Blickpunkt - Erfolgsfaktor Familie
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Als die Redaktion „Arbeit und Arbeitsrecht“ von der internationalen<br />
Sozietät Lovells das Exklusivangebot erhielt, gemeinsam<br />
mit ihr einen „Media Round Table“ zur Problematik „<strong>Familie</strong>nbewusste<br />
Personalpolitik“ durchzuführen, beschäftigten mich<br />
angesichts des zu betretenden Neulands die verschiedensten<br />
Gedanken: Haben wir es hierbei schlichtweg mit einem Rundtischgespräch<br />
zu tun? Gibt es nicht wichtigere Themen, die den<br />
Unternehmen gewissermaßen noch mehr auf den Nägeln brennen?<br />
Wer konkret und wie viele Teilnehmer überhaupt könnten<br />
zum auserwählten Kreis gehören? Welche Fragen sollten zur<br />
Debatte stehen?<br />
1 Tragweite<br />
Um eine politische Vereinsveranstaltung – immerhin haben „Round<br />
Tables“ (Runde Tische) ihren Ursprung in der Tradition des englischen<br />
Clublebens – ging es nicht. Aber ähnlich angelegt war dieses Informations-<br />
und zugleich Gesprächsforum im Lovells-Büro Frankfurt a.M. am<br />
28.7.2006 schon, denn Vertreter unterschiedlicher Wirkungsbereiche<br />
kamen zusammen und äußerten sich aufgeschlossen gegenüber traditionellen<br />
wie neuen Ideen und Entwicklungen, wenn auch am Rechtecktisch.<br />
Es ging ihnen um ein einziges Thema, das in Deutschland allerdings von<br />
eminenter Bedeutung ist: <strong>Familie</strong>nbewusste Personalpolitik.<br />
Die Tragweite angesichts niedriger Geburtenraten liegt auf der Hand:<br />
Gegenwärtig bekommt jede Frau statistisch gesehen nur 1,3 Kinder; in<br />
den drei vorangegangenen Jahrzehnten waren es auch nur 1,4. Die<br />
Generation des Nachwuchses ist mittlerweile kleiner als die der Eltern,<br />
wodurch es künftig weniger potenzielle Mütter und Väter geben wird.<br />
Eine weiter alternde Gesellschaft ist somit vorprogrammiert. In Westeuropa<br />
führten im Jahre 2000 die Schweiz und Deutschland mit 40,2<br />
bzw. 40,1 Jahren die Liste der Staaten mit den im Schnitt ältesten Bevölkerungen<br />
an. Der Anteil der Über-65-Jährigen erreichte 1999 bereits<br />
15,9%, Tendenz steigend. Gleichermaßen vorhersehbar ist der demografisch<br />
bedingte Fachkräftemangel. Schon heute sind etwa 27% der<br />
Fach- und Führungskräfte älter als 50 Jahre, im Jahr 2015 wird es bereits<br />
jeder Dritte sein.<br />
Selbst wenn auf dem Arbeitsmarkt gegenwärtig noch millionenfache<br />
Arbeitslosigkeit herrscht, fehlen in absehbarer Zeit Arbeitskräfte, auch als<br />
Steuer- und Beitragszahler. Die verfügbare berufstätige Bevölkerung muss<br />
länger arbeiten. Frauenerwerbstätigkeit bedarf des Förderns und ebenso<br />
die stärkere Einbindung von Männern in familiäre Aufgaben.<br />
Immer mehr ist die tatsächliche Durchsetzung des Grundrechts auf<br />
Gleichberechtigung nach Art. 3 Abs. 2 GG ein Gebot der Stunde. Das<br />
Thema <strong>Familie</strong> hat einfach Konjunktur.<br />
2 „Tabler“ & Co.<br />
Die aktuelle Diskussion in den Unternehmen zur Notwendigkeit familienbewusster<br />
Personalpolitik kennt auch Lovells. Immerhin verfügt die Sozietät<br />
hierzulande über eines der größten Spezialistenteams für die arbeitsrechtliche<br />
Beratung. Zu den derzeit insgesamt 28 Arbeitsrechtlern (darunter<br />
11 Frauen) zählt:<br />
Arbeit und Arbeitsrecht – Personal-Profi · 10/06<br />
<strong>Blickpunkt</strong><br />
„Media Round Table“ zur familienbewussten Personalpolitik<br />
Work-Life-Balance im Fokus<br />
Forum am Rechtecktisch (v.l.n.r.): H.-P. Löw, R. Dahms, M. Strehmel,<br />
S. Fricke, R. Schulze, A. Becker, K. U. Berg<br />
RA Dr. Hans-Peter Löw, Managing Partner bei Lovells in Frankfurt a. M.<br />
Er war gewissermaßen Gastgeber der auserwählten „Tabler“ und fühlt<br />
sich als ausschließlicher Arbeitsrechtler einerseits schon als Vater von vier<br />
Töchtern immer wieder an Beruf und <strong>Familie</strong> erinnert („Gerade fragten<br />
mich meine Kinder: Wir haben Ferien, warum musst Du arbeiten?“). Andererseits<br />
gehen seine diesbezüglichen Interessen aber schon auf sein<br />
erstes Berufsleben in der Personalabteilung der Hoechst AG zurück. „Dort<br />
habe ich bereits 1987 mitgestrickt an der entsprechenden Betriebsvereinbarung.<br />
Das war schon damals wichtig, und zwar mit Blick auf den Bewerbermarkt,<br />
für den man das Unternehmen durch familienfreundliche<br />
Maßnahmen attraktiver darstellen konnte. Außerdem beschäftige ich mich<br />
mit den direkten Rahmenbedingungen, wie sich das Thema ,Beruf & <strong>Familie</strong>’<br />
innerbetrieblich korrekt gestalten und sinnvoll fördern lässt – sei es<br />
als Kollektiv- oder Einzelvereinbarung (vgl. auch S. 592 f.). Dazu kann gehören,<br />
dass Führungskräfte von Teilzeitarbeit überzeugt werden, auch<br />
wenn sie dem eigentlich ablehnend gegenüberstehen. Besonders kümmere<br />
ich mich darum, die arbeitsrechtlichen Fallstricke auszuräumen.“<br />
Zu den AuA-Lovells-„Tablern“ gehörten ferner, und zwar in alphabetischer<br />
Reihenfolge:<br />
Dr. Antje Becker, Geschäftsführerin der berufundfamilie gGmbH, einer<br />
Initiative der gemeinnützigen Hertie-Stiftung, Frankfurt a.M.;<br />
RA Kay Uwe Berg, Sprecher und Geschäftsführer des Deutschen Führungskräfteverbandes<br />
(ULA), Presse und Öffentlichkeitsarbeit, Berlin;<br />
Rainer Dahms, Ass. jur., Direktor des Zentralen Stabs Personal der<br />
Commerzbank AG, Frankfurt a.M.;<br />
Richard Schulze, Dipl.-Kfm., Direktor der Zentralen Personalabteilung<br />
der Dyckerhoff AG, Wiesbaden.<br />
Die Organisation und Moderation oblagen Silvio Fricke, Dipl.-Wirtschaftsjurist<br />
(FH), der bei Lovells von München aus für die Marketingaktivitäten<br />
der Lovells-Arbeitsrechtler hierzulande zuständig ist, und Margot Strehmel,<br />
Dipl.-Journalistin, von AuA, Berlin. Eingeladen, aber leider verhindert<br />
war einerseits zur Verstärkung des Arbeitgeberlagers der Elektronikhersteller<br />
Sick AG mit Sitz in Waldkirch bei Freiburg. Andererseits sollte der<br />
Arbeitgeberverband Chemie und verwandte Industrien für das Land Hessen<br />
e.V. die „Tabler“-Runde komplettieren, vor allem angesichts der Tarifpartnerschaft<br />
bei der ersten Branchen-Sozialvereinbarung zur familienfreundlichen<br />
Personalpolitik in Deutschland.<br />
575
576<br />
<strong>Blickpunkt</strong><br />
3 Spektrum<br />
Die Palette für einen besseren Einklang von Beruf und <strong>Familie</strong> ist breit gefächert.<br />
Eine Definition für den familienfreundlichen Betrieb gibt es nicht.<br />
Das hängt von den jeweiligen Voraussetzungen im Unternehmen ab, allen<br />
voran von Anzahl und Struktur der Mitarbeiter sowie von deren Bedarf,<br />
auch im Hinblick auf territoriale Gegebenheiten und Branchenspezifik.<br />
Unbestritten gelten allerdings Betriebe dann als familienfreundlich, wenn<br />
sie sich nachhaltig um die Work-Life-Balance bemühen, ihren Beschäftigten<br />
passgenaue Angebote dafür unterbreiten und so eine gesunde Unternehmenskultur<br />
leben.<br />
Generell existiert also kein offizieller Kriterienkatalog für die Begriffsbestimmung,<br />
wohl aber einer für betriebliche Handlungsfelder, der die klassischen<br />
Bereiche der Personalpolitik abdeckt. „Mit ihm arbeitet das audit<br />
berufundfamilie ® , um die individuell passenden Ziele und Maßnahmen –<br />
bislang gibt es weit über 160 verschiedene – für jedes Unternehmen<br />
herauszufinden. Dieser Maßnahmenkatalog umfasst acht Bereiche,<br />
die der Auditierung zugrunde liegen können“, erklärt Frau Dr. Becker.<br />
Sie zählt die Betätigungsfelder auf und nennt einige Beispiele, vgl.<br />
Übersicht 1.<br />
Übersicht 1<br />
Auszug aus dem Maßnahmenkatalog für betriebliches<br />
Handeln<br />
❙❙❙<br />
Handlungsfelder Maßnahmen<br />
Arbeitszeit Arbeitszeitflexibilisierung: an Lebensphasen orientierte<br />
Arbeitszeiten (Sabbaticals, Langzeitkonten); Teilzeitangebote,<br />
auch für Väter und Führungskräfte; Job-<br />
Sharing; flexible Pausenregelung; Freistellungen;<br />
Kinderbonuszeit<br />
Arbeits- Teamarbeit; Kommunikationszeiten; Überprüfung von<br />
organisation Arbeitsabläufen (Umfang der Aufgaben an reduzierte<br />
Zeiten anpassen)<br />
Arbeitsort alternierende und mobile Telearbeit;<br />
Umzugsservice<br />
Informations- inner- und außerbetriebliche Öffentlichkeitsarbeit über<br />
u. Kommuni- Broschüren, Intranet oder sog. Schwarze Bretter;<br />
kationspolitik Mitarbeitergespräche; Ansprechpartner zum Thema<br />
„Vereinbarkeit“; Fördern von Netzwerken<br />
Führungs- Unternehmensleitsätze; Coaching; Mentorenkompetenz<br />
programm<br />
Personal- Personalentwicklungsplan; Kontakthalteprogramm;<br />
entwicklung Patenkonzept<br />
Entgeltbestand- Gewährung von Beihilfen und Zuschüssen für die<br />
teile/geldwerte <strong>Familie</strong>, z.B. Kinderweihnachtsgelder und -betreuungs-<br />
Leistungen zuschüsse oder Stipendien für Mitarbeiterkinder;<br />
Anrechnung von Erziehungszeiten<br />
Service für Angebote betrieblicher oder betrieblich unterstützter<br />
<strong>Familie</strong>n Kinderbetreuung, z.B. Belegplätze bzw. eigene Einrichtung<br />
für Regel-, Notfall- und Ferienbetreuung, Eltern-<br />
Kind-Arbeitszimmer; sonstige Betreuungsarrangements,<br />
auch für pflegebedürftige ältere <strong>Familie</strong>nangehörige;<br />
Öffnung der Kantine für Mitarbeiterkinder;<br />
Haushaltsservice, so Reinigungs- und Bügeldienste<br />
oder Einkauf fürs Personal; Rechtsberatung, z.B. zur<br />
Elternzeit; Freizeitangebote für Beschäftigte mit<br />
<strong>Familie</strong><br />
Dr. Löw: Meine Schwerpunkte<br />
anwaltlicher Beratung in punkto<br />
Beruf und <strong>Familie</strong> liegen auf den<br />
Gebieten Arbeitszeit, Arbeitsort<br />
und Führungskompetenz.<br />
4 Arbeitszeitflexibilisierung<br />
Dr. Becker: berufundfamilie ® – ein von<br />
allen Spitzenverbänden der deutschen<br />
Wirtschaft empfohlenes strategisches<br />
Managementinstrument zur besseren<br />
Vereinbarkeit von Beruf und <strong>Familie</strong> –<br />
ermittelt Potenziale und bietet sich<br />
rechnende individuelle Lösungen an.<br />
Da die Arbeitszeit an der Spitze der Handlungsfelder steht, entbrannte<br />
sofort die Frage, ob sie zugleich das wichtigste unternehmerische Betätigungsfeld<br />
ist. „Nicht unbedingt“, meint Frau Dr. Becker. „Die Unternehmen<br />
sehen das unterschiedlich. Aber die meisten widmen sich diesem<br />
Element als Erstes, zum einen weil es vordringlich ist und zum anderen<br />
weil man dort sehr schnell etwas bewirken kann.“<br />
„Für Dyckerhoff ist die Arbeitszeitflexibilisierung ebenfalls ein wichtiges<br />
Gebiet“, wirft Richard Schulze in die Debatte ein. „Sie ist mit den zwei für<br />
die Hauptverwaltung geltenden Betriebsvereinbarungen ,Flexible Arbeitszeit’<br />
und ‚Vertrauensarbeitszeit’, sehr ausgefeilt. Flexiblere Regelungen als<br />
bei uns kann ich mir nicht vorstellen. Auf der Grundlage der beiden Dokumente<br />
müssen sich die Mitarbeiter selbst organisieren. Im Prinzip kann<br />
jeder kommen und gehen, wann er möchte – natürlich im abgestimmten<br />
Zusammenwirken aller Beteiligten des Bereichs, damit sie die übertragenen<br />
Aufgaben erfolgreich lösen können. Sogar die Zuhausearbeit ist möglich,<br />
aber auch der jederzeitige Ausstieg aus der freiwillig gewählten Vertrauensarbeitszeit.“<br />
Richard Schulze ist seit sechs Jahren Personalchef beim weltweit tätigen<br />
innovativen Baustoffkonzern, der heute zu einem italienischen Baustoffhersteller<br />
gehört. Gegründet wurde die Firma 1864 als <strong>Familie</strong>nunternehmen.<br />
„Bei Dyckerhoff hat die Fürsorge für die <strong>Familie</strong> eine außerordentlich<br />
große Rolle gespielt. Bereits 1889(!) gab es den ersten Betriebskindergarten.<br />
Und in dieser alten Tradition habe ich das Thema ‚<strong>Familie</strong>nbewusste<br />
Personalpolitik’ wieder aufgegriffen.“<br />
Davon zeugen die beiden Betriebsvereinbarungen zur Arbeitszeit, wobei<br />
die Vertrauensarbeitszeit seit April 2001 in Kraft ist. Wie konkret Dyckerhoff<br />
z.B. seine Vertrauensarbeitszeit geregelt hat, zeigt die Redaktion unter<br />
der Rubrik „Antworten“ in dieser Ausgabe (vgl. S. 626 f.). Der zweite<br />
<strong>Blickpunkt</strong>beitrag in diesem Heft, vgl. S. 579 ff., autorisiert von Vertretern<br />
des Forschungszentrums <strong>Familie</strong>nbewusste Personalpolitik (FFP) in Münster,<br />
setzt sich ebenfalls mit der Problematik flexibler Arbeitszeiten auseinander.<br />
Und Frau Dr. Becker betont beim „Media Round Table“: „Das FFP –<br />
es begleitet das audit berufundfamilie ® wissenschaftlich – hat u.a. festgestellt,<br />
dass Maßnahmen zur Arbeitszeit zentraler Ausgangspunkt für<br />
eine bessere familienbewusste Personalpolitik sind; 31% der beteiligten<br />
Unternehmen haben sie zuerst ergriffen.“<br />
Bei der Commerzbank stammt die diesbezügliche Betriebsvereinbarung<br />
bereits aus dem Jahre 1985. „Sie musste“, so verkündet Rainer Dahms<br />
Arbeit und Arbeitsrecht – Personal-Profi · 10/06
Richard Schulze: Die Verteilung der Arbeitszeit –<br />
hierfür steht von Montag bis Freitag der Zeitraum<br />
6.30 bis 19.30 Uhr zur Verfügung – bedarf i.d.R. der<br />
Abstimmung mit den Kollegen.<br />
stolz, „weder nachgearbeitet noch angepasst bzw. modifiziert werden.<br />
Sie reicht zur Abdeckung aller entsprechenden Bedürfnisse.“<br />
Arbeit und Arbeitsrecht hat bereits in Heft 7/2002, S. 292 f., gute Praxishinweise<br />
der Bank vermittelt. Dazu gehörte das Zurverfügungstellen der<br />
dortigen Betriebsvereinbarungen zu Teilzeit, zu Telearbeit, zu Wiedereingliederung<br />
nach der <strong>Familie</strong>nphase und zur betrieblichen Förderung von<br />
Kinderbetreuung per Fax-Abruf.<br />
Im Übrigen praktizieren 12,4% der Betriebe ihre Maßnahmen zur Work-<br />
Life-Balance aufgrund von betrieblichen Vereinbarungen. Das ermittelte<br />
das Institut der deutschen Wirtschaft Köln 2003 in seiner repräsentativen<br />
Unternehmensumfrage „Monitor <strong>Familie</strong>nfreundlichkeit“. 13,5% haben<br />
diese in ihren unternehmerischen Leitlinien verankert, worauf der Vollständigkeit<br />
halber verwiesen sei. Und 29,3% handeln aufgrund von tariflichen<br />
Vereinbarungen.<br />
Untersuchungen zur Arbeitszeitflexibilisierung gab es auch seitens der<br />
ULA, unter deren Dach fünf Verbände zusammengeschlossen sind, die<br />
rund 50.000 Fach- und Führungskräfte der privaten Wirtschaft vertreten.<br />
Der größte von ihnen, der VAA – Führungskräfteverband Chemie, führt<br />
bereits seit 1989 bei seinen weiblichen und seit 2000 auch bei einem<br />
repräsentativen Anteil der männlichen Verbandsmitglieder regelmäßig<br />
Umfragen zur Gesamtproblematik Chancengleichheit durch, speziell der<br />
gleichnamige Arbeitskreis. Insofern konnte Kay Uwe Berg entsprechende<br />
Botschaften in Bezug auf flexible Arbeitszeiten hinzufügen, vgl. Info.Zu<br />
denken geben allerdings seine folgenden Hinweise:<br />
„Unsere Klientel hat durch ihre Scharnierfunktion in doppelter Hinsicht<br />
mit familienbewusster Personalpolitik zu tun, nämlich als Vorgesetzte,<br />
die mit den Wünschen der Mitarbeiter nach Vereinbarkeit von Beruf und<br />
<strong>Familie</strong> konfrontiert sind, aber auch als Führungskräfte, die selbst Work-<br />
➞Info<br />
Der VAA-Erhebung zufolge geben 72% der weiblichen Fach- und Führungskräfte<br />
heute an, dass flexible Arbeitszeitmodelle in ihren Unternehmen existieren;<br />
2000 waren es 56% und 1995 erst 43%. Nicht unbedingt überraschend<br />
sind u.a. die Feststellungen, dass die Zahl der Arbeitszeitmodelle mit der<br />
Unternehmensgröße wächst und Teilzeitmodelle bei Fach- und Führungskräften<br />
eine untergeordnete Rolle spielen (Inanspruchnahme bei den weiblichen<br />
Befragten 16% und bei den männlichen lediglich 1%). Überragender Grund<br />
für die Teilzeittätigkeit ist bei den Frauen nach wie vor die Kinderbetreuung<br />
(84%). Nahezu unverändert ist der aktuelle Wunsch der Befragten, in Teilzeit<br />
zu arbeiten: So geben 40% der Frauen und 14% der Männer an, gerne in<br />
Teilzeit arbeiten zu wollen. Angesichts der tatsächlichen Zahlen zeigt sich<br />
also, dass immer noch eine deutliche Diskrepanz zwischen Wunsch und<br />
Realität besteht.<br />
Arbeit und Arbeitsrecht – Personal-Profi · 10/06<br />
Rainer Dahms: Im Konzernstab<br />
haben wir uns schon in den 80er<br />
Jahren Gedanken zum Thema Beruf<br />
und <strong>Familie</strong> gemacht, entstanden ist<br />
mittlerweile ein breit gefächertes<br />
Bausteinsystem.<br />
<strong>Blickpunkt</strong><br />
Kay Uwe Berg: Mit der Veränderung<br />
unseres Fokus weg von der alleinigen<br />
Orientierung auf Leitende Angestellte<br />
entstand für uns eine noch<br />
stärkere Notwendigkeit, sich mit Beruf<br />
und <strong>Familie</strong> gerade bei jüngeren<br />
Führungskräften zu beschäftigen.<br />
Life-Balance hinkriegen möchten. Und darüber hinaus kommt eine dritte<br />
Betroffenheit für sie in Betracht: Als Mitglieder von Sprecherausschüssen<br />
müssen sie mit Unternehmensleitungen und Betriebsräten über alle Aspekte<br />
familienfreundlicher Personalpolitik diskutieren. Dafür benötigen<br />
sie gute Argumente und nachahmenswerte Beispiele.“<br />
Wenn auch die sog. weichen Faktoren, u.a. Mitarbeiterbindung, stärker<br />
motivierte Beschäftigte oder Imagegewinn fürs Unternehmen, nicht außer<br />
Acht bleiben dürfen, so zieht natürlich allen voran die ökonomische Seite.<br />
5 Kosten-Nutzen-Relation<br />
Die 2003 im Auftrag der Bundesregierung erstellte Modellrechnung der<br />
Prognos AG „Betriebswirtschaftliche Effekte familienfreundlicher Maßnahmen“<br />
belegt den betriebswirtschaftlichen Nutzen familienfreundlicher<br />
Maßnahmen in kleinen und mittleren Unternehmen mit einer Rendite von<br />
bis zu 25%. Die Studie kommt u.a. zu dem Ergebnis, dass in der Kosten-<br />
Nutzen-Relation der betriebswirtschaftliche Effekt – auch kurzfristig betrachtet<br />
– die Investitionen übersteigt. Die Einsparpotenziale aufgrund<br />
niedrigerer Überbrückungs-, Fluktuations- und Wiedereingliederungskosten<br />
bewegen sich für mittelgroße Betriebe in einer Größenordung von<br />
mehreren 100.000 Euro.<br />
„Das FFP, das sich langfristig mit der Befragung einer großen Fallzahl<br />
von Unternehmen einer Studie von hoher wissenschaftlicher Relevanz<br />
annähert, hat ebenfalls erste Erhebungsergebnisse, die klar positive betriebswirtschaftliche<br />
Effekte infolge familienbewusster Personalpolitik<br />
aufzeigen“, berichtet Frau Dr. Becker. „So erwerben Mütter und Väter in<br />
der <strong>Familie</strong> wichtige Fähigkeiten, die dann auch den Unternehmen zugute<br />
kommen, wie Eigenverantwortung und Zuverlässigkeit, Organisationsfähigkeit,<br />
Flexibilität und Konfliktfähigkeit. Außerdem haben Firmen mit<br />
einem umfassenden Angebot an familienfreundlichen Maßnahmen eine<br />
vergleichsweise niedrige Fehlzeitenquote von nur 4,7% im Vergleich zu<br />
7,6% bei Firmen ohne umfassendes Angebot. Und in sehr engagierten<br />
familienfreundlichen Betrieben kehren Mitarbeiter nach der Elternzeit im<br />
Durchschnitt bereits nach 19 Monaten zurück, in weniger engagierten<br />
erst nach 28 Monaten.“<br />
Um die Kosten-Nutzen-Relation richtig einschätzen zu können, bedarf es<br />
natürlich auch definitiver Aussagen, was familienbewusste Maßnahmen<br />
kosten. Dazu überrascht Rainer Dahms mit einem plausiblen Beispiel.<br />
577
578<br />
<strong>Blickpunkt</strong><br />
„Ein Betriebskindergarten ist ja so ziemlich das Teuerste, was man basteln<br />
kann. Deshalb hat die Commerzbank sich bereits 1999 das neuartige<br />
Betreuungsarrangement ‚Kids & Co.’ einfallen lassen, nämlich Kinderbetreuung<br />
in Ausnahmefällen. Hierbei handelt es sich um eine spontane<br />
Betreuung von Commerzbanker-Nachwuchs in einer Frankfurter Einrichtung<br />
– ohne Anmeldung, ohne Formalien, und zwar von morgens 6.00<br />
Uhr bis abends 22.00 Uhr. Die dafür erstellte Kosten-Nutzen-Rechnung<br />
pro Jahr sieht folgendermaßen aus: In der Einrichtung entstehen Betriebskosten<br />
von 210.000 Euro, aber 350.000 Euro hätten die Ausfallzeiten<br />
derjenigen ausgemacht, die wegen fehlender Kinderbetreuung nicht zur<br />
Arbeit erscheinen konnten. Insofern haben wir – ganz einfach ermittelt –<br />
140.000 Euro eingespart.“<br />
Ähnliche Berechnungen, sicher auch für andere betriebliche Handlungsfelder<br />
der Work-Life-Balance kann jedes Unternehmen für sich aufstellen.<br />
Angesichts dessen, dass aber die Auditierung ebenfalls nicht unentgeltlich<br />
verläuft, standen dann auch folgende Fragen zur Debatte: Bedarf es überhaupt<br />
einer Auditierung, wo doch die Unternehmen in Deutschland gewaltigen<br />
Sparzwängen unterliegen, u.a. mit Personalabbau reagieren<br />
müssen? Ist das audit berufundfamilie ® nicht zu teuer?<br />
6 Auditfinanzierung<br />
„Teuer ist es nicht“, meint Richard Schulze von der Dyckerhoff AG, die vor<br />
einem Jahr das Grundzertifikat für die Hauptverwaltung mit 285 Mitarbeitern<br />
(32% Frauen, Teilzeitquote 8%) erhielt. „Wir haben 4.500 Euro eingesetzt<br />
für den Berater und 1.500 als Zuschuss zurückbekommen. Für<br />
3.000 Euro ein einträgliches Audit (Orientierungsgespräch, Festlegen der<br />
Vorgehensweise, Besetzung der Projektgruppe, Erfassen des Status quo,<br />
Bestimmen der Zielvorgaben) zu erhalten – nutzbringender geht es nicht.<br />
Seitdem ist auch ein Ruck durch den Betrieb gegangen. Ich kann nur jedem<br />
Unternehmen empfehlen, mit der Auditierung zu beginnen. Sie werden<br />
staunen, wie viele Akteure dann mit im Boot sitzen.“<br />
Frau Dr. Becker konkretisiert die Preisspanne: „In Abhängigkeit von der<br />
Unternehmensgröße reicht sie bis 12.000 Euro. Die berufundfamilie<br />
gGmbH unterstützte die Durchführung des Audits noch bis 31.12.2005<br />
finanziell, zum Schluss nur noch für Firmen mit weniger als 500 Beschäftigten.<br />
Die Mittel wurden im Zeitverlauf sukzessive verringert und dann<br />
auf bestimmte Landesförderungen verlagert, die es in einigen Bundesländern<br />
gibt.“ Die Preise enthält Übersicht 2.<br />
Für die Commerzbank AG (25.300 Mitarbeiter bundesweit, 50% Frauen,<br />
Teilzeitquote 21%) – sie erhielt am 16.5.2006 bereits zum zweiten Mal<br />
das Zertifikat zum audit berufundfamilie ® und befindet sich in der dritten<br />
Runde – ist der Preis zu vordergründig. Rainer Dahms hält die Folgen für<br />
viel wichtiger: „Wir arbeiten immer weiter an der Umsetzung. Das ganze<br />
Denken funktioniert nur, weil wir Ziele vereinbart haben, die wir immer<br />
wieder relativieren, gewissermaßen als innerbetriebliches Audit durchlaufen<br />
lassen. Einmal im Jahr setzen wir uns mit den Akteuren zusammen,<br />
diskutieren über neue Ideen und Anregungen, über erweiterte Vorstellungen,<br />
aber auch über den Bedarf zur Reparatur oder Adjustierung von familienfreundlichen<br />
Maßnahmen. Insofern ist nicht das Geld interessant,<br />
sondern das Coachen im Prozess selbst.“<br />
Differenziertes Vorgehen muss stets angesagt sein. Und beim Selbstbetrachten,<br />
wie es vor Ort steht, können Anstöße von außen sehr helfen.<br />
Aber das Allerwichtigste ist die Rückendeckung der Unternehmensleitung,<br />
weiß Dr. Löw aus seiner Beratungstätigkeit zu berichten, vgl. Praxistipp.<br />
„Es genügt nicht, wenn irgendjemand in der Hierarchie sagt, in punkto<br />
Beruf und <strong>Familie</strong> müssen wir etwas oder mehr machen. Das funktioniert<br />
nur mit dem Commitment der obersten Führungsspitze. Und dieses bekommen<br />
Sie meist nur aufgrund vorgeschlagener Modelle, die sich auch<br />
rechnen. Setzen Sie außerdem entsprechende Veränderungen nicht radi-<br />
Übersicht 2<br />
Auditpreise<br />
Die Preise (zzgl. MwSt) für die Durchführung des audit berufundfamilie ®<br />
verteilen sich wie folgt:<br />
– bis 50 Beschäftigte 5.000 Euro<br />
– bis unter 100 Beschäftigte 8.500 Euro<br />
– bis unter 500 Beschäftigte 10.000 Euro<br />
– bis unter 3.000 bzw. Institutionen<br />
bis unter 1.000 Beschäftigte 12.000 Euro<br />
Bei Unternehmen mit mehr als 3.000 bzw. Institutionen mit mehr als<br />
1.000 Beschäftigten richtet sich der Preis nach der Anzahl der durchzuführenden<br />
Auditierungen.<br />
❙❙❙<br />
kal um. Machen Sie kleine Schritte, um all die Beschäftigten vor Ort mitzunehmen.<br />
Aus der Bestandsaufnahme heraus sollten Sie Vorhaben anvisieren.<br />
Auf jeden Fall müssen die Maßnahmen zum jeweiligen Geschäftsmodell<br />
und zur Unternehmenskultur passen. Ansonsten gibt es Widerstände.<br />
Nicht vergessen sei die rechtssichere Abwicklung vieler Maßnahmen<br />
mit dem Betriebsrat in Form von Betriebsvereinbarungen. Insofern ist es<br />
wichtig, dass die institutionalisierte und auch offizielle Kommunikation<br />
vorhanden ist.“<br />
7 Väter ermutigen<br />
Dieser Punkt schließlich – es lässt sich aus Platzgründen leider nicht alles<br />
Debattierte wiedergeben – soll noch zur Sprache kommen. Denn immer<br />
wieder leicht über die Lippen gehen die Worte: <strong>Familie</strong>nbewusste Personalpolitik<br />
betrifft Frauen und Männer gleichermaßen; entsprechende Konzepte<br />
bleiben wirkungslos, wenn sie sich nur auf das weibliche Geschlecht<br />
beschränken.<br />
Leider aber berücksichtigt die Erwerbswelt die stärkere Verpflichtung auch<br />
von Vätern noch sehr ungenügend. Als sich z.B. Jürgen Klinsmann aus<br />
familiären Gründen (zunächst) aus dem Berufsfußball zurückzog, wurde<br />
er u.a. mit den Vorwürfen belastet: <strong>Familie</strong> hätten auch andere Führungskräfte.<br />
Für sie alle sei er ein schlechtes Beispiel.<br />
Nach-, besser umdenken, muss also unter Managern angesagt sein. Denn<br />
mit der Einführung des Elterngeldes ab 2007, insbesondere den gesetzlich<br />
in Aussicht gestellten Vätermonaten, könnten sie verstärkt mit Auszeiten<br />
des männlichen Geschlechts aus <strong>Familie</strong>ngründen konfrontiert werden.<br />
Dann bedarf es hoffentlich keiner vierseitigen Begründung eines Akademikervaters<br />
für die Inanspruchnahme des gesetzlichen Rechts auf Freistellung,<br />
wie sie Dr. Löw vor 20 Jahren noch in der Personalabteilung erlebte.<br />
Natürlich wird die Väterquote (1,6% aller Väter in Elternzeit, 5,2% aller<br />
abhängig beschäftigten Männer in Teilzeit) nicht sprunghaft steigen,<br />
schon aus finanziellen Gründen (Frauen verdienen bekanntlich noch immer<br />
weniger als Männer). Aber Personalchef Rainer Dahms sieht schon<br />
einen Bewusstseinswandel. Seine Commerzbank kann auch auf Vorreiter<br />
wie Gregor Schulz und Stefan Barthmann verweisen; beide arbeiten in<br />
Teilzeit, um mehr vom eigenen Nachwuchs zu haben. Außerdem gibt es<br />
dort Vätergruppen, die sich vernetzen.<br />
8 Fazit<br />
Runde Tische bieten sehr gute Möglichkeiten zur Diskussion von Ideen<br />
und Visionen, zum schnellen Zugriff auf Informationen und Expertenwissen,<br />
zum Abruf von Erfahrungen und Meinungen. Deshalb sollten sie als<br />
ständige Einrichtungen etabliert sein. Und sie sind es auch, denn es soll<br />
derzeit allein in Deutschland rund 220 solch aktiver Tischrunden mit über<br />
3.500 Mitgliedern geben. Dem ersten „Media Round Table“ zur familienbewussten<br />
Personalpolitik könnte bei AuA demnächst einmal eine Neuauflage<br />
mit einem weiteren brennenden Thema folgen.<br />
Margot Strehmel<br />
Arbeit und Arbeitsrecht – Personal-Profi · 10/06
Zentraler Baustein familienbewusster Personalpolitik<br />
Flexible Arbeitszeiten<br />
Ausgangspunkte familienbewusster Personalpolitik sind die<br />
Vereinbarkeitsprobleme von Beruf und <strong>Familie</strong> angesichts deren<br />
unterschiedlichen Handlungsmaximen. Die Unternehmen<br />
müssen unter marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen nach<br />
Rentabilität streben. <strong>Familie</strong>n ihrerseits haben grundlegende<br />
Aufgaben zu erfüllen bzw. Leistungen zu erbringen, die vom<br />
Sichern der Generationenfolge bis zum Beitrag zur Humanvermögensbildung<br />
in der Gesellschaft reichen. Arbeitgeber<br />
und Arbeitnehmer konkurrieren demzufolge um die knappe<br />
Ressource Zeit, die für beide Lebensbereiche notwendig ist.<br />
Dies unterstreicht die unbestritten hohe Bedeutung entsprechender<br />
unternehmerischer Maßnahmen, allen voran flexibler<br />
Arbeitszeiten.<br />
Arbeit und Arbeitsrecht – Personal-Profi · 10/06<br />
Prof. Dr. Dr. Helmut Schneider<br />
ist Inhaber der SVI-Stiftungsprofessur für<br />
Marketing und Dialogmarketing an der<br />
School of Management and Innovation an<br />
der Steinbeis-Hochschule Berlin. Darüber<br />
hinaus gehört er der Projektleitung des<br />
Forschungszentrums <strong>Familie</strong>nbewusste<br />
Personalpolitik (FFP) an der Westfälischen<br />
Wilhelms-Universität Münster an.<br />
Prof. Dr. Irene Gerlach,<br />
ebenfalls Mitglied der FFP-Projektleitung,<br />
ist derzeit Verwalterin der Professur für<br />
Politik an der Hochschule Vechta.<br />
Dipl.-Ök. Helen Wieners<br />
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am<br />
FFP an der Westfälischen Wilhelms-<br />
Universität Münster.<br />
<strong>Blickpunkt</strong><br />
1 Doppelte Anforderungen an Berufstätige<br />
Die zwei zentralen Lebensbereiche Beruf und <strong>Familie</strong> sind durch individuelle<br />
Anforderungen an den Einzelnen geprägt. Zeitansprüche, die an<br />
ihn in seiner Rolle als Privat- sowie als Berufsmensch (M. Wingen, Der<br />
Betrieb als Träger von Sozialpolitik, in: Sozialer Fortschritt, 9. Jahrgang,<br />
Heft 1, 1960, S. 17–21) simultan und somit konkurrierend seitens des<br />
Arbeitgebers und der <strong>Familie</strong> gestellt werden, bilden die Hauptursache<br />
auftretender Konflikte. <strong>Familie</strong>nbewusste Maßnahmen in den Unternehmen<br />
sollen und können deshalb auf einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen<br />
Interessen abzielen. Sie müssen die verschiedenen Lebenssituationen<br />
und Bedürfnisse der Arbeitnehmer berücksichtigen, um den<br />
prekären Balanceakt zwischen privatem und beruflichem Bereich zu bewerkstelligen.<br />
Das Hauptproblem liegt darin, dass die Zeit- und Dienstleistungsangebote<br />
öffentlicher Kinderbetreuungseinrichtungen, die Anforderungen der Arbeitswelt,<br />
aber auch das kleinteilige Geflecht örtlicher Zeitstrukturen von<br />
Ärzten etc. im Alltag zeitlich wenig miteinander harmonieren (vgl. N. Ott,<br />
Beruf, Kinder, <strong>Familie</strong> – Spannungsfeld aus ökonomischer Sicht, Berlin<br />
2002, S. 60). Der knappe Faktor Zeit lässt sich nur schwierig auf die Bereiche<br />
der <strong>Familie</strong> und des Berufs so aufteilen, dass der bestehende Zeitkonflikt<br />
aufgelöst wird oder aber ein effektiver Weg gefunden werden kann,<br />
ihm zu begegnen.<br />
2 Verteilung beider Zeitansprüche<br />
In diesem Zusammenhang sind die im Folgenden genannten drei Szenarien<br />
denkbar. In Anlehnung an ein Gantt-Diagramm, vgl. Definition, lassen<br />
sie sich darstellen und die unterschiedlich verteilten Zeitansprüche<br />
beider Seiten veranschaulichen, vgl. Grafik 1 auf S. 580.<br />
1. Bei der Parallelität von Arbeits- und Betreuungszeit kann sich der Arbeitnehmer<br />
gleichermaßen sowohl um sein Kind (oder um einen pflegebedürftigen<br />
Angehörigen) kümmern, als auch seinen beruflichen<br />
Pflichten nachgehen. Ein Beispiel hierfür wäre das Eltern-Kind-Arbeitszimmer.<br />
2. Bei der Verschiebung der Arbeitszeit lässt sich bestehender Zeitbedarf<br />
so verrücken, dass dennoch beide Seiten ihren Bedarf, jedoch sukzessiv,<br />
befriedigen können.<br />
3. Die Senkung der Arbeitszeit verdeutlicht die Lösung des Zeitkonflikts<br />
dadurch, dass nur noch ein Zeitbedarf befriedigt werden muss, weil<br />
der zweite herabgesetzt wurde.<br />
�<br />
Definition<br />
Gantt-Diagramm<br />
Ein Gantt-Diagramm ist ein nach dem amerikanischen Berater Henry L. Gantt<br />
(1861–1919) benanntes Managementinstrument. Es spiegelt grafisch Aktivitäten<br />
auf einer Zeitachse in Form von Balken wider, weshalb es auch unter<br />
dem Namen Balkenplan bekannt ist. Meist stellt es zeitliche Abläufe dar, vor<br />
allem von Projekten und deren Teilschritten, insbesondere mit direkten Bezügen<br />
zu Tagen, Wochen, Monaten oder Jahren.<br />
579
580<br />
<strong>Blickpunkt</strong><br />
Verteilung von Zeitansprüchen<br />
Parallelität beider Zeitansprüche<br />
Zeitansprüche<br />
seitens:<br />
Arbeitgeber<br />
<strong>Familie</strong><br />
24 Stunden<br />
0 Uhr 12 Uhr 22 Uhr<br />
Verschiebung eines Zeitanspruchs<br />
Zeitansprüche<br />
24 Stunden<br />
seitens:<br />
Arbeitgeber<br />
<strong>Familie</strong><br />
0 Uhr 12 Uhr 22 Uhr<br />
Senkung eines Zeitanspruchs<br />
Zeitansprüche<br />
24 Stunden<br />
seitens:<br />
Arbeitgeber<br />
<strong>Familie</strong><br />
0 Uhr 12 Uhr 22 Uhr<br />
Grafik 1<br />
Quelle: H. Schneider/H. Wieners, 2006, S. 21<br />
Die letzten beiden Fälle führen zu einer Reduktion eines Zeitbedarfs und<br />
somit auch zu einer Auflösung des Zeitkonfliktes. Die Verschiebung der<br />
Arbeitszeit, z.B. durch flexible Arbeitszeiten, fällt ebenfalls unter den<br />
Oberbegriff der Reduktion, da der Zeitbedarf des Unternehmens an den<br />
Mitarbeitern zum Zeitpunkt der Verschiebung gesenkt wird.<br />
3 Lösen des Konkurrenzverhältnisses<br />
Unternehmen können den Umgang mit dem beschriebenen Zeitkonflikt<br />
und somit auch die Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und Beruf wesentlich mitbestimmen,<br />
indem sie bei der alltäglichen Koordination von Berufs- und<br />
Privatleben unterstützend mitwirken. Eine familienbewusste Personalpolitik<br />
umfasst alle freiwilligen Regelungen im Unternehmen, die formell oder<br />
informell getroffen werden, um die Kombination beider Lebensbereiche<br />
zu ermöglichen oder zu fördern.<br />
Inwieweit betriebliche Maßnahmen umgesetzt werden, um zu einem entschärften<br />
oder aufgelösten Zeitkonflikt zu führen, ist individuell abzuwägen.<br />
Flankierend können familienbezogene Entgeltbestandteile und geldwerte<br />
Leistungen sowie eine familienbewusste Unternehmensphilosophie<br />
wirken (D. Juncke, Betriebswirtschaftliche Effekte familienbewusster Personalpolitik:<br />
Forschungsstand, Forschungszentrum <strong>Familie</strong>nbewusste<br />
Personalpolitik – Arbeitspapier Nr. 1, Münster 2005, S. 27). Dabei ist die<br />
Palette von Maßnahmen zur Entschärfung des Spannungsfeldes zwischen<br />
<strong>Familie</strong>n- und Erwerbsleben breit gefächert. In diesem Zusammenhang<br />
verweisen wir auf die acht Handlungsfelder der berufundfamilie gGmbH,<br />
�<br />
Definition<br />
Flexible Arbeitszeiten<br />
Flexible Arbeitszeiten sind sämtliche von der Normalarbeitszeit abweichende<br />
Arbeitszeiten. Dabei können deren Dauer und Lage regelmäßig oder unregelmäßig<br />
im Ablauf variieren. Entscheidend ist, dass sich die vereinbarte Arbeitszeit<br />
variabel auf der Zeitachse verteilen lässt. Die Dauer der Arbeitszeit ist dabei<br />
phasenweise veränderbar, sei es im Rahmen kollektiv vereinbarter temporärer<br />
Arbeitszeitverkürzungen bzw. -verlängerungen oder als individueller<br />
Wechsel zwischen Vollzeit und Teilzeit (vgl. H. Seifert, Flexible Zeiten in der Arbeitswelt,<br />
Frankfurt a.M. 2005, S. 42).<br />
die (übrigens unterstützt sie das FFP – www.ffp-muenster.de) bislang<br />
weit über 160 familienbewusste Maßnahmen zu den Bereichen Arbeitszeit,<br />
Arbeitsort, Arbeitsorganisation, Informations- und Kommunikationspolitik,<br />
Führungskompetenz, Personalentwicklung, Entgeltbestandteile<br />
und geldwerte Leistungen sowie zu Service für <strong>Familie</strong>n aggregiert (vgl.<br />
„Media Round Table“ in der vorliegenden Ausgabe, S. 575 ff.). Für die<br />
Praxis bietet sich folgende Ordnung an, vgl. Grafik 2.<br />
Eine empirische Untersuchung des FFP belegte, dass 98,6% der einbezogenen<br />
Firmen arbeitszeitrelevante Maßnahmen durchführen. Die Arbeitszeit<br />
und die Möglichkeit ihrer flexiblen Ausgestaltung scheint – durch Ver-<br />
Kategorisierung familienbewusster Maßnahmen<br />
Unternehmensphilosophie<br />
zeitmanagementrelevante<br />
Maßnahmen<br />
unterstützende<br />
Maßnahmen<br />
indirekt<br />
zeitmanagementrelevant<br />
sonstige<br />
Quelle: FFP 2005<br />
Grafik 2<br />
schiebung oder Senkung – ein sehr bedeutendes Instrument zur Lösung<br />
des zentralen Zeitkonflikts zwischen Beruf und <strong>Familie</strong> zu sein, vgl.<br />
Definition. Denn Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben gleichermaßen<br />
ein Interesse an flexiblen Arbeitszeiten, wenn auch nicht immer aus den<br />
gleichen Gründen und in der gleichen Form, vgl. Übersicht.<br />
Einerseits legen Arbeitnehmer aufgrund des Wandels der Wertvorstellungen<br />
in der Gesellschaft immer mehr ihr Augenmerk darauf, an der Gestaltung<br />
ihrer Arbeitsbedingungen aktiv mitzuwirken und diese selbst zu bestimmen,<br />
und somit ihre Bedürfnisse individuell und flexibel anzupassen.<br />
Andererseits sind Arbeitgeber aufgrund des steigenden Flexibilitätsbedarfs<br />
zunehmend an individualisierten Lösungen interessiert, da sie dadurch<br />
eigene Flexibilität, insbesondere des Personaleinsatzes, gewinnen.<br />
Übersicht<br />
Interessenlage und Motivation<br />
Arbeitgeber Arbeitnehmer<br />
Anpassung der Personalkapazitäten Anpassung der persönlichen,<br />
an Marktanforderungen individuellen Arbeitszeit<br />
Anpassung an saisonale und mehr Zeitsouveränität<br />
konjunkturelle Schwankungen<br />
bessere Auslastung kapital- individuelle Arbeitszeitwahloptionen<br />
intensiver Anlagen<br />
Ausweitung von Betriebszeit Zeit für fachliche und persönliche<br />
Weiterbildung<br />
❙❙❙<br />
Arbeit und Arbeitsrecht – Personal-Profi · 10/06
4 Gestaltende Werkzeuge<br />
Der Arbeitgeber kann in der beschriebenen Vereinbarkeitsproblematik<br />
auf vier Werkzeuge der Arbeitszeitgestaltung zurückgreifen, um für jede<br />
Arbeitsstelle individuelle Arbeitszeiten zu entwickeln und um somit eine<br />
Vereinbarkeit der Bereiche Beruf und <strong>Familie</strong> zu unterstützen und zu ermöglichen.<br />
Dabei muss das Arbeitszeitmanagement ökonomische und<br />
organisatorische Interessen des Betriebs und gleichermaßen persönliche<br />
Präferenzen, physiologische Dispositionen und soziale Bedürfnisse der<br />
Mitarbeiter berücksichtigen (W.H. Staehle, Management – eine verhaltenswissenschaftliche<br />
Perspektive, München 1994). In der Vergangenheit<br />
wurden primär das Volumen und die Verteilung der Arbeitszeit untersucht.<br />
Jedoch hat sich gezeigt, dass auch deren Länge und die Lage nicht zu vernachlässigen<br />
sind, um individuelle Lösungen anzustreben und umzusetzen.<br />
Die in Anlehnung an Kramer entstandene Grafik 3 verdeutlicht die vier<br />
Aspekte der Arbeitszeit, die eine Vereinbarkeit von Beruf und <strong>Familie</strong> ermöglichen.<br />
Dies geschieht durch eine Berücksichtigung familiärer (Anzahl<br />
und Alter der Kinder, Berufstätigkeit des Partners etc.) und betrieblicher<br />
(Vorhersehbarkeit und Schwankungen des Arbeitsanfalls, Ansprechzeiten<br />
für Kunden und betriebliche Mitarbeiter etc.) Rahmenbedingungen (siehe<br />
U. Kramer u.a., Wettbewerbsstärke und bessere Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong><br />
und Beruf, Stuttgart 1998, S. 54 bzw. 16).<br />
❯ Volumen der Arbeitszeit: beschreibt die Dauer der Arbeitszeit in<br />
Stunden gemessen. Unterschieden wird hier z.B. zwischen Teilzeit und<br />
Vollzeit.<br />
❯ Länge der Arbeitszeit: beschreibt die minimale und maximale Arbeitszeit<br />
eines gewählten Zeitraums. Beispielsweise liegt die Arbeitszeit<br />
pro Tag zwischen 6 und 9 Stunden und pro Woche zwischen<br />
32 und 45 Stunden.<br />
❯ Lage der Arbeitszeit: beschreibt, wann die Arbeit zu leisten ist. Hier<br />
stehen Beginn und Ende im Fokus. Beispielsweise kann festgelegt<br />
werden, dass die Arbeitszeit von Montag bis Freitag oder lediglich<br />
Mittwoch und Donnerstag sowie am Wochenende zu leisten ist.<br />
Arbeit und Arbeitsrecht – Personal-Profi · 10/06<br />
Anzeige<br />
<strong>Familie</strong>nbewusste Arbeitszeitgestaltung<br />
Volumen<br />
z.B. Vollzeit/Teilzeit<br />
Länge<br />
z.B. minimale/maximale<br />
AZ pro Tag/Woche<br />
Lage<br />
z.B. Beginn/Ende der Woche<br />
Verteilung<br />
z.B. gleichmäßig/ungleichmäßig<br />
pro Woche<br />
❯ Verteilung des Arbeitszeitvolumens im gewählten Ausgleichszeitraum:<br />
beschreibt, ob eine gleich- oder ungleichmäßige Verteilung<br />
des Arbeitszeitvolumens vorliegt. Im ersten Fall arbeiten die Beschäftigten<br />
gleich viele Stunden pro Tag, Monat etc., im zweiten unterschiedlich<br />
viele Stunden auf einzelne Tage oder pro Woche verteilt.<br />
5 Rechtlichen Rahmen beachten<br />
Mit Hilfe der genannten Werkzeuge kann das Unternehmen die Arbeitszeit<br />
flexibel gestalten und somit positiv zur Vereinbarkeit von Beruf und<br />
<strong>Familie</strong> beitragen. Jedoch ist der Arbeitgeber durch einige rechtliche Rahmenbedingungen<br />
eingeschränkt, die es zu beachten gilt (H. Keil, Arbeitszeit<br />
und Betriebsverfassung, Ratgeber-Reihe für Betriebsräte und Personalpraktiker,<br />
Band 3, Münster 2006).<br />
■ Der öffentlich-rechtliche Arbeitsschutz<br />
18<br />
Mo<br />
<strong>Blickpunkt</strong><br />
Mit ihm werden zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer und zur<br />
Sicherung ihres Rechts auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit und zur<br />
Teilnahme am öffentlichen Leben für die Dauer der täglichen Arbeitszeit<br />
und für den Schutz von Sonn- und Feiertagen Grenzen gezogen. So beträgt<br />
die gesetzliche Höchstarbeitszeit gemäß § 3 Satz 1 ArbZG acht Stunden<br />
je Werktag. Nach § 3 Satz 2 ArbZG kann sich die Arbeitszeit bis auf<br />
zehn Stunden je Werktag verlängern, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten<br />
oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt die achtstündige<br />
Arbeitszeit je Werktag nicht überschritten wird. Die Regelung dient dazu,<br />
die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer zu gewährleisten<br />
und zugleich die Rahmenbedingungen für flexible Arbeitszeiten zu<br />
verbessern (§ 1 Nr. 1 ArbZG).<br />
Gemäß § 5 Abs. 1 ArbZG hat jeder Arbeitnehmer Anspruch auf eine ununterbrochene<br />
Ruhezeit von 11 Stunden. Diese Phase unterscheidet<br />
sich von der Ruhepause durch ihre Lage. Die Ruhezeit liegt zwischen den<br />
Arbeitszeiten, die Ruhepause dagegen zwischen Beginn und Ende der<br />
Arbeitszeit eines Arbeitstages. Die Ruhezeitregelung hat den Zweck, den<br />
Arbeitnehmern nach der täglichen Arbeitszeit die Möglichkeit zur Erholung<br />
von der Arbeit und zur privaten Lebensgestaltung zu geben. Wegeund<br />
Reisezeiten gehören i.A. zur Ruhezeit. § 5 Abs. 2 bis 4 ArbZG, § 14<br />
Abs. 1 und 2 ArbZG und § 15 Abs. 1 Nr. 3 und 4 ArbZG regeln Ausnahmen,<br />
also Abweichungen von der Ruhezeit. Daneben bestimmen die §§ 9<br />
bis 13 ArbZG die Arbeitsruhe an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen sowie<br />
die Ausnahmen.<br />
24<br />
30 35 40<br />
Teilzeit Vollzeit<br />
6 9 Std pro Tag<br />
32 45 Std pro Woche<br />
Di Mi Do Fr Sa So<br />
gleichmäßig:<br />
immer gleich viele Stunden pro Tag<br />
ungleichmäßig:<br />
unterschiedlich viele Stunden pro Tag<br />
Grafik 3<br />
Quelle: U. Kramer u. a., 1998, S. 54<br />
581
582<br />
<strong>Blickpunkt</strong><br />
Gesetzliche Regelungen zur Dauer der Arbeitszeit sind in den §§ 3 ff.<br />
ArbZG, in §§ 7, 8 MuSchG und in §§ 8 bis 18 JArbSchG enthalten. Von<br />
diesen Regelungen kann nach § 7 ArbZG durch Tarifvertrag oder aufgrund<br />
eines Tarifvertrags durch Betriebs- oder Dienstvereinbarungen abgewichen<br />
werden.<br />
■ Privatrechtliche Regelungen der Arbeitszeit im<br />
Arbeitsverhältnis<br />
Arbeitgeber und Arbeitnehmer können im Arbeitsvertrag Regelungen über<br />
die Dauer und die Lage der täglichen, wöchentlichen, monatlichen oder<br />
jährlichen Arbeitszeit treffen. Enthält die Vereinbarung keine Bestimmung<br />
zur Dauer der Arbeitszeit, dann gilt das für den Betreffenden gleichen<br />
Ranges im Betrieb Übliche. Bei fehlender Regelung zur Lage der Arbeitszeit<br />
ist der Arbeitgeber nach § 106 Satz 1 GewO im Rahmen seines Direktionsrechts<br />
berechtigt, diese nach billigem Ermessen näher zu bestimmen.<br />
Die Regelungen können durch Vorschriften eines Tarifvertrags überlagert<br />
sein, wenn er für das Arbeitsverhältnis gilt. Außerdem können Regelungen<br />
des Arbeitsvertrags zur Dauer und Lage der Arbeitszeit sowie das Direktionsrecht<br />
des Arbeitgebers durch Bestimmungen einer zwischen Arbeitgeber<br />
und Betriebsrat geschlossenen Betriebsvereinbarung überlagert<br />
sein, die nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG unmittelbar und zwingend in<br />
Betracht kommt.<br />
Solche Betriebsvereinbarungen sind nach § 77 Abs. 3 BetrVG zulässig, soweit<br />
die Dauer der Arbeitszeit nicht durch einen für den Betrieb passenden<br />
Tarifvertrag geregelt ist oder üblicherweise geregelt wird.<br />
Der rechtlichen Rahmenbedingungen bewusst, verlieren für viele Arbeitnehmer<br />
die zwingenden Vorgaben der Normalarbeitszeit mit einem festgelegten,<br />
regelmäßigen 7- bis 8-Stunden-Tag von Montag bis Freitag an<br />
Bedeutung. Es zeichnet sich eine Pluralisierung von Zeitstrukturen ab<br />
(V. Hielscher, Die Unpünktlichkeit der Arbeit – Individuelle Zeitarrangements<br />
in der Ambivalenz flexibler Arbeitszeit, in: H. Seifert: Flexible Zeiten<br />
in der Arbeitswelt, Frankfurt a. M. 2005, S. 286–303). Dieser Wandel ist<br />
durch zwei zentrale Faktoren geprägt, die in der Arbeitszeitflexibilisierung<br />
kombiniert werden.<br />
Der erste Aspekt – die Ausdifferenzierung der individuellen Arbeitszeitmuster<br />
– betrifft Arbeitsbeginn und -ende pro Tag sowie die Lage der<br />
Arbeitstage in der Woche, im Monat und im Jahr. Der zweite betrifft die<br />
Variabilisierung der Arbeitszeiten im Betrieb: Mit dem Vordringen von<br />
Gleitzeitregelung, Arbeitszeitkonten etc. werden Dauer und Lage der<br />
individuellen Arbeitszeit nicht mehr durch regelmäßige und fixierte Zeitpunkte<br />
vorgegeben, sondern können je nach Bedarf variieren.<br />
6 Arbeitszeiterfassungssysteme<br />
Hintergrund: Diese Instrumente dienen der schnellen Dokumentation<br />
und Kontrolle unterschiedlicher individuell vereinbarter variabler Arbeitszeiten,<br />
die in den vergangenen Jahren zunehmende Verbreitung gefunden<br />
haben. Sie halten die Ist- und Plus- bzw. Minusstunden fest. Entweder<br />
erfasst das Unternehmen die An- bzw. Abwesenheit durch computergestützte<br />
Systeme zentral oder die Mitarbeiter übernehmen dies selbst.<br />
Den Beschäftigten hilft es häufig, wenn sie Arbeitszeiten über einen längeren<br />
Zeitraum planen können, um somit langfristig den familiären und<br />
den erwerbstätigkeitsbegründeten Zeitbedarf aufeinander abzustimmen.<br />
Für den Arbeitgeber sind die Erfassungssysteme nicht nur ein Kontrollinstrument.<br />
Sie zeichnen ebenfalls Arbeitszeiten in Verbindung mit Tätigkeiten<br />
oder Bereichen auf, so dass sich einzelne Betriebsabläufe effektiver<br />
gestalten lassen. Ferner können Aufgaben ermittelt werden, die sich flexibel<br />
und auch von zu Hause in Form von Telearbeit erledigen lassen. Erfas-<br />
sungssysteme sollen vor allem einfach zu handhaben sein. Allzu ausführliche<br />
oder zeitaufwändige Systeme legen den Verdacht nahe, dass das<br />
Unternehmen sie als Kontrollinstrumente missbraucht. Zur sinnvollen<br />
Nutzung und zum Vermeiden von Datenfriedhöfen ist eine zeit-, personalund<br />
damit kostenintensive Auswertung ratsam.<br />
Bewertung: Erfassungssysteme erfordern wenig Personalaufwand, müssen<br />
jedoch regelmäßig gewartet und auf ihre Funktionstüchtigkeit hin<br />
überprüft werden. Bei der Einführung ist an die Mitbestimmungspflicht<br />
nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zu denken. Der finanzielle Aufwand variiert<br />
in Abhängigkeit zum ausgewählten System. Bei einer computergestützten<br />
Variante muss das Unternehmen die Kompatibilität zu seinen anderen<br />
Systemen im Vorfeld prüfen.<br />
Beispiel Ampelkonto: Dieses dokumentiert die Arbeitszeit, indem es<br />
geleistete Zeiten als Plus und Fehlzeiten als Minus erfasst. Es dient der<br />
flexiblen Steuerung und Anpassung von schwankendem Aufkommen. In<br />
jeweils festgelegten Bereichen kann der Mitarbeiter relativ frei über sein<br />
Pensum entscheiden: Der grüne Bereich zeigt eine freie und der gelbe eine<br />
eingeschränkte Disposition; der rote Bereich unterliegt einer strengen<br />
Reglementierung. Überstunden werden zumeist nicht finanziell vergütet,<br />
sondern als Freizeit ausgeglichen.<br />
Praxisbeispiel: Bei der Datev eG in Nürnberg, einem Softwarehaus und<br />
IT-Dienstleister, der 5.400 Mitarbeiter mit einer Frauenquote von 41%<br />
beschäftigt und bereits 2004 das Grundzertifkat der berufundfamilie<br />
gGmbH verliehen bekam, ist neben anderen Maßnahmen einer familienbewussten<br />
Personalpolitik das Arbeitszeiterfassungssystem weit verbreitet.<br />
Das Unternehmen hat mit Beginn der Planung dieser Maßnahme<br />
Mitarbeiter und Führungskräfte in die Ausgestaltung des flexiblen Arbeitszeitmodells<br />
eingebunden. Dadurch konnten interne Abwehrhaltungen<br />
verhindert bzw. ausgeräumt werden. Zudem wurden die Betriebspartner<br />
frühzeitig informiert, so dass auch deren Forderungen berücksichtigt werden<br />
konnten und die Verhandlungen entsprechend konstruktiv abliefen.<br />
Vom Konzept bis zur Umsetzung dauerte der Prozess der Einführung inklusive<br />
der Verhandlungen mit den Betriebspartnern sowie der intensiven<br />
Information der Mitarbeiter ungefähr ein Jahr. Die Disponierbarkeit der<br />
Arbeitszeit im Rahmen eines flexiblen Arbeitszeitmodells nutzen Mitarbeiter<br />
mit und ohne <strong>Familie</strong>npflichten gleichermaßen.<br />
Seit Jahresbeginn 2005 hat Datev zudem die Kernarbeitszeiten abgeschafft<br />
und damit noch mehr Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung ermöglicht.<br />
Das bedeutet, dass Teams zunächst die Zeiten, in denen eine<br />
externe Erreichbarkeit sichergestellt sein muss, im Zeitkorridor zwischen<br />
6.00 Uhr und 20.00 Uhr festlegen und sich die einzelnen Mitarbeiter im<br />
Team dann verständigen, wer zu welchen Zeiten am Arbeitsplatz ist.<br />
Schwerwiegende Probleme gab es im Unternehmen auch vor der Umsetzung<br />
des neuen Systems nicht.<br />
Die Flexibilisierung hat zu einer Optimierung der Arbeitszeitgestaltung<br />
beigetragen – mit positiven Auswirkungen für die Beschäftigten wie auch<br />
für das Unternehmen. Dadurch bekommen die Mitarbeiter mit <strong>Familie</strong>n<br />
mehr Spielraum, ihren Tagesablauf zu organisieren. Beschäftigte ohne<br />
<strong>Familie</strong>npflichten schätzen es ebenfalls, ihre Arbeits- und Freizeit besser<br />
in Einklang zu bringen. Ferner können auch Spitzenzeiten mit höherem<br />
Arbeitsaufkommen über ein sog. Floating-Zeitkonto aufgefangen werden.<br />
In Phasen mit normaler oder unterdurchschnittlicher Arbeitslast ist es<br />
möglich, die über ihre vertragliche Arbeitszeit hinaus geleisteten Stunden<br />
über Freizeitausgleich „abzugleiten“. Datev gewinnt dabei doppelt:<br />
Erstens durch positive Auswirkungen auf die Mitarbeitermotivation und<br />
zweitens durch einen problemlosen, unbürokratischen Umgang mit Arbeitsspitzen.<br />
Aus dem Unternehmen wird berichtet, dass der Aufwand,<br />
der mit dieser Maßnahme einhergeht, sich in Grenzen hält. Zeiterfassungssysteme<br />
und die Verwaltung der Arbeitszeitkonten existierten bereits,<br />
so dass das Unternehmen sein System im Rahmen des flexiblen Arbeitszeitmodells<br />
auf vorhandene Strukturen aufsetzen konnte, die lediglich<br />
in Teilen zu modifizieren waren.<br />
Arbeit und Arbeitsrecht – Personal-Profi · 10/06
7 Flexible Pausenregelungen<br />
Hintergrund: Pausenregelungen sind mit oder ohne vorgegebenen Rahmen<br />
in der Länge und in der Lage flexibel einteilbar, so dass sich private<br />
Verpflichtungen – z.B. das Kind von der Schule abholen – lediglich in Absprache<br />
mit den Kollegen wahrnehmen lassen. Flexible Pausenregelungen<br />
erweisen sich insbesondere in privaten Ausnahmesituationen als entlastend<br />
und sinnvoll. Häufig reicht eine ausgedehnte Pause, um wichtige<br />
Dinge zu erledigen, ohne dass die Arbeit darunter leidet. Die Präsenzpflicht<br />
der Mitarbeiter wird über gemeinsame Regelungen im Team gewährleistet.<br />
So kann häufig vermieden werden, dass bei kurzfristig eintretenden<br />
Ausfällen der Beschäftigten zusätzliche Kosten für Überstunden<br />
der Kollegen entstehen.<br />
Hierzu sollten klare Regeln im Unternehmen existieren, beispielsweise in<br />
Form von arbeitsplatzbezogenen Mitarbeiterinformationen. So kann der<br />
Arbeitgeber z.B. Widerständen vorbeugen, die aufgrund wechselnder<br />
Pausen durch sich ändernde Wünsche der Kollegen entstehen. Zumindest<br />
in der Anfangszeit erscheint es sinnvoll, die tatsächlich gearbeitete Zeit<br />
bzw. Anwesenheitszeiten stichprobenartig zu kontrollieren.<br />
Bewertung: Ein gesteigerter Personalaufwand ist nicht zu erwarten.<br />
Individuelle Regelungen sollten die Team-Mitglieder besprechen, so dass<br />
sich eine gewisse Routine einstellt, wodurch sich Zeitaufwand weiter reduzieren<br />
lässt. Da die Pausenzeiten in Absprache mit den Kollegen gewählt<br />
werden, entstehen keine finanziellen Verpflichtungen.<br />
Praxisbeispiel: Die von der berufundfamilie gGmbH zertifizierte Gerhard<br />
Rösch GmbH, die 380 Mitarbeiter mit einer Frauenquote von 70% beschäftigt,<br />
führt flexible Pausenregelungen bereits seit mehr als 15 Jahren<br />
durch. Alle Mitarbeiter, sowohl mit als auch ohne <strong>Familie</strong>npflichten, machen<br />
davon in einem gesetzten Rahmen Gebrauch.<br />
8 Gleitzeit<br />
Hintergrund: Diese scheint die einfachste und wirkungsvollste Form der<br />
Arbeitszeitflexibilisierung zu sein. Sie ermöglicht den Mitarbeitern eine<br />
individuelle Ausgestaltung der Arbeitszeit. Die Maßnahme wird von den<br />
Mitarbeitern als Autonomiegewinn geschätzt, gleichgültig ob sie genutzt<br />
wird oder nicht. Häufig gibt es eine festgelegte Kernarbeitszeit, um eine<br />
Anwesenheitspflicht aller zu bestimmten Zeiten sicherzustellen. Innerhalb<br />
dieser Rahmenbedingungen kann der Betreffende selbst wählen, wann<br />
er die Arbeit aufnimmt und sie beendet; die Einteilung kann er variabel<br />
bestimmen. Dadurch erhält er die Möglichkeit, private Termine, Kinderbetreuung<br />
etc. je nach Bedarf mit der Arbeitszeit zu koordinieren.<br />
Das Unternehmen profitiert bei guter Absprache mit den Beschäftigten<br />
durch eine deutliche Ausdehnung der Öffnungs- oder Ansprechzeiten, ohne<br />
den Personalbestand auszuweiten. Somit lässt sich bei gleichbleibenden<br />
Personalkosten eine höhere Kunden- und Dienstleistungsorientierung<br />
realisieren. Dabei müssen Gleitzeitregelungen so koordiniert werden, dass<br />
beispielsweise offizielle Ansprechzeiten oder Produktionsspitzen von allen<br />
Mitarbeitern mit abgedeckt werden. Ferner ist die Arbeitsorganisation so<br />
abzustimmen, dass Beschäftigte mit <strong>Familie</strong>npflichten nicht häufiger unangenehmere<br />
Arbeiten verrichten müssen, weil sie z.B. erst später kommen<br />
und bei der Aufgabeneinteilung noch nicht anwesend waren. Unstimmigkeiten<br />
wirken den positiven Seiten der Gleitzeit entgegen und<br />
sind daher im Vorfeld auszuräumen. Konkrete Absprachen zwischen<br />
Unternehmens- und Personalleitung, Betriebsrat und Belegschaft sind<br />
Arbeit und Arbeitsrecht – Personal-Profi · 10/06<br />
wesentlich für das Gelingen des Gleitzeit-Modells, denn gemeinsam gilt<br />
es, verträgliche Kompromisse für alle zu finden.<br />
Bewertung: Der Personalaufwand hängt von der Arbeitszeitregelung ab.<br />
Er ist überschaubar, wenn die Zeiten der Anwesenheit am Arbeitsplatz<br />
eindeutig bestimmt sind. Der Aufwand für die Einführung dieser Maßnahme<br />
ist in der Regel gering. Falls Arbeitszeiterfassungssysteme vorhanden<br />
sind, fallen keine weiteren Kosten an. Ohne sie können Gleitzeitregelungen<br />
in eingeschränktem Maße ebenfalls in Betracht kommen (auf Vertrauensbasis).<br />
Im Übrigen sind Einführung, Änderung und Abbau von Gleitzeitarbeit<br />
und variabler Arbeitszeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG mitbestimmungspflichtig.<br />
Weshalb sich entsprechende Regelungen in größeren<br />
Unternehmen am besten per Betriebsvereinbarung finden lassen.<br />
Praxisbeispiel: „Die Möbelmacher“ in Hersbruck, ein ebenfalls durch<br />
die berufundfamilie gGmbH zertifiziertes Unternehmen, bietet seinen<br />
15 Mitarbeitern – darunter fünf Frauen – Gleitzeit seit mehreren Jahren<br />
an. Fünf Betriebsangehörige nutzen die Maßnahme, vier davon aus<br />
familiären Gründen. Die Wünsche der Beschäftigten wurden im Rahmen<br />
eines EFQM-Prozesses (European Foundation for Quality Management)<br />
und durch eine Mitarbeiterbefragung identifiziert. Darauf aufbauend wurden<br />
die Gleitzeit und mögliche Alternativlösungen diskutiert, um für jeden<br />
Einzelnen eine individuelle und maßgeschneiderte Lösung erarbeiten zu<br />
können.<br />
Die Mitarbeiter legen beim Umsetzen ihrer flexiblen Arbeitszeiten Wert<br />
auf den direkten und persönlichen Kontakt untereinander. Insofern finden<br />
sie schnell und auch unkompliziert Lösungen, eben durch einfache persönliche<br />
Absprachen. Der Aufwand ist gering, dafür sind die positiven<br />
Auswirkungen auf das Betriebsklima umso höher.<br />
9 Fazit<br />
Flexible Arbeitszeiten sind ein zentrales Instrument der familienbewussten<br />
Personalpolitik. Wenn nämlich Unternehmen starre Arbeitszeiten überwinden,<br />
helfen sie ihren Angehörigen, die Erfordernisse des Berufs- und des<br />
Privatlebens problemfreier zu synchronisieren, das Konkurrenzverhältnis<br />
um den knappen Faktor Zeit zu entschärfen. Hierfür stehen ihnen viele Facetten<br />
der Arbeitszeitflexibilisierung zur Verfügung, die aber auch Mitarbeitern<br />
ohne <strong>Familie</strong>npflichten zugute kommen. Der Arbeitgeber profitiert<br />
ebenfalls davon, denn ohne flexible, vertrauensvolle soziale Beziehungen<br />
lässt sich ökonomische Stabilität nicht erreichen.<br />
583
592<br />
Arbeitsrecht<br />
Job-Sharing<br />
Flexibilisierungsmodell mit<br />
Dr. Hans-Peter Löw,<br />
Rechtsanwalt und Partner der<br />
internationalen Sozietät Lovells,<br />
Büro Frankfurt am Main<br />
Der Begriff des Job-Sharing (= Arbeitsplatz-Teilung) kommt aus<br />
dem amerikanischen Rechtskreis. Dieses Arbeitszeitmodell war<br />
Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts Gegenstand der<br />
arbeitsrechtlichen Diskussion. Eine gesetzliche Normierung<br />
fand sich erstmals im Beschäftigungsförderungsgesetz 1985.<br />
Der deutsche Gesetzgeber verwendet den Begriff „Arbeitsplatz-Teilung“.<br />
1 Was ist Job-Sharing?<br />
Die praktische Bedeutung des Job-Sharing-Arbeitsverhältnisses blieb lange<br />
Zeit gering. Verschiedene Umfragen kamen zu dem Ergebnis, dass die<br />
Verbreitung im Promillebereich lag. Dies hat sich auch nach Inkrafttreten<br />
des Teilzeit- und Befristungsgesetzes, in das die Regelungen aus § 5 Beschäftigungsförderungsgesetz<br />
1985 im Wesentlichen inhaltsgleich übernommen<br />
wurden, zunächst nicht geändert. Immerhin ist zu beobachten,<br />
dass in letzter Zeit auch die Tarifvertragsparteien sich dieses Themas<br />
stärker annehmen.<br />
Daher lohnt es sich, die typischen Regelungsgegenstände eines Job-<br />
Sharing-Vertrages näher zu beleuchten.<br />
Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 TzBfG liegt ein Job-Sharing-Vertrag dann vor,<br />
wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbaren, dass sich der Arbeitnehmer<br />
einen Arbeitsplatz mit mindestens einem weiteren Mitarbeiter teilt.<br />
Voraussetzung hierfür ist, dass mit den Arbeitnehmern, die sich den Arbeitsplatz<br />
teilen sollen, ein Teilzeitarbeitsverhältnis begründet wird und<br />
ein teilbarer Arbeitsplatz vorliegt. Es ist möglich, wenn auch nicht empfehlenswert,<br />
die Arbeitsverträge der Job-Sharer in einer Vertragsurkunde<br />
zusammenzufassen. Auch in diesem Fall liegen aber zwei oder mehr<br />
selbständige Arbeitsverträge vor.<br />
Zwischen den Arbeitsplatzpartnern untereinander besteht keine vertragliche<br />
Bindung. Sie sind insbesondere nicht Gesamtschuldner im Hinblick<br />
auf die geschuldete gesamte Arbeitsleistung, sondern schulden dem<br />
Arbeitgeber lediglich ihr persönliches, vertraglich vereinbartes Arbeitsdeputat<br />
(vgl. MünchArbR/Schüren, Ergänzungsband, § 166 Rdnr. 93).<br />
Der Arbeitsvertrag muss eine ausdrückliche Vereinbarung in Bezug auf<br />
die Arbeitsplatzteilung enthalten (LAG München, Urt. v. 15.9.1993 –<br />
5 Sa 976/92, LAGE Nr. 1 zu § 5 BeschFG 1985).<br />
2 Arbeitszeit<br />
Vertraglich festzulegen ist das persönliche Arbeitsdeputat des Mitarbeiters.<br />
Demgegenüber obliegt die Festlegung der Lage der Arbeitszeit eigenverantwortlich<br />
den Arbeitnehmern, die sich den Arbeitsplatz teilen. Die<br />
Arbeitszeit kann im (halb-)täglichen, wöchentlichen oder monatlichen<br />
Wechsel zwischen den Beschäftigten aufgeteilt werden. Die Aufteilung<br />
der Zeit unter den Job-Sharern gehört zu der arbeitsvertraglichen Verpflichtung<br />
des Mitarbeiters. Dabei ist aber immer die mit dem Unternehmen<br />
vertraglich vereinbarte Arbeitszeit zu berücksichtigen.<br />
Sofern der Abeitnehmer in einem bestimmten Bezugszeitraum Arbeitszeitguthaben<br />
oder -defizite angesammelt hat, kann er diese auf einen späteren<br />
Bezugszeitraum übertragen. Der Zeitraum ist im Muster auf S. 593<br />
mit einer Woche angegeben. Es empfiehlt sich, die Stundenzahl vertraglich<br />
auf einen bestimmten Umfang zu begrenzen und jede Überschreitung<br />
von der Zustimmung des Arbeitgebers abhängig zu machen. Anderenfalls<br />
hätte dies zur Folge, dass die Abstimmung mit dem Arbeitsplatzpartner<br />
erschwert wird.<br />
Es empfiehlt sich, vertraglich festzuhalten, dass der Mitarbeiter den Arbeitgeber<br />
über die Arbeitszeitaufteilung zu informieren hat.<br />
Darüber hinaus kann auch ausdrücklich die Vorlage eines Arbeitsplanes<br />
bis zu einem bestimmten Termin für einen bestimmten Zeitraum verlangt<br />
werden. Die Vorlage eines Arbeitsplanes kommt insbesondere dann in<br />
Betracht, wenn nicht von vornherein davon ausgegangen werden kann,<br />
dass die Job-Sharing-Partner zu einer einvernehmlichen Aufteilung der Arbeitszeit<br />
gelangen. Die Frist für die Vorlage des Planes sollte so bemessen<br />
sein, dass dem Arbeitgeber für den Fall der Nichteinigung genügend Zeit<br />
verbleibt, eine angemessene Aufteilung vorzunehmen und den Arbeitnehmern<br />
mit ausreichender Ankündigungsfrist bekannt zu geben.<br />
Da es gerade dem Wesen des Job-Sharing-Vertrages entspricht, die Einteilung<br />
der Arbeitszeit den Arbeitnehmern zu überlassen, sollte der Arbeitgeber<br />
erst dann, wenn sich die Mitarbeiter nicht einigen können, im Rahmen<br />
seines Direktionsrechtes die Arbeitszeiteinteilung regeln (vgl. auch<br />
Meinel/Hein/Herms, § 13 Rdnr. 16).<br />
Arbeit und Arbeitsrecht – Personal-Profi · 10/06
Zukunft?<br />
3 Vertretung ...<br />
Für den Fall, dass einer der Job-Sharer an der Erbringung seiner persönlichen<br />
Arbeitsleistung verhindert ist, enthält § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3<br />
TzBfG besondere Regelungen, vgl. Definition.<br />
Im Fall der Verhinderung ist der Arbeitsplatzpartner gemäß § 13 Abs. 1<br />
Satz 2 TzBfG nicht grundsätzlich zur Vertretung des anderen verpflichtet.<br />
Eine generelle, vorab vertraglich vereinbarte Vertretungspflicht ist nach<br />
§ 134 BGB nichtig. Die Pflicht besteht aber dann, wenn der Mitarbeiter<br />
dieser im Einzelfall ausdrücklich zugestimmt hat. Diese Zustimmung kann<br />
auch konkludent durch die Arbeitsaufnahme erklärt werden.<br />
Des Weiteren bestimmt § 13 Abs. 1 Satz 3 TzBfG als Ausnahme zum vorgenannten<br />
generellen Vertretungsverbot, dass arbeitsvertraglich die Vertretungspflicht<br />
vorab festgelegt werden kann, wenn dringende betriebliche<br />
Gründe vorliegen und dies für den Vertreter im Einzelfall zumutbar ist.<br />
Dringende betriebliche Gründe bestehen u.a. dann, wenn der Arbeitgeber<br />
keine andere Vertretung einsetzen kann und dadurch der Betriebsablauf<br />
erheblich gestört würde oder wesentliche Schädigungen des Betriebes<br />
eintreten würden (Meinel/Hein/Herms, § 13 Rdnr. 21). Im Rahmen der<br />
Zumutbarkeit ist eine Interessenabwägung, insbesondere im Hinblick auf<br />
Lage, Dauer und Mitteilung der Vertretungszeit, vorzunehmen.<br />
4 ... oder Mehrarbeit?<br />
Geht die Arbeitszeit des Mitarbeiters über das vertraglich vereinbarte<br />
persönliche Pensum hinaus, so liegt Mehrarbeit vor, die besonders zu vergüten<br />
ist. Da die Job-Sharer im Hinblick auf ihre Arbeitsleistung nicht gesamtschuldnerisch<br />
verpflichtet sind, ist die Vertretungszeit gesondert zu<br />
vergüten. Die Vertretungszeit ist aber, wie bereits erwähnt, nicht mit<br />
Mehrarbeit gleichzusetzen.<br />
Zu beachten ist, dass die Abstimmung der Lage der Arbeitszeit zwischen<br />
den Job-Sharern – das Kernstück des Job-Sharing – nicht auch die Urlaubsplanung<br />
umfasst. Das bedeutet, dass aus der Autonomie der Beschäftigten<br />
bei der Bestimmung der Lage der Arbeitszeit nicht gleichzeitig<br />
die Autonomie zur Festlegung des Urlaubs folgt.<br />
Arbeit und Arbeitsrecht – Personal-Profi · 10/06<br />
�<br />
Definition<br />
Verhinderung im Sinne des § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 TzBfG bedeutet zunächst,<br />
dass der zu Vertretene seine Arbeitsleistung aus persönlichen Gründen,<br />
wie Arbeitsunfähigkeit oder vorübergehender Verhinderung nach § 616<br />
BGB, nicht erbringen kann. Darunter fällt nicht die bewusste Arbeitsverweigerung<br />
(Buschmann/Dieball/Stevens-Bartol, TZA, § 13 TzBfG Rdnr. 29 m. weit.<br />
Nachw.).<br />
Muster<br />
Job-Sharing-Vertrag – Typische Vertragsklauseln<br />
5 Fazit<br />
Arbeitsrecht<br />
§ 1 Position und Aufgaben<br />
(1) Der Mitarbeiter wird zum ........................ als ........................... im Job-<br />
Sharing-System eingestellt. Er teilt sich den Arbeitsplatz mit .......................<br />
(Job-Sharing-Partner).<br />
(2) Der Mitarbeiter ist verpflichtet, auch andere, seinen Fähigkeiten und<br />
Qualifikationen entsprechende, zumutbare Aufgaben zu übernehmen.<br />
§ 2 Arbeitszeit<br />
(1) Der regelmäßige wöchentliche (Alternative: monatliche) Arbeitszeitanteil<br />
des Mitarbeiters beträgt ................ Stunden.<br />
(2) Der Mitarbeiter wird sich im Rahmen der in vorgenanntem Abs. 1 vereinbarten<br />
Arbeitszeit mit dem/den anderen Arbeitnehmer/n, mit dem/denen<br />
er sich den Arbeitsplatz teilt, über die Aufteilung der Arbeitszeit abstimmen.<br />
(3) Die Arbeitszeiteinteilung hat so zu erfolgen, dass der Arbeitsplatz zu der<br />
betriebsüblichen Arbeitszeit ständig besetzt ist und die am gleichen Arbeitsplatz<br />
beschäftigten Arbeitnehmer wöchentlich ihre vertraglich vereinbarten<br />
Arbeitszeitanteile erreichen. Eine gleichzeitige Besetzung des Arbeitsplatzes<br />
ist ausgeschlossen.<br />
(4) Die Übertragung von Arbeitszeitguthaben oder Arbeitszeitschulden bis<br />
zu ............ Stunden in die darauf folgende Woche ist zulässig. Eine weitergehende<br />
Übertragung bedarf der vorherigen Zustimmung der Gesellschaft.<br />
(5) Der Mitarbeiter wird die Gesellschaft über die Arbeitszeiteinteilung informieren.<br />
(6) Können sich die Mitarbeiter über die Aufteilung der Arbeitszeit bis eine<br />
Woche vor Beginn des Zeitraums nicht einigen, kann die Gesellschaft diese<br />
unter Berücksichtigung der Interessen der beteiligten Mitarbeiter verbindlich<br />
festlegen.<br />
§ 3 Vertretung<br />
(1) Der Mitarbeiter ist, wenn hierfür ein dringendes betriebliches Erfordernis<br />
vorliegt, zur Vertretung des Job-Sharing-Partners verpflichtet, sofern dieser<br />
an der Ausübung der Tätigkeit verhindert ist. Dies gilt nicht, wenn dem<br />
Mitarbeiter die Vertretung im Einzelfall nicht zuzumuten ist.<br />
(2) Übernimmt der Mitarbeiter die Vertretung, so wird die Vertretungszeit<br />
nicht auf den Arbeitszeitanteil angerechnet. Sie wird besonders vergütet.<br />
Job-Sharing ist eine interessante Gestaltungsmöglichkeit, um die Teilzeitwünsche<br />
von Mitarbeitern und die betriebliche Notwendigkeit der ganztägigen<br />
Besetzung eines Arbeitsplatzes in Einklang zu bringen. Die arbeitsrechtlichen<br />
Fragen sind bei Beachtung der gegebenen Hinweise absolut<br />
beherrschbar, vgl. Muster. Daher ist diesem Modell eine größere<br />
Verbreitung als bisher zu wünschen.<br />
❐<br />
593
596<br />
Personalpraxis<br />
Das aktuelle Interview<br />
Für eine familienfreundliche<br />
Der demografische Wandel ist in aller<br />
Munde; wir haben die niedrigste Geburtenzahl<br />
seit dem Zweiten Weltkrieg:<br />
Es ist offensichtlich, dass Politik und<br />
Gesellschaft etwas unternehmen müssen.<br />
AuA sprach mit Bundesfamilienministerin<br />
Dr. Ursula von der Leyen über die derzeitige<br />
Situation und Maßnahmen, um<br />
<strong>Familie</strong>nfreundlichkeit in den Unternehmen<br />
zu fördern.<br />
Frau Ministerin Dr. von der Leyen, Sie<br />
haben sich nun u.a. die Förderung einer<br />
familienfreundlichen Personalpolitik in<br />
den Unternehmen auf die Fahnen geschrieben.<br />
Was kann die Politik – konkret<br />
die <strong>Familie</strong>nministerin – tun, um das<br />
notwendige Umdenken zu fördern; wie<br />
wollen Sie die Vereinbarkeit von Beruf<br />
und <strong>Familie</strong> voranbringen?<br />
Um die Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und Beruf zu<br />
verbessern, setze ich vor allem auf drei Schwerpunkte.<br />
Dazu gehören ein gesichertes Einkommen<br />
für <strong>Familie</strong>n, wenn die Kinder klein sind –<br />
wie das Elterngeld und die verbesserte Absetzbarkeit<br />
der Kinderbetreuungskosten. Wichtig ist<br />
auch der Ausbau der <strong>Familie</strong>n unterstützenden<br />
Infrastruktur – vor allem der Kindertagesstätten<br />
und Kindergärten. Sehr wichtig ist die Arbeitswelt:<br />
Wir müssen in den Betrieben und Unternehmen<br />
zu familiengerechten Arbeitsstrukturen<br />
kommen und ein Bewusstsein dafür schaffen,<br />
dass es viele Vorteile gibt, wenn zum Beispiel<br />
Geschäftskontakte nicht verloren gehen, weil<br />
die Eltern schnell wieder an den Arbeitsplatz<br />
zurückkehren. Oder dass Erziehende besondere<br />
Kompetenzen wie Effektivität oder Organisationsgeschick<br />
erwerben, die sich bei der Arbeit<br />
auszahlen.<br />
Aus Ihrer Erfahrung: Was bringt eine<br />
familienfreundliche Personalpolitik den<br />
Unternehmen? Schließlich ist eine solche<br />
zunächst mit Investitionen verbunden.<br />
Warum glauben Sie, dass die Wirtschaft<br />
sich engagieren wird?<br />
Angebote zur besseren Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong><br />
und Beruf müssen für die Unternehmen keineswegs<br />
mit zusätzlichen Investitionen verbunden<br />
sein – oft reicht ja schon mehr Flexibilität<br />
bei der Arbeitszeit. Und selbst wenn zunächst<br />
Kosten entstehen: Wir wissen aus zahlreichen<br />
Untersuchungen, dass sich eine familienfreundliche<br />
Personalführung nicht nur für die Angestellten,<br />
sondern auch für die Unternehmen<br />
auszahlt. Zum Beispiel durch zufriedenere und<br />
motivierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen,<br />
weniger Personalwechsel und geringere Kosten<br />
für Neueinstellungen und Einarbeitung. Ich will<br />
das an einem konkreten Beispiel deutlich machen:<br />
Die Prognos AG hat nachgewiesen, dass Notfallbetreuungsplätze<br />
für Kinder der Mitarbeiter<br />
und Mitarbeiterinnen die Ausfallzeiten im<br />
Schnitt um 1,5 Fehltage senken können. Viele<br />
Unternehmen erkennen zudem, dass sie durch<br />
familienorientierte Maßnahmen attraktiv für<br />
qualifizierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen<br />
sind und diese besser halten können. Das zeigt,<br />
es ist im ureigensten Interesse des Unternehmens,<br />
ein familienfreundliches Betriebsklima<br />
zu schaffen.<br />
Wie kann man als Unternehmen denn<br />
ganz konkret handeln? Welche rechtlichen<br />
Rahmenbedingungen können<br />
geschaffen werden, und welche Hilfen<br />
und Handlungsempfehlungen gibt es<br />
für Betriebe?<br />
Unternehmen haben vielfältige Möglichkeiten,<br />
familienbewusst zu handeln: Dazu gehören<br />
flexible Arbeitszeitregelungen, wie Teilzeit,<br />
Gleitzeit, Arbeitszeitkonten oder Sabbaticals,<br />
eine familienfreundliche Arbeitsorganisation,<br />
wie die flexible Gestaltung und Verteilung von<br />
Arbeitsaufträgen, oder familienfreundliche Arbeitsplätze,<br />
wie Tele- oder Heimarbeit, um nur<br />
einige Beispiele zu nennen. Betriebe, die das<br />
Potential erkannt haben und ihre <strong>Familie</strong>nfreundlichkeit<br />
verbessern wollen, finden viele<br />
Informationsmöglichkeiten. Das Internet-Portal<br />
www.mittelstand-und-familie.de bietet für kleine<br />
und mittlere Unternehmen eine „virtuelle<br />
Personalabteilung“ mit Antworten auf alle Fragen<br />
zur Vereinbarkeit von Beruf und <strong>Familie</strong>.<br />
Und erst kürzlich, im Juli 2006, hat die Bundes-<br />
Bundesministerin für <strong>Familie</strong>, Senioren, Frauen<br />
und Jugend, Dr. Ursula von der Leyen<br />
regierung ein Unternehmensnetzwerk ins Leben<br />
gerufen, in dem sich Interessierte über familienfreundliche<br />
Maßnahmen austauschen und<br />
gegenseitig unterstützen können. Das Ziel ist,<br />
dass sich bis Ende des Jahres 1.000 Unternehmen<br />
angeschlossen haben.<br />
Ihr Ministerium hat – wie auch das<br />
BMWi – an der Zertifizierung des audits<br />
berufundfamilie der Hertie-Stiftung teilgenommen.<br />
Daneben haben ca. 140 Unternehmen<br />
entsprechende Zertifikate erhalten.<br />
Haben Sie – vielleicht in diesem<br />
Rahmen – weitere erfolgreiche Beispiele<br />
aus der Praxis kennen gelernt?<br />
Das Audit „Beruf und <strong>Familie</strong>“ oder auch das<br />
Unternehmensprogramm „<strong>Erfolgsfaktor</strong> <strong>Familie</strong>“<br />
(www.erfolgsfaktor-familie.de), das mein<br />
Ministerium Anfang des Jahres gestartet hat,<br />
zeigen, dass es oft nur eine Frage der Initiative<br />
ist. Ob Autohäuser, Gaststätten, Handwerksbetriebe,<br />
große Finanzinstitute, Industrieunternehmen,<br />
Ministerien oder Hochschulen: Sie alle<br />
haben Maßnahmen erarbeitet, die die Vereinbarkeit<br />
von Beruf und <strong>Familie</strong> fördern. Dazu<br />
gehören die Flexibilisierung von Arbeitszeit, die<br />
schnelle Eingliederung von Mitarbeitern und<br />
Mitarbeiterinnen, die aus der Elternzeit zurück-<br />
Arbeit und Arbeitsrecht – Personal-Profi · 10/06
Personalpolitik<br />
kehren oder Angebote zur Kinderbetreuung.<br />
Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um ein<br />
großes Unternehmen mit tausenden von Angestellten<br />
handelt oder um einen kleinen <strong>Familie</strong>nbetrieb<br />
– überall kann man Arbeit so organisieren,<br />
dass Eltern es einfacher haben und<br />
das Unternehmen sogar noch profitiert.<br />
Erst kürzlich haben die Sozialpartner in<br />
der Chemieindustrie eine Selbstverpflichtung<br />
„Für eine chancengleiche und familienbewusste<br />
Personalpolitik“ vereinbart.<br />
Kann dies auch als Modell für andere<br />
Branchen dienen?<br />
Die Selbstverpflichtung zu mehr <strong>Familie</strong>nfreundlichkeit<br />
in der Chemieindustrie ist beispielhaft<br />
für unsere gesamte Wirtschaft. Die Sozialpartner<br />
dort übernehmen mit dieser Initiative eine<br />
Vorreiterrolle und ich hoffe, dass das Beispiel<br />
Schule macht und die anderen Branchen rasch<br />
folgen.<br />
Ein Hauptproblem ist noch immer, dass<br />
viele Möglichkeiten zur Betreuung von<br />
Kindern fehlen. In Westdeutschland gab<br />
es 2004 nur für 4,2 Prozent der unter<br />
Dreijährigen einen Krippenplatz. Im Rahmen<br />
des Tagesbetreuungsausbaugesetzes<br />
haben Sie sich vorgenommen, bis 2010<br />
rund 230.000 neue Krippenplätze zu<br />
schaffen. Kann das ausreichen?<br />
Wir wollen mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz<br />
eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung<br />
in ganz Deutschland erreichen. Obwohl diese<br />
Aufgabe eigentlich in der Verantwortung der<br />
Länder und Gemeinden liegt, stellt die Bundesregierung<br />
in 2006 auch noch mal 1,5 Milliarden<br />
Euro zur Verfügung. Viele Gemeinden haben<br />
die Notwendigkeit längst erkannt, andere<br />
sind noch zögerlich. Im nächsten Jahr werden<br />
wir eine Zwischenbilanz ziehen, wie weit der<br />
Ausbau vorangekommen ist. Sollten die Länder<br />
und Gemeinden ihrer Verantwortung nicht<br />
nachkommen und bis 2010 nicht ausreichend<br />
Betreuungsplätze zur Verfügung stellen, müssen<br />
wir notfalls über einen Rechtsanspruch auch für<br />
unter Dreijährige nachdenken.<br />
Arbeit und Arbeitsrecht – Personal-Profi · 10/06<br />
Weitere Möglichkeiten, um die Betreuungssituation<br />
zu verbessern, sind Tagesmütter,<br />
Ganztagsschulen oder Betriebskindergärten.<br />
Sind hier Förderungen<br />
geplant; was sehen Sie als besonders<br />
sinnvoll und hilfreich an?<br />
Die Beschäftigung von Tagesmüttern fördern<br />
wir bereits durch die Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten,<br />
die ja rückwirkend zum Beginn<br />
des Jahres in Kraft getreten ist. Der Markt<br />
der Tagespflege, der eine sehr flexible Form der<br />
Kinderbetreuung ist, wird sicher noch mehr an<br />
Bedeutung gewinnen. Ich selbst bin als Kind in<br />
eine Ganztagsschule gegangen und halte diese<br />
Schulform für sehr sinnvoll; wir müssen aber<br />
sehen, dass die Verantwortung hier bei den<br />
Ländern und nicht beim Bund liegt. Betriebskindergärten<br />
können natürlich ebenfalls sehr<br />
sinnvoll sein. Allerdings müssen wir insgesamt<br />
eine flächendeckende, bedarfsgerechte Struktur<br />
der Kinderbetreuung schaffen und da sind wir<br />
mit dem Ausbaugesetz auf einem guten Weg.<br />
Glauben Sie, dass das Elterngeld ab 2007<br />
dazu führen wird, dass sich junge berufstätige<br />
Erwachsene spürbar häufiger für<br />
Kinder entscheiden werden? Schließlich<br />
liegt die Summe nur etwa bei der des<br />
Arbeitslosengelds I, wenn Kinder vorhanden<br />
sind.<br />
Das Elterngeld allein wird die Geburtenrate<br />
nicht steigern. Allerdings ist es nach den Erfahrungen,<br />
die andere Länder damit gemacht haben,<br />
ein effektiver und wichtiger Schritt dazu.<br />
Das Elterngeld ist Teil unseres Konzepts, das finanzielle<br />
Unterstützung der <strong>Familie</strong>, den Ausbau<br />
der Infrastruktur rund um die <strong>Familie</strong> und<br />
eine familienbewusste Arbeitswelt umfasst. In<br />
diesem Dreiklang wird es seine Wirkung entfalten<br />
und mehr Paaren mehr Mut zu mehr Kindern<br />
machen. Wir wissen auch, dass in Schweden<br />
beispielsweise erst mit der Einführung des<br />
Elterngeldes ein dichtes Netz an Kinderbetreuung<br />
entstanden ist – ganz einfach weil dann<br />
klar wurde: nach dem ersten Jahr des Kindes<br />
muss die Betreuung weiterhin möglich sein,<br />
damit die Eltern ihr Einkommen aus eigener<br />
Kraft verdienen können.<br />
Personalpraxis<br />
Gerade junge Männer befürchten Nachteile,<br />
wenn sie im Job kürzer treten. Sie<br />
selbst gehen davon aus, dass nur rund ein<br />
Viertel der Väter die Partnermonate in<br />
Anspruch nehmen wird. Trotz dieses – gegen<br />
viele Widerstände auch in den eigenen<br />
Reihen durchgesetzten – Modells<br />
wird es also voraussichtlich wieder darauf<br />
hinauslaufen, dass die Mütter zu<br />
Hause bleiben. Wie wollen Sie dem entgegensteuern?<br />
Um es ganz klar zu sagen: Wir wollen jungen<br />
Paaren und <strong>Familie</strong>n nicht vorschreiben, wie sie<br />
zu leben haben. Wir wollen ihnen vielmehr die<br />
Freiheit geben, so zu leben, wie sie wollen. Die<br />
Partnermonate bieten den Eltern die Möglichkeit<br />
zu wählen – wie die Wahl ausfällt, ist allein<br />
ihre Sache. Viele Männer wollen auch Väter sein<br />
und sich zumindest eine Zeit lang mehr um ihre<br />
Kinder kümmern, trauen sich bislang oft aber<br />
nicht, weil sie Nachteile im Beruf und finanzielle<br />
Einbußen fürchten. Das Elterngeld mit seinen<br />
Partnermonaten bietet da eine Lösung, und<br />
wenn man bedenkt, dass heute knapp fünf Prozent<br />
aller Väter Elternzeit nehmen, so ist eine<br />
Steigerung auf 25 Prozent durch das Elterngeld<br />
ein deutlicher Fortschritt.<br />
Abschließend noch eine Frage an Sie<br />
persönlich: Wie haben Sie selbst es<br />
geschafft, trotz großer <strong>Familie</strong>, Berufstätigkeit<br />
als Ärztin und in der Politik sowie<br />
Wohnsitzen in Hannover und Berlin<br />
Karriere und <strong>Familie</strong> so erfolgreich<br />
„unter einen Hut“ zu bringen?<br />
Es ist keineswegs immer einfach gewesen für<br />
mich, meinen Beruf und die <strong>Familie</strong> unter einen<br />
Hut zu bringen. Ich habe insgesamt sieben Jahre<br />
ganz ausgesetzt und mich ausschließlich um<br />
die Kinder gekümmert, aber ich bin auch immer<br />
wieder ins Berufsleben zurückgekehrt. Entscheidend<br />
ist natürlich, dass der Partner mitmacht<br />
und da kann ich mich voll und ganz auf meinen<br />
Mann verlassen. Es war sogar so, dass ich erst<br />
lernen musste, loszulassen und ihm viele Aufgaben<br />
anzuvertrauen. Jetzt sind wir beide erwerbstätig<br />
und teilen die Arbeit zuhause – und<br />
sind beide glücklich damit.<br />
Frau Dr. von der Leyen, wir danken Ihnen<br />
für dieses Interview.<br />
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