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info zwei 12 - DSGTA

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Schwerpunktthema<br />

Psychotherapie<br />

M., eine 44-jährige Frau, ist als behütetes<br />

Einzelkind im ‘Goldenen Käfig› aufge-<br />

wachsen und leidet unter mittelgradigen<br />

Depressionen. In der siebten Stunde er-<br />

zähle ich ihr spontan die folgende Ge-<br />

schichte:<br />

Man könnte sich vorstellen, dass es einmal,<br />

vor langer, langer Zeit, ein kleines Mädchen<br />

gegeben hat, dass sehr gerne eine Prinzessin<br />

geworden wäre. Sie stellte sich das wunderhübsch<br />

vor, eine Prinzessin zu sein, dann<br />

hätte sie schöne Kleider, viele Spielsachen<br />

und Bedienstete, die ihr jeden Wunsch erfüllen<br />

würden. Was das kleine Mädchen aber<br />

nicht wissen konnte – und wie sollte sie es<br />

wissen, sie war ja noch klein – war, dass<br />

Prinzessinnen meist keine anderen Kinder<br />

zum Spielen haben und auch nicht wild herumtollen<br />

dürfen, weil ja dann ihre kostbaren<br />

Kleider zerreissen und schmutzig werden<br />

würden. Es hätte also auch sein können,<br />

dass es irgendwo anders, auch vor langer,<br />

langer Zeit, irgendwo eine Prinzessin gegeben<br />

hätte, die ihrerseits wiederum möglicherweise<br />

davon geträumt hätte, ein ganz<br />

normales wildes lebendiges kleines Mädchen<br />

zu sein.<br />

Als ich zu Ende erzählt habe, sieht M. mich<br />

lange an, lächelt dann und sagt: ‹Ich weiss<br />

noch nicht genau, ob ich Ihre Geschichte<br />

verstanden habe, aber sie gefällt mir.› Das<br />

werte ich als Zeichen dafür, dass ihr Unbewusstes<br />

zu arbeiten begonnen hatte, und<br />

<strong>zwei</strong> Sitzungen später beginnt sie mit dem<br />

Satz: ‹Ich glaube, ich will keine Prinzessin<br />

mehr sein. Ich will eine ganz normale Frau<br />

sein.›<br />

<strong>12</strong> Info <strong>zwei</strong> <strong>12</strong><br />

Wir können also annehmen, dass neue,<br />

konstruktive neuronale Netzwerke in ihrem<br />

Gehirn zu entstehen begonnen haben<br />

(aber vielleicht ist auch diese Annahme<br />

nur ein Konstrukt …). Oder: dass sie eine<br />

Neuentscheidung über ihr Skript getroffen<br />

hat.<br />

Organisation<br />

Die Vertriebsleiter einer österreichischen<br />

Versicherung sollen lernen, ihre Persönlichkeit<br />

beim Führen einzusetzen. In einem<br />

je <strong>zwei</strong>stündigen Einzelcoaching und<br />

in anschliessenden monatlichen Coachinggruppen<br />

mit je ca. sechs Personen<br />

sollen sie ihre persönlichen Ressourcen<br />

und Potenziale kennen lernen und sie in<br />

der Menschenführung einsetzen können.<br />

Sie alle sind Führungskräfte, verantwortlich<br />

für je sechs bis zwölf Mitarbeitende im<br />

Vertrieb, und sie kommen auch alle selbst<br />

aus dem Vertrieb. Sie können sehr gut in<br />

Kontakt gehen. Sich selbst haben sie gelernt<br />

im Hintergrund zu halten. Sie sind es<br />

gewohnt, EinzelgängerInnen zu sein, so<br />

haben sie verkauft und so halten sie es<br />

auch weiter in ihrer Führungsposition.<br />

Man könnte sagen: Viele ähnliche Einzelskripts<br />

formen sich zu einem kollektiven<br />

Skript der Organisation mit dem zentralen<br />

Antreiber ‹sei stark!› und der Einschärfung<br />

‹fühl nicht!› Ein Team zu sein, sich auszutauschen,<br />

Erfahrungen zu analysieren,<br />

sich zu öffnen, sich über Erfolge von anderen<br />

zu freuen – das ist ihnen eher fremd.<br />

Es kommt, wie es kommen muss: Nach<br />

Freundlichkeit und Herzlichkeit untereinander,<br />

nach ausführlichem Erzählen<br />

über ihre Teams, über die vielversprechende<br />

Erfüllung der Umsatzziele, nach<br />

dem Umreissen von Fragestellungen, nach<br />

grossem Interesse an Inputs von mir, gerät<br />

der Prozess ins Stocken.<br />

Klar: Jetzt – wo die Inhalte mehr oder weniger<br />

erschöpft sind – jetzt ginge es um die<br />

Interaktion und um die einzelnen Persönlichkeiten,<br />

also um das Eingemachte. Tiefenpsychologisch<br />

könnte man sagen, es<br />

entsteht Widerstand. Weniger fachlich<br />

ausgedrückt: Sie haben Angst, und das ist<br />

sehr verständlich und sehr menschlich.<br />

Angst ist im Vertrieb ein no go (und oft der<br />

Punkt, an dem sie die grössten Führungsprobleme<br />

haben: die Angst ihrer MitarbeiterInnen<br />

zu telefonieren, zu akquirieren,<br />

‹lästig› zu sein). Ihre Definition von VertriebsmitarbeiterInnen<br />

(und auch von sich<br />

selbst) ist ‹einsame Wölfe›.<br />

Also versuche ich, die Sache metaphorisch<br />

aufzugreifen, und ich erzähle eine Geschichte,<br />

die mir spontan einfällt:<br />

Einmal im Jahr, immer zur Wintersonnenwende,<br />

kamen die Häuptlinge der Indianerstämme,<br />

die rund um die Gelben Seen lebten,<br />

zusammen. Sie sassen um ihr Lagerfeuer,<br />

rauchten Tabak und schwiegen lange.<br />

Schliesslich begann der Älteste von ihnen zu<br />

sprechen: ‹Der Winter ist früh gekommen<br />

dieses Jahr, aber im späten Herbst konnten<br />

wir noch einen riesigen Bären jagen. Wir<br />

hatten seine Spuren entdeckt und folgten<br />

ihm, wir waren zu fünft, aber er schlau und<br />

hatte uns kommen hören und stellte sich<br />

dem Kampf. Mein bester Jäger, Speer-mitgrünen-Federn,<br />

rannte auf ihn zu und<br />

wollte ihn durchbohren, aber mit einem Tat-

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