17.01.2013 Aufrufe

Durch Wüste und Harem - Karl-May-Gesellschaft

Durch Wüste und Harem - Karl-May-Gesellschaft

Durch Wüste und Harem - Karl-May-Gesellschaft

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

„Warum?“<br />

„Ich kann den Puls nicht fühlen.“<br />

„Entferne die Tücher!“ gebot er ihr.<br />

Sie zog den Arm hinter die Hüllen zurück <strong>und</strong> ließ dann ein zartes Händchen erscheinen, an dessen<br />

Goldfinger ich einen sehr schmalen Reifen erblickte, welcher eine Perle trug. Abrahim beobachtete meine<br />

Bewegungen mit gespannter Aufmerksamkeit. Während ich meine drei Finger an ihr Handgelenk legte,<br />

neigte ich mein Ohr tiefer, wie um den Puls nicht bloß zu fühlen, sondern auch zu hören, <strong>und</strong> - täuschte ich<br />

mich nicht - da wehte es leise, leise, fast unhörbar durch den Schleier:<br />

„Kurtar Senitzaji - rette Senitza!“<br />

„Bist du fertig?“ fragte jetzt Abrahim, indem er rasch näher trat.<br />

„Ja.“<br />

„Was fehlt ihr?“<br />

„Sie hat ein großes, ein tiefes Leiden, das größte, welches es giebt, aber - - - ich werde sie retten.“<br />

Diese letzten vier Worte richtete ich mit langsamer Betonung mehr an sie als an ihn.<br />

„Wie heißt das Uebel?“<br />

[111] „Es hat einen fremden Namen, den nur die Aerzte verstehen.“<br />

„Wie lange dauert es, bis sie ges<strong>und</strong> wird?“<br />

„Das kann bald, aber auch sehr spät geschehen, je nachdem Ihr mir gehorsam seid.“<br />

„Worin soll ich dir gehorchen?“<br />

„Du mußt ihr meine Medizin regelmäßig verabreichen.“<br />

„Das werde ich thun.“<br />

„Sie muß einsam bleiben <strong>und</strong> vor allem Aerger behütet werden.“<br />

„Das soll geschehen.“<br />

„Ich muß täglich mit ihr sprechen dürfen.“<br />

„Du? Weshalb?“<br />

„Um meine Mittel nach dem Befinden der Kranken einrichten zu können.“<br />

„Ich werde dir selbst sagen, wie sie sich befindet.“<br />

„Das kannst du nicht, weil du das Befinden eines Kranken nicht zu beurteilen vermagst.“<br />

„Was hast du denn mit ihr zu sprechen?“<br />

„Nur das, was du mir erlaubst.“<br />

„Und wo soll es geschehen?“<br />

„Hier in diesem Raume, grad wie heute.“<br />

„Sage es genau, wie lange du kommen mußt!“<br />

„Wenn Ihr mir gehorcht, so ist sie von heute an in fünf Tagen von ihrer Krankheit - - frei.“<br />

„So gieb ihr die Medizin!“<br />

„Ich habe sie nicht hier; sie befindet sich unten im Hofe bei meinem Diener.“<br />

„So komm!“<br />

Ich wandte mich gegen sie, um mit dieser Bewegung einen stummen Abschied von ihr zu nehmen. Sie<br />

hob [112] unter der Hülle die Hände wie bittend empor <strong>und</strong> wagte die drei Silben:<br />

„Eww' Allah, mit Gott!“<br />

Sofort aber fuhr er herum:<br />

„Schweig! Du hast nur zu sprechen, wenn du gefragt wirst!“<br />

„Abrahim-Mamur,“ antwortete ich sehr ernst, „habe ich nicht gesagt, daß sie vor jedem Aerger, vor jedem<br />

Kummer bewahrt werden muß? So spricht man nicht zu einer Kranken, in deren Nähe der Tod schon steht!“<br />

„So mag sie zunächst selbst dafür sorgen, daß sie sich nicht zu kränken braucht. Sie weiß, daß sie nicht<br />

sprechen soll. Komm!“<br />

Wir kehrten in das Selamlük zurück, wo ich nach Halef schickte, der alsbald mit der Apotheke erschien. Ich<br />

gab Ignatia nebst den nötigen Vorschriften <strong>und</strong> machte mich dann zum Gehen bereit.<br />

„Wann wirst du morgen kommen?“<br />

„Um dieselbe St<strong>und</strong>e.“<br />

„Ich werde dir wieder einen Kahn senden. Wie viel verlangst du für heute?“<br />

„Nichts. Wenn die Kranke ges<strong>und</strong> ist, magst du mir geben, was dir beliebt.“<br />

Er griff dennoch in die Tasche, zog eine reich gestickte Börse hervor, nahm einige Stücke <strong>und</strong> reichte sie<br />

Halef hin.<br />

„Hier, nimm du!“<br />

Der wackere Halef-Agha griff mit einer Miene zu, als ob es sich um eine große Gnadenbezeugung gegen<br />

den Aegypter handle, <strong>und</strong> meinte, das Bakschisch ungesehen in seine Tasche senkend:<br />

„Abrahim-Mamur, deine Hand ist offen <strong>und</strong> die meine auch. Ich schließe sie gegen dich nicht zu, weil der<br />

Prophet sagt, daß eine offene Hand die erste Stufe [113] zum Aufenthalte der Seligen sei. Allah sei bei dir<br />

<strong>und</strong> auch bei mir!“<br />

Wir gingen, von dem Aegypter bis in den Garten begleitet, wo uns ein Diener die in der Mauer befindliche<br />

Thür öffnete. Als wir uns allein befanden, griff Halef in die Tasche, um zu sehen, was er erhalten hatte.<br />

GR01 / <strong>Durch</strong> <strong>Wüste</strong> <strong>und</strong> <strong>Harem</strong> – Seite 38

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!