Durch Wüste und Harem - Karl-May-Gesellschaft
Durch Wüste und Harem - Karl-May-Gesellschaft
Durch Wüste und Harem - Karl-May-Gesellschaft
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
„Ist das wahr, Wekil?“<br />
Er zögerte, eine Antwort zu geben, doch ein strenger Blick aus den Augen seiner Herrin zwang ihn, zu<br />
sprechen:<br />
„Ja.“<br />
„Du schwörst es mir?“<br />
„Ich schwöre es.“<br />
„Bei Allah <strong>und</strong> seinem Propheten!“<br />
„Muß ich?“ fragte er Madame, die Rose von Kbilli.<br />
„Du mußt!“ antwortete sie sehr entschieden.<br />
„So schwöre ich es bei Allah <strong>und</strong> dem Propheten.“<br />
„Nun darf er mit mir gehen?“<br />
„Er darf.“<br />
„Du wirst nachkommen <strong>und</strong> mit uns einen Hammel mit Kuskussu speisen.“<br />
„Hast du einen Ort, an dem ich Abu en Nassr sicher aufbewahren kann?“<br />
„Nein. Binde ihn an den Stamm der Palme dort an der Mauer. Er wird dir nicht entfliehen, denn ich werde<br />
ihn durch unsere Truppen bewachen lassen.“<br />
„Ich werde ihn selbst bewachen,“ antwortete Omar an meiner Stelle. [„]Er wird mir nicht entfliehen, sondern<br />
mit seinem Tode das Leben meines Vaters bezahlen. Mein Messer wird so scharf sein, wie mein Auge.“<br />
Der Mörder hatte von dem Augenblick seiner Fesselung an nicht das kleinste Wort gesprochen; aber sein<br />
Auge glühte tückisch <strong>und</strong> unheimlich auf uns, als er uns nach der Palme folgen mußte, an welcher wir ihn<br />
festbanden. Es lag wahrhaftig nicht in meiner Absicht, ihm das Leben zu nehmen; aber er war der Blutrache<br />
verfallen, <strong>und</strong> ich [75] wußte, daß keine Bitte meinerseits Omar vermocht hätte, ihn zu begnadigen. Ed d'em<br />
b'ed d'em, oder wie der Türke sagt, kan kanü ödemar, das Blut bezahlt das Blut. Am liebsten wäre es mir<br />
trotz allem gewesen, wenn es ihm gelingen konnte, ohne meine Mitwissenschaft zu entwischen; aber so<br />
lange ich mich auf seiner Fährte bef<strong>und</strong>en hatte <strong>und</strong> so lange er sich in meiner Gewalt befand, mußte ich ihn<br />
als Feind <strong>und</strong> Mörder betrachten <strong>und</strong> also auch als solchen behandeln. Gewiß war es auf alle Fälle, daß er<br />
mich nicht schonen würde, falls ich das Unglück haben sollte, in seine Hand zu fallen.<br />
Ich ließ ihn also in der Obhut Omars <strong>und</strong> begab mich mit Halef nach dem Selamlük. Unterwegs fragte mich<br />
der kleine Diener:<br />
„Du sagtest, dieser Mensch sei kein Moslem. Ist dies wahr?“<br />
„Ja. Er ist ein armenischer Christ <strong>und</strong> giebt sich da, wo er es für geboten hält, für einen Mohammedaner<br />
aus.“<br />
„Und du hältst ihn für einen schlechten Menschen?“<br />
„Für einen sehr schlechten.“<br />
„Siehst du, Effendi, daß die Christen schlechte Menschen sind! Du mußt dich zum wahren Glauben<br />
bekennen, wenn du nicht in alle Ewigkeit in der Dschehennah braten willst!“<br />
„Und du wirst selbst so lange darin braten!“<br />
„Weshalb?“<br />
„Hast du mir nicht erzählt, daß im Derk Asfal, in der siebenten <strong>und</strong> tiefsten Hölle, alle Lügner <strong>und</strong> Heuchler<br />
braten <strong>und</strong> die Teufelsköpfe vom Baume Zakum essen müssen?“<br />
„Ja, aber was habe ich damit zu schaffen?“<br />
„Du bist ein Lügner <strong>und</strong> Heuchler!“<br />
„Ich, Sihdi? Meine Zunge redet die Wahrheit, [76] <strong>und</strong> in meinem Herzen ist kein Falsch. Wer mich so<br />
nennt, wie du mich nanntest, den wird meine Kugel treffen!“<br />
„Du lügst, Mekka gesehen zu haben, <strong>und</strong> heuchelst, ein Hadschi zu sein. Soll ich das dem Wekil<br />
erzählen?“<br />
„Aman, aman, verzeihe! Das wirst du nicht thun an Hadschi Halef Omar, dem treuesten Diener, den du<br />
finden kannst!“<br />
„Nein, ich werde es nicht thun; aber du kennst auch die Bedingung, unter welcher ich schweige.“<br />
„Ich kenne sie <strong>und</strong> werde mich in acht nehmen, doch wirst du dennoch ein wahrer Gläubiger werden, du<br />
magst nun wollen oder nicht, Sihdi!“<br />
Wir traten ein <strong>und</strong> wurden bereits von dem Wekil erwartet. Es war keineswegs die fre<strong>und</strong>lichste Miene, mit<br />
welcher er mich empfing.<br />
„Setze dich!“<br />
Ich folgte seiner Aufforderung <strong>und</strong> nahm hart neben ihm Platz, während Halef sich mit den Pfeifen zu thun<br />
machte, welche man mittlerweile in einer Ecke des Raumes bereitgestellt hatte.<br />
„Warum wolltest du das Angesicht meines Weibes sehen?“ begann die Unterhaltung.<br />
„Weil ich ein Franke bin, der gewohnt ist, stets das Angesicht dessen zu sehen, mit dem er spricht.“<br />
„Ihr habt schlechte Sitten! Unsere Frauen verbergen sich, die eurigen aber lassen sich sehen. Unsere<br />
Frauen tragen Kleider, die oben lang <strong>und</strong> unten kurz sind; die eurigen aber haben Gewänder, welche oben<br />
kurz <strong>und</strong> unten lang, oft auch oben <strong>und</strong> unten zugleich kurz sind. Habt ihr jemals eine unserer Frauen bei<br />
euch gesehen? Eure Mädchen aber kommen zu uns, <strong>und</strong> weshalb? O jazik, o wehe!“<br />
GR01 / <strong>Durch</strong> <strong>Wüste</strong> <strong>und</strong> <strong>Harem</strong> – Seite 26