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Durch Wüste und Harem - Karl-May-Gesellschaft

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„Daß sich kein Gläubiger daran verunreinigen kann.“<br />

„Du willst mich wirklich schlagen lassen?“<br />

„Ja.“<br />

„So werde ich dir zeigen, wie es ein Nemsi macht, wenn er gezwungen ist, sich selbst Gerechtigkeit zu<br />

verschaffen!“<br />

Der kleine Hof war an drei Seiten von einer hohen Mauer <strong>und</strong> an der vierten von dem Gebäude<br />

umschlossen; es gab keinen andern Ausgang als denjenigen, durch welchen wir eingetreten waren.<br />

Zuschauer gab es nicht; wir waren also drei gegen dreizehn. Die Waffen hatte man uns gelassen, so<br />

erforderte es der ritterliche Gebrauch der <strong>Wüste</strong>; der Wekil war völlig unschädlich, ebenso auch seine<br />

Soldaten, <strong>und</strong> nur Abu en Nassr konnte gefährlich werden. Ich mußte ihn vor allen Dingen kampfunfähig<br />

machen.<br />

„Hast du eine Schnur?“ fragte ich Omar leise.<br />

„Ja; meine Burnusschnur.“<br />

„Mache sie los!“ Und gegen Halef fügte ich hinzu: „Du springst zum Ausgang <strong>und</strong> lässest keinen<br />

Menschen durch!“<br />

„Verschaffe sie dir!“ hatte indessen der Wekil geantwortet.<br />

„Sogleich!“<br />

Mit diesen Worten sprang ich ganz plötzlich zwischen den Soldaten hindurch <strong>und</strong> auf Abu en Nassr zu, riß<br />

ihm die Arme auf den Rücken <strong>und</strong> drückte ihm das Knie so fest auf den Nacken, daß er sich in seiner<br />

sitzenden Stellung nicht zu rühren vermochte.<br />

„Binde ihn!“ gebot ich Omar.<br />

Dieser Befehl war eigentlich überflüssig, denn Omar hatte mich sofort begriffen <strong>und</strong> war bereits dabei,<br />

seine [69] Schnur um die Arme des Armeniers zu schlingen. Ehe nur eine Bewegung gegen uns geschehen<br />

konnte, war er gefesselt. Mein plötzlicher Angriff hatte den Wekil <strong>und</strong> seine Leibwache so perplex gemacht,<br />

daß sie mich ganz konsterniert anstaunten. Ich zog jetzt mit der Rechten mein Messer <strong>und</strong> faßte ihn mit der<br />

Linken am Genick. Er streckte vor Entsetzen Arme <strong>und</strong> Beine von sich, als ob er bereits vollständig tot sei;<br />

desto mehr Leben aber kam in die Soldaten.<br />

„Hatschyn, aramin imdadi - reißt aus, bringt Hilfe!“ brüllte der Onbaschi, der zuerst die Sprache<br />

wiedergef<strong>und</strong>en hatte.<br />

Sein Säbel wäre ihm hinderlich geworden, er warf ihn weg <strong>und</strong> rannte dem Ausgange zu; die andern<br />

folgten ihm. Dort aber stand bereits der wackere Halef mit schußfertigem Gewehre.<br />

„Geri; durar - siz b<strong>und</strong>a - zurück! Ihr bleibt hier!“ rief er ihnen entgegen.<br />

Sie stutzten, wandten sich um <strong>und</strong> sprangen nach allen vier Richtungen auseinander, um Schutz in den<br />

Mauerecken zu suchen.<br />

Auch Omar hatte sein Messer gezogen <strong>und</strong> stand mit finsterem Blick bereit, es Abu en Nassr in das Herz<br />

zu stoßen.<br />

„Bist du tot?“ fragte ich den Wekil.<br />

„Nein, aber du wirst mich töten?“<br />

„Das kommt auf dich an, du Inbegriff aller Gerechtigkeit <strong>und</strong> Tapferkeit. Aber ich sage dir, daß dein Leben<br />

an einem dünnen Haare hängt.“<br />

„Was verlangst du von mir, Sihdi?“<br />

Noch ehe ich antwortete, erscholl der angstvolle Ruf einer Weiberstimme. Ich blickte auf <strong>und</strong> bemerkte<br />

eine kleine dicke, weibliche Gestalt, welche vom Eingange her [70] mit möglichster Anstrengung auf uns<br />

zuge - - kugelt kam.<br />

„Tut - halt!“ rief sie mir kreischend zu. „Öldirme onu; dir benim kodscha - töte ihn nicht; er ist mein Mann!“<br />

Also diese dicke, r<strong>und</strong>e Madame, welche unter ihrer dichten Kleiderhülle mit wahrhaft schwimmähnlichen<br />

Bewegungen auf mich zusteuerte, war die gnädige Frau Statthalterin. Jedenfalls hatte sie von dem mit<br />

einem Holzgitter versehenen Frauengemache aus der interessanten Exekution zusehen wollen <strong>und</strong> zu ihrem<br />

Entsetzen bemerken müssen, daß dieselbe jetzt an ihrem Ehegatten vollzogen werden solle. Ich fragte ihr<br />

ruhig entgegen:<br />

„Wer bist du?“<br />

„Im kary wekilün, ich bin das Weib des Wekil,“ antwortete sie.<br />

„Ewet, dir benim awret, gül Kbillinün - ja, sie ist mein Weib, die Rose von Kbilli,“ bestätigte ächzend der<br />

Statthalter.<br />

„Wie heißt sie?“<br />

„Demar-im Mersinah - ich heiße Mersinah,“ berichtete sie.<br />

„He, demar Mersinah - ja, sie heißt Mersinah,“ ertönte das Echo aus dem M<strong>und</strong>e des Wekil.<br />

Also sie war die „Rose von Kbilli“ <strong>und</strong> hieß Mersinah, d. i. Myrte. Einem so zarten Wesen gegenüber<br />

mußte ich nachgiebig sein.<br />

„Wenn du mir die Morgenröte deines Antlitzes zeigst, o Blume der Oase, so werde ich meine Hand von<br />

ihm nehmen,“ sagte ich.<br />

Sofort flog der Jaschmak, der Schleier, von ihrem Angesichte. Sie hatte lange Zeit unter den Arabern<br />

gelebt, deren Frauen unverhüllt gehen, <strong>und</strong> war also weniger zurückhaltend geworden, als unter andern<br />

GR01 / <strong>Durch</strong> <strong>Wüste</strong> <strong>und</strong> <strong>Harem</strong> – Seite 24

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