Durch Wüste und Harem - Karl-May-Gesellschaft
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„Er nennt sich Abrahim-Mamur <strong>und</strong> wohnt aufwärts von hier in einem einsamen, halb verfallenen Hause,<br />
welches am Ufer des Niles steht.“<br />
„Es wird von einer Mauer umgeben?“<br />
„Ja.“<br />
„Wer konnte dies ahnen! Ich habe alle Städte, Dörfer <strong>und</strong> Lager am Nile abgeforscht, aber ich dachte<br />
nicht, daß dieses Haus bewohnt werde. Ist sie wirklich sein Weib?“<br />
„Ich weiß es nicht, aber ich glaube es nicht.“<br />
„Und krank ist sie?“<br />
„Sehr.“<br />
„Wallahi, bei Gott, er soll es bezahlen, wenn ihr etwas Böses widerfährt. An welcher Krankheit leidet sie?“<br />
„Ihre Krankheit liegt im Herzen. Sie haßt ihn; sie [127] verzehrt sich in Sehnsucht, von ihm fortzukommen,<br />
<strong>und</strong> wird sterben, wenn es nicht bald geschieht.“<br />
„Nicht er, aber sie hat dir das gesagt?“<br />
„Nein, ich habe es beobachtet.“<br />
„Du hast sie gesehen?“<br />
„Ja.“<br />
„Belauscht?“<br />
„Nein. Er führte mich in seine Frauenwohnung, damit ich mit der Kranken sprechen könne.“<br />
„Er selbst? Unmöglich!“<br />
„Er liebt sie - -“<br />
„Allah strafe ihn!“<br />
„Und fürchtete, daß sie sterben werde, wenn er mich wieder fortschickte.“<br />
„So sprachst du auch mit ihr?“<br />
„Ja, aber nur die Worte, welche er mir erlaubte. Aber sie fand Zeit, mir leise zuzuflüstern: „Rette Senitza.“<br />
Sie trägt also diesen Namen, obgleich er sie Güzela nennt.[“]<br />
„Was hast du ihr geantwortet?“<br />
„Daß ich sie retten werde.“<br />
„Effendi, ich liebe dich; dir gehört mein Leben! Er hat sie geraubt <strong>und</strong> entführt. Er hat sie durch Betrug an<br />
sich gerissen. Komm, Effendi, wir wollen gehen. Ich muß wenigstens das Haus sehen, in welchem sie<br />
gefangen gehalten wird!“<br />
„Du wirst hier bleiben! Ich gehe morgen wieder hin zu ihr <strong>und</strong> - - -“<br />
„Ich gehe mit, Sihdi!“<br />
„Du bleibst hier! Kennt sie den Ring, welchen du am Finger trägst?“<br />
„Sie kennt ihn sehr gut.“<br />
„Willst du mir ihn anvertrauen?“<br />
„Gern. Aber wozu?“<br />
[128] „Ich spreche morgen wieder mit ihr <strong>und</strong> werde es so einzurichten wissen, daß sie den Ring zu sehen<br />
bekommt.“<br />
„Sihdi, das ist vortrefflich! Sie wird sogleich ahnen, daß ich in der Nähe bin. Aber dann?“<br />
„Erzähle du zunächst das, was ich wissen muß.“<br />
„Du sollst Alles erfahren, Herr. Unser Geschäft ist eines der größten in Istambul; ich bin der einzige Sohn<br />
meines Vaters, <strong>und</strong> während er den Bazar verwaltet <strong>und</strong> die Diener beaufsichtigt, habe ich die notwendigen<br />
Reisen zu unternehmen. Ich war sehr oft auch in Scutari <strong>und</strong> sah Senitza, als sie mit einer Fre<strong>und</strong>in auf dem<br />
See spazieren fuhr. Ich sah sie später wieder. Ihr Vater wohnt nicht in Scutari, sondern auf den schwarzen<br />
Bergen; sie aber kam zuweilen herunter, um die Fre<strong>und</strong>in zu besuchen. Als ich vor zwei Monaten wieder an<br />
jenen See reiste, war die Fre<strong>und</strong>in mit ihrem Manne verschw<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> Senitza dazu!“<br />
„Wohin?“<br />
„Niemand wußte es.“<br />
„Auch ihre Eltern nicht?“<br />
„Nein. Ihr Vater, der tapfere Osco, hat die Czernagora verlassen, um nach seinem Kinde zu suchen, so<br />
weit die Erde reicht; ich aber mußte nach Aegypten, um Einkäufe zu machen. Auf dem Nile begegnete ich<br />
einem Dampfboote, welches aufwärts fuhr. Als der Sandal*) [*) Kleines Segelschiff.], auf welchem ich war, an ihm<br />
vorüberlenkte, hörte ich drüben meinen Namen nennen. Ich blickte hinüber <strong>und</strong> erkannte Senitza, welche<br />
den Schleier vom Gesicht genommen hatte. Neben ihr stand ein schöner, finsterer Mann, der ihr den<br />
Jaschmak sofort wieder überwarf - weiter sah ich nichts. Seit dieser St<strong>und</strong>e habe ich ihre Spur verfolgt.“<br />
[129] „Du weißt also nicht genau, ob sie ihre Heimat freiwillig oder gezwungen verlassen hat?“<br />
„Freiwillig nicht.“<br />
„Kanntest du den Mann, der neben ihr stand?“<br />
„Nein.“<br />
„Das ist w<strong>und</strong>erbar! Oder hast du dich in der Person geirrt? Vielleicht ist es eine andere gewesen, die ihr<br />
ähnlich sieht.“<br />
„Hätte sie dann gerufen <strong>und</strong> die Hände nach mir ausgestreckt, Effendi?“<br />
„Das ist wahr.“<br />
GR01 / <strong>Durch</strong> <strong>Wüste</strong> <strong>und</strong> <strong>Harem</strong> – Seite 44