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Prof. Dr. Wolfram Wette Militärhistoriker im Gespräch mit Jochen ...

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transkribiert und daraus ein dickes Buch gemacht. Als ich dann hinterher einmal<br />

gefragt habe, was denn dabei eigentlich 'rumgekommen sei, hat er gesagt: "Tja,<br />

offenbar haben mir diese Menschen die wichtigsten Dinge einfach nicht gesagt."<br />

Sie haben also nicht gesprochen über das Töten, sie haben nicht gesprochen über<br />

die Todesangst und sie haben nicht gesprochen über die Judenmorde. Ansonsten<br />

haben sie all die Dinge erzählt, die man sozusagen unter "Kriegstourismus"<br />

einordnen könnte. Aber die entscheidenden Dinge haben sie ausgelassen. Und<br />

nun müssten Sie einen Psychoanalytiker fragen, welche Mechanismen in einem<br />

Hirn wirksam sind, dass man sich zwar sehr genau daran erinnert, wo man ein<br />

Huhn klauen konnte oder wo man ein Brot gefunden hat oder wo man irgendeine<br />

nette Geschichte erlebt hat, während die soeben genannten schwerwiegenden<br />

Felder ausgeblendet werden konnten. Gäbe es die kritische historische Forschung<br />

nicht, würden wir dieses Bild von der Rolle der deutschen Wehrmacht <strong>im</strong> Zweiten<br />

Weltkrieg heute noch haben.<br />

Kölsch: Der Überfall auf die Sowjetunion, und das ist ja auch dank Ihrer Forschung<br />

inzwischen doch einigermaßen unstrittig, war ein unbarmherziger<br />

Vernichtungskrieg, der von Anfang an so geplant gewesen war. Die deutschen<br />

Generäle haben das <strong>im</strong> Vorfeld schon seit den dreißiger Jahren so gewusst und<br />

haben das eben auch <strong>mit</strong>getragen. Dies blieb doch auch vielen Soldaten nicht<br />

verborgen. Mir geht es u. a. natürlich auch <strong>im</strong>mer um die Gerechtigkeit dem<br />

Einzelnen gegenüber, wenn man <strong>mit</strong> diesen Menschen spricht und sie einem<br />

sagen, "ich habe zwar teilgenommen, aber ich war am Schl<strong>im</strong>msten dieses<br />

Grauens nicht beteiligt".<br />

<strong>Wette</strong>: Erstens war keineswegs unstrittig, was Sie gesagt haben: Noch in den achtziger<br />

Jahren haben Kollegen die "Präventivkriegsthese" vertreten. Diese These besagt,<br />

Deutschland sei einem russischen Angriff nur zuvorgekommen.<br />

Kölsch: Genau, sie besagt, Stalin hätte eigentlich Deutschland überfallen wollen und<br />

insofern habe sich Hitler "nur präventiv gewehrt".<br />

<strong>Wette</strong>: Richtig. Und alles andere, was wir heute wissen, ist ebenfalls als Reaktion auf<br />

angebliche Vorhaben der Russen interpretiert worden. Insofern war es also so,<br />

dass diese neue Sicht der Dinge zuerst einmal durchgeboxt werden musste.<br />

Kölsch: Das st<strong>im</strong>mt, die Widerlegung der "Präventivkriegsthese" war eine Arbeit der<br />

achtziger und sogar noch der neunziger Jahre: Man konnte endlich nachweisen,<br />

dass das alles von Anfang an als Vernichtungskrieg geplant gewesen war. Das<br />

Problem war eben gewesen, dass man diesen Vernichtungskrieg bis in die<br />

achtziger Jahre hinein propagandistisch sehr erfolgreich "verhe<strong>im</strong>lichen" konnte.<br />

<strong>Wette</strong>: Der zweite Teil Ihrer Frage ging ja dahin, wie das der Einzelne damals gesehen hat.<br />

Durch Quellen können wir nicht nachweisen, was der einzelne Mannschaftssoldat<br />

oder Unteroffizier <strong>im</strong> Russlandkrieg tatsächlich erlebt hat. Wenn er da<strong>mit</strong> nicht selbst<br />

'rauskommt, sondern sich seine Lebenslegende aufbaut, dann haben wir kaum<br />

eine Chance, ihm persönlich das Gegenteil zu beweisen. Es sei denn, es gibt<br />

solche Ausnahmefälle, wie sie sich in der Zeit der Wehrmachtsausstellung<br />

ereigneten, dass man nämlich best<strong>im</strong>mte Leute auf den Fotos wiedererkennt, die<br />

da in Uniform vor einem Gehängten stehen: Da kommt dann meinetwegen plötzlich<br />

das große Erwachen von Familien<strong>mit</strong>gliedern, weil sie erst auf diesem Wege<br />

etwas erfahren, was sie durch die mündliche Überlieferung ihrer Verwandten nicht<br />

hatten erfahren können. Das ist also ein ganz schwieriges Terrain, das man <strong>mit</strong><br />

allgemeinen Formeln nicht hinreichend beantworten kann.<br />

Kölsch: In Ihrem Buch "Die Wehrmacht. Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden" zeigen<br />

sie, dass die Wehrmacht von 1941 an, also von Anfang an in diesen<br />

völkerrechtswidrigen Krieg, in diesen Vernichtungskrieg eingebunden war und die<br />

Generäle dem auch ideologisch überzeugt gefolgt sind. Wie konnte das sein?<br />

Waren das bereits die handverlesenen Führungsfiguren, die Hitler dahin gesetzt<br />

hatte? Oder baute das schlicht auf der Mentalität des deutschen Militärs auf?<br />

<strong>Wette</strong>: Das war keineswegs eine handverlesene Schar besonders nazitreuer Generäle.

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