführung des Auftrags nicht gefährdet, vergaberechtlich<br />
erlaubt. 289<br />
Die Ausschreibungen der Bundesagentur haben in den vergangenen Monaten<br />
teilweise exorbitante Abweichungen der Angebotspreise erbracht. Dies legt es nahe,<br />
dass ein Teil der Bieter entweder auftragsgefährdend unauskömmlich kalkuliert hat<br />
oder den fachlichen Anforderungen an die Dienstleistung <strong>von</strong> vorneherein nicht<br />
<strong>nach</strong>kommen wollte. Für einen unterlegenen freien Träger kann dies Anlass zur<br />
Rüge bieten, die Vergabestelle habe auffällig niedrige Angebote nicht hinreichend<br />
287<br />
Kritisch zu diesem Verlangen OLG Hamburg, Beschl. v. 25.02.2002, 1 Verg 1/01; Beschl. v.<br />
18.07.2002, 2 Kart Verg 4/02.<br />
288<br />
Kulartz, in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl. 2000, § 25 Rn. 35.<br />
289<br />
KG, Beschl. v. 7.11.2001, KartVerg 8/01; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.03.2003, Verg 49/02.<br />
111
durchleuchtet oder einem unauskömmlichen Angebot unzutreffend den Zuschlag<br />
erteilt.<br />
ff) Regionale Verwurzelung der Bieter<br />
Nach den bisherigen Erfahrungen mit den Vergabeverfahren der Bundesagentur<br />
stellt sich insbesondere die Frage, inwieweit die regionale Verwurzelung der Bieter<br />
im Rahmen der Beurteilung <strong>von</strong> Fachkunde und Leistungsfähigkeit berücksichtigt<br />
werden kann und muss. Denn dabei handelt es sich einerseits offensichtlich um ein<br />
Kriterium, das für die erfolgreiche Durchführung der Aufgaben <strong>von</strong> wesentlicher<br />
Bedeutung ist. 290 Anderseits bewegt sich seine Anwendung stets in der Nähe einer<br />
unzulässigen Diskriminierung auswärtiger Bieter. 291 Es läuft auch dem berechtigten<br />
Interesse der Vergabestelle zuwider, durch eine Öffnung des örtlichen Marktes zu<br />
preiswerteren Angeboten zu gelangen.<br />
Zweck der Vergabevorschriften ist es jedoch nicht, die Vergabestelle im Ergebnis<br />
zum Zuschlag auf ein nicht oder weniger geeignetes Angebot zu zwingen. Mit<br />
stichhaltiger Begründung müssen daher auch Eignungsvorgaben zulässig sein, die<br />
tendenziell eine Bevorzugung örtlicher Bieter mit sich bringen. 292 Darüber hinaus ist<br />
kein auswärtiger Bieter gehindert, durch die Einstellung geeigneter, örtlich erfahrener<br />
Personen oder durch Kooperation mit einem örtlichen Partner die Anforderungen zu<br />
erfüllen. Es ist daher zulässig und für die Ausschreibungen der Bundesagentur zu<br />
fordern, dass Zugang zu dem örtlichen Arbeitsmarkt besteht, der für die jeweilige<br />
Zielgruppe relevant ist.<br />
Allerdings ergibt sich dieser Umstand nicht ohne weiteres aus den gesetzlichen<br />
Eignungskriterien. <strong>Vergaberecht</strong>lich ist es daher erforderlich, dass dieses Erfordernis<br />
bereits in der Leistungsbeschreibung genannt und erläutert wird. Auch hier gilt daher<br />
290 So soll der wichtigste Partner der Bundesagentur bei den Personal-Service-Agenturen, die<br />
inzwischen insolvente Maatwerk, mancherorts <strong>nach</strong> Presseberichten nur eine Vermittlungsquote<br />
<strong>von</strong> 5 % erreicht haben. Der Standard ortsansässiger Unternehmen, etwa aus der<br />
Zeitarbeitsbranche, habe dagegen weit höher gelegen, s. Süddeutsche Zeitung vom 18.02.2004,<br />
Deutschlandausgabe, S. 20.<br />
291 Oben C. II. 2.c. aa.<br />
292 Vgl. auch § 8 Nr. 3 Abs. 3 VOL/A: „Bestimmte Erzeugnisse oder Verfahren sowie bestimmte<br />
Ursprungsorte oder Bezugsquellen dürfen nur dann ausdrücklich vorgeschrieben werden, wenn<br />
dies durch die Art der zu vergebenden Leistung gerechtfertigt ist.“<br />
112
der Hinweis, dass freie Träger andernfalls bereits die Leistungsbeschreibung zum<br />
Gegenstand ihrer Rügen machen sollten.<br />
f) Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot, § 97 Abs. 5 GWB<br />
Nach § 97 Abs. 5 GWB wird der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt.<br />
Damit ist der Preis zwar ein sehr wesentliches, aber nicht das allein ausschlag-<br />
gebende Kriterium. 293 Auch § 25 Nr. 3 VOL/A bestimmt: „Der Zuschlag ist auf das<br />
unter Berücksichtigung aller Umstände wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. Der<br />
niedrigste Angebotspreis allein ist nicht entscheidend.“ Die zugrunde liegenden EG-<br />
Richtlinien nennen als Kriterien, die neben dem Preis eine Rolle spielen können,<br />
allgemein Qualität, Ausführungsfristen, Betriebskosten, Ästhetik, Zweckmäßigkeit,<br />
Kundendienst, Rentabilität, technische Hilfe und technischen Wert. 294<br />
Damit bietet grundsätzlich zwar auch die letztendliche Vergabeentscheidung des<br />
Auftraggebers noch einmal die Möglichkeit, die mangelnde Berücksichtigung <strong>von</strong><br />
Qualitätsaspekten zu rügen. Im Einzelnen ist der Spielraum jedoch gering. Denn zum<br />
einen darf die Vergabestelle wegen des Transparenz- und Gleichheitsgrundsatzes<br />
weder <strong>nach</strong> oben noch <strong>nach</strong> unten <strong>von</strong> den Eignungskriterien abweichen, die sie<br />
dem Verfahren in der Leistungsbeschreibung zugrunde gelegt hat. 295 Die<br />
Vergabeentscheidung <strong>nach</strong> §§ 97 Abs. 5 GWB, 25 Nr. 3 VOL/A darf auch nicht die –<br />
verfahrenstechnisch vorausgehende – Auswahl der geeigneten Angebote wieder-<br />
holen. Vielmehr ist unter den geeigneten Angeboten das wirtschaftlichste auszu-<br />
wählen. 296 Zum anderen besteht auch hier – wie bei der Beurteilung der Eignung –<br />
ein Beurteilungsspielraum der Vergabestelle. 297<br />
Im Ergebnis zeigt sich auch hier: Die Rüge, die Vergabestelle habe keine<br />
ausreichenden Qualitätsanforderungen gestellt, muss bereits an die Leistungsbe-<br />
schreibung anknüpfen.<br />
293<br />
S. nur Bechtold GWB, 3. Aufl. 2002, § 97 Rn. 33. Unzulässig ist ein Bewertungssystem, in dem<br />
der Preis nur noch eine untergeordnete Rolle spielt, OLG Dresden, Beschl. v. 05.01.2001, WVerg<br />
11/00.<br />
294<br />
Zitiert <strong>nach</strong> Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl. 2000, , § 25 Rn. 42.<br />
295<br />
BGH, Urt. v. 17.02.1999, X ZR 101/97, NJW 2000, 137; OLG Hamburg, Beschl. v. 25.02.2002, 1<br />
Verg 1/01.<br />
296<br />
Etwa OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.01.2002, Verg 45/01.<br />
297<br />
Kulartz, in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl. 2000, , § 25 Rn. 43 m.w.N.<br />
113
g) Fazit<br />
Im Bereich der Losbildung können freie Träger verlangen, dass ihnen die Bewerbung<br />
nicht durch überdimensionierte Loszuschnitte wesentlich erschwert wird. Bei der<br />
Festlegung <strong>von</strong> Qualitätsgesichtspunkten für die Leistungen kommt der Vergabe-<br />
stelle zwar grundsätzlich ein Beurteilungsspielraum zu. Aus den sachlichen Anforde-<br />
rungen, die das SGB II und das SGB III <strong>nach</strong> Wortlaut und Zweck der einzelnen<br />
Vorschriften stellen, lassen sich aber durchaus Grenzen ableiten.<br />
Insgesamt hätte durch <strong>nach</strong>drückliche Rügen und Rechtsmittel schon in den<br />
bisherigen Vergabeverfahren der Bundesagentur im Interesse sowohl der Leistungs-<br />
empfänger als auch der freien Träger wahrscheinlich manch besseres Ergebnis<br />
erzielt werden können. Nach der Insolvenz der Firma Maatwerk ist in den Medien<br />
unterdessen ohnehin die Frage der Qualitätsansprüche in den Ausschreibungs-<br />
verfahren in die Diskussion geraten. 298 Die freien Träger sollten sich daher erst recht<br />
<strong>nach</strong>drücklich als erfahrene und kompetente Anbieter ins Gespräch bringen, und<br />
zwar auch durch Wahrung ihrer Rechte im Vergabeverfahren.<br />
3. Vergabegrundsätze <strong>nach</strong> § 2 VOL/A<br />
Im Wesentlichen gelten die beschriebenen materiellen Grundsätze des wettbewerbs-<br />
rechtlichen Vergabeverfahrens <strong>nach</strong> § 2 VOL/A auch im haushaltsrechtlichen<br />
Vergabeverfahren. Namentlich sind dort der Wettbewerbs- und der Gleichheitsgrund-<br />
satz sowie die Eignungskriterien fachkundig, leistungsfähig und zuverlässig<br />
genannt. 299 Bedeutsam sind daher nicht die materiellen Abweichungen des<br />
haushaltsrechtlichen Vergabeverfahrens, sondern der wesentlich eingeschränkte<br />
Rechtsschutz. 300<br />
298 Financial Times Deutschland vom 18.02.2004, http://ftd.de/pw/de/1077011634657.html?nv=rs.<br />
299 Vgl. Bechtold, GWB, 3. Aufl. 2002, § 97 Rn. 1.<br />
300 Dazu sogleich B.VI.<br />
114
III. Rechtsschutz<br />
Es ist bereits angeklungen, dass sich der Rechtsschutz im Vergabeverfahren<br />
wesentlich da<strong>nach</strong> richtet, ob die Vergabe aufgrund der Vorschriften des GWB oder<br />
des Haushaltsrechts erfolgt. Ein geeignetes Instrumentarium, um Rechtsverstößen<br />
der Vergabestelle wirksam entgegen zu treten, besteht nur <strong>nach</strong> dem GWB (dazu 1.).<br />
Ist wegen Unterschreitung des Schwellenwerts nur das Haushaltsrecht Grundlage,<br />
so sind die Bieter auf unförmliche Rechtsbehelfe (dazu 2.) und <strong>nach</strong>trägliche<br />
Schadensersatzansprüche (3.) beschränkt.<br />
1. Rechtsschutz im Vergabeverfahren <strong>nach</strong> dem GWB<br />
Zwar nennt das GWB unter den Rechtsmittelinstanzen die Vergabeprüfstelle zuerst.<br />
Das Verfahren vor dieser hat aber lediglich ergänzende Funktion. Als wesentliche<br />
Rechtsschutzinstanzen sieht das GWB vielmehr die Vergabekammer und den<br />
Vergabesenat des Oberlandesgerichts (OLG) vor. Generell ist für den Rechtsschutz<br />
im Vergabeverfahren <strong>von</strong> zentraler Bedeutung, dass Bieter Rechtsmittel bereits im<br />
laufenden Vergabeverfahren durch Rügen gegenüber der Vergabestelle vorbereiten<br />
müssen.<br />
a) Vergabeprüfstelle (§ 103 GWB)<br />
Bei einer Reihe <strong>von</strong> öffentlichen Auftraggebern sind Vergabeprüfstellen eingerichtet,<br />
obwohl die Staatsorgane dazu <strong>nach</strong> § 103 Abs. 1 Satz 1 GWB nicht verpflichtet sind.<br />
Das gilt insbesondere für die Bundesagentur für Arbeit.<br />
Die Bedeutung der Vergabeprüfstelle für den eigentlichen Rechtsschutz ist jedoch<br />
gering. 301 Denn ihre Anrufung hindert die Vergabestelle nicht, den Auftrag trotzdem<br />
zu erteilen und damit vollendete Tatsachen zu schaffen. Auch bieten die Vorschriften<br />
über die Vergabeprüfstelle keine Möglichkeit, den Rechtsschutz durch Anträge auf<br />
301 Deutlich Bechtold, GWB, 3. Aufl. 2002, § 103 Rn. 1: „überflüssig“.<br />
115
vorläufige Regelungen zu beschleunigen. In der Regel wird die Vergabeprüfstelle<br />
daher allenfalls ergänzend angerufen. 302<br />
Die Beschränkung auf einen Antrag bei der Vergabeprüfstelle ist nur für Bieter<br />
sinnvoll, die das Kostenrisiko des Nachprüfungsantrags bei der Vergabekammer 303<br />
scheuen und dafür auch erhebliche Nachteile bei der Durchsetzungskraft ihres<br />
Rechtsmittels in Kauf nehmen möchten. Denn das Verfahren vor der Vergabe-<br />
prüfstelle ist <strong>nach</strong> § 129 Satz 1 GWB kostenfrei, solange es sich auf die Überprüfung<br />
der Einhaltung des <strong>Vergaberecht</strong>s durch die Vergabestelle beschränkt.<br />
b) Vergabekammer (§§ 104 ff. GWB)<br />
Die Vergabekammer <strong>nach</strong> § 104 GWB ist zwar eine Behörde und keine Gericht. Das<br />
Nachprüfungsverfahren vor ihr ist jedoch gerichtsähnlich ausgestaltet, und die<br />
Kammer ist <strong>nach</strong> § 105 Abs. 1 GWB unabhängig besetzt. Wesentliches Merkmal des<br />
Verfahrens ist zum einen die aufschiebende Wirkung des Antrags. Sobald die<br />
Vergabekammer den Antrag an die Vergabestelle zugestellt hat, darf diese den<br />
Zuschlag <strong>nach</strong> § 115 Abs. 1 vorerst nicht mehr erteilen. Die aufschiebende Wirkung<br />
soll anderseits nicht zu langen Verzögerungen der Vergabe führen. Daher kenn-<br />
zeichnet auch der rasche Ablauf das Verfahren vor der Vergabestelle. Es verlangt<br />
<strong>von</strong> den Verfahrensbeteiligten schon im Vergabeverfahren selbst, bereits vor dem<br />
eigentlichen Rechtsmittel, äußerste Aufmerksamkeit, um keine Rüge- und Antrags-<br />
fristen zu verpassen. Im Einzelnen gelten für den Rechtsschutz vor der Vergabe-<br />
kammer folgende Einzelheiten:<br />
aa) Zuständigkeit<br />
Da die Bundesagentur der Aufsicht des Bundes untersteht, sind für ihre Vergabe-<br />
entscheidungen die Vergabekammern des Bundes zuständig, § 104 Abs. 1 GWB.<br />
Diese sind beim Bundeskartellamt in Bonn eingerichtet (§ 106 Abs. 1 Satz 1 GWB).<br />
302 Ohnehin sind die Vergabekammern <strong>nach</strong> § 110 Abs. 2 Satz 2 GWB verpflichtet, der<br />
Vergabeprüfstelle eine Kopie des Nachprüfungsantrags zu übermitteln.<br />
303 Dazu unten C. III. 1. e.<br />
116
) Frist<br />
Zwar gibt es keine eigentliche Antragsfrist für den Nachprüfungsantrag. Der Antrag<br />
ist jedoch unzulässig, sobald das Vergabeverfahren durch die Erteilung des<br />
Zuschlags an einen (anderen) Bieter schon abgeschlossen ist. 304 Daher kommt alles<br />
darauf an, den Antrag noch vor dem Zuschlag einzureichen. Dafür steht den<br />
(unterlegenen) Bietern lediglich die Zeit zwischen ihrer Information über den<br />
beabsichtigten Zuschlag an einen anderen Bieter und dem tatsächlichen Zuschlag<br />
zur Verfügung. Damit die Bieter diesen Zeitraum nutzen können, verpflichtet § 13<br />
VgV die Vergabestelle, die unterlegenen Bieter 14 Tage vor dem beabsichtigten<br />
Zuschlag über ihre Nichtberücksichtigung und deren Grund zu informieren. Im<br />
Ergebnis läuft also mit der genannten Information ein fristähnlicher Zeitraum. Er<br />
beträgt nicht einmal volle 14 Tage, weil es für die Berechnung des Zeitraums <strong>nach</strong><br />
§ 13 Sätze 3, 4 VgV auf den Tag <strong>nach</strong> der Absendung der Information bei der<br />
Vergabestelle und nicht auf den Zugang beim Bieter ankommt. Außerdem muss der<br />
Antrag durch die Vergabekammer noch vor Ablauf der 14 Tage an die Vergabestelle<br />
zugestellt werden, damit der Zuschlag wirksam unterbunden wird. 305<br />
cc) Unverzügliche Rüge <strong>von</strong> Verfahrensfehlern<br />
Außerdem ist die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags da<strong>von</strong> abhängig, dass der<br />
Antragsteller alle Fehler des Vergabeverfahrens bereits dort unverzüglich gerügt hat,<br />
§ 107 Abs. 3 Satz 1 GWB. Es ist also nicht möglich, Fehler im Vergabeverfahren zu<br />
ignorieren und sich auf spätere Rechtsmittel zu verlassen. Vielmehr müssen<br />
beispielsweise Mängel der Leistungsbeschreibung bereits zum Ablauf der Frist zur<br />
Angebotsabgabe schriftlich und konkret gerügt werden. 306 Unter „unverzüglich“<br />
versteht die Rechtsprechung einen Zeitraum <strong>von</strong> höchstens 14 Tagen ab Kenntnis<br />
des Mangels. 307 Weitere Fristen, <strong>nach</strong> deren Ablauf zusätzlicher Vortrag unbe-<br />
rücksichtigt bleibt, kann die Vergabekammer den Beteiligten im Verfahren <strong>nach</strong> § 113<br />
Abs. 2 Satz 2 GWB setzen.<br />
304<br />
BGH, Urt. v. 19.12.2000, X ZB 14/00; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.04.1999, Verg 1/99.<br />
305<br />
§ 115 Abs. 1 GWB.<br />
306<br />
Ax/Schneider/Nette, Handbuch <strong>Vergaberecht</strong>, 2002, Kap. 21 Rn. 100.<br />
307<br />
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.04.1999, Verg 1/99<br />
117
dd) Schaden des Antragstellers<br />
Der Antrag setzt <strong>nach</strong> § 107 Abs. 1 Satz 2 GWB außerdem voraus, dass dem<br />
Antragsteller durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden<br />
entstanden ist oder zu entstehen droht. Das trifft in der Regel nur auf Bieter zu, die<br />
geltend machen können, durch den Verstoß gegen <strong>Vergaberecht</strong> um ihre Chancen<br />
auf den Zuschlag gebracht worden zu sein. 308 Der Nachweis dessen ist nicht immer<br />
einfach. Bei Wahl einer falschen Verfahrensart (beispielsweise freihändig statt offen)<br />
muss der Antragsteller darlegen, dass er in Falle der Wahl der richtigen Verfahrens-<br />
art ein anderes Angebot mit besseren Chancen abgegeben hätte. 309<br />
ee) Recht auf Akteneinsicht<br />
Nach § 111 Abs. 1 GWB können die Beteiligten die Akten bei der Vergabekammer<br />
einsehen und sich durch die Geschäftsstelle auf eigene Kosten Abschriften erteilen<br />
lassen. Vielfach ist die sachgerechte Begründung des Nachprüfungsantrags nicht<br />
möglich, ohne die Erwägungen der Vergabestelle, insbesondere bei der Beurteilung<br />
der Eignung der einzelnen Bewerber, zu kennen. Auch wichtige Details des bevor-<br />
zugten Angebots können so bekannt werden. Es ist daher trotz des (Reise-)<br />
aufwands empfehlenswert, vom Recht auf Akteneinsicht Gebrauch zu machen. Seine<br />
Grenze findet dieses Recht <strong>nach</strong> § 111 Abs. 2 GWB erst in den Geschäftsgeheim-<br />
nissen der Mitbewerber.<br />
ff) Entscheidungsfrist<br />
Die Vergabekammer trifft ihre Entscheidung regelmäßig aufgrund mündlicher<br />
Verhandlung bereits innerhalb <strong>von</strong> 5 Wochen <strong>nach</strong> Antragseingang. Nach § 113<br />
Abs. 1 Satz 2 GWB kann der Kammervorsitzende diese Frist zwar verlängern. Dies<br />
ist aber nur im Falle besonderer rechtlicher oder tatsächlicher Schwierigkeiten<br />
möglich und schriftlich zu begründen. Die – ggf. verlängerte – 5-Wochen-Frist kann<br />
im Beschwerdeverfahren zum OLG noch weitere Bedeutung erlangen. 310<br />
308 Bechtold, GWB, 3. Aufl. 2002, § 107 Rn. 2.<br />
309 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.07.2002, Verg 22/02.<br />
310 Unten B.VI.1.c.aa.<br />
118
In ihrem Inhalt ist die Entscheidung der Vergabekammer nicht an die Anträge oder<br />
den Vortrag der Beteiligten gebunden. Ist erst einmal ein zulässiger Antrag einge-<br />
reicht, ermittelt die Vergabekammer vielmehr <strong>von</strong> Amts wegen und kann unabhängig<br />
<strong>von</strong> den Anträgen auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. 311 Sie<br />
trifft <strong>nach</strong> § 114 Abs. 1 Satz 1 die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsver-<br />
letzung des Antragstellers zu beseitigen.<br />
c) Vergabesenat des OLG<br />
Als zweite und zugleich letzte 312 Instanz steht gegen die Entscheidung der Vergabe-<br />
kammer die sofortige Beschwerde zum Vergabesenat des OLG offen. Auch hier ist<br />
das Verfahren durch die (eingeschränkt fortbestehende) aufschiebende Wirkung und<br />
den sehr raschen Ablauf gekennzeichnet.<br />
aa) Beschwerdefrist und Begründung<br />
Die Frist für die Einlegung der sofortigen Beschwerde beträgt 2 Wochen ab<br />
Zustellung der Entscheidung der Vergabekammer. Hat die Vergabekammer nicht<br />
innerhalb der 5-Wochen-Frist oder innerhalb der Verlängerung durch den Vorsitzen-<br />
den <strong>nach</strong> § 113 Abs. 1 GWB entschieden, so setzt dies ebenfalls die Frist zur<br />
Einlegung der sofortigen Beschwerde in Lauf. Denn <strong>nach</strong> § 116 Abs. 2 GWB gilt der<br />
Nachprüfungsantrag dann als durch die Vergabekammer abgelehnt.<br />
Die sofortige Beschwerde ist zugleich mit ihrer Einlegung zu begründen. Sowohl für<br />
die Beschwerdeschrift als auch für das weitere Verfahren ist außerdem die Vertre-<br />
tung durch einen Rechtsanwalt vorgeschrieben.<br />
311 §§ 108 Abs. 1 Satz 1, 114 Abs. 1 GWB.<br />
312 Zwar sieht § 124 Abs. 2 GWB auch eine Ersatzzuständigkeit des Bundesgerichtshofs vor. Diese<br />
kann jedoch nur durch den Vergabesenat beim OLG herbeigeführt werden. Dieser legt die Sache<br />
dem BGH vor, wenn er <strong>von</strong> einer anderen Entscheidung derselben Rechtsfrage durch ein anderes<br />
OLG oder den BGH abweichen möchte. Dann entscheidet jedoch der BGH selbst anstelle des<br />
OLG in der Sache, es gibt also keine weitere Instanz.<br />
119
) Aufschiebende Wirkung<br />
Die sofortige Beschwerde hat zugleich aufschiebende Wirkung hinsichtlich der<br />
Entscheidung der Vergabekammer, § 118 Abs. 1 Satz 1 GWB – dies aber nur für<br />
zwei weitere Wochen ab Ablauf der Beschwerdefrist. Wurde der Nachprüfungsantrag<br />
durch die Vergabekammer abgelehnt, so kann der Antragssteller <strong>nach</strong> § 118 Abs. 1<br />
Satz 3 GWB beim Vergabesenat beantragen, die aufschiebende Wirkung noch weiter<br />
zu verlängern. Unterlässt er diesen Antrag oder wird er zurückgewiesen, so darf die<br />
Vergabestelle den Zuschlag wieder erteilen.<br />
War der Nachprüfungsantrag dagegen vor der Vergabekammer erfolgreich und legen<br />
die Vergabestelle oder ein anderer Bieter die sofortige Beschwerde ein, bleibt es<br />
<strong>nach</strong> § 118 Abs. 3 GWB bis zur Entscheidung des Vergabesenats bei dem<br />
„Vergabestopp“.<br />
cc) Inhalt der Entscheidung<br />
Die Entscheidung des Vergabesenats hat einen doppelten Inhalt. Zum einen hebt<br />
das Gericht die Entscheidung der Vergabekammer <strong>nach</strong> § 123 Sätze 1, 2 GWB auf,<br />
wenn die Beschwerde begründet ist. Es entscheidet in der Sache selbst oder kann<br />
die Vergabekammer auch zur Neuentscheidung unter Berücksichtigung der<br />
Rechtsauffassung des Gerichts verpflichten. Zum anderen stellt das Gericht auf<br />
Antrag <strong>nach</strong> § 123 Satz 3 GWB fest, dass das Unternehmen, welches die<br />
Nachprüfung beantragt hat, durch die Vergabestelle in seinen Rechten verletzt ist.<br />
Diese Entscheidung ist in späteren Schadensersatzstreitigkeiten zwischen Bieter und<br />
Vergabestelle bindend, § 124 Abs. 1 GWB.<br />
d) Eilverfahren<br />
Schon das geschilderte Nachprüfungsverfahren weist viele Merkmale auf, die sonst<br />
im Rechtsschutzsystem für Eilverfahren typisch sind. Dennoch bieten die Vorschrif-<br />
ten des GWB noch weitergehende Möglichkeiten, das Verfahren durch vorläufige<br />
Entscheidungen zusätzlich zu beschleunigen.<br />
120
Bereits im Verfahren vor der Vergabekammer kann die Vergabestelle beantragen,<br />
den Auftrag trotz der aufschiebenden Wirkung des Nachprüfungsantrags bereits<br />
vergeben zu dürfen. Nach § 115 Abs. 2 Satz 1 GWB gibt die Vergabekammer<br />
diesem Antrag statt, wenn unter Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten<br />
Interessen sowie des Interesses der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des<br />
Vergabeverfahrens die <strong>nach</strong>teiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zum<br />
Abschluss der Nachprüfung die damit verbundenen Vorteile überwiegen (Interessen-<br />
abwägung). Gegen die Stattgabe kann der Antragsteller sofort den Vergabesenat<br />
beim OLG anrufen. Lehnt die Vergabekammer den Antrag ab, so kann die Vergabe-<br />
stelle unmittelbar das OLG anrufen. Setzt die Vergabestelle auf diese Weise den<br />
Zuschlag durch, so läuft das Prüfungsverfahren vor der Vergabekammer zwar weiter.<br />
Es geht dort dann aber letztlich nur noch um die Feststellung <strong>von</strong> Rechtsverstößen,<br />
die der Antragsteller zur Vorbereitung <strong>von</strong> Schadensersatzforderungen verwenden<br />
kann.<br />
Eine ähnliche Möglichkeit, den Zuschlag trotz schwebenden Nachprüfungsverfahrens<br />
durchzusetzen, besteht für die Vergabestelle auch noch im Beschwerdeverfahren vor<br />
dem OLG. Nach § 121 Abs. 1 GWB sind dafür ebenfalls eine Interessenabwägung<br />
und die Erfolgsaussichten der Beschwerde maßgeblich.<br />
e) Risiken <strong>von</strong> Kosten und Schadensersatz<br />
Wer ein Nachprüfungsverfahren anstrengt, trägt zunächst im Falle des Unterliegens<br />
das Risiko der Kosten der Vergabekammer und des Gerichts. Die Kosten der<br />
Vergabekammer sind in § 128 GWB eingehend geregelt, im Regelfall gilt ein<br />
Gebührenrahmen <strong>von</strong> EUR 2.500 bis EUR 25.000. Die Kosten der Beschwerde-<br />
instanz richten sich <strong>nach</strong> dem Gerichtskostengesetz und hängen daher maßgeblich<br />
vom Auftragswert ab. Wie in Gerichtsverfahren üblich, umfasst das Kostenrisiko im<br />
Falle des Unterliegens außerdem auch die gegnerischen Kosten für die Verfahren,<br />
namentlich für deren Vertretung durch Rechtsanwälte. Die Höhe dieses Risikos<br />
hängt ebenfalls vom Wert des Auftrags ab.<br />
Daneben enthält § 125 eine Regelung über zusätzliche Schadensersatzansprüche<br />
gegen einen Bieter, dessen Nachprüfungsantrag nicht erfolgreich war. Erweisen sich<br />
121
der Antrag an die Vergabekammer oder die sofortige Beschwerde als <strong>von</strong> Anfang an<br />
unbegründet, so ist dem Gegner und den Beteiligten der Schaden zu ersetzen, der<br />
ihnen durch den Missbrauch des Antrags- oder Beschwerderechts entstanden ist. Je<br />
<strong>nach</strong> Gegenstand des Auftrags können hier sehr hohe Schadenssummen im Raum<br />
stehen. Freilich darf die Formulierung des Gesetzes nicht zu dem Fehlschluss<br />
verleiten, jeder unbegründete Antrag verpflichte zum Schadensersatz. Vielmehr<br />
muss eine missbräuchliche Verhaltensweise des Antragstellers hinzutreten. 313 Als<br />
Beispiele dafür nennt § 125 Abs. 2 GWB falsche Angaben, Verzögerungsabsicht<br />
oder das Ziel, sich das Rechtsmittel „abkaufen“ zu lassen.<br />
2. Unförmliche Rechtsbehelfe<br />
In Vergabeverfahren auf haushaltsrechtlicher Grundlage gibt es keine Rechtsmittel,<br />
die dem Antrag zur Vergabekammer und der sofortigen Beschwerde vergleichbar<br />
wären. Die Bieter sind daher auf unförmliche Rechtsbehelfe wie die<br />
Gegenvorstellung oder die Eingabe an die Rechtsaufsichtsbehörde der Vergabe-<br />
stelle verwiesen. Diese Rechtsbehelfe stehen selbstverständlich auch im Vergabe-<br />
verfahren <strong>nach</strong> dem GWB zur Verfügung, sind dort aber neben den erläuterten<br />
Rechtsmitteln in der Regel wenig zweckmäßig. Im Falle der Bundesagentur ist die<br />
zuständige Rechtsaufsichtsbehörde das Bundesministerium für Wirtschaft.<br />
Diese Rechtsbehelfe sind weder frist- noch formgebunden, bieten regelmäßig aber<br />
auch keine nennenswerten Erfolgsaussichten. Besondere Rechte im Verfahren<br />
bestehen für die Bieter nicht. 314<br />
3. Schadensersatz<br />
Beiden Arten des Vergabeverfahrens ist gemein, dass (unterlegene) Bieter im<br />
Nachhinein Schadensersatz <strong>von</strong> der Vergabestelle verlangen können, wenn diese<br />
sie in ihren Rechten verletzt hat (sog. Sekundärrechtsschutz). Eine Verletzung<br />
313 Bechtold, GWB, 3. Aufl. 2002, § 125 Rn. 1.<br />
314 Ausführliche Darstellung bei Ax/Schneider/Nette, Handbuch <strong>Vergaberecht</strong>, 2002, Kap. 21, Rn. 1<br />
ff.<br />
122
eigener Rechte liegt bei rein haushaltsrechtlichen Vergabeverfahren aber nur selten<br />
vor. Denn dann gilt § 97 Abs. 7 GWB, der den Bietern ein eigenes Recht auf<br />
Einhaltung der wesentlichen Grundsätze des Vergabeverfahrens einräumt, nicht. 315<br />
Bei Vergabeverfahren auf Grundlage des GWB ist ergänzend zu beachten, dass die<br />
Bieter eine Schadensminderungspflicht trifft. Wer es unterlässt, Rechtsmittel gegen<br />
Fehler im Vergabeverfahren einzulegen, kann später nicht oder nur eingeschränkt<br />
Schadensersatz verlangen, wenn die Rechtsmittel mutmaßlich zum Erfolg geführt<br />
hätten. Außerdem muss der Schaden, der aus dem nicht erhaltenen Auftrag<br />
resultiert, selbstverständlich konkret <strong>nach</strong>gewiesen werden.<br />
315 Vgl. Ax/Schneider/Nette, Handbuch <strong>Vergaberecht</strong>, 2002, Kap. 22 Rn. 5.<br />
123
D. Zusammenfassung:<br />
1. Die Selbstständigkeit der freien Träger in Zielsetzung und Durchführung ihrer<br />
eigenen sozialen Aufgaben wird in den Grundrechten (Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 4<br />
Abs. 1 und 2 GG) und im Selbstverwaltungsrecht der Religionsgesellschaften (Art.<br />
140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 GG) geschützt (A I 1 und 2).<br />
2. Der berufliche Bezug der Tätigkeit der freien Träger wird im Grundrecht der<br />
Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) geschützt. Bundesverfassungsgericht und Bundes-<br />
sozialgericht sehen in der Verweigerung des Zugangs zur Leistungserbringung einen<br />
Eingriff in die Berufsfreiheit. Die Frage, ob der Eingriff die Stufe der Berufsausübung<br />
betrifft oder der Stufe der Berufswahl nahe kommt, hängt da<strong>von</strong> ab, ob der<br />
Sozialleistungsträger eine Monopolstellung innehat. Erste Voraussetzung der<br />
Eingriffsrechtfertigung ist eine hinreichend bestimmte, parlamentsgesetzliche<br />
Grundlage. Eine Zulassung <strong>nach</strong> Maßgabe eines objektiven Bedarfs hält den Anfor-<br />
derungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht stand, wenn der Sozial-<br />
leistungsträger vor der <strong>Erbringung</strong> der Sozialleistung den individuellen Bedarf des<br />
Sozialleistungsberechtigten überprüfen kann (A I 3).<br />
3. Der verfassungsrechtliche Status der freien Träger wird in § 17 Abs. 3 SGB III und<br />
in statusrechtlichen Normen einzelner Bücher des Sozialgesetzbuchs reformuliert<br />
und verdeutlicht. Die genannten Normen betonen, dass die Sozialleistungsträger die<br />
Selbständigkeit der freien Träger als Träger eigener Aufgaben auch in der<br />
Zusammenarbeit zu achten haben. Ziel der Zusammenarbeit ist das Wohl des<br />
Sozialleistungsberechtigten, der durch die diversen Wunsch- und Wahlrechte des<br />
Sozialrechts berechtigt wird, selbst zu bestimmen, was sein Wohl ist (A II).<br />
4. Das Sozialstaatsprinzip verleiht dem Sozialstaat kein Aufgabenmonopol. Der freie<br />
Träger erfüllt mit der Wahrnehmung der eigenen Aufgabe zugleich die Aufgabe des<br />
Sozialstaates, der die Gesamtverantwortung für den Sachbereich Wohlfahrtspflege<br />
hat (A III 1). Die Freiheit des Sozialeistungsberechtigten, den Leistungserbringer<br />
auszuwählen und die Leistungsgestaltung zu bestimmen, ist in Art. 2 Abs. 1 GG<br />
verbürgt (A III 2). Die verfassungsrechtlichen Vorgaben (grundrechtlich verbürgte<br />
124
Selbstständigkeit des freien Trägers, Freiheit zu Auswahl unter den Leistungen und<br />
ihren Erbringers, Gesamtverantwortung des Sozialstaats) werden im<br />
sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis „klein gearbeitet“ (A III 2).<br />
5. Das Dreiecksverhältnis Leistungsberechtigter – Leistungsträger –<br />
Leistungserbringer wird im Sozial- und Jugendhilferecht mustergültig geregelt (A IV 1<br />
und 2).<br />
6. Das SGB III regelt den Abschluss <strong>von</strong> Leistungserbringungsverträgen nicht<br />
ausdrücklich und eindeutig, schließt den Abschluss solcher Verträge – abgesehen<br />
<strong>von</strong> drei Ausnahmen – aber auch nicht aus. Die Ausnahmen sind §§ 240, 248 SGB<br />
III, die die Gewährung <strong>von</strong> Zuschüssen vorsehen, sowie § 37c SGB III und die<br />
Experimentiernorm des § 421 i SGB III, die auf das <strong>Vergaberecht</strong> verweisen. Der<br />
Anwendungsbereich <strong>von</strong> § 421 i SGB III ist zugleich weit und eng. Einerseits<br />
erstreckt sich die Norm auf alle Maßnahmen des SGB III, welche die<br />
Eignungsvoraussetzungen <strong>von</strong> Absatz 1 Nr. 1 erfüllen. Andererseits ist die Norm eine<br />
zeitlich befristete Experimentierklausel, die nicht zu einem flächendeckenden Umbau<br />
des Leistungserbringungsrechts in ein vergaberechtliches Modell ermächtigt (A IV 3).<br />
7. Das SGB II übernimmt in § 17 Abs. 2 die leistungserbringungsrechtlichen<br />
Grundstrukturen des Sozialhilferechts (jetzt SGB XII). Wenn die Bundesagentur oder<br />
die kommunalen Träger Leistungen <strong>nach</strong> SGB III erbringen, ist der Abschluss <strong>von</strong><br />
Leistungserbringungsverträgen <strong>nach</strong> § 17 Abs. 2 SGB II nur dann nicht geboten,<br />
wenn das SGB III die <strong>Erbringung</strong> der Leistung ausdrücklich regelt. Das ist bei §§ 240,<br />
248 sowie bei § 37 c und § 421 i SGB III der Fall. Bei der letztgenannten Norm ist<br />
allerdings zu bedenken, dass sie eine Entscheidung <strong>nach</strong> pflichtgemäßem Ermessen<br />
verlangt und keine Ermächtigung zu einer flächendeckenden Vergabepraxis ist (A IV<br />
4).<br />
8. Das SGB IX enthält alle normativen Elemente des sozialrechtlichen<br />
Dreiecksverhältnisses. Der Vorbehalt abweichender Regelungen in § 7 S. 1 SGB IX<br />
greift nur, wenn in den besonderen Teilen des SGB die Leistungserbringung<br />
ausdrücklich anders geregelt ist. Eine ausdrückliche andere Regelung ist im SGB III<br />
125
nur die Zuwendungsfinanzierung <strong>nach</strong> §§ 240, 248. Das in § 421 i SGB III<br />
eingeräumte Ermessen wird regelmäßig nur dann pflichtgemäß ausgeübt, wenn das<br />
Leistungserbringungsrecht des SGB IX gewählt wird (A IV 5).<br />
9. Schreibt ein Sozialleistungsträger Leistungen aus, die Gegenstand des<br />
sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses sind, steht der freie Träger vor der Frage, ob<br />
er sich an einem Vergabeverfahren beteiligen soll, obwohl er dessen Durchführung<br />
für rechtswidrig hält.<br />
Die zutreffende Antwort ist in der Regel kein entweder-oder, sondern ein sowohl-als<br />
auch. Der Rechtsschutz neben einer – auch rechtswidrigen – Ausschreibung ist<br />
langwierig, und die Erfolgsaussichten <strong>von</strong> Eilverfahren sind schwer abschätzbar. In<br />
dieser Situation wäre es fahrlässig, die eigene Chance auf den Zuschlag im<br />
Vergabeverfahren <strong>von</strong> vornherein zu vergeben. Der freie Träger sollte sich daher am<br />
Vergabeverfahren beteiligen, dies freilich nicht ohne seine rechtlichen Bedenken<br />
sofort in einer Rüge gegenüber der Vergabestelle auszudrücken (Einzelheiten zum<br />
Rechtsschutz A V).<br />
10. Das deutsche <strong>Vergaberecht</strong> ist historisch bedingt zweigeteilt. Es ist als<br />
Haushaltsrecht Innenrecht und als Wirtschaftsrecht Außenrecht. Die Umsetzung der<br />
europarechtlichen Vergaberichtlinien erfolgte durch Eingliederung in das deutsche<br />
Kartellrecht, insbesondere in die §§ 97-129 GWB (B I).<br />
11. Die Anwendung des <strong>Vergaberecht</strong>s des GWB setzt voraus, dass die drei<br />
Zentralbegriffe öffentlicher Auftraggeber, öffentlicher Auftrag und Schwellenwert<br />
erfüllt sind. Leistungserbringungsverträge sind keine öffentlichen Aufträge, da sie<br />
keine entgeltlichen Verträge sind. Vielmehr handelt es sich bei ihnen um eine<br />
„besondere Form der Konzessionsvergabe“, auf die das <strong>Vergaberecht</strong> nicht<br />
anwendbar ist (B II 1 und 2).<br />
12. Wenn die Sozialverwaltung – die Frage <strong>nach</strong> der Rechtmäßigkeit dieses Ver-<br />
fahrens sei zunächst einmal zurückgestellt – Sozialleistungskontingente bildet,<br />
ausschreibt und vergibt, führt dies dazu, dass zwei Regime der Leistungserbringung<br />
unabgestimmt nebeneinander bestehen. Das hat zur Folge, dass die Verwaltung ge-<br />
126
zwungen ist, öffentliche Mittel zu verschwenden, wenn sie rechtmäßig handelt und<br />
die Vorgaben des Leistungsrechts und Leistungserbringungsrechts beachtet (B II 3<br />
a).<br />
13. Mit der Bildung <strong>von</strong> Sozialleistungskontingenten soll ein Ziel erreicht werden, das<br />
vom geltenden Recht missbilligt wird, nämlich eine Angebotssteuerung durch<br />
Bedarfsprüfung. Die Bildung <strong>von</strong> Leistungskontingenten greift in Grundrechte ein,<br />
insbesondere in das Grundrecht der Berufsfreiheit. Rechtsfolge ist, dass ein<br />
Leistungserbringungsmodell, das mit Leistungskontingenten arbeiten soll, einer<br />
parlamentsgesetzlichen Ermächtigung bedarf. Eine solche Ermächtigung muss den<br />
Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit genügen (B II 3 b).<br />
14. Bei den Verweisungen der §§ 37 c Abs. 2 S. 2, 421 i Abs. 1 SGB III auf das<br />
<strong>Vergaberecht</strong> handelt es sich um Rechtsfolgenverweisungen auf das GWB, d. h. die<br />
Verweisungsnormen fingieren einen öffentlichen Auftrag und das Erreichen des<br />
Schwellenwerts. Es gelten die Vergabeverfahren <strong>nach</strong> VOL/A – II. Abschnitt mit<br />
Berücksichtigung der materiellen Grundsätze des § 97 GWB (B III).<br />
15. Eine Vergabe <strong>von</strong> <strong>Sozialleistungen</strong> <strong>nach</strong> haushaltsrechtlichen Grundsätzen greift<br />
in die Berufsfreiheit des nicht erfolgreichen Bieters ein. Der Eingriff könnte nur durch<br />
eine parlamentsgesetzliche Außenrechtsnorm gerechtfertigt werden, die es aber<br />
nicht gibt. Außerdem kommt dem spezielleren Sozialrecht der Vorrang vor dem<br />
Haushaltsrecht zu. Deshalb ist eine Vergabe <strong>von</strong> <strong>Sozialleistungen</strong> auf der Grundlage<br />
<strong>von</strong> Haushaltsrecht <strong>nach</strong> geltendem Recht ausgeschlossen (B IV).<br />
16. Das Gesamtergebnis zum Teil B lautet, dass das <strong>Vergaberecht</strong> des GWB auf<br />
sozialrechtliche Leistungserbringungsverträge keine Anwendung findet, die Grund-<br />
rechte einer Gesetzesumgehungsstrategie durch die Bildung <strong>von</strong> Sozialleistungs-<br />
kontingenten entgegen stehen und das haushaltsrechtliche <strong>Vergaberecht</strong> mangels<br />
einer ermächtigenden Außenrechtsnorm nicht anwendbar ist. Das <strong>Vergaberecht</strong> des<br />
GWB findet nur über §§ 37 c und 421 i SGB III Anwendung.<br />
127
17. § 7 Nr. 6 VOL/A bezieht sich auf Einrichtungen, die bei der Verfolgung ihres<br />
Hauptzwecks Nebenprodukte erstellen. Nur diese Nebenprodukte sind vom Wettbe-<br />
werb mit gewerblichen Unternehmen ausgeschlossen (C I 4 c).<br />
18. Dem verfassungsrechtlichen Status der freien Träger ist im materiellen<br />
<strong>Vergaberecht</strong> Rechnung zu tragen. Im Bereich der Losbildung können freie Träger<br />
verlangen, dass ihnen die Bewerbung nicht durch überdimensionierte Loszuschnitte<br />
wesentlich erschwert wird. Auch das Recht des leistungsberechtigten Bürgers auf<br />
Auswahl unter den Bietern sowie der Grundsatz der Trägervielfalt erzwingen die<br />
Bildung kleinteiliger Lose (C II 2 d).<br />
19. Bei der Festlegung <strong>von</strong> Qualitätsgesichtspunkten für die Leistungen kommt der<br />
Vergabestelle zwar grundsätzlich ein Beurteilungsspielraum zu. Aus den sachlichen<br />
Anforderungen, die das SGB II und das SGB III <strong>nach</strong> Wortlaut und Zweck der<br />
einzelnen Vorschriften stellen, lassen sich aber durchaus Grenzen ableiten (C II 2 e).<br />
20. Im Wesentlichen gelten die materiellen Grundsätze des wettbewerbsrechtlichen<br />
Vergabeverfahrens auch im haushaltsrechtlichen Vergabeverfahren. Namentlich sind<br />
in § 2 VOL/A der Wettbewerbs- und der Gleichheitsgrundsatz sowie die<br />
Eignungskriterien fachkundig, leistungsfähig und zuverlässig genannt. Bedeutsam<br />
sind daher nicht die materiellen Abweichungen des haushaltsrechtlichen Vergabe-<br />
verfahrens, sondern der wesentlich eingeschränkte Rechtsschutz (C II 3).<br />
21. Der Rechtsschutz im Vergabeverfahren richtet sich wesentlich da<strong>nach</strong>, ob die<br />
Vergabe aufgrund der Vorschriften des GWB oder des Haushaltsrechts erfolgt. Ein<br />
geeignetes Instrumentarium, um Rechtsverstößen der Vergabestelle wirksam<br />
entgegen zu treten, besteht nur <strong>nach</strong> dem GWB (C III 1). Ist wegen Unterschreitung<br />
des Schwellenwerts nur das Haushaltsrecht Grundlage, so sind die Bieter auf<br />
unförmliche Rechtsbehelfe (C III 2) und <strong>nach</strong>trägliche Schadensersatzansprüche (C<br />
III 3) beschränkt.<br />
128